Die Prinzessinnen: Helden und andere Dämonen - Christian Endres - E-Book

Die Prinzessinnen: Helden und andere Dämonen E-Book

Christian Endres

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Beschreibung

Aus der Schlacht … in die Legenden Narvila, Aiby, Decanra, Cinn und Mef wurden als Königstöchter geboren – heute sind sie eine Truppe knallharter Söldnerinnen. Mit Schwertlanze und Streitaxt stellen sie sich allen Bestien und Bastarden, wobei sie besonders oft Maiden in Nöten retten. Doch nun erhalten die Prinzessinnen den Auftrag, Prytos zu beschützen, den großen Helden des Götterkrieges, dessen Unsterblichkeit allerdings so gut wie aufgebraucht ist. Als Leibwächterinnen der ungebrochen selbstherrlichen und draufgängerischen Legende müssen es Narvila und die anderen mit Dämonen, Zauberern, Drachen, Seeungeheuern und Untoten aufnehmen. Und natürlich mit Prytos selbst … »Düster, packend und feministisch – wie eine Kreuzung aus einem Quentin Tarantino-Film und den Märchen in ihrer ursprünglichen, blutigen Form.«  – Christian Handel (Autor von »Schattengold«)

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Seitenzahl: 560

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INHALT

NARVILA

EINST

NARVILA

EINST

NARVILA

EINST

NARVILA

EINST

NARVILA

EINST

NARVILA

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NARVILA

EINST

NARVILA

EINST

NARVILA

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NARVILA

EINST

NARVILA

EINST

NARVILA

EINST

NARVILA

DANKSAGUNG

HELDENUND ANDEREDÄMONEN

NARVILA

In wenigen Augenblicken werden die Prinzessinnen das Waldstück mit dem Blut, den Gedärmen und der Reue ihrer Gegner fluten.

Aber der Reihe nach.

Noch ist es friedlich auf der Straße, die zwischen zwei flachen, baumbewachsenen Böschungen liegt.

Narvila und die anderen vier Prinzessinnen sind wie üblich in lederne Hosen und Harnische gekleidet. Die Söldnerinnen haben den Auftrag, König Larnushkis Tochter Tiarlak zum Kloster von Ouduurm zu eskortieren. Dort soll diese vor ihrer anstehenden Hochzeit von den Göttern gesegnet werden, für eine glückliche und, machen wir uns nichts vor, vor allem fruchtbare Ehe, die möglichst bald einen Erben hervorbringt.

Tiarlak reist mit drei Zofen in einer quietschenden großen Kutsche voller Bequemlichkeit, die von sechs Pferden gezogen wird. Der blasse, schnurrbärtige Diener, der das Gefährt lenkt, hätte seinem mürrischen Verhalten nach sicher männliche Söldner als berittenen Geleitschutz bevorzugt.

Ob ihm das schmeckt oder nicht, neben und hinter der Kutsche reiten jetzt nun mal die Prinzessinnen:

Aiby, an der alles mächtig ist, angefangen bei ihren Muskeln, ihren verfilzten roten Zöpfen, ihrem ärmellosen Harnisch, ihrer riesigen Axt und ihren Tätowierungen nach Hochland-Art am ganzen Körper, die fast kein Weiß mehr durchscheinen lassen.

Decanra, die fingerlose Handschuhe und zu den diversen Rüstungsteilen als Einzige einen Kapuzenumhang trägt, der tiefbraune Haut, eine schwarze Mähne, eine endlose Zahl Wurfmesser und einen geschwungenen Krummsäbel aus den Juwelenstädten jenseits der Wüste verhüllt.

Cinn, bleich, klein und knochig, das kurze, an den Seiten abrasierte Haar weiß wie der Schnee im eisigen Norden, die Augen stechend hellblau, die bandagierten Hände für sich schon Waffen und dennoch stets an den Heften zweier Dolche.

Mef, mit ihrem auf den Rücken geschnallten Schwert, dem wallenden weizenfarbenen Haar und der Bräune von See und Tropensonne, deren lange Gliedmaßen in Handschuhen und Stiefeln mit Stulpen stecken und die bei jedem Grinsen eine Narbe zwischen Mundwinkel und Ohr tanzen lässt.

Und natürlich Narvila, in Sachen Statur und Haut Cinn näher als den anderen, ihre Schwertlanze hinter sich, die braunen Strähnen ungleichmäßig auf Kinnhöhe abgeschnitten – wie seit jenem Tag, an dem sie ihre Heimat Besgios samt ihrer königlichen Familie verlassen hat, um sich den Prinzessinnen anzuschließen.

Nicht dass etwas davon den schlecht gelaunten Arsch von Kutscher beeindrucken würde.

Wenigstens König Larnushkis Tochter scheint von ihrer Eskorte aufrichtig begeistert zu sein.

»Ich wünschte, ich wäre so mutig wie ihr!«, sagt Tiarlak gerade zu Narvila, die auf ihrem Schimmel neben dem geöffneten Kutschenfenster reitet und mit ihrer Schutzbefohlenen plaudert.

»Wollt Ihr denn eine Söldnerin werden, Hoheit?«, fragt Narvila schmunzelnd.

»Das könnte ich nie!« Prinzessin Tiarlak wirkt, als sei allein der Gedanke an solch einen Lebenswandel, solch einen Wandel ihres Lebens, vollkommen absurd. Tiarlak, nur unwesentlich jünger als Narvila und die anderen Prinzessinnen, hat ein herzförmiges hellbraunes Gesicht, schmale dunkle Augen, eine Stupsnase und das schwarze Haar zu einem Zopf geflochten. Sie trägt ein modisch geschnittenes rotes Kleid, wie Narvila lange keines mehr angehabt hat – sie vermisst es nicht. »Aber mir macht ja schon der Gedanke an die Priesterinnen im Kloster Angst«, fährt Tiarlak fort. »Von den Göttern ganz zu schweigen. Und ich könnte mir niemals so die Haare schneiden lassen!«

Tiarlak und ihre Zofen kichern angesichts der Vorstellung.

Narvila, die sich die Haare regelmäßig selbst mit einem Dolch absäbelt, nickt.

Sie weiß, was die baldige Braut meint.

Was die Leute sehen, wenn sie die Prinzessinnen betrachten, oder denken, sobald sie Narvilas Geschichte hören.

Narvila ist noch gar nicht so lange Teil der Truppe aus ehemaligen Thronerbinnen, denen das Schicksal einen anderen, blutigeren Pfad bestimmt hat – die gegen Bezahlung adelige Damen und andere Menschen in Nöten befreien, bewachen oder beschützen und darüber hinaus alle möglichen gefährlichen Aufträge annehmen, sich Mistkerlen und Monstern stellen, Bestien und Bastarden einheizen.

»Was war das Furchteinflößendste, gegen das ihr je kämpfen musstet?«, fragt Prinzessin Tiarlak Narvila da wie aufs Stichwort, und ihre Zofen lauschen schamlos.

Der Diener auf dem Kutschbock grunzt verächtlich.

Narvila ignoriert ihn und denkt an all die Gesetzlosen, Kultisten, Satyrn, Ghule, Drachen, Riesen, Kobolde, Untoten, Schattenkatzen und Oger, denen sie als Prinzessin bis jetzt schon ins Auge geblickt hat.

Und natürlich an die finstere Gottheit, deren Tentakel sich bis in ihre Welt gerankt haben.

Trotz der illustren Auswahl will Narvila eigentlich erwidern, dass ihre anerzogenen Hemmungen und erlernten Selbstzweifel die schlimmsten Übel gewesen sind, die sie teils noch heute immer wieder aufs Neue bekämpfen muss.

Diese Erwiderung würde Tiarlak und ihren Zofen mehr als spektakulär-schaurige Monstermärchen bieten.

Doch just als Narvila zu ihrer Antwort ansetzt, tut sich vor den Zugpferden und der Kutsche die Erde auf.

Aus einer bis eben noch von Zweigen und Laub verdeckten Grube mitten auf der Straße springt eine Handvoll schreiender Männer mit Schwertern, Dolchen, Messern und Beilen.

Die angeschirrten Pferde wiehern erschrocken, der maulfaule Diener zerrt plötzlich beredt fluchend an den Zügeln, Tiarlak und ihre Dienerinnen kreischen, und das von den Prinzessinnen bewachte Gefährt kommt schlingernd zum Stehen.

Eine Wurfaxt trifft den Kutscher im Gesicht und bleibt darin stecken. Der Mann kippt seitlich vom Bock.

Auch aus dem Wald links und rechts der Straße stürmen nun waffenschwingende Banditen, jeweils ein halbes Dutzend.

Narvila holt in einer Bewegung, die ihr in Fleisch und Blut übergegangen ist, ihre Schwertlanze vom Rücken. Ihr Herz klopft wild, aber das tut es vor jedem Angriff, jedem Kampf und jeder Auseinandersetzung, daran hat sie sich mittlerweile gewöhnt.

Das gehört dazu.

Ohne würde ihr sogar etwas fehlen.

Es bringt sie in die richtige Stimmung.

»Ich wusste, dass wir beobachtet werden«, sagt Cinn auf der anderen Seite der Kutsche seelenruhig und zügelt ihren Rappen. Ihr rauer Akzent schleift die Kanten aller Buchstaben.

»Und wieso hast du nichts gesagt?«, fragt Aiby schnaubend, während sie neben Cinn ihren stattlichen Braunen in Position bringt, um den Angreifern zu begegnen. »Macht die Fenster zu und verriegelt die Läden, Hoheit«, weist die Anführerin der Prinzessinnen Tiarlak außerdem an.

Cinn zückt ihre Dolche. »Was hätt’s geändert? Wir erwarten doch immer Ärger.«

»Aye …«, pflichtet Aiby ihr gedehnt bei und nimmt ihre schwere Axt in beide Hände, die ebenfalls bis zu den abgebrochenen, dreckigen Fingernägeln tätowiert sind.

Mef kommt unterdessen auf ihrem Falben nach vorn zu Narvila geritten. »Ich frag mich, wie lang die da unten in ihren eigenen Fürzen gehockt haben«, sagt sie und zieht ihr Schwert.

Hinter ihnen klettert Decanra leichtfüßig von ihrem Grauen aufs Dach der Kutsche und schleudert mehrere Wurfmesser auf die heranstürmenden Wegelagerer aus der Grube. Ihre Klingen bohren sich in Wangen, Augen, Nasen und Hälse. Vier der fünf Männer stürzen schreiend und blutend zu Boden. Decanra hüpft indes wehenden Umhangs auf die Straße, um den letzten Kerl aus der Drehung heraus mit dem Säbel niederzumachen.

»Wär’n sie mal besser da unten geblieben«, sagt sie anschließend.

Da prallen die ersten Banditen von links auf Narvila und Mef.

Stahl trifft klirrend auf Stahl.

Mef treibt ihre Waffe von oben durch Schädel und Hals eines Kerls bis tief in dessen Brust. Blut schwappt aus dem weit aufgerissenen Mund des Mannes. Ein zweiter Angreifer bekommt Mefs Stiefelspitze zu fressen und roten Stahl hinterher.

Auch Narvila lässt ihre Schwertlanze herabsausen, eine breite Klinge am Ende eines langen Metallschafts. Einer der Wegelagerer greift sich gurgelnd an die Kehle und die geöffnete Halsschlagader, ein anderer kreischt und starrt nur noch ausdruckslos auf die Stümpfe, wo eben noch seine Hände gewesen sind und nun zwei Blutfontänen hervorschießen.

Gemeinsam machen Narvila, Mef und Decanra mit ihren Angreifern auf dieser Seite der Kutsche kurzen Prozess.

Noch mehr Blut und Leben sickern in den Boden.

Als Mef und Narvila um die Kutsche herumreiten, sieht Narvila, dass Cinn vom Rücken ihres Hengstes geglitten ist, um drei Bewaffnete mit ihren eifrigen Dolchen aufzuschlitzen. Es sieht aus, als würde die Nordländerin in einem Wirbel aus Blut tanzen. Am Ende des Reigens steht nur noch Cinn, Haar und Gesicht rot gesprenkelt.

Vor Aibys wieherndem Ross liegen zwei Sterbende, hässliche Axtwunden im Rumpf und rote Pfützen unter sich. Mit einem brachialen Hieb enthauptet Aiby gerade einen letzten Schwertkämpfer. Der Kopf des Räubers fliegt durch die Luft, knallt gegen die Kutsche und hinterlässt einen blutigen Abdruck.

Beim Aufprall ertönen aus dem schaukelnden Gefährt spitze, panische Schreie und lautes Rumpeln.

»Denkt ihr, die haben durch Zufall genau hier ne Grube ausgehoben?«, fragt Mef indessen. »Oder wussten die, dass wir kommen?«

»Das müssen wir später klären«, sagt Decanra, die inzwischen wieder auf ihrem Grauen sitzt. »Da kommen noch mehr.«

Allerdings stürmen ein ganzes Stück hinter ihnen keine Menschen aus dem Unterholz und auf die Straße, sondern sechs Kobolde und drei Oger: die einen grün, spitzohrig, einen Kopf kleiner als Cinn und in Felle gehüllt, die anderen grau, massiger als Aiby, mit großen Hauern im Maul und bis auf einen Lendenschurz nackt.

»Seit wann arbeiten Oger und Kobolde zusammen?«, wundert sich Narvila und umfasst ihre tropfende Schwertlanze fester.

»Andere Länder, andere Sitten«, sagt Aiby schulterzuckend.

Narvila, die noch nie so weit im Süden gewesen ist, nickt skeptisch.

»Ob die auch zu denen gehören?«, überlegt Mef laut und spuckt auf die kopflose Leiche eines Kerls.

»Vermutlich waren sie in der Nähe und der Kampflärm hat sie angelockt«, spekuliert Decanra.

»Das werden die hässlichen Ficker gleich bereuen«, verspricht Cinn und zieht sich behände in den Sattel.

»Werden sie«, bestätigt Aiby, und die Prinzessinnen reiten der zweiten Welle aus Angreifern geschlossen entgegen.

Die Kobolde und Oger rennen brüllend auf sie zu.

Sie prallen mitten auf der Waldstraße zusammen.

Aiby hackt einem der Oger sofort den Arm ab, ein anderer Koloss bekommt erst zwei von Decanras Wurfmessern und dann einen von Cinns Dolchen in den Hals – Decanra weicht ihrerseits einem wütenden Keulenhieb aus. Sie und Cinn setzen nach. Als weitere Klingen in seinen Leib getrieben werden, geht der blutende Oger in die Knie. Cinns Dolch im Schädel gibt ihm den Rest.

Mef und Narvila mähen aus dem Sattel heraus mehrere Kobolde um und verteilen gelbes Blut auf Erde, Gras, Blättern und Moos. Ein Kobold-Bandit wird von Mefs Schwert förmlich in zwei Hälften zerteilt, einem anderen jagt Narvila die Lanze durch die Brust.

Zwei ihrer spitzohrigen Gegner tauchen jedoch unter den Waffen der Prinzessinnen hindurch und rennen hastig weiter.

»Narvila!«, ruft Aiby, derweil sie und Decanra den letzten stehenden Oger übernehmen, der mit wildem Knurren seinen Baumstamm von einer Keule schwingt. »Die Kutsche!«

Narvila reißt ihren Schimmel herum, reitet einen Kobold kurzerhand über den Haufen und rammt seinem Kumpan ihr Tötungswerkzeug in den Rücken, ehe seine Griffel auch nur den Schatten von Prinzessin Tiarlaks Gefährt berühren können.

Als der andere Räuber sich aufrappelt und schnatternd sein Beil zum Angriff über den Kopf hebt, sticht Narvila ihm mit etwas mehr Glück als Genauigkeit ins Auge und rupft es samt Sehnerv heraus, da der Kobold schreiend zurückzuckt.

Angewidert verzieht Narvila das Gesicht.

Plötzlich erschallt zwischen den Bäumen lautes Gebrüll – es übertönt sogar das schrille Gejammer des Kobolds, dem Narvila die Gnade einer Prinzessin zuteilwerden lässt.

Ein weiterer Oger bricht aus dem Wald und stapft auf die Straße. In seinen Pranken hält er zwei für Ritter gemachte Schwerter, die an ihm wie Cinns Dolche aussehen. Dröhnenden Schrittes hält das graue Ungeheuer auf die Prinzessinnen zu.

Narvila reitet zu ihren Freundinnen.

Aiby gibt bereits Anweisungen, wie sie das Biest angehen werden, und Narvila macht sich bereit.

Aber da zischt aus Richtung Kutsche ein schimmerndes Etwas zwischen den Söldnerinnen hindurch – so knapp an Narvilas Gesicht vorbei, dass sie es auf ihrer nicht mehr ganz so zarten Haut spüren kann. Der Speer fliegt pfeilgerade auf den Oger zu und flutscht mit einem rohen Knacken sowie einem feuchten Klatschen durch dessen Schädel. Von Blut, Knochen und Hirnmasse besudelt, schießt die Spitze der Waffe hinten wieder raus.

Das Ungetüm verharrt einen Moment regungslos, schwankt und kracht letztlich wie ein gefällter Baum zu Boden.

Die Prinzessinnen fahren gleichzeitig herum.

Auf dem Dach von Tiarlaks Kutsche steht ein Krieger mit Aibys Maßen und Muskeln. Auch er trägt einen ärmellosen Lederharnisch wie Narvila und die anderen, dazu einen über den Knien endenden Rock und Stiefel, allesamt aus dunkelroten Schuppen – eines Drachen, wenn Narvila sich nicht täuscht, und keines kleinen. Auf dem Kopf des Mannes steht nur ein handbreiter Streifen borstigen schwarzen Haars, der Rest ist glatt rasiert, ebenso das markante gebräunte Kinn. Hinter seinem Rücken hängt ein Rundschild, an seinem Gürtel noch ein Kurzschwert.

»Dankt mir nicht alle auf einmal!«, ruft der Kerl, während er es Decanra gleichtut, behände auf die von Leichen und Körperteilen übersäte Straße springt und sich sogleich wieder aufrichtet, wobei die Sonne sein Profil zur Geltung bringt, als hätten die beiden eine Vereinbarung. »Obwohl es kein Problem für mich wäre«, fügt er grinsend hinzu.

»Was ist das denn für ein verrückter Ficker?«, fragt Mef. »Hat der auch in dem Furzloch gesessen? Würd einiges erklären.«

»Wenn Ihr gestattet, werte Damen?«, sagt auf einmal ein weiterer Unbekannter, der neben der Kutsche ins Blickfeld der Prinzessinnen tritt. Er ist kleiner als der andere, hat glänzende braune Haut, einen Vollbart und das dunkle Haar zu einem kurzen Zopf aus mehreren geflochtenen Strängen gebunden. Seine Hose und sein Leinenhemd wirken weniger kriegerisch, nur seine Weste stammt ebenfalls von einem roten Drachen, wahrscheinlich demselben. Am Gürtel macht Narvila lediglich einen Dolch und eine Schleuder aus. »Mein Name ist Kaersec, und wie mein Vater und dessen Vater vor mir habe ich die Ehre, den edlen Prytos zu begleiten, seinen kühnen Taten beizuwohnen – und ihn Euch an diesem Tage vorzustellen!«

»Was zum …?«, murmelt Mef, aber Aiby gibt ihr per Handzeichen zu verstehen, die Klappe zu halten.

»Ihr habt richtig gehört«, fährt Kaersec fort – in der Manier eines Herolds oder fahrenden Händlers, findet Narvila. »Der legendäre Prytos, ruhmreicher Held des Götterkrieges, Bezwinger von Dämonen und vielen anderen Bestien, steht leibhaftig und in all seiner Pracht vor Euch!«

»Danke, Kaer«, meint der große Bursche und tut, als würde ihn das alles kaltlassen, obgleich er sich noch etwas mehr in Pose wirft. »Und wer seid Ihr, meine Holden? Eine Truppe Schauspielerinnen, nehme ich an? Das sind großartige Kostüme, alle Achtung.«

Er stolziert an Narvila und ihren Gefährtinnen vorbei, die blutigen Waffen und Leichen ignorierend. Dafür zwinkert er Aiby zungenschnalzend zu. Schließlich macht er sich daran, seinen mit Runen verzierten Metallspeer aus dem toten Oger zu ziehen.

Narvila versucht, das imposante Muskelspiel an Armen, Beinen, Schultern und Arsch des Typen nicht weiter zu beachten.

Der bewegt den Kadaver, als wöge er nichts.

»Wir«, erklärt Aiby säuerlich, »sind die Prinzessinnen. Söldnerinnen«, fügt sie hinzu, und Narvila kann hören, dass Aiby sich über ihre eigenen Worte und deren Notwendigkeit ärgert. Narvila pisst es auch an. »In der Kutsche sitzt Prinzessin Tiarlak, die wir im Auftrag Ihres Vaters König Larnushki zum Kloster von Ouduurm geleiten.«

»Lauter Prinzessinnen, soso«, sagt Prytos und putzt seinen Speer am Lendenschurz des Ogers ab, den er am Schluss mit der gesäuberten Spitze etwas anhebt, um darunterzulugen – und verächtlich zu grinsen.

»Wir sind Söldnerinnen«, wiederholt Decanra gereizt und setzt ihre Kapuze auf, wie sie es immer tut, wenn die Welt sie zu sehr nervt. »Kriegerinnen. Monsterjägerinnen. Leibwächterinnen. Beschützerinnen oder Befreierinnen von Prinzess…«

Doch es ist, als hätte sie nichts gesagt – als würde dieser Prytos bloß das hören, was er hören will.

»Das da drin ist die Ober-Prinzessin, ja?«, fragt er, schultert seinen Speer, zwinkert im Vorbeigehen diesmal Narvila zu, die zu ihrem eigenen Entsetzen errötet, und klopft in einem flotten Rhythmus an die Kutschentür. »Euer Flehen wurde erhöht, Hoheit. Es war mir ein Vergnügen, Euch aus dieser Notlage zu retten. Und ich werde Euch und Eure verkleideten Freundinnen sicher bis zu Eurem Bestimmungsort bringen, so wahr ich Prytos heiße.«

»Wir sind nicht verkleidet, verfickt noch mal!«, knurrt Decanra.

»Der tut ja grad so, als hätt er die alle ganz allein plattgemacht«, faucht Mef.

»Tut er«, bekräftigt Cinn gefährlich leise.

Die Prinzessinnen haben ihre Waffen noch nicht gesenkt.

In der Kutsche rumort es, Riegel werden geöffnet, und die Tür schwingt auf. Die erschüttert wirkende Tiarlak hält sich am Rahmen fest, sieht Prytos aus großen Augen an – und kotzt ihm beim Anblick der entstellten Leichen, die Narvila, Mef und Decanra unter dem Einstieg ihres Gefährts angerichtet haben, geradewegs vor die Füße.

Prytos tritt elegant zurück und lächelt dünn. »Es ist aufregend, den größten Helden aller Zeiten zu treffen, ich verstehe das«, räumt er großmütig ein. »Beruhigt Euch und macht Euch zurecht, dann können wir uns bei der nächsten Rast ein wenig unter vier Augen unterhalten. Ich erzähle Euch gern von meinen Heldentaten, wenn ich mich dafür etwas in Eurer wiederhergestellten Anmut sonnen darf.«

»Es … es wäre mir ein Vergnügen«, sagt Tiarlak und wischt sich mit dem Handrücken die Reste ihrer letzten Mahlzeit von den zitternden Lippen.

Hauptsache, ein Rest von Etikette bleibt gewahrt, über die hoheitliche Kotze kann man hinwegsehen.

Narvila erinnert sich mit Grauen an dieses verlogene Leben, aber auch an die Anfangszeit ihrer Söldnerinnen-Karriere, als sie nach jedem Kampf und jedem toten Untier gereihert hat und die anderen sie deswegen aufgezogen haben.

»Alles wird gut«, versichert Prytos der Prinzessin, den Zofen und den Söldnerinnen, und zwar mit der Stimme von jemandem, der scheue Tiere oder kleine Kinder beruhigen will, obwohl sie ihm eigentlich unwichtig sind. »Ihr steht fortan unter meinem Schutz. Mehr noch, Ihr seid nun ein Teil der unsterblichen, seit dem Götterkrieg währenden Legende von Prytos.«

»Aye, was haben wir für ein Glück«, ätzt Aiby und streicht energisch ihre blutbefleckten Zöpfe nach hinten.

Ihr Sarkasmus prallt an Prytos ab, der sich wieder in einen vorteilhaften Streifen Sonnenlicht stellt.

Sein Begleiter Kaer führt zwei Pferde zu ihm: einen feurigen Hengst, der die Dimension eines Schlachtrosses hat, und einen schlanken Rotschimmel mit wachsam zuckenden Ohren.

»Wir brauchen ihn nicht«, sagt Aiby zur sichtlich faszinierten Prinzessin Tiarlak. »Und es missfällt mir, dass er sich so aufdrängt.«

»Er ist ein Held«, haucht Tiarlak, als wäre damit alles erklärt. »In seiner Gegenwart fühle ich mich sehr sicher. Ich will, dass er uns begleitet.«

Narvila sieht dem Krieger zu, wie er sich ohne Mühe auf den riesigen Rappen schwingt, mit Speer und Schild auf dem Rücken.

Im Sattel dieses Rosses wirkt er noch eindrucksvoller.

Wie eine lebendig gewordene Statue.

»Hör auf zu gaffen, Süße, und bind dein Pferd lieber an die Kutsche«, sagt Mef, steigt aus dem Sattel und schickt sich an, selbst genau das zu tun.

»Wieso?«

Aber Mef lässt sie ohne Erklärung stehen. Sie ignoriert auch Prytos’ unverhohlene Musterung und zieht sich auf den verwaisten Bock. Narvila folgt ihr, bleibt allerdings neben der Leiche des Kutschers stehen. Das Beil steckt noch in seiner Stirn.

»Na komm.« Mef grinst und tätschelt die Sitzbank neben sich. »Nur weil du den großen Auftritt einer finsteren Gottheit verdorben hast, heißt das noch lang nicht, dass deine Ausbildung abgeschlossen ist.«

Narvila hebt das Kinn. »Ist das so, ja?«

Mefs Grinsen wird breiter, ihre Narbe springt. Mef hat noch nicht bemerkt, dass Sommersprossen aus Banditen-Blut ihr Gesicht sprenkeln. Wie die Narbe tun sie ihrer Schönheit keinen Abbruch. »Wird Zeit, dass du lernst, so ein Ding zu fahren.«

Narvila stutzt. »Eine Kutsche?«

»Was denn sonst? Jetzt schwing deinen Knackarsch hier rauf, wir sollten verschwinden. Die Scheißkerle fangen langsam an zu stinken. Na ja, haben sie wahrscheinlich vorher schon, aber du weißt, was ich mein …«

»Fürs erste Mal stellst du dich gar nicht so doof an«, sagt Mef.

Narvila bleckt die Zähne, von den Pferdestärken unter ihrer Kontrolle regelrecht berauscht, auch wenn sie im Moment ziemlich langsam fahren.

»Ich bin sicher, das sagst du zu allen hübschen Anfängerinnen, Mef.«

»Kann ich nicht mal abstreiten.«

»Dacht ich mir. Macht aber wirklich mehr Spaß als erwartet. Hab’s mir auch schwerer vorgestellt.«

»Das sagen sie hinterher dann auch alle …«

»Ha!«

»Es hilft immer, wenn beim ersten Mal jemand mit Erfahrung dabei ist«, wirft plötzlich Prytos von der Seite ein.

Der Krieger hat Narvilas Platz als berittener Gesprächspartner am Fenster von Prinzessin Tiarlak eingenommen. Seine tiefe, kräftige Stimme übertönt mühelos die Geräusche der Pferdehufe und der Kutschenräder.

Narvila und Mef ignorieren ihn, aber Prytos schäkert eh schon wieder mit Tiarlak und deren Dienerinnen.

Wenig später, als sie genug Abstand zwischen sich und die verstümmelten Leichen der Kobolde, Oger und Menschen gebracht haben, legen sie auf einer Waldlichtung eine Rast ein.

Das macht Narvila etwas nostalgisch – immerhin sind die anderen Prinzessinnen auf einer ähnlichen Lichtung in ihr Leben getreten und haben sie in mehr als einer Hinsicht gerettet.

Narvila und Mef tränken die Zugpferde und ihre Reittiere an einem kleinen, leise im Schatten murmelnden Bach. Prytos’ wortgewandter Begleiter Kaer führt seinen Rotschimmel und den Hengst seines Gefährten ebenfalls ans Wasser. Er lächelt Narvila zu, schweigt jedoch und tätschelt seinen Gaul.

Tiarlaks Zofen vertreten sich erst kurz die Beine und nehmen dann auf einer im Gras ausgebreiteten Steppdecke Platz, knabbern an ein paar Keksen aus einem Korb, trinken etwas verdünnten Wein, tuscheln miteinander.

Aiby, Decanra und Cinn halten Wache.

Prytos ist wie angekündigt zu einer Audienz bei Prinzessin Tiarlak in die Kutsche gestiegen. Türen und Fensterläden sind geschlossen, gelegentlich hört man das glockenhelle Gelächter von König Larnushkis Tochter, die ihren Schrecken und ihre Übelkeit anscheinend überwunden hat.

Nachdem die Tiere genug gesoffen haben und auf der Lichtung grasen, gesellen sich Narvila und Mef zu ihren Gefährtinnen.

Kaer folgt ihnen auch diesmal.

Aiby, die aus einem prallen Weinschlauch trinkt, hat schon auf ihn gewartet. »Also schön«, setzt sie nach einem weiteren Schluck an. »Ich weiß eine gut durchdachte Nummer und eine ordentliche Darbietung zu schätzen. Und Eure ist gut, daran besteht kein Zweifel. Die Geschichte, die Inszenierung – alles. Aber jetzt mal im Ernst: Wer ist Euer Freund wirklich?«

Kaer, der etwa fünf Jahre älter als Narvila sein dürfte, schenkt ihnen ein schwer zu deutendes Halblächeln und streicht sich mit drei Fingern über den Bart. »Obwohl Prytos oftmals ein wahres Schauspiel bietet, wenn er seine Kraft und sein Können entfesselt, ist alles an ihm echt.«

»Kommt schon.« Mef schüttelt den Kopf. »Ihr wollt uns wirklich erzählen, dass das da Prytos sein soll, der verfickte Held des letzten Götterkriegs? Das glaubt Ihr doch selbst nich.«

Auch Decanras Kapuze bewegt sich zweifelnd. »Dann müsste Euer Freund … was, hundertfünfzig Jahre alt sein? Niemals! Er ist vielleicht kein junger Mann mehr, aber …«

Narvila, die zwischen Cinn und Aiby im Gras Platz genommen hat, versucht sich an das zu erinnern, was sie über den Götterkrieg und insbesondere Prytos’ Rolle darin weiß.

Zum Glück ist es noch gar nicht so lange her, dass die Prinzessinnen eine fahrende Theatergruppe begleitet und regelmäßig ein Stück über den legendären Krieg der Götter gesehen haben. Aus Jux haben Narvila und Aiby sogar einmal in einer Aufführung über die schicksalsträchtigen Schlachten zwischen zwei göttlichen Fraktionen mitgespielt.

Sie muss kurz an Ilfyng aus besagter Truppe denken, den ersten jungen Mann, dem sie ihr Herz und mehr geschenkt hat.

Es sind ein paar Wochen vergangen, seit sie an Ilf und die anderen gedacht hat. Wenn man so lebt wie die Prinzessinnen, trifft man unterwegs dauernd Menschen, verbringt etwas Zeit zusammen, hinterlässt beieinander Eindruck, aber dann zieht man getrennter Wege weiter, und es bleiben lediglich verblassende Erinnerungen.

Und Narben.

Anstatt weiter über Ilfyng nachzusinnen, konzentriert sich Narvila wieder auf den Krieg, in dem ein Heer aus Göttern und Menschen gegen eine Armee aus Göttern und Dämonen gekämpft hat.

Die Legenden, Geschichten, Lieder, Gedichte und Dramen berichten, dass sich Prytos, ein einfacher menschlicher Soldat, in Vejalcii verliebt hat, die Göttin der Siegel. Angeblich hat Vejalcii diese Liebe erwidert und dem tapferen Krieger in ihrer ersten gemeinsamen Liebesnacht durch ihre Küsse einen Teil ihrer Unsterblichkeit und Stärke geschenkt. Das soll Prytos am nächsten Tag dazu genutzt haben, um ihre Seite zum Sieg über die finsteren Gottheiten und deren zahllose Dämonen-Schergen zu führen.

»Prytos wurde dank Vejalciis Gabe nicht im göttlichen Sinne unsterblich, aber so gut wie«, erklärt Kaer gerade, als Antwort auf Decanras Frage. »Er altert kaum, wird nie krank oder müde. Wunden heilen sofort und hinterlassen nicht mal eine Narbe. Er wurde also praktisch unbesiegbar.«

»Und woher wisst Ihr das alles so genau?«, fragt Decanra misstrauisch. »Vielleicht legt der Kerl Euch genauso rein wie alle leichtgläubigen Frauen, denen er begegnet.«

Kaer lächelt vertrauenerweckend. Das kann er gut, wie Narvila schon gemerkt hat. »Mein Großvater kämpfte damals mit Prytos im Krieg der Götter. Seit der Grundausbildung in Saldrovin waren die beiden Freunde. Als sie aus dem Krieg zurückkehrten, wurde mein Großvater Prytos’ Reisegefährte, sein Herold und Chronist. So wie nach ihm mein Vater und nach diesem meine Wenigkeit.«

»Ihr seid also … was, sein Knappe und sein Marktschreier?«, provoziert Mef.

Kaer lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. »Es wäre doch irgendwie seltsam, würde ein Mann wie Prytos sein Pferd selbst versorgen, findet Ihr nicht? Oder den Lohn für seine Heldentaten verhandeln wie ein gemeiner Söldner. Nichts für ungut«, fügt Kaer mit seinem stoischen Lächeln hinzu.

Aiby winkt ab. »Ihr seid also auch noch sein … Vermittler?«

»So ist es«, bestätigt Kaer und klingt dabei einigermaßen stolz, als sei dies seine eigene famose Heldentat.

Sein Beitrag zur Geschichte.

»Ich bleib bei Knappe«, sagt Mef.

»Wieso muss ein wortwörtlich von den Göttern geküsster Held überhaupt etwas für seine glorreichen Taten verlangen?«, fragt Narvila indes. »Müsste er nicht allerorten mit Reichtum und Anerkennung überschüttet werden? Wenn er denn wirklich der große Prytos ist, wie Ihr sagt.«

»Er ist es, und am Anfang war das auch lange so.« Kaer zuckt mit den Schultern, kratzt sich am Bart, blickt kurz zur Kutsche. »Aber Ihr wisst doch, wie die Menschen sind. Wie die Welt funktioniert. Die Leute vergessen irgendwann. Meist eher früher als später. Sogar ihre Helden. Schon zu Zeiten meines Vaters kamen immer weniger Einladungen von Königen und Königinnen, die sich mit Prytos an ihrer Tafel oder zumindest in ihrer Armee schmücken wollten. Außerdem ist Prytos ein Vollblutkrieger. Er weiß die angenehmen Seiten des Ruhms durchaus zu schätzen und zu genießen. Auch den hoheitlichen Luxus, zuweilen. Allerdings nur für eine gewisse Zeit. Irgendwann muss er einfach zurück aufs Schlachtfeld, wieder in die Welt und den Kampf ziehen, die nächste Herausforderung, das nächste Monster suchen. So ist er einfach.«

»Kommt mir bekannt vor«, murmelt Narvila, aber ihre Begleiterinnen ignorieren sie, wollen nicht mit Prytos in einen Topf gesteckt werden, obwohl sie die Rastlosigkeit und den Hunger nach Abenteuern teilen. Darum fragt sie Kaer: »Er ist es also wirklich? Der große Held aus dem Götterkrieg?«

»Wie er leibt und lebt. Er trägt das Siegel von Vejalcii auf der Brust. Ich bin mir sicher, er zeigt es Euch, wenn Ihr ihn danach fragt.« Der Vermittler strahlt sie an. »Und eines könnt Ihr mir glauben: Es ist wirklich eine Ehre und ein Privileg sondergleichen, mit diesem vollkommenen Helden unter den Menschen und Göttern zu reisen. Mit diesem Schrecken aller Dämonen und Bestien. Diesem Beispiel an Mut, Kraft, Furchtlosigkeit und Tugendhaf…«

Kaers hübsche kleine Rede, die er sicher nicht zum ersten Mal hält, wird davon unterbrochen, dass die im Schatten geparkte Kutsche von Prinzessin Tiarlak anfängt, leise quietschend hin und her zu schaukeln.

Ab und an dringt aus der Karosse trotz der geschlossenen Fenster zudem ein Grunzen oder ein halb erstickter spitzer Schrei hervor.

Das Schaukeln und die Laute werden immer heftiger.

Draußen sagt niemand mehr etwas. Auch Tiarlaks tuschelnde Zofen sind verstummt.

Die Pferde wackeln neugierig mit den Ohren.

Schließlich steigern sich Quietschen und Schreien zum großen Finale.

Hinterher hält kurz Stille die Lichtung umfangen.

»Unser Held weiß wirklich, wie man den hoheitlichen Luxus genießt«, kommentiert Mef dann trocken.

Als sich wenig später die Kutschentür öffnet, tritt Prytos mit nacktem, glänzendem Oberkörper nach draußen.

Narvila kann nicht anders und muss hinsehen.

Da ist in der Tat das Siegel auf seiner Brust. Es erinnert an eine Tätowierung, schimmert im Licht der Sonne jedoch wie Silber, was mit weltlichen Mitteln unmöglich zu fälschen sein dürfte und keine schweißtreibende Kutschennummer überleben würde.

»Er ist es wirklich«, flüstert Narvila fasziniert.

»Sag ich doch.« Kaer lächelt zufrieden. »Willkommen in der Welt der Helden und Legenden!«

»In der es wohl auch nur um das eine geht«, meint Decanra.

»Nun.« Kaer zuckt mit den Schultern und lächelt vielsagend. »Auch das gehört zum Heldendasein …«

Ohne weitere Zwischenfälle liefern sie Prinzessin Tiarlak bei den Priesterinnen des Klosters von Ouduurm ab.

»Ich danke euch für euren Einsatz«, sagt König Larnushkis Tochter hoheitsvoll, als die Prinzessinnen sich von ihr verabschieden. »Und für eure Diskretion«, fügt sie etwas leiser hinzu.

Aiby nickt. »Denkt bitte daran, Eurem Vater von unserem Verdacht zu schreiben, Hoheit. Dass jemand diesen Überfall geplant hat und allem Anschein nach Eure anstehende Hochzeit verhindern will.«

Doch Tiarlak ist schon vollauf damit beschäftigt, sich von Prytos galant die Hand küssen zu lassen und beim Augenkontakt mit der Heldenlegende übers Gesicht und am Halsausschnitt zu erröten.

»Ein nettes Ding«, sagt Prytos später, als er, Kaer und die Prinzessinnen vom Kloster fortreiten. »Sehr unkompliziert. Und sie weiß genau, was sie will.«

»Das wissen sie in dem Alter selten«, versetzt Mef.

»Das sagst du doch nur, weil du bei ihr abgeblitzt bist«, meint Decanra.

»Hattest du seit dem Obsthändler vor Monaten eigentlich mal wieder jemanden, oder klebst du nur an deinen Fingern?«

Aiby seufzt. »Jetzt geht das wieder los.«

»Wohin zieht es Euch nun?«, fragt Narvila Prytos, und ein Teil von ihr kann es nicht fassen, neben dem unsterblichen Helden aus dem Götterkrieg zu reiten, zwanglos mit ihm zu plaudern.

»Wohin die Götter, das Schicksal und der Wind mich führen. So läuft das mit Helden und Legenden.«

»So ist es«, stimmt Kaer diensteifrig zu.

»Das Schicksal ist unser Wegweiser«, sagt Prytos stolz.

Die Straße schlängelt sich seit dem Kloster durch Felder und Wiesen, keine einzige Abzweigung in Sicht.

Also setzen sie ihren Weg fürs Erste gemeinsam fort.

Prytos lässt sich nicht lumpen, genau genommen nicht einmal bitten, und unterhält die Prinzessinnen mit Geschichten über seine fantastischen Abenteuer.

»Habt Ihr schon mal von meinen dreizehn Prüfungen und Heldentaten gehört? Die ich bestehen musste, um die Götter der Vulkane zu besänftigen, damit sie die Welt nicht mit Feuer und Fluten peinigen? Natürlich habe ich jede Aufgabe gemeistert, die sie mir stellten. Selbst die mit der Seeschlangen-Königin Silissiea, deren Liebe ich gewinnen musste.« Der Held grinst selbstzufrieden. »Am Ende gewann ich sogar einiges mehr von ihr.«

Narvila betrachtet Prytos, der vorn zwischen ihr und Aiby reitet, unauffällig von der Seite. Sie versucht sich vorzustellen, wie sein Leben verlaufen ist, diese Aneinanderreihung großer Leistungen, Taten, Schlachten.

Zu ihrem Entsetzen bemerkt Prytos ihren Blick.

»Wollt Ihr nur verschämt gucken, oder seid Ihr bereit für mehr?« Die Andeutung eines Schmunzelns schwebt um Prytos’ Mundwinkel. »Ihr dürft meinen Speer ruhig mal in die Hand nehmen, wenn Ihr möchtet. Oder eher, die Hände. Eine wird nicht reichen. Kommt, ziert Euch nicht! Ihr giert ja förmlich danach, ihn mal zu spüren.«

»Was?«, meldet sich Mef empört von hinten.

»Eure kleine Lanze ist aber auch irgendwie niedlich«, sagt Prytos. »Wirklich gute Schmiedekunst, das seh ich sofort. Nicht so gut wie ein von der göttlichen Vejalcii gesegneter Speer, aber dennoch.«

Weil Narvila zu perplex ist, um etwas zu erwidern, und er eigentlich keine Antwort erwartet, gibt Prytos einfach die nächsten Geschichten zum Besten.

Er berichtet von seinem Duell mit Jacalwan, dem Fürsten der Frostbringer, in dessen Verlauf die beiden mehrere Eisberge gespalten und zwei Gletscher pulverisiert haben. Von seinem Ritt auf dem Rücken der Walfisch-Prinzessin Xölmagio, Herrin der Leviathane, um auf der Insel Mharlank einen Nekromanten von dessen Untaten abzuhalten. Von seiner Gefangenschaft im Harem der Dryaden-Prinzessin Elptisz, die zu deren Erschöpfung und langem Schlaf führte. Vom Krieg der Elfen gegen die Kobolde, für dessen Beendigung Prytos in die verborgenen Königreiche der so unterschiedlichen Spitzohren reiste und die größten Streiter beider Armeen besiegte. Und selbstverständlich von der Erdbeben, Feuerstürme und Waldbrände auslösenden Schlacht, die er sich mit dem Drachen Zebwasniata lieferte, dessen schuppige Haut Prytos und Kaer heute tragen.

Das sind schon einige beeindruckende Geschichten, um nicht zu sagen, echte Legenden, wie Narvila zugeben muss. Allerdings fällt ihr auf, dass Prytos’ größte Taten, von denen er auch ohne Kaers Hilfe packend Zeugnis geben kann, alle schon eine gewisse Zeit zurückliegen.

Decanra bemerkt das ebenfalls. »Was habt Ihr eigentlich zuletzt so für Heldentaten vollbracht?«, fragt sie unschuldig unter ihrer Kapuze hervor. »Mich würde brennend eine neuere Geschichte interessieren. Aus diesem Jahr vielleicht? Oder letztem? Diesem Jahrzehnt zumindest? Etwas, dem ich mich ganz nahe fühle, wisst Ihr?«

Decanras übertrieben süßes Getue lässt Narvila knöchern grinsen.

»In jüngerer Vergangenheit, wie?« Prytos kratzt sich am kantigen Heldenkinn und schindet für seine Antwort Zeit. Dann hellt sich sein Gesicht auf, und er lächelt siegesgewiss. »Nun. Erst heute Vormittag habe ich Euch vor einem riesigen Oger gerettet. Wahrscheinlich dem größten Oger, den je ein Mensch zu Gesicht bekommen hat.«

»So ist es«, unterstützt Kaer den Krieger sogleich enthusiastisch. »Dem größten Oger aller Zeiten! Erst heute Morgen! Welch famose Tat. Bald werden die Barden Lieder über deinen Kampf mit dem Obersten der Oger dichten. Über Prytos’ Duell mit dem König der Oger!«

Narvila zieht die Augenbrauen hoch.

»König der Oger am Arsch«, murmelt Decanra.

Aiby schnaubt kopfschüttelnd, Mef stöhnt genervt.

»Ihr habt uns nicht vor ihm gerettet, sondern ihn uns weggenommen«, stellt Cinn eisig klar und schließt zu den anderen vorn auf. »Das war unser Kampf. Ihr hättet Euch nicht einmischen dürfen.«

Prytos sieht sie überrascht an – und legt den Kopf in den Nacken, um schallend loszulachen.

Kaer hüstelt diplomatisch, streicht über seinen Bart und konzentriert sich auf die von Hufabdrücken, Schlaglöchern, Rissen und Fahrrinnen durchzogene Straße.

Cinn starrt Prytos mit ihrem Blick an, der die meisten Menschen ebenso hart trifft wie ihre Fäuste und Dolche.

Irgendwann dämmert Prytos, dass nur er lacht. »Oh, Ihr meint das ernst. Hm. Nun ja. Ich denke, es war besser, Euch diesen Kampf wegzunehmen, wie Ihr es ausdrückt. Nur um sicherzugehen, dass Ihr nicht verletzt werdet. Der König der Oger, schon vergessen?«

»Ihr schuldet uns eine Bestie«, beharrt Narvilas Gefährtin.

»Cinn«, mahnt Aiby.

Doch die Nordländerin hört nicht. »Einen großen Kampf gegen einen würdigen Gegner. Ein Monster … oder einen Menschen.«

Narvila traut ihren Ohren kaum.

Hat Cinn da gerade den Helden aus dem Götterkrieg herausgefordert? Es würde zu ihr passen, klar, aber …

Narvila versucht sich vorzustellen, wie ein Duell zwischen Cinn und Prytos ablaufen, ausgehen würde. Sie hat schon gesehen, dass ihre Freundin als erfahrene Käfig- und Grubenkämpferin mit größeren, schwereren und stärkeren Gegnern fertiggeworden ist. Andererseits ist Prytos nicht irgendein Schläger oder Grobian.

Prytos sieht Cinn an. »Mir fällt etwas Monströses ein, das sich als würdiger Gegner im Nahkampf erweisen könnte …«

»Prytos«, macht diesmal Kaer.

Cinn starrt den Helden hasserfüllt an. Mef tut, als müsse sie kübeln. Decanra brummt einen Fluch in der Sprache der Juwelenstädte. Aiby spuckt in den Straßengraben. Narvila verzieht das Gesicht und sinnt darüber nach, wie schnell sich die Faszination einer Legende abnutzen kann, wenn hinter der Maske aus frappierender Selbstherrlichkeit und falscher Höflichkeit ihr wahres Gesicht zum Vorschein kommt.

»Das hat aber lange gedauert«, murmelt Aiby vor sich hin. Narvila sieht sie fragend an. »Hatte schon mal mit einem ähnlichen Helden zu tun.« Aiby winkt ab. »Frag nicht.«

Danach herrscht zwischen ihnen eine seltsam angespannte Stimmung.

Als endlich eine Abzweigung naht, sind alle erleichtert, werden nur wenige Worte des Abschieds gewechselt, vor allem von Kaer.

»Der echte Prytos«, sagt Narvila nach ein paar Meilen auf der neuen, angenehm heldenfreien Straße.

»Ein echter Ficker«, versetzt Mef grollend.

»Von der feinsten Sorte«, bestätigt Decanra.

»Aye«, stimmt Aiby zu. »Knackiger Arsch, aber leider ein Riesenarschloch.«

»Ich hätt ihn fertiggemacht«, sagt Cinn mit einer Selbstsicherheit, um die Narvila sie manchmal noch immer beneidet.

»Hoffe, er schnappt uns nicht zu viele Aufträge weg«, grübelt Aiby. »Ein Held in derselben Gegend ist immer schwierig.«

»Ihr wisst doch, wie das läuft.« Mef schnieft. »Der wird so mit Rumvögeln beschäftigt sein, dass er zu gar nichts anderem kommt. So würd ich’s jedenfalls machen, wenn das hier mein Heldenlied wär.«

»Heldenlied?«, sagt Decanra. »Nein danke. Du nervst auch ohne Gesinge schon genug …«

EINST

Einige Jahre bevor Narvila eine Prinzessin wurde, als die Zauberin Sacipha noch mit Aiby, Mef, Decanra und Cinn die ursprüngliche Truppe bildete, sollten die fünf jemanden aufspüren.

»Sie war die schönste Frau auf dem Ball«, schwärmte Prinz Schedmant, sehr reich, sehr gut aussehend und sehr verliebt. »Die schönste im ganzen Land. Doch ehe ich ihr erklären konnte, wie sehr ich für sie in Liebe entbrannt war, verließ die unbekannte Schönheit fluchtartig den Ball. Zurück blieb nur dieser gläserne Schuh, den sie auf der Treppe verloren hat.«

»Sieht unbequem aus«, sagte Mef.

»Und unpraktisch«, ergänzte Decanra. »Wie konnte sie damit tanzen?«

»Man sagt, ihr seid gut im Auffinden verschwundener Prinzessinnen«, fuhr Prinz Schedmant fort, wobei er den spitzen gläsernen Schuh versonnen in seinen feingliedrigen weißen Händen drehte.

»Aye«, machte Aiby. »Aber woher wollt Ihr wissen, dass sie eine Prinzessin war?«

»Wie könnte solch ein liebreizendes Wesen weniger sein?«, fragte der Prinz ehrlich überrascht. »Findet sie, und ich werde euch mit Reichtum überschütten.«

Seine Stimme zitterte vor Sehnsucht und Verlangen.

»Kannst du da mit deiner Magie was machen?«, fragte Aiby Sacipha, als sie das Schloss verließen.

»Vielleicht.« Sacipha überlegte. Sie hatte hellbraune Haut, langes schwarzes Haar und ein Lächeln, das Mef seit ihrer ersten Begegnung verzauberte. »Es wäre leichter, wenn er uns den Schuh mitgegeben hätte. Aber von dem wollte er sich ja nicht trennen.«

»Ich frag mich, was er damit anstellt«, grübelte Mef. »Oder welche arme Sau ihn morgens sauber machen muss.«

Sacipha war eine mächtige Zauberin, die nur wenige Artefakte als Quelle ihrer Magie brauchte, um Ergebnisse zu erzielen. Sie führte die Prinzessinnen in einen dichten Wald, der bloß eine Kutschenfahrt durch Kürbisfelder vom Schloss entfernt war, und schließlich zu einem kleinen, strohgedeckten Holzhaus.

»Irgendwas stimmt hier nicht«, sagte Cinn.

Aiby, Mef, Decanra und die Nordländerin hielten ihre Waffen bereit. Sacipha beschwor eine Kugel aus magischem blauen Feuer.

So betraten sie das Haus, drei durch die Vordertür, zwei durch die Hintertür. Es war verwüstet: Alle Möbel zerstört, der Holzboden von Krallen zerkratzt, und überall standen Pfützen aus geronnenem Blut, an denen sich die Fliegen labten.

Ein riesiges Tier hatte außerdem im ganzen Haus rote Pfotenabdrücke hinterlassen.

Cinn folgte der Fährte durch den Wald.

Nach zwei Tagen fanden sie den bösen Wolf, einen von seinem Rudel verstoßenen Einzelgänger, größer als ein Bär, eher wahnsinnig als verschlagen, so oder so mordsgefährlich.

Nach kurzem, heftigem Kampf töteten sie das vollgefressene Biest: Die von Mef beschützte Sacipha versengte dem Wolf den Pelz, Aiby zertrümmerte ihm mit einem Axthieb ein Bein, und Decanra enthauptete ihn schließlich.

Cinn schnitt ihn auf, fasste ungerührt in den Wolfsleib und holte einen unverdauten gläsernen Schuh heraus, in dem noch ein blutiges Stück Fuß steckte, abgefressen bis zum Glasrand.

»Die Schönste im ganzen Land«, wiederholte Mef.

»Mef«, sagte Sacipha.

»Ja, Liebste?«

»Das arme Mädchen …«

»Mit ordentlichen Stiefeln wär sie dem Wolf vielleicht entkommen.«

»Mef.«

Sie brachten den Schuh aus Glas mitsamt dem blutigen Fuß darin ins Schloss zu Prinz Schedmant, der zuerst gar nicht wusste, wie ihm geschah.

Aiby versuchte, ihm auf die Sprünge zu helfen. »Für die ganze Frau wolltet Ihr uns mit Reichtum überhäufen – wie viel gebt Ihr uns für einen Fuß, Hoheit?«

»Wenigstens habt Ihr jetzt beide Schuhe«, sagte Mef grinsend, woraufhin Sacipha ihr den Ellenbogen in die Seite rammte.

Der Prinz war von dem blutigen Ding im Glas schockiert und gebannt zugleich.

»Die Geschichten sind auch nicht mehr, was sie einmal waren«, murmelte er und legte eine Hand auf seine Augen.

NARVILA

In den zehn Tagen nach ihrem Abschied von Prytos und Kaer erledigen die Prinzessinnen mehrere kleinere Aufträge. Sie befreien einen Bauernhof von einer Rettichfeen-Plage, was ihnen allerdings mehr Glibber auf den Rüstungen einbringt als Geld in den Taschen. Außerdem vertreiben sie aus einem Tempel eine Handvoll Feuerschwingen und löschen rechtzeitig alle Brände, die im Kampf gegen die armlangen geflügelten Echsen entstanden sind. Darüber hinaus fangen sie eine Satyrn-Bande ab, die eine Händlertochter vom Planwagen ihrer Familie entführt hat.

Nach dem Frühstück am darauffolgenden Morgen, das Gras ist von einem nächtlichen Gewitter noch nass, liefern sich Decanra und Narvila einen Übungskampf. Narvila verliert knapp, weil Decanras Umhang sie im entscheidenden Moment irritiert.

Am sonnigen Nachmittag führen das unnachgiebige Schicksal, die schalkhaften Götter oder schlicht die launische Straße zusammen, was zueinander finden soll.

Als die Prinzessinnen die Herberge Zum springenden Hasen am Wegesrand erreichen, herrscht in dem zweistöckigen strohgedeckten Gebäude aus Stein und Holz reger Betrieb. Das Gelächter und Gejohle dringt bis auf die Straße.

Am lautesten dröhnt unverkennbar die Stimme von Prytos, der ohne Bescheidenheit eine seiner Heldengeschichten raushaut, selbst wenn diese einhundert Jahre zurückliegen mag.

»Das darf doch nicht wahr sein«, mault Mef, »der schon wieder.«

»Viele Wege führen ins Verderben«, meint Aiby schulterzuckend.

»Tut mir leid«, sagt eine dralle Bedienung mit geröteter Haut und verschwitztem hellen Haar, die vor der Tür kurz verschnauft. »Wir haben keinen einzigen Platz mehr frei, schon gar nicht für eine Gruppe. Der große Held Prytos zieht seit vier Tagen Leute von überallher an.«

»Wir sind also nur ne große Schleife geritten.« Mef kriegt sich gar nicht mehr ein. »Und während wir uns mit Rettichfeen und Satyrn rumgeschlagen haben, hat er hier Hof gehalten, geschlemmt, gesoffen und gehurt. Großartig. Und echt beneidenswert.«

Die Frau aus dem Hasen sieht Mef verwirrt an – und deutet auf einen schweren, klotzigen Holztisch mit zwei ebensolchen Bänken, die vor dem Eingang der Herberge im Schatten stehen. »Wenn Ihr wollt, bringe ich Euch was zu trinken und zu essen raus. Mehr kann ich gerade nicht tun.«

»Soll uns recht sein«, sagt Aiby. »Der Held und das Gerede über seinen monströsen Speer würden uns bloß den Appetit verderben.«

Wenig später sitzen die Prinzessinnen bei dunklem Brot mit knuspriger Rinde, kaltem Braten, würzigem Käse und ein paar prallen, saftigen Tomaten am Tisch. Vor jeder von ihnen steht außerdem ein großer Krug Bier.

Das Gegröle und Gelächter von drinnen überhören sie.

Noch vor zwei Jahren hätte sich Narvila niemals vorstellen können, dass sie einen solchen Rahmen mal einem königlichen Bankett und einer reich gedeckten Festtafel vorziehen würde.

Doch genau so ist es.

Erst als sie sich nach dem Essen die Finger abschlecken, beschäftigen sie sich gedanklich mit dem Radau im Hasen.

»Eine von uns muss da rein«, verkündet Aiby. »Bezahlen.«

»Und wer?«, fragt die pappsatte Narvila.

Mef prostet Narvila mit einem leisen Rülpser zu. »Immer die, die fragt.«

»Die, die am kürzesten dabei ist«, schlägt Decanra vor.

»Du«, sagt Cinn schlicht zu Narvila.

»Scheint, als hätten wir abgestimmt.« Aiby pult mit dem Daumennagel in einer Zahnlücke. »Passt doch. Geldgeschäfte sind in deiner Ausbildung bisher eh zu kurz gekommen.«

Narvila seufzt theatralisch. »Euch fällt auch ständig was Neues ein, damit ich mich unvollkommen fühl.«

»Immer wieder gern«, erwidert Mef sonnig lächelnd.

In dem Moment geht das von einem Holzgitter verschlossene Fenster neben der Eingangstür zu Bruch, und ein Mann mit langen braunen Haaren fliegt in einem Schauer aus Trümmern, Splittern und Staub nach draußen, wo er zusammengekrümmt am Boden liegen bleibt.

Im Gasthaus scharren Stühle und Stiefel über die Dielen. Stimmen, jetzt eindeutig aggressiv und wütend, werden noch lauter als bisher. Prytos’ verächtliches Lachen antwortet ihnen. Nun brüllen mehrere Männer durcheinander. Jemand gibt einen halb erstickten Schrei von sich. Etwas aus Holz fällt um. Noch mehr Geschrei und Getrampel und Geschepper. Niemand lacht mehr.

Die Tür zum Wirtshaus wird aufgerissen, und eine Traube Menschen drängt ins Freie, hauptsächlich Kerle, der Kleidung nach Kaufleute, Dörfler, Barden, Handwerker, Fuhrleute.

Im Hasen steigert sich der Tumult.

Die Prinzessinnen lauschen ihm wie musikalische Feingeister, die jedes Instrument mit geschlossenen Augen bestimmen können: das Klatschen von Fäusten auf Gesichter, das Zerschellen von Geschirr sowie das Zerbersten von Holzmöbeln unter schweren Körpern, die mit großer Wucht oder aus großer Höhe auf Tische und Stühle krachen.

»Was, denkt ihr, ist passiert?«, fragt Narvila.

»Eine Frau«, antworten Decanra, Aiby, Cinn und Mef wie aus einem Mund und prusten los.

Decanra fängt sich als Erste wieder. »Oder einer wollte zeigen, dass er den Größten hat. Ich kann mir auch denken, wer.«

»Vielleicht dachte auch ein Trottel, sich einen Namen zu machen, indem er den großen Helden herausfordert«, sagt Aiby.

Cinn nickt knapp. »Wie in den Käfigen.«

»Aye. Außerdem ist es der Höhepunkt manch eines Lebens, in einer Wirtshauskeilerei mit jemand Berühmtem einen Zahn, ein Auge oder einen Finger zu verlieren.«

»Traurig, aber wahr«, stimmt Mef zu.

Da segelt der Nächste durchs kaputte Fenster und landet auf dem, der schon draußen im Staub liegt.

Aiby steht von der Holzbank auf, steigt über die Bewusstlosen und geht zu den zwei Frauen, die eben durch die Tür drängen.

»Danke für das ruhige Plätzchen«, sagt sie und drückt der Schankmaid, die mit einer entsetzten Kollegin vor der Herberge steht, ein paar Münzen in die Hand.

»Die zerlegen alles!«, jammert die Bedienung und steckt reflexhaft das Geld ein.

»Helden, was?«, erwidert Mef.

Während der Radau im Gasthaus weitergeht, packen die Prinzessinnen ihre Sachen zusammen. Doch sie können keine fünf Schritte zu ihren außerhalb des überfüllten Stalles angebundenen Pferden machen, denn die Tür des Hasen wird erneut aufgerissen.

Diesmal ist es Kaer, der rauskommt.

Er wirkt gehetzter und besorgter, als es der Vermittler des großartigen Prytos sein sollte, findet Narvila.

»Ihr! Ein Glück!« Kaer geht hastig auf Narvila und die anderen zu. »Der Wirt sagte vorhin, ein paar Söldnerinnen würden sich nicht reintrauen, weil Prytos im Haus ist.«

Aiby spuckt die Fleischfaser aus, die sie endlich mit der Zunge erwischt hat. »Als alle so laut gelacht haben, vermute ich.«

Es ist keine Frage.

Kaer schüttelt das Haupt, sodass sein kurzer Zopf wackelt, und gestikuliert abwehrend. »Die Worte des Wirts. Sicher nicht meine eigenen.«

»Und nur um uns das zu sagen, seid Ihr eigens rausgekommen und verzichtet darauf, den neuesten Heldentaten Eures Freundes beizuwohnen?«, fragt Decanra. »Wie er eine Horde Bauern und Kaufleute verdrischt?«

Der Vermittler ringt um Fassung, atmet einmal tief durch und sagt: »Bitte kommt mit mir rein und steht Prytos bei.«

»Ich hör wohl nich recht?« Mef streift ihr Haar auf der Seite mit der Narbe hinters Ohr. »Heißt das, der verfickte Prytos braucht die Hilfe von ein paar Söldnerinnen?«

»Ich dachte, er lässt Eisberge, Drachen, Vulkane und Göttinnen erzittern«, haut Aiby auch ohne Axt in die Kerbe.

»Die Walfisch-Prinzessinnen nicht zu vergessen«, wirft Narvila ein.

»Prinzessin der Leviathane«, korrigiert Decanra.

»Oder den König der Oger«, sagt Cinn verstimmt.

»Auf keinen Fall braucht der unsere Hilfe«, fasst Aiby sarkastisch zusammen.

Kaer ringt die Hände. »Bitte, dafür haben wir keine Zeit.«

»Nicht?« Decanra kratzt sich durch ihre Kapuze am Kopf. »Hat ein unsterblicher Held nicht alle Zeit der Welt?«

»Und sollte ein unbesiegbarer Krieger nicht eine Kneipenschlägerei überstehen?«, setzt Narvila hinzu.

»Er ist hackedicht«, gesteht Kaer zerknirscht. »Früher hat ihm der Suff nichts ausgemacht. Da merkte er es gar nicht, wenn er zu viel getrunken hatte – er hat trotzdem jeden unter den Tisch gesoffen und hinterher ein Monster oder eine kleine Armee plattgemacht. Aber heutzutage …« Nacheinander sucht der Vermittler mit allen den Blickkontakt. »Bitte! Ich mach mir wirklich Sorgen. Es sind zu viele, und er hat Speer und Schwert im Zimmer eingeschlossen, weil es ihn nervt, wenn die Leute sein Zeug anfassen.«

»Neulich sollte ich noch ständig seinen Speer befummeln«, sagt Narvila ungnädig.

Kaer seufzt. »Bitte!«, wiederholt er eindringlich. »Ich bezahl auch dafür, dass Ihr ihn da rausholt. In der Zwischenzeit schnapp ich mir oben unsere Sachen, und wir verschwinden und vergessen das hier schnellstens.«

Aiby zögert, wenngleich nicht lange. »Auftrag ist Auftrag«, sagt sie zu den anderen, die ihre Satteltaschen wieder abstellen. »Na schön. Retten wir dem großen Prytos seinen heldenhaften Arsch …«

»Der Arsch hat es dir aber echt angetan«, sagt Mef und bindet sich auf dem Weg zur Tür der Herberge die Haare zum Pferdeschwanz.

Außerdem holt sie ihren Schlagring aus der Tasche.

Der Schankraum des Springenden Hasen lässt Narvila unweigerlich an den Verwegenen Trommler in Dretvik viele Meilen weiter nördlich denken. Dort haben sich die Prinzessinnen vor einer Weile an der Zerstörung eines anderen Gasthauses beteiligt, was beinah das Ende einer langjährigen Freundschaft mit der Wirtsfamilie bedeutet hätte.

Und den Verlust des besten Badezubers der Welt.

Der Hase sieht bereits ähnlich übel zugerichtet aus wie der Trommler damals, und dasselbe gilt für viele der Männer, die stöhnend und blutend am Boden liegen, inmitten von Trümmern, Scherben und Essensresten, zwischen Pfützen aus Blut und Alkohol. Doch es stehen auch noch genügend Kerle, und offensichtlich haben sie sich alle gegen Prytos zusammengerottet, der sich eines guten Dutzends Gegner erwehren muss wie ein von Jagdhunden umstellter Eber.

Narvila ist dennoch überrascht, Prytos aus einer Platzwunde über dem linken Auge bluten zu sehen, die sich nicht so schnell wie erwartet schließt. Außerdem wankt der große Held, als wäre der Schankraum ein Schiff.

»Definitiv sternhagelvoll«, sagt Narvila. »Bestien, Dämonen und Götter hätten gerade nichts zu befürchten.«

Die Prinzessinnen machen sich daran, Prytos aus dem Pulk an Kerlen zu ziehen, die mit Stühlen oder zumindest Stuhlbeinen, aber auch Dolchen und Kurzschwertern auf den Helden losgehen, während dieser Schwinger und Tritte zur Gegenwehr aufbringt, denen es nicht an Wucht, nur an Treffsicherheit mangelt.

Narvila schaltet einen Mann mit brauner Haut, grauem Haar, Doppelkinn und Dolch durch einen Hebelwurf über die Hüfte aus.

Cinn, die ihr den Wurf beigebracht hat, nickt Narvila zufrieden zu und schlägt selbst einem großen Kaufmann hart in den Bauch, sodass er zusammenklappt.

Aiby holt zwei Radaubrüder mit seitlich ausgestreckten Armen und der Wucht ihres Körpers von den Beinen. Die Kerle prallen hart mit dem Hinterkopf auf die Bretter und bleiben benommen liegen.

Decanra schickt einen Mann per Tritt auf einen Flug, der unterwegs noch zwei weitere Raufbolde abräumt.

Mef zerschmettert einem Glatzkopf, der vergeblich sein Schwert gegen sie schwingt, mit ihrem Schlagring die Nase.

Das größte Problem sind aber nicht die Männer, die Prytos umzingeln, sondern der Held selbst. Er mischt sich immer wieder ein, und mehr als einmal kommt er Narvila oder einer der anderen Prinzessinnen in die Quere. Zudem stört er ihren Rhythmus als Einheit, als gut geölte Kampfmaschine.

Und dann lachen das Schicksal oder die Götter sie aus.

Obwohl sie eigentlich auf den Einsatz ihrer Klingen verzichten wollen, um hier keine Toten zu hinterlassen, muss Decanra zu einem Wurfmesser greifen: Ein Kaufmann, der eine Weile angeschlagen am Boden gelegen hat, will wieder mitprügeln und nähert sich der anderweitig beschäftigten Mef von hinten mit erhobenem Dolch und Mordlust in den Augen.

Gerade als Decanra ihr Messer zielgenau auf die Dolchhand des Kerls schleudern will, tritt Prytos einen anderen, eigentlich schon zur Tür eilenden Mann mit ausgestrecktem Bein um. Der Fliehende taumelt schwungvoll gegen Decanra, und ihr Wurf verfehlt sein Ziel um ein ganzes Stück.

Dennoch trifft er.

Die Bedienung, die sie draußen hingesetzt und ihnen ihr Essen und ihr Bier gebracht hat, ist wohl zurückgekommen, um nach dem Wirt oder generell dem Chaos im Hasen zu sehen.

Jetzt steckt Decanras Messer in ihrem Hals.

Blut quillt hervor, und ihr Blick geht ins Leere.

Dass Cinn Mefs Angreifer mit einem Fußfeger wieder zu Boden schickt und ihn durch einen Handkantenschlag gegen den Hals unschädlich macht, spielt keine Rolle mehr.

Alle starren die Schankmaid an.

Decanra eilt zu ihr und fängt sie ab, als die Beine der Frau einknicken, presst die Kellnerin wie eine Liebende an sich.

»Es tut mir leid«, wispert Decanra, und Narvila sieht den Schmerz und die Schuld auf dem Gesicht ihrer Freundin, deren Kapuze hinter ihr herabhängt. »Das wollte ich nicht.«

Narvila sichert Decanra ab, die sich ganz auf die sterbende Bedienung konzentriert.

Aber niemand ist auf mehr Blut aus.

Narvila sieht nur düstere, betretene Mienen.

Cinn und Mef schaffen den pöbelnden Prytos nach draußen. Seine Wunde über dem Auge schließt sich langsam.

Die der Schankmaid nicht.

Kaer, der wie angekündigt ihre Sachen rausgeschafft hat und wieder ins Gasthaus zurückgekehrt ist, tritt an den Tresen, hinter dem der Wirt nur langsam wieder auftaucht.

»Hier, für Euch«, hört Narvila den Vermittler sagen, derweil er einen klimpernden, aber nicht allzu prallen Beutel aus seiner Weste fischt. »Und gebt der Familie etwas davon ab.«

Der Wirt gafft ihn sprachlos an, bewegt lautlos die Lippen.

Kaer führt auch ohne Antwort aus: »Und nicht, dass mir Gerüchte aufkommen: Prytos hat vor ein paar Tagen erst gegen den König der Oger gekämpft. Fast ein Riese. Dabei wurde er von einem vergifteten Speer gestreift. Doch anstatt sich zu erholen, wollte er unbedingt auf schnellstem Weg hierherkommen, weil er gehört hat, dass das Bier im Hasen so gut schmeckt. Was stimmt, wie er mir vorhin erst gesagt hat. Ihr könnt ihn gerne zitieren oder seine Worte auf ein Schild oder eine Tafel malen, wenn Ihr wollt. Das lockt Kundschaft an.«

»Fertig?«, fragt Aiby und sieht Kaer düster an. Der Vermittler nickt betrübt. »Dann gehen wir besser.«

»Komm, hier können wir nichts mehr tun«, sagt Narvila leise zu Decanra, die neben der toten Bedienung kniet. Narvila packt Decanra am Arm, zerrt sie hoch, legt ihr einen Arm um die Hüfte und führt sie zur Wirtshaustür, wo Aiby schon auf sie wartet, die Männer allein mit ihrem Blick und ihrer Präsenz in Schach haltend.

»Wir haben genug getan«, flüstert Decanra unterdessen bitter, und Narvila kann ihr leider nicht widersprechen.

Im Stall gelingt es Cinn und Mef erst mit Aibys Unterstützung, Prytos auf sein schwarzes Schlachtross zu hieven.

Als sie eilig vom Hof der Herberge preschen, sind mehrere Leute aus dem Gasthaus gekommen, folgen ihnen lauter grimmige, bitterböse Blicke. Betroffenheit hat sich in Wut verwandelt.

Allerdings noch nicht in Wagemut und Rachsucht.

»Geht doch nichts über eine gute Wirtshausprügelei«, nuschelt Prytos und grinst die Männer vor dem Hasen im Vorbeireiten an.

»Halt’s Maul!« Decanra klingt, als würde sie am liebsten ihren Säbel ziehen und Prytos eigenhändig einen Kopf kürzer machen. »Du sackdämlicher, arschbeschissener Ficker!«

Sie bleiben nicht lange auf der Straße und reiten bald schon in einen Wald, falls sie doch verfolgt werden sollten.

Irgendwann halten sie zwischen den Bäumen und steigen ab.

Prytos pisst als Erstes breitbeinig einen strammen Strahl an einen Stamm und stöhnt genüsslich. Hinterher wankt er ein Stück weiter und rutscht mit dem Rücken an einem anderen Baum nach unten, wo er gegen die Rinde gelehnt zu schnarchen anfängt.

»Zeit für die Bezahlung«, sagt Aiby dumpf zu Kaer und hält dem Vermittler auffordernd die Handfläche hin. »Wir haben getan, was Ihr wolltet. Unsere Wege trennen sich hier.«

»Stimmt, das habt Ihr. Und ja, das könnten sie.« Kaer wirkt mitgenommen, ringt sich aber ein tapferes Lächeln ab. »Oder … hört mir einfach nur kurz zu … oder dies ist für uns alle der Beginn einer wunderbaren, profitablen Geschäftsbeziehung.«

»Vielen Dank für das Angebot«, sagt Aiby sarkastischer als üblich in solchen Situationen, »aber wir nehmen das Geld und machen es wie Euer legendärer Freund: Wir verpissen uns.«

»Wohin die Götter, das Schicksal und der Wind uns führen«, kann sich Mef die Spitze nicht verkneifen.

»Also.« Aiby wackelt mit den Fingern. »Unsere Bezahlung, wenn Ihr so freundlich wärt? Oder habt Ihr gerade alles ausgegeben, um für einen zerstörten Schankraum und eine tote Frau zu bezahlen?«

»Ihr bekommt sofort Euren Sold«, verspricht Kaer. »Doch was, wenn uns das Schicksal oder die Götter aus gutem Grund zusammengeführt haben und dies eine einmalige Gelegenheit ist?«

»Uns egal«, sagt Cinn, die es hasst, wenn die Götter, egal welche und egal wo, ins Spiel gebracht werden.

Narvila sorgt sich gerade mehr um Decanra, die unter ihrer Kapuze in bodenloser Finsternis zu ertrinken droht, wie Narvila ganz genau spüren kann. Ihre Freundin achtet kaum auf Kaer, starrt zu Prytos rüber.

Kaer seufzt, sieht ebenfalls kurz zum berauscht schnarchenden Prytos und rauft sich mit beiden Händen den Bart – ein Mann, der die richtigen Worte sucht, obwohl er weiß, dass es keine gibt.

»Prytos ist der Held des Götterkrieges«, beginnt der Vermittler schließlich mit Bedacht. »Der größte Held dieses Zeitalters. Der …«

»Überspringen wir den Teil.« Aiby schnaubt genervt. »Das Gewäsch kennen wir schon. Wir wollen weiter.«

Sein unerschütterliches Lächeln stiehlt sich wie von selbst auf Kaers gut aussehendes Gesicht. »Verzeiht. Die Macht der Gewohnheit. Prytos ist eine lebende Legende. Von der Göttin Vejalcii geküsst. Von ihrer Unsterblichkeit und Stärke durchdrungen. Aber …«, er hebt die Hand, als Aiby ihn erneut unterbrechen will, »… aber er ist nicht mehr, wer er vor fünf Jahren war oder vor fünfzig. Er ist natürlich noch immer ein großartiger Krieger und Kämpfer. Doch seine Kraft und auch seine Widerstandskraft haben nachgelassen, wie ich leider zugeben muss. Und sie lassen immer weiter nach. Seine Unbesiegbarkeit und Quasiunsterblichkeit … stellt es Euch wie einen Fluss vor, dessen Pegel Jahr um Jahr gesunken ist. Jeder Kampf und jede Wunde hat das, was Vejalcii Prytos geschenkt hat, weiter aufgezehrt. Lange war davon nichts zu merken. Aber in letzter Zeit … seine Reaktionen werden schlechter, seine Wunden heilen langsamer, es bleiben immer öfter Narben zurück, er wird schneller müde, und er ist nicht mehr so stark wie früher. Er rasiert sich den Bart nur deshalb so penibel, weil er dort die ersten grauen Haare entdeckt hat. Versteht mich nicht falsch! Prytos besiegt nach wie vor jeden Gegner. Ihr habt gesehen, wie er einen Speer wirft. Allerdings …«

»Der Fluss ist fast leer«, fasst Aiby es zusammen und blickt zum im Schlaf röchelnden Helden, der gerade einen Atemaussetzer hat. »Die Kerze so gut wie niedergebrannt.«

»Genau«, sagt Kaer dankbar. »Und nun hat er auch noch tagelang gesoffen – und sich dann mit einem ganzen Wirtshaus angelegt. Er tut noch immer, als wäre er der unbesiegbare Held, der er einmal war. Der er sehr lange gewesen ist. Doch er ist nur noch der Schatten dieses Helden. Und deshalb braucht er Euch. Brauche ich Euch. Ich möchte, dass Ihr uns begleitet. Als Absicherung.«

Die Prinzessinnen sehen ihn verständnislos an.

»Als seine Leibwächterinnen«, präzisiert Kaer.

»Niemals!«, sagt Decanra sofort, unheilvoll flach und schneidend.

»Ihr habt sie gehört.« Aiby zuckt mit den Schultern. »Wir sind nicht interessiert. Alles Gute für Euch und Euren Freund.«

»Es wäre nur für ein paar Wochen!« Kaer gibt nicht so leicht auf. »Höchstens zwei, drei Monate. Sehr, sehr gut bezahlte Monate. Bis wir in Saldrovin sind. Das ist eine Hafenstadt in Kawaanjes. Dort wurde Prytos’ Mutter geboren und er zum Soldaten ausgebildet, vor langer Zeit. Man könnte wohl sagen, dass er eine, nun, sentimentale Verbindung zu diesem Ort hat. Deshalb verbringen wir in Saldrovin stets den Winter, und Prytos ist damit zufrieden, sich Woche für Woche bei einem Adeligen, in einem Bordell oder in einem Wirtshaus aushalten zu lassen, wo wir seine Geschichten erzählen. Ich hoffe, ich kann ihn diesmal davon überzeugen, dass das langsam unser Hauptaugenmerk werden sollte. Dass es Zeit wird, die Heldenstiefel an den Nagel, seinen Schild und seinen Speer über den Kamin zu hängen. Warum nicht in Saldrovin, wo die Menschen ihn noch heute lieben?«

»Sagtet Ihr nicht, dass es ihn immer wieder zu den Kämpfen und Monstern zieht?«, fragt Narvila.

»So ist es. Doch ich hoffe, es ihm endlich schmackhaft machen zu können. Dafür müssen wir, muss er die Reise dorthin allerdings überstehen. Und eines kann ich Euch versichern: Er wird auf dem Weg nach Saldrovin jede Heldentat vollbringen, die sich ihm bietet, selbst wenn sie ihm alles abverlangen sollte. Denn so ist er einfach. Vielleicht ist es auch seine Art, damit umzugehen, dass seine Kräfte schwinden.«

»Ich hab wegen diesem Ficker grad eine unschuldige Frau umgebracht.« Decanra baut sich vor Kaer auf. Mit ihrem Umhang und der Kapuze wirkt Narvilas Freundin wie eine Botin aus der Unterwelt. »Ist mir scheißegal, ob der nächste Scheißdrache ihn frisst oder er von einem anderen Suffkopp erstochen wird. Ich werde … wir werden nicht länger als nötig Teil dieser armseligen Legende sein. Jetzt bezahlt uns wie vereinbart, und dann verschwinden wir endlich. Aiby?«

Doch Aiby sieht Kaer nachdenklich an. »Über wie viel Geld reden wir hier? Zwei, drei Monate, habt Ihr gesagt?«

»Aiby!« Decanra breitet die Arme aus. »Was soll das?«

»Einen Moment«, sagt Aiby zu Kaer, und die Prinzessinnen treten auf eine Kopfbewegung ihrer Anführerin hin zur Seite, bilden einen Kreis und senken die Stimmen.