Die Bombe - Howard Zinn - E-Book

Die Bombe E-Book

Howard Zinn

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Beschreibung

Erstmals auf Deutsch: Essays und Erinnerungen des einflussreichsten Friedensaktivisten des 20. Jahrhunderts gegen den Bombenkrieg. Im Zweiten Weltkrieg nahm Howard Zinn am Luftangriff auf Royan teil, das zu diesem Zeitpunkt immer noch hartnäckig von Nazis besetzt war. 1966 reist er zurück an den Ort des Schreckens, führt Gespräche mit Anwohnern und studiert historische Dokumente in der örtlichen Bibliothek. Später wird er auch Hiroshima besuchen, um Überlebende des Atomangriffs zu treffen. Seine kraftvollen Essays, die Zinn kurz vor seinem Tod im Jahr 2010 fertigstellte, schenken uns persönliche Berichte und historisch-politische Analysen. Nicht zuletzt erzählen sie auch davon, wie die Bombenkriege des 20. Jahrhunderts ihn von einem befehlstreuen Soldaten zu einem der einflussreichsten linken Historiker und Friedensaktivisten haben werden lassen

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Howard Zinn

DIE BOMBE

Essays gegen den Krieg

Aus dem amerikanischen Englisch von Friederike Sachs

MÄRZ Verlag

Inhalt

Einleitung

Hiroshima:Das Schweigen brechen

Die Bombardierungvon Royan

Anmerkungen

Einleitung

Am Tag, als der Krieg in Europa endete, dem 8. Mai 1945, fuhr meine B-17-Bomberbesatzung von unserem Flugplatz in East Anglia zur nahegelegenen Stadt Norwich, um an einer ausgelassenen Siegesfeier teilzunehmen. Die Stadt, die während der letzten fünf Kriegsjahre verdunkelt werden musste, erstrahlte nun im Licht. Es schien, als ob jeder Mann, jede Frau und jedes Kind auf der Straße war: Sie tanzten, schrien, weinten vor Freude, reichten Fish und Chips und Bier herum, und umarmten einander.

Im Juli flogen wir zurück nach Hause. Wir überquerten den Atlantik in denselben viermotorigen Bombenfliegern, aus denen wir zuvor Bomben auf Deutschland, die Tschechoslowakei, Ungarn und Frankreich abgeworfen hatten. Uns wurde ein 30-tägiger Fronturlaub gewährt, um unsere Ehefrauen, Freundinnen und Familien wiederzusehen, danach sollten wir in Richtung Pazifik aufbrechen, um weitere Bombenangriffe gegen Japan zu fliegen.

Meine Frau Roslyn und ich wollten Urlaub auf dem Land machen. Als wir zur Haltestelle liefen, von der aus der Bus ins ländliche New York fuhr, gingen wir an einem Kiosk vorbei, in dem sich ein Stapel Zeitungen mit riesigen schwarzen Überschriften fand: »Atombombe auf Hiroshima abgeworfen.« Ich erinnere mich an unsere Reaktion: Wir waren froh. Wir wussten nicht, was diese Atombombe sein sollte, aber bestimmt war sie etwas Großes und Wichtiges und würde das Ende des Krieges gegen Japan bedeuten. Sollte dem so sein, würde ich nicht im Pazifik kämpfen müssen, sondern könnte endlich nach Hause kommen.

In diesem Moment verstand ich nicht, was die Atombombe den Menschen in Hiroshima angetan hatte. Sie war etwas Abstraktes, eine Schlagzeile, und schien nur eine von vielen Bombardements zu sein – so wie unsere in Europa –, wenn auch in größerer Dimension. Bis heute verstehen viele Menschen in den Vereinigten Staaten die Grausamkeit der Luftbombardierung nicht. Sie ist eine Militäroperation ohne jegliches menschliches Empfinden, eine Nachrichtenmeldung, ein statistischer Fakt, ein Ereignis, von dem man hört und es dann schnell wieder vergisst.

Genau so ist es auch für diejenigen, die die Bomben abwerfen – für Leute wie mich, einen Bombenschützen in der Plexiglasnase einer B-17, der sein Zielgerät bedient und die Lichtblitze der Bombeneinschläge unter sich wahrnimmt, der aber keine Menschen erkennt, keine Schreie hört und kein Blut sieht. Er bemerkt nicht, dass unter ihm Kinder sterben, Menschen erblinden, ihre Arme oder Beine weggesprengt werden.

Auch wenn ich damals Bomben aus 9000 Metern Höhe abwarf, während heutige Bomber näher am Boden fliegen und sich ausgefeilter Technologie bedienen, um ihre Bomben genauer auf die Ziele zu richten, bleibt ihr Einsatz gleichwohl unpersönlich. Denn auch beim sogenannten »pinpoint bombing« sieht der Mann, der die Bombe abwirft, keine Menschen. Vielleicht kann er auf ein bestimmtes Haus oder Auto zielen und dieses treffen, was mir im Zweiten Weltkrieg nicht möglich war. Trotzdem weiß er nicht, wer sich in diesem Haus oder Auto befindet. Ihm wurde lediglich vom Geheimdienst mitgeteilt, dass sich dort einer oder mehrere »Terrorismusverdächtige« aufhalten sollen.

Wieder und wieder liest man in den Nachrichten von »mutmaßlichen Terroristen« oder einem »Al-Qaida-Verdacht« – das heißt, dass die Geheimdienste nicht wissen, wen wir bombardieren und dass wir bereit sind, die Tötung eines »Verdächtigen« in Irak, Afghanistan oder Pakistan hinzunehmen – etwas, das bei einem Polizeieinsatz in New York oder San Francisco nicht akzeptabel wäre. Zu unserer Schande bedeutet das letztlich, dass die Leben von Menschen, die keine Amerikaner sind, für uns einen geringeren Wert haben.

Nach diesem Muster fielen Gäste einer Hochzeitsfeier in Afghanistan amerikanischen Bomben zum Opfer, die eigentlich »Terrorverdächtige« hätten treffen sollen. Unmittelbar nach Obamas Wahl wurden Geschosse von unbemannten Predator-Drohnen über Pakistan abgefeuert. Beim zweiten dieser Angriffe, schreibt Jane Mayer in einer Analyse der Predator-Bombardierungen im New Yorker, wurde das Haus eines regierungsfreundlichen Stammesführers irrtümlich anvisiert. »Die Explosion tötete die gesamte Familie des Stammesführers, darunter drei Kinder, von denen eines fünf Jahre alt war.«

Im Zweiten Weltkrieg hatte es noch keine derartig hochentwickelte Technologie gegeben, aber sie brachte dasselbe Ergebnis: den Tod unschuldiger Menschen. Heutige Bombenschützen sind in derselben Position, in der auch ich mich befand. Sie folgen Befehlen, ohne sie zu hinterfragen oder darüber nachzudenken, welche menschlichen Opfer ihre Bombardierungen fordern.

Erst als ich nicht mehr in der Uniform steckte, erlebte ich einen Moment des Erwachens, und ich begann zu verstehen. Der Anlass dafür war meine Lektüre von John Herseys Interviews mit den Überlebenden der Bombe von Hiroshima, die ihre Geschichten in bildhaftem, grausamen Detail erzählten: »Manchen waren die Augenbrauen versengt, und ihre Haut hing in Fetzen von Gesicht und Händen. Andere hielten vor Schmerzen die Arme in die Höhe, als trügen sie etwas in beiden Händen.«1

John Herseys Essay brachte mich dazu, über meine eigenen Bombereinsätze nachzudenken und darüber, wie ich selbst stumpfsinnig Bomben auf Städte abgeworfen hatte, ohne einen Gedanken daran zu verlieren, was die Menschen auf dem Boden in diesem Moment erlebten. Ich erinnerte mich insbesondere an meinen letzten Einsatz.

Er fand drei Wochen vor dem Ende des Kriegs in Europa statt, als alle eigentlich schon wussten, dass der Krieg vorbei war. Die Bombereinheiten auf unserem Flugplatz in East Anglia rechneten mit keinen weiteren Einsätzen über Europa. Sicher gab es keinen Grund für weitere Bombardements, nicht einmal aus der brutalen Begründung »militärischer Notwendigkeit« heraus.

Aber schließlich wurden wir doch aus unseren Schlafsäcken in den Wellblechhütten geholt und auf Lastwagen gesetzt, die uns zu den Besprechungsräumen und unseren Flugzeugen brachten. Es war etwa drei Uhr in der Früh, die übliche Zeit, zu der wir an Einsatztagen aufstanden, denn so gab es genügend Zeit für drei Stunden Einsatzbesprechung, ein Frühstück und die Überprüfung der Ausrüstung, bevor wir bei Sonnenaufgang losflogen.

In der Einsatzbesprechung wurde uns gesagt, wir würden deutsche Besatzungstruppen nahe der Stadt Royan bombardieren. Royan war ein Urlaubsort an der französischen Atlantikküste, nicht weit vom Hafen von Bordeaux entfernt. Die Deutschen griffen nicht an, sie harrten dort lediglich aus und warteten auf das Ende des Krieges, und wir würden sie auslöschen.

Im Sommer 1966 verbrachte ich schließlich einige Zeit in Royan und fand in der Stadtbibliothek einen Großteil des Materials, auf dem mein Essay beruht.

Hiroshima

Das Schweigen brechen

Die Bombe, die am 6. August 1945 auf Hiroshima abgeworfen wurde, machte Fleisch und Knochen von 140 000 Männern, Frauen und Kindern in wenigen Augenblicken zu Staub und Asche. Drei Tage später tötete eine zweite Atombombe über Nagasaki etwa 70 000 Menschen auf der Stelle. Innerhalb der nächsten fünf Jahre sollten weitere 130 000 Einwohner beider Städte an den Folgen der nuklearen Verseuchung sterben.

Wir werden die genauen Zahlen nie kennen. Die hier aufgeführten stammen aus dem ausführlichsten verfügbaren Bericht Hiroshima and Nagasaki: The Physical, Medical, and Social Effects of the Atomic Bombings, der von 34 japanischen Wissenschaftlern und Ärzten erstellt wurde und 1981 in englischer Übersetzung erschien. Diese Statistiken berücksichtigen nicht die zahllosen Menschen, die zwar am Leben blieben, aber verstümmelt, vergiftet, entstellt wurden, oder erblindet sind.

Wir leben in Zeiten, in denen Statistiken über Tod und Leid so unablässig auf uns einwirken, dass Zahlen in Millionenhöhe nichts als ein Gefühl der Taubheit hinterlassen. Nur die Geschichten einzelner Menschen können dieser Taubheit entgegenwirken, auch wenn sie die dahinterliegende Realität nur schemenhaft erfassen.

Eine japanische Schülerin, die zu der Zeit 16 Jahre alt war, erinnerte sich Jahre später, dass es ein schöner Morgen gewesen sei. Sie sah eine B-29 vorbeifliegen, und dann einen Blitz. Sie riss die Hände nach oben, die »direkt durch ihr Gesicht hindurchgingen«. Sie sah »einen Mann ohne Füße, der auf seinen Knöcheln ging«. Sie wurde ohnmächtig.

Als ich aufwachte, fiel schwarzer Regen. […] Ich dachte, ich wäre blind, aber konnte doch meine Augen öffnen und sah einen wunderschönen blauen Himmel über der toten Stadt. Niemand steht auf. Niemand läuft herum. […] Ich wollte zu meiner Mutter nach Hause gehen.

Diese Worte trug Kinuko Laskey in gebrochenem Englisch bei einer Anhörung des U.S.-Senats in Washington, D.C., vor. Wir müssen uns ihre Aussagen und die Berichte anderer vergegenwärtigen: »Eine Frau, die ihren Kiefer verloren hatte und deren Zunge aus dem Mund hing, irrte umher […] im starken schwarzen Regen […] und schrie um Hilfe.«

Richard Rhodes’ Buch Die Atombombe oder Die Geschichte des 8. Schöpfungstages ist die vermutlich ausführlichste und anschaulichste Abhandlung über die langwierige, kostspielige und höchst geheime Unternehmung, die ab 1942 in der Wüste New Mexicos unter dem Namen »Manhattan Project« firmierte. Rhodes’ Schilderungen sind nüchtern und kontrolliert – bis zu dem Punkt, an dem er die Auswirkungen der Bombe mit großer emotionaler Eindringlichkeit beschreibt:

Menschen, die Little Boy im Umkreis von 800 Metern ausgesetzt waren, verbrannten im Bruchteil einer Sekunde, indem ihre inneren Organe verdampften, zu rauchenden Häufchen schwarzer Kohle. […] Die kleinen schwarzen Häufchen, die jetzt an den Straßen, Brücken und Bürgersteigen in Hiroshima klebten, gingen in die Tausende. Im selben Augenblick gingen Vögel in der Luft in Flammen auf. Moskitos, Fliegen, Eichhörnchen, Haustiere waren mit einem kurzen Knistern verschwunden.1

Robert Jay Lifton, ein Psychiater, der sich den enggefassten Grenzen seines Berufsstands widersetzte, führte die ersten Befragungen mit Überlebenden der Bombardierung durch. Seine Interviews wurden 1968 im Band Death in Life veröffentlicht; dort stößt man auf die nachfolgenden Erinnerungen.

Eine Studentin im dritten Jahr an der Universität Hiroshima erinnert sich:

Die Gesichter meiner Freunde, die nur kurz zuvor energisch gearbeitet hatten, sind jetzt verbrannt und voller Blasen, ihre Kleidung zerfetzt. […] Unsere Lehrerin drückte ihre Schüler eng an sich, wie eine Henne, die ihre Küken beschützt. Wie vor Angst erstarrte Küken pressten die Schüler ihre Köpfe unter ihre Arme.

Eine Frau, damals eine Schülerin der fünften Klasse, erinnert sich: »Alle im Bunker schrien. […] Ich weiß nicht, wie oft ich darum bettelte, dass jemand meine verbrannten Arme und Beine amputiert.«