Das verrückte Leben der Rosa Schwarz - Jou F. Hall - E-Book

Das verrückte Leben der Rosa Schwarz E-Book

Jou F. Hall

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Beschreibung

Rosa Schwarz hat nur ein Ziel: Sie möchte endlich ihren Traummann finden. Da es auf konventionelle Art und Weise nicht geklappt hat und sie nicht als einsame Katzenlady enden möchte, entwirft sie mit ihrer besten Freundin Hanna eine kreative Dating-Strategie, die ihr zu ihrem Zukünftigen verhelfen soll. Ein gutaussehender Arzt, ein geheimnisvoller Barkeeper und überall regnet es Fettnäpfchen, bis Rosa auf Marcello trifft, der ihre Idee von ihrem perfekten Mann gehörig ins Wanken bringt. Und plötzlich ist der beste Plan nicht mehr gut genug…

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Copyright 2023 by

Dunkelstern Verlag GbR

Lindenhof 1

76698 Ubstadt-Weiher

http://www.dunkelstern-verlag.de

E-Mail: [email protected]

ISBN: 978-3-910615-81-6

Alle Rechte vorbehalten

Ode an alle Rosas dieser Welt

Diese Geschichte geht an alle Frauen, die ihr Herz auf der Zunge tragen, sich abenteuerlich ins Leben stürzen, die ihre Ziele trotz Rückschlägen verfolgen und den Rest der Welt eines Besseren belehren.

Schön, dass es euch gibt.

Inhalt

Auf ein Wort

Kapitel 1:

Die Ausarbeitung eines genialen Plans

Kapitel 2:

Das Beste draus machen

Kapitel 3:

Wie war das, man trifft sich immer mehrmals im Leben?

Kapitel 4:

Café du Congo

Kapitel 5:

Eine Woche später

Kapitel 6:

Date Nr. 1 – Marcello

Kapitel 7:

Jone

Kapitel 8:

Zu früh gefreut – Planänderung

Kapitel 9:

Hannas Drahtseiltanz

Kapitel 10:

Unerwartete Wendungen

Kapitel 11:

H- wie Hanna

Kapitel 12:

Dr. Love oder der Mr. Bombastic der Neuzeit

Kapitel 13:

Speeddating für Anfänger

Kapitel 14:

Eingeständnisse

Kapitel 15:

Jone

Kapitel 16:

Affenalarm

Kapitel 17:

Hochzeitsgast

Kapitel 18:

Gefühlswelle

Kapitel 19:

Ich brauche Unterstützung!

Kapitel 20:

Nicht das, was wir sagen, zählt, sondern das, was wir tun!

Ein paar Wochen später

Was nach dem Experiment geschah

Nachwort der Autorin

Danksagung

Quellverzeichnis

In den Hauptrollen

Auf ein Wort

Ein kluger Mensch sagte einst: »Die Dummen lernen aus ihren Fehlern, die Schlauen aus den Fehlern anderer.« Ich bin eindeutig der ersten Kategorie zuzuordnen, – wobei dies auch nicht ganz der Wahrheit entspricht, denn gelernt habe ich bis jetzt nicht wirklich etwas.

Ich bin Rosa, 35 Jahre alt, ledig, Single und will in keinem Fall als einsame Katzenlady mit Kissen auf dem Fenstersims enden.

Wie es dazu kommen konnte, als Dauersingle im Freundeskreis zu enden? Auch das ist mir ein Rätsel. Während meine Freundinnen langsam, aber stetig ihre große Liebe fanden, schlitterte ich von einer in die nächste Katastrophe. Zufällig.

In den meisten Fällen zumindest.

Ich fühle mich ziemlich normal. Wobei achtzig Prozent der Menschheit sich als »ziemlich normal« bezeichnen würden. Merkt man selbst, wenn die Gedanken und das Handeln sich abseits der Norm bewegen? Zumindest bestätigt mir meine beste Freundin Hanna, dass mit mir alles stimmt und es nicht an mir liege. Nun könnte man behaupten, vielleicht sind wir beide gleich eigenwillig. Was schon ein großer Zufall wäre, oder? Ich schweife ab. Was ihr doch eigentlich wissen wollt, ist, wie ich es nun anstellen werde, mein Leben in meine Wunschrichtung zu ändern. Das würde ich als normal sterbliche Person jetzt vermuten. Ist wahrscheinlich auch so. Ich komme also zum Punkt. Ihr werdet Zeugen meines Experiments. Ja, richtig gehört.

Wie soll das aussehen, fragt ihr euch jetzt sicherlich. Hanna war so nett, mir bei der Ausarbeitung zu helfen. Wahrscheinlich nicht uneigennützig, da ich ihrem Freund schon lange auf den Keks gehe. Er hat sogar mal behauptet, er würde eine Beziehung zu dritt führen. Völliger Blödsinn, wenn ihr mich fragt. Da spricht die Befürchtung »nicht die erste Geige zu spielen« aus ihm. Typische männliche Eiersucht, äh, Entschuldigung – EIFERSUCHT. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle eine Warnung aussprechen, falls dieses Buch junge unbedarfte Frauen lesen.

Eifert mir unter keinen Umständen nach! Warum? Weil ich euch schützen möchte. Denn mal ehrlich, wie furchtbar ist es bitte, seinen Kindern erzählen zu müssen, dass man keine andere Wahl hatte, als einen Mann über ein Experiment zu finden? Fremdschämen auf höchstem Niveau.

Da kommt doch glatt die Vermutung auf, ein Ladenhüter zu sein. Okay, beim Blick in den Spiegel sitzt jetzt nicht mehr alles so wie in den Zwanzigern. Aber ich gebe mir Mühe, die Körperteile an die richtige Stelle zu quetschen. Wie wir alle. Sicherlich. Oder? Ich verliere den Faden. Zu meinem Experiment. Ich stolpere natürlich nicht einfach drauf los. Nein. Denn das habe ich ja schon zu Genüge getan. Und da wir ja wissen, welcher Kategorie ich vermutlich nicht oder zugehörig bin, muss ein ausgeklügelter Plan her, um meinem Leben oder besser gesagt der Liebe in meinem Leben auf die Sprünge zu helfen. Und damit meine ich nicht nur den Sex, der in letzter Zeit ziemlich mager ausgefallen ist.

Ich starre in den Himmel auf das imposante Feuerwerk und beobachte, wie die Raketen in tausend kleine Glitzerpunkte zerstreuen. Das wird mein letztes Silvester als zukünftige Katzenlady sein. Wetten?

Kapitel 1:

Die Ausarbeitung eines genialen Plans

Ich brauche einen Plan nach dem Plan. Nicht nur Plan B, sondern Plan C, D und E. Plan F behalte ich als Notfallplan in der Hinterhand, welcher bei den meisten Menschen den Plan B beinhaltet. Aber ich schmiede hier ja nun meine Zukunft, die ich viel zu sehr dem Zufall überlassen habe, weswegen ich mich nicht wundern darf, diese stolze Reihe an Plänen zu benötigen. Viele würden jetzt sagen: »Ach was, Männer darf man nicht suchen. Das Schicksal vereint jene, die füreinander bestimmt sind.«

Dazu sage ich nur eins: Ha, ha, ha! Das können auch nur Menschen behaupten, denen das Glück aus dem Hintern scheint, denen die Männer in den Schoß gefallen sind. Die sich nicht mal bemühen müssen, sondern der Mann die Eigenarten seiner Partnerin gerne in Kauf nimmt. Ist euch schon mal aufgefallen, dass die rechthaberischen Frauen die nettesten Männer haben? Und dabei nicht mal schön sein müssen? Habe ich das laut gesagt? Ups. Das darf man natürlich nicht verallgemeinern. Aber ich bin ja nicht blind und taub. Entschuldigung, aber gelegentlich stelle ich mir schon die Frage: Wie zum Teufel geht das? Was macht diese Frau für den Mann attraktiv? Ist es die Art, wie sie seinen Namen brüllt?

KEVIN! Na gut, Kevin ist jetzt kein Name, den wir hier als Beispiel nennen sollten, er hatte in meiner Generation nicht gerade den besten Ruf.

Vielleicht ist es auch auf einen Minderwertigkeitskomplex des Mannes zurückzuführen, das wäre zumindest eine logische Erklärung, warum er eine Roseanne statt einer Kate Upton an seiner Seite spazieren führt, wo er doch ganz stark an einen … Ja wen eigentlich? Was oder wen stelle ich mir optisch vor? Kann ich selbst nicht so genau definieren. Ich kann aber mit Sicherheit sagen, dass ich auf Haare stehe. Sicherlich, auf dem Kopf sollten sie auch sein. Ich meine jetzt auch nicht so viel Behaarung, wie man sie im Zoo sieht. Nein. Wahrscheinlich ist das mein Urtrieb, der gerade aus mir spricht. Wie auch immer. Zurück zu meinem Plan.

Plan A: Auflauern im Supermarkt.

Klingt schräg? Nicht doch, gebt mir eine Chance! Meine Oma predigte mir einst: »Mädchen, es sind die Zufälle im Leben, der Richtige begegnet dir ganz unverhofft beim Einkaufen. Du wirst schon sehen. Dann, wenn du nicht damit rechnest.« Dabei haben ihre Wangen immer geglüht, und ihre Augen sind förmlich aus ihren Höhlen gekrochen. Als wollte sie es in diesem Moment heraufbeschwören. Doch leider vergaß sie, wo wir wohnten. Und ich kann euch versichern, dass der Vorort einer Großstadt eine magere Ausbeute an Männern in meinem Alter beinhaltet und auch mit fortschreitenden Lebensjahren nicht besser wird. Einigermaßen brauchbares Material war schnell von der Bildfläche verschwunden. Denn irgendwie schafften die anderen Mädchen es, das Gen-Gut an sich zu binden. Da kann man dann auch zur Roseanne mutieren.

Nun gut, da ich den Moment verpasst habe, muss ich jetzt, wo mir die Vierzig schon im Nacken sitzt, eben auf andere Mittel zurückgreifen. Vielleicht finde ich Geschiedene oder Witwer, wobei zweite Variante mir nicht so sehr zusagt. Warum? Tote sind wie Heilige. Man vergisst all die schlechten Eigenschaften der Person. Merkt euch eins: Neben einer Toten zu bestehen ist genauso unmöglich wie einen Sechser im Lotto zu haben. Fragt Opa, der träumt nach fünfzig Spieljahren immer noch von seinem großen Gewinn.

Ich bewundere mich ein letztes Mal im Spiegel. Die Lederleggins harmoniert perfekt mit dem cremefarbenen Strickpullover, mal ganz abgesehen von den glänzenden Boots, die den Look abrunden. Die pinke Mütze gibt meinem Outfit die freche Note. Ich werfe meinen schwarzen Oversizemantel über, bevor ich meinen Schlüssel aus dem kleinen Schälchen der Kommode greife und fluchtartig meine Wohnung verlasse.

Ich wohne in einem Mehrfamilienhaus im fünften Stock, in einer recht passablen Gegend, für die ich dementsprechend zahle. Elberfeld ist nicht gerade günstig, eine gute halbe Stunde vom Stadtkern und somit vom Luisenviertel entfernt. Hannas und meinem Lieblingsviertel.

Mir graut es schon vor der Autofahrt. Am liebsten benutze ich die öffentlichen Verkehrsmittel, damit bin ich doppelt so schnell. Allerdings muss ich ein paar Dinge einkaufen und weiß, dass dies bei mir für gewöhnlich ausarten kann. Mit einem kurzen Blick zum Fahrstuhl, der sich auf der gegenüberliegenden Seite meiner Wohnung befindet und dessen Pfeil in die obere Etage deutet, entscheide ich mich, die Treppen zu laufen. Manchmal braucht er ewig, und ich will keine kostbare Zeit verschwenden. Der Weg nach unten zieht sich. Beim Öffnen der Haustür muss ich meine ganze Kraft aufwenden. Ich frage mich, wann der Hausmeister diese endlich repariert. Das sollte er schon vor einem Monat erledigen.

Am Ende der Straße steht mein kleiner rosa Corsa, den ich liebevoll Lilli getauft habe. Diese einzigartige Farbe hatte sie schon, als ich sie gekauft habe, und ich bin ziemlich stolz. Nicht nur, dass sie mit Abstand der schönste Wagen im ganzen Stadtviertel ist, sie ist für ihr Alter auch sehr zuverlässig.

Ich entriegle Lilli und schwinge mich euphorisch hinein, wobei der Reißverschluss meines Schuhes einen sauberen Kratzer auf dem Übergang von Lack zu Innenraum zieht. »Neeeeein! Das darf doch wohl nicht wahr sein.« Panisch befeuchte ich meinen Finger und reibe energisch über die Stelle. Der Kratzer bleibt. Da ist nichts zu machen. Genervt knalle ich die Tür zu und reiße an meinem Anschnallgurt, der ein paarmal hakt, bis er sich nach unten ziehen lässt. Gurrend springt Lilli an, als ich den Schlüssel im Zündschloss drehe. »Gutes Mädchen, auf dich ist Verlass«, flüstere ich verschwörerisch und streichele übers Armaturenbrett, bevor ich den ersten Gang einlege und Lilli aus der Lücke manövriere. Ich lasse mir die Laune von diesem Missgeschick in keinem Fall verderben. Mann meiner Träume, ich komme! Auf gehts in den idyllischen Stadtteil Barmen, der mir perfekt für eine Familiengründung erscheint. Eine eigene Kleinstadt in der Stadt mit einem grünen Kern.

Gesagt getan. Da bin ich also, aufgebrezelt und parfümiert stolziere ich in den Supermarkt. Ich spüre die neidischen Blicke der Hausfrauen, die abgehetzt hinter ihren Kindern durch die Gänge jagen. Meine Augen suchen wie Scheinwerfer nach einem möglichen Ziel. Allem Anschein nach habe ich wenig Glück. Ein Blick auf meine Uhr verrät mir, dass es wohl um diese Zeit ungünstig ist, im Supermarkt auf einen attraktiven, frisch geschiedenen Mann zu treffen. Vermerke: Siebzehn Uhr ist zu früh, also verschiebe ich meinen Plan auf zwanzig Uhr.

Einwände? Warum ich keinen Mann ohne Altlasten will? Kann ich euch genau sagen: Weil diese nicht eingenordet sind. Ich möchte zwar Kinder, will aber nicht zwei gleichzeitig großziehen, wenn ihr versteht, was ich meine. Also bleibt mir nur jemand Geschiedenes. Ich könnte mir auch einen Mann vorstellen, der in einer langen Beziehung gelebt hat.

Aber seien wir mal ganz ehrlich, der ideale Altersunterschied zwischen Mann und Frau liegt bei fünf bis sieben Jahren.

Woher ich das weiß? Besagt eine Studie meiner Mutter, die diese Weisheit aus dem Trash-TV der Neunzigerjahre zog. Ist jetzt nicht der ideale Ratgeber. Ich habe aber im Sexualunterricht aufgepasst. Mädchen sind viel schneller entwickelt als die meisten Jungen. Das erworbene Wissen hatte ich natürlich sofort bei meinen Artgenossen getestet und deren Verhalten studiert. Während einige Jungen noch gar nicht wussten, dass es Mädchen gab und welche Rolle diese einmal für sie spielen werden, hatten die Mädchen schon den Röntgenblick.

Zurück zum Altersunterschied. Wir wissen jetzt: Ideal sind fünf bis sieben Jahre. Ich bin fünfunddreißig. Sprich, meine Idealbesetzung müsste zwischen vierzig und zweiundvierzig Jahre alt sein. Und ich kann eines mit Sicherheit sagen: Männer, die in diesem Alter noch nicht verheiratet sind oder waren …

Ihr wisst schon!

Sie leiden unter Bindungsangst und werden diesen Schritt vermutlich nicht mehr wagen. In den meisten Fällen zumindest. Denn warum sollte ich oder jemand anderes denn diejenige, welche sein? Jetzt könnte man behaupten, solche Liebesgeschichten gibt es. Die aus dem Fernsehen zählen nicht. Punkt. Ich lasse sie nur zählen, wenn sie auf einer wahren Begebenheit beruhen.

Zurück zu meinem Plan.

Als eine halbe Stunde vergangen ist, mein Einkaufswagen voll und meine Nerven von dem Geschrei der Kinder und den kreischenden Müttern überstrapaziert, stelle ich meine Taktik um. Wann würde sich wohl ein Single – Entschuldigung, Geschiedener – in den Laden wagen? Richtig, wenn all der Wahnsinn vorbei ist.

***

Neuer Versuch. Ich habe den Plan noch etwas verfeinert und bin direkt in die Wuppertaler Innenstadt gefahren. Wenn ich mich auf die Statistik verlasse, wohnen demnach wesentlich mehr Singles im Stadtkern. Was völlig logisch ist, weil zum Großteil nur ungebundene Männer und Frauen sich diese exorbitante Miete leisten können. Ich kann nur hoffen, dass dieser Mann anschließend bereit ist, sein lebhaftes städtisches Dasein an den Nagel zu hängen. Kinder brauchen frische Luft. Ihnen soll der Matsch an den Gummistiefeln kleben, sie sollen unter gar keinen Umständen dem Großstadtverkehr ausgeliefert sein. Nicht doch. Meine süßen kleinen Babys. Moment mal.

Das würde er nur tun, wenn ich diejenige welche für ihn bin. Es wäre ebenso möglich, dass er eine ähnliche Denkweise an den Tag legt und von mir verlangt, in die Stadt zu kommen. Dann ziehe ich meinen Kinderjoker. Keiner kann leugnen, dass die Stadtabgase gefährlich sind. Er möchte doch Kinder, die wenig krank sind. Da muss er weiterdenken. Eins steht fest, ich werde mir das erste Jahr Erziehungsurlaub nehmen, aber der Rest wird geteilt. Ich möchte keine gestresste Mama sein, sondern eine mit einer gesunden Work-Life-Balance. Die ausgeglichen ist.

Ein Geschiedener hat auch Nachteile, kommt es mir in den Sinn. Was ist, wenn er schon Kinder hat und mit mir keine mehr möchte? Das wäre ein Problem. Mein Puls beschleunigt sich durch diese Erkenntnis. Atme ruhig, Rosa! Du bist schon wieder einen Schritt zu weit.

Wenn ich Omas Ratschläge beherzige, so sollte ich die Grenzen so früh wie möglich abstecken. Sie hatte den Zeitpunkt bei Opa verpasst, beziehungsweise tickten die Uhren der Generation anders. Oma war schon ein besonderer Freigeist. Gott habe sie selig. Ich vermisse sie sehr. Ganz bestimmt hätte sie für die jetzige Situation den richtigen Ratschlag für mich.

Im Geiste gewappnet zücke ich die Marke und schiebe diese elegant in die Öffnung des Wagens. Elegant sah es nur in meinem Kopf aus. Um den Nagellack nicht zu ruinieren, benutze ich meine Fingerkuppen. Wenigstens beim ersten Kennenlernen dürfen meine Nägel gepflegt aussehen, der Nagellack hat mir bei meiner Knabbersucht hervorragende Dienste geleistet. Was aus dem Auge eines Außenstehenden wohl einen eher sehr oberflächlichen Eindruck hinterlässt. Aber die Nägel, die ich so mühevoll gezüchtet habe, sind mir in dem Fall wichtiger als der glotzende bierbäuchige Mann, der mir interessiert dabei zusieht. Nachdem ich den Wagen endlich gelöst habe, schiebe ich diesen hoch erhobenen Hauptes in den Supermarkt. Innerlich feiere ich noch den Fingerkuppensieg, als ich ihn sehe. Ja, genau, IHN. Männlich, körperlich in guter Verfassung, kleine Lachfältchen, selbstbewusste Haltung. Das ist schon mal mehr, als die meisten in der Umgebung mitbringen. Jetzt nicht überschnappen, denke ich. Erst mal beobachten, wie er sich verhält und ob eventueller Anhang hier irgendwo im Laden herumschwirrt. Das darf man bei so einem Unterfangen nicht außer Acht lassen.

Wie ich feststelle, eine hochkomplexe Angelegenheit, für die nur ein Superhirn prädestiniert ist. Nun ja, ich wage es trotzdem. Unauffällig hefte ich mich an seine Fersen, im gebührenden Abstand natürlich.

Okay, soweit so gut, während ich das Gemüse streichele, begutachtet er das Obst. Ich stehe mit dem Rücken zu ihm, nehme das Rascheln seiner flotten Daunenjacke wahr, während er überlegt, was er als Nächstes in seinen Wagen packen könnte. Mal schauen, ob wir gemeinsame Vorlieben haben, das wäre ein guter Anfang.

Ich komme mir vor wie eine verzweifelte Mittdreißigerin, was natürlich Quatsch ist, denn viele sind heutzutage in meinem Alter Single und durchaus glücklich. Ich schlendere weiter auf die gegenüberliegende Seite in die Obstabteilung. Von hier aus habe ich ihn besser im Blick. Während meine Hand die Birne, die ich soeben auf Reife überprüfe, fast zerdrücke, gleichzeitig dabei zusehe, wie er sich mit einer Hand verführerisch durch die Haare fährt, ertönt eine fürchterlich beißende helle Stimme in meiner linken Ohrmuschel. »Ist das Ihr Ernst? Sie zerdrücken die Birne und legen sie dann wieder zurück?«

Die Stimme der alten Frau ist so laut, dass alle, die sich in diesem Laden befinden, zu mir herumdrehen. Auch er. Verdammt. Sie vermasselt mir die Tour. Dabei müssen wir Frauen doch zusammenhalten. Also wirklich! Ich drehe mich schnell um, sodass besagte Person bloß nicht mein Gesicht sieht.

»Bitte? Also Entschuldigung, bevor eine gammelige Birne den Weg in mein zu Hause findet, teste ich doch lieber erst, wie lange sie haltbar ist.«

»Indem Sie diese zerquetschen? Schämen sollten Sie sich! Ihr jungen Dinger habt kein Gefühl mehr für Essen. In anderen Ländern verhungern Menschen, und Sie zerdrücken hier lustig eine Birne.«

Die Wut kocht mir im Bauch hoch. Den Spruch habe ich schon in meiner Kindheit gehasst. Na warte, nicht mit mir!

»Da Sie ja so nachhaltig sind, fühlt sich diese Birne sicher bei Ihnen zu Hause sehr wohl.« Mit diesen Worten lasse ich die Birne in den Einkaufswagen der Aufständischen plumpsen, die mir mit offenem Mund gegenübersteht. Ich hätte noch einen draufsetzen können, aber lasse es bleiben. Bin schon genug aufgefallen. Zum Glück höre ich unter meiner Bommelmütze nicht mehr, was sie mir hinterher brabbelt, sodass ich mich nicht erneut aufregen muss. Gut, denke ich, als ich um die nächste Ecke verschwinde, durchaus möglich, dass er mich anhand der auffälligen Mütze wiedererkennt. Kurzerhand setze ich sie ab und ziehe die Jacke aus, die ich in den Wagen lege. So fühle ich mich schon fast wie ein neuer Mensch. Unmöglich, mich jetzt zu identifizieren. Soeben wurde mir eine zweite Chance gegeben, die ich nun gut nutzen muss. Nur mit dem Unterschied, dass ich jetzt noch die bissige Birnenfrau im Auge behalten muss. Aber ich stelle mich dieser Herausforderung gerne, wenn es um mein Glück und natürlich um das von meinem attraktiven zukünftigen Ehemann geht, der bis jetzt noch nichts von seinem großen Los weiß. Wo würde ein Mann wie er als Nächstes hingehen? Ob er Wein trinkt? Der ist nur einen Gang von mir entfernt. Nein, bestimmt hat er Hunger. Menschen, vor allem Männer, gehen zumeist hungrig einkaufen. Ich würde mich diskret neben den Pizzen platzieren. Oder sieht er doch eher nach einem feinen Gaumen aus und ich wäre in der Lachsabteilung besser aufgehoben? Gedanken über Gedanken, bis ich ganz plötzlich, wie selbstverständlich, vor dem Antipasti-Regal stehe. Das ist ein Zeichen. Meine telepathischen Fähigkeiten haben mich hierhergeführt. Gleich würde er hinter mir stehen, seine starken Arme sanft an meiner Hüfte vorbeischieben, um an die gefüllten Oliven zu gelangen. Mit seiner vibrierenden Stimme würde er mir ins Ohr hauchen: »Darf ich mal?«

Die Realität holt mich schnell ein. Zu schnell. Die Birnenfrau steht hinter mir und röchelt mir ein »Nicht, dass sie auch noch in den Oliven rummatschen« unsanft in den Nacken. Ich bedenke sie mit einem künstlichen Grinsen und ignoriere sie fortan. Wenn es in diesem Laden nicht zu einem Tumult kommen soll, muss ich Ruhe bewahren. Sie schiebt weiter. Gott sei Dank.

Die bläulich schimmernde Jacke nähert sich mir, während ich versuche, mich auf die große Auswahl der Antipasti zu konzentrieren. Schließlich soll es so aussehen, als ob ich mich nicht entscheiden kann. Wenn es sich ergibt, frag ich ihn einfach um Rat. Genau. Genial. Aus meiner Tasche erklingt das Lied von Knight Rider. Wer verdammt noch mal ruft denn genau jetzt an? Ich hole mein Handy ungeschickt aus der Tasche und starre auf das Display. Hanna. Okay, da sie mit mir diesen Plan ausgearbeitet hat und nicht weiß, dass ich eine zweite Mission gestartet habe, muss ich sie kurz auf den neusten Stand bringen. Würde nicht lange dauern, und außerdem wirke ich dabei auch noch beliebt. Das macht doch Attraktivität aus, zumindest geht es mir so. Ein Mann, an dem niemand Interesse zeigt? Nein, danke. Das nennt man umgekehrte Psychologie. Also wird aus Hanna kurzerhand Hannes. Genial. »Hi Hannes«, sage ich im vielleicht ein wenig zu aufgesetztem Tonfall. »Ja, nein, ach was, du störst nicht.«

»Rosa, was soll der Scheiß?«

»Ich bin gerade einkaufen. Ja, hahaha.«

»Okay, ich weiß nicht, was das Ganze soll, aber du wirst deine Gründe haben. Steckst du in der Klemme? Muss ich dir mal wieder aus der Patsche helfen?«

»Nein, ach das brauchst du doch nicht, lieb von dir.«

»Rosa? Ich leg jetzt auf, melde dich bei mir, wenn du wieder auf der Erde angekommen bist.«

Ich drehe mich vorsichtig in die andere Richtung, das darf doch nicht wahr sein, er hält tatsächlich bei den Pizzen. Da hat mich meine Intuition im Stich gelassen, oder war das ein Zeichen?

»Hanna, SOS, bist du noch dran?«

»Ja, was soll das Theater, Rosa?«

»Folgendes, ich musste meine Mission um ein paar Stunden verschieben. Ich versuche mein Glück jetzt im Stadtkern.«

»Wie im Stadtkern? Du bist nach Elberfeld in den Innenbezirk gefahren?«

»Dreiviertel Stunde habe ich nur gebraucht, ich bin ihm auf den Fersen.«

»Wem?«

»Das wird sich heute zeigen.«

»Das wird nichts, das kann nicht gut gehen …«

»Ganz schlechtes Karma, ganz schlecht«, zische ich ins Telefon und lege auf. Sie hat ja keine Ahnung. Der Kampf mit der Birnenfrau darf in keinem Fall umsonst gewesen sein. Ich straffe meine Schultern und steuere unauffällig auf die Angebote gegenüber den Pizzen zu. Soll er gleich wissen, dass ich eine Genießerin bin. Das, was Männer von einer Single Frau erwarten, ist bedingungslose Diät. Was nur reiner Aberglaube der Männer ist. Es wären einige überrascht, was in mich alles reinpasst. Männer kämen niemals auf den Gedanken, dass Frauen ihren Bauch auf Dauer einzogen, nur um ihnen zu gefallen. Was für ein Theater. Wieso tun Frauen das? Im Endeffekt jammern sie, dass die Männer sie nicht als diejenigen lieben, die sie wirklich sind, aber wie soll so etwas möglich sein, wenn sie vortäuschen, wer sie sind? Ein Teufelskreis, aus dem sich einfach keine Möglichkeit bietet auszusteigen. Ein Jammer, dennoch tröstet es mich darüber hinweg zu wissen, dass Männer in einer ähnlichen Situation stecken. Nicht umsonst gibt es Senioren in der Fernsehwerbung, die eine ungewöhnlich sportliche Pose einnehmen, wenn junge attraktive Frauen vorbeilaufen. Klingelts? Nun gut. Da stehe ich nun am Werbedreieck zwischen Pizza und Frauenschlüppern. Was tut man nicht alles … Ich vernehme das Öffnen der Tiefkühltruhe, dem ein Rascheln der Pizzapackungen folgt. Unauffällig drehe mich ein wenig um, schließlich muss ich ja wissen, auf welche Sorte er steht. Zeig mir deine Pizza, und ich sag dir, wer du bist. Speziale. Okay, damit kann ich gut leben. Sardelle wäre da schon was anderes. Wer will schon einem Mann, der beim Küssen fischig schmeckt? Also ich sicher nicht. Wo wir schon mal beim Geruch sind. Wie riecht nach der ganzen anstrengenden Situation mit der Nachhaltigen eigentlich mein Atem? Ich hauche in meine Handfläche und inhaliere die Luft. Hm, das könnte besser sein. Sollte ich unverhofft mit ihm ins Gespräch kommen, würde das Eis dünn werden. Oh Gott! Ohne großartig darüber nachzudenken, steuere ich schleunigst auf die Bonbonabteilung zu. Irgendwas mit Menthol… Meine Augen gleiten unruhig durch die Reihen, bis sie an einer bestimmten Sorte hängen bleiben. Extra stark, Fishermens Friend. Von denen gab es genug Werbung, um zu wissen: Sind sie zu stark, bist du zu schwach. Ich nehme die Herausforderung dankend an. Die Kassiererin wird sich sicherlich nicht daran stören, wenn ein lächerliches Bonbon die Packung vor Bezahlung den Weg in meinen Rachen findet. Gesagt, getan. Die Frische, die sich bis zu meinen Lungen vorbrennt, ignoriere ich gekonnt. Wieder zurück bei den Schlüppern und im Rücken besagten faszinierenden Mann, merke ich, wie mir heiß wird. Nicht weil mich die Begierde erdrückt. Eher weil mein Kreislauf anfängt verrückt zu spielen. Oh Gott, ich kann kaum noch atmen. Ich schnappe nach Luft. Mein Herz fängt, an schneller zu schlagen. Mit jedem neuen Atemzug wird die Luft ein wenig knapper. Bis ich anfange, besonders unattraktiv ein- und auszuatmen. Es gleicht etwa einem Hirschpaarungsruf. So in etwa kann man es noch einigermaßen sexy beschreiben. Nachdem ich keuchend mit dem Gesicht voran in dem schwarzen Meer aus Höschen lande und meine letzte Aufmerksamkeit einer blauen nahenden Daunenjacke gilt, verschwimmen kurz darauf die Bilder, die sich noch wenige Sekunden davor lebendig vor meinem Auge abspielten.

Der Stempel: VERSAGT saust mit einer so enormen Geschwindigkeit auf mich nieder, dass ich erst wieder im Krankenwagen von den lauten Sirenen aufwache. Mir kommen die letzten Worte der Birnenfrau in Erinnerung, bevor ich restlos in einem endlosen Strudel versunken war: »Das kommt davon, wenn man seine Finger in fremde Birnen steckt.« Denkwürdiger konnte mein Abgang nicht sein.

»Was ist passiert?«, frage ich den Sanitäter, als ich wieder bei Sinnen bin, der gerade dabei ist, die Infusionsflasche zu befestigen. Er schaut kurz zu mir runter, bevor er trocken antwortet.

»Sie haben einen allergischen Schock erlitten.«

»Worauf habe ich den allergisch reagiert?«, frage ich noch ein wenig benommen.

»Das weiß man nicht so Recht, aber eine ältere Frau meinte, sie hätten Mundraub begangen. Sie hielt dabei eine Packung Menthol-Bonbons wie eine Trophäe in die Höhe.«

»Daran kann ich mich gar nicht erinnern.«

»Wie auch, Sie waren ja bewusstlos. Wir fahren Sie in ein Krankenhaus, die behalten Sie sicherlich eine Nacht zur Beobachtung dort, dann dürfte es wieder gut sein.«

»Wie bitte? Das geht nicht. I… Ich habe noch zu tun.«

»So? An ihrer Stelle würde ich alle Termine absagen, die in Zukunft anstehen.«

»Was wieso das denn?«

Der Sanitäter reicht mir kurzerhand einen kleinen Handspiegel. Ahnungslos nehme ich diesen an mich und werfe einen Blick hinein. Ein Schrei des Entsetzens fährt durch den Krankenwagen.

»Was zur Hölle!«

»Deswegen nennt man es allergischen Schock«, bemerkt der Sanitäter.

So schlimm habe ich es mir nicht vorgestellt. Mein Gesicht ist auf die Größe und Form einer Wassermelone angeschwollen, meine Augen wirken so klein, dass sie kaum vorhanden scheinen. Als würde mein Gesicht kurz vor dem Platzen stehen.

»OH MEIN GOTT.«

»Keine Angst, ich habe bereits etwas gespritzt, die Schwellung wird jetzt nach und nach wieder abnehmen.«

Super! In diesem Moment bin ich froh, in die Innenstadt gefahren zu sein. In eine Stadt, wo so etwas wahrscheinlich zu Haufe vorkommt und sich bald niemand mehr an diesen Vorfall erinnern wird. Ich stoße ein kurzes Gebet gen Himmel, um nichts dem Zufall zu überlassen.

***

An meinem Krankenbett finden sich kurze Zeit später meine Mutter, Cousin, Tante, Onkel und auch Hanna ein. »Also entschuldigt mal, aber das ist ja nun kein Anlass, um hier vollzählig aufzuschlagen.«

»Lieber einmal mehr da sein als einmal zu wenig«, sagt Mama und stellt eine volle Tüte Naschereien auf die Bettdecke.

Dagegen habe ich nichts einzuwenden, was würde diese Peinlichkeit besser verdrängen als ein paar Süßigkeiten. Ich wühle sogleich in der Tüte und ziehe eine Packung Menthol-Bonbons hervor. Der Übeltäter ist schnell gefunden. Onkel Hans kann seinen Lachflash nicht zurückhalten.

»Sehr witzig!«

»Entschuldige Rosa, aber als ich das gehört habe, konnte ich es mir nicht verkneifen.«

Wer so eine Familie besitzt, braucht definitiv keine Feinde. »Mensch Hans, jetzt reiß dich aber mal zusammen«, eilt mir Tante Jutta zur Hilfe. Ich glaube es nur kurz, denn auch sie kann, nachdem sie die mitfühlenden Worte über die Lippen gebracht hat, nicht mehr richtig an sich halten und prustet lautstark los. Sie krümmt sich sogar an ihrem Lachhöhepunkt, was bei Jutta wirklich selten vorkommt. Wundervoll, nicht mal im Krankenhaus hat man seine Ruhe vor seiner Familie. Wenn sie die ganze Wahrheit rund um das Bonbon erfahren würden, wäre ich geliefert. Diese Geschichte würde dann erst zusammen mit Onkel Hans und Tante Jutta begraben werden. Damit dieses Desaster nicht passiert, versuche ich mich durch Augenzwinkern in Hannas Richtung bemerkbar zu machen. Dass sie nicht reagiert, wundert mich nicht, denn mein Zwinkern geht wahrscheinlich in meinem Gesichtsvolumen unter, und man nimmt es womöglich gar nicht erst wahr. Nur meine Mutter scheint sich ernsthafte Sorgen zu machen. Ihr mitleidiger Blick drückt aufrichtige Anteilnahme aus. »So eine Schwellung ist schnell wieder weg.«

Ich nicke stumm. Wahrscheinlich muss ich erst abnippeln, damit hier jemand ernsthaft mit mir leidet. »Wie lange musst du hierbleiben, fragt Hanna.

»Bis morgen früh«, krächze ich heiser. »Aber nur, wenn die Schwellung wieder vollständig abgeklungen ist. Ich habe gerade auf dem Flur den Arzt erwischt«, fügt Mama hinzu. »Du meinst, du hast ihn genötigt, dir Auskunft zu erteilen? Mama, ich bin fünfunddreißig und keine fünfzehn. In meinem Alter erzählt dir der Arzt nichts mehr.«

»Papperlapapp, Kind bleibt Kind«, gibt Mama streng zum Besten. Ich rolle mit den Augen, noch so ein Spruch, den ich einfach nicht mehr ertragen kann. Liegt mitunter auch daran, dass ich in ihren Augen noch immer als Single durch das Leben laufe.

»Na, dann lassen wir dich mal in Ruhe«, piepst Jutta, immer noch darauf bedacht, ihren Lachflash zu kontrollieren.

»Soll ich dich morgen abholen?«, fragt Mama und kneift mir liebevoll in die Wange. Sofort fühle ich mich in meine Kindheit zurückversetzt. Ich komme mir vor wie eine zwölfjährige.

»Nicht nötig Elfi, ich hole Rosa ab, ich hab ohnehin frei«, sagt Hanna blitzschnell.

»Super, dann wäre das ja auch geklärt. Ist ja nicht so, dass ich todsterbenskrank bin. Ich habe lediglich eine kleine Allergie.«

»Ach Rosinchen, du machst aber auch immer Sachen«, sagt Mama, bevor sie mit den anderen das Zimmer in einer Lautstärke verlässt, die es sonst nur bei Demos gibt. Man sollte meinen, ich sei aus meinem Spitznamen langsam rausgewachsen. Hanna gibt mir noch mal ein belustigtes, lautloses »OMG« zu verstehen, bevor sie die Tür schließt und ich mit meinem Gesicht wieder alleine bin. Zum Glück gibt es hier Fernsehen, sonst würde ich wahrscheinlich vor Langeweile sterben.

Meine Gedanken schweifen ab zu jenem Vorfall, und ich lasse ihn noch mal Revue passieren. Normal geht bei mir einfach nicht, so sehr ich mich auch bemühe, mein Leben in anständigen Bahnen laufen zu lassen, desto mehr erreiche ich das Gegenteil. Keine Ahnung, wie ich ständig in unangenehme Situationen gerate. Es passiert einfach. Ich habe schon etliche Male darüber nachgedacht, ob ich mit einem schrecklichen Fluch belegt worden bin.

Ein paar Stunden später schiebt sich ein höchst attraktiver Assistenzarzt vor mein Bett. Verdammt! Kämmen und ein Blick in den Spiegel wäre in der langen Zeit, in der ich hier bin, drin gewesen. Stattdessen liege ich total zerzaust im Bett und will gerade die Dokumentation, die im Hintergrund läuft, ausstellen, als der sexy Doc sagt: »Ach lassen Sie das ruhig an Frau Schwarz, ich wollte nur mal kurz nach ihrem Gesicht sehen.«

Als er meinem Namen ausspricht, bedenkt er mich mit einem zaghaften Lächeln. Flirtet er mit mir? Wie soll ich denn jetzt bitte zurückflirten? Das ist schier unmöglich! Ich könnte einiges mit meiner Stimme rausreißen, so wie es die Italiener tun. Da diese eh gerade ein wenig heiser ist, ist es der perfekte Moment, diese Strategie zu testen. Wer sagt mir denn, dass nicht er der richtige Mann für mich ist? Ich schaue auf seine Hände, um nicht in eine komische Situation zu kommen, in der ich mich irgendwie ohnehin schon befinde. Okay, kein Ring. Das ist ein Zeichen.

»Das ist äußerst nett von Ihnen nach mir zu sehen.« Das Wort sehen ziehe ich dabei verführerisch in die Länge und drehe mich im Bett ein wenig zur Seite. Wobei ich darauf achten muss, mich nicht zu viel zu bewegen, denn schließlich stecke ich in einem Krankenhausnachthemd, welches hinten offen ist. Ich hatte noch keine Lust, die Tasche, die Mama mir mitgebracht hatte, zu öffnen und mich umzuziehen.

Sexy Doc bedenkt mich mit einem Stirnrunzeln, was ihn für mich nur noch attraktiver macht. Wie kann man bitte mit tausend kleinen Falten auf der Stirn noch immer so verdammt gut aussehen? Es ist mir ein Rätsel. »Das ist mein Job«, gibt er trocken zurück.

Shit, das Drehen war ganz sicher zu viel. Hat er einen unangenehmen Einblick erhalten? Ich habe ihn verschreckt, der gütige Klang, der vorher in seiner Stimme mitgeschwungen ist, hat an Härte gewonnen. Gerade als er erneut ansetzt, um mir etwas mitzuteilen, sehe ich, wie sich zwei Schildkröten begatten. Die Geräusche, die im Hintergrund leise mitschwingen, bewirken einen aufsteigenden Lachanfall bei mir. Verzweifelt versuche ich meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu bekommen, damit ich nicht desinteressiert wirke.

»Ist bei Ihnen alles in Ordnung? Sie wirken … verkrampft.«

»Alles bestens«, versuche ich die Situation herunterzuspielen und hoffe, dass er sich nicht zum Fernseher dreht. Wie der Zufall es will, tut er genau das.

»Ah, deswegen sind sie abgelenkt.« Auch er kann sich ein Grinsen nicht verkneifen, was die Situation ein wenig auflockert.

»Also, sprechen wir mal über ihre allergische Reaktion …«

Gebannt starre ich auf seine Lippen, sodass ich kaum wahrnehme, was er zu mir sagt. Der Moment kommt mir vor wie in Zeitlupe. Wie er sich leicht mit seiner Zunge über die Lippen fährt. Oh man. In meinem Unterleib beginnt es zu zucken. Meine Wangen fangen an zu glühen, und ich merke, wie mir die Röte ins Gesicht schießt. Bei meinem derzeitigen Gesichtsvolumen stechen diese vermutlich ganz besonders hervor. »Soweit habe ich Ihnen ja alles erklärt, haben Sie noch Fragen?«

»Äh, nein«, stottere ich. Ich kann ihn unmöglich bitten, alles noch einmal zu wiederholen.

»Okay, ich sehe morgen noch einmal nach Ihnen, wenn ihre Blutwerte in Ordnung und die Schwellung zurückgegangen ist, können Sie wieder nach Hause.«

Ich grinse ihn breit an. Aus seinem Mund klingt alles sexy, und in mir keimt der Gedanke auf, dass dieser Unfall eine glückliche Fügung meines Schicksals sein könnte. Meine Reaktionsgeschwindigkeit muss an den Medikamenten liegen, die ich intus habe.

Der Luftzug, der mich ereilt, verrät, dass er bereits das Zimmer verlassen hat, bevor ich überhaupt realisiere, was da gerade passiert ist. Ich würde sagen, alles in allem ein Krankenhausaufenthalt, so wie man ihn sich wünscht. Na klar!

Mein Blick wandert durch das karge Zimmer. Ein wenig zu unterkühlt für meinen Geschmack. Einzig die senffarbenen Gardinen hauchen dem Raum ein bisschen Leben ein, und die sind nicht einmal besonders dekorativ. Ich setzte mich aufrecht hin. Mein Kopf fängt an zu dröhnen. Sanft massiere ich mir die Schläfen und taste über mein geschwollenes Gesicht. Ich schlage die Bettdecke beiseite und schwinge meine Beine aus dem Bett. Ein wenig zu eifrig, wie ich bei meinem ersten Schritt feststelle. Meine Beine fühlen sich wie Wackelpudding an. Wie eine Schnecke bewege ich mich zu meiner Reisetasche, die meine Mutter mir mitgebracht hat und anschließend Richtung Badezimmer, wenn man es so nennen kann. Der Raum ist so winzig, dass es mich wundert, eine Dusche darin vorzufinden. Ich trete an das Waschbecken und betrachte das Elend im Spiegel. »Was für ein katastrophaler Tag«, entgegne ich meinem Spiegelbild, welches mir nickend zustimmt.

Ich stelle die Reisetasche auf dem Toilettendeckel ab und ziehe meinen Jogginganzug hervor, den nur Hanna eingepackt haben kann. Meine Mutter würde sich in meinem Kleiderschrank Chaos niemals so gut zurechtfinden, dass sie ausgerechnet mein Lieblingsstück hervorkramt. Auf Hanna ist eben Verlass. Dankbar befreie ich mich von dem lästigen Kittel und schlüpfe in meinem Anzug. Sofort steigt mein Wohlfühlbaromter. Ich drehe den Wasserhahn auf und kühle mein Gesicht damit in der Hoffnung, die Schwellung damit schneller in den Griff zu bekommen. Vorsichtig tupfe ich mit dem Handtuch, das neben dem Waschbecken hängt, darüber. Schminkreste bleiben auf dem grellen Weiß zurück. Stöhnend hänge ich es zurück und mache mich auf dem Weg zurück ins Bett.

Kapitel 2:

Das Beste draus machen

Gerade mal zwei Stunden habe ich diese Nacht geschlafen. Ich starre auf mein Handy, welches am Ladekabel auf meinem Beistelltisch liegt. Sechs Uhr. Nachdem ich zwei geschlagene Stunden durch das Fernsehprogramm gezappt bin, kriege ich Kaffeedurst. Mein Blick fällt auf die Krankenhausunterlagen auf meinem Nachttisch. Ich blättere durch und entdecke die hauseigene Cafeteria. Perfekt. Schlage ich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Ein kleiner Spaziergang und mein Kaffee sind mir obendrein sicher. Bis zum Frühstück würden noch zwei Stunden vergehen. Ich mache drei Kreuze, wenn die Visite vorbei ist und ich nach Hause darf.

Nachdem ich mir meine Zähne geputzt, meinen Körper unter der winzigen Dusche abgebraust und meine welligen Haare zu einem Dutt gebunden habe, fühle ich mich gleich besser. So eine Dusche kann Wunder bewirken. Auch mit meinem Spiegelbild kann ich mich heute wesentlich besser anfreunden. Zwar ist die Schwellung noch nicht vollständig zurückgegangen, aber ich erkenne zumindest meine Gesichtszüge.

Ich öffne meine Zimmertür und schaue auf den menschenleeren Gang. Aus einiger Entfernung höre ich Geklapper, welches vermutlich auf einen Geschirrwagen zurückzuführen ist. Ich folge den aufgemalten Pfeilen auf dem Boden und muss mich erst mal orientieren, als ich auf der Mitte des langen Ganges stehe. Ich recke meinen Kopf um das Schild, welches sehr weit oben hängt, lesen zu können. Zu den Fahrstühlen befinde ich mich auf dem richtigen Weg. Wunderbar. Nach ungefähr zweihundert Metern vernehme ich schon das brummende Geräusch, dem ein »Ping« folgt. Die Cafeteria befindet sich im Erdgeschoss. Als ich den Fahrstuhl erreicht habe, betätige ich den Knopf. Hastige Schritte nähern sich. Gerade als die Türen schließen, schiebt sich ein Arm in die schmale Öffnung, sodass mir ein schriller Schrei entfährt. Meine Augen sind entsetzt auf den Arm gerichtet, dem ein großgewachsener Körper mit einem charmanten Lächeln folgt, als die Türen mit einem Ruck wieder auffahren.

»Oh, entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken.« Ich will gerade etwas erwidern, als ich erkenne, wer dort vor mir steht. Niemand geringerer als Sexy Doc. Ich werde verlegen. Schon immer ein Problem von mir: In Gegenwart von schönen Männern verschlägt es mir die Sprache, und ich fange an zu stammeln.

»Oh, Frau Schwarz, Sie sind es. So früh schon wach? Haben Sie nicht gut geschlafen?«, sein Lächeln ist so herrlich natürlich.

»Äh, d… doch. Das heißt nein. Nein, ich konnte nicht gut schlafen«, presse ich mühevoll hervor und beiße mir im selben Moment auf die Zunge. Small Talk ist nicht mein Ding, schon gar nicht um die Uhrzeit und nach einer schlaflosen Nacht.

»Ja, die Betten sind nicht sonderlich bequem«, gibt er zu und zuckt dabei mit den Schultern, während er auf die zweite Etage drückt.

Verstohlen blicke ich zu ihm herüber und bemerke die tiefen Schatten unter seinen Augen. »Haben Sie die Nacht durchgearbeitet?«, frage ich schon fast ein wenig besorgt.

»Ja, um Zehn habe ich Schichtwechsel.« Seine Stimme wirkt fast ein wenig heiser.

»Wow, das ist eine … lange Zeit«, versuche ich das Gespräch am Laufen zu halten.

»Man gewöhnt sich dran, wenn nicht allzu viel zu tun ist, kann man sich nachts ein bisschen aufs Ohr legen, daher weiß ich, wie unbequem die Betten sind.« Er zwinkert mir zu.

Die Lampe blinkt auf, und der Fahrstuhl suggeriert mit einem weiteren Klingelton, dass wir uns auf der zweiten Etage befinden.

»Dann bis später«, ruft er mir im Gehen zu und blättert währenddessen in einer Akte.

»Ja, bis dann«, antworte ich, glaube aber nicht, dass er es vernommen hat, weil sich die Türen in dem Moment schon wieder schließen. Puh, mir wird schwindelig. Sein Geruch hängt immer noch in der Luft. Eine Mischung aus Natur und einem Hauch Parfüm, was vermutlich noch von gestern haften geblieben ist.

Endlich bin ich im Erdgeschoss angekommen. Mein Magen knurrt, als mein Gehirn den frisch duftenden Kaffee meldet, der sich auf der gesamten Etage ausgebreitet hat. Nur unterschwellig riecht man noch das Desinfektionsmittel, das für mich mit dem typischen Krankenhausgeruch einhergeht. Meine Crocs quietschen auf dem gummiüberzogenen Boden, sodass keinem entgeht, dass ich hier bin.

Zu meinem Erstaunen sitzen schon vereinzelt Menschen auf den Plätzen vor dem Kiosk. So groß hätte ich mir diesen nicht vorgestellt. Auf den Bildern wirkte er viel bescheidener. Da Besucher um diese Zeit noch nicht erlaubt sind, musste es sich ebenfalls um Patienten handeln. »Guten Morgen«, zwitscherte ich so freundlich, wie es mir um diese Zeit möglich ist. Der Mitarbeiter, der gerade die frischen Brötchen in der Auslage verstaut, drehte sich zu mir um. »Guten Morgen, ich habe Sie gar nicht bemerkt. Kleinen Moment.«

Er lächelt und weiß augenscheinlich sofort, was ich möchte. Er deutet auf den Kaffeeautomaten.

Ich lächle und warte geduldig, bis er fertig ist.

»Was darf es sein?«, fragt er und wischt sich seine Hände an seiner Schürze ab. Meine Augen hängen noch an der üppigen Auslage, die einer kleinen Bäckerei gleicht. »Einen großen Cappuccino und ein Schokocroissant«, sage ich ein wenig zögerlich, mich selbst hinterfragend, ob ich lieber darauf verzichten sollte, da es bald Frühstück gibt. Ehe ich mich umentscheiden kann, wird das Croissant auch schon in einer Tüte verstaut. Der Mann ist am frühen Morgen schneller als ein ICE.

»Gute Wahl«, bestätigt er mir meine Bestellung und setzt den To-Go Becher unter die Maschine. »Darf er mit Karamellsirup sein?«, fragt er schon mit der Flasche bewaffnet.

»Auf jeden Fall, immer rein damit«, entgegne ich ein wenig perplex. Die Cafeteria ist besser ausgestattet als manches Café in der Innenstadt.

»Wie lang bleiben Sie hier?«, fragt er beiläufig, während die bräunliche Flüssigkeit in den Becher läuft.

»Mit viel Glück, werde ich nach der Visite entlassen. Ich war nur zur Beobachtung hier.«

Er zieht die Augenbraue in die Höhe, was mich veranlasst Rechenschaft abzulegen. »Allergischer Schock«, sage ich beiläufig.

»Ah, da gibt es gravierend schlimmere Aufenthalte. Scheint bei Ihnen glimpflich ausgegangen zu sein.«

Wie man es nimmt, denke ich und bin kurz versucht mit den Augen zu rollen, habe aber kein Interesse daran, dass sich dieses Gespräch unnötig ausweitet.

»Macht zehn Euro dreißig«, sagt der freundliche Mitarbeiter. Ich räuspere mich, weil ich das Gefühl habe, dass mir die Spucke im Hals kleben bleibt. Das sind Preise wie in einem Fünf Sterne Hotel.

»Stimmt etwas nicht?«, fragt er, als ich wie in Zeitlupe meinen Geldbeutel öffne.

»Nein, alles in Ordnung, für einen kurzen Moment habe ich gedacht, sie hätten zehn Euro dreißig gesagt.«

Als ich wieder aufblicke, stellt er gerade meinen Becher auf der Theke ab. »Das habe ich auch.«

»Ist nicht gerade günstig«, bemerke ich und presse die Lippen zusammen.

»Das stimmt, aber dafür schmeckt es.« Er nimmt meinen Schein entgegen und mein Kleingeld, welches ich abgezählt in die kleine Schale lege.

»Vielen Dank«, sage ich und greife nach meinem Getränk und dem Croissant.

»Alles Gute für Sie«, ruft er noch hinter mir her, als ich schon fast um die Kurve verschwunden bin.

Ich nehme den ersten Schluck auf dem Weg nach oben im Fahrstuhl. Die Tüte klemme ich mir vorsichtig unter den Arm und verteile mit dem Holzstäbchen das Karamell. Beim zweiten Schluck stöhne ich genussvoll auf. Es geht nichts über den ersten Kaffee am Morgen, auch wenn dieser ein Wucher ist. Ich drücke auf die vier und warte, bis sich die Türen schließen, bevor ich den nächsten Schluck nehme. Ruckelnd setzt er sich in Bewegung. Diesmal kommt mir die Fahrt kürzer vor, die Türen öffnen sich, und ich will gerade loslaufen, als ich auf Widerstand stoße. Der heiße Kaffee durchtränkt mein Oberteil, und ich schreie entsetzt auf und versuche den Stoff von meiner Haut irgendwie fernzuhalten.

»Das tut mir leid«, stammelt jemand entsetzt, dessen Umrisse ich nur schemenhaft erkenne. Meine Haut brennt wie Feuer. Erst als ich aufblicke, nehme ich den Übeltäter wahr. Natürlich.

»Sieht ganz so aus, als müssten wir uns jetzt auch noch um Verbrennungen kümmern«, meint niemand geringerer als Sexy Doc. Ich bin so entgeistert, dass ich kein Sterbenswörtchen über die Lippen bringe. Der Schmerz treibt mir die Tränen in die Augen, und ich habe damit zu kämpfen, nicht wütend loszuschimpfen. In seiner Gegenwart jedoch fällt es mir schwer. Bei seiner Aura verschlägt es mir regelrecht die Sprache, und ich fühle mich, als hätte ich einen mit der Bratpfanne übergezogen bekommen. Sexy Doc verlässt den Fahrstuhl, kommt im nächsten Moment aber wieder mit einem großen Stapel Papiertüchern zurück, hält mir welche vor die Nase und macht sich daran, den Boden von den Kaffeespritzern zu befreien. Was ihn in diesem Moment wahnsinnig symphytisch macht. Er ist sich nicht zu fein, das Missgeschick zu beheben. Ich tupfe auf meiner Joggingjacke herum und bin froh, dass diese schwarz ist und die Flecken nicht sofort zu erkennen sind.

»Ich schau mir das gleich mal an. Tut es sehr weh?«, fragt er mich, als er sich wieder aufrichtet. Unsere Blicke treffen sich. In meinem Magen hebt ein Schmetterling zu einem kleinen Rundflug ab. »Geht schon. Ich glaube, das war nur der erste Moment des Schrecks«, sage ich beschwichtigend. Der Kaffee ist auf meiner Brust gelandet, und ich habe nicht vor, ihm die unter die Nase zu halten.

»Ping.«

Erst jetzt realisiere ich, dass ich hätte aussteigen müssen und mit ihm bis in die zehnte Etage gefahren bin.

»Also, dann noch mal, bis später, Frau Schwarz.«

»Ja, bis dann«, sage ich etwas peinlich berührt und drücke erneut auf die vier.

»Und halten Sie sich etwas weiter hinten auf, wir wollen doch nicht, dass Ihnen das ein zweites Mal passiert.«

Mit einem versteinerten Grinsen nicke ich und atme lange aus, nachdem sich die Türen geschlossen haben. Mein Croissant liegt immer noch am Boden. Ich hebe es auf und frage mich, wieso er sich meinen Namen so gut merken konnte. Waren da Vibes zwischen uns in der Luft, die ich verfolgen sollte?

Auf meiner Etage angekommen trotte ich in mein Zimmer. Das hat sich angefühlt wie ein halber Vormittag. Dabei waren gerade mal fünfundvierzig Minuten vergangen. Ich stelle den Kaffee ab und wühle in meiner Tasche nach einem frischen Oberteil. Gott sei Dank, war Hanna so umsichtig, mir ein weiteres einzupacken.

Fertig umgezogen sitze ich mit dem, was von meinem Kaffee übrig ist im Bett und beiße herzhaft in mein Croissant. Der Kioskmitarbeiter hatte recht, jeder investierte Cent in diesen Gaumenschmaus hat sich gelohnt. Ich darf nicht vergessen, um acht im Büro anzurufen. Nico wird wenig begeistert sein, dass ich ausfalle, so bleiben die Kundenakquisen und jeder Mist, der reinkommt an ihm hängen, zumindest die dringenden Fälle, den Rest wird er auf meinen Schreibtisch legen, wie ich ihn kenne. Ich schnappe mir die Fernbedienung, weil ich keine Lust habe, Löcher in die Luft zu starren, obendrein muss ich es ausnutzen, morgens mal das Frühstücksfernsehen zu gucken, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Luxus.

Es dauert einen Moment, bis ich den Sender und die passende Lautstärke eingestellt habe. Gerade wird der Datedoktor Emanuel Albert angekündigt. Welch ein Zufall. Erst der heiße Arzt, und dann erscheint auch noch ein Datingratgeber auf der Bildfläche. Schicksal? Das Thema, um das es sich dreht, lautet: Wie erhält man die Liebe aufrecht in einer langen Beziehung. Das ist genau mein Ding.

Es prasseln so viele neue Informationen auf mich ein, dass eine Step-by-Step Anleitung angebracht wäre. Die Theorie ist das eine, in der Praxis sieht es schon wieder anders aus.

Wenn ich zurück an die Beziehung mit Flo denke … er war immer zufrieden, hatte gar nicht gemerkt, dass wir uns Stück für Stück voneinander entfernt haben. Ich meine, wenn die einzige Gemeinsamkeit darin besteht, zusammen Fernsehen zu schauen, ist die Beziehung so gut wie tot. Zum Problem wird es nur, wenn einer zufrieden ist mit dieser Alltagssituation, in dem Fall: Flo. Ich schüttele den Kopf. Ich kann bis heute nicht verstehen, warum er nicht aufgewacht ist. Vielleicht war er auch gar nicht mehr gewillt, ich werde es wohl nie erfahren. Der Datedoktor kommt jetzt erst richtig in Fahrt, kann er doch nicht verstehen, warum man dem Partner nicht ab und zu eine kleine Freude bereiten will. »Betonen, man muss es betonen, wie zum Beispiel: Eigentlich habe ich keine Zeit, aber komm, ich trage den Einkauf für dich hoch, ich bereite dir das Abendessen zu, denn auch du hattest einen harten Tag. Das sind die Kleinigkeiten in einer Beziehung, die am Ende des Tages zählen.« Er überschlägt sich fast beim Sprechen. Ich kann ihm nur zustimmen. Genau das ist es, ein Geben und ein Nehmen. Ich trinke den restlichen Schluck aus und stecke mir den letzten Bissen in den Mund. Drehe mich auf die Seite und kuschle mich unter der Bettdecke ein. Mein Schlafmangel macht sich bemerkbar. Mit einem herzhaften Gähnen schließe ich meine Augen und lausche dem Fernseher. Nur noch fünf Minuten.

Unterbewusst nehme ich dumpfes Gemurmel wahr. Verschlafen öffne ich meine Augen. Es dauert einen Moment, bis ich mich orientiert habe. Als ich realisiere, wo ich mich befinde, wird mir klar, was das Gemurmel vor der Tür bedeuten könnte. Die Visite. Herrje. Ich sehe an mir herunter, wische die restlichen Krümel von der Bettdecke und setzte mich aufrecht hin. Den Fernseher schalte ich diesmal in weiser Voraussicht aus. Nachdem sich nichts weiter tut, starre ich auf mein Handy. Großer Gott, schon fast halb neun. Nervös entsperre ich das Display und wähle die Nummer von Nico.

»Rosa, schön dass du dich auch mal meldest.«

Das geht gut los.

»Hi Nico, du ich muss mich für heute krankmelden.«

»Was? Wieso, was ist los?«

Tatsächlich klingt mein Workaholic Chef besorgt, ich kann nur nicht zuordnen, ob die Sorge mir gilt oder der Arbeit, die liegen bleibt.

»Ich hatte gestern einen allergischen Schock. Bin ohnmächtig geworden und noch zur Beobachtung im Krankenhaus.«

»Großer Gott, gegen was bist du denn allergisch? Wusstest du das nicht vorher?«

»Nein, sonst wäre mir das wohl kaum passiert.«

»Wie lange musst du bleiben?«

»Es ist nicht weiter schlimm, ich werde heute wieder entlassen.«

»Also bist du morgen wieder da?«

»Ich denke schon.« Die Türglocke läutet, das kann ich deutlich durch den Hörer wahrnehmen.

»Kundschaft. Ich muss auflegen.«