Die deutsche Friedensbewegung 1870-1933 - Richard Barkeley - E-Book

Die deutsche Friedensbewegung 1870-1933 E-Book

Richard Barkeley

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Beschreibung

Nach zwei Weltkriegen mit über 70 Millionen Toten wollte sich in Deutschland niemand an die einzigen Klarsichtigen erinnern - an Menschen, die man in der Vergangenheit als "Friedenshetzer" und "Lumpenpazifisten" unterdrückt, verfolgt oder gar ermordet hatte. Ungelegen kam im Jahr 1948 das hier neu edierte Buch "Die deutsche Friedensbewegung 1870-1933" des in Österreich geborenen Politikwissenschaftlers Richard Barkeley. Es zeigte nicht zuletzt, wie im Schatten des unkaputtbaren Militarismus die Friedensidee schon vor dem Hitler-Faschismus mit endlosen Repressionen zum Schweigen gebracht werden sollte: "Es gehörte großer Mut dazu, Pazifist in Deutschland zu sein, im Kaiserreich und nachher. ... Die Vorbereitung des Krieges begann nicht erst unter Hitler, sondern schon am 10. November 1918, und sie wurde zielbewußt fortgesetzt von Noske und Geßler bis Blomberg. Die armen Teufel, deren Leiber irgendwo zwischen Polarkreis und Sahara vermodern, sind ebensosehr die Opfer der Aufrüstung vor 1933 wie der späteren." Zu seiner erhellenden und brillant geschriebenen Darstellung vermerkte der Verfasser 1947: "Es ist nicht leicht, die nötige Objektivität zu wahren, wenn eine Periode jüngster deutscher Geschichte zu beschreiben ist ... Deutsche Einrichtungen und Parteien mussten freimütig angegriffen werden. Das geschah weder aus Lust an der Kritik, noch um sie herabzusetzen. Es ist unmöglich, deutsche Einrichtungen oder deutsche Parteien zu schonen, wenn man bei der Wahrheit bleiben will; aber alle in der vorliegenden Schrift enthaltene Kritik soll niemand daran hindern, Einrichtungen und Parteien nunmehr Gelegenheit zu geben, aus Erfahrung und Fehlern zu lernen und sich zu bewähren ... Dieses Buch ist keine Propagandaschrift, weder für noch gegen den Pazifismus. Aber es ist eine Propagandaschrift gegen die Unterdrückung einer Idee. Was immer ... gegen die Friedensbewegung spricht, kann nie das Recht geben, sie zu unterdrücken oder zu verleumden; beides jedoch ist geschehen." Die Geschichte - zumal die deutsche - lehrt uns freilich, dass zu allen Zeiten autoritäre Verhältnisse, Massengräber und unermessliche Leiden bevorstehen, wenn die Widersacher des Pazifismus ihre Kriegsertüchtigungsparole im öffentlichen Raum durchsetzen können und Hundertmilliarden-Etats zu den Totmach-Industrien umleiten. Ein Band der edition pace, herausgegeben von Peter Bürger

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Inhalt

Vorwort des Verfassers ǀ Herbst 1947

I. Die bürgerliche Friedensbewegung vor 1914

II. Pazifismus in der Sozialdemokratie vor 1914

III. Kriegsrausch und erstes Besinnen

IV. Wachsende Kriegsgegnerschaft

V. Die schwache Republik

VI. Der Kampf um Versailles

VII. Der Militarismus erstarkt

VIII. Ruhrkampf und Militärdiktatur

IX. Erfüllungspolitik?

X. Der Kampf gegen den neuen Militarismus

XI. Das Ende des deutschen Parlamentarismus

XII. Nachwort

Sachregister

Personenregister

ANHANG zur Neuedition

Über das Werk und den Verfasser

Bibliographie: Auswahl zur Literatur über die Geschichte der Friedensbewegung

1. Gesamtdarstellungen / Sammelbände

2. Studien zu einzelnen Strömungen / Gruppen

3. Literatur zu pazifistischen Persönlichkeiten

4. Forschungs- und Publikationsreihen

5. Lesebücher ǀ Quelleneditionen

Pazifistische Massendemonstration in Berlin am 10. Juli 1922 mit der überall gezeigten Botschaft: „Nie wieder Krieg!“commons.wikimedia.org

Vorwort

Die Studien des Verfassers im Zusammenhang mit seinen Vorlesungen in Wilton Park geben der vorliegenden Schrift ihren Hintergrund. Er konnte dabei feststellen, daß die Beschreibung deutscher Geschichte in Deutschland nicht nur nach 1933 an Einseitigkeit gelitten hat, sondern schon vorher. Um so notwendiger ist es, in Einzeldarstellungen Probleme zu behandeln, die bisher nur falsch, stiefmütterlich oder gar nicht behandelt wurden.

Es ist nicht leicht, die nötige Objektivität zu wahren, wenn eine Periode jüngster deutscher Geschichte zu beschreiben ist. Der Verfasser hat sein Bestes getan, um zu verhindern, daß sein persönliches Urteil sein sachliches trübe, und hofft, in den wesentlichen Punkten erfolgreich gewesen zu sein. Das besagt jedoch nicht, daß er keinerlei Urteil abgegeben habe. Auch der Geschichtsschreiber darf eine Meinung haben.

Deutsche Einrichtungen und Parteien mußten freimütig angegriffen werden. Das geschah weder aus Lust an der Kritik, noch um sie herabzusetzen. Es ist unmöglich, deutsche Einrichtungen oder deutsche Parteien zu schonen, wenn man bei der Wahrheit bleiben will; aber alle in der vorliegenden Schrift enthaltene Kritik soll niemand daran hindern, Einrichtungen und Parteien nunmehr Gelegenheit zu geben, aus Erfahrung und Fehlern zu lernen und sich zu bewähren. Alle Kritik bezieht sich auf die Vergangenheit. Die gegenwärtige Tätigkeit der deutschen Parteien soll damit nicht im geringsten kritisiert werden.

Dieses Buch ist keine Propagandaschrift, weder für noch gegen den Pazifismus. Aber es ist eine Propagandaschrift gegen die Unterdrückung einer Idee. Was immer in der Meinung des einzelnen oder vieler gegen die Friedensbewegung spricht, kann nie das Recht geben, sie zu unterdrücken oder zu verleumden; beides jedoch ist geschehen. Wenn die Leser dieser Schritt sich dazu entschlössen, dafür einzutreten, daß Ideen nur durch andere, bessere und nicht durch Gummiknüppel und Unterdrückung bekämpft werden, dann wäre mein Zweck erfüllt.

Ich habe an dieser Stelle die angenehme Pflicht, denen zu danken, deren Hilfe das Erscheinen dieser Schrift ermöglicht hat. Vor allem gebührt mein Dank dem alten Vorkämpfer des deutschen Pazifismus, Otto Lehmann-Rußbüldt, der in unermüdlicher Freundlichkeit immer wieder meine Fragen beantwortete und Auskunft gab, wenn die Quellen fehlten. Dank schulde ich auch Herrn Dr. Stöcker, Düsseldorf, für seine hilfreiche und freundliche Durchsicht des Manuskripts und dem Verlag für seine vorbildliche Arbeit unter schwierigen Bedingungen.

London, Herbst 1947

Richard Barkeley

D. rer. pol. (Vind.) B. A. Hons. (Lond.) Dozent an der London School of Economics and Political Science (University of London) und am Wilton Park Training Centre

Die deutsche Friedensbewegung 1870-1933

„Rerum cognoscere causas“

„Zwei Wege liegen heute vor Europa offen, der eine führt zu endlosen Appellationen an die Schärfe des Schwertes und zu Verewigung jener Greuel des Krieges, die wir heute mit Entsetzen vor uns sehen; der andere zum Siege der Humanität und zur Begründung höherer Garantien für die Freiheit und Wohlfahrt der Völker, als eine egoistische Staatskunst, gestützt auf Waffengewalt, sie je zu bieten vermöchte.“

Friedrich Albert Lange

I. DIE BÜRGERLICHE FRIEDENSBEWEGUNG VOR 1914

Als Bismarck am 8. Oktober 1862 das Amt eines Ministerpräsidenten in Preußen übernahm, war seine programmatische Feststellung: „Die großen Fragen unserer Zeit werden nicht durch Majoritätsbeschlüsse gelöst werden, sondern durch Blut und Eisen.“ Es war eine Folge dieser Blut- und- Eisen-Diät, daß das deutsche Volk weniger an der Weltfriedensbewegung Anteil nahm, als man auf Grund des deutschen Beitrages zur Weltkultur in früheren Epochen hätte erwarten können. Man kann es nicht leugnen: im selben Verhältnis, wie Deutschland, militärisch erstarkt, zur Großmacht und ersten Macht des Kontinentes wurde, verringerte sich sein Ansehen als geistige Großmacht. Es gibt viele Beweise für diese These; einer davon ist die unglaublich zögernde Zurückhaltung, mit der in Deutschland die Menschen darangingen, den jahrtausendealten Traum vom ewigen Frieden zu verwirklichen.

In Westeuropa war in den sechziger Jahren eine starke pazifistische Bewegung entstanden, die durch die zwischen Preußen und Frankreich bestehende Spannung und die damit verbundene Kriegsgefahr noch vermehrt wurde. Preußen dagegen war damals schon nach einem kurzen liberalen Zwischenspiel zum Junkerstaat herabgesunken. Am 3. September 1866 hatte ein Teil der Liberalen des preußischen Landtages, durch den Sieg von Königgrätz geblendet, Bismarcks Verfassungsbruch durch die sogenannte Indemnitätsvorlage1 gedeckt und dadurch den deutschen Parlamentarismus erschlagen, bevor er noch den Kinderschuhen entwachsen war. Der deutsche Parlamentarismus, der damals vor dem Sieg der preußischen Waffen seine eigenen streckte, hatte dadurch ein gefährliches Beispiel für die Zukunft geschaffen: Die Gruppe liberaler Abgeordneter, die den Namen ihrer Partei auf national-liberal änderte, brachte damit die Unterwerfung der Idee unter den Nationalismus deutlich zum Ausdruck. Vom nationalen Liberalismus zum nationalen Sozialismus ist nur ein kurzer Weg.

Nach dieser freiwilligen Unterwerfung der Nationalliberalen unter das Joch des Militarismus gehörte großer Mut dazu, den Antrag zu stellen, den der berühmte Anatom und Arzt Virchow am 21. Oktober 1869 namens der Fortschrittspartei (der treugebliebenen Liberalen) im preußischen Landtag einbrachte, in dem es heißt:

„In Erwägung, daß die Höhe der Ausgaben des Norddeutschen Bundes wesentlich durch den Militäretat bestimmt wird, und daß die dauernde Erhaltung der Kriegsbereitschaft in fast allen Staaten Europas nicht durch die gegenseitige Eifersucht der Völker, sondern nur durch das Verhalten der Kabinette bedingt wird, ist die königliche Regierung aufzufordern, dahin zu wirken, daß durch diplomatische. Verhandlungen eine allgemeine Abrüstung herbeigeführt werde.“

Dieser Antrag wurde – man ist nach dem 3. September 1866 fast gedrängt, „natürlich“ hinzuzusetzen – mit 215 gegen 99 Stimmen abgelehnt. Ebenso wurde ein Antrag des Abgeordneten Lasker, der in recht zahmen Worten eine Verminderung der Militärlasten gefordert hatte, abgelehnt.

Wenig später, im Februar 1870, lehnte Bismarck einen französischen Vorschlag eines Abrüstungsabkommens, der ihm durch die englische Regierung übermittelt wurde, ab. Bismarck war durchaus nicht bereit, auf solche Dinge ein zugehen. Ein Abrüstungsabkommen hätte den von ihm so sehr gewünschten Krieg mit Frankreich verhindert. Wenn auch in Westeuropa die Friedensbewegung unmittelbar nach dem Krieg 1870/71 einen neuerlichen Aufschwung nahm, der deutsche Kanzler wollte, obgleich er Deutschland nunmehr als gesättigte Macht bezeichnete, auch jetzt davon nichts wissen. Der Abgeordnete der Württembergischen Volkspartei v. Bühler beantragte am 12. März 1879:

„Der Reichstag wolle beschließen: den Fürsten Reichskanzler zu ersuchen, einen europäischen Staatenkongreß zum Zweck der Herbeiführung einer wirksamen allgemeinen Abrüstung etwa auf die durchschnittliche Hälfte der gegenwärtigen Friedensstärke der europäischen Heere für die Dauer von vorläufig 10 bis 15 Jahren zu veranlassen.“

Natürlich wurde der Antrag abgelehnt. Als ihn v. Bühler trotzdem an Bismarck weitersandte, antwortet dieser:

„Erst nachdem es Ew. gelungen sein wird, unsere Nachbarn für Ihre Pläne zu gewinnen, könnte ich oder ein anderer deutscher Kanzler für unser stets defensives Vaterland die Verantwortung für analoge Anregungen übernehmen. Aber auch dann fürchte ich, daß die gegenseitige Kontrolle der Völker über den Rüstungszustand der Nachbarn schwierig und unsicher bleiben und daß ein Forum, welches sie wirksam handhaben könnte, schwer zu beschaffen sein wird.“

Ähnlich sprach sich der Kanzler auch dem italienischen Botschafter Crispi gegenüber aus, nämlich:

„… daß sich der Gedanke der Abrüstung nicht in die Praxis umsetzen läßt. Im Wörterbuch finden sich noch keine Vokabeln, welche die Grenzen zwischen Abrüstung und Rüstung festsetzen.“

Unter diesen Umständen und, abgesehen von einigen süddeutschen Gruppen der Fortschrittspartei, von keiner der sogenannten bürgerlichen Parteien unterstützt, konnte man nicht erwarten, daß der Pazifismus in Deutschland besondere Fortschritte machen könne, zumal da jeder, der eine auch noch so sachliche Kritik an einer der zahlreichen Militärvorlagen übte, schon als Reichsfeind galt. Niemand wird sich daher wundern, daß auf dem ersten Weltfriedenskongreß in Paris, 1889, unter 97 Teilnehmern kein einziger Deutscher war.

Erst als die schwere Hand Bismarcks ausgeschaltet war, machte die Friedensidee auch in Deutschland endlich einige Fortschritte. Caprivi, der Nachfolger Bismarcks, mußte wohl, wollte er sich das Wohlwollen des Kaisers nicht verscherzen, die Militärvorlage durchbringen. Der neue Kurs, wie man jene kurze Periode in der deutschen Geschichte nennt, brachte aber trotzdem doch eine gewisse Erleichterung. Der neue Kanzler erklärte selbst (1892) in Danzig:

„… daß das kommende Jahrhundert den Zusammenschluß der europäischen Völker fordern könnte“,

und:

„Wir wollen nur Kulturaufgaben lösen, das friedliche Zusammenleben der Völker erleichtern; die europäischen Kräfte zusammenschließen für eine spätere Zeit, wo es einmal notwendig sein sollte, im Interesse einer großen gemeinsamen Wirtschaftspolitik einen großen Komplex von Staaten gemeinsam zu erfassen“,

während ein späterer preußischer Kriegsminister, General v. Goeßler, 1894 im „Militärwochenblatt“ vorschlug:

„… eine friedliche Vereinbarung zwischen den Staaten behufs Vermeidung eines Krieges auf eine Reihe von Jahren zu treffen.“

Aber es war schon zu spät. Die Unterwerfung des deutschen Geistes unter die Forderungen der Bismarckschen Blut- und -Eisen-Ära hatte in den 28 Jahren der Herrschaft der eisernen Hand des Kanzlers solche Formen angenommen, daß kaum jemand mehr die Fähigkeit hatte, für sich selbst zu denken. Die äußeren Formen hatten sich wohl etwas geändert, aber innerlich blieb Deutschland unter dem Kaiser in derselben Unfreiheit wie unter dem Kanzler. Unter diesen Umständen blieb die Friedensbewegung im Reich ein Versuch mit untauglichen Mitteln.

Es waren zwei Österreicher, Baronin v. Suttner und Alfred H. Fried, die 1892 die „Deutsche Friedensgesellschaft“ gründeten. Diese Gründung ist in erster Linie dem Roman der Frau v. Suttner, „Die Waffen nieder“, zu danken. Dieses Buch, das 1890 erschien, erregte ungeheures Aufsehen. Zum ersten Male wurde hier die andere Seite des Krieges dargestellt. Der Eindruck, den das Buch verursachte, wurde, wenigstens im deutschen Sprachgebiet, dadurch wesentlich erhöht, daß seine Verfasserin dem Adel angehörte. Nun war es etwas leichter, „der von ihr vertretenen Idee auch in den höheren Gesellschaftsklassen und in der politischen Welt Kredit verschaffen“. (A. H. Fried.) 1891 wurde die österreichische Friedensgesellschaft gegründet, 1892 die deutsche. So schwach die Friedensbewegung in Deutschland auch war – es gab bei ihrer Gründung nicht die 32 Reichstagsabgeordneten und zahlreichen Universitätsprofessoren, die ein Jahr früher der Gründung des Alldeutschen Vereins beigewohnt halten –, sie wurde natürlich trotzdem schon im Gründungsjahr angefeindet, und 1893 erschien ein Buch (Jähns: Krieg, Frieden und Kultur), in dem die Friedensbewegung als kulturfeindlich bezeichnet wurde, da sie den Krieg, der doch die Ursache alles Kulturfortschritts sei, unmöglich machen wolle. Felix Dahn, der vor Jahren als großer Dichter galt, schrieb ein Epigramm gegen „Die Waffen nieder“, das in vier Zeilen die ganze deutsche nationale Einstellung in ihrer unbegreiflichen Beschränktheit und Überheblichkeit zeigt:

„Die Waffen hoch! Das Schwert ist Mannes eigen,

Wo Männer fechten, hat das Weib zu schweigen,

Doch freilich, Männer gibt’s in diesen Tagen,

Die sollten lieber Unterröcke tragen.“

Die Deutsche Friedensgesellschaft führte die ganze Zeit bis 1914 ein recht bescheidenes Dasein. Bertha v. Suttner schrieb im Gründungsjahr der Deutschen Friedensgesellschaft, 1892, an A. H. Fried:

„Wie die Dinge stehen, darf die Initiative nicht von zu vielen Juden ausgehen – sonst wird sie gleich klassifiziert; ebenso wenig wie sie etwa sozialdemokratisch sein dürfte. Die österreichischen Witzblätter stellen mich ohnehin als Anführerin polnischer Juden dar …“

Nichts könnte besser die ganze Hoffnungslosigkeit der Gründung charakterisieren. Unter diesen Umständen ist es verständlich, daß die Gesellschaft die größten Schwierigkeiten hatte, einen Präsidenten zu finden. Ihr Einfluß war entsprechend gering, aber sie hatte doch ein nicht unwichtiges Ergebnis: die Teilnahme deutscher Delegierter an der interparlamentarischen Union. ‚Diese Vereinigung, welche die internationale Schiedsgerichtsbarkeit durch zwanglose Beratungen von Parlamentariern verschiedener Länder fördern wollte, hatte 1889 in Paris ihre erste Beratung abgehalten, an der weder Delegierte aus Deutschland nach aus Österreich teilnahmen. 1890, also noch vor Gründung der Friedensgesellschaft, nahmen nur drei Deutsche an diesen Beratungen teil, 1891, nach Erscheinen von Frau v. Suttners Buch, zu einer Zeit, da die Friedensidee, in Deutschland schon einige Verbreitung gefunden hatte, stieg die Zahl der deutschen Teilnehmer auf 18.

Die interparlamentarische Union übte bald ihren Einfluß auch im Reichstag. aus. Der Zentrumsabgeordnete Lieber sprach 1893 bei der Militärdebatte im Reichstag über die Schiedsgerichtsbarkeit und sagte:

„Es würde eine schöne und große Aufgabe des neuen Kurses sein, eine Aufgabe, deren Lösung ihn weit über alle früheren Triumphe höbe, wenn er von dem Bismarckschen Gewaltboden auf einen neuen Europäischen Rechtsboden überzutreten und zu ganz Europa überzuführen die Weisheit und die Kraft hätte.“

Im deutschen Volke selbst machte die deutsche Friedensbewegung in den Jahren bis 1914 nicht viel Fortschritte, und ihr Einfluß blieb gering. Die Feindschaft der Alldeutschen und Agrarier hatte 1894 Caprivi gestürzt, und die folgenden Jahre standen viel mehr unter dem Einfluß der Flottenagitation des Kaisers und seiner kriegerischen Reden als unter dem Einfluß der Friedensgesellschaft. Gerade jene Jahre zeigen, wie gering dieser Einfluß war. Die Entwicklung jener wilhelminisch-neudeutschen Einstellung, deren Ideal der Reserveoffizier war, hatte begonnen. Die Militarisierung Deutschlands hatte solche Formen angenommen, daß in den Berufen, die das Abiturium erforderten, ein Mann, der nicht Leutnant d. R. auf seine Visitenkarte setzen konnte, einfach keinerlei Möglichkeiten hatte. Unter solchen Bedingungen war der Friedensbewegung jede Werbemöglichkeit selbst in solchen Kreisen genommen, denen man mit Rücksicht auf ihre höhere Schulbildung vielleicht einige selbständige Urteilskraft zugetraut hätte, Jedoch gerade in diesen Kreisen war der Nationalismus besonders rabiat. Eine kurze Zeit lang, als das Manifest des Zaren erschien, das die Völker zu einer internationalen Friedenskonferenz aufrief, wurde die Friedensidee wohl gesellschaftsfähig, aber der Zauber verflog bald.

Die erste Haager Konferenz ging auf zwei Rundnoten des Zaren zurück, der unter dem Eindruck des Buches „Die Waffen nieder“ zuerst eine allgemeine Beschränkung der Rüstungen vorschlug und dann anfragte, „ob sie (die Regierungen) den Augenblick für geeignet hielten, auf internationalem Weg die Grundlagen zu beraten, welche in der Zirkularnote vom 24. August 1898 dargelegt worden sind“. Die Regierungen stimmten zu, wenn auch nicht sehr begeistert. Der Kaiser dagegen, obwohl auch er die Idee der Form halber nicht von vornherein ablehnen konnte, schreibt an den Rand einer Note des Zaren über die Abrüstung: „Wenn er mir das anbietet, schlage ich ihn hinter die Ohren.“ Als die Konferenz zustande kam, lehnten die deutschen Vertreter, Herr B. v. Schwarzhoff und Siegel, jede Rüstungsbeschränkung ab. Die Ergebnisse der Konferenz, die Errichtung eines Schiedsgerichtes, dessen Anrufung in Streitfällen nicht obligatorisch wär, das Verbot, Dum-Dum-Geschosse zu verwenden, und die Landkriegsordnung, waren also sehr bescheiden. Zu diesem Mißerfolg der Konferenz hatte das Vorgehen Deutschlands wesentlich beigetragen. Überdies schrieb der Kaiser an den Rand des Aktes, der über die Konferenz berichtete: „… und scheiße auf die ganzen Beschlüsse und verlasse mich lieber auf mein scharfes Schwert.“

Trotz der Haager Konferenz, deren Zustandekommen zweifellos einen Erfolg der internationalen pazifistischen Bewegung darstellt, blieb die Friedensidee in Deutschland auch nachher auf eine so schmale Anhängerschicht begrenzt, daß keinerlei Hoffnung darauf bestand, jemals die Politik des Reiches zu beeinflussen. 1904, als der Reichskanzler Bülow an die „Vereinsamung“ Deutschlands erinnert wurde, erwiderte er: „Wenn wir uns unser Schwert scharf erhalten, so brauchen wir uns vor dem Alleinsein nicht so zu fürchten.“ Und 1905 zeigte das kaiserliche Marokko-Abenteuer mit seiner Erpressung an Frankreich, daß die Erhaltung des europäischen Friedens nicht zu den wichtigsten Sorgen der Reichsregierung zählte.2

1900 war die Zentrale der Deutschen-Friedensgesellschaft von Berlin nach Stuttgart verlegt worden: Diese Übersiedlung aus dem militärischen Preußen nach dem mehr fortgeschrittenen Süden brachte wohl einen kurzen Aufschwung, der jedoch nicht lange anhielt. Trotz des Aufschwunges, den die erste Haager Friedenskonferenz der internationalen Friedensbewegung zweifellos gebracht hatte – Lord Haldane, der damalige englische Kriegsminister, erklärte 1906: „Es wird eine Zeit kommen, die auf das Barbarentum der Gegenwart mit Staunen zurückblicken wird“ –, in Deutschland blieb alles beim alten. Der Bruch, den die Entwicklung der deutschen Politik in der Richtung zur Demokratie am 3. September 1866 durch Unterwerfung der Parlamente unter das Gebot des Militärs erlitten hatte, war nicht so leicht gutzumachen. Wenn man die Erinnerungen Alfred H. Frieds, dieses unermüdlichen Friedensapostels im kaiserlichen Deutschland, liest, kann man jenen Männern und Frauen, die ihr Leben einer so wenig volkstümlichen Sache wie der Verbreitung der Friedensidee in Deutschland gewidmet hatten, seine Bewunderung trotz ihres Mißerfolges nicht versagen. Pazifist im kaiserlichen „Deutschland sein, das hieß, sich selbst von allem ausschließen, sich selbst zum Paria erklären. Niemand, der irgendwie im öffentlichen Leben weiterkommen wollte, konnte Pazifist sein. Wenn Friedensfreunde im kaiserlichen Deutschland auch nicht ermordet wurden – so wie später – in der Republik –, es bedeutete doch gesellschaftlichen und bürgerlichen Tod, sich dieser Bewegung anzuschließen. Nicht nur Fried, dem 1911 der Nobelpreis verliehen wurde, verdiente diese Auszeichnung im vollsten Maße, sondern auch alle seine unermüdlichen Mitarbeiter, Franz Wirth (Frankfurt am Main), Adolf Richter, Pfarrer Umfried, von Egidy und alle die anderen, die im kaiserlichen Deutschland den Mut hatten, in der Sprache Kants „den ewigen Frieden“ zu predigen, also eine schwere Bürde auf sich nahmen, hätten ebenso ausgezeichnet werden müssen. Trotz aller Arbeit war die Friedensidee in Deutschland erst nach zwanzig Jahren Tätigkeit so weit gestärkt, daß man einen bezahlten Sekretär anstellen konnte. Man vergleiche die „Erfolge“ des Alldeutschen Verbandes, des Flottenvereins und ähnlicher Vereine.

Auch die zweite Haager Friedenskonferenz (1907) brachte keine Änderung der deutschen Einstellung zur Friedensfrage. Die deutschen Delegierten verweigerten die Teilnahme an der Diskussion über die Rüstungsfrage. Der wissenschaftliche Delegierte Deutschlands, der Professor des Völkerrechts, Zorn, der im Gegensatz zu den übrigen Delegierten positive Arbeit in den Beratungen leisten wollte, wurde mundtot gemacht. Der Direktor des deutschen Auswärtigen Amtes, Simon, sagte 1919 über das Verhalten der deutschen Delegation zur zweiten Friedenskonferenz: „Die deutsche Politik in der Schiedsgerichts- und Abrüstungsfrage anno 1907 ist, wie ich glaube, eine der wesentlichen Ursachen des Kriegsausbruches 1914 und der deutschen Niederlage.“ Trotzdem gab es noch immer Leute, denen selbst der Anschein der deutschen Mitarbeit im Haag zuviel war. Hasse vom Alldeutschen Verband sagte damals in „Deutsche Politik“: „Die ärgste Heuchelei ist es aber, wenn auch das Deutsche Reich sich an der Haager Friedenskonferenz und ihren Nachfolgern beteiligt. Dieses Possenspiel sollte man doch denen überlassen, die gewerbsmäßig und gewohnheitsmäßig die politische Heuchelei betreiben.“

Die mißglückte Haager Konferenz trug mehr zur Isolierung Deutschlands bei, als gemeinhin angenommen wird. Reichstagsabgeordneter Gothein berichtet darüber (Warum verloren wir den Krieg? S. 20): „Alle Teilnehmer der Konferenz nahmen … den Eindruck mit, daß Deutschland und … Österreich-Ungarn der internationalen Verständigung die größten Hemmnisse in den Weg legten, weil sie sich in der Absicht, den Frieden zu brechen, sobald ihnen die Gelegenheit dazu günstig erscheine, nicht durch internationale Abmachungen hemmen lassen wollten. Beide waren seitdem Gegenstand des allgemeinen Mißtrauens.“

Bismarcks Saat trug nun Früchte. 1909 kam ein neuer Kanzler, Bethmann Hollweg, von dem man mehr Verständnis für die Zeichen der Zeit erwartete als von seinem Vorgänger Bülow, der der eigentliche Vertreter jener Weltpolitik war, die Deutschland mit Gewalt isolierte. Obgleich Bethmann Hollweg in einigen Dingen eine neue Stellungnahme versuchte, in der Rüstungsfrage blieb er unerbittlich. Am 30. März 1911 sagte er im Reichstag u. a. in Beantwortung einer sozialdemokratischen Anfrage über die internationale Verständigung bezüglich der Rüstungen: „Wer die Frage der allgemeinen Abrüstung einmal sachlich und ernsthaft durchdenkt – bis in ihre letzten Konsequenzen durchdenkt –, der muß zu der Überzeugung kommen, daß sie unlösbar ist, solange die Menschen Menschen und die Staaten Staaten sind.“ Unter diesen Umständen blieb alle pazifistische Arbeit in Deutschland vergeblich, und die wenigen vereinzelten Anhänger der Friedensidee blieben einsame Rufer in der Wüste. Deutschland ging, ohne Protest – der Wehrbeitrag des Jahres 1913 in Höhe von einer Milliarde Mark wurde ohne Widerspruch im Reichstag beschlossen –, den glorreichen Zeiten entgegen, die der Kaiser versprochen hatte. Aller Mut, alle Hingabe, die die wenigen Anhänger der Friedensidee aufbrachten, ihr unermüdlicher Kampf gegen die herrschenden Meinungen waren vergeblich. Sie konnten den Vormarsch zum Untergang nicht zum Stehen bringen. Die Friedensbewegung war eine Bewegung einer Handvoll von Intellektuellen geblieben, ohne Zusammenhang mit den Massen des Volkes, ohne Zusammenhang mit politischen Parteien.

Auch die Gründung eines Verbandes für internationale Verständigung 1912 konnte nicht mehr helfen. Wenn auch der Vorstand dieses Verbandes sich aus hervorragenden Vertretern des geistigen Lebens in Deutschland zusammensetzte (Professor Schücking, Professor Liszt, Professor Zorn, Professor Lammasch, Professor Foerster u. a.), wenn er auch die Erziehung der Jugend „im Sinne … der gegenseitigen Achtung der Völker und ihrer Eigenart“ forderte, es war schon zu spät. Deutschland war durch die jahrzehntelange Arbeit der Alldeutschen politisch schon so verseucht und, eine Folge der bramarbasierenden Reden von Persönlichkeiten mit und ohne Rang, schon so isoliert, daß nichts mehr helfen konnte. Gerade der Umstand, daß sowohl die Friedensgesellschaft als auch der Verband für internationale Verständigung in die innere Politik nicht eingreifen wollten, noch über Einfluß genug verfügten, ihre Ziele auf demselben Wege zu erreichen, wie etwa die Alldeutschen, konnten sie trotz ehrlicher Überzeugung nichts dazu tun, den Ausbruch des Krieges, der schon jahrelang in der Luft gelegen hatte, zu verhindern.

1 Das Abgeordnetenhaus des preußischen Landtages hatte 1862 die Heeresvorlage des Kriegsministers Roon abgelehnt, das Herrenhaus sie angenommen. Der König, zur Abdankung bereit, da ihm ohne diese Heeresvorlage jede Regierung unmöglich schien, berief als letztes Aushilfsmittel Bismarck als Ministerpräsidenten. Dieser verfiel auf den Ausweg, daß hier eine Lücke in der Verfassung vorliege, die dem König das Recht gebe, die vorgeschlagenen Ausgaben vorzunehmen, da der Landtag in seiner Gesamtheit weder die Heeresvorlage abgelehnt noch angenommen habe. So wurde, unbekümmert um alle Proteste, die Heeresreform durchgeführt. Am 3. Juli 1866, am Tage der Schlacht bei Königgratz, also unter dem Eindruck des Krieges, wurde der Landtag neugewählt. Die Neuwahlen brachten wieder eine, wenn auch geschwächte, liberale Mehrheit. Dieser neue Landtag nahm dann am 3. September das von Bismarck eingebrachte Indemnitätsgesetz, das seine Verfassungsbrüche nachträglich genehmigt, mit einer großen Mehrheit an. Ein Teil der Liberalen schloß sich später zur Nationalliberalen Partei zusammen.

2 1905 brach ein Streit zwischen Deutschland und Frankreich wegen Marokko aus. Da Frankreichs Bundesgenosse Rußland im Krieg mit Japan beschäftigt war, konnte Deutschland den Rücktritt des französischen Außenministers auf erpresserische Weise, durch Drohung mit Krieg, erzwingen. Der Streitfall wurde dann auf englischen Vorschlag durch die Konferenz von Algeciras beigelegt, die in der erschreckendsten Weise die damals schon, bestehende Isolierung Deutschlands zeigte.

II. PAZIFISMUS IN DER SOZIALDEMOKRATIE VOR 1914

Wir haben gesehen, daß die Friedensbewegung in Deutschland trotz großem Idealismus ihrer führenden Mitglieder nicht viel, wenn überhaupt etwas erreichte in jenen Tagen vor 1914. Die Friedensvereine, die Gründungen Intellektueller, waren unpolitisch und lehnten, schon aus agitatorischen Gründen, ab, eine Art Vorschule der Sozialdemokratie zu sein. Diese Partei umfaßte in Organisationen und Wählerschaft große Massen von Antimilitaristen, die dem organisierten Pazifismus fernblieben, einmal, weil sie sich nicht mit sogenannten Bürgerlichen in gemeinsamen Organisationen zusammenschließen wollten – die Unterscheidung zwischen sogenannten proletarischen und bürgerlichen Organisationen war damals noch viel schärfer als später in der Republik –, und dann, weil sie der Meinung waren, daß ihre kriegsgegnerischen Ziele in der sozialdemokratischen Partei einer viel gründlicheren Verwirklichung entgegengingen. Es ist daher durchaus nicht überflüssig, sondern unbedingt notwendig, festzustellen, wie jene Partei sich zur Friedensbewegung und Abrüstung einstellte, wenn man die deutsche Friedensbewegung als Ganzes betrachtet. Die Erklärung der beiden Sozialdemokraten im Norddeutschen Reichstag, Bebel und Wilhelm Liebknecht, am 21. Juli 1870, nämlich:

„Der gegenwärtige Krieg (d. h. der deutsch-französische, d. V.) ist ein dynastischer Krieg, unternommen im Interesse der Dynastie Bonaparte, wie der Krieg von 1866 im Interesse der Dynastie Hohenzollern. Die zur Führung des Krieges dem Reichstag abverlangten Geldmittel können wir nicht bewilligen, weil dies ein Vertrauensvotum für die preußische Regierung wäre, die … den gegenwärtigen Krieg vorbereitet hat. Ebensowenig können wir die geforderten Geldmittel verweigern, denn es könnte dies als Billigung der frevelhaften und verbrecherischen Politik Bonapartes aufgefaßt werden. Als prinzipielle Gegner jedes dynastischen Krieges, als Sozialrepublikaner und Mitglieder der Internationalen Arbeiterassoziation … können wir uns daher weder direkt noch indirekt für den gegenwärtigen Krieg erklären und enthalten uns daher der Abstimmung …“

kann nicht ganz als prinzipielle Stellungnahme der Sozialdemokraten zum Problem des Krieges angesehen werden. Die beiden Abgeordneten enthielten sich der Stimme, nicht, weil sie Pazifisten waren – denn das geht aus der Erklärung nicht hervor, vielleicht waren sie es auch gar nicht –, sondern nur deshalb, weil sie den Staat, der Krieg führte, als solchen ablehnten. Diese Richtung der Staatsfeindschaft war zu jener Zeit noch besonders ausgeprägt, denn die anarchistischen und syndikalistischen Tendenzen innerhalb der sozialistischen Ideologie waren damals viel stärker als nach Erlöschen des Sozialistengesetzes. Überdies war damals noch die marxistische Ideologie gerade in den führenden Köpfen der Partei sehr stark. Nach dieser Theorie war der Staat nur ein Unterdrückungsinstrument gegenüber der Arbeiterklasse, und es war selbstverständlich, daß die Sozialdemokraten diesem Staat gegenüber „jeden Mann und jeden Groschen“ verweigerten, ganz besonders, wo es sich um die Armee, also das Unterdrückungsinstrument des Unterdrückungsinstrumentes, handelte.

Wenn auch viele Anhänger sowohl als auch Gegner der Sozialdemokraten diese prinzipielle Ablehnung des Heeresvoranschlages für Pazifismus hielten – die Sozialdemokratie war durchaus nicht pazifistisch. Friedrich Engels, der nach Marxʼ Tod die Stellung eines Hohepriesters des Marxismus einnahm, führte nicht nur im Freundeskreis den Spitznamen „The General“, sondern war durchaus kein Pazifist. Er wollte nur die stehenden. Heere abschaffen und durch Milizen, also eine allgemeine Volksbewaffnung, ersetzen, aber von Abrüstung ist in seinen Schriften nicht die Rede. Folgerichtig forderte daher das erste sozialdemokratische Parteiprogramm, Gotha, 1875, „Allgemeine Wehrhaftigkeit, Volkswehr an Stelle der stehenden Heere“ (Punkt 3) und in Punkt 2 „Entscheidung über Krieg und Frieden durch das Volk“. Daneben ist wohl noch in der Einleitung von der „Verbrüderung aller Menschen“ die Rede, aber der Pazifismus als solcher wurde nicht erwähnt.

Erst als die immer mehr zur Last werdende internationale Aufrüstung einerseits und die immer stärker drohende Kriegsgefahr andererseits die Fragen von Abrüstung und Schiedsgericht zum Diskussionsgegenstand aller Kreise, nicht nur der sozialdemokratischen, machte, nahm auch die sozialdemokratische Partei nochmals hierzu Stellung. Das neue sozialdemokratische Parteiprogramm, das nach dem Ablauf des Sozialistengesetzes möglich wurde, Erfurt 1891, brachte daher eine interessante Ergänzung der Gothaer Forderungen, nämlich „Schlichtung aller internationalen Streitigkeiten auf schiedsgerichtlichem Wege“. Damit und erst jetzt wird also eine pazifistische, kriegsgegnerische Forderung Bestandteil des Parteiprogramms. Allerdings wird zur selben Zeit und im selben Absatz des Programms Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit gefordert, was weniger pazifistischen Grundsätzen entspricht. Gleichzeitig wurde das Gothaer Programm dahin abgeändert, daß nunmehr an Stelle des Volkes die Volksvertretung über Krieg und Frieden entscheiden solle. Solch eine Entscheidung, kann man wohl sagen, war die Reichstagssitzung vom 4. August 1914 mit ihrem einstimmigen Beschluß der Kriegskredite, also völlig im Einklang mit dem Erfurter Programm.