Bergfreundinnen - Antonia Schlosser - E-Book

Bergfreundinnen E-Book

Antonia Schlosser

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Beschreibung

Die Berge sind weiblich! Von den Macherinnen des beliebten br2-Podcasts Bergfreundinnen Die drei Freundinnen Kaddi, Toni und Katharina lieben die Welt der Berge. Ständig zieht es sie hinaus in die Natur und hinauf auf die Gipfel. Wenn sie nicht gerade draußen unterwegs sind, arbeiten sie an ihrem erfolgreichen Podcast – natürlich zu ihrem Lieblingsthema. Auch in ihrem ersten Buch präsentieren die Drei die Bergwelt aus einer weiblichen Sicht. Langweilig wird es dabei nie. Denn die Bergfreundinnen erzählen nicht nur vom höchsten Gipfelglück, sondern trauen sich auch, in die tiefen Täler des alpinen Lebens zu blicken - jede aus ihrem ganz eigenen Blickwinkel. Kaddi, die den Nervenkitzel liebt und am liebsten mit ihrem Mountainbike durchs Gebirge saust, Toni, die sich vor allem auf die Aussicht freut und für Gipfelbrotzeit brennt und Katharina, die gern ordentlich Höhenmeter sammelt und dem Reiz der hohen Berge verfallen ist. Die Bergfreundinnen nehmen ihre Leserinnen und Leser mit auf ihre Touren, treffen starke und inspirierende Bergfrauen, setzen sich mit all den spannenden Themen auseinander, die das Leben mit den Bergen bietet und haben dazu eine Menge Tipps auf Lager.

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KATHARINA KESTLER

BERG

ANTONIA SCHLOSSER

FREUND

KATHARINA HEUDORFER

INNEN

VOM GIPFELGLÜCK

UND ANDEREN ABENTEUERN

ullstein extra

Ullstein extra ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH

www.ullstein.de

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2023

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

Umschlagmotiv & Autorinnenfotos: Jens Scheibe

Satz: Denise Sterr

E-book: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

ISBN 978-3-84372-897-3

Für Anna, Katie und alle anderen mutigen, gefühlvollen, starken, inspirierenden und motivierenden Bergfreundinnen – und die, die es noch werden wollen!

INHALT

Cover

Titel

Impressum

PROLOG: WIR SIND DIE BERGFREUNDINNEN!

ANFANGEN – DAS ENTDECKEN DER BERGE

Tränen, Verzweiflung, Glücksgefühle – Toni lernt Mountainbiken

Jacqueline Fritz über das Neuanfangen mit einem Bein

Das kleine Abc fürs Anfangen

SELBSTEINSCHÄTZUNG – EIN ALPINES ESSENTIAL

Selbstüberschätzung – als Katja unverletzt Rettung brauchte

Kletterin Laura Tiefenthaler über Zweifel allein in der Wand

Selbsteinschätzung lernen: Tipps für einen bewussteren Blick auf dich selbst

ANGST – EINE HÄUFIGE BEGLEITERIN

Mit Herzklopfen am Abgrund – Katharina stellt sich ihrer Höhenangst

Extremsportlerin Géraldine Fasnacht über die Angst vor der Stadt und Selbstverantwortung beim Wingsuit-Fliegen und Freeriden

Angstfrei durch die Berge: So wird’s was

MUTTERSEIN – DIE BERGE MIT KINDERN

Vier Sternenkinder – wie Julia für ihren Traum von einer Bergfamilie kämpft

Deutschlands erste Bergführerin Gudrun Weikert über das Hadern mit der Mutterrolle

In die Berge mit (Klein-)Kindern: So klappt’s!

MENSTRUATION & ZYKLUS – EIN BERGLEBEN MIT DER PERIODE

Blut, Tampons und Bauchkrämpfe – Kaddis Rennradtour über die Großglockner-Hochalpenstraße

Profibergsteigerin Tamara Lunger über die Menstruation auf über 8000 Metern

Besser durch die Bergtage mit der Periode: So wirst du Zyklusprofi

IDENTITÄT & KLISCHEES – DIE BERGE SIND FÜR ALLE DA

»Die Berge sind mein Safe Space« – die Trans-Freeriderin Hannah Aram

Downhill-Profi Nina Hoffmann über das Frausein in einer Männerdomäne

Women only: Hier findest du deine Bergfrauen-Community

BERGTOD – DIE DUNKLE SEITE DER BERGE

Tod am Schreckhorn – wie Erika um ihre Bergfreundin Lena trauert

Skibergsteigerin Gela Allmann über das Leben nach dem (Fast-)Tod

Hilfe in der Hilflosigkeit: Wie wir Trauernde unterstützen können

UNSERE LIEBLINGSTOUREN – DIE TIPPS DER BERGFREUNDINNEN

Drei Gipfel an einem Tag – Tonis Lieblingstour im Allgäu

Challenge, Flow und Wahnsinnspanorama – Kaddis Lieblings-Trail in Tirol

Skihochtour mit einer Übernachtung auf über 3000 Metern – Katharinas liebste Tour in der Goldberggruppe

EPILOG: (FAST) ALLES ÜBER (FAST) ALLE BERGSPORT-ARTEN – EIN KLEINER LEITFADEN

PROLOGWIR SIND DIE BERGFREUNDINNEN!

Hallo, wir sind Toni und Kaddi! Vielleicht kennst du uns schon von unserem Podcast Bergfreundinnen, den wir für den Bayerischen Rundfunk machen. Wenn wir dort nicht als Journalistinnen arbeiten, widmen wir unsere Zeit den Bergen – und unserem Leben mit ihnen, mit all den großen Fragen, Gedanken und Gefühlen, die dazugehören. Falls du die Bergfreundinnen noch nicht kennst, wirst du uns und viele andere starke Bergfrauen und ihre Geschichten auf den nächsten Seiten kennenlernen. Wir freuen uns, wenn wir dich damit inspirieren und vielleicht auch motivieren können, selbst loszuziehen, Neues auszuprobieren und draußen in der Natur dein eigenes kleines oder auch großes Abenteuer zu erleben.

Eigentlich gehören zu den Bergfreundinnen noch zwei andere Bergfrauen: Anna, die zwei Jahre lang mit uns den Podcast moderierte und leider aus Zeitgründen nicht bei diesem Buch mitschreiben konnte. Und Cathi, ihre Nachfolgerin, die seit Januar 2023 dabei ist. Zum Glück haben wir mit Katharina, die auch schon im Bergfreundinnen-Podcast mitgewerkelt hat, eine tolle Unterstützung gefunden. Danke an dich, Anna, für deinen Segen! Und danke an dich, Katharina, für dein tatkräftiges, inspirierendes Dabeisein!

GRÜSS DICH, ICH BIN DIE TONI!

Eigentlich heiße ich ja Antonia. Aber seit ich denken kann, nennen mich alle Toni. Und seit ich denken kann, sind auch die Berge ein Teil meines Lebens. Ich bin Allgäuerin, aufgewachsen zwischen grün-grauen Gipfeln, blauen Bergseen und saftigen Kuhwiesen, auf denen im Frühjahr der gelbe Löwenzahn blüht. Wenn ich als Kind auf der Terrasse unseres Bauernhauses stand, strahlte mir das komplette Panorama der Allgäuer Alpen entgegen. Bei schönem Wetter konnte ich bis zu den 2000ern sehen: von der Mädelegabel über den Rappenseekopf bis zum Biberkopf. Dieser Anblick war für mich lange Zeit mein Zuhause. Das Problem an so einem Zuhause? Es wird zur Gewohnheit, und Gewohnheiten weiß man leider oft viel zu wenig zu schätzen. So lange, bis sie nicht mehr da sind. Deshalb musste ich erst für mein Studium nach Bamberg und dann für meinen Job als Journalistin nach München ziehen, um die Berge zunächst richtig zu vermissen und dann lieben zu lernen.

Meine Lieblingsdisziplinen sind momentan das klassische Wandern, das Skifahren und seit Neuestem alles, was man mit allen Arten von Rädern machen kann. Ich schreibe hier bewusst »momentan«, weil ich gerne neue Sachen ausprobiere und am liebsten in alle Bergsportarten reinschnuppern würde.

Mein Level ist Genuss in Kombination mit ein bisschen Schweiß. Meine größte Stärke ist meine Ausdauer, die ich auch gerne austeste. Am meisten liebe ich es aber, mit anderen Menschen unterwegs zu sein und eine feine Quality-Time zu haben – mit dem richtigen Maß an Anstrengung, einem tollen Ausblick und einer guten Gipfelbrotzeit samt (alkoholfreiem) Gipfelbier.

Meine größte Herausforderung ist mein Kopf. Ich bin Weltmeisterin im Dinge-Zerdenken. Und obwohl ich die letzten Jahre gefühlt ein wenig entspannter geworden bin, hindert mich dieses zweifelhafte Talent immer noch oft daran, meine Komfortzone zu verlassen.

Mein nächstes Ziel ist die Tour de lustige Berge. Ich möchte die Allgäuer Gipfel mit den skurrilsten Namen erklimmen. Da gibt es zum Beispiel die Kackenköpfe, den Bschießer oder das Hundsarschjoch. Warum die so heißen? Das finde ich hoffentlich unterwegs heraus.

Mein heimlicher Traum ist es, irgendwann wieder im Allgäu zu leben. Mit den Bergen vor der Nase, zwei Schweinen und ein paar Hühnern im Garten. Schauen wir mal! Von München ist es ja nicht mehr so weit.

HALLO, ICH BIN’S, DIE KADDI!

Eigentlich ist mein Name Katharina, der Vollständigkeit halber: Katharina Kestler. Aber in meiner fränkischen Heimat Bamberg war aus dialektalen Gründen KK (sprich: Kaykay) einfach keine Option. Auch wenn das in den 90ern ein ziemlich cooler Spitzname gewesen wäre. Aus dem th in Kathi wurde aus denselben Gründen schnell ein dd. Und jetzt bin ich eben immer noch die Kaddi, auch wenn ich Franken schon vor mehr als 20 Jahren den Rücken gekehrt habe, um in München den Bergen näher zu sein und dort als Journalistin über die schönsten Themen des Lebens (= Berge) zu berichten. Da es unter den Autorinnen dieses Buchs ja zwei Katharinas gibt und auch beim Bergfreundinnen-Podcast eine Cathi am Start ist, sorgen die dd vielleicht zumindest für ein bisschen mehr Übersichtlichkeit. Nein? Dann könnt ihr Kaddi in Verbindung mit der Person abspeichern, die gerne schnell mit Bike oder Ski bergab unterwegs ist. Woher meine Leidenschaft für die Berge kommt, obwohl man in Bayern kaum weiter weg vom echten Gebirge aufwachsen kann als in Oberfranken? Frühkindliche Prägung! Mit drei haben mich meine Eltern auf Ski gestellt. Ich aber fand es viel witziger, die Schneehügel auf dem Hintern runterzurutschen. Mit fünf durfte ich mir im allsommerlichen Wanderurlaub den höchsten Berg Österreichs, den Großglockner, von der Stüdlhütte gegenüber ansehen. Und an den Wochenenden musste ich JEDEN Sonntag mit meinen Eltern eine Radtour durch Franken fahren – natürlich nicht mit dem Mountainbike, sondern mit einem türkisblauen Kettler Alurad mit tiefem Einstieg. Wie gern ich früher mal ans Meer gereist wär! Heute sind die Berge mein heiß und innig geliebter Abenteuerspielplatz.

Meine Lieblingsdisziplinen sind Skifahren und Fahrradfahren. Und zwar in allen Varianten. Mit den Ski: Freeriden, Tourengehen, Pisteln und ab und an sogar Langlaufen. Mit dem Bike: allem voran Mountainbiken, außerdem Graveln und Rennradfahren – und ja, ein E-Bike hab ich auch!

Mein Level ist Leiden. Ich bin zäh und halte sehr, sehr lange durch. Mein Ehrgeiz bringt mich durch technisch anspruchsvolle Trails und Abfahrten. Dafür bin ich bergauf wirklich nicht die Schnellste. Aber kaum zeigen meine Skispitzen wieder Richtung Tal, kaum rollt das Bike von allein, mach ich das mit doppeltem Speed wieder wett.

Meine größte Herausforderung ist es, mich nicht zu überfordern, mir nicht zu viel zuzumuten und mein (Berg-)Leben nicht zu voll zu packen. Es macht aber auch alles so verdammt viel Spaß …

Mein nächstes Ziel ist es, endlich den inneren Frieden zu finden, von dem alle reden. Weiß jemand, wo’s da langgeht? Wie weit ist es noch? Bin ich bald da?

Mein heimlicher Traum ist es, in einem Blockhaus in Kanada an einem See weit weg von der Zivilisation zu leben und jeden Tag im Flanellhemd mit Trucker-Cap auf dem Kopf mein Feuerholz souverän selbst zu hacken, nachdem ich meinen eigenhändig gebauten Privat-Trail gefahren bin.

SERVUS, ICH BIN DIE KATHARINA!

Wenn ich ehrlich bin, war meine Liebe zu den Bergen keine Liebe auf den ersten Blick. Ich bin zwar in der Nähe von Ulm aufgewachsen, also gar nicht so weit vom Allgäu entfernt, aber meine Eltern waren begeisterte Skifahrer und keine Wanderer. Die Bergtouren meiner Kindheit kann ich an einer Hand abzählen. Erst gegen Ende der Schulzeit bin ich durch eine Freundin plötzlich mehr in die Berge gekommen. Mit ihr war ich im Sommer nach dem Abitur für zwei Wochen in Südtirol – wo wir so viele Klettersteige wie möglich machen wollten. Mir hat das damals eine völlig neue Welt eröffnet. Tagsüber unternahmen wir lange Touren durch die beeindruckenden Felslandschaften der Dolomiten. Und nachts pennten wir völlig geschafft auf den Vordersitzen im Auto oder draußen auf der Isomatte unterm Sternenhimmel. Am nächsten Morgen ging es direkt weiter zum Ausgangspunkt der nächsten Tour, während im Kassettendeck unseres Autos die feinsten Mixtapes liefen.

Heute könnte ich mir ein Leben ohne die Berge nicht mehr vorstellen. Egal, wie mies ich geschlafen habe, wie früh ich aus den Federn muss – wenn ich auf einer Skitour die ersten Spuren im weißen, unberührten Schnee ziehen darf und dann (vielleicht sogar bei Sonnenschein) im fluffigsten Pulver die Hänge runtersurfen kann – da fühle ich pures Glück.

Nirgends komme ich besser runter, kann ich mich besser erden als in den Bergen. Und ich kann es kaum erwarten, meinem kleinen Sohn diese Welt zu zeigen.

Meine Lieblingsdisziplinen sind definitiv Ski(hoch)touren, weil: siehe oben. Außerdem Bergsteigen – und zwar möglichst lange Bergtouren mit vielen Höhenmetern.

Mein Level schwankt massiv. Vor der Schwangerschaft war ich total fit. Für eine Tour mit nur 600 Höhenmetern wäre ich erst gar nicht aufgestanden. Nur bis zur Hütte wandern? Haha, no way! Doch gerade ist das meine Bergrealität.

Meine größte Herausforderung ist es, im Moment überhaupt in die Berge zu kommen. Zwischen Umzug, meiner Arbeit als Journalistin und Kita-Eingewöhnung bin ich manchmal einfach zu müde, um an einem freien Tag in die Berge zu fahren.

Mein nächstes Ziel ist eine Hüttenübernachtung mit meinem Freund und unserem gut eineinhalb Jahre alten Sohn. Ich liebe es, nach einem Bergtag oben zu bleiben und nach der vielen frischen Luft abends selig ins Hüttenbett zu fallen. Jetzt möchte ich das mit meinem Sohn erleben.

Mein heimlicher Traum ist, eines Tages auf einem richtig hohen Berg zu stehen. Einem 6000er vielleicht, und dann irgendwann auf einem 7000er. Am liebsten in den Anden. Oder im Himalaja. Oder in Kirgistan.

ANFANGEN DAS ENTDECKEN DER BERGE

Die Berge sind facettenreich! Das ist auch einer der Gründe, warum wir Bergfreundinnen sie so lieben. Denn egal, wo wir unterwegs sind – ob in Deutschland, Österreich oder in der Schweiz, ob in anderen Ländern Europas oder Asiens –, überall gibt es Berge. Und Menschen, mit denen wir durch unsere Bergliebe verbunden sind. Wir können in den Bergen wandern, auf sie draufklettern, über sie mit dem Gleitschirm fliegen und auf unserem Weg junge, alte, zweiradverliebte oder laufverrückte Menschen treffen. Wir alle können dort das Hobby finden, das Freude macht und uns eine kleine Auszeit vom Alltag bietet. Die Vielfalt ist riesig und macht immer wieder Lust auf Neues. Oder träumst du nicht davon, mal wieder eine neue Bergsportart auszuprobieren? Vielleicht startest du gerade auch komplett neu in die Berge.

Deshalb möchten wir unser erstes Kapitel in diesem Buch auch dem Anfangen widmen und dir damit dein ganz persönliches Entdecken der Berge leichter machen. Kaddi schildert die inspirierende Geschichte von der Kletterin Jacqueline Fritz, die über ihren Neuanfang in den Bergen nach der Amputation ihres rechten Beines berichtet. Und mit dem kleinen Abc des Anfangens erklärt dir Katharina die wichtigsten Berg-Basics kurz und knapp. Aber zuerst nimmt dich Bergfreundin Toni mit in ein für sie unbekanntes Terrain: Mountainbike-Trails. Die Lust des Neuanfangens hat sie gepackt – mit dem ambitionierten Ziel, in nur zwei Wochen ein neues Berghobby für sich zu entdecken. Und sie hätte nie im Leben damit gerechnet, dass ein Neubeginn so schrecklich anstrengend und schrecklich schön zugleich sein kann.

 

Tränen, Verzweiflung, Glücksgefühle – Toni lernt Mountainbiken

von Antonia Schlosser

Das erste Mal im Sattel Richtung Gipfel strampeln. Das erste Mal mit pochendem Herzen und freudiger Aufregung in einen richtigen Natur-Trail fahren. Das erste Mal jede Wurzel und jeden Stein durch die Reifen im eigenen Körper und den Fahrtwind im Gesicht spüren. Davon träume ich schon lange. Ich, Toni, will Mountainbiken lernen. Was für eine absurde Gefühlsachterbahn voller Tränen, Ängste und Glücksmomente mein Plan für mich wird, ahne ich noch nicht, als ich auf meinem kleinen grauen Ecksofa sitze und ungeduldig auf die Uhr schiele. »Sonst war er doch jetzt auch schon da!«, murmele ich genervt. Er, das ist der Mann, der mich das erste Stückchen näher an meinen Neuanfang bringt: der DHL-Bote, der mir hoffentlich bald mein Leihmountainbike liefert.

Ich fahre gerne Rad. Richtig bewusst wurde mir das aber erst im Studium, als ich durch meinen Umzug nach Bamberg nicht mehr das Auto der Eltern nutzen konnte. Ich komme aus einer kleineren Stadt im Allgäu. Alle meine Freundinnen und Freunde dort lebten auf dem Land. Die Öffi-Anbindung ist eine Katastrophe. Für mich war es deshalb von meiner Volljährigkeit an normal, ins Auto zu springen und loszufahren. Das hat sich geändert: Denn in meinem jetzigen Zuhause, München, ist das Rad oft die schnellste und flexibelste Möglichkeit, um von A nach B zu kommen. In meiner Hochphase bin ich täglich bis zu dreißig Kilometer mit meinem achtgängigen Stadtrad durch die bayerische Landeshauptstadt geradelt. Ich bin fit. Und ich glaub, ich mag Neuanfänge.

Aber warum eigentlich? Genau diese Frage stellt mir meine gute Freundin Anna in einem Gespräch wenige Tage vor meinem Selbstversuch. Und ich stocke. So richtig kann ich ihr das nicht beantworten. »Es ist mehr so ein Gefühl«, überlege ich laut. »Ich will mal wieder raus aus meiner Komfortzone. Mich ein bisschen selbst testen, ob ich so eine komplett neue Sportart noch lernen kann.« Anna nickt und bringt mein Gefühl dann auf den Punkt: »Ich glaub, du weißt einfach, dass du auf jeden Fall was lernen wirst. Wenn man von null startet, dann geht’s halt nicht zurück, sondern immer nach vorne. Neuanfänge sind immer ein Plus – ein Gewinn in jeder Hinsicht.« Wenn Anna so darüber spricht, bekomme ich direkt Bock, loszulegen.

Bei Neuanfängen geht man aber auch ein Risiko ein.

Ich habe schon Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte, keine neue Sportart mehr angefangen. Ich gehe wandern, joggen, habe einen Hund, mit dem ich jeden Tag mehrere Kilometer laufe – all das sind Dinge, die mich mental und technisch nicht wirklich fordern. Ehrlicherweise habe ich überhaupt keine Ahnung, wie ich mich anstelle, wenn ich nicht nur mein Lungenvolumen, sondern auch meinen Kopf und meine Nervenstärke brauche. Zu meiner Vorfreude gesellt sich plötzlich ein unangenehmes Gefühl: die ersten Zweifel. Und als ich mich von Anna verabschiede, kreisen meine Gedanken nur noch um die Frage: Hab ich mir vielleicht zu viel vorgenommen?

Mein Plan ist es, schon in zwei Wochen meinen ersten richtigen Natur-Trail zu fahren. Ein Ziel, das ich mir ganz bewusst gesetzt und überall herumerzählt habe. Weil ich mich kenne und weiß, dass ich mich gerne mal in faulen Ausreden verliere. Und weil ich nicht möchte, dass das alles ein riesiger peinlicher Reinfall wird, brauch ich einen Joker: meine Bergfreundin Kaddi, die selbst seit vielen Jahren Mountainbike fährt. Sie kennt mich gut. Und mit ihr an meiner Seite fühle ich mich sicher.

Neuanfänge sind leichter, wenn jemand dabei ist, dem man vertraut.

Von ihr bekomme ich direkt einen wichtigen Tipp: »Mach auf jeden Fall ein Fahrtechniktraining! Und am besten bleibst du gleich ein ganzes Wochenende in einem Bikepark, damit du ein bisschen fährst und dich ausprobieren kannst.« Gesagt, getan. Ich habe mir ein Wochenende Fahrtraining im Bikepark Geisskopf im Bayerischen Wald gebucht, bei dem ich die Basics lernen möchte. Kaddi wird mitkommen. Meine Mountainbike-Lehrerin ist aber die Fahrtechniktrainerin und Sportwissenschaftlerin Claudia Wolf. Sie hat zusammen mit ihrem Partner Roman »Bucketride« gegründet, ein Mountainbike-Reiseunternehmen, das auch mehrtägige Bike-Camps mit Fahrtechniktraining anbietet – für Fortgeschrittene, aber auch absolute Newbies wie mich.

Neuanfänge sind einfacher, wenn ein Profi dabei ist, der dir von Anfang an zeigt, wie es richtig geht.

Ich glaube, das kann man pauschal sagen – egal, ob beim Klettern, Langlaufen oder eben Mountainbiken.

Ich fühle mich bereit. Der DHL-Mann hat bei mir, nachdem ich zwei Tage ungeduldig auf ihn gewartet habe, endlich geklingelt. Ich habe mein Bike, eine Fahrtrainerin – und Kaddi als meinen mentalen Support. Von ihr habe ich mir auch Ellbogen-sowie Knieschoner geliehen, und als Helm tut es erst einmal der, den ich eh fürs Radeln in der Stadt nehme. Auch die Zweifel in meinem Kopf sind durch meine Vorbereitungen leiser geworden. Eigentlich kann jetzt nichts mehr schiefgehen. Denke ich.

Nur ein paar Tage bevor ich mit Kaddi zum Bike-Camp aufbrechen möchte, bekomme ich von ihr eine Sprachnachricht, die meinen ganzen Plan durcheinanderbringt: »Hey, Toni, mir ist heute was ziemlich Dummes passiert. Ich bin beim Mountainbiken richtig blöd gestürzt. Eigentlich will ich dir das auch gar nicht erzählen, weil ich nicht möchte, dass du Angst bekommst.« Ich registriere den Ernst in ihrer Stimme, der mir sofort klarmacht, dass sie sich beim Sturz nicht nur ein Knie aufgeschürft hat. Ich kenne Kaddi, und das hört sich nach etwas Schlimmerem an. Und sie kennt mich, denn ich bekomme natürlich direkt Angst.

Am nächsten Tag treffen wir uns. Ihr rechtes Auge ist dick geschwollen und lila-blau umrandet. Es sieht aus, als hätte sich in ihrem Gesicht eine kleine Galaxie gebildet, in der ihre braune Iris als einziger Planet kreist. Ich konzentriere mich auf meine Mimik, damit mir bei unserer Begrüßung nicht vor Entsetzen mein komplettes Gesicht entgleist. Nach einer vorsichtigen Umarmung frage ich sie, was passiert ist. Kaddi ist auf einem Trail über den Lenker von ihrem Mountainbike gestürzt, auf dem Gesicht aufgekommen und hat sich dabei einen Teil vom Oberkiefer und die Augenhöhle gebrochen. Sie grinst, als sie mir vom genauen Unfallhergang erzählt. Mir dagegen ist nicht zum Lächeln zumute. Wie konnte ich bis jetzt ausblenden, dass Mountainbiken eine Risikosportart ist? Eigentlich ist mir schon klar, was Kaddis Unfall jetzt für unser gemeinsames Wochenende im Bikepark bedeutet. Trotzdem frage ich mit heimlicher Hoffnung noch mal nach. Und fühle mich direkt unsensibel und doof. »Ich darf laut Arzt gerade eigentlich nur nicht schnäuzen, ansonsten alles«, antwortet sie mir. »Aber ich will jetzt trotzdem erst mal nicht mountainbiken, weil ein weiterer Sturz in diesem Zustand echt blöd wäre. Wie es in zwei Wochen aussieht, wenn wir den Trail fahren wollen, kann ich dir noch nicht sagen. Aber zum Fahrtraining würde ich nicht mitkommen. Außer, dir ist es total wichtig?« Ich schüttele den Kopf. »Nein, nein, alles gut. Ich schaff das schon alleine.« Wir beide wissen, dass ich lüge.

Denn natürlich wäre es mir lieber, wenn Kaddi dabei wäre – auch wenn ich zu hundert Prozent verstehe, warum das in ihrem Zustand absoluter Quatsch ist. Ich hätte mit ihr einen Buddy gehabt, der mir inmitten dieser fremden Mountainbike-Welt Sicherheit gegeben hätte. Denn ich bin die einzige blutige Anfängerin unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Bike-Camps. Und obwohl es zu meinem Job als Journalistin gehört, immer wieder auf neue Menschen zuzugehen, ist das auch für mich eine Herausforderung. Was, wenn ich völlig untalentiert bin? Und damit die ganze Gruppe aufhalte? Oder auch so schlimm wie Kaddi stürze? Die Zweifel in meinem Kopf werden wieder lauter.

Neuanfänge finden außerhalb der Komfortzone statt.

Das beklemmende Gefühl, dass mein Neuanfang auch richtig unangenehm und gefährlich werden kann, werde ich gerade nicht mehr los. Und es wird mich im Bikepark Geisskopf noch mal eiskalt erwischen.

Dort treffe ich meine Mountainbike-Lehrerin Claudia an einem frühen Freitagnachmittag. Es ist ein sehr schöner Herbsttag im Bayerischen Wald. Die Sonne scheint, und auf dem Kies liegen überall gelbe, rote und braune Blätter. Auf der obersten Parkplatzebene ist ein kleiner Bereich für unsere Gruppe reserviert, damit wir dort unsere Campingbusse zusammenstellen können. Schon jetzt ist es dort gut gefüllt. Sieht so aus, als wären wir nicht die Einzigen, die das sonnige Herbstwochenende noch mal komplett auskosten wollen. Claudia trägt schon eine Mountainbikehose und hat ihre langen braunen Haare zu einem dicken Zopf geflochten. Sie ist zierlich und einen guten Kopf kleiner als ich. Herzlich begrüßt sie mich, lacht viel, und ich fühle mich in ihrer Anwesenheit sofort wohl. »Zieh dich gerne direkt um, Toni. Dann gehen wir zu einem ruhigeren Bereich auf dem Parkplatz und machen die ersten Grund- und Bremsübungen.«

Ich durfte extra ein paar Stunden früher als die anderen Teilnehmenden kommen, damit mir Claudia noch die wichtigsten Basics beibringen kann und ich zumindest ein bisschen mit der Gruppe mitfahren kann. Ich beeile mich mit dem Umziehen, um möglichst viel dieser wertvollen Bonuszeit nutzen zu können. Nur wenige Minuten nach meiner Ankunft bin ich bereit – in meiner kurzen blauen Bikehose, den geliehenen Knieschonern und meinem hellgrauen Radhelm auf dem Kopf. Claudia und ich steigen auf unsere Mountainbikes und rollen langsam in Richtung Übungsplatz. Die leichte Fahrt bergab fühlt sich gut an, viel sanfter als auf meinem Stadtrad. Die breiten Reifen und die weiche Federung verzeihen dem Boden gütig jede Unebenheit. »Sei bitte immer ehrlich, wenn dir gleich etwas zu schnell geht oder du vor irgendeiner Übung Angst hast«, sagt Claudia neben mir. »Wir finden immer eine Alternative. Es geht bei unseren Übungen nicht darum, dass du in irgendwas sofort richtig gut bist. Du sollst erst mal ein Gefühl für das Rad bekommen. Wir wollen dich in einer sauberen Position auf die Pedale stellen, damit du möglichst sicher bergab fahren kannst.« Ehrgeiz und neuer Mut kitzeln mich bei Claudias Worten. Bergab fahren möchte ich an diesem Wochenende unbedingt. Und das natürlich am besten sicher.

Am Übungsplatz angekommen, geht es für mich direkt los mit Lektion eins: »Die Grundposition ist beim Mountainbiken die zentrale Position auf dem Rad. Sie ist die Basis, damit du später auch alle möglichen Manöver, wie zum Beispiel Kurven oder über Wurzeln, fahren kannst«, erklärt mir Claudia. Dann fährt sie mir die Haltung vor, und ich fahre ihr über den ebenen Platz hinterher. Der Hydrauliksattel meines Mountainbikes ist dabei runtergefahren. Ich stehe mittig auf meinen waagerechten und parallel gestellten Pedalen. Ich versuche, meine Arme und Beine ganz locker durchzustrecken und den Lenker dabei nicht mit meinem Körpergewicht zu belasten. Mein Kopf schaut nach vorne, während meine Hüfte leicht nach hinten wandern muss, damit mein Rücken schön gerade bleibt. »Das muss ein bisschen so aussehen, als würdest du einen leichten Entenarsch machen!«, ruft Claudia über den Platz. Wir lachen, und ich merke, wie meine Aufregung langsam verschwindet und ich entspannter werde.

Ich finde Claudia sympathisch, und den »Entenarsch« hab ich schon nach ein paar Runden drauf. Wir können direkt zur zweiten Lektion übergehen: dem Trail-Modus. Das ist die Position, die ich auf meinem Mountainbike einnehmen muss, wenn ich bergab über Stock, Stein, Wurzeln und Stufen fahre. Claudia lässt mich absteigen. »Stell dir vor, es wird steiler und der Untergrund unter deinen Reifen ändert sich. Du bekommst vielleicht sogar ein bisschen Angst. In so einer Situation musst du deinen Körperschwerpunkt absenken. Denn dadurch bist du näher am Boden und hast bessere Kontrolle und mehr Körperspannung. Und wenn du dabei noch deine Ellbogen beugst, dann hast du den ganzen Weg in deinen Armen, um jedes Hindernis auszugleichen.« Während sie mir das erklärt, macht sie stehend neben ihrem Mountainbike die Körperbewegungen vor. Sie hat den Lenker in ihren Händen und winkelt ihre Arme immer wieder an, bevor sie sie erneut streckt. »Klingt logisch«, antworte ich und frage mich leise, ob ich mich seit meinem Sport-Abitur jemals wieder so theoretisch mit einer Sportart auseinandergesetzt habe.

Es geht wieder zurück aufs Rad. Claudia fährt vor, und ich folge ihr. Ich bemühe mich, ihre Körperhaltung nachzuahmen, und achte darauf, meinen Körperschwerpunkt zu senken. Sie ruft zu mir nach hinten: »Schwere Beine, lockere Hände!« Haltung, Pedalstellung, Beinstreckung, Po – ich komme fast nicht mehr mit. Es fällt mir schwer, Claudias Anweisungen umzusetzen und gleichzeitig die Balance zu halten. Mein Kopf musste beim Sport schon lange nicht mehr so mitarbeiten, und ich stelle bereits an diesem Punkt meines sehr frischen Mountainbikerinnenlebens fest:

Neuanfänge können ganz schön fordernd sein.

Vor allem, wenn man sie direkt mit den richtigen Bewegungsabläufen angehen möchte und nicht einfach drauflosmacht. Ich bin frustriert. Irgendwie hatte ich gedacht, dass mein Neuanfang einfacher und vor allem schneller geht. Dass ich eigentlich schon heute erste Abschnitte eines richtigen Bikepark-Trails fahren kann.

Geduld war noch nie meine Stärke, aber genau die brauche ich jetzt. »Was kann ich denn eigentlich für Fortschritte machen?«, frage ich Claudia, als ich nach der fünften Runde Trail-Modus auf sie zupedaliere. »Ich lerne jetzt ja nur die Grundhaltungen, die ich nach zwei Stunden so semigut draufhabe. Und ehrlicherweise habe ich gerade das Gefühl, dass ich mit diesem Lerntempo das ganze Wochenende nur auf dem Parkplatz fahren kann.« Claudia lacht und sagt dann die Worte, auf die ich still und heimlich gehofft habe: »Also, wir werden heute auf jeden Fall noch den Flowtrail fahren.«

Es ist später Nachmittag, kurz nach 17 Uhr. In einer Stunde kommen die anderen Campteilnehmer an. Claudia, ihr Partner Roman und ich sind, bevor der Lift des Bikeparks schließt, noch einmal hochgefahren. Außer uns ist niemand mehr im Gelände unterwegs. Und da stehen wir nun am Start des Flowtrails. Darauf gibt es keinerlei Hindernisse, keine Unebenheiten, und der Untergrund besteht aus einfachem Sand, auf dem die Reifen nicht wegrutschen können. Eigentlich muss man das Mountainbike nur laufen lassen, in den richtigen Momenten bremsen und die Balance in den Kurven halten. »Es gibt leichte Bodenwellen. Wenn du da in den Trail-Modus gehst, schön locker in den Armen und schwer in deinen Beinen bleibst, rollen wir total leicht darüber«, erklärt mir Claudia. »Versuch, die Wellen in deinen Körper aufzunehmen. Du musst keine Angst haben. Ich fahre hinter dir und gebe dir immer wieder Feedback.« Ich habe keine Angst. Ich bin wach, voll da, aufgeregt und hab richtig Bock auf mein erstes Mal Flowtrail.

Wir starten und fahren im Dreiergespann durch die breiten Kurven der Sandpiste nach unten. Roman fährt vor, ich bin in der Mitte und Claudia hinten. Es ist zwar nicht steil, aber für mich ein neues Gefühl. Ich verkrampfe und kralle mich am Lenker fest, obwohl wir im absoluten Schneckentempo fahren. Claudias Anweisungen, die sie mir zuruft, lösen meine Anspannung ein wenig. Ich denke fest an: »Schwere Beine, lockere Hände!« Mit jeder Kurve werde ich entspannter, versuche die Bodenwellen in mich und mein Mountainbike aufzunehmen – genauso, wie es mir Claudia gesagt hat. Und schneller als gedacht kommen wir nach zweieinhalb Kilometern am Ende des Flowtrails an. »Geschafft!«, schreit Claudia von hinten. Ich grinse über beide Ohren. Meine Glieder tun etwas weh, als ich aus den Pedalen auf den Boden steige. Ich bin megastolz auf mich, dass ich heil unten angekommen bin, auch wenn der Flowtrail nur der Anfänger-Trail ist. Auf dem Weg zurück zu unseren Campern geht mir wieder das Gespräch mit Anna durch den Kopf.

Neuanfänge sind ein Gewinn. Und ich habe heute auf jeden Fall gewonnen.

Der nächste Morgen bricht an. Die Nacht war gut, ich bin in meinem Van-Bett erschöpft von den ganzen Eindrücken direkt eingeschlafen. Vor dem Zubettgehen sind nach und nach alle anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Bike-Camps an unserem kleinen Parkplatzlager angekommen. Entgegen meinen Erwartungen sind wir eine total durchmischte Gruppe. Zum Beispiel zwei Frauen in meinem Alter, die selbst noch nicht so viel gefahren sind und über das Wochenende an ihrer Technik feilen wollen. Oder zwei Männer aus Mitteldeutschland, die schon länger auf dem Mountainbike unterwegs sind und sich vor allem auf die schwierigen Trails freuen, die der Bikepark im Angebot hat. Ganz unabhängig von ihrem Level haben mich alle herzlich in ihre Runde aufgenommen und sich mit mir gefreut, dass ich ab jetzt auch eine von ihnen sein möchte. Ich fühle mich ein bisschen weniger allein. Denn jeder hat mal mit dem Mountainbiken neu angefangen.

Wir starten nach einem gemeinsamen Frühstück direkt in den Bikepark. Es ist der letzte Samstag des Jahres, bevor der Park zur Winterpause schließt. Und es ist die Hölle los. Das komplette Gegenteil zum Vorabend, an dem wir den Flowtrail ganz für uns hatten. Das Gewusel um mich herum schüchtert mich ein und setzt mich bereits an der Liftstation unter Druck. Es fühlt sich nicht gut an, zu wissen, dass ich heute ein paar Hundert Beobachter mehr haben werde.

Neuanfänge können unangenehm sein.

Ich denke an mein Schneckentempo. Das wird andere Menschen aufhalten, die heute eigentlich einen der letzten Tage der Saison genießen wollen. Claudia bemerkt meine Unruhe und bestärkt mich: »Lass dich auf keinen Fall stressen! Konzentrier dich auf dem Trail nur auf dich.« Doch natürlich schaffe ich das nicht.

Unsere erste Abfahrt ist wieder der Flowtrail, damit sich alle ein bisschen aufwärmen können. Ich versuche mich zu konzentrieren, doch bereits wenige Meter nach der Einfahrt in den Trail höre ich Mountainbiker von hinten auf mich zuschießen. Da der Trail so leicht zu fahren ist, ist er auch bei fortgeschrittenen Fahrerinnen und Fahrern beliebt, um möglichst schnell durchzusausen. Heute leider nur bis zu mir. Ich höre dicht hinter mir immer wieder scharfes Abbremsen. Vielleicht kennt ihr das Gefühl, wenn ihr in einer kleinen Straße einen Parkplatz sucht und hinter euch jemand drängelt. Ihr werdet nervös, fühlt euch unter Druck gesetzt, brecht die Parkplatzsuche vielleicht sogar ab. Dieses Gefühl mal 100 durchströmt gerade meinen ganzen Körper. Und meine Sorge, dass das heute kein guter Tag für mich im Bikepark wird.

Und sie trügt mich nicht. Denn kurz vor Mittag passiert es: Wir fahren zum zweiten Mal als Gruppe den Flowtrail. Ich bin ganz hinten, konzentriere mich darauf, meiner Vorderfrau hinterherzukommen. Schwere Beine, lockere Hände. Auf einmal stehen Menschen am Rand der Sandpiste, winken und rufen uns zu, dass wir langsam fahren sollen. Wir bremsen ab, rollen um die nächste Kurve. Und dann sehe ich sie: Eine Frau mittleren Alters liegt neben dem Trail zwischen zwei Bäumen, neben ihr steht eine jüngere Frau, vermutlich ihre Tochter. Ich kann Blut an ihrem Kopf erkennen. Ich wende sofort erschrocken meinen Blick wieder ab, um nicht selber aus dem Trail zu fliegen. Roman bleibt stehen, steigt von seinem Mountainbike und läuft mit anderen zu der Gestürzten. Die Ersthelfer alarmieren die Bergrettung und kümmern sich um die Frau. Der Rest der Gruppe, zu dem auch ich gehöre, fährt weiter, damit wir den Trail nicht verstopfen. Mit zittrigen Knien steige ich auf mein Mountainbike und merke beim Losrollen, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildet. Während wir die Unfallstelle hinter uns lassen, höre ich die Tochter der Gestürzten laut »Mama, Mama!« rufen. Ich fange an zu heulen.

Bei Neuanfängen kann man tief fallen.

Und ich bin gerade ganz unten angekommen. Die vielen Menschen, der Druck, den ich mir selbst mache, und der reminder, dass beim Mountainbiken echt was passieren kann. Mir ist das alles zu viel.

Beim Mittagessen im Bikepark erzählt Roman, was passiert ist. Die Frau ist vom Trail abgekommen und gestürzt. Sie hat eine kleine Platzwunde, die stark geblutet hat, aber nicht weiter gefährlich ist. Allerdings kann sie kein Blut sehen und ist deshalb immer wieder bewusstlos geworden. Ihre Tochter hat durch ihre Rufe versucht, sie bei Bewusstsein zu halten. Die ganze Szene wirkte dramatischer, als sie tatsächlich war. Ich sitze auf meinem Stuhl und stochere schweigend in einer Portion Pommes herum, lausche den Gesprächen der anderen und schäme mich fast für meinen Gefühlsausbruch.

Ich weiß selbst nicht genau, warum das alles meine Tränen zum Laufen gebracht hat. Normalerweise gelte ich in meinem Freundeskreis als tough. Und wenn ich beim Skifahren bin, sehe ich in den großen Gebieten auch mehrmals am Tag den Heli fliegen und fange deswegen nicht gleich an zu weinen. Habe ich mir vielleicht doch zu schnell zu viel zugemutet? Kann ich mit diesem Risiko wirklich umgehen? Und wie soll ich in diesem Zustand bitte in ein paar Tagen bereit sein, einen richtigen Trail mit Steinen und Wurzeln runterzufahren? Gerade bin ich so verkrampft, dass ich am liebsten Kaddi anrufen und den ganzen Plan abblasen würde.

Es ist fast schon paradox – denn aus meinem Loch holt mich tatsächlich das heraus, was mir vor ein paar Tagen noch Sorgen gemacht hat: die anderen Bike-Camp-Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Alle, inklusive Claudia und Roman, zeigen Verständnis für meinen Durchhänger und motivieren mich, am späten Nachmittag, kurz nach Schließen des Parks, noch einmal mit ein paar von ihnen über den Forstweg hochzutreten. Wir powern unsere Oberschenkel auf dem breiten Kiesweg noch einmal richtig aus. Neben unserem angestrengten Schnaufen unterhalten wir uns. Die anderen erzählen mir von ihren Neuanfängen auf dem Mountainbike. Ich fühle mich wohl, irgendwie dazugehörig, und merke, wie ich mich mit jedem Tritt in die Pedale mehr und mehr entspanne und mein Ehrgeiz zurückkommt. Und mit genau diesem Gefühl startet unsere kleine Gruppe dann in den menschenleeren Flowtrail. Ich sause auf zwei Rädern durch die sandigen Kurven und fühl mich wie in der Achterbahn. Der Fahrtwind treibt mir die Tränen in die Augen, weil ich meine Sonnenbrille im Van vergessen habe. Aber das ist mir egal. Ich lege mich in die Kurven, nehme die Bodenwellen in mich auf. Schwere Beine, leichte Hände. Mir entweicht ein glückliches »Hui!«, gefolgt von einem leichten Kribbeln im Bauch. Dieser Moment ist für mich DER Beweis:

Bei Neuanfängen darf man nicht sofort aufgeben!

Denn nach einem Tief kommt auch wieder ein Hoch. Ich fühl mich großartig, auf meinen Pedalen sicher und bin bereit für meine Tour mit Kaddi.

*

Zwei Wochen sind seit meinem Wochenende im Bikepark vergangen. Kaddi und ich stehen an einem Wanderparkplatz an der Kampenwand. Über die Webcam haben wir gesehen, dass oben bereits der erste Schnee gefallen ist. Ich mache mir Sorgen, dass das ein Problem werden könnte. Aber Kaddi ist zuversichtlich, dass der Trail unterhalb der Schneegrenze liegt. Wir wollen heute den Reitweg fahren, einen Natur-Trail, den man offiziell befahren darf. Und den Kaddi ohne Probleme draufhat. Nach ihrem Unfall fühlt sie sich wieder fit, möchte aber trotzdem lieber auf Nummer sicher gehen und nichts riskieren. Und mir ist das ehrlicherweise ganz recht. Denn bevor wir den Trail über Wurzeln, Steine und Geröll hinunterfahren können, müssen wir erst noch 800 Höhenmeter auf einem sehr steilen Forstweg hochtreten.

Der Himmel ist bewölkt, aber das Wetter stabil. Was allerdings nach wenigen Hundert Metern nicht mehr stabil ist, ist mein Atem. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, und ich kann fast nicht glauben, wie anstrengend das Hochtreten ist. Mein Mountainbike fühlt sich auf einmal hundert Kilo schwerer an. Ich japse in Richtung Kaddi: »Jetzt hab ich noch mal größeren Respekt vor allen, die sich das hier ohne E-Antrieb geben.« Und bereue sofort diese Verschwendung meiner knappen Luft. Höhenmeter für Höhenmeter quäle ich mich hinter Kaddi die steile Teerstraße weiter hoch. Das kann doch echt nicht wahr sein, fluche ich in Gedanken. Ich dachte immer, dass ich ʼne super Kondition habe! Aber gerade würde ich am liebsten meine Lungen auskotzen, mich an den Wegrand legen und schlafen, während sich meine Begleitung mit eisernen und konsequenten Tritten weiter nach oben kämpft. Dass ich so schlappmache, hätte ich wirklich nicht gedacht.

Aber Neuanfänge sind wohl auch überraschend.

Doch meine Mühen sind Gott sei Dank nicht umsonst. Wir fahren aus einem kleinen Waldstück in eine Kurve. Ich hebe meinen Blick und sehe sie endlich: die schneebedeckte Kampenwand! Vor lauter Glück stoße ich einen kleinen, kurzen Jubelschrei aus. Kaddi lacht und ruft nach hinten: »Jetzt ist die Toni glücklich und hat ein sehr rotes Gesicht.« Nur hundert Meter zuvor hatte ich schon mit dem Gedanken gespielt, abzubrechen und durch den Wald zurückzufahren. Aber jetzt bin ich endlich da, wo ich mit meinem Neuanfang hinwollte: in den Bergen mit meinem Mountainbike. Der Blick auf den frisch beschneiten Gipfel belebt mich. Ich will noch weiter hoch. Und deshalb treten wir weiter, Höhenmeter für Höhenmeter, immer weiter Richtung Schneefallgrenze und dem Ausblick auf den Chiemsee entgegen. Mein Gesicht wird mit jedem Tritt röter, aber es ist mir egal. Kaddi wirkt besorgt: »Sollen wir wirklich noch um die Ecke? Wir können auch von hier runterfahren. Du siehst schon aus wie ein kleiner Babypfirsich.« Ich schüttele verbissen den Kopf. Und nur ein paar Pedaltritte und Kurven weiter ist er endlich da: der Blick von oben auf den See. Die müden Beine, die brennenden Lungen und das rote Gesicht habe ich spätestens hier vergessen. Der Babypfirsich hat’s hochgeschafft! Ich bin stolz wie Bolle.

Bei Neuanfängen wächst man über sich hinaus. Und das fühlt sich richtig gut an.

Aber eigentlich bin ich ja für etwas anderes hier: meine erste Abfahrt auf einem richtigen Natur-Trail. Kaddi und ich beeilen uns, machen keine Pause. Denn der Nachmittag neigt sich langsam dem Ende zu. Und wir wollen nicht in die schlagartig einsetzende Dunkelheit des Herbstes geraten. »Ich fahre jetzt langsam voraus. Wenn was ist, schreist du, gell?«, ruft Kaddi mir zu und schwingt sich in den Sattel ihres Mountainbikes. Ich will direkt hinterher, merke aber, dass ich auf dem steinigen Untergrund nicht so schnell wie sie meine Balance finden kann. Ich verkrampfe mich sofort, komme kaum hoch aus meinem Sattel, finde einfach nicht in den Trail-Modus. Und rutsche auf einem nassen Stein mit dem Hinterreifen weg. »Scheiße!«, platzt es laut aus mir heraus. Kaddi bremst vorne scharf ab und dreht sich zu mir um. Okay, noch einmal konzentrieren auf das, was mir Claudia beigebracht hat: Körperschwerpunkt absenken, Kinn Richtung Lenker. Schwere Beine, leichte Hände. Ich finde auf den Pedalen meine Balance und bin endlich drin im Trail-Modus. Der Lenker bebt unter meinen Händen. Ich spüre in meinem Körper jeden Stein und jede Wurzel, über die mein Mountainbike rollt. Und kann es kaum glauben, mit welcher Leichtigkeit ich auf einmal über all diese Hindernisse gleite. Es läuft. Kaddi und ich sausen auf dem menschenleeren Trail immer weiter hinab Richtung Aschau. Ich fahre ihrer Spur hinterher und bekomme mit jedem Meter, den wir den nassen Pfad hinunterrollen, mehr Mut und Vertrauen in mein Können und mein Bike.

An einer Stelle, wo sich der Trail teilt, halten wir. »Wir können noch ein kleines Stückchen hier fahren. Allerdings kommt dann eine etwas schwierigere Stelle. Alternativ können wir ab hier auch den einfachen Schotterweg fahren«, erklärt mir Kaddi. Und da ist er wieder, der Ehrgeiz, der mich schon damals auf dem Übungsplatz mit Claudia gekitzelt hat. »Nein, ich will das jetzt versuchen. Ich will auf dem Trail bleiben!« Wir rollen wieder los. Nach ein paar Hundert Metern höre ich schon die Kuhglocken aus dem Dorf. Das Trail-Ende kann nicht mehr weit sein. Und wir halten an der besagten schwierigen Stelle. Ich muss schlucken.

Vor mir geht es in eine steile Linkskurve, die quasi nur aus nassen Wurzeln besteht. Doch mein gutes Gefühl pusht mich. Ich fahre los, versuche es, drücke im falschen Moment die Hinterbremse komplett durch und rutsche mit voller Geschwindigkeit in einen Busch. Kaddi ist sofort bei mir, um mir aufzuhelfen. Sie ist nur wenige Meter vor mir abgestiegen, um mich durch die Stelle zu coachen. »Du hast deine Fahrlinie nicht so schlau gewählt«, erklärt sie mir, während sie mir ein paar Blätter aus den Haaren pflückt.

»Im Idealfall fährst du ganz links an den Wurzeln vorbei. Das ist dann ein bisschen gecheatet. Oder du fährst direkt drauf. Da brauchst du aber richtig Schwung, sonst bleibst du hängen. Und auf die Längswurzel hier solltest du auf keinen Fall kommen. Da rutschst du sofort weg.« Cheaten oder wegrutschen riskieren? So richtig toll klingt für mich gerade keine Alternative, als ich mein Mountainbike wieder ein Stück nach oben schiebe, um die Stelle noch einmal zu versuchen. Ich drehe mich um und fixiere die Wurzeln. Kaddi steht wieder ein Stück unterhalb der Stelle neben dem Trail und blickt mich erwartungsvoll an. »Ich will nicht cheaten, sondern das schaffen!«, schießt es mir durch den Kopf. Und im nächsten Moment rollt mein Mountainbike schon los. Ich gehe tief in den Trail-Modus, vertraue auf Kaddis Erklärung, Claudias Training, mein Bike und auf mich. Die ersten Wurzeln federt mein Rad problemlos unter mir weg. Ich merke, wie ich ein wenig aus der Balance gerate, fange mich aber direkt wieder. Und schaffe es tatsächlich wie durch ein Wunder über die Stelle. Neben mir höre ich Kaddi schreien: »Ja, super, perfekt! Roll weiter, Toni! Das machst du mega!« Aber ich muss bremsen und absteigen, um die geballte Ladung Glücksgefühle, die sich gerade in mir ausbreitet, verarbeiten zu können. Kaddi steht neben mir, wir umarmen uns. Es tut gut, wie sehr sie sich als erfahrene Mountainbikerin über meinen kleinen Erfolg freut. Gerade fühle ich mich unfassbar lebendig. Denn ich habe es geschafft! Ich habe tatsächlich mit dem Mountainbiken angefangen und dabei so viel über meinen Körper und eine neue Sportart gelernt. Habe neue Menschen getroffen, war verzweifelt, hatte Angst, habe geheult und so viele neue starke Seiten an mir entdeckt. Und gerade bin ich meinen ersten richtigen Trail gefahren.

Neuanfänge fühlen sich großartig an. Du solltest auch einen wagen.

 

Jacqueline Fritz über das Neuanfangen mit einem Bein

von Katharina Kestler

»… und dann lag ich acht Jahre im Krankenhaus.«