Die Glücksbäckerei – Die magische Verschwörung - Kathryn Littlewood - E-Book + Hörbuch
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Die Glücksbäckerei – Die magische Verschwörung Hörbuch

Kathryn Littlewood

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Beschreibung

Kuchen kann die Welt verändern … Hätte Rose nur nicht unbedacht den Wunsch geäußert, nie wieder backen zu müssen! Als die Glücksbäckerei nun schließen muss, fühlt Rose sich schuldig. Und es kommt noch schlimmer: Rose wird von dem mysteriösen Mr Butter entführt, dem Inhaber eines Bäckereikonzerns. Er will die Bevölkerung mit Zaubergebäck manipulieren und so die Weltherrschaft übernehmen. Und ausgerechnet die junge Glücksbäckerin muss ihm dabei helfen! Doch mit ein paar Zauberzutaten wie der feurigsten Liebesgeschichte aller Zeiten oder einem Glas Mutterliebe zaubert Rose Leckerbissen, die es in sich haben – und rettet die Welt mit Kuchen! Der 3. Band der erfolgreichen »Glücksbäckerei«-Reihe – köstlich und magisch und mit liebevoll verzierenden Vignetten (denn das Auge nascht mit!) Alle Bände über Die Glücksbäckerei: Band 1: Das magische Rezeptbuch Band 2: Die magische Prüfung Band 3: Die magische Verschwörung Band 4: Die magische Verwandlung Band 5: Die magische Rettung Band 6: Die magische Zeit Band 7: Das magische Fest Band 8: Die magische Schule Band 9: Die magischen Zwillinge Serie bei Antolin gelistet

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Zeit:4 Std. 18 min

Sprecher:Sascha Icks
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Kathryn Littlewood

Die Glücksbäckerei – Die magische Verschwörung

 

Aus dem Amerikanischen von Eva Riekert

 

Mit Vignetten von Eva Schöffmann-Davidov

Über dieses Buch

 

 

Kuchen kann die Welt verändern …

 

Hätte Rose nur nicht unbedacht den Wunsch geäußert, nie wieder backen zu müssen! Als die Glücksbäckerei nun schließen muss, fühlt Rose sich schuldig. Und es kommt noch schlimmer: Sie wird von dem mysteriösen Mr Butter entführt, dem Inhaber eines Bäckereikonzerns. Er will die Bevölkerung mit Zaubergebäck manipulieren und so die Weltherrschaft übernehmen. Und ausgerechnet die junge Glücksbäckerin muss ihm dabei helfen! Doch mit ein paar Zauberzutaten wie der feurigsten Liebesgeschichte aller Zeiten oder einem Glas Mutterliebe zaubert Rose Leckerbissen, die es in sich haben. Wird sie es schaffen, die Welt mit Kuchen zu retten?

 

Der 3. Band der erfolgreichen »Glücksbäckerei«-Reihe – köstlich und magisch und mit liebevoll verzierenden Vignetten (denn das Auge nascht mit!)

 

Alle Bände über Die Glücksbäckerei:

Band 1: Das magische Rezeptbuch

Band 2: Die magische Prüfung

Band 3: Die magische Verschwörung

Band 4: Die magische Verwandlung

Band 5: Die magische Rettung

Band 6: Die magische Zeit

Band 7: Das magische Fest

Band 8: Die magische Schule

Band 9: Die magischen Zwillinge

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch

Biografie

 

 

Kathryn Littlewood ist Schriftstellerin, Schauspielerin und Comedian, lebt in New York, USA, arbeitet oft in Los Angeles – und hat eine ebenso große Schwäche für Pain au chocolat wie für Kinderbücher. Sie ist eine leidenschaftliche Köchin, aber eine fürchterliche Bäckerin, und gibt zu, dass ihr noch nie ein Kuchen geglückt ist. Essen tut sie ihn dennoch für ihr Leben gern!

 

Eva Schöffmann-Davidov ist eine der renommiertesten Kinder- und Jugendbuchillustratorinnen Deutschlands. Nach ihrem Studium an der Fachhochschule für Gestaltung in Augsburg machte sie sich schnell einen Namen und gewann zahlreiche Preise. Als Dozentin gab sie ihr Wissen auch an junge Künstler*innen weiter. Heute illustriert sie Kinderbuchserien und Jugendbücher unter anderem von Bestsellerautor*innen wie Kerstin Gier oder Tanya Stewner. Sie lebt mit ihrer Familie in Augsburg.

Inhalt

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Epilog

Danksagung

Für Katherine Tegen, die mit Büchern zaubert

 

 

Prolog

Was kommt, das kommt

Rosmarin Glycks Träume waren Wirklichkeit geworden: Sie war die berühmteste Bäckerin der Welt. Sie war die jüngste Konditorin, die jemals die weltbekannte französische Gala des Gâteaux Grands gewonnen hatte. Sie war die Zwölfjährige, die die gefeierte Fernsehköchin Lily Le Fay im Backen geschlagen hatte – und somit die ruchlosen Pläne ihrer Tante unterbinden konnte. Sie war das Mädchen, das ihre Heimatstadt erlöst und das magische Rezeptbuch der Familie Glyck gerettet hatte.

Warum also um alles in der Welt war sie nicht glücklich?

Am dreizehnten Morgen nach ihrer Rückkehr aus Paris öffnete sie die Vorhänge vor ihrem Fenster.

Knips! Blitz! Klick! Klick!

Das war der Grund.

»Seht, da ist sie, da ist Rose!« Klick! Blitz! Knips! »Rose, was sagst du zu deinem Sieg?« Klick! Blitz! Blitz! Knips! »Rose! Wie fühlt es sich an, die beste Bäckerin der Welt zu sein?« Knips! Blitz! Klick! »Und das mit zwölf Jahren?!« Klick! Blitz! Knips!

»Grrr«, machte Rose. Sie sind immer noch da. Rose dachte wehmütig an die Morgengeräusche, die üblicherweise den Tag einläuteten: der sanfte Klang des Windglockenspiels, das quietschende Schaukelseil, das sich am Ast der alten Eiche vor ihrem Fenster rieb. Stattdessen war da das Getöse, das sie der Gruppe von Paparazzi verdankte, die ihr Lager vor der Glücksbäckerei aufgeschlagen hatte. Jeden Morgen warteten sie darauf, dass Rose die Vorhänge öffnete, dann schossen sie Hunderte von Fotos und verlangten lautstark nach einer neuen Schlagzeile zu ihrem wundersamen Sieg.

Rose hatte sich immer insgeheim gefragt, wie es sich wohl anfühlen würde, berühmt zu sein, und nun wusste sie es zu ihrem Leidwesen. Als ob man ein Goldfisch war: Hunderte von großen, glotzenden Augen starren dich an – und dein einziges Versteck ist der kleine bunte Plastikpalast.

Rose zog die Vorhänge mit einem Ruck zu und fragte sich, ob sie überhaupt noch Lust auf Backen hatte. Eigentlich nicht, wenn Bäckerin sein dies bedeutete …

»Ach, wenn ich nur nie mehr backen müsste«, sagte sie vor sich hin.

Ein pelziger grauer Kopf mit platt angelegten Ohren schob sich aus einem Klamottenberg am Fußende ihres Bettes. »Sei lieber vorsichtig mit solchen Wünschen«, sagte Gus. »Wünsche, die man kurz vor seinem Geburtstag äußert, könnten in Erfüllung gehen.« Der Schottische Faltohrkater hob eine Pfote und begann sorgsam die Zwischenräume zwischen seinen Krallen zu lecken.

»Das ist doch Quatsch«, sagte Rose. »Ich habe erst Ende des Sommers Geburtstag. Außerdem habe ich es auch nicht wirklich ernst gemeint.« Sie kraulte seinen Kopf und er schnurrte. »Ich würde nur gerne eine kleine Pause machen, verstehst du?« Sie war zur Bäckerin geworden, weil sie ihre Familie und ihre Stadt liebte und weil ihr Backen im Blut lag – aber dank ihres Sieges bei der Gala des Gâteaux Grands hatte sich alles irgendwie verkehrt.

Sie wusste, dass es ja nur zwei mickrige Wochen gewesen waren, aber diese vierzehn Tage kamen ihr vor wie die längsten ihres Lebens. Keinerlei Frieden und Ruhe. Kein Durchschnaufen. Keine Zeit, den Sommer zu genießen. Backen machte einfach keinen Spaß mehr, wenn es zu etwas wurde, das man tun musste – so wie Hausaufgaben.

Dann war es einfach nur Arbeit. Also wenn es nach ihr ging und wenn sich in diesem Sommer die Situation nicht gravierend änderte, dann würde sie am liebsten für immer mit dem Backen aufhören.

 

Unten in der Backstube der Familie Glyck war die Lage auch nicht besser. Die Blitzlichter der Fotoapparate zuckten durch die Ritzen der zugezogenen Vorhänge wie ein heftiges Sommergewitter, und das Geschrei der Reporter vor der Tür klang, als seien dort Tausende von Menschen und nicht nur ein paar hundert. Warum lassen diese Leute mich nicht einfach in Ruhe?, dachte Rose.

Fast noch schlimmer waren die Briefe.

Roses Brüder Basil und Tymo saßen bereits in der Backstube und sortierten die Post vom Vortag, warfen unwichtige Briefe in einen riesigen schwarzen Müllsack und legten diejenigen, die man beantworten musste, auf einen Stapel. Natürlich waren diese Briefe eigentlich für Rose (»Deine Fans lieben uns – ich meine, dich«, sagte Tymo immer), aber Rose hatte es satt, das Gesülze lesen zu müssen. Sie wollte sich keinen einzigen Brief mehr ansehen – weder jetzt noch jemals wieder. Sie wollte einfach wieder ganz normal ihr Leben leben.

»Schrott«, verkündete Basil und warf einen Haufen zerknüllter Papierstücke in den Müll. Roses pausbäckiger jüngerer Bruder war gerade zehn geworden, sah aber keinen Tag älter als acht aus. Er hatte einen rotblonden Lockenkopf, und die Anzahl der Sommersprossen auf seiner Nase war so ziemlich das Einzige an ihm, das während des letzten Jahres gewachsen war.

»Worum geht es?«, fragte Tymo. Roses gutaussehender älterer Bruder war zwar gewachsen, aber nicht genug – vor kurzem hatte er Rose seine Sorge anvertraut, dass er für eine Karriere als Basketballstar wohl doch nicht groß genug werden würde.

»Der spanische Präsident bestellt bei uns einen Kuchen«, sagte Basil und blätterte die Briefe durch. »Warren Buffet fragt nach einem riesigen Kuchen in Form eines Tortendiagramms, mit verschiedenen Geschmacksrichtungen für jeden Abschnitt.«

»Was ist ein Tortendiagramm?«, fragte Tymo.

»Wer ist Warren Buffet?«, fragte Rose.

»Jemand, der Torten mag, schätze ich mal«, sagte Basil und las einen weiteren Brief vor. »Die Generalversammlung der Vereinten Nationen möchte, dass wir bis zu ihrer nächsten Tagung für jeden Botschafter einen Muffin backen – mit einer Glasur in den Farben der Landesflagge, und, jetzt hört euch das an, ›jeder Muffin soll durch und durch wie das Heimatland seines jeweiligen Botschafters schmecken.‹«

»So ein Blödsinn«, erwiderte Tymo. »Wann schreibt uns mal jemand wirklich Wichtiges?«

Basil riss den nächsten Brief auf, einen schweren pinkfarbenen Umschlag, der einen sanften Hauch süßen Parfüms verströmte, und ließ sich theatralisch zu Boden fallen. Er griff sich mit schmerzverzerrter Miene an die Brust wie einer, der einen Herzanfall erlitten hatte.

»Jetzt aber!«, rief er und streckte Tymo und Rose den Bogen entgegen.

Rose überflog den Brief.

Liebe wunderbare Rose

und alle übrigen Mitglieder der Glücksbäckerei!

Bitte schickt mir einen Kuchen. Egal, was für einen. Ich muss einfach einen Eurer Kuchen haben. Sonst sterbe ich.

Ich zahle, was Ihr wollt. Ihr könnt sogar auf meiner nächsten Tournee in meiner Band spielen. Schickt den Kuchen so bald wie möglich.

Katy Perry

»Nein!«, stieß Tymo aus. »Sie hat bestimmt bei der Fernsehübertragung des Wettbewerbs zugeschaut, mich gesehen und sich in mich verliebt. Mit dem Kuchen will sie sich wahrscheinlich an mich ranmachen.«

Rose seufzte. Sie wusste, dass sie eigentlich hätte begeistert sein müssen, aber all die Briefe von berühmten Leuten langweilten sie nur. Sie war doch nicht Bäckerin geworden, um Zuschriften von irgendwelchen Berühmtheiten zu bekommen. Es ging um Mischen und Rühren und Unterheben, um Mehl und Butter und Zucker, um Backen mit Lust und Liebe und –

»Wir sind reich!«, schrie Tymo und hielt einen Brief von dem Bäckereikonzern Kathy Keegan hoch. Rose erkannte es an dem bekannten Logo, aus dem eine Frau, also wahrscheinlich Kathy Keegan, hervorlächelte.

»Rose«, sagte er, »sie bieten uns siebenhundertundsiebenundsiebzigtausend Dollar für nur einen einzigen Dreißig-Sekunden-Werbespot, der ihre Produkte anpreist.«

»Was sollen denn die vielen Siebenen?«, fragte Basil.

»Alles, was du tun musst, ist lediglich, einen Keegan-Kuchen zu essen und zu sagen: ›Ich bin Rosmarin Glyck, die jüngste Siegerin, die jemals die Gala des Gâteaux Grands gewonnen hat‹ und, ähm, ›Kathy Keegan ist meine Inspiration!‹« Tymo reichte ihr den Brief und starrte verträumt an die Decke. »Wenn ich Katy Perry heiraten würde und du diesen Werbevertrag abschließen würdest … dann müsste keiner von uns jemals wieder arbeiten!«

»Kathy Keegan gibt es doch in Wirklichkeit gar nicht«, antwortete Rose. »Der Keegan-Konzern ist von ein paar Geschäftsleuten gegründet worden. Wie kann ich sagen, eine bestimmte Person sei meine Inspiration, wenn es sie nicht mal gibt? Außerdem würde ich nie und nimmer einen Kathy-Keegan-Kuchen essen. Du weißt doch, was Mom von Kuchen in Plastikfolie hält.« Sie stopfte den Brief in ihre Tasche und wandte sich ab. Sie hatte genug von all dieser Post.

Jetzt erst entdeckte sie, dass jede nur mögliche Abstellfläche in der Backstube vollstand mit Backblechen, die mit Backpapier ausgelegt waren.

Ihre Mutter, Polly Glyck, stürzte durch die Schwingtür aus dem Verkaufsraum der Bäckerei, beide Arme voll mit Einkaufstaschen. Sie war eine stämmige Frau mit einem lieben Gesicht, das umrahmt wurde von krausen schwarzen Haaren und Ponyfransen, die ihr wild in die Stirn hingen.

»Jungs, die Plätzchen!«, rief sie. »Ich habe euch doch aufgetragen, das Spritzgebäck zu machen, und zwar so lange, bis alle Bleche voll sind!«

Grummelnd nahm jeder der Jungen einen Spritzbeutel zur Hand. Polly wuschelte ihnen durch die roten Haare, und sie machten sich daran, kleine Häufchen Schokoladenteig in säuberlichen Reihen auf die Bleche zu setzen.  

»Was ist los?«, fragte Rose.

»Diese Reporter«, sagte Polly und gab Rose einen Kuss auf die Stirn. »Wir haben keine Chance, zu unserem alltäglichen Leben zurückzukehren, wenn die Reporter nicht irgendwann mal verduften.«

»Ich helfe mit«, sagte Rose, und zum ersten Mal seit Tagen hatte sie richtig Lust dazu, in der Backstube herumzuwirbeln. Vielleicht konnte sie sich ja wirklich nützlich machen.

»Rose, Liebling«, sagte Polly, während sie zügig die Einkäufe auspackte, »du solltest wohl lieber wieder nach oben gehen. Schließlich spielen sie ja wegen dir so verrückt.«

»Soll ich jetzt einfach den ganzen Tag in meinem Turm verbringen wie Rapunzel?«, fragte Rose und rang verzweifelt die Hände. Dann ergriff sie einen Spritzbeutel mit Schokoladenteig und drückte ein paar säuberliche Häufchen heraus. Ihre Brüder übernahmen den Rest.

»Dreihundert Plätzchen«, zählte Polly nach. »Gerade genug. Kinder, kommt mal.« Sie zog Rose und ihre Brüder zu sich heran und legte ihnen liebevoll die Arme um die Schultern. In dem Moment flog die Tür zum Kühlraum auf, und Roses Ururururgroßvater Balthasar kam mit einem großen bläulichen Einmachglas heraus, das mit Maschendraht umwickelt war. Aus dem Glas drang ein Geräusch, das sich anhörte, als würden zehntausend elektrische Zahnbürsten auf einmal surren. »Seid ihr so weit?«, fragte er.

Polly nickte. »Lass die Bienen los!«

Balthasar stellte das Glas mitten auf den Küchenboden, dann öffnete er den Deckel einen Spalt. Ein Bienenschwarm quoll heraus und breitete sich in der Küche aus wie eine bedrohliche, summende, schwarz-gelbe Wolke.

»Seht euch vor, Kinder!«, rief Balthasar und zupfte an seinem Bart. »Der Stechende Schwarm Fleißiger Bienen!«

»Bei dem Spritzgebäck handelt es sich um Kümmert-euch-um-euern-eigenen-Kram-Kekse«, erläuterte Polly durch das Gesumme. »Wer so einen Keks, der mit einem Stich aus dem Stechenden Schwarm Fleißiger Bienen gewürzt ist, isst, kümmert sich ganz fleißig nur noch um seinen eigenen Mist. Erstmalig wurden diese Plätzchen bei Trappistenmönchen ausprobiert; es war nämlich so, dass die Mönche des Ordens nie den Mund halten konnten – quassel, quassel, quassel den ganzen Tag! Nachdem sie jedoch diese Kekse verschlungen hatten, leisteten die Mönche das erste Schweigegelübde in der Geschichte des Mönchtums.« Polly zog ein Kazoo aus ihrer Schürzentasche. »Aufgepasst!«

Sie spitzte die Lippen und trötete auf dem Instrument einen rhythmischen Tango. Sofort blieb der Bienenschwarm absolut still in der Luft stehen, dann verteilte er sich, bis jede Biene über einem kleinen Schokoladenteighäufchen schwebte. Die Bienen sahen Polly erwartungsvoll an. Rose spürte eine sanfte Brise von ihrem Flügelschlag.

Als nun Polly erneut in das Kazoo blies, bohrte jede der dreihundert Bienen ihren Stachel in eines der Teighäufchen. Sie schienen aufzuseufzen und ihr Summen wurde leiser, dann erhoben sie sich senkrecht in die Luft und flogen auf dem kürzesten Weg wieder in das Glas zurück.

Balthasar klappte den Deckel zu.

Tymo und Basil krochen unter dem Tisch in der Frühstücksecke hervor und atmeten tief durch.

»Würg«, sagte Basil. Rose bemerkte, dass Wände und Boden der Backstube von einem gelblichen Klebezeug überzogen waren. Basil fuhr mit dem Finger durch die Schicht. »Iiihhh. Die haben alles mit Schleim überzogen.«

Balthasar kratzte sich den kahlen Schädel, und sah danach auf seine Finger, die von dem klebrigen gelben Zeug trieften. Er probierte die Masse vorsichtig mit der Zungenspitze. »Das ist Honig«, brummte er.

Polly und Rose schoben Blech um Blech mit den frisch gestochenen Schokoladenplätzchen in den Backofen. Nach ein paar Minuten verfrachteten sie die heißen Kekse auf Servierplatten, und schon kurz darauf wuselten Tymo und Basil draußen in der wimmelnden Menge von Reportern und Fotografen herum und boten die Plätzchen an.

Die Reporter bissen in die Kekse, worauf ihre Augen so golden aufleuchteten wie der pelzige Leib einer Biene, und verließen eilig den Rasen. Innerhalb von zehn Minuten hatte sich die Menge im Garten aufgelöst – mitsamt Fotoapparaten, Blitzlichtern, Mikrophonen und allem.

Tymo und Basil kamen mit den leeren Tabletts in die Küche zurück. Tymos Haare, die er seit der Gala zu zehn Zentimeter langen Stacheln hochgelte, hingen schlapp herunter wie welke Gräser, und Basil hatte einen leuchtenden roten Striemen über der Stirn.

»Jemand hat mich mit einem Mikrophon erwischt«, sagte er aufgebracht. »Diese Typen sind Bestien. Bestien, sage ich!«

Tymo hielt ein orangefarbenes Stück Papier hoch, das sehr offiziell aussah: »Nachdem sie verduftet waren, habe ich das hier an der Tür gefunden – die Zettel kleben überall am Haus.«

Polly nahm das Blatt entgegen und las es laut vor. »Auf Anordnung der Nationalen Wirtschaftsbehörde und der Verordnung HC 213 wird diesem Geschäft ab sofort der BETRIEB UNTERSAGT.«

»Dürfen sie das denn?«, fragte Basil. »Müssen sie nicht erst mit uns darüber reden?«

»Was? Ausgerechnet jetzt? Wo wir doch gerade erst das große Los gezogen haben!«, sagte Tymo entsetzt. »Katy Perry will Kuchen von uns!«

Polly runzelte die Stirn und las weiter. »Die nationale Behörde gegen die Diskriminierung von Großbäckereien verfügt, dass Bäckereien mit weniger als tausend Angestellten zu schließen und die Produktion einzustellen haben. Großbäckereien im gesamten Land erleiden Einbußen aufgrund von ungerechtfertigten Vorteilen kleiner Familienbäckereien. Ab sofort ist in Familienbackunternehmen der Betrieb einzustellen, und es gilt ausdrücklich das Verbot, Backwaren kommerziell in Umlauf zu bringen, also zu verkaufen. Zuwiderhandlungen werden in vollem Ausmaß des Gesetzes geahndet.«

Rose schluckte und spürte, wie etwas Weiches ihren Knöchel streifte. Sie sah hinunter und entdeckte den Kater Gus, der zu ihr aufblickte. »Ein Wunsch zur Unzeit bringt Elend und Leid«, sagte er, dann strich er ihr um die Beine. »Ich hab dich ja gewarnt!«

Kapitel 1

Die Katze im Sack

Genau siebenundzwanzig Tage später wachte Rose auf, um festzustellen, dass ihr Zimmer angenehm warm war wie eine Socke frisch aus dem Wäschetrockner.

Siebenundzwanzig Tage lang hatte sie darunter gelitten, in einem kalten Haus aufzuwachen. Die Backöfen waren abgestellt, die Läden vor den Frontfenstern geschlossen, der Betrieb lahmgelegt. Siebenundzwanzig Tage hatte sie mit dem Schuldgefühl gelebt, dass sie, Rosmarin Glyck, mit einem harmlosen Wunsch Kälte und Freudlosigkeit über ihre Stadt gebracht hatte.

Sie streckte sich im Bett, lauschte dem Knacken ihrer Gelenke und war dankbar, dass es ein warmer Samstag im Juni war. Sie musste sich heute nicht durch die jämmerlichen Korridore ihrer Schule schleppen. Natürlich hatte sich auch der Zustand der Schüler gravierend verschlechtert, seit die Glücksbäckerei geschlossen war. Die Lehrer hatten keinen Schwung mehr, die Sportmannschaften verloren ihre Spiele – sogar die Cheerleader zeigten keine Begeisterung mehr. Von dem ehemals lauten »Hurra« war nur noch ein lahmes »Raaah« übrig geblieben, und ihre Pompons schüttelten sie nur noch halbherzig.

Diese Lustlosigkeit hatte auch Devin Stetson überfallen. Seine blonden Ponyfransen hingen schlaff und fettig über die Stirn, und er glotzte stumpf vor sich hin. Rose sehnte sich nach seinem schüchternen Weggucken.

Rose litt unter den Zuständen schlimmer als alle anderen: Denn als Einzige in Calamity Falls wusste sie, dass nur sie allein die Schuld für die Schließung der Bäckerei trug.

»Nur noch eine Woche«, murmelte sie vor sich hin und zog die Decke über ihren Kopf.

»Pscht!«, rief eine kleine Stimme direkt neben ihr. »Ich schlafe!«

Rose schlug die Decke zurück und sah nach, wo die Stimme herkam. Sie entdeckte ein Schlafanzugbündel, das sich als ihre jüngere Schwester Nella entpuppte, die sich, wie ein Komma gekrümmt, zwischen Rose und die Wand gequetscht hatte.

»Nella«, sagte Rose, »du musst aufhören, dich in mein Bett zu schleichen!«

»Aber ich krieg immer so Angst«, sagte Nella und klimperte mit ihren schwarzen Wimpern, und schon wieder fühlte sich Rose schuldig. Die plötzlichen Angstattacken ihrer vierjährigen Schwester waren womöglich auch ihre Schuld.

»Noch eine Woche von was?«, schnurrte jemand anderes. Fest aufgerollt zu einem Kringel lag am Bauch ihrer Schwester Gus. Er schlug ein grünes Auge auf und sah sie finster an. Der Kater konnte schon sprechen, als Rose ihn kennenlernte – genauer gesagt konnte er es, seitdem er sich irgendwann einmal über das von Roses Ururururgroßvater gebackene Gouda-Geplauder-Gebäck hergemacht hatte. Doch immer noch erschrak sie, wenn er sein winziges Maul mit den Schnurrhaaren öffnete und etwas Altkluges von sich gab. »Hat’s dir die Sprache verschlagen?«

»Bis die Sommerferien anfangen«, sagte Rose. »Ich halte es nicht mehr aus. Alle sind so trübselig!« Sie zog tief die Luft ein und roch plötzlich den tröstlichen, sanften Duft nach Zimt und Vanille. »Da bäckt jemand!«, rief sie.

Gus schob die Vorderpfoten vor und streckte sich, wobei er seinen Schwanz senkrecht in die Luft streckte wie ein Ausrufezeichen. »Das hier ist schließlich eine Bäckerei, oder nicht?«

»Aber, aber, aber – wir haben doch geschlossen! Auf Anordnung der Regierung! Die Glücksbäckerei ist am Ende.«

Nella blinzelte und kraulte die krumpeligen grauen Ohren von Gus. Seit sie von Lilys schrecklichem Zauber erlöst war, der dazu geführt hatte, dass sie ihre Tante ununterbrochen gepriesen hatte, war sie inzwischen von einer Buddha-ähnlichen Gelassenheit und öffnete selten den Mund, außer um schlicht und einfach die Wahrheit zu verkünden.

»Ein Ende«, sagte das kleine Mädchen ruhig und berührte Roses zerfurchte Stirn, »bedeutet nichts als die Gelegenheit, neu anzufangen.«

Rose verzog das Gesicht. »Egal, ob Ende oder Anfang, wenn wir backen, brechen wir das Gesetz«, sagte sie. »Lass uns mal lieber nach unten gehen.«

 

Nachdem sie schnell Shorts und ein rotes T-Shirt angezogen hatte, eilte Rose mit Nella und Gus in die Backstube. Chip kam gerade aus dem Verkaufsraum der Bäckerei. Er war früher Soldat bei der Marine gewesen, jetzt half er schon seit einiger Zeit in der Glücksbäckerei aus und bediente normalerweise die Kunden im Laden. Rose wusste nicht, was sie ohne ihn machen würden.

»Ich verstehe nicht, was ich hier soll«, sagte er. »Auf dem Schild an der Ladentür steht immer noch GESCHLOSSEN. Die Rollos sind noch runtergezogen. Es brennt kein Licht.«

»Gut so, Chip«, sagte Roses Mutter Polly. »Setz dich hin, damit ich erklären kann, was los ist.«

Er setzte sich auf einen Hocker am Kopf des Tisches in der Frühstücksecke, an dem sich Roses Eltern, ihre Brüder und Großvater Balthasar um den riesigen Berg Fanpost versammelt hatten. Roses Vater Albert hielt den offiziellen Brief von der Regierung in Händen und las ihn immer wieder durch, als erwarte er, eine winzige Fußnote zu entdecken, die die ganze Angelegenheit wieder aufhob. »Dieses Gesetz klingt ganz unlogisch – es ergibt überhaupt keinen Sinn!«, brummte er vor sich hin. Nella krabbelte unter den Frühstückstisch und kam auf dem Schoß ihrer Mutter wieder hervor. Rose ließ sich neben ihren Brüdern nieder.

»Ich stimme dir zu: Es ergibt keinen Sinn«, bestätigte Roses Mutter. »Deshalb ist die Glücksbäckerei ab heute wieder in Betrieb.«

»Aber Polly!«, hielt ihr Albert entgegen. »Das wäre gesetzeswidrig!«

»Liebe Polly, die Regierung ordnet an, dass wir keine Geschäfte machen dürfen«, sagte Balthasar und rieb sich mit einem Taschentuch über die Glatze. »Dieses Dokument ist völlig eindeutig: Wenn wir nicht mehr als tausend Leute einstellen, bleibt der Laden geschlossen. Selbst dieser Schickimicki-Anwalt Bob Solomon hat nicht ein einziges Schlupfloch finden können. Und unsere Kongressabgeordnete, Big Nell Katey – tja, sie hat bei den anderen Politikern in Washington nicht sooo viel ausrichten können. Sie haben beide ihr Bestes gegeben, aber wir haben es da offenbar mit etwas Hinterhältigem zu tun.«

Gus machte einen Buckel und fauchte. Er fing an dem hölzernen Tischbein zu kratzen an, als sei es ein Käfig voller Mäuse.

»Gus«, sagte Polly sanft, »bitte nicht kratzen.«

Gus sank zu Boden und wand sich unglücklich, bis er auf dem Rücken lag. »Tut mir leid. So reagieren Schottische Faltohrkater auf Hinterhältigkeit.«

»Das Gesetz besagt, dass wir nicht gewinnorientiert arbeiten dürfen«, erläuterte Polly mit einem seltsamen Schimmern in den Augen. »Über das Betreiben einer gemeinnützigen Organisation steht nichts darin. Wir dürfen die Backwaren nicht mehr verkaufen, aber wir müssen nicht aufhören, sie herzustellen!«

Tymo fiel die Kinnlade herunter. »Willst du damit andeuten –«

»– dass wir unsere Backwaren in Zukunft verschenken?«, beendete Basil den Satz.

Tymo stützte den Kopf in die Hände, wobei er darauf achtete, seine Igelfrisur nicht platt zu drücken. »Ich hör wohl nicht recht. Auf die Art werden wir ja nie reich!«

»Die Waren zu verschenken ist genau das, was ich meine«, sagte Polly. »Bei unserer Arbeit geht es um weit mehr als nur um schnöden Profit. Calamity Falls braucht uns.«

Basil stöhnte dramatisch auf.

Albert lächelte und faltete den Brief zusammen. »Wir werden nicht auf ewig in der Lage sein, die Waren der Glücksbäckerei verschenken zu können – kein Mensch kann sich das leisten. Aber wir können es zumindest so lange tun, bis wir einen Weg gefunden haben, dieses hirnrissige Gesetz zu umgehen.«

»Ich bin überzeugt, dass Lily dahintersteckt.« Balthasar erhob sich vom Frühstückstisch und fing an, im Raum auf und ab zu gehen und sich den Bart zu kratzen. »Vergesst nicht: Lily hat die Seiten aus dem Anhang unseres magischen Rezeptbuches niemals zurückgegeben. Ihr wisst schon, die gefährlichen Rezepte von Albatross. Ich wette mit euch um ein Betrügerisches Bananenbrot, dass Lily die Rezepte aus dem kleinen Heft benutzt, um in der Regierung Chaos und Verwüstung anzurichten. Ich hätte es vernichten sollen, als ich damals 1972 noch die Gelegenheit dazu hatte.«

Roses Ururururgroßvater liebte es, der Familie die Gefahren auszumalen, die von diesen äußerst unguten und bösartigen Rezepten ausgingen, die von einem uralten schwarzen Schaf der Familie Glyck – nämlich von jenem besagten Albatross – geschrieben worden waren. Ursprünglich steckte der Anhang mit den Rezepten in einem Fach hinten in dem magischen Rezeptbuch der Glycks. Aber als Lily das Buch nach der verlorenen Gala des Gâteaux Grands in Paris zurückgegeben hatte, fehlte der Anhang.

»Das können wir nicht mit Gewissheit sagen, Balthasar«, hielt ihm Albert entgegen. Rose hatte allerdings den Verdacht, dass er eher sich selbst als Balthasar zu überzeugen versuchte. Ihr Ururururgroßvater knurrte nur verächtlich.

»Das ist doch alles einerlei!«, rief Tymo. »Die Lösung unserer Probleme ist so eindeutig! Rose muss nur einen einzigen Werbespot für Kathy Keegans Kuchensnacks machen, dann können wir uns alle nach Tahiti zurückziehen. Keiner von uns muss je wieder einen Backofen bedienen. Andere backen dann für uns!« Er und Basil klatschten sich ab.

»Es geht nicht um Geld, Thymian«, sagte Polly und gab ihrem ältesten Sohn einen Klaps auf den Hinterkopf. »Es geht um die Leute in unserer Stadt. Sie brauchen uns. Und wir brauchen sie. Backen ist unsere Berufung.«

»Abgesehen davon«, sagte ihr Vater, »können wir es uns ja leisten – erst mal wenigstens. Wir haben immer gespart für Notfälle. Und jetzt? Jetzt haben wir einen Notfall hier in Calamity Falls.«

Irgendwo tief in ihrem Inneren spürte Rose eine kleine Flamme züngeln, einen Hoffnungsfunken, und der dringende Wunsch überfiel sie, auf die einzige Art, die sie kannte, etwas Gutes zu tun. »Wie gehen wir vor?«, fragte sie ihre Mutter.

Polly lächelte, und Rose spürte, wie die Trostlosigkeit der vergangenen siebenundzwanzig Tage verdunstete wie eine Wolke bei Sonnenaufgang. »Wir sind jetzt die Untergrund-Bäckerei von Calamity Falls«, verkündete Polly. »Wir backen Tag und Nacht, und von morgen an werden wir höchstpersönlich bei jedem in der Stadt Kuchen und Pasteten und Muffins abliefern. Die Leute von Calamity Falls haben zu uns gehalten in den schlimmen Zeiten, als wir das magische Rezeptbuch nicht hatten. Jetzt halten wir zu ihnen.«

Albert riss das Schreiben der Regierung theatralisch mittendurch. »Ich finde, das ist die beste Idee, die ich je gehört habe.«

Polly setzte Nella auf Alberts Schoß, stand auf und lief in der beengten Backstube auf und ab. »Chip – geh los und mach einen Großeinkauf«, sagte sie und sah ihren bulligen Gehilfen an. »Albert – überprüfst du unsere Zauberzutaten?« Sie richtete sich hoch auf und setzte hinzu: »Wir geben nicht auf.«

»Ich helfe mit«, sagte Rose, die über die Gelegenheit glücklich war, ihren unbesonnenen Wunsch ungeschehen zu machen. Zum ersten Mal seit fast einem Monat würden die drei Generationen der Familie Glyck loslegen und backen – ohne Fotoapparate, ohne Reporter, nur mit guten und ein paar »besonderen« Zutaten, und somit das tun, was sie schon immer am besten konnten: magisches Zaubergebäck herstellen.

 

Es war drei Uhr in der Frühe.

Die Hitze in der Küche war so dick wie Traubengelee. Rose schlug das rote Ei eines Paradiesvogels in eine Schüssel mit Zucchiniteig, um eine Ladung Liebesmuffins für Mr und Mrs Bastable-Thistle zu backen, die ohne das Zutun der Glücksbäckerei wieder wie schüchterne Fremde miteinander umgingen.

»Mom, schau mal«, sagte Rose, als sie das Ei einrührte und beobachten konnte, wie der Teig dicker wurde und zischte und kleine herzförmige Mehlklümpchen daraus hervorbarsten.

Doch Polly konnte Rose nicht hören – wegen einem malaysischen Glückstukan, dessen zuversichtliches Kreischen sie in eine Schüssel Buttercreme mengte. Danach strich Polly die Buttercreme auf eine Ladung Singender Schnitten, die für den Gemeindechor von Calamity Falls waren. Die Stimmen der Chormitglieder waren ohne diese Leckerei schwach und dünn geworden. »Was hast du gesagt, Süße?«, fragte Polly.

»Nichts Wichtiges«, erwiderte Rose und rührte weiter ihren Muffinteig. Gleichzeitig ließ Balthasar den Blick eines mittelalterlichen Dritten Auges auf eine Portion Vater-Tochter-Karamellen los. Sie waren für Mr Borzini und seine Tochter Lindsey bestimmt – nach dem Verzehr der Karamellen würden beide besser erkennen können, was mit dem anderen los war. »Einem Dritten Auge sollte man niemals direkt ins, ähem, Auge sehen«, sagte Balthasar zu Rose. »Sonst könnte man erblinden.«

Immer schön aufpassen, dachte Rose, bloß nicht erblinden!

Die Familie war seit sechzehn Stunden beim Backen, und Pollys Dringlichkeitsliste für magisches Backwerk war erst halb abgearbeitet.

Überall in der Backstube standen bläuliche Einmachgläser herum, gefüllt mit unterschiedlichen Schniefern und Prustern, mit Feen und Gnomen, urtümlichen Eidechsen und sprechenden Pilzen, glotzenden Augen und ekligen Fliegen sowie zappelnden, glimmenden Schleimkugeln jeglicher Art. Ein Hauch von Zimt, Muskat und Vanille schwebte durch die Luft, und bei all den seltsamen Geräuschen aus der Backstube hoffte Rose doch sehr, dass die Nachbarn nicht annahmen, die Glycks würden einen Zoo aufmachen.

Albert hatte ein Glas mit Zauberzutaten nach dem anderen aus dem geheimen Keller unter dem Kühlraum nach oben befördert – »Achtung, Achtung, Köpfe einziehen, Glycks!« – bis die verstaubten Holzregale praktisch entleert waren.

Tymo und Basil waren schon lange zu Bett gegangen. Irgendwann waren sie nach unten gekommen, um einen Happen zu essen, aber sie brauchten nur einen Blick auf das magische Chaos, die klappernden Gebisse und fliegenden Kaninchen sowie auf die explodierenden Farbwolken aus Dutzenden von Teigschüsseln zu werfen, um zu kapieren, dass sie sich besser eiligst wieder verzogen.  

Es gab bereits Wahrheitsplätzchen für die berüchtigte Schwindlerin Mrs Havegood, Beruhigungs-Crêpes für die unwirsche, überdrehte schottische Babysitterin Mrs Carlson und Abenteuerliche Apfeltaschen für die zugeknöpften Damen des Bibliothekarinnen-Bücher-Bundes.

Es gab Blindfisch-Blinis für Florence, die Floristin, die nicht gut sah, Zurückhaltenden Zuckerkuchen für den französischen Restaurantbesitzer Pierre Guillaume, der bekannt dafür war, immer zu aufwendig einzukaufen, und sogar etwas für Devin Stetson, den blonden Jungen, an den Rose seit ungefähr einem Jahr, fünf Monaten und elf Tagen mindestens zweimal am Tag dachte. Ihm hatte Rose Windige Windbeutel gemacht, die ihm freien Atem verschaffen sollten. Seine Nebenhöhleninfektionen waren nach Roses Ansicht Devin Stetsons einziger Makel.

Gegen vier Uhr hatte Rose das Gefühl, dass ihr die Hitze aus den Backöfen zu Kopfe stieg. Sie ließ Polly wissen, dass sie sich nur mal eine Minute hinlegen müsse, dann rollte sie sich auf der Bank am Frühstückstisch zusammen und schlief prompt ein.

 

Rose wachte auf und blinzelte in buttergelben Sonnenschein, weil Gus, der Schottische Faltohrkater, sie stupste und auf sie einsabbelte. »Ausliefern, Rose!«, sagte er und schlug ihr mit seiner dicken Pfote auf die Schulter. »Die Liste ist abgearbeitet!«

Rose schoss senkrecht hoch und entdeckte ihre Eltern und Balthasar schnarchend auf dem Boden. Jeder nur denkbare Platz in der Küche war mit Kuchenschachteln bedeckt, die mit rot-weißem Haushaltsgarn verschnürt waren.

Tymo und Basil hatten schon angefangen, Schachteln in den Laderaum des Familienvans zu packen. Nella half, indem sie sich neben die Schachteln setzte und mit ihren kleinen Händen, die voller Zuckerguss waren, auf sie einpatschte und ein ums andere Mal »Backe-backe-Kuchen« sang.

Basil schnallte sie in den Kindersitz und setzte sich neben sie.

»Ich fahre«, sagte Tymo stolz. Wie immer musste er ständig jeden daran erinnern, dass er mit sechzehn alt genug war, um Auto fahren zu dürfen. Jetzt zog er seinen Führerschein aus der hinteren Jeanstasche und betrachtete ihn. Das Foto darauf hatte seine rote Stachelfrisur in voller Höhe eingefangen, jedoch alles unterhalb der Oberlippe war abgeschnitten. »Puh«, sagte er. »Wollte nur sichergehen, dass ich meine Erlaubnis dabeihabe. Meine Fahrerlaubnis.«

Rose verdrehte die Augen. »Ach, ich glaube, ich mache ein paar persönliche Lieferungen mit dem Fahrrad, wenn das recht ist.«

Tymo warf ihr einen Seitenblick zu, dann zuckte er die Schultern. »Was immer hermana wünscht, bekommt hermana auch.« Seit Tymo an der Schule Spanisch gewählt hatte, ließ er immer wieder ein paar fremde Vokabeln einfließen und bemühte sich um den Eindruck, fremdländisch und gebildet zu klingen.

Basil rief durchs Wagenfenster: »Du weißt aber, dass es auf dem Fahrrad keine Klimaanlage gibt, oder?«

»Ich weiß«, sagte Rose. Während ihre Brüder warteten, suchte sie hinten im Van herum und zog ein paar besondere Schachteln heraus. Sie packte sie in den vorderen Korb ihres Fahrrads und schob eine speziell ausgewählte Schachtel ganz vorsichtig in ihren Rucksack. Gerade, als sie losfahren wollte, sprang Gus auch noch in den Korb.

»Auf geht’s!«, rief er.

 

»Halte doch bitte an dem Reginald-Calamity-Brunnen, süße Rose, damit ich mir ein kleines Frühstück fangen kann.«

Der pelzige graue runde Kopf von Gus spähte aus Roses Korb, während sie durch die Straßen radelten.

»Gus, in dem Brunnen sind keine Fische«, erwiderte Rose, »nur verschiedene Münzen, die die Leute als Glücksbringer reinwerfen. So eine Art Tradition.«

»Na gut, dann sammle ich die Münzen und kaufe mir etwas köstlichen Räucherfisch.«

Ohne am Brunnen anzuhalten, stellte Rose ihr Fahrrad vor dem mit Efeu bewachsenen Bungalow von Mr und Mrs Bastable-Thistle ab.

»Dass du mir bloß die Klappe hältst, Gus«, sagte Rose und öffnete ihren Rucksack.

Gus sprang hinein, drehte und wendete sich, bis er bequem lag, dann streckte er den Kopf heraus. »Ich schweige wie ein Grab.« Er seufzte. »Wenn der Anblick eines sprechenden Katers doch nur nicht so viele Ohnmachtsanfälle unter den Menschen auslösen würde.«

Rose schob einen Vorhang von Efeu beiseite und drückte auf den Klingelknopf, der die Form eines Frosches hatte.

Kurz darauf kam Mr Bastable in einem T-Shirt, das mit einem Frosch und den Worten KÜSS MICH bedruckt war, an die Tür. »Hallo, Rose«, sagte er. Er wirkte ein bisschen schlaff, seine strähnigen weißen Haare standen allerdings so wild ab wie immer. »Was führt dich denn her?«

Rose musterte die Fußmatte, auf der stand: FRÖSCHE UND AUSGEWÄHLTE PERSONEN WILLKOMMEN. »Wie Sie wissen, ist die Glücksbäckerei geschlossen«, sagte sie. »Aber wir wollten Danke schön sagen, dafür dass Sie uns hier von Calamity Falls aus so prima bei der Gala unterstützt haben, deshalb bringen wir Ihnen ein paar Ihrer liebsten Liebes-, ich meine natürlich Zucchinimuffins.«

»Sieh an, sieh an«, sagte er unbewegt. Am leichten Glitzern seiner Augen konnte Rose jedoch sehen, dass er gerührt war. Aber Mr Bastable war schon immer eher schüchtern gewesen, daher hatte er ja auch die Liebesmuffins nötig.

Mr Bastable bemerkte Gus, der hinter Roses Schulter aus ihrem Rucksack schaute. »Sag mal, ist das eine Katze? Was ist denn mit ihren Ohren los?«

Rose spürte, wie Gus sich in ihrem Rucksack anspannte.

»Ach, gar nichts! Es ist ein Kater von der Rasse Schottischer Faltohr. Die haben eben solche Klappohren.«

»Hm«, murmelte Mr Bastable nachdenklich und biss geistesabwesend in einen Liebesmuffin. »Ein bisschen wie das Ohr eines Frosches, ganz über das Gesicht geklappt.«

Gus bohrte die Krallen in Roses Rücken. »Aua!« Sie zuckte zusammen.

»Was sagtest du?«, fragte Mr Bastable.

»Nichts.« Rose schüttelte den Kopf.

Ohne weiter auf sie zu achten, nahm Bastable einen weiteren krümeligen Bissen und schluckte geräuschvoll. Plötzlich funkelte etwas leuchtend grün in seinen Augen. Er sah über seine Schulter. »Felidia!«, rief er. Dann wandte er sich wieder Rose zu. »Ich muss meine geliebte Felidia wieder umwerben, denn sie ist eine fabelhafte Frau und fabelhafte Frauen muss man täglich neu umwerben! Ich komme, Felidia!«

Mit der Schachtel Muffins unterm Arm schlug er Rose die Tür vor der Nase zu.

»Hat wohl gewirkt«, sagte Rose, auch wenn sie sich lieber nicht vorstellen wollte, was sich jetzt im Inneren des Bungalows der Bastables abspielen würde.

»Ohren wie ein Frosch«, sagte Gus. »So ein lächerlicher Blödsinn.«

 

Florence die Floristin dachte, Rose sei ein Einbrecher, bis sie einen Bissen von einem Blindfisch-Blini nahm. »Ah! Du bist es, Rose!«, rief sie und seufzte vor Erleichterung, dass die Glycks sie nicht ganz vergessen hatten.

Rose traf Pierre Guillaume an seinem freien Tag an. »Sacré bleu«, rief er, als er einen Bissen von dem Zurückhaltenden Zuckerkuchen nahm, der ihn sofort davon abhielt, über eBay eine Yacht zu kaufen. »Deine Mutter Polly, sie passt wirklich immer gut auf mich auf«, sagte er.

So verteilte Rose Schachtel um Schachtel in der Stadt und vereitelte damit rechtzeitig kleinere Katastrophen, bis schließlich nur noch eine Schachtel übrig war. Die in ihrem Rucksack, diejenige, die sie wirklich gerne persönlich überbringen wollte, und diejenige, die der eigentlich Grund für ihre Fahrrad-Auslieferungstour war.

Sie radelte die beschwerliche Steigung des Sparrow Hill hinauf und stellte ihr Fahrrad vor Stetsons Donuts und Automobilwerkstatt ab. Rose hob erst Gus aus dem Rucksack, um dann vorsichtig die Schachtel mit den Windigen Windbeuteln herauszunehmen, in der Hoffnung, dass der Kater sie nicht zerdrückt hatte. Aber alles sah ganz gut aus.

Rose war gespannt, ob Devin wohl schon ihre neue Frisur bemerkt hatte. Die Friseurin hatte den Schnitt »Schrägfransen« genannt, was bedeutete, dass ihre schwarzen Ponyfransen jetzt schräg von einer zur andern Seite über der Stirn lagen und nicht mehr wie früher schnurgerade herunterhingen. In der Schule hatte Rose kein Wort mit Devin gewechselt, aber sie dachte, dass er ihren neuen Pony vielleicht in der Zeitung oder in einer Nachrichtensendung im Fernsehen gesehen hatte. Nie im Leben würde sie zugeben, dass sie sich mit der neuen Frisur wie eine Frau von Welt vorkam, aber so war es tatsächlich.

Mit hoch erhobenem Kopf und in Begleitung von Gus betrat Rose den Laden, die Schachtel mit Windigen Windbeuteln unter dem Arm. Es waren fluffige Beutel aus süßem Teig, überzogen mit einem Hauch Pfefferminzglasur. Die Cremefüllung war mit Arktischem Wind aufgeschlagen, weshalb das Gebäck Lunge und Nebenhöhlen auf der Stelle von unerwünschtem Schleim befreite. Polly hatte sie schon oft für Rose gemacht, wenn diese mit verstopfter Nase nicht zur Schule gehen und stattdessen das Bett hüten musste, und sie schmeckten viel besser als Erkältungstee.

Rose entdeckte Devin hinter dem Kassentisch. Auch er trug schräg fallende Ponyfransen, nur dass seine blond waren. In ihren Augen waren sie natürlich nicht einfach nur blond, sondern sahen wie gesponnenes Gold aus. Seine Nase war leuchtend rot und seine Augen fiebrig und trübe. Er schnäuzte sich in ein Papiertaschentuch.

»Der sieht wie eine kränkliche Ausgabe von diesem Justin Bu Bu aus«, flüsterte Gus.

»Pscht!«, zischte Rose und glitt erhaben an den Kassentisch.

Sie riss sich zusammen und holte tief Luft. »Hi, Devin.«

Devin wischte sich schnell die Nase, dann strich er seine Fransen glatt. »Hi, Rose«, erwiderte er düster.

»Geht’s dir nicht gut?«, fragte Rose. »Wieder mal krank?«

»Ja, du keddst mich ja«, sagte er durch die Nase. Nervös trommelte er mit den Fingern auf die Glasoberfläche. »Du bist ja jetzt eide Berühmtheit. Schod krass.«

Rose zuckte. »Doof krass oder gut krass?«

Devin verhaspelte sich. »Gut krass. Klar, eideutig gut krass. Ich … äh …« Er verstummte. Sein Blick sprang zwischen ihrem Gesicht und einem Winkel der Decke hin und her.

Ist er nervös?, dachte Rose. Ich bin doch sonst diejenige, die nervös ist. Laut sagte sie: »Obwohl die Bäckerei ja geschlossen ist, bin ich gekommen, weil ich dir deine Lieblingswindbeutel bringen wollte! Damit du nicht verzagst ohne sie.«

Rose hätte sich am liebsten getreten, als ihr dieses Wort entschlüpfte. Verzagst? Warum hatte sie das nur gesagt? Sie klang ja wie eine neunzigjährige Oma. Devin dachte womöglich, sie sei eine idiotische Wortklauberin.

Devin öffnete die Schachtel und biss in einen der aufgeplusterten Beutel. »Mmmmmm!«, rief er. »Mannomann, das ist der Wahnsinn – einfach superlecker!« Die m’s und n’s kamen wieder kristallklar heraus. »Komisch! Ich kann wieder durchatmen!« Er lächelte, und seine Augen verloren das trübe Aussehen.

»Gut komisch oder schlecht komisch?«, fragte Rose.

»Gut komisch«, erwiderte er lächelnd.

 

Als sie wieder draußen waren, flüsterte Gus: »Na, so toll ist der nun auch nicht«, während Rose zu ihrem Fahrrad hüpfte. Ihre Füße fühlten sich so leicht an, dass sie das Gefühl hatte, von einer Truppe unsichtbarer Feen getragen zu werden.

»Du hast ja keine Ahnung«, quietschte Rose, die die ganze Szene innerlich wieder und wieder ablaufen ließ wie eine Lieblings-DVD.