Crazy in Love - Emma Winter - E-Book
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Crazy in Love E-Book

Emma Winter

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Beschreibung

Eine Liebesgeschichte zum Dahinschmelzen: charmant, witzig, temporeich Sashas sehnlichster Wunsch ist es, an der renommierten Yale University zu studieren. Dafür wagt sie sogar den Neuanfang an einer privaten High School in Boston, vier Zeitzonen und 5000 Meilen von ihrer besten Freundin Lucy und ihrer Mutter Bow entfernt. Ihre neuen Mitschüler sind das genaue Gegenteil von dem, was sie eigentlich toll findet: reich, elitär, arrogant. Aber wenn sie es hier schafft, dann ist ihr Traum von Yale zum Greifen nah. Um nicht völlig unterzugehen, sucht sie sich einen Job in einem Café, denn neben Listen für jede Lebenslage schreiben und Cupcakes nach Stimmungslage zu backen, ist Kaffee ihre große Leidenschaft. Dass ausgerechnet der angesagteste Typ der Weston High eines Tages hier auftaucht, passt ihr gar nicht. Denn eines will sie auf keinen Fall: sich verlieben ...

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Crazy in Love

Die Autorin

Emma Winter, geboren 1984, wuchs in der Nähe von Köln auf und studierte Germanistik und Englische Literatur, bevor sie in einer PR- und Werbe-Agentur arbeitete. Mittlerweile lebt sie in Berlin und schreibt für ihr Leben gern.

Das Buch

Eine Liebesgeschichte zum Dahinschmelzen: sexy, witzig, temporeich

Sashas sehnlichster Wunsch ist es, an der renommierten Yale University zu studieren. Dafür wagt sie sogar den Neuanfang an einer privaten High School in Boston, vier Zeitzonen und 5000 Meilen von ihrer besten Freundin Lucy und ihrer Mutter Bow entfernt. Ihre neuen Mitschüler sind das genaue Gegenteil von dem, was sie eigentlich toll findet: reich, elitär, arrogant. Aber wenn sie es hier schafft, dann ist ihr Traum von Yale zum Greifen nah. Um nicht völlig unterzugehen, sucht sie sich einen Job in einem Café, denn neben Listen für jede Lebenslage schreiben und Cupcakes nach Stimmungslage zu backen, ist Kaffee ihre große Leidenschaft. Dass ausgerechnet der angesagteste Typ der Weston High eines Tages hier auftaucht, passt ihr gar nicht. Denn eines will sie auf keinen Fall: sich verlieben ...

Emma Winter

Crazy in Love

Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinApril 2020

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®E-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95818-537-1

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Playlist

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Danksagung

Leseprobe: Perfectly Broken

Empfehlungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Playlist

Widmung

NEVER STOP LOOKING UP.

Playlist

A-Punk – Vampire WeekendGrace Kelly – MIKA:That's Not My Name – The Ting Tings1 2 3 4 – FeistI Meant Every Word I Said – The Milk Carton Kids

Somewhere Only You Know – Lily AllenLove Song – Kazy Lambist feat. GlassesThis Feeling – Alabama ShakesCold Little Heart (Radio Edit) – Michael KiwanukaCircus – Nerina PallotForever – Matt and KimYoung Blood – The Naked and FamousI Put A Spell on You – Annie LennoxThis Town – Niall Horan

Bad Guy – Billie EilishThe Wonder of You – VillagersYou Can't Always Get What You Want – ItuanaWe Found Love – RihannaTongue Tied – GrouploveOhio – Damien JuradoThe Blower's Daughter – Damien RiceSnow – Lisa HanniganCrazy in Love (Remix) – BeyoncéSelfish Love – Jessie WareCall Out My Name– WeekendArcade Fire: Wake Up –Chasing Pavements – AdeleDown With The Trumpets / Lost Generation – Rizzle KicksStar Girl – Mc FlyShe's so Lovely – Scouting For Girls

1

Sasha

»Natasha, Natasha Elisabeth!« Ich zucke zusammen. Meinen vollen Namen habe ich schon immer gehasst. Niemand nennt mich so. Zumindest niemand aus meinem alten Leben. Für alle bin ich nur Sasha. Warum meine Eltern ausgerechnet die Vornamen meiner beiden Großmütter gewählt haben, ist mir echt ein Rätsel. Die eine lebt in einer Kommune in San Francisco, die andere hat nichts mehr mit ihrem Sohn zu tun haben wollen, nachdem er mit Anfang zwanzig dieses Westküstenhippiemädchen (meine Mom) nicht nur geheiratet, sondern zuvor auch noch geschwängert hat. Ein Skandal in der Bostoner High Society, wie Dad immer mit stolzem Grinsen erzählte. Ob das heute noch gilt, finde ich wahrscheinlich ziemlich schnell raus, denn das nächste Jahr werde ich bei der Familie meines Vaters leben.

»Natasha! Hier sind wir!«

Und dieses Jahr beginnt genau: jetzt.

Mit klopfendem Herzen drehte ich mich um. Zwischen all den Wartenden entdecke ich meine Tante. Ihr braunes, kinnlanges Haar sitzt perfekt, das cremefarbene Twinset und die Chino in Taube sind leger, aber trotzdem schick. Ich grinse schief und winke. Dabei fällt mein Blick auf das superschlanke, große, blonde Mädchen, das genervt Kaugummi kauend neben ihr steht – das ist dann wohl meine Cousine Charlotte.

»Hi, Tante Laura, danke, dass ihr mich abholt.«

»Wo ist denn dein Gepäck? Sag bloß nicht, deine Koffer sind verloren gegangen.«

»Nein, keine Sorgen, ich hab alles.«

»Nur so wenig? Na ja, vielleicht kann dir Charlotte ja was leihen. Oder Charly, ihr müsstet doch in etwa dieselbe Größe …?«

Das entrüstete Schnauben meiner Cousine ist ziemlich deutlich. Klar, sie hat recht. Sie ist sicher zehn Zentimeter größer als ich, zwei Kleidergrößen dünner und offensichtlich so gar nicht erfreut, mich kennenzulernen. Heimlich hatte ich gehofft, dass wir Freundinnen werden. Charlotte und ich im Pyjama beim Serienmarathon mit Extra-Käse-Pizza, beim Secondhandshopping oder dabei, neue Cupcake-Rezepte auszuprobieren. Im Moment wirkt sie allerdings nicht wie ein Ersatz für Lucy, meine beste Freundin, die ich drei Zeitzonen und über dreitausend Meilen zurückgelassen habe.

»Sash, wer sehen will, muss die Augen schließen«, schaltet sich die Stimme meiner Mutter ein. Ich stöhne auf. »Aber manchmal erkennt man eine blöde Kuh auch blind«, murmele ich und schiebe mich hinter den beiden her durch die Menge Richtung Ausgang. Als sich die Glasschiebetür öffnet, schlägt mir kalte Luft entgegen, so eisig ist es in Santa Barbara nicht mal im Winter.

Zehn Minuten später sitzen wir in Tante Lauras Minivan und fahren los. Dieselben Schnellstraßen wie in L.A., nur ohne Palmen. Plötzlich spüre ich, wie müde ich bin. Natürlich habe ich Mom gezwungen, extra früh zu Hause aufzubrechen, damit ich ja nicht zu spät komme, nur um dann doch wieder zwei Stunden zu früh am Gate rumzusitzen. Ich greife in meine riesige Umhängetasche und wühle nach dem kleinen Zipperbeutel, in dem ich Pass, Flugtickets und meine Reise-To-do-Liste verstaut habe. Auch für Moms Reise nach London habe ich eine Liste gemacht. Hoffentlich vergisst sie nicht, sie mitzunehmen, zuzutrauen wär's ihr, so chaotisch, wie sie ist. Ob sie ohne mich überhaupt pünktlich sein kann? Bei der Vorstellung, wie meine Mutter, die sonst immer alles auf die letzte Minute erledigt, wegen meines Zeitplans viel zu früh am Flughafen sitzt, ungeduldig ihre wilden Locken um den Finger dreht und versucht, sich auf ihr Buch zu konzentrieren, muss ich unwillkürlich lachen. »Zu viele Leute, Sash, unter Beobachtung kann ich nicht lesen, da tanzen mir die Buchstaben weg!«, höre ich sie sagen. Im Gegensatz zu Mom kann ich immer, immer, immer lesen. Ich brauche das, sonst werde ich nervös. Und wenn ich nervös bin, zähle ich Buchstaben, einfach, um ein bisschen Ordnung in die Dinge zu bringen.

Aus dem Augenwinkel schiele ich zu Charlotte auf dem Vordersitz. Sie hat Kopfhörer in den Ohren und die Augen geschlossen. Warum ist sie überhaupt mitgekommen, wenn sie keine Lust hat, mich kennenzulernen?

Als hätte sie meine Gedanken gelesen, dreht sich Tante Laura zu mir um. »Natasha, wir müssen noch rasch an der Schule vorbei, Charly hat ihre Cheerleader-Uniform vergessen, und am Montag haben die Weston Dolphins das letzte Spiel der Saison.«

»Ist die Schule denn offen?«, frage ich erstaunt. »Es sind doch noch Ferien. »

»Aber ja, das Hauptgebäude, die Bibliothek und die ganzen Sportanlagen sind immer geöffnet, du wirst sehen, Weston wird dir gefallen. Deine Mom sagt, dass du Medizin studieren willst. In Yale?«

Mein Magen beginnt zu flattern. Wie selbstverständlich Tante Laura das ausspricht, Yale University, vierzehn Buchstaben, davon träume ich, seit ich denken kann. Forschen und Menschen helfen, wie mein Dad.

»Ja, ich will in Yale Medizin studieren.«

»Du scheinst ganz nach deinem Vater zu kommen!«, entgegnet sie, und plötzlich habe ich Tante Laura richtig gern.

Die Weston High, die Schule der Bostoner Elite und ab Montag auch meine, besteht aus unterschiedlich großen Backsteingebäuden, die verstreut in einem wunderschönen Park mit riesigen, alten Ahornbäumen liegen. Kieswege verbinden die einzelnen Häuser, und obwohl es der letzte Samstag vor Schulbeginn ist, ist schon richtig was los.

Charlotte hat auf Tante Lauras Vorschlag, mir doch schnell den Campus zu zeigen, nicht reagiert, sondern ist sofort aus dem Wagen gestürmt.

Eigentlich bin ich ganz froh. Jetzt meine neuen Mitschüler kennenzulernen wäre viel zu spontan für mich gewesen. Auf wichtige Ereignisse bereite ich mich gerne vor, am liebsten mit einer Eventualitätenliste. Außerdem trage ich meinen oversized Reisehoodie von Dad mit dem Stanford-Logo, und meine braunen Locken stehen wild in alle Richtungen ab. Nach dem zu urteilen, wie die Schüler, die vorbeilaufen, gekleidet sind, bin ich auffallend underdressed. Und auffallen will ich auf keinen Fall.

»Natasha, ich gehe mal schnell ins Sekretariat, die Unterlagen für die Elternsprecherwahl abgeben«, unterbricht Tante Laura meine Gedanken. »Du bist sicher, dass du nicht mitkommen willst? Verstehe ich, war ja auch ein langer Flug. Hier, ich lass dir die Schlüssel da!« Und dann ist es still im Auto. Ich schließe die Augen und verfasse im Kopf eine Liste mit den Dingen, die ich noch vor Schulbeginn erledigen will. Am Montag fängt mein Senior Year an. Am Montag stelle ich die Weichen für Yale. Am Montag bin ich das erste Mal in meinem Leben an einem Ort, an dem ich niemanden kenne. Und am Montag fliegt Mom für neun Monate nach England. Mein Magen zieht sich zusammen, jetzt spüre ich die Entfernung ganz deutlich. Seit Dads Tod vor drei Jahren sind wir unzertrennlich. Und jetzt?

»Jetzt verwirklichst du deinen Traum, Sash!«, würde Lucy sagen. Sie ist ein Kämpferherz. Mit ihr kann ich alles: an Wunder glauben und nach den Sternen greifen. Und das werde ich auch tun. Schließlich war es meine Idee. Mom nimmt das Angebot für eine Ausstellung in der renommierten White Cube Gallery in London an, ich lerne endlich die Familie meines Vaters kennen und bereite mich an einer der renommiertesten Schulen der Ostküste auf die Universität vor.

»Ich bin stolz auf dich, mein Mädchen«, hat mir Mom am Flughafen zugeflüstert. »Und Dad wäre es auch.«

In meinem Augenwinkel beginnt es zu pochen, ein untrügliches Zeichen für Tränen, die rauswollen. Schnell blinzele ich. Jetzt hilft eigentlich nur noch eins: Kaffee. Und wenn ich doch kurz aussteige? Mein Blick fällt auf ein Coffeecar, das in der Sonne glitzert.

Als ich vor dem kleinen Wagen stehe, steigt mir ein köstlicher Duft in die Nase. Wahnsinn, die mahlen hier den Kaffee frisch! Kein Vergleich mit der dünnen Automatenbrühe in meiner alten Schule.

»Hi, wie geht's? Was möchtest du haben?«

Der Verkäufer ist etwas älter als ich, neunzehn, zwanzig vielleicht, trägt seine schwarzen Locken superkurz und strahlt mich mit blitzenden Augen an. Fasziniert starre ich auf die Glasflaschen vor ihm – acht verschiedene Flavours! In einer Schule!

»Ich … ich weiß nicht.«

»Du bist neu hier, stimmt's? Die meisten Schüler haben schon ihre Standardkombi. Wie wär's, soll ich dir was empfehlen?« Einen Moment lang hält er inne, er scheint tatsächlich nachzudenken. Das gefällt mir, er nimmt Kaffee genauso ernst wie ich.

»Ich glaube, du brauchst etwas, das dich wach macht, aber mit ein bisschen Süße – du siehst traurig aus.«

Er bedient die Mahlmaschine, und das laut krachende Geräusch verhindert, dass ich antworten muss. Dankbar lächele ich ihn an.

»Bitte schön, einen Americano mit wenig Milch und Vanilleflavour. Und: Der erste Kaffee geht immer auf mich. Ich bin übrigens Trey.«

»Sasha«, nuschele ich, während ich einen tiefen Schluck nehme.

»Etwa ein bisschen kaffeesüchtig?«

Jetzt muss ich lachen. »Ich bestehe aus Kaffee!«

»Dann sehen wir uns ja häufiger, ich freu mich.«

Zwei Mädchen nähern sich dem Coffeecar, ich drehe mich schnell um und gehe Richtung Auto.

In dem Moment, in dem ich an dem großen Backsteingebäude mit hohen Sprossenfenstern vorbeikomme, öffnet sich die Tür und eine Gruppe Schüler kommt direkt auf mich zu. Ich kann gar nicht anders, als hinzuschauen. Die Welt scheint stillzustehen, während die fünf durch die Tür hindurchgehen. Eines der drei Mädchen ist Charlotte, aber nicht die verschlossen-muffelige Charlotte, die ich eben kennengelernt habe, sondern eine strahlende Version von ihr. Mit einer geübten Handbewegung wirft sie ihre langen Haare nach hinten, ihr Gang ist lasziv, und sie tut so, als würden die beiden Jungs, die neben ihr gehen, sie gar nicht interessieren. Die zwei haben riesige Sporttaschen und Helme über die Schultern geworfen und tragen sie, als hätten sie kein Gewicht.

Mein Blick bleibt an dem kleineren der beiden hängen, er sieht athletisch aus, ist aber nicht so klobig wie der andere. Seine dunkelbraunen Locken sind verstrubbelt. Als hätte er eben noch ein Cap aufgehabt oder als wäre er gerade stürmisch umarmt worden. Ich spüre den Impuls, ihm durch die Haare zu fahren. Plötzlich schaut er auf und blickt mich direkt an. Intensiv und durchdringend. Irgendetwas explodiert in meinem Magen und beginnt dann wie wild zu tanzen. Seine Augen sind grün. Ein tiefes Meergrün. Bevor ich weiß, was ich tue, winke ich ihm zu.

Für einen Minimoment erwidert er meinen Blick, dann dreht er sich zu den anderen um, und alle brechen in Lachen aus.

Wie ich ins Auto gekommen bin, kann ich nicht mehr sagen. Aber eins weiß ich, so scheiße schmeckt Kaffee nur, wenn ich wütend bin. Klar war es peinlich, einfach so zu winken, aber wie kommen die dazu, mich auszulachen?

Das Abendessen hat sich ewig hingezogen. Jetzt liege ich auf meinem neuen Queensize-Bett, starre den Laptop an und warte darauf, dass der Punkt neben Lucys Namen grün wird. Ich will endlich mit ihr skypen.

Alles um mich herum ist fremd und irgendwie überdimensioniert. Mein neues Zimmer ist riesig und in Beige, Eierschale und in einem hellen Graun- und Braunton gehalten. Die eine Wand besteht fast nur aus Fenstern, die auf einen weitläufigen Park hinausgehen.

Beim Essen waren wir heute nur zu viert, Tante Laura, Charlotte, Matt, mein achtjähriger Cousin, und ich.

»Dein Onkel ist geschäftlich unterwegs, Singapur«, hat mir Tante Laura mit einem entschuldigenden Lächeln erklärt.

»Oh wow, was macht er denn da?«

»Er baut eine Dependance seiner Firma auf. Es gab wohl Probleme, aber zum Homecoming wird er wieder da sein. Dann lernt ihr euch kennen.«

»O ja, Daddy freut sich riesig«, murmelt Charlotte, die neben mir sitzt.

»Charly, ich bitte dich!«

Erstaunt schaue ich die beiden an. Bevor ich etwas sagen kann, setzt Tante Laura ein strahlendes Lächeln auf. »Und Jonas kommt auch endlich wieder, er studiert am MIT in Princeton. Computerlinguistik und Künstliche Intelligenz, ich verstehe immer nur die Hälfte, wenn er darüber spricht.«

Ich höre nicht mehr richtig hin, Charlottes bissige Bemerkung spukt mir noch im Kopf herum. Was hat sie damit gemeint? Wollte sie mich nur ärgern oder …?

Ich weiß so wenig über Onkel James, den Bruder meines Vaters. Bisher habe ich nur Fotos von ihm gesehen. Er konnte nicht zu Dads Beerdigung kommen, weil er eine Firma in London aufgebaut hat. Nach der Trauerfeier habe ich ihn tagelang gegoogelt. Nach Ähnlichkeiten gesucht, nach dem Lächeln meines Dads, das immer alle Probleme weggewischt hat. Das habe ich am meisten vermisst, damals, in der ersten Zeit. Aber welcher Wirtschaftsboss im Anzug lächelt schon so? Das Foto auf der Website seines Biotechunternehmens war das einzige, das ich finden konnte. Auch meine Mom hat Onkel James wohl nur ein paarmal gesehen. Auf meine Frage, ob sich die beiden Brüder ähnlich sind, hat sie mir nur durch die Haare gestrichen und lächelnd gesagt: »Dein Dad ist einzigartig, Sash. Nur du ähnelst ihm.«

Das habe ich schon immer gehasst: Wenn ich etwas über Dads Vergangenheit wissen will, weicht sie mir immer aus. Und ist so lieb dabei, dass ich ihr nicht mal böse sein kann.

Ein lautes »Wing« lässt mich zusammenzucken: Lucy ist online! Schon höre ich den hüpfenden Klingelton von Skype.

»Hey, Girl, alles klar?« Lucy grinst mich strahlend an, die wilden, kurzen Locken fallen ihr in die Stirn, sie trägt das neonrote T-Shirt, das ich ihr zum Geburtstag geschenkt habe und das wunderbar zu ihrer karamellfarbenen Haut passt. Ich bin echt froh, dass sie es so gerne trägt. Sie ist mein absolutes Vorbild, was Klamotten angeht. Keiner trägt Dinge so lässig wie Lucy. Aus dem unscheinbarsten Secondhandkleid macht sie mit ein paar Accessoires oder kleinen Änderungen ein total stylisches Outfit. Im letzten Sommer haben wir angefangen, auf unseren Insta-Accounts unter dem Hashtag #fashionwespotted Fotos von Personen zu posten, deren Look wir toll finden. Als digitales Fashionjournal, als Inspirationsquelle für Lucy, die immer auf der Suche nach den neusten Trends ist. Wir schreiben außerdem immer kurze Texte zu den Frauen dazu, die wir fotografieren. Zuerst habe ich mich nie getraut, sie anzusprechen, aber mittlerweile macht es mir richtig Spaß. Die meisten freuen sich über das Kompliment, und man hört immer wahnsinnig spannende Geschichten. Und ich bin jedes Mal stolz, wenn ich wieder aus meiner Komfortzone rausgeschlüpft bin. Mal schauen, was Boston so zu bieten hat!

Jetzt sprudele ich los, erzähle Lucy vom schweigsamen Abendessen, den gestärkten Stoffservietten und Tante Laura, die über die gelangweilten Gesichtsausdrücke ihrer Kinder hinweggeplaudert hat. Als ich Lucy meine Cousine beschreibe, googelt sie sie sofort: Charlotte-Cheerleaderin, Charlotte-Dressurreiten, Charlotte-auf-weißer-Jacht-im-Boston-Harbor, und stöhnt auf.

»Puh, Sash, das hast du wirklich nicht verdient! Die bräuchte echt einen von deinen Lass-uns-eskalieren-Cupcakes.«

Ich muss grinsen, Lucy ist Testperson Nummer eins, wenn ich mal wieder ein neues Rezept ausprobiere und wie wild Zutaten und Geschmacksrichtungen mische. »Du meinst, einen mit Schoko-Karamell-Teig, Buttercreme-Frosting und kleinen Marshmallows als Topping? Ach Lucy, du fehlst mir so, ich glaube, mit Charlotte werde ich niemals Cupcakes backen oder auch nur abhängen. Ich kann schon froh sein, wenn sie mit mir spricht … »

»Lass das nicht Bow hören, die flippt aus, Lästern bringt schlechtes Karma, weißt du doch!«

Alle meine Freundinnen nennen Mom Bow, Kurzform und deutlich weniger peinlich als ihr echter Name: Rainbow – aber Lucy ist die Einzige, die sich über ihre Hippie-Art lustig machen darf.

Lucy und ich kennen uns schon, seit wir laufen können. Lucys Mutter war eine Kollegin meines Dads. Weil meine Mom noch studiert hat, als ich geboren wurde, hat Dad mich oft an die Uni mitgenommen, wo er als Assistant-Professor gearbeitet hat. Und so saßen Lucy, deren Mom alleinerziehend war, und ich unter den riesigen Schreibtischen der Stanford Medical School und haben gespielt. Anfangs habe ich immer geheult, wenn sie da war. Einfach, weil sie besser laufen konnte und schneller war. Schneller ist sie immer noch, nur heulen tue ich nicht mehr. Sie hat an der Highschool eine Stufe übersprungen, nur um jetzt ein Gap Year einzulegen und eine Yoga-Ausbildung zu machen, bevor sie an der Yale School of Drama Theater studieren wird. Yale – hoffentlich sind wir da nächstes Jahr zusammen!

»Sash, Träumerin, hast du mir überhaupt zugehört?«

Ich zucke zusammen. »Nee, sag noch mal!«

»Ich wollte dich nur vorwarnen, mein Karma ist im Moment echt schlecht, ich habe Marc geküsst. Gestern, nach dem Training.«

»Was? Nicht dein Ernst! Deinen Yogalehrer? Hast du vergessen, wie alt der ist?«

»Na ja, wenigstens einer von uns ist volljährig.«

»Er könnte dein Vater sein!«

»Komm, du übertreibst, dann müsste er mit fünfzehn Sex gehabt haben.«

»Genau wie du.« Noch so eine Sache, die Lucy mir voraushat. Während sie mir alles über den Kuss, das Davor (Hilfestellung beim Kopfstand) und das Danach (noch mehr Küsse, nicht nur auf den Mund) erzählt, sehe ich plötzlich wieder diese Augen vor mir. Noch nie habe ich einen so intensiven Blick gespürt, es war, als könnte er damit die Welt anhalten. Plötzlich tanzen Sternschnuppen in meinem Bauch und ich werde rot.

Lucy hält mitten im Satz inne und fängt an zu kichern: »Entweder du findest Zungenküsse neuerdings peinlich, oder du verschweigst mir was. Sag schon, Sash, ich kenn dich doch!«

»Mmh, eigentlich ist es nichts. Eben auf dem Rückweg sind wir an meiner neuen Schule vorbeigefahren, und da war so ein Typ. Seine Augen waren dunkelgrün, meergrün. Krasse Farbe irgendwie.«

»Krasse Farbe oder krasser Typ?«

»Nee, null! Er wirkt supereingebildet, außerdem ist er Baseballspieler, ich habe echt kein Interesse und abgesehen davon auch gar keine Zeit, du weißt doch …«

»Jaja, Vorbereitung auf Yale, ich weiß. Aber Baseball klingt tatsächlich nicht so, als wäre er deine große Liebe.« Allein bei der Vorstellung, dass ich mich in jemand anderes als einen Nerd verlieben könnte, lacht sie laut auf.

Kurz darauf machen wir Schluss, mittlerweile ist es dreiundzwanzig Uhr, und trotz der Zeitverschiebung bin ich todmüde. Bevor ich schlafen gehe, hole ich noch die Box mit meinen Lieblingsdingen aus dem Koffer.

»Willkommen an der Ostküste, Teddy«, flüstere ich und lege meinen zerschlissenen Stoffbären aufs Kopfkissen. Dann nehme ich ein in Leder eingeschlagenes Buch aus der Kiste. Dads Forschungsjournal. Jeden Tag hat er über seine Arbeit geschrieben und über mich und Mom.

Sasha hat heute ein Mikroskop aus Pappe gebaut, lese ich.

Bows erste Fotografie der neuen Ausstellung wurde verkauft.

»Willkommen an der Ostküste, Dad.«

Dann blättere ich zu der Seite im letzten Drittel des Buches vor. Das Papier ist ganz wellig, mittlerweile klappt sie schon fast von allein auf. Am 24. November 2016 ist die Spalte über mich und Mom leer geblieben. Vorsichtig streiche ich über das Papier und lese zum millionsten Mal seine Notizen, die er tagsüber gemacht hat. Eine Versuchsbeschreibung, er war mitten in einer Testreihe, als es passiert ist.

Hier werde ich weitermachen. In den nächsten 365 Tagen werde ich alles daransetzen, dass ich die Zulassung für Yale bekomme, und keiner kann mich aufhalten.

»Und bald, Dad, bald werde ich den Rest deiner Familie kennenlernen, auch wenn sie so anders sind als du, ich freu mich auf sie!«

Sorgfältig lege ich das Buch wieder in die Kiste, dann schleppe ich mich ins Bad. Wie alles hier ist es riesig und super­edel: eine Doppelbadewanne mit Jacuzzi-Funktion, eine separate Regendusche und zwei Waschbecken nur für mich! Während ich meine Zähne putze, gehe ich im Kopf meine Erster-Tag-in-der-neuen-Schule-Liste durch. Mein Blick streift die grünen Fliesen über der Badewanne und ich muss lächeln. Ich glaube, ich mag Meergrün einfach.

2

Sasha

Ich stehe vor dem Badezimmerspiegel und bin total aufgeregt. Es ist Montagmorgen, 07:08, und ich versuche verzweifelt, meine Locken in den Griff zu kriegen. Gleichzeitig zähle ich Buchstaben, um mich zu beruhigen. Zahnfleischschutz: siebzehn Buchstaben, Feuchtigkeitspflege: neunzehn. Curl Tonic: neun. Die Locken lassen mich im Stich. Verdammt, gerade an meinem ersten Tag sehe ich aus wie ein Pudel! Ich bin extrem nervös, so nervös, dass ich es nicht geschafft habe, früher aufzustehen, um laufen zu gehen. Eigentlich klarer Bestandteil meiner Morgenroutine, 30 Minuten nur für mich, meine Lieblingssongs von TheTing Tings, The Milk Carton Kids und MIKA voll aufgedreht und überlegen, was ich am Tag vorhabe. Im Kopf mache ich mir eine Liste, die ich dann beim ersten Kaffee auf einen Block runterschreibe: ein gelber Block in DIN A5, liniert.

Als der Wecker um sechs geklingelt hat, habe ich zwar meine Laufsachen angezogen, dann aber sofort wieder ausgezogen, obwohl ich am Sonntagnachmittag extra noch die Strecke rausgesucht hatte. Bei solchem Lampenfieber hilft nur eins: im Bett liegen, die Füße an der Wand, ein bisschen New Girl gucken und die weiße Creme von mindestens zwei Oreo-Keksen essen. Danach ist es mir schon besser gegangen, aber lässig ist anders.

Entnervt binde ich mir einen engen Messy Bun, mir jetzt auch egal, was die anderen denken. Ich war noch nie ein Glatthaarmädchen, warum sollte es an der Ostküsten-Eliteschule anders sein? Die Locken wissen halt nichts von Yale.

»Sasha, bist du fertig? Ich habe dir Frühstück gemacht!«

Tante Laura war gestern echt lieb zu mir, hat mir geholfen, die restlichen Anmeldeunterlagen auszufüllen, und die Köchin extra gebeten, mir Spaghetti mit Meatballs zu machen.

Eilig greife ich nach meiner Tasche und sprinte die Treppe runter. Kaffee, ich brauche jetzt erst einmal Kaffee!

Eine halbe Stunde später steige ich aus Tante Lauras Auto. Jetzt wird es ernst. Der Campus ist total weitläufig, bei meinem Orientierungssinn werde ich mich hier dauernd verlaufen. Allein um zum Verwaltungsgebäude zu kommen, musste ich schon drei Leute fragen. Jetzt stehe ich leicht eingeschüchtert von dem Gebäude, das mit seiner Holzvertäfelungen, Marmorfußböden, Statuen und Marmorbüsten mehr an ein Museum erinnert als an eine Schule, mit meiner Mentorin Mrs Cooper vor einem Klassenraum und warte auf meinen Englischlehrer. Laut quatschend gehen die Schüler an mir vorbei in den Raum, ohne mich weiter zu beachten.

Während ich in den nächsten Stunden von Kurs zu Kurs hetze, mal nicht zu den Schließfächern zurückfinde oder auf dem Weg zur Cafeteria so falsch abbiege, dass ich erst ankomme, als die Pause schon rum ist, bleibt eines gleich: Niemand nimmt Notiz von mir. Das ganze Lampenfieber hätte ich mir sparen können, die Locken hatten völlig recht, es ist egal, wie sie aussehen, achtet ja ohnehin niemand drauf.

Als ich um vier Uhr erschöpft Richtung Parkplatz gehe, um Tante Laura zu treffen, weiß ich nicht, ob es mir egal sein sollte, schließlich bin ich mit Arbeit bis oben hin eingedeckt und meine beste Freundin ist nur einen Skypeklick entfernt, oder ob dieses dumpfe Murmeln in meinem Hinterkopf recht hat: Du gehörst hier nicht hin, Sash. Einfach nicht deine Küste!

Abrupt bleibe ich stehen. So ein Quatsch – ich bin hier, um meinen Traum zu verwirklichen, nicht, um aufzugeben. Ich gehör hier so was von hin!

Die Bücher in meiner Tasche haben sich verdreifacht, von meinen To-dos gar nicht zu sprechen, der halbe Block ist voll. So viele verschiedene Listen hatte ich noch nie. Beim Schreiben habe ich mich richtig über die kreativen Titel gefreut: Lern-Quickies, Nur-mit-Kaffee und Nachtschichtarbeit. Muss ich unbedingt Mom erzählen. Außerdem ist mein Kalender voller Termine, und alle bedeuten eins: lernen, lernen, lernen.

Ich liebe es zu lernen – immer schon –, ich finde Bücher so spannend wie andere den Super Bowl oder Project Runway, und mir macht es nichts aus, nachts vor einer Klausur durchzubüffeln – solange ich genug Oreos und Snapple mit Mangogeschmack habe. Und Kaffee natürlich, Cold-Brew-Lern-Kaffee.

Deswegen hat mich das heute alles völlig unvorbereitet getroffen. Egal, ob Englische Literatur, Geschichte oder mein Lieblingsfach Biologie, gefühlt jeder war im Stoff weiter als ich. Scheiße. Das wird richtig hart werden, auf die Noten zu kommen, die ich für Yale brauche. Am liebsten wäre ich sofort nach der letzten Stunde in die Bibliothek gegangen, um mir für jedes Fach Lernpläne zu machen, aber heute Abend spielen die Weston Dolphins das letzte Spiel der Baseballsaison. Tante Laura kommt extra mit Matt in die Schule, um zuzuschauen, wahrscheinlich, weil Charlotte Cheerleaderin ist.

Eine halbe Stunde später merke ich, dass offensichtlich ganz Weston da ist. Das Match ist anscheinend das Ereignis des Schuljahresauftakts. Die Ränge der Heimmannschaft sind bis auf den letzten Platz besetzt. Schüler, Eltern, Ehemalige, jüngere Geschwister – und alle in voller Montur. Überall sieht man nur das Petrol-Mauve-Gold der Schulfarben. Mann, sogar bei der Farbwahl sind sie elitär.

Tante Laura ist ganz aufgekratzt, Matt grinst schief und klappert nervtötend laut mit seinen Ratschen, was sogar den Lärm der Zuschauer übertönt.

Unauffällig schaue ich mich um, ich falle echt auf in meiner Schuluniform, aber als mir Tante Laura gestern sagte, dass wir nachmittags zum Spiel gehen, hätte ich nie gedacht, dass man sich dafür erst noch umzieht. Und wie man sich umzieht! Statt der knielangen Karoröcke tragen meine Mitschülerinnen lila Minis und tief ausgeschnittene petrolfarbene T-Shirts, Caps, Schals und ein Meer von goldenen Pompons.

Auch in Bezug auf Fankleidung habe ich offensichtlich noch Nachholbedarf. Muss ich unbedingt mit Lucy drüber sprechen. Meine alte Highschool hatte noch nicht einmal eine Schuluniform. Das passt einfach nicht zum Westküsten-Individualitätswahn.

In Gedanken mache ich mir eine Notiz auf der Muss-ich-haben-Liste: Hoodie in Teamfarben, das wäre ein guter Kompromiss, denn in diese superengen, superkurzen, supersexy Outfits, die die anderen tragen, kriegt mich keiner rein. Ich hasse es, mich so aufzustylen.

Musik setzt ein, die Cheerleader laufen auf den Platz.

»Wow, Charlotte ist ja wahnsinnig gelenkig!«, entfährt es mir.

»Wenn sie nur genauso gerne zur Schule gehen würde wie zum Training. Machst du auch einen Sport?«, fragt Tante Laura.

»Äh, nicht direkt, ich …«

Bevor ich weitersprechen kann, geht ein Raunen durch die Menge – auf die Stadionleinwand wird die Spieleraufstellung des ersten Innings projiziert. Dann das Bild jedes Spielers, riesig und von Jubel begleitet, nachdem der Sprecher Name und Spielposition in die Menge brüllt. Plötzlich bleibt mein Herz stehen. Ein riesengroßes Paar meergrüner Augen sieht mich direkt an.

»Benjamin John Ferguson junior – Shortstop!«

Sechsundzwanzig Buchstaben und wildes Cheerleading in meinem Bauch.

3

Ben

Ich sitze in der Kabine auf der Bank und stecke mir Kopfhörer in die Ohren. Dass ich mich kurz vor dem Spiel rausziehen muss, haben die Jungs mittlerweile akzeptiert, aber wenn sie wüssten, was ich höre. Ihr Gegröle wird von Chilly Gonzales überlagert. Dann ziehe ich mir den Handschuh über meine linke Hand und schließe die Augen. Den ganzen Sommer über haben wir trainiert, jeden Tag, egal wie heiß es war. Im Team in den ersten vier Wochen, dann jeder für sich, in den jeweiligen Sommerhäusern, die meisten auf Cape Cod, Martha's Vineyard können sich nur wenige leisten. Ich wäre lieber bei meinen Freunden auf dem Cape gewesen. Schnell verscheuche ich die Gedanken an die qualvoll langen Wochen mit meiner Familie, immerhin kam mein Vater nur am Wochenende – mit seinem Privatjet.

Konzentrier dich, Ben! Im Kopf gehe ich die verschiedenen Würfe des letzten Trainings durch – meine Muskeln sind gespannt, ich bin hoch konzentriert. Und bereit. Bereit, alles zu geben.

Ich öffne die Augen und ziehe die Kopfhörer raus, mein Team jubelt, Noah, unser Captain, schlägt mir auf die Schulter. Zeig's ihnen, Ferguson. Ich straffe die Schultern und verlasse als Zweiter die Kabine.

Frenetischer Jubel empfängt uns, als wir das Feld betreten. Die goldenen Pompons der Cheerleaderinnen glänzen in der Sonne. Ich verbiete mir, auf die nackten Beine in den kurzen Röcken zu gucken. Später.

Mit einem lauten Knall setze ich das leere Glas auf der Theke ab. Wie nach jedem Spiel treffen wir uns im Sharks, einem der Cambridge-Studenten-Pubs. Seitdem wir sechzehn sind, haben wir mithilfe der Kreditkarten unserer Väter ein paar Bars, in denen man uns ohne Nachfragen Alkohol ausschenkt, klargemacht. Wie immer ist es knallvoll und richtig laut. Auf drei Fernsehern läuft Sport, die Musik ist bis zum Anschlag aufgedreht und drei Viertel der Gäste sind betrunken.

»Hey, Ferguson, auf deine magischen Hände!«

Ich drehe mich um, hinter mir steht mein bester Freund Nate und hält mir ein neues Glas hin. Gin, Gingerale, Gurke. Ich leere es in einem Zug – die Bilder der letzten Stunden ziehen an mir vorbei. Und immer wieder dieser eine Ball. Auf so einen Pass hatte ich seit Jahren hingearbeitet. Auf diese Art von Situation, die perfekt sein könnte, wenn sie nicht so aussichtslos wäre. Alle stehen auf Position, der gegnerische Batter schlägt viel zu weit nach rechts, der Ball kommt schräg auf mich zugerast. Unmöglich, ihn in diesem Winkel zu kriegen. Trotzdem schießt meine Hand in die Luft, meine Füße drehen sich wie von selbst um wenige Grad, und wie, als würde er dort hingehören, landet der Ball in meinem Handschuh. Für einen Moment ist es totenstill, dann bricht der Jubel los. Ich spüre ihn immer noch in meinem Körper.

Wir gewinnen 7 : 8. Seit Jahrzehnten schlagen die Weston Dolphins zum ersten Mal die Westwood Tigers.

Als ich nach dem Duschen mein Handy checke, springt mir auf dem Display die Geschäftsnummer meines Vaters entgegen – eine neue Nachricht.

Morgen, 04:00, Treffen in der Klinik. Mit Professor John. Pünktlich!

Kein Wort zum Spiel, keine Frage, nichts. Dabei weiß er ganz genau, dass wir heute gegen den Angstgegner der letzten Saison spielen. Dass alle Augen auf uns ruhen, das Stadion voller Fans und Scouts.

»Benny!«

Fuck, auch das noch, war ja klar, dass Isabella hier auftaucht. Seit unserer letzten Nacht im Sommer, als sie ihre Großeltern auf Martha‘s Vineyard besucht hat, habe ich mich nicht mehr bei ihr gemeldet. Klar, scheiße von mir, aber was hätte ich ihr sagen sollen? Ich habe nur mit dir geschlafen, um mal ein paar Stunden nicht bei meiner Familie sein zu müssen?

Ihre quietschige Stimme vermischt sich immer mehr mit der lauten Musik, und meine Gedanken schweifen ab. Vor mir sehe ich wieder Dads Nachricht. Intuitiv weiß ich, dass es jetzt kein Zurück mehr gibt. Jetzt heißt es: er oder ich. Wenn ich jetzt nicht handele, hat er gewonnen. Dann wird er über meine Zukunft bestimmen, über mein Leben, über mich. Und das kann ich nicht zulassen. Deswegen werde ich mich auf dieses Praktikum in der Redaktion bewerben, werde um diese Stelle kämpfen, wie ich noch nie zuvor gekämpft habe. Das ist meine letzte Chance, meinen Traum zu verwirklichen. Scheiß auf die Konsequenzen, scheiß auf Dad und seine bescheuerten Erwartungen. Heute hat er wieder einmal bewiesen, wie wenig er sich für mein Leben interessiert. Für ihn zählt nur das Bild, das er von mir haben möchte: der erfolgreiche Sohn, der perfekte Nachfolger. Kein Wunder, dass er mir seinen Namen gegeben hat. Aber ich bin nicht wie er, und ich werde nicht sein Leben leben. Plötzlich ist da wieder diese Wut in mir, ich sehe mich, wie ich als kleiner Junge auf Cap Code am Strand stehe. Drei Meter von mir entfernt dieser riesige Wal. Im Summer Camp haben wir alles über Wale gelernt, ich war fasziniert davon, wie intelligent sie sind, wie treu sie an ihrer Familie hängen, wie mühelos sie über Meilen hinweg miteinander kommunizieren. Und jetzt liegt da dieses stolze große Tier vor uns: tot. Alles in mir hat geschrien. Wie kann so etwas passieren? Er hat doch niemandem etwas getan, es ist so ungerecht! Damals habe ich sie zum ersten Mal gespürt: Die Ohnmacht gegenüber der Ungerechtigkeit. Diese unfassbare Wut, dass alle es einfach hinnehmen und keiner etwas sagt. Genau wie meine Mutter immer geschwiegen hat, wenn unser Vater mich oder meine Schwester Hanna mal wieder wegen einer Kleinigkeit viel zu hart bestraft hat. Über uns bestimmt hat, als wären wir sein Eigentum. Ich beiße die Zähne zusammen und versuche, ruhig zu atmen. Allein der Gedanke daran macht mich wütend.

Genervt schüttele ich Isabella ab, die sich mittlerweile an meinen Arm gehängt hat, und bestelle brüllend einen neuen Drink. Im Moment bleibt mir nichts anderes übrig, als meine Wut in Watte zu packen.

4

Sasha

Der riesengroße Lesesaal der Schulbibliothek liegt im Halbdunkeln, nur die Lampen an den einzelnen Schreibplätzen werfen jeweils einen gemütlichen, gelben Kegel auf die Tischplatten. Die Dielen knarzen unter meinen Füßen, es riecht nach Holz, Wachs, Staub und nach altem Papier – mein Lieblingsgeruch.

Andächtig blicke ich mich um. Jeder Zentimeter Wand ist mit Regalen zugestellt, überall Bücher, Bücher, Bücher. Und das ist nur die naturwissenschaftliche Abteilung! Ich lasse meine Hand an den Buchrücken entlangfahren. Praxiswörterbuch der Anatomie, Die menschlichen Blutbahnen, Medizinische Fachbegriffe, Schautafeln des menschlichen Körpers – als wäre ich schon auf der Uni!

Obwohl es erst acht Uhr morgens ist, ist die Bibliothek schon gut besucht. Ich lasse mich auf einen freien Stuhl fallen und knipse die Schreibtischlampe an. Kurz schließe ich die Augen und stelle mir vor, wie es wäre, hier zu sitzen und meine Kursunterlagen durchzugehen, bevor die nächste Vorlesung beginnt, dann ziehe ich seufzend mein Geschichtsbuch raus. Der Kurs in diesem Trimester baut auf dem Stoff des letzten auf, den muss ich also auch noch nachholen. Mit gerunzelter Stirn gehe ich meine Lektüreliste durch und schlage fünfzehn auf: J. Edgar Hoover und der Kalte Krieg. Ich beginne zu lesen, und plötzlich wird die Welt für mich ganz klein.

»So gestresst, wie du aussiehst, hast du bestimmt nur für einen Espresso Zeit?«

Ich grinse Trey schief an. Seit er mir an meinem Ankunftstag diesen leckeren Kaffee gemacht hat, bin ich mindestens einmal täglich bei ihm. Trey und sein Coffeecar sind echt ein Lichtblick, vor allem, weil er immer noch der Einzige ist, der freiwillig mehr als einen Satz mit mir redet, meine Lehrer mal ausgeschlossen. Ich bin in der Snobhölle gelandet! Wer lächelt, hat verloren. Ruhe zum Lernen schön und gut, aber ich fühle mich mittlerweile ziemlich einsam, wie am Straßenrand ausgesetzt. Natürlich habe ich gewusst, dass es schwer werden würde, neue Freunde zu finden, so kurz vor dem Abschluss, wo jeder mit Lernen beschäftigt ist. Dass ich komplett ignoriert werde, hätte ich niemals gedacht.

»Danke, aber ich nehme einen extragroßen Caffé Latte mit Salted-Caramel-Sirup. Ich brauch ein bisschen Aufmunterung.«

»Ist nicht leicht, hier reinzukommen, was?«

»Mhm.« Ich habe einen großen Schluck Kaffee im Mund, genau die richtige Temperatur, und der Sirup ist süß und salzig zugleich, mein Herz tanzt.

»Nee, überhaupt nicht. Alle tun so supercool, als würde ihnen die Welt gehören. Vorhin habe ich ein Mädchen aus meinem Geschichtskurs gefragt, ob sie mir ihre Aufzeichnungen aus dem letzten Schuljahr zeigen könnte. Sie hat mich nur mit gerunzelter Stirn angeschaut und ist ohne ein Wort zu ihrem Platz gegangen. Als hätte ich sie gefragt, ob sie sich auszieht. Ich brauch dringend einen Nebenjob und andere Leute, sonst dreh ich noch durch.«

»Einen Nebenjob? Du hast keinen Trustfonds? Na, kein Wunder, dass niemand mit dir spricht!«

Ich pruste los, beinah hätte ich meinen restlichen Kaffee verschüttet. Es tut gut, mit Trey rumzualbern, plötzlich fühlt sich alles wieder etwas leichter an. Das ist auch gut so, denn gleich beginnt der Debattierklub. Davor habe ich am meisten Respekt.

»Du musst unbedingt in den Debattierklub von Mrs Colins«, hat Tante Laura gestern beim Abendessen zu mir gesagt.

»Ja, ich habe mich schon auf die Nachrückerliste geschrieben, morgen darf ich teilnehmen, wenn ich Glück habe, ist noch ein Platz frei und ich kann bleiben.«

»Ich drück dir die Daumen, ansonsten muss James noch einmal mit Direktor Walter reden. Eine Teilnahme an einem der Klubs hilft dir garantiert bei deiner Yale-Bewerbung.«

»Und da meine faule Tochter einfach keine Ambitionen hat, musst du schließlich die Familienehre retten«, äffte Charlotte ihre Mutter nach und sprang vom Tisch auf. »Komisch nur, dass weder Granny noch Dad etwas von Streber-Natasha wissen wollen!« Türknallend hat sie den Raum verlassen.

Mit klopfendem Herzen stehe ich vor der Flügeltür aus dunklem Nussbaum und überlege, was ich machen soll. Reingehen? Ich bin viel zu früh dran, wenn ich jetzt reingehe und Mrs Colins ist schon da, muss ich mich mit ihr unterhalten. Und ich bin nicht gut in Spontan-Small-Talk mit Leuten, vor denen ich Respekt habe. Irgendwas setzt dann in meinem Kopf aus, alles wird ein bisschen wattig, und ich bring nur langweiliges Zeug raus. Deswegen mache ich mir für solche Fälle eigentlich immer Listen mit möglichen Gesprächsthemen, aber gestern musste ich noch so viel für Erdkunde lernen, dass ich es einfach nicht mehr geschafft habe.

Bevor ich mich dazu überreden kann, die Chance zu nutzen, Mrs Colins vielleicht gerade jetzt davon zu überzeugen, mich teilnehmen zu lassen, höre ich Stühlerücken und Gemurmel.

Entsetzt starre ich auf meine Uhr, scheiße, sie ist stehen geblieben! Panisch reiße ich die Tür auf. »Entschuldigung, ich …«

»Nun, Miss Anderson, nehme ich an? Reichlich spät für jemanden, der noch in einem Kurs aufgenommen werden möchte, für den die Anmeldefristen längst abgelaufen sind.«

»Ich, aber meine –«

»Miss Anderson, ersparen Sie mir Ihr Gestotter, ist Ihnen bewusst, in welchem Kurs Sie sich befinden? Debattieren und Rhetorik. Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie aufgenommen werden, wenn Sie keinen geraden Satz bilden können?«

Megapeinlich – zwölf Buchstaben. Das Blut rauscht in meinen Ohren, und ich spüre, wie ich rot werde, rot und wütend. Ich hole tief Luft, dann schaue ich Mrs Colins direkt in die Augen. »Ich stottere nie, manchmal fehlen mir die Worte, aber nur dann, wenn ich mich ungerecht behandelt fühle oder wenn meine Uhr stehen bleibt. Da ich sicher bin, dass mir beides im kommenden Trimester in diesem Kurs nicht passieren wird, besteht also nicht die Gefahr, dass Sie sich noch einmal von Gestotter gestört fühlen müssen. Also, darf ich mich bitte setzen?«

Für einen kurzen Moment ist es still, dann sehe ich wie der Schatten eines Lächelns über Mrs Colins’ Gesicht huscht. »Nun, jetzt wo das geklärt ist, können wir ja anfangen.«

Als ich mich setze, zittern meine Knie.

Während Mrs Colins Blätter austeilt, sehe ich mich so unauffällig wie möglich um. Zwei Mädchen, die eine mit perfekten, blonden Locken, die andere mit braunen, glänzenden, halblangen Haaren, erkenne ich sofort. Mir wird übel. Wieder sehe ich sie vor mir, wie sie in Lachen ausbrechen, als ich ihm zugewunken habe, weil ich mir nicht anders zu helfen wusste, als seine Augen mich festgehalten haben, aufgesogen, in dieses Meergrün. Benjamin. Verdammt, wie kann ein solcher Vollidiot nur so unfassbar schöne Augen haben? Und wie kann ich nur so blöd sein, mich davon beeindrucken zu lassen?

»Benjamin Ferguson?«

Ich zucke zusammen, habe ich das jetzt etwa laut gesagt?

»Wo ist dieser Ferguson? Ich habe ihm doch schon im letzten Schuljahr gesagt, dass er rausfliegt, wenn er noch einmal unentschuldigt fehlt!« Miss Colins’ Blick bleibt an mir hängen. »Glück gehabt, Miss Anderson, willkommen in meinem Kurs.«

Empörtes Raunen hinter mir, ich muss mich gar nicht erst umdrehen, um zu wissen, dass ich gerade den Unmut von zwei Baseballspielern auf mich gezogen habe, aber dafür bin ich in dem Kurs! Yale, ich komme!

Wir werden in Zweiergruppen aufgeteilt, um ein von Miss Colins vorgegebenes Thema zu diskutieren, dreißig Minuten Vorbereitungszeit, jeder trägt fünf Minuten vor. Ich bin pro: Brauchen wir die MeToo-Debatte? Meine Partnerin setzt sich mit ausdrucksloser Miene neben mich. »Natasha? Hi, ich bin June.« Ich starre sie an, auch das noch. Das blonde Haar fällt ihr in sanften Wellen über die Schultern und betont nur noch ihre zarten Gesichtszüge. Seit dem Eröffnungsspiel der Weston Dolphins weiß ich, wer sie ist: mir gegenüber sitzt June Bennett, Tochter des CEOs eines der größten Kabelsender, Captain der Cheerleader, Vorsitzende des angesagten F-Klubs. Angeblich steht F für The Future Is Female, mir kommt es aber so vor, als seien die Mädchen, die sich jeden Mittag in der Cafeteria am Tisch von June versammeln, alle maximal an Lipgloss, der nächsten Party und Jungs interessiert, das nenne ich nicht sehr emanzipiert, und zukunftsweisend ist das auch nicht. Ich bin gespannt, was sie zu MeToo zu sagen hat.

»Ladys und Gentlemen, die Zeit läuft! Und denken Sie daran, ich will, dass Sie frei reden! Niemand liest ab!«

Ich beginn sofort damit, Notizen zu machen. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass June sich zurücklehnt und mit dem goldenen Medaillon spielt, das sie an einer langen Kette um den Hals trägt. Es sieht so aus, als würde sie in Langeweile versinken. Eine gefühlte Mikrosekunde später klatscht Mrs Colins schon wieder in die Hände.

»Die Zeit ist um, lassen Sie uns den ersten Beitrag hören. Miss Anderson, wie wäre es mit Ihnen? Dann können Sie auch gleich beweisen, dass Sie nicht stottern.«

Nicht rot werden, nicht wütend, nicht rot, nicht wütend, hämmert es in meinem Kopf, und wieder macht mein Herz einen aufgeregten Hüpfer. Dann fange ich an: »Wir brauchen eine öffentliche Debatte über Sexismus, um die strukturelle Benachteiligung von Frauen zu beseitigen.« Angestrengt versuche ich nicht auf meine Notizen zu schielen, sondern fokussiere ein dunkles Holzpanel auf der Rückwand des Raumes. »Eine Debatte über MeToo ist daher dringend notwendig!«, schließe ich exakt fünf Minuten später meine Rede. Puh, das hat ganz gut geklappt, erleichtert schaue ich June an.

Und mit einem Mal sieht sie nicht mehr so aus, als wäre sie mit den Gedanken ganz woanders. Für einen Moment schaut sie mich direkt an. Ihre Augen blitzen angriffslustig. Es ist, als würde die Zeit stehen bleiben und der ganze Raum sich mit ihrer Energie füllen. Dann beginnt sie zu sprechen. Eindringlich, selbstbewusst, aber nicht arrogant. Sie nimmt meine Argumente auseinander, jedes einzelne. Mit einem Mal gibt es kein Pro und Kontra mehr, es gibt nur noch ihre Meinung. Beim letzten Satz lehnt sie sich zurück und lächelt mich kurz an. Sie weiß, dass sie mich überzeugt hat, aber sie triumphiert nicht. Sie ist wie Lucy, schießt es mir durch den Kopf, sie hat es nicht nötig, mit ihrer Klugheit anzugeben, sie ist es einfach.

»Wollen wir nachher einen Kaffee trinken gehen?«, platzt es aus mir heraus. »Ich würde gerne wissen, warum du …«

Auch wenn sie mir geantwortet hätte, wären ihre Worte in dem dröhnenden Gelächter der anderen untergegangen. Ich reiße meine Sachen an mich, stürme mit dem Klingeln aus der Tür und renne nach draußen.

An Mittagessen ist nicht zu denken, auf keinen Fall lasse ich mich jetzt in der Cafeteria blicken. Am liebsten würde ich Lucy anrufen, aber ein Blick auf mein Handy sagt mir, dass sie jetzt gerade bei ihrem Yogakurs ist.

»Hey, Sasha, bleib mal stehen!« Trey kommt hinter mir hergelaufen. »Was ist los?«

»Ich habe vorm versammelten Kurs das It-Girl der Schule gefragt, ob wir einen Kaffee zusammen trinken wollen. Das ist los. Sie hat mich an meine beste Freundin erinnert, ich habe einfach vergessen, wo ich war, und …«, ich seufze unglücklich.

»Hey, halb so schlimm, das ist bald vergessen. Dieser Ferguson oder einer seiner Kumpel sorgen schneller für einen Skandal, als du denkst.«

Mein Magen zieht sich zusammen. Schon wieder Ferguson, ist der eigentlich überall? Und wieso hüpft mein Herz bei seinem Namen? Jetzt werde ich schon von meinen eigenen Organen verraten.

»Mal was anderes, ich habe einen Job für dich! Mein Bruder Nathan hat doch diesen Coffeeshop, nicht hier in Weston, sondern in Boston in South End, du würdest also keinem von der Schule über den Weg laufen, aber mit dem Bus schnell zu erreichen. Und er sucht jemanden, der für ein paar Stunden die Woche kellnert. Und mit Kaffee kennst du dich doch aus, oder?«

»Wow, das ist ja großartig! Und er würde mich einfach so nehmen?«

»Ich habe ihm gesagt, dass du nicht nur völlig kaffeesüchtig bist, sondern dass du vor allem dringend einen Ausgleich zur Weston High brauchst. Er hat's sofort kapiert. Du kannst ja morgen nach der Schule einfach mal vorbeifahren.«

Als ich nach dem letzten Kurs über die knirschenden Kieswege Richtung Bus laufe – Charlotte und ich versuchen es zu vermeiden, gemeinsam in ihrem Auto nach Hause zu fahren –, merke ich, wie erleichtert ich bin. Vielleicht habe ich morgen schon einen Job! Trotz des Stipendiums und echt großzügigen Taschengelds meiner Mutter, merke ich bereits, dass es ziemlich knapp wird. Die ganzen Bücher, die ich neu kaufen muss, der ganze Kaffee.

Außerdem habe ich mich im Debattierklub zwar bis auf die Knochen blamiert, immerhin aber einen Platz ergattert. Das ist auch dringend notwendig, sonst kann ich die Yale-Empfehlung vergessen.

An der Bushaltestelle setze ich mich auf die Bank und hole mein Mathebuch raus. Hier habe ich noch am meisten nachzuholen. Und so sehr ich alles, was mit Biologie zu tun hat, liebe, so sehr hasse ich Mathe. Solange es nicht darum geht, in Sekundenschnelle die Buchstabenzahl eines Wortes zusammenzuzählen (leider eine Eigenschaft, die auch in der Junior High bei Talentwettbewerb nur eine Minute Ruhm gebracht hat), sind Zahlen und alles, was damit zu tun hat, meine Feinde. Kalt und abstrakt und völlig überbewertet.

Plötzlich hält ein Sportwagen mit quietschenden Reifen neben mir, ein Fenster fährt surrend herunter, und ich blicke erstaunt auf: direkt in meergrüne Augen, eine Farbe, in der man versinken möchte. Nur dass es im Moment so aussieht, als würden Haie darin lauern.

»Anderson! Bilde dir bloß nicht ein, dass du mir meinen Platz wegschnappen kannst. Ich warne dich!«

Benjamins Stimme ist eiskalt, völlig beherrscht. Ich bin das genaue Gegenteil, in mir explodiert die Wut: »Du spinnst wohl, was kann ich dafür, wenn du arroganter Schnösel es nicht nötig hast, zum Kurs zu kommen? Glaubst du, die ganze Welt wartet auf dich? Tut sie nicht, –« – »du arrogantes Arschloch« geht im Motorengeheul unter.

Fassungslos starre ich dem Wagen hinterher – ich habe noch nie einen Menschen kennengelernt, der so überheblich, selbstbezogen und arrogant ist. Ab jetzt bin ich allergisch gegen Meergrün. Ich muss nur noch mein Herz überzeugen.