Der Mann, der vergewaltigt wurde - Regula Buder - E-Book

Der Mann, der vergewaltigt wurde E-Book

Regula Buder

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Beschreibung

Regula Buder: Die wirklich großen Ereignisse Manfred Schröder: Tuomas Christof Ropertz: Der Feen-Agent W. Brenner: Der Tod, der Selbstmord und das Leben danach István Kalász: Der Himmel dazwischen Felix Clervaux: Der Mann, der vergewaltigt wurde Christiane Stüber: Henriette Josef Haider: Die gar nicht mal so traurige Geschichte. Susanne Weinhart: Vermächtnisse Karin Reddemann: Onkel Hartmut kommt Christian Heynk: Scharlachroter Honigesser

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Der Mann, der vergewaltigt wurde

Und andere Geschichten

Herausgegeben von Ronald Henss

Dr. Ronald Henss Verlag

Sudstraße 2

66125 Saarbrücken

www.ronald-henss-verlag.de

[email protected]

© Alle Rechte bei den Autoren

Umschlaggestaltung: Ronald Henss unter Verwendung des Gemäldes „Sitzende Frau“von Egon Schiele (1890-1918)

eBook im epub-Format

ISBN   978-3-939937-64-7

Weitere Ausgaben

ISBN   978-3-9809336-8-1  (Buch)

Inhalt

Regula Buder: Die wirklich großen Ereignisse

Manfred Schröder: Tuomas

B. Richard: Verwischte Bilder

Christof Ropertz: Der Feen-Agent

Willi Brenner: Der Tod, der Selbstmord und das Leben danach

István Kalász: Der Himmel dazwischen

Felix Clervaux: Der Mann, der vergewaltigt wurde

Christiane Stüber: Henriette

Josef Haider: Die gar nicht mal so traurige Geschichte vom Puzzlebauer, der ...

Susanne Weinhart: Vermächtnisse

Karin Reddemann: Onkel Hartmut kommt

Christian Heynk: Scharlachroter Honigesser

Über die Autoren

Regula Buder

Die wirklich großen Ereignisse

Wir sitzen hier zusammen und warten. Und wenn wir müde werden, sitzen wir nur noch oder gehen schlafen. Wir warten auf die großen Ereignisse, das heißt, ich warte, und der Karl, mein Mann, der leistet mir Gesellschaft.

Wenn ich ihn etwas frage, grinst er mich an. Karl ist zufrieden, sein großes Ereignis ist wohl schon eingetreten. Vielleicht an dem Tag, als er beschloss, sich nicht mehr an mich zu erinnern. Doch damit stand ich nicht alleine da, auch seinen Chef erkannte er nicht mehr. Ich glaube, der Chef nahm es noch härter. „Was ist denn mit dem Karle?“, stammelte er nur immer wieder und trank dem Karl sein Bier auch noch aus, weil der Karl vergessen hatte, wozu das gut sein sollte.

Ja, so sitzen wir also beisammen und warten.

Und es müssen große Ereignisse sein, erschütternd genug, um uns aufzurütteln. Die niedergestochene Ehefrau zählt nicht. Nicht weil sie Ausländerin war, nein, daran haben wir uns ja gewöhnt. Sie zählt nicht, weil um die Ecke geschehen. Gestern, heute und auch übermorgen wird’s wieder eine geben. Das ist lästiger Alltag, wie die Mülltonnen, die nicht rechtzeitig geleert werden und dann stinkend überquellen. Auch nicht die Kinderzimmerdramen. Wer interessiert sich denn schon dafür? Vielleicht jene, die selbst keins erlebt haben, aber gibt es das denn überhaupt noch? Wir können uns ja für die Abschaffung von Kinderarbeit einsetzen, irgendwo weit weg, das macht sich gut. Und das „Made in China“-Etikett lässt sich hervorragend aus dem neuen Kleid entfernen, Schnäppchen sollten nie verschmäht werden, denn wer den Rappen nicht ehrt ...

Herr Nauer starb, vergangene Woche. Ja, das ist eine Tragödie, so ein netter Herr. Kaum älter als wir, sicher noch keine siebzig, aber wie das Leben so spielt. Immerhin noch etwas geleistet in seinem Leben hat er, doch die arme Frau, was nur aus der werden wird? Aber daran wollen wir lieber erst gar nicht denken.

„Du sollst nicht zu viel daran denken, sonst ereilt dich das gleiche Schicksal.“ Mutters Worte, und die muss es gewusst haben. Immer hat sie am Abend gebetet, „Herrgott beschütze uns und lass nicht zu, dass wir krank werden oder gar einen Unfall haben.“ Und dann eines Tages kam der Lastwagen, kurz vor dem Mittagessen, und überfuhr sie, die Einkäufe dazu. Sie kam grad vom Supermarkt zurück. Und wir bekamen Pommes an jenem Tag, im Restaurant um die Ecke, denn unsere Einkäufe waren ja überrollt. Aber irgendwie hatte ich keinen Hunger mehr. Und ich habe doch Pommes über alles geliebt, Mutter wohl auch, aber sie hätte nicht immer davon sprechen sollen, schon gar nicht mit dem lieben Gott.

Heute wird es aufregend, denn mein Mann ist weg, immer einmal die Woche, kreative Beschäftigung heißt seine Verabredung, sie holen ihn ab. Da hab ich dann mal ein paar Stunden für mich. Ich kann einkaufen gehen und dann in der Konditorei vorbeisehen, vielleicht gibt es was Neues bei der Rosie.

Einmal wäre beinahe was geschehen, da wollte der Karl, mein Mann, weglaufen. Zumindest haben sie das gesagt. Natürlich haben sie es rechtzeitig bemerkt, und seitdem sind die Türen zugeschlossen. Nein, natürlich nicht nur wegen ihm, es gibt ja noch andere. Ja, manchmal immer noch etwas zu forsch, die alten Herren, glauben wohl, da draußen noch das große Abenteuer zu finden.

Doch immerhin ein Unterbruch, einmal die Woche. Und der Herr vom Transport ist auch ganz nett. „Küss die Hand, gnädige Frau“, das sagt er immer zu mir.

Und der Karl grinst blöd, ja, so etwas wäre dem nie über die Lippen gekommen. „Und bitte pünktlich das Abendessen, mein Schatz“, das waren Karls Worte, jeden Tag, als ob ich je zu spät gewesen wäre. Vielleicht gab’s einfach keine anderen Worte mehr in seinem Hirn, wäre ja möglich. Da ist mir sein Schweigen nun doch lieber. Das Grinsen könnte er allerdings unterlassen, das ist dann doch etwas peinlich. Leichte Destabilisierung der emotionalen Gefühlslage, so hat das die Frau Doktor genannt.

Ja, und da war noch jener Tag, der hat mein Leben verändert. Es war Dienstag, kreativer Beschäftigungstag, wie immer dienstags. Ich habe dem Karl extra noch den roten Pullover angezogen, als hätte ich was geahnt, so geschieht das doch manchmal im Leben. Punkt neun Uhr hat es geklingelt, und in derselben Sekunde habe ich die Türe aufgerissen. Etwas heftig vielleicht, ich gebe es ja zu, aber ich habe doch so auf das Küss-die-Hand gewartet. Und da steht so ein Jüngling vor der Tür, kaum mal aus den Windeln, denk ich mir, das Gesicht voller Pickel. „Ich bin hier, um den Herrn ... ja, eben den Herrn abzuholen.“ Feuerrot hat er in seinen Zetteln gewühlt, doch Karls Name war verschwunden.

„Meinen Mann, meinen Sie?“, und der Junge nickte dankbar.

Hätte ich ihm nicht trauen sollen? Was, wenn er meinen Mann entführen wollte? Bereits sah ich mich dem Journalisten gegenübersitzen und die traurigen Fragen beantworten. Wann ich ihn denn zum letzten Mal gesehen hätte, meinen Karl, und so weiter. Doch da stand der Karl auch schon hinter mir und grinste. Und mir war eingefallen, dass den sicher niemand wollte, schon gar nicht freiwillig. Wahrscheinlich hätte ich dem Jungen noch was zustecken müssen. Also ließ ich Karl mit ihm ziehen.

Bis zum Nachmittag verlief alles normal. Ich machte mich, wie immer dienstags, auf den Weg in die Konditorei, sicher wusste Rosie etwas Neues. Zudem lag Rosies Lokal nicht weit weg von Karls kreativer Beschäftigung, und manchmal ging ich kurz vorbei, das Gefühl, ohne ihn wieder weggehen zu können, war immer ein ganz besonderer Genuss.

Doch an jenem Tag kam es nicht so weit. Soeben hatte ich die Türe zu Rosies Konditorei geöffnet, als mir diese auch schon entgegenstürzte. „Meine Ärmste!“, rief sie und streckte mir beide Hände entgegen.

Nun ja, es war nicht leicht mit Karl, aber so viel Theater war auch nicht angebracht. Doch schon hatte Rosie angefangen zu sprechen, hastig verschluckte sie die Hälfte und immer wieder musste ich nachfragen. Ein Unglück, stammelte sie, der Praktikant habe die Türe nicht abgeschlossen und da sei er entwischt, mein Karl. Geradewegs auf die Straße gerannt, der Lastwagen hatte keine Chance, und der Karl natürlich auch nicht. Grad da vorne um die Ecke sei es geschehen. Ich ließ mich auf einen Stuhl sinken und mir ein Glas Wasser bringen. Soeben sei die Ambulanz weggefahren, das habe der Bäckerlehrling erzählt, der sei extra nachschauen gegangen. Doch die hätten nichts mehr machen können.

Stoisch habe ich am Wasser genippt. Schon wieder ein Lastwagen, ob mein Karl nun genauso platt war wie Mama? Nun, daran wollte nicht mal ich denken. Vielleicht wäre mein Leben glücklicher verlaufen, gäbe es keine Lastwagen. „Ich begleite dich“, hatte mir Rosie anerboten und aufgeregt dem Polizisten gewunken, der soeben in der Türe erschienen war. „Hier, das ist die Witwe, die Ärmste, ich meine die Frau von dem Mann, der soeben da draußen ... Er ist doch tot?“

Rosie hatte angefangen zu stammeln, doch der Polizist beruhigte sie. „Ja, tut mir sehr leid, wir konnten nichts machen.“

Da hatte ich mein Taschentuch gezückt, frisch gebügelt, ich habe immer eines extra dabei, für Unvorhergesehenes, und dies war der Moment. Also nahm ich das Taschentuch und tupfte meine Augenwinkel, so wie die das im Film machen.

„Würden Sie mich bitte begleiten, wir müssen die Leiche, verzeihen Sie mir, wir müssen Ihren Herrn Gemahl identifizieren.“ Das waren die Worte des Polizisten gewesen.

Ich schniefte ein wenig und erhob mich dann. Gestützt auf seinen Arm verließ ich die Konditorei. Er war muskulös und fesch anzusehen, und ganz gerne hätte ich stolz das Kinn in den Himmel gestreckt. Seht nur, mit was für einem attraktiven Mann die unterwegs ist, hätten sich die Leute da gedacht. Doch das schickte sich nicht, schließlich war mein armer Karl soeben von einem Lastwagen überfahren worden. Also ließ ich den Kopf etwas vornübergeneigt in Richtung seiner Schulter fallen und folgte ihm zum Wagen. Er öffnete die Türe und wollte mir beim Einsteigen behilflich sein, doch ich wehrte ab. Alles was recht war, aber so alt war ich dann doch noch nicht, konnte noch gut und flink in ein Auto einsteigen. Der Fahrer nickte betreten, er wusste Bescheid.

Während der ganzen Fahrt habe ich auf den Nacken des Polizisten gestarrt und an Pommes gedacht. Wie waren die damals, bei Mutter, nur auf die Idee gekommen, uns Pommes zum Mittagessen zu geben? Hätte ja leicht sein können, dass ich nie mehr in meinem Leben Pommes angerührt hätte, und wo diese doch zu meinen Lieblingsspeisen gehörten.

Dann kam der Wagen zum Stehen, das Gebäude an der Rückseite der Klinik war alt und schäbig. Galant öffnete mir der Polizist die Wagentüre und half, nur ganz wenig, beim Aussteigen. Im Normalfall hätte ich das gut alleine geschafft, doch das war ja kein Normalfall. Nein, schließlich lag mein Karl, oder das, was von ihm noch übrig war, irgendwo da drinnen und wartete auf mich. Also nahm ich die Hand des Polizisten und ließ mir beim Aussteigen helfen. Er bot mir seinen Arm an, und so sind wir zusammen durch das alte Portal geschritten. Und wie ich da so ging, musste ich an unsere Hochzeit denken. So war ich doch neben Karl aus der Kirche gewandelt, damals war noch alles in Ordnung gewesen. Es muss dieser Gedanke gewesen sein, der mir nun doch noch die Tränen in die Augen trieb. Hinter uns hatte der Fahrer die Türe geschlossen, und ich konnte die Kälte spüren. Auf keinen Fall sollte mein weißes, gestärktes Taschentuch mit schwarzer Schminke verunreinigt werden, und so nahm ich das Papiertaschentuch aus den Polizistenhänden dankend an.

Bei Mutter hat das die Nachbarin erledigt, wir Kinder waren ja noch zu klein, sonst hätte ich gewusst, wie das geht. Aber so war ich völlig unvorbereitet auf das, was kam. Zuerst musste ich mich setzen und dann haben sie Fragen gestellt. Papiere wurden ausgefüllt, ob mein Mann einen roten Pullover getragen hätte, heute. Ich habe nur genickt und das Schluchzen unterdrückt. Irgendwie war das Ganze doch sehr traurig, vor allem all die Gesichter von diesen Leuten um mich rum. Sie brachten mir Wasser und einen Kaffee, ich könne auch was Stärkeres haben, meinten sie. Das, was nun kommen würde, sei nicht ganz einfach. Nun, das konnte ich mir denken. Wie sollte ich denn erkennen, dass es mein Karl ist? Solche Begegnungen mit einem Lastwagen sind nicht sehr vorteilhaft. Seltsam nur, dass gerade den Karl ein solches Schicksal ereilte, nie hatte er von Unfällen oder gar von Lastwagen gesprochen.

Nach geraumer Zeit erhoben wir uns und schritten den Gang entlang. Geräuschlos öffneten sie die Türe und führten mich mit gesenktem Kopf in den Raum. „Wie in einen Gerichtssaal“, schoss es durch meinen Kopf, nur war es da drinnen saukalt. Doch das musste wohl so sein, schließlich waren wir hier ja bei den Toten. Würdevoll schritt ich zum Wagen, noch verhüllte das grüne Tuch das Unglaubliche.

„Sind sie bereit?“ Das war der Polizist, der mir diese Worte ins Ohr raunte.

Ich wollte „Ja“ sagen, aber das Wort blieb mir in meinem ausgedorrten Rachen stecken. Also nickte ich und fasste seine Hand. Konnte ja nicht schaden, dachte ich mir. Zudem bekommt man nicht alle Tage solche Hände zu fassen.

Also standen wir da, Hand in Hand, und blickten auf den Arzt, der langsam das Tuch anhob. Nun ja, ich war ja nicht ganz ungeübt, hatte da schon meine Erfahrungen, aber das ging sogar über meine Kräfte. Denn es war nicht Karl! Der Mann, der da vor mir lag, war nicht meiner. Auch wenn nicht mehr viel zu sehen war, so viel stand fest. Dieser hier war von schmächtigem Körperbau und hatte dunkle Haare. Mein Karl hat weiße Haare und ist ein Hüne. Und der rote Pullover war weinrot, niemals hat Karl einen weinroten Pullover besessen. Doch das konnte ich den Herren nicht mehr sagen. Denn ich bin tatsächlich ohnmächtig geworden.

Erwacht bin ich in einem weißen Raum. Eine tüchtige Krankenschwester stand neben mir und flötete ununterbrochen: „Regen Sie sich nicht auf. Ich kann das ja verstehen, das ist natürlich ein Schock.“

Ganz versessen hat sie auf mich eingeredet, und es hat eine ganze Weile gedauert, bis sie mir zuhörte. Dann allerdings war es um ihre Ruhe geschehen. Wie ein Huhn, dem man eben den Kopf abgehackt hat, ist sie aus dem Zimmer gestürzt und hat mich verdutzt zurückgelassen.

Was für ein Tag, ja, da war doch endlich mal was geschehen!

Heute ist wieder Dienstag, kreativer Beschäftigungstag. Doch so ein Abenteuer erlebt man wohl nur einmal. Tausend Mal haben sie sich entschuldigt bei mir, sie hatten dem Praktikanten, das muss der Pickeljunge gewesen sein, aufgetragen, dem Herrn mit dem roten Pullover das Namensschild von meinem Mann anzuheften, denn während ihrem Beschäftigungstag waren die Leute dort immer angeschrieben. Leider hat der Praktikant den falschen Herrn im falschen Pullover zu fassen bekommen. Und so hatte sich die ganze Geschichte gefügt.

Mein Karl war auch abgehauen an jenem Tag, aber nicht unter den Lastwagen. Hätte mich gewundert, er hat ja nie davon gesprochen. An jenem Abend war er bereits zu Hause, als ich heimkam. Ist in seinem Sessel gehockt und hat gegrinst, was denn sonst. Dass sein Kreativer-Beschäftigungstag-Kollege überfahren worden war, davon hatte er natürlich nichts mitbekommen.

Und die Rosie, ich weiß nicht, wie oft sie die Geschichte erzählt hat. Ja, damals war ich berühmt, und wenn ich zu Rosie kam, drehten sich die Leute noch lange nach mir um.

Manfred Schröder

Tuomas

Tuomas schoss den Stein durch ein imaginäres Tor. Volltreffer! Er wollte schon zum zweiten Schuss ansetzen, doch er hielt inne. Der Gedanke an Mamma war stärker als die Fußballweltmeisterschaft in seiner Phantasie. Er trug die neuen Schuhe heute zum ersten Mal. Und er kannte Mammas Wutausbrüche. Zwar kurz, aber nicht ungefährlich. So verzichtete er auf das Goldene Tor und war mit dem Ergebnis zufrieden. Er blickte auf seine Schuhspitzen. Zum Glück gab es keine Schrammen.

„Milano“, hatte sie betont. „Echtes Leder. Und das ist nicht billig.“

Papa war anders. Er war still und trank. Wenn auch nicht viel. Jetzt war er arbeitslos und trank ein bisschen mehr. Doch dies tat er fast nie zu Hause, sondern mit den Kumpels beim Lalli*. Manchmal machte er Schwarzarbeit. Das Geld gab er Mamma. Dann wusste sie nicht, wie sie sich verhalten sollte, und schwankte zwischen Dankbarkeit und Jammern. Dass das Geld weder vorne noch hinten reiche und sie nicht wisse, wie alles bezahlt werden solle.

Tuomas hatte sich daran gewöhnt. Er war zwölf und schien unaufhörlich zu wachsen. So behauptete es jedenfalls Mamma.

„Auf dem Flohmarkt gibt es gute und billige Sachen“, erklärte des Öfteren Papa. „Tuomas könnte sie bestimmt tragen.“

Mamma kaufte jedoch alles im Geschäft. „Wir sind keine Bettler!“ Trotzdem vergaß sie nie, darauf hinzuweisen, wie schnell das Geld verschwand.

Papa nickte dann nur und schwieg. Oder er stand auf und ging zum Lalli.

Ab und zu steckte er Tuomas ein paar Euro zu; heimlich. „Ein großer Junge braucht schon mal etwas Geld.“

Tuomas verstand nicht immer die Handlungsweisen von Papa und Mamma. Er lebte in seiner eigenen Welt, irgendwo zwischen Supermann und Fußballstars.

Am Samstag beim Frühstück hatte sich Mamma wieder in Rage geredet. Die Zeitung berichtete über einen Mann, der ein kleines Mädchen unsittlich belästigt haben sollte. Und dann davongelaufen war, als er Spaziergänger kommen sah.

„Und das alles hier in der Nähe des Parks.“

Dann hatte sie Papa die Zeitung gereicht. „Das ist er!“

Die Polizei hatte eine Zeichnung anfertigen lassen. Ein älterer Mann mit traurigen Augen.

„Hoffentlich kriegen die den bald. Weißt du noch, im letzten Jahr?“