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Aus dem Vorwort von Rüdiger Nehberg: Ich habe das vorliegende Buch in einem Rutsch durchgelesen. Es hat mich gepackt vom ersten bis zum letzten Wort. Ein bunter Strauß Geschichten aus verschiedensten Lebensbereichen. Die Erzählungen haben eines gemeinsam: sie sind berührend und authentisch, erschreckend und bewegend zugleich. Ein Plädoyer gegen die Gleichgültigkeit. Sie schildern das Unberechenbare des Menschen und seine Grausamkeit, wie auch seine Größe und Würde. Die Geschichten dokumentieren, wie antastbar die Unantastbarkeit der Menschenwürde ist. Sie berichten von Verzweiflung, Mut und Feigheit. Keine Geschichte wird den Leser unberührt lassen.

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antastbar

Die Würde des Menschen …

Herausgegeben von Barbara Naziri Vorwort von Rüdiger Nehberg

Dr. Ronald Henss Verlag

Sudstraße 2

66125 Saarbrücken

www.ronald-henss-verlag.de

[email protected]

© Alle Rechte beim Verlag und den Autoren

Umschlaggestaltung: Ronald Henss unter Verwendung eines Fotos von Ronald Henss ©

Buchausgabe ISBN   978-3-939937-12-8

eBook im epub-Format ISBN   978-3-939937-62-3

Buchausgabe: 2010

eBook epub: 2012

Vorwort der Herausgeberin

Menschenrecht und Menschenwürde sind untrennbar miteinander verbunden. Ihnen liegt die Idee zugrunde, dass jeder Mensch allein schon durch seine Existenz wertvoll ist. Menschenwürde gilt als oberster Begriff des Grundgesetzes, dessen Artikel 1 lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Und doch wird kaum etwas so oft verletzt wie die Würde des Menschen. Wie kann man dem entgegenwirken? „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“, antwortet das Grundgesetz. Gewalt? Vermag man mit Gewalt etwas zu schützen? Unser Staat vermag es, denn er schützt uns in erster Linie vor sich selbst, damit unser Grundrecht gewahrt bleibt, die Anerkennung der gleichen Rechte für alle, unabhängig von ihrer Herkunft, Religion, ihres Geschlechts und Alters und vor allem der respektvolle Umgang miteinander. Dies scheint eine der schwersten Aufgaben, die sich der Mensch gestellt hat. Neben der Einhaltung von Rechten wird oft etwas Wichtiges außer Acht gelassen, das Herz. Menschenwürde ist auch eine Herzensangelegenheit.

Schon der persische Kaiser Kyros hat vor mehr als 2500 Jahren eine Menschenrechtscharta erlassen. Bei Ausgrabungen wurde sie, eingebrannt in einen Tonzylinder, gefunden. Die Vereinten Nationen erklärten sie 1971 zur ersten Menschenrechtscharta der Welt. Heute kann man sich das Dokument im Britischen Museum anschauen. Der Text wurde in alle offiziellen UN-Sprachen übersetzt. In die neuzeitliche Sprache umgesetzt beginnt er folgendermaßen: Nun, da ich mit dem Segen von Ahura Mazda die Königskrone von Iran, Babylon und den Ländern aus allen vier Himmelsrichtungen aufgesetzt habe, verkünde ich, dass solange ich am Leben bin und Mazda mir die Macht gewährt, ich die Religion, Bräuche und Kultur der Länder, von denen ich der König bin, ehre und achte und nicht zulasse, dass meine Staatsführer und Menschen unter meiner Macht die Religion, Bräuche und Kultur meines Königreiches oder anderer Staaten verachten oder beleidigen …

Menschenwürde – unantastbar? Überall auf der Welt wird jeden Augenblick die menschliche Würde verletzt, unabhängig ob in einer Diktatur oder einer Demokratie. Das heißt für alle Weltbürger, behutsam und achtsam mit der Menschenwürde umzugehen, sie zu hegen und zu pflegen, damit sie uns erhalten bleibt und wir mit ihr wachsen können.

Dem vorliegenden Buch ist ein Schreibwettbewerb zum Thema Menschenwürde vorausgegangen. Das Gemeinschaftsprojekt hat uns Autoren viel Freude bereitet und Freundschaften entstehen lassen. Es gab viele Denkanstöße und mitunter auch hitzige Diskussionen, die doch zeigten, wie sehr dieses Thema uns alle berührt. So hoffen wir, dass wir unsere Botschaft antastbar einer großen Leserschaft vermitteln können und dass unsere Geschichten nicht nur einen Augenblick berühren, sondern nachhaltig wirken. Die Welt können wir nicht verändern, aber unsere Geschichten können ein kleines Mosaiksteinchen sein und zum Nachdenken anregen.

Allen Mitwirkenden möchte ich ganz herzlich für ihr Engagement danken und auch denjenigen, die es nicht ins Buch schafften, meinen Dank für ihre Teilnahme aussprechen und mit den Worten von Friedrich Schiller schließen:

Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben, bewahret sie! Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich heben!

Hamburg, im September 2010

Barbara Naziri

antastbar – Vorwort von Rüdiger Nehberg

Ich habe das vorliegende Buch in einem Rutsch durchgelesen. Es hat mich gepackt vom ersten bis zum letzten Wort. Ein bunter Strauß Geschichten aus verschiedensten Lebensbereichen. Die Erzählungen haben eines gemeinsam: sie sind berührend und authentisch, erschreckend und bewegend zugleich. Ein Plädoyer gegen die Gleichgültigkeit. Sie schildern das Unberechenbare des Menschen und seine Grausamkeit, wie auch seine Größe und Würde. Die Geschichten dokumentieren, wie antastbar die Unantastbarkeit der Menschenwürde ist. Sie berichten von Verzweiflung, Mut und Feigheit. Keine Geschichte wird den Leser unberührt lassen. Jede ist ein literarisches und zeitloses Dokument. Jede hat ihre Botschaft. Läse man sie einzeln in einer Tageszeitung, würden sie vielleicht erstickt von der Fülle üblicher tagesaktueller Nachrichten. Sie wären der Gefahr des Vergessens ausgeliefert. Jedoch hier, aneinandergereiht, verdichtet zu einem größeren Bild, vermögen sie eine ungleich stärkere Kraft zu entfalten, prägen sich tiefer in das Gedächtnis und Gewissen ein, setzen Gedenksteine für die Geschundenen, Mahnmale für die (Noch-)Nichtbetroffenen.

Dem Leser wird klar, dass es oft nur eine Frage des Glücks ist, nicht unter vergleichbar misslichen Umständen oder in einer Diktatur leben zu müssen, sondern in geordneten Verhältnissen, in einer Demokratie wie der deutschen, wo er Werte genießt, von denen die Mehrheit der Menschheit seit Adam und Eva nur träumen kann. Deutschland: seit zwei Dritteln eines Jahrhunderts Demokratie, Rechtsstaat, gesegnet mit Rede-, Presse- und Reisefreiheit, Sicherheit, Wohlstand, Gleichberechtigung, Bildungsmöglichkeiten ohne Ende. Werte, die die meisten Völker nicht einmal als Vokabel kennen. Werte, die nur der zu schätzen weiß, der unwürdigere Lebensformen miterlebt hat. Ob als Bürger zu Nazis Zeiten oder als Reisender, der wachen Sinnes in fremden Ländern war.

Das Buch zwingt, darüber nachzudenken, dass es Millionen unserer Vorfahren und alliierter Soldaten das Leben gekostet hat, um uns die heutige Lebensqualität zu ermöglichen, abgesichert durch Grundgesetz, die Allgemeine UN-Erklärung der Menschenrechte, die EU, internationale Gerichtshöfe. Und es lässt uns auch darüber nachdenken, dass nichts selbstverständlich ist und automatisch dauerhaften Bestand haben muss. Religiöse und politische Fanatiker lauern auf jede Gelegenheit, ihre Skrupellosigkeit, ihren Machthunger und Sadismus auszuleben. Es sind aber auch die eigene Habgier, Maßlosigkeit und Dekadenz, die solide Staatsfesten und wertvolles Erbe schnell in den Ruin verkehren können.

Ich werde oft gefragt, was auf meinen Reisen das Gefährlichste war. Da gab es nur eine Antwort: „Der Mensch. Ihn kann man nur kalkulieren, wenn man mit dem Schlimmsten rechnet, und man kann sich freuen, wenn es weniger schlimm kommt.“

Und noch eins hat mich mein Leben gelehrt. Niemand sollte sich für zu gering halten, etwas, das ihn stört, zu verändern. Schweiger sind Mittäter, willkommene Werkzeuge der Tyrannen. Man muss sich nur immer wieder klar machen, dass letztlich alles Menschgemachte ursprünglich im Kopf einer einzigen Person entstanden ist, die es verstanden hat, ihre Idee zum Erfolg zu führen. Nichts und niemand ist zu gering. Sei es der Bau eines Teiches, die Gründung einer Bürgerinitiative, einer Partei, einer Religion. Einer war und ist stets der Erste. Und es bedarf nicht unbedingt dessen besonderer Herkunft oder Bildung, sondern seines (ihres) Charismas, der Durchsetzungskraft, der Fantasie. Nehmen wir die Religionsgründer. Einer war Zimmermann, ein anderer Kaufmann.

Unabhängig von ihrer globalen Dimension ist jede noch so kleine Handlung wichtig und wertvoll. Der Perser Bijan schrieb die Freiheitshymne „Der letzte Kuss“ (zweite Geschichte in antastbar). Barbara Naziri hat dieses Buch herausgegeben. Niemand und kein Versuch sind zu gering. Warum also nicht Du, Leserin, Leser, mit Deinen Möglichkeiten, mit Deinen Qualifikationen? Klar, wer kämpft kann verlieren. Aber wer nicht kämpft, hat schon verloren. Das wusste schon Berthold Brecht. Was benötigt wird, sind Motivation aus Überzeugung, eine ungewöhnliche Strategie, Geduld und – leider ebenso – Glück. Auch Zivilcourage ist gefordert, der Mut, gegen den Strom und den Zeitgeist zu steuern.

Was hat man meine Frau Annette und mich verhöhnt, als wir uns entschieden, das Verbrechen der Weiblichen Genitalverstümmelung ausgerechnet mit den höchsten Würdenträgern des Islam zu beenden! „Du bist doch nur ein Bäcker“ oder „Der Islam ist gar nicht dialogfähig“, mussten wir uns anhören. Das übliche Feind- und Kastendenken. Da hatten wir ganz andere Erfahrungen gemacht auf unseren Reisen. Vor allem haben wir zu differenzieren gelernt und Verallgemeinerungen abgeschworen. Da gab es muslimische Gastgeber, die sich bei Überfällen mit ihren Körpern als lebende Schilde vor uns Gäste gestellt hatten. Und so hielten wir es lieber mit Albert Einstein: „Wenn eine Idee am Anfang nicht absurd klingt, dann gibt es keine Hoffnung für sie.“ Unsere Idee war absurd. Aber nur scheinbar. Damit war ihr Erfolg eigentlich bereits vorprogrammiert.

Warum also Islam, wo doch auch Christen und andere verstümmeln? Islam deshalb, weil man damit fast 90% der Opfer erreicht, weil viele Angst vorm Islam haben, weil sie Muslime mit Islamisten gleichsetzen und wir, im Gegensatz dazu und wider den Zeitgeist, Vertrauen in die Ethik der Religion haben. Hinzu kam die Kraft unserer Waffen. Sie waren unschlagbar: der Koran, Fotos des Verbrechens, Respekt vor anderen Kulturen und eine Entschlossenheit, wie nur Betroffene und Augenzeugen sie aufzubringen vermögen, sofern Letztere sich ein Verantwortungsgefühl bewahrt haben.

Auf Anraten von Greenpeace und amnesty international gründeten wir unsere eigene Organisation: TARGET. Sie machte uns unabhängig von allen Berufsbedenkenträgern. Sie ersparte uns Endlosdiskussionen.

Und was haben wir erreicht? Wir haben erreicht, dass die Elite des Islam uns Fremden gestattete, in der Azhar-Universität zu Kairo (vergleichbar mit dem Vatikan der Katholiken) eine Konferenz mit den höchsten Gelehrten zu veranstalten. Das Resultat hat eine neue Seite des Islam geschrieben: „Weibliche Genitalverstümmelung ist ein Verbrechen gegen höchste Werte des Islam!“ Nun ist es Sünde, Frauen diese Zerstörung und Entwürdigung anzutun. Damit ist das entscheidende Fundament für das Ende der grauenhaften Tradition gelegt. Es muss nun „nur noch“ weltweit publiziert werden. Unser 365-Tage-Job, 24 Stunden pro Tag.

Doch jetzt wurde diese unsere Arbeit jäh unterbrochen. Schuld ist Barbara Naziri. Ich sollte dieses Vorwort schreiben. Das erfordert mehr Zeit, als man denkt, denn irgendwie will man ja Schritt halten mit den literarischen Geschichten. Ich habe es sehr gern getan. Ich wünsche dem Buch eine große Leserschaft und allen Erfolg.

Rüdiger Nehberg

Rausdorf, Sommer 2010

Claudia Duhonj-Gabersek

Die rote Blume

Zehn Blümchen auf der Wiese küsste der Morgentau mit seiner kalten Süße, ein rotes, neun warn blau.

Die blauen Blumen fragten, wer denn die rote wär? Als ob sie zu ihr sagten, warum kamst du hierher?

Der Wind hat mich getrieben als kleines Samenkorn, so bin ich halt geblieben, die Heimat hab verlorn.

Geh weg, du fremde Blume, wir wollen dich hier nicht, hast deine eigne Krume, du nimmst uns Luft und Licht.

Wohin soll ich denn gehen,

Agnes Jäggi

Das Paradies

Er stapft durch den Schnee. Das knirschende Geräusch unter seinen Füßen gefällt ihm. Rechts und links des schmalen Pfades türmen sich hohe weiße Wände. Es ist sehr still. Schon längst hat er das Dorf hinter sich gelassen. Er ist allein, es ist Frieden. Im Ort bei den fremden Menschen in dem fremden Land, in dem er gelandet ist vor wenigen Wochen, fühlt er sich nicht recht wohl. Er versteht die Sprache nicht, kann in den Gesichtern nicht genau lesen, ob sie Freunde oder Feinde sind. Ein alter Mann hatte sich ihm in den Weg gestellt und mit leiser Stimme zu ihm gesprochen. Er verstand die Worte nicht, doch die zusammengekniffenen Lippen, die verächtlich starrenden Augen beunruhigten ihn. Eine Frau mit zwei Kindern wechselte die Straßenseite, als er sich ihnen näherte.

Damals, als er seine Heimat verließ, dieses vom Bürgerkrieg geschundene Land, mit nichts als seinen Kleidern am Leib und der schrecklichen Erinnerung an seine toten Kinder und seine Frau, hatte er keine Hoffnung mehr. Ebenso gut hätte er ein Gewehr nehmen und in die Menge der Soldaten schießen können, um selber erschossen zu werden. Dann hätte endlich alles ein Ende gehabt. Stattdessen war er mit seinem Cousin zu diesem Schuppen in der Nähe des Flusses gegangen. Die Männer, zwei Landsleute und zwei fremde weiße Männer hießen sie willkommen. Sie nahmen das Geld entgegen, alles was er und sein Cousin besaßen, und erläuterten ihnen den Weg ins Paradies. Er wollte noch immer sterben, hier in seiner Heimat, wo er als Knabe und als junger Mann zufrieden und manchmal sogar glücklich gewesen war. Damals, als der alte König noch herrschte, nicht zimperlich zwar, doch man konnte mit ihm leben.

Als das Militär die Macht an sich riss, begannen das Elend und das endlose Sterben im Kugelhagel oder an Krankheiten, an unsauberem Wasser und an Hunger. Sein Cousin war noch sehr jung, achtzehn. Er selber fühlte sich mit seinen knapp dreißig Jahren alt und müde. Ceylan, seine Gattin, starb an der Cholera genauso wie die Zwillinge. Denpach und Lanjan waren erst acht. Er musste hilflos zusehen. Viel zu wenige Ärzte, keine Medikamente und viel zu viele Kranke. Er saß neben der dünnen Matte, auf der seine Familie im Sterben lag. Er hatte sich so sehr gewünscht, mit ihnen auf die Reise ins Nirgendwo zu gehen.

Sein Cousin war nicht verheiratet. Er wollte leben, arbeiten, ein Haus haben und glücklich mit einer eigenen Familie im Paradies wohnen. Die Männer nahmen ihnen die Papiere ab, bevor eine qualvolle Odyssee per Schiff und Lastwagen durch die halbe Welt begann. Er und sein Cousin waren nicht die Einzigen. Sie hatten Hunger und Durst, saßen oder lagen in ständiger Finsternis. Er flüchtete sich in seine Erinnerungen. Spielte mit seinen Freunden am Fluss, trieb mit seinem Vater die Ziegenherde auf die damals noch saftige grüne Weide. Er konnte den herrlich duftenden Eintopf aus Reis, Bohnen und Ziegenfleisch riechen, den seine Mutter für die große Familie zubereitete. Er sah Ceylan, die er bereits als junges Mädchen geliebt hatte, und erlebte noch einmal die prächtige Hochzeitsfeier, an der auch viele Bewohner der umliegenden Dörfer teilnahmen. Er sah Ceylans müde und strahlende Augen nach der Entbindung. Er hatte die Zwillinge auf dem Arm gehalten und geweint vor Glück. Zwei, drei zufriedene Jahre, dann kamen die Soldaten. Die junge Familie machte sich klein, wollte einfach nur zusammen sein. Viele Dörfer wurden beschossen, schließlich auch seines. Als die Soldaten abzogen, waren die meisten Ziegen tot, die Felder verwüstet, der Fluss verseucht. Das langsame Sterben begann ...

Das Paradies war kalt und weiß. Er und sein Cousin trugen viel zu dünne Kleidung. Sie wussten nicht wohin. Nirgends war eine Tür, wo sie hätten eintreten können. Eine Polizeipatrouille griff sie schließlich auf, da waren sie schon halb erfroren.

Er erwachte und ihm war wohlig warm. „Jetzt bin ich wohl im Paradies“, dachte er. Als er die Augen aufschlug, beugte sich eine weiße junge Frau über ihn. Er verstand nicht, was sie sagte, aber sie wirkte freundlich. Sie gaben ihm warme Kleidung, gute Schuhe und nahrhafte wohlschmeckende Kost. Bald begriff er, dass er in einem Zentrum für Flüchtlinge gelandet war. Hier traf er auf einige Landsleute und viele fremde Menschen, nur seinen Cousin konnte er nicht finden. Ein Landsmann, der schon einige Zeit hier wohnte, versprach, sich kundig zu machen. Gemeinsam klopften sie an eine Tür, im Raum saß eine freundlich aussehende Frau. Sein Landsmann sprach in einer fremden Sprache zu ihr. Sie wandte sich mit einem Ausdruck der Trauer erst an ihn, dann sagte sie etwas zu seinem Begleiter: „Ihr wart ganz kalt, als ihr gefunden wurdet. Dein Cousin starb im Krankenhaus.“

Er ist einsam und ohne Heimat. Manchmal geht er mit anderen Männern aus dem Asylzentrum hinaus. Die fremden weißen Menschen glotzen sie meist nur an. Er spürt ihre Missbilligung, ihre Angst. Er hat auch Angst. Er sieht Mütter und Väter mit ihren Kindern. Sie wirken glücklich, doch auch sie gehen ihm aus dem Weg. Es schneit, die weichen Flocken schweben sanft auf die weiße Decke am Boden und setzen sich auf die Dächer der hübschen Häuschen. Er spürt die Kälte kaum, als er seinen Spaziergang fortsetzt. Frieden erfüllt ihn. Langsam bewegt er sich auf dem weißen Pfad fort. Die Schneemauern rechts und links schützen ihn, geben ihm Geborgenheit. Ein junges Pärchen kommt ihm entgegen. Sie lächeln ihm zu, sagen „Hallo“. Er lächelt und nickt, empfindet ein seltenes Glücksgefühl über die Begegnung.