Die Goldschürfer - Vivian Stuart - E-Book + Hörbuch

Die Goldschürfer E-Book und Hörbuch

Vivian Stuart

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Beschreibung

Australien in der Mitte des 19. Jahrhunderts: Abenteurer und Glücksritter überschwemmen das Land, um mit dem Gold schnelles Geld zu machen. Darunter sind auch skrupellose Verbrecher wie Jasper Morgan. Doch Morgan, der dreifache Mörder, ist auf der Flucht. Als sein Verfolger Luke Murphy ihn findet, beginnt ein erbitterter Kampf um Recht und Ordnung in der ehemaligen Sträflingskolonie. Und Luke hat einflussreiche Verbündete: Captain Red Broome und Elizabeth, die schöne Tochter von Rick und Katie Tempest.

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Seitenzahl: 359

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Zeit:7 Std. 31 min

Sprecher:Frank Stieren
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Die Goldschürfer

Die Goldschürfer – Australien-Saga 7

© Vivian Stuart (William Stuart Long) 1985

© Deutsch: Jentas ehf 2022

Serie: Australien-Saga

Titel: Die Goldschürfer

Teil: 7

Originaltitel: The Gold Seekers

Übersetzung : Jentas ehf

ISBN: 978-9979-64-317-3

ERSTER TEIL

Die Verlockung des Reichtums

1

»Mach weiter, Luke!« drängte Daniel Murphy aufmunternd. Er grinste und schaufelte den Inhalt seiner Karre in den schräg hängenden Kasten des Schwingtroges. »Diesmal kann mehr drin sein als Goldstaub! Viele haben schon große Funde gemacht — warum sollen wir kein Glück haben? Morgan ist sicher, daß es hier Gold gibt, und er kennt sich doch aus, oder?«

Daniels Bruder Luke stand bis zur Hüfte im kalten Wasser des Baches und zuckte mit den Achseln.

»Kennt er sich wirklich aus, Dan?« fragte er. Aber er wartete die Antwort nicht ab, sondern goß Wasser in den Schwingtrog und schüttelte ihn hin und her, um den Sand von den Steinen zu trennen. Die größeren Steine blieben auf einem Siebboden hängen, alles andere fiel durch und wurde auf die Leisten und Riffeln am Kastenboden gespült. Jeden Abend wurde der goldhaltige Sand, der sich zuunterst absetzte, vorsichtig herausgeschaufelt.

Luke streckte sich und seufzte. Sein Bruder Daniel war nicht nur drei Jahre älter als er, sondern auch größer und viel kräftiger. Er selbst war gerade erst achtzehn Jahre alt geworden. Bis vor vier Monaten hatten er und Dan auf der kleinen, abgelegenen Farm ihres Vaters im Sacramento Valley in Kalifornien gearbeitet. Dort hatten sie Schweine und Pferde gezüchtet und die vorbeiziehenden Goldsucher für gutes Geld mit Nahrungsmitteln versorgt. Ihr Vater war Mormone, und obwohl er dieser neuen Sekte sehr früh beigetreten war, hatte er das Leben in Salt Lake City beim Gründer Brigham Young zu hart gefunden und war wieder Farmer geworden. Aber er war seinem neuen Glauben treu geblieben, und deshalb packte ihn auch nicht das Goldfieber, das 1850 in Kalifornien ausgebrochen war. Er teilte voll und ganz die Ansicht des Mormonenführers, daß Gold bestenfalls zum Pflastern von Straßen da sei, keinesfalls aber zur persönlichen Bereicherung.

Luke wischte sich den Schweiß von der Stirn und schaute zu, wie sein Bruder die schwere Karre zum Bachufer zerrte, an dem ihre beiden Kameraden mit Pickeln und Schaufeln das Gestein, von dem sie hofften, daß es Gold enthielt, herausschlugen.

Das Auftauchen von Captain Jasper Morgan vor vier Monaten hatte das Leben der Brüder völlig verändert. Morgan sah gut aus, war elegant und weltgewandt und wußte auf alles eine Antwort. Er hatte es in kürzester Zeit geschafft, die jungen Männer zu überreden, sich an der Goldsuche zu beteiligen. In ein paar Wochen — spätestens in wenigen Monaten — würde er eine glückverheißende Stelle finden, und bei den Erfahrungen, die er im Bergbau hatte, würde der Erfolg bestimmt nicht lange auf sich warten lassen.

Morgan hatte von Anfang an zugegeben, daß er Hilfe brauchte — kräftige junge Männer, die an hartes Arbeiten gewöhnt waren. Er selbst hielt als Gentleman mit Lebensart nicht viel davon, sich selbst die Hände schmutzig zu machen.

Dan hatte sofort in eine Partnerschaft eingewilligt. Trotz ihrer streng religiösen Erziehung hatte Dan schon lange Lust gehabt, zu den Tausenden von Goldsuchern zu stoßen, die seit James Marshalls Entdeckung in Sutters Mill das unwirtliche Land durchzogen. Luke lächelte liebevoll. Wo Dan hinging, da ging er auch hin. Als ihr Vater sich schließlich nicht mehr gegen ihre Pläne aussprach und ihre Mutter sich sogar zustimmend geäußert hatte, hatten sie den Vertrag mit Morgan unterzeichnet und den vollbeladenen Planwagen ihres neuen Partners zu der Stelle gefahren, für die er sich entschlossen hatte.

Es war eine mühsame Reise gewesen. Sie waren an aufgelassenen Minen und verlassenen Goldgräbercamps vorbeigekommen, denn die goldhungrigen Abenteurer hielten es nie lange an einem Ort aus und zogen sofort weiter, wenn sie von neuen Goldfunden in einer anderen Gegend hörten. Die Zahl der Goldgräber wuchs beständig, inzwischen schätzte man, daß über einhunderttausend Männer beteiligt waren. Kalifornien war von Mexiko abgetreten worden und gehörte nun zu den Vereinigten Staaten. Riesige, unbewohnte Landstriche warteten nur darauf, von jemandem in Besitz genommen zu werden. Morgan behauptete, daß es mit dem Gold ähnlich sei. Die Schürfer bildeten ihre eigenen Komitees, wählten Anführer und machten ihre eigenen Gesetze, die ihnen nötig erschienen. Jeder konnte sich eine Landparzelle abstecken, die ihm so lange gehörte, wie er auf diesem Stück Land nach Gold suchte und seine Werkzeuge und anderen Habseligkeiten dort aufbewahrte.

Aber Morgan dachte anders. Er hatte seine eigene Theorie. Er hielt es nicht für nötig, mit Dan und Luke darüber zu sprechen oder mit den beiden anderen Brüdern aus Australien, namens Frank und Tom Gardener, die er irgendwo auf dem Weg aufgelesen und als Partner aufgenommen hatte.

Sie hatten ihr Camp in einer schmalen Schlucht namens Windy Gully aufgeschlagen, durch die ein flacher Bach floß. Morgan hatte rätselhafte Untersuchungen angestellt, die ihn in den Augen der anderen als Fachmann auswiesen, und schließlich verkündet, daß das Gestein goldhaltig sei und daß der kleine Fluß so viel Waschgold enthalte, wie sie sich nur wünschen könnten.

Er hatte die Aufstellung des Schwingtrogs überwacht, hatte ihnen Spaten, Pickel und Eimer aus dem Planwagen heruntergereicht, ihnen alle nötigen Arbeitsschritte genau beschrieben. Dann hatte er zwei Pferde genommen und war für fast drei Wochen verschwunden.

Dan kam mit einer neuen Schubkarrenladung voll Sand und Steinen zurück, und Luke machte sich schlechtgelaunt wieder an die Arbeit.

»Laß dich nicht so hängen«, schalt sein Bruder. »Bald ist Feierabend, und Frankie hat ein paar Kaninchen gefangen, also kriegen wir was Ordentliches zwischen die Zähne. Und das ist wenigstens was, selbst wenn wir heute wieder einmal keinen Erfolg hatten.«

»Das hatten wir noch nie«, murrte Luke. »Ein paar Eimer voll Goldstaub, das ist alles, und dafür schuften wir uns halb kaputt.« Er schüttelte den Schwingtrog wütend hin und her. »Und dann dieser Captain Morgan, der uns immer nur Befehle erteilt und sich anscheinend zu fein ist, selbst einen Finger krumm zu machen! Das ist mir vielleicht eine Partnerschaft: Einer tut nichts, und die anderen vier arbeiten sich zu Tode.«

»Er hat uns schließlich hergebracht und uns alles gezeigt, Luke«, erinnerte ihn Dan. »Und er hat den Planwagen und die Pferde und die ganzen Werkzeuge aus eigener Tasche bezahlt.« Er schaute zum Himmel. »In einer halben Stunde geht die Sonne unter. Wir fühlen uns bestimmt viel besser, wenn wir etwas Warmes im Bauch haben.«

Das stimmt vielleicht, dachte Luke ohne große Überzeugung und spürte, wie ihm die Galle hochstieg, wenn er nur an Jasper Morgan dachte. Der Captain war nach drei Wochen zurückgekommen und hatte einen zweiten Planwagen voll Gerätschaften und Nahrungsmittel mitgebracht. Er hatte auch ein Mädchen bei sich — seine Tochter, wie Tom Gardener behauptete, der sie als einziger gesehen hatte — , und statt mit ihnen in einem der Zelte im Camp zu leben, war er drei Kilometer von dort entfernt in das Haus des Ladenbesitzers in Flycatchers Bend gezogen und verbrachte kaum Zeit auf ihrer abgesteckten Parzelle.

Luke schaute nach Westen, wo die Sonne inzwischen untergegangen war, und zitterte vor Kälte. Er machte sich seine eigenen Gedanken über Morgans Tochter. Morgan achtete strikt darauf, daß sich das Mädchen nicht oft in der Öffentlichkeit zeigte, das war natürlich verständlich, wenn man an die großen Goldsuchercamps in der Nähe dachte. Die Männer führten sich im großen und ganzen zwar ziemlich manierlich auf, aber es waren doch immerhin mehr als zweihundert, und es gab immer mal wieder einen, der über die Stränge schlug.

Das gewählte Lagerkomitee hatte alle möglichen Verhaltensregeln aufgestellt, auf deren Einhaltung streng und manchmal sogar gnadenlos geachtet wurde. Die Lager waren primitiv. In manchen standen zwar ein paar roh zusammengezimmerte Hütten, aber die meisten Goldsucher schliefen in Zelten, manche sogar unter freiem Himmel. Ein hübsches junges Mädchen — und Morgans Tochter war laut Tom hübsch — stellte ganz bestimmt eine Versuchung für solche Männer dar, ganz besonders, weil die meisten seit langer Zeit ohne jede weibliche Gesellschaft hatten auskommen müssen.

Aber Luke dachte, daß Jasper Morgan trotzdem nicht das Recht hatte, so viel Zeit mit seiner Tochter zu verbringen und seinen Partnern die ganze Arbeit zu überlassen. Sie bekamen keinen Pfennig Lohn, und nur weil Morgan sie mit Nahrung und Werkzeug versorgt und ihnen eine Unterkunft zur Verfügung gestellt hatte, beanspruchte er fünfzig Prozent der — bislang zugegebenermaßen mageren — Erträge.

»Der Captain ist ein echter Gentleman«, behauptete Dan immer, wenn Luke seine Zweifel äußerte. »Und er sagt, daß er immer Wort hält. Er haut uns nicht übers Ohr, Luke.«

Aber war er wirklich ein Gentleman? Obwohl Luke versuchte, sich Dans vertrauensvolle Haltung zu eigen zu machen, wuchsen seine Zweifel nach der Ankunft des Mädchens sogar noch an. Sie hieß Mercy, hatte Tom gesagt, das war vielleicht eine Abkürzung von Mercedes ...

»Hallo Luke, alter Knabe!« rief ihm Tom vom Ufer aus zu. Er war ein vierschrötiger, netter Bursche, der, sooft es das Wetter erlaubte, mit nacktem Oberkörper und kurzen Hosen arbeitete. Er und sein Bruder Frankie schaufelten gemeinsam mit Dan den schweren Sand aus dem Bach, und Frankie Gardener hatte zusätzlich freiwillig das Amt des Lagerkochs übernommen. »Frankie brät grad die Kaninchen, und das Essen ist bald fertig. Du kannst Feierabend machen, mein Junge, und dir was Trocknes anziehen.«

»Prima, Tom«, antwortete Luke dankbar. Er streckte seine schmerzenden Glieder und verspürte plötzlich Hunger. Es war ein langer Tag gewesen, und er hoffte wie immer, daß beim vorsichtigen Herausschaufeln der untersten Sandschicht im Schwingtrog mehr zu sehen wäre als nur ein leichter Glanz von Goldstaub. Aber bisher hatten sie kaum Erfolg gehabt. Morgan wollte nichts davon hören, weiterzuziehen, ganz egal wie bescheiden der Ertrag ihrer harten Arbeit ausgefallen war. Er hatte sich nach langem Überlegen für die Parzelle in dieser Schlucht entschieden, und es wäre einem Eingeständnis von Inkompetenz gleichgekommen, die Stelle wieder zu verlassen, ohne einen größeren Fund gemacht zu haben.

Als Luke am Ufer des Flüßchens entlangging, roch es appetitanregend nach gebratenem Fleisch, und er winkte Frankie Gardener freundlich zu. Wenigstens hatten sie Glück mit den anderen Arbeitern in ihrem Team. Die Gardeners waren ehrliche, zuverlässige Männer, die die Arbeit nicht scheuten. Sie waren immer gut gelaunt, auch wenn sie mit ihrer Schufterei nicht viel erreichten. Luke hörte gern den Geschichten der Brüder zu, wenn sie abends um das Lagerfeuer herumsaßen und von ihrem Heimatland Australien erzählten. Beide waren bisher Matrosen gewesen und hatten dem Meer, wie so viele andere auch, in San Franzisko den Rükken gekehrt, um ihr Glück auf den Goldfeldern zu versuchen.

Keiner der beiden hatte vor, auch nur einen Tag länger als nötig in Amerika zu bleiben.

»Sobald wir genug Gold gefunden haben, fahren wir nach Sydney zurück«, hatte Tom schon oft gesagt, und er lächelte, als er auf seine Frau und seine Kinder zu sprechen kam, nach denen er sich nach der dreijährigen Trennung sehr sehnte.

Immer wieder fiel den Brüdern auf, wie sehr die hiesige Landschaft der Gegend um Bathurst und Goulburne ähnelte. Frankie zog daraus den Schluß, daß es auch in Neusüdwales Gold geben müßte. Er meinte: »Ich brenne darauf, bei uns zu Hause nach Gold zu suchen. Tom und ich bleiben nur so lange, bis sich unsere Arbeit hier ausgezahlt hat, dann nehmen wir das nächste Schiff und fahren wieder heim!«

Aber bis jetzt konnten sie daran noch nicht denken. Nach wochenlanger Arbeit hatten sie nichts als ein paar kleine Säcke voll Goldstaub gefunden. Und außerdem —

»Hallo, Luke!« rief Frankie von der Feuerstelle herüber. Luke blieb stehen und blickte zum Camp, das sie am Rand der Uferböschung aufgeschlagen hatten.

»Ja, Frankie? Brauchst du was?«

»’nen Eimer Wasser, mein Junge. Und paß auf, daß es sauber ist — ich will Kaffee machen. Und wir wollen doch keinen Goldstaub im Kaffee, oder?«

Dieser Witz hatte schon einen langen Bart, und Luke konnte nicht lachen.

»In Ordnung«, rief er, »ich bring’s mit, Frankie.«

Er spülte den Eimer gründlich aus und füllte ihn mit frischem Wasser. Die Uferböschung war steil. Er hätte ein paar Schritte zurückgehen müssen, um einen leichteren Aufstieg zu finden. Als er mit seinen nassen Stiefeln auf dem Felsen ausrutschte, griff er schnell nach einer Wurzel, um nicht hinzufallen, er mußte den Eimer loslassen und sich mit beiden Händen in einer Gesteinsspalte festhalten, um nicht in den Bach zu fallen.

Er fluchte und wollte sich gerade umdrehen, um den weggerollten Eimer wiederzuholen, als ein mattes Schimmern in der Spalte seine Aufmerksamkeit erregte. Er sah rundliche Steine, die wie Eier in einem Vogelnest aussahen. Nur waren sie größer als Vogeleier und verstrahlten im Licht der untergehenden Sonne einen matten Glanz.

Luke hielt den Atem an, traute seinen Augen nicht, griff in den Spalt und holte einen der Steine heraus. Er unterdrückte einen Schrei. Erst wollte er ganz sichergehen ... Er und seine Kumpel waren schon zu oft enttäuscht worden ... Aber es dauerte nicht lange, bis er sich Klarheit über seinen Fund verschafft hatte. Er hatte in der letzten Zeit schon genügend Nuggets gesehen und auch selbst welche in der Hand gehabt — es gab keinen Zweifel: Das Gewicht stimmte. Es war reines Gold! Und es waren — großer Gott! — es waren acht Nuggets, verschieden groß und verschieden geformt, und das größte wog seiner Schätzung nach an die fünf Pfund!

Er steckte die kleineren Nuggets in die Taschen, holte den Eimer und legte den großen Goldbatzen hinein.

Es war fast dunkel, als er im Camp ankam. Dan und Tom breiteten gerade wie jeden Abend den goldstaubhaltigen Sand neben dem Feuer zum Trocknen aus. Frankie machte sich mit dem Abendessen zu schaffen und schaute gar nicht auf, als er tadelte: »Bist du endlich da, Luke? Hast dir Zeit gelassen, was? Gib mir den Eimer, ich will das Wasser aufsetzen! Wir können gleich essen.«

»Ich hab’ was Besseres als Wasser mitgebracht«, sprudelte Luke aufgeregt hervor. Seine Stimme klang so schrill, daß er sie kaum selbst erkannte. Dan sprang auf und packte seinen Bruder bei den Schultern.

»Was ist los, Luke?«

Luke stammelte: »Wir — wir haben’s geschafft, Dan! Wir haben’s endlich geschafft!«

Er ließ sich neben dem Feuer auf die Knie fallen, zog die Nuggets aus seinen Taschen und legte sie auf das Tuch, auf dem der Goldstaub trocknete.

Dan, Frankie und Tom starrten die Nuggets wortlos an. Dann sprang Tom auf und stieß einen wilden, triumphierenden Schrei aus.

»Jesus, wir sind reich! Das muß ja — großer Gott, das muß ja’n Vermögen wert sein! Wir können heimfahren, Frankie! Der Kleine hat uns Glück gebracht! Luke, du bist wirklich ein Genie!«

Sie tanzten wie die Verrückten ums Feuer. Dan griff sich schließlich an die Stirn und sagte ernst: »Aber wir dürfen nicht vergessen, daß die Hälfte von unserem Schatz Captain Morgan gehört!«

»Er hat die Nuggets doch nicht gefunden«, protestierte Tom. »Luke ist durch Zufall auf sie gestoßen, ganz ohne seine Hilfe!«

»Er ist aber unser Partner, Tom«, erinnerte ihn Dan. »Morgan hat uns hierhergebracht und uns das nötige Werkzeug verschafft. Er hat ein Anrecht auf die Hälfte. Wir vier teilen uns den Rest.« Er grinste die Australier an, die schmerzlich ihre Gesichter verzogen. »Jetzt habt euch mal nicht so! Das ist doch mehr als genug für uns alle! Wir haben unser Glück gemacht!«

Tom versuchte auszurechnen, was der Schatz in Dollar wert sein würde. Hier in der Gegend wurden sechzehn Dollar für eine Unze bezahlt, also sechzehn Dollar für achtundzwanzig Gramm! Und in San Franzisko sollte eine Unze weit mehr bringen — um die zwanzig Dollar.

»Großer Gott!« rief Tom aus. »Großer Gott im Himmel!«

»Und vielleicht finden wir noch mehr«, gab Dan zu bedenken. »Dort, wo Luke die Nuggets gefunden hat.« Dann deutete er auf die gebratenen Kaninchen und meinte: »Jetzt essen wir aber erst mal und trinken ’nen guten starken Kaffee. Den haben wir wirklich verdient. Geh Wasser holen, Tom.«

»Ich geh’ lieber ins Hauptcamp«, antwortete Tom, »und kaufe zur Feier des Tages eine Flasche Whisky. Wir haben ja lang genug auf ’nen Anlaß zum Feiern gewartet, oder?«

Dan seufzte. »Wir dürfen erst feiern, wenn wir Morgan davon erzählt haben. Er hat ein Recht, als erster davon zu erfahren. Jetzt hol das Wasser! Wir haben noch genug Zeit zu feiern. Luke, zieh dir trockne Sachen an. Du willst doch wohl jetzt, nach deinem Fund, nicht an einer Lungenentzündung eingehen, oder?«

Am nächsten Tag verbot ihnen Jasper Morgan als erstes, daß sie irgend jemandem ein Wort über den Fund verrieten. Scheinbar ohne jede Freude schaute er sich die Nuggets an und meinte: »Wir alle wollen doch noch mehr finden als das bißchen hier, nicht wahr? Wenn die Leute im Hauptcamp von den Nuggets hören, dann wird’s in der Schlucht bald wie auf einem Jahrmarkt zugehen, und wir werden das Gold mit vielen anderen teilen müssen, ob wir wollen oder nicht. Also haltet den Mund, verstanden? Wenn ihr vier ein bißchen feiern wollt, dann hab’ ich nichts dagegen. Ich spendiere euch eine Flasche.«

Tom wollte widersprechen, aber er wurde mit einem eisigen Blick zum Schweigen gebracht. Dann wandte sich der Captain an Luke.

»Ich gestehe, daß es mich wundert, daß ausgerechnet du die Nuggets gefunden hast, mein Junge. Jetzt zeig mir genau, wo es war. Dort ist wahrscheinlich mehr zu holen, und ich möchte herausfinden, wie wir das am besten anstellen.«

Obwohl Jasper Morgan den Felsspalt gründlich absuchte, fand er nichts. Aber er war sehr optimistisch und hielt den, vier jungen Männern mit seiner redegewandten Art einen Vortrag über die Geologie der Sierra.

Auf den Mund ist er wirklich nicht gefallen, dachte Luke, und die Tatsache, daß seine Partner nur einen Bruchteil von dem verstanden, was er von sich gab, schien Morgan überhaupt nicht zu stören. Zum ersten Mal, seit sie Partner waren, zog er seine Jacke aus und krempelte die Ärmel hoch. Luke wunderte sich darüber, wie geschickt er plötzlich auf der steilen Uferböschung herumklettern konnte.

Morgan war noch kein alter Mann, er war etwa Mitte Vierzig. Seine schwarzen Haare wurden an den Schläfen gerade grau, was seine vornehme Erscheinung noch unterstrich. Er ist wohl immer noch das, was Frauen einen gutaussehenden Mann nennen, dachte Luke, als er ihn noch genauer als sonst beobachtete. Er hatte ein faltenloses, sonnengebräuntes Gesicht und trug einen dichten Schnauzbart. Aber irgend etwas stimmt mit ihm nicht ... Luke zuckte mit den Achseln, weil es ihm unmöglich war, das, was er vermutete, in Worte zu fassen. Aber aus irgendeinem Grund mißtraute er diesem Mann, und —

Dan unterbrach ihn in seinen Gedanken, indem er sagte: »Wir hören mit der Goldwäscherei auf, Luke, und treiben an der Stelle, an der du die Nuggets gefunden hast, einen Schacht in die Uferböschung. Der Captain meint, daß gute Chancen bestehen, dort eine Goldader zu finden — du hast ja gehört, was er gesagt hat, oder? Wir brauchen Balken, um den Schacht abzustützen, neue Pickel und Hacken und Schwarzpulver. Er hat versprochen, für alles zu sorgen. Er trinkt nur noch einen Kaffee und macht sich dann auf den Weg.«

»Aber er nimmt die Nuggets nicht mit, oder?« fragte Luke mit gerunzelter Stirn.

Dan schüttelte den Kopf. »Nein, er läßt sie hier. Aber er sagte, daß er sowohl die Nuggets als auch den Goldstaub in etwa einer Woche nach Frisco bringen will. Dort bringt eine Unze zweiundzwanzig Dollar, und ich find’ es nett, daß er den weiten Weg auf sich nimmt und unser Gold dort verkauft, statt hier in Sacramento, wo es weniger bringt.«

»Aber wir würden gar nichts bekommen, wenn er uns hier sitzenließe und nicht zurückkäme«, meinte Luke.

»Er kommt schon zurück«, sagte sein Bruder. »Er hat es bis jetzt immer getan, oder? Und seine Tochter bleibt ja auch hier. Es ist ’ne anstrengende Reise. Er nimmt sie bestimmt nicht mit. Deshalb wird er bestimmt zurückkommen. Außerdem haben wir ja einen Vertrag mit ihm abgeschlossen, oder? Und Captain Morgan ist ein Gentleman. Du mußt lernen, den Menschen mehr zu vertrauen, ganz bestimmt. Komm mit«, sagte er abschließend und legte seinem Bruder einen Arm um die Schultern. »Ich bin wie ausgedörrt. Laß uns ’ne Tasse Kaffee trinken.«

Morgan lieferte am Mittag des dritten Tages mit dem Planwagen Balken, Hacken, Schaufeln, Pickel und Schwarzpulver. Luke mußte zugeben, daß er wirklich gut mit dem Pulver umgehen konnte, und er ersparte ihnen durch viele kleine, fachmännisch ausgeführte Sprengungen sehr viel Arbeit.

In weniger als einer Woche hatten sie einen zwanzig Fuß tiefen Stollen in den Felsen getrieben, und schon drei Tage später war er mit Balken und Holzstämmen abgestützt. Morgan verbrachte Stunden um Stunden im Inneren des Berges und klopfte im Schein der flackernden Grubenlaternen die Steinwände mit seinem kleinen Geologenhammer ab. Obwohl sie nur ein wenig goldhaltiges Gestein und zwei weitere Nuggets fanden, gaben sie die Hoffnung nicht auf. Ein erfahrener Goldsucher namens Ephraim Crocker, der schon lange in dieser Gegend lebte, hielt nichts von Morgans Versuch, dem Berg das Gold entreißen zu wollen. »Die Goldwäscherei ist zwar ’ne schwere Arbeit, aber noch ein Kinderspiel gegen Ihren Versuch, goldhaltiges Gestein zutage zu befördern. Sie haben weder die nötigen Werkzeuge noch genügend Männer, um das zu schaffen.«

Er drehte sich um und verschwand, bevor Jasper Morgan etwas antworten konnte. Aber Crockers Warnung brachte jetzt auch Dans Glauben an Morgans Fähigkeiten ins Schwanken. »Vielleicht weiß er ja, was er tut — ich hab’ ihn schon immer für ’nen echten Fachmann gehalten. Aber« — Dan zog sorgenvoll die Stirn kraus — »der alte Ephraim Crocker weiß ganz bestimmt, wovon er spricht.«

»Ich würde gern Papas Meinung dazu hören«, bekannte Luke kleinlaut.

Zu seiner großen Erleichterung nickte sein Bruder. »Ja, ich glaube auch, daß wir ihn fragen sollten.«

»Aber Morgan läßt uns bestimmt nicht weg. Er sagt, es gibt zuviel Arbeit.«

»Das stimmt«, antwortete Dan grimmig. »Wir haben alles gemacht, was er von uns verlangt hat. Seit ein paar Tagen überleg’ ich mir, was er mit diesem Stollen eigentlich bezweckt. Es ist nichts dabei herausgesprungen, wirklich gar nichts. Nicht mal so viel wie bei unserer Goldwäscherei.«

Er zögerte und holte ein kleines Säckchen Goldstaub aus seiner Jackentasche. Er reichte es Luke und sagte: »Mach dich heute nacht auf den Weg und bring das Papa von mir. Sprich mit ihm über die Sache.«

»Aber was wird Morgan machen«, fragte Luke ängstlich, »wenn er rauskriegt, daß ich abgehauen bin?«

»Wir werden uns schon was ausdenken. Der kriegt nicht raus, wo du bist. Tom glaubt, daß er in den nächsten Tagen nach Frisco fährt.«

»Hat Morgan das selbst gesagt?«

Dan schüttelte den Kopf.

»Aber wenn —«

»Luke, wir müssen ihm einfach vertrauen«, unterbrach ihn Dan. »Und wie ich dir schon sagte — er nimmt die Kleine nicht mit in die Stadt. Sie ist seine Tochter. Da muß er ja wohl zurückkommen, oder? Und zweiundzwanzig Dollar pro Unze sind mehr als sechzehn, oder?«

Daran bestand kein Zweifel, aber Luke war immer noch mißtrauisch. »Dan, hat Morgan unser Gold mitgenommen — ich meine all unser Gold?«

Dan wurde rot. »Ja, das hat er.«

»Und du hast es ihm erlaubt?«

»Er sagte, daß er es wiegen wollte, um uns eine Quittung schreiben zu können, Luke — er hat mir versprochen, mir noch vor seiner Abfahrt diese Quittung zu geben. Ich hab’ nur das Säckchen für Papa zurückbehalten.«

Dan stand auf.

»Mach dich bald auf den Weg, Luke. Pack deinen Kram zusammen, ich sattle dir ein Pferd.«

»In Ordnung.« Luke nickte, schaute in das ehrliche Gesicht seines Bruders und sagte: »Dan, hast du schon ausgerechnet, was unser Fund wert ist?«

»So ungefähr, aber nur im Kopf.«

»Nun, wieviel ist es?«

»Nenn Papa besser keine Zahl«, warnte Dan. »Aber ungefähr zehntausend Dollar. Die Hälfte davon bekommt Morgan, und wir vier teilen uns den Rest.« Er grinste. »Wenn wir unsern Gewinn Zusammenlegen, könnten wir uns ’ne schöne kleine Farm kaufen.«

»Meinst du wirklich?« rief Luke glücklich aus. An so etwas hatte er noch nicht einmal zu denken gewagt. Eine Farm in den Bergen, mit Rindern, Schweinen und, ja, mit Pferden, das wäre das größte Glück.

Sie würden Land in der Nähe der Farm ihrer Eltern kaufen und Papa endlich die Scheune bauen, die er sich doch schon so lange wünschte. Mama bekäme das lang ersehnte Harmonium.

Er umarmte seinen Bruder. »Ich hatte ja keine Ahnung, daß das Gold so viel wert ist!«

»Ich habe das Gewicht nur schätzen können«, erinnerte ihn Dan. »Es kann auch weniger dabei herauskommen oder ein bißchen mehr. Wir werden’s genau wissen, wenn Morgan uns die Quittung gegeben hat.«

Er klopfte Luke auf die Schulter und schubste ihn spielerisch fort.

»Jetzt weg mit dir! Frankie gibt dir was zu essen mit. Du kannst mein Pferd nehmen. Es ist schneller als deins, und Papa freut sich bestimmt, die Stute wohlbehalten wiederzusehn.«

Lukes Reisevorbereitungen waren bald beendet, und als der Mond aufging, schwang er sich in den Sattel.

Es war ein weiter Weg, aber er freute sich darauf. Mit jeder zurückgelegten Meile wurde er froher. Er freute sich sehr darauf, seine Eltern endlich wiederzusehen, Papa zu erzählen, daß er und Dan reich sein und nach Hause zurückkommen würden, sobald Jasper Morgan ihnen ihren Anteil ausgezahlt hätte.

Die Stute trabte den dunklen Pfad entlang, und Luke war so gut aufgelegt, daß er ein fröhliches Lied nach dem anderen pfiff.

2

Knapp vierzehn Tage später ritt er wieder an den Zelten und den kleinen Holzhütten vorbei, aus denen das Camp von Thayers Bend bestand.

Sein Besuch zu Hause hatte genau einen Tag gedauert und war alles andere als erfreulich verlaufen. Sein Vater hatte sich geweigert, das Säckchen mit Goldstaub anzunehmen, und Luke mußte sich in den wenigen Stunden, die er bei seinen Eltern verbrachte, endlose Tiraden anhören, daß das Gold ein Teufelszeug sei und Sünde und Verdammnis über die Familie bringen würde.

Zwei Missionare aus Salt Lake City waren vor kurzem auf der Farm gewesen, und Lukes Mutter hatte erzählt: »Es waren gute junge Leute — wohlerzogen und höflich. Aber seitdem läßt das Gewissen eurem Vater keine Ruhe mehr. Er meint, daß er euch nie hätte gehen lassen dürfen. Ihr habt euch gegen den Willen Gottes aufgelehnt, sagt er, und will euch nur erlauben, nach Hause zurückzukommen, wenn ihr euren ganzen Gewinn den Mormonen stiftet. Werdet ihr das tun, Luke?«

Tränen stiegen Luke in die Augen. Es war entsetzlich gewesen, aber er hatte seiner Mutter reinen Wein einschenken müssen. Er und Dan hatten zu hart gearbeitet, und keiner von ihnen wäre jemals dazu bereit, ihren Gewinn den Mormonen, mit denen sie nichts verband, zu schenken. Sie waren zwar im mormonischen Glauben erzogen worden, aber ihr Vater hatte sich schon vor langer Zeit zumindest zum Teil von der Sekte gelöst, und ihre Mutter ... Er seufzte. Ihre Mutter hatte sich nur dem Vater zuliebe zu diesem Glauben bekannt, aber ihr Herz war nie ganz bei der Sache gewesen, da sie irischer Abstammung war und streng katholisch aufgezogen worden war,

Sein müdes Pferd stolperte, und Luke schreckte auf. In einer Stunde würde die Sonne untergehen. Im Zentrum von Thayers Bend führte ein Mann namens Logan mit Hilfe seiner beiden halbwüchsigen Söhne einen Laden, in dem es alles mögliche zu kaufen gab. Luke band seine Stute an dem hölzernen Pfosten vor der Ladentür an, zog das Säckchen Goldstaub aus der Satteltasche und betrat steifbeinig den düsteren Laden. Logans älterer Sohn Ted stand hinter der Theke und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, als wäre er ein Gespenst. Er fragte nicht nach Lukes Wünschen, sondern rannte ins Hinterzimmer und rief nach seinem Vater.

»Papa, komm mal her! Einer von den Burschen aus der Schlucht ist da! Oder es ist einer, der ihm verteufelt ähnlich sieht!«

Logan erschien, eine Serviette um den Hals, in der Tür und schimpfte leise über die Unterbrechung beim Essen. Aber beim Anblick von Luke weiteten sich seine Augen hinter der randlosen Brille, und der Fluch erstarb auf seinen Lippen.

»Großer Gott!« rief er aus. »Du bist doch einer von Captain Morgans Männern aus der Windy Gully Schlucht, oder?«

»Ganz genau, Mr. Logan«, nickte Luke. »Ich bin Luke Murphy. Ich komme gerade von einem Besuch bei meinen Eltern zurück und —« Er unterbrach sich, als er bemerkte, wie verblüfft der Ladenbesitzer ihn anstarrte. »Ist irgendwas los?« Er dachte an den engen Schacht, der in den Berg getrieben worden war, und hielt die Luft an. »Es wird doch kein — kein Unfall passiert sein, oder?«

Logan zögerte. Er war ein harter Mann, aber jetzt sprach Mitleid aus seinen Augen. Schließlich nickte er mit dem Kopf.

»Doch, mein Junge, es ist was wirklich Schlimmes passiert. Um die Wahrheit zu sagen, wir hatten keine Ahnung, daß du deine Familie besucht hast. Du warst wahrscheinlich ’ne ganze Zeit weggewesen. Aber vielleicht ist es besser, wenn Ephraim Crocker dir alles erzählt — ich bin ja nur ein Kaufmann, ich verstehe nichts vom Bergbau. Ted —« Er winkte seinen Sohn heran. »Lauf zu Mr. Crocker und richte ihm aus, daß er kommen soll. Sag ihm — daß einer der Männer aus der Schlucht hier aufgekreuzt ist, daß sie nicht alle —« Er biß sich auf die Lippen, und Luke fühlte, wie sich ihm der Magen umdrehte.

»— daß sie nicht alle tot sind?« vollendete er flüsternd den abgebrochenen Satz. »Wollen Sie sagen, daß alle umgekommen sind? Großer Gott, Mr. Logan, das kann doch nicht wahr sein?«

Logan schwieg. Er drehte sich um, füllte bedächtig ein großes Glas mit Whisky und reichte es Luke. »Trink das, mein Junge«, bat er ihn. »Er wird bald hier sein, und er kann dir alles erklären.«

Der Alkohol brannte in seiner Kehle, und Lukes Hand zitterte, als er das Glas absetzte. Er erinnerte sich daran, daß er eine Flasche Whisky hatte kaufen wollen, um Dan damit über die schlechten Nachrichten von zu Hause zu trösten. Aber Dan konnte nichts mehr trinken, weil er tot war — er und Frankie und Tom. Und Jasper Morgan wahrscheinlich auch. Alle außer ihm.

Kurz hinter dem atemlosen Ted betrat der alte Ephraim Crocker den Laden. Auch er war offensichtlich beim Abendbrot gestört worden und knöpfte sich noch die Jacke zu. Mit wenigen Worten bestätigte er alles, was der Ladenbesitzer angedeutet hatte.

»Es tut mir wirklich leid, mein Junge, aber das ist die traurige Wahrheit. Es war ’ne Wahnsinnsexplosion, und der Schacht ist eingestürzt. Sie müssen alle drin gewesen sein. Jede Hilfe kam zu spät.«

»Habt ihr es denn versucht?« brachte Luke mühsam heraus. »Mr. Crocker, hat jemand versucht, sie da rauszuholen?«

Der alte Mann nickte. Er sagte bedauernd: »Darauf kannst du dich verlassen, mein Junge, aber es war aussichtslos. Sie liegen unter vielen Tonnen Felsgestein begraben, und selbst wenn wir bis zu ihnen vorgedrungen wären, hätte keine Chance bestanden, sie lebend zu bergen. Überhaupt keine Chance.« Er strich Luke tröstend über den Rücken. »Am besten schläfst du heute nacht hier bei uns im Camp, und morgen gehen wir zusammen hin. Du hast wahrscheinlich noch nichts gegessen, oder?«

»Das stimmt«, gab Luke zu. »Aber ich habe keinen Hunger.« Er war verzweifelt und wütend. Hatte sich Jasper Morgan nicht immer gebrüstet, wie gut er mit Schwarzpulver umgehen könne? Ein Experte, wie er einer war, hätte den Männern doch nie erlaubt, sich während einer Sprengung im Schacht aufzuhalten!

Als hätte er seine Gedanken gelesen, sagte Crocker zögernd: »Captain Morgan war nicht dabei, mein Junge. Er kam am Tag vor dem Unglück hier vorbei und sagte, daß er nach Frisco fahren würde — stimmt’s, Mike?« Logan nickte, und Crocker fuhr fort: »Wir glauben, daß es ein Unfall war. Vielleicht konnten dein Bruder und die zwei Australier nicht so gut mit Schwarzpulver umgehen. Und da der Captain nicht da war ...«

»Hatte der Captain das junge Mädchen dabei, Mr. Logan?« fragte Luke.

Wieder schauten sich die beiden älteren Männer an, und Logan schüttelte den Kopf. »Nein, er war allein, Luke.«

Wenigstens das, dachte Luke. Wenn Morgan seine Tochter hiergelassen hatte, dann würde er zurückkommen — das hatte Dan doch gesagt.

Dan und die beiden anderen waren tot. Er würde einen Weg finden, Tom und Frankies Angehörigen in Australien ihren Anteil zukommen zu lassen, das war das mindeste, was er für sie tun konnte. Und vielleicht gelang es ihm, seinen Vater zu überreden, Dans Anteil anzunehmen, und sei es nur, um ihn den Mormonen zu stiften. Falls er das wirklich wollte. Und er ...

Ted brachte ihm eine Tasse Kaffee, und Luke nahm sie dankbar an. Ephraim Crocker setzte sich, wartete geduldig ab, bis er den Kaffee ausgetrunken hatte, und fragte dann nachdenklich: »Warum ist Captain Morgan nach Frisco gefahren, hast du ’ne Ahnung?«

»Er wollte unser Gold dort verkaufen, Mr. Crocker«, antwortete Luke und unterbrach sich plötzlich, als ihm einfiel, daß er kein Wort von ihrem Goldfund verraten durfte.

Crocker schaute ihn fragend an. »Ihr habt also ’nen echten Fund gemacht?«

Jetzt konnte er mit der Wahrheit nicht mehr hinterm Berg halten. Luke nickte und sagte: »Ja, Sir.« Dann beschrieb er, so gut wie er konnte, die Größe und Form der Goldnuggets, die er gefunden hatte.

Crocker pfiff leise vor sich hin, und Logan sagte gekränkt: »Captain Morgan hat mir nie ein Wort davon erzählt, Luke. Er hat nicht mal ’ne leise Andeutung gemacht.«

»Ja. Er hat auch uns gezwungen, den Mund zu halten. Er meinte, wenn jemand etwas davon erfahren würde, dann wollten alle in unserer Schlucht nach Gold suchen, und das hätte ihm gar nicht gepaßt.«

Crocker nickte. »Das kann man verstehen«, gab er zu. »Aber mit der Mine hattet ihr kein Glück, oder?«

»Nein, das stimmt. Aber Captain Morgan hat gesagt, daß —«

»Ich weiß, was er gesagt hat!« brummte Crocker. »Und ich weiß auch, was ich ihm darauf geantwortet habe. Du warst ja dabei. Du hast gehört, daß ich den Schacht für ’ne verrückte Idee hielt, weil er weder richtige Werkzeuge noch genügend Arbeiter hatte. Er hätte weitermachen sollen wie bisher.« Crocker stand auf, als wolle er das Gespräch abbrechen. »Versuch jetzt ein bißchen zu schlafen, mein Junge. Mr. Logan hat bestimmt ein Bett für dich, oder, Mike? Ich geh’ morgen mit dir zur Schlucht.« In wortlosem Mitgefühl klopfte er Luke auf die Schulter und verließ den Laden.

Am nächsten Morgen verstand Luke an der Unglücksstelle auf den ersten Blick, daß die Goldgräber aus dem Camp gar nicht erst versucht hatten, die Verunglückten auszugraben. Es hätte tagelang gedauert, sich durch die Steinmassen zu ihnen durchzugraben, und die Chance, daß einer der Männer die Explosion überlebt haben könnte, war verschwindend klein gewesen.

Trotzdem war der Gedanke, seinen Bruder hier liegenzulassen, unerträglich für Luke. Dan hatte so etwas nicht verdient. Er sollte eine anständige Beerdigung und ein schönes Grab mit einem Gedenkstein haben. Dan und die beiden Australier genauso — alle drei hatten eine schöne letzte Ruhestätte verdient, und er würde dafür sorgen, daß sie das auch bekamen.

Ephraim Crocker schüttelte den Kopf, als Luke ihm von seinem Vorhaben erzählte, aber zugleich glänzten seine hellblauen Augen.

»Ich kann dir nicht helfen, mein Junge«, gestand er entschuldigend. »Du weißt ja, wie es ist, wir haben alle mehr als genug auf unseren Parzellen zu tun. Aber wenn du dir in den Kopf gesetzt hast, deinen Bruder dort rauszuholen, kann ich nichts dagegen tun. Und vielleicht findest du ja doch jemanden, der dir hilft. Du hast hier Gold entdeckt, und wenn sich das rumspricht, dann kommen bestimmt ein paar Männer her. Wenn du bereit bist, die Hälfte von dem, was ihr findet, abzugeben, dann helfen sie dir sicher. Und wenn du die Toten geborgen hast, beerdigen wir sie oben im Camp. Mr. Roberts ist ein Laienprediger. Er wird den Begräbnisgottesdienst abhalten, stimmt’s, John?«

»Aber natürlich«, rief Roberts. »Ich helfe dir, so gut ich kann, mein Junge.«

Luke bedankte sich bei den beiden Männern. Als sie weggegangen waren, legte er seinem Pferd Fußfesseln an und machte sich an die Arbeit.

Er arbeitete zwei Tage lang unermüdlich bis spät in die Nacht hinein. Am Morgen des dritten Tages kam der Laienprediger John Roberts mit zwei Männern an und brachte ihm Mehl und Kaffee. Alle drei halfen ihm ein paar Stunden, und Luke hatte endlich das Gefühl, daß es voranging. Am nächsten Tag kamen sie mittags mit Ephraim Crocker, der eine Grubenlaterne in der Hand hielt, zurück.

»Mr. Roberts nimmt an, daß wir die Leichen noch vor Einbruch der Dunkelheit finden werden, Luke«, sagte er freundlich mit rauher Stimme. »Und wir finden, daß — nun — , daß du nicht allein sein solltest, wenn du die Toten birgst.« Er zögerte, blickte auf seine schmutzverkrusteten Stiefel und fügte hinzu: »Du weißt ja, daß sie schon vor fast drei Wochen gestorben sind. Sie werden nicht mehr —« Er unterbrach sich, weil er nicht die richtigen Worte fand.

Luke nickte und preßte die Lippen aufeinander. »Ich weiß, Mr. Crocker. Ich weiß, was mich erwartet.«

»Aber trotzdem, mein Junge, es ist besser, wenn wir dabei sind. Wir bringen Decken mit, um sie zuzudecken, und Mr. Logan fährt mit seinem Leiterwagen bis zu eurem Camp.«

»Aber ich will dabei sein, Mr. Crocker«, bat Luke ohne echte Überzeugung. Am liebsten hätte er die Männer alles allein machen lassen, aber ... Dan war sein Bruder, und er empfand es als seine Pflicht, sich um alles zu kümmern.

Zwei Stunden später kamen sie zu einer Stelle des Schachtes, der nicht eingestürzt war. Dort lagen die Männer eng beieinander, sie sahen auf den ersten Blick so aus, als ob sie schliefen.

»Laß uns das machen, Luke«, schlug John Roberts vor. »Hast du die Decken bereit, Eph?«

Zuerst wurde Frankies steifer Körper auf die Trage gehoben. Plötzlich schrie Crocker entsetzt auf.

»Großer Gott, John, er ist erschossen worden! Und zwar in den Rücken! Er ist nicht durch die Explosion umgekommen, er ist ermordet worden!«

Einer der anderen Männer sagte: »Und der arme Kerl hier auch, Eph ... auch in den Rücken.«

»Bringt den Jungen raus«, befahl Crocker mit rauher Stimme.

»Komm mit, Luke«, sagte John Roberts. »Mach, was Eph sagt!«

Luke wollte protestieren, aber Roberts packte ihn an den Schultern und schob ihn in Richtung Ausgang. Er legte ihm einen Arm um die Schultern und zwang ihn, sich auf einen Felsen zu setzen.

»Ich möchte mit dir zusammen beten, mein Sohn«, erklärte er tröstend. »Schließ einfach die Augen und hör mir zu.«

Obwohl Luke sich bemühte, konnte er kaum ein Wort verstehen. Aber er flüsterte »Amen«, als der Prediger das Gebet beendet hatte. Er dachte fieberhaft nach, und seine Gedanken überstürzten sich.

Wer würde ihm Glauben schenken, fragte er sich bitter, wenn sein Wort gegen das von Captain Morgan stand? Doch mußte es Morgan gewesen sein, er kam als einziger als Täter für das Verbrechen in Frage. Denn er war der einzige, der aus dem Tod der jungen Leute Gewinn ziehen konnte. Morgan hatte sie eiskalt umgebracht und war dann nach San Franzisko gefahren, um die Goldnuggets für zweiundzwanzig Dollar pro Unze zu verkaufen.

Es stimmte zwar, daß er einen Tag vor der Explosion losgefahren war — Logan würde seine Abfahrt bezeugen. Aber genau das hatte dieser Verbrecher geplant! Es war für ihn bestimmt ein leichtes gewesen, sich ungesehen wieder zurück zum einsam gelegenen Camp zu schleichen ... Es war ein perfektes Verbrechen, und nur mit einem hatte Captain Morgan nicht gerechnet, nämlich, daß Dan Murphys kleiner Bruder die Arbeit auf sich nehmen würde, die Toten auszugraben, um sie anständig beerdigen zu lassen.

Alle Goldschürfer vom Camp in Thayers Bend nahmen am Begräbnis teil. Für Luke war es eine Qual, trotzdem taten ihm die spontanen Sympathiekundgebungen der sonst eher hartgesottenen Goldgräber wohl. Viele von ihnen hatten sich die Mühe gemacht, ihren besten Anzug anzuziehen, hatten sich Krawatten oder saubere Halstücher umgebunden und auf den Lohn für ein paar Stunden Arbeit verzichtet, »um den armen jungen Leuten die letzte Ehre zu erweisen, die in der Blüte ihrer Jahre ermordet worden sind«, wie sich einer von ihnen ausdrückte.

Das Lagerkomitee tagte gleich nach der Beerdigung. Den Vorsitz hatte Ephraim Crocker. Für Luke, der als Kronzeuge seine Aussage machte, war die Sitzung anstrengender als das Begräbnis.

»Haben Sie Captain Morgan vertraut?« fragte eines der Komiteemitglieder unerwartet und fügte, als Luke zögerte, hinzu: »Ich möchte darauf hinaus: Als Sie sich auf die Reise machten, um Ihre Eltern zu besuchen, wußten Sie doch, daß Morgan das Gold nach San Franzisko bringen wollte, oder?«

»Ja. Das hatte mir Dan erzählt.«

»Haben Sie angenommen, daß er zurückkommen und Ihnen und Ihren Partnern Ihren Anteil auszahlen würde? Hat er Ihnen irgendeine Garantie gegeben?«

Luke fühlte sich unbehaglich. Ich habe Jasper Morgan niemals vertraut, dachte er bitter. Aber einen kaltblütigen Mord hätte er ihm nie zugetraut.

»Das Mädchen ist doch hiergeblieben, Sir«, erklärte er etwas lahm. »Morgans Tochter. Er hat sie nicht mit nach Frisco genommen, und Dan meinte, daß er ganz bestimmt zurückkäme, um sie abzuholen. Deshalb glaubte ich —«

Ephraim Crocker unterbrach ihn. »Ich habe das Mädchen holen lassen, mein Junge. Sobald sie hier ist, werden wir hören, was sie zu sagen hat.«

Kurz darauf betrat sie den Raum. Obwohl Tom erzählt hatte, daß sie hübsch sei, stockte Luke bei ihrem Anblick der Atem. Sie ist viel mehr als nur hübsch, dachte er. Sie ist wunderschön — eine zierliche attraktive junge Frau mit blonden Haaren.

Sie wirkte verängstigt, und ihre blauen Augen waren so geschwollen, als ob sie den ganzen Weg her geweint hätte. Aber sie zeigte Mut. Inmitten der ihr unbekannten Männerrunde richtete sie sich auf, hielt den Kopf hoch und erklärte, daß sie jede Frage nach bestem Wissen beantworten wolle.

»Ich werde Ihnen alles erzählen, was ich weiß, Mr. Crokker. Ich fürchte nur, daß es nicht sehr viel sein wird.«

Sie sah ihrem Vater nicht sehr ähnlich, dachte Luke, und sie war jünger, als er es sich vorgestellt hatte — etwa so alt wie er. Das junge Mädchen sagte: »Ich nehme an, daß ich wegen des Unglücks in der Schlucht vorgeladen worden bin. Es soll mehrere Todesopfer gefordert haben.«

Sie schien keine Ahnung davon zu haben, daß die drei Toten die Partner ihres Vaters gewesen waren. Als Ephraim Crocker die Namen der Toten nannte, auf Luke zeigte und ihr sagte, daß sein Bruder zu den Opfern gehört habe, murmelte sie leise: »Ach wie entsetzlich, das tut mir sehr leid, Mr. Murphy.«

»Komm zur Sache, Eph«, riet einer der Männer ungeduldig, »wir wollen ja nicht den ganzen Tag hier verbringen. Sag ihr, daß ihr Vater der Hauptverdächtige ist.«

»Nun, ich fürchte, das stimmt, mein Fräulein«, begann Ephraim Crocker ungeschickt. »Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß Ihr Vater in die Sache verwickelt ist. Ihr Vater — Captain Jasper Morgan — nun, er ist nach Frisco gefahren, und wir nehmen an, daß er —«

»Um Gottes willen!« rief das junge Mädchen laut aus und wurde blaß. Aber sie hatte sich gleich wieder in der Gewalt und fügte mit ruhiger Stimme hinzu: »Das muß ein Mißverständnis sein. Captain Morgan ist nicht mein Vater. Ich bin in keiner Weise mit ihm verwandt, Sir.«

Auf diese Enthüllung folgte ein längeres Schweigen. Luke fand als erster seine Sprache wieder.

Er fragte ruhig: »Wie ist Ihr Name? Tom — Tom Gardener hat uns gesagt, daß Sie Mercy heißen, und wir nahmen an, daß Sie Morgans Tochter seien ... Sie erinnern sich an Tom, oder?«