Die Sanitäterin - Hohneder-Mühlum Natascha - E-Book

Die Sanitäterin E-Book

Hohneder-Mühlum Natascha

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Beschreibung

Als ein Flugzeug auf der Wiese vor dem Haus der Notfallsanitäterin Felice abstürzt, hilft sie selbstverständlich. Das nun Folgende ist allerdings überraschend: Ein überlebender Flugzeuginsasse nimmt sie als Geisel und verwickelt sie in eine gefährliche Verschwörung. Felice wird von der Polizei verdächtigt, mit dem Kidnapper unter einer Decke zu stecken, und als ihr Haus zum Ziel eines Anschlags wird, begibt sie sich erneut auf die Flucht mit dem Kidnapper, der sie als Kurier missbraucht.

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Seitenzahl: 295

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Natascha Hohneder-Mühlum

Die Sanitäterin

Prinzengartenverlag

Ähnlichkeiten mit lebenden oder realen Personen sind zufällig. Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Copyright 2024 by Prinzengarten Verlag

Dr. Hans Jacobs, Am Prinzengarten 32756 Detmold

Foto Umschlag: Povozniuk @ iStock

ISBN 978-3-89918-854-7

Sanft strich der Wind über die Felder. Es würde wohl nicht mehr allzu lange dauern, bis diese abgeerntet werden würden. Immer wieder blickte Felice von ihrer Arbeit auf. Ihr Blick schweifte in die Ferne. Von der Sitzecke vor ihrem Haus hatte sie einen wunderbaren Ausblick auf das umliegende Land. Auf der linken Seite gab es Weizen- und Dinkelfelder, die bis zum Stadtrand reichten, der fast zwei Kilometer entfernt lag. Geradeaus und auf der rechten Seite erstreckten sich saftig grüne Wiesen mit wenigen Bäumen, die einem den Eindruck vermittelten, man wäre im Allgäu. Tief atmete Felice aus, schloss die Augen und genoss die morgendliche Sonne in ihrem Gesicht, bevor sie sich erneut ihren gekochten Kartoffeln zuwendete. Ein ganzer Topf voll stand auf dem Tisch und wartete darauf, geschält zu werden, um anschließend, zusammen mit weiteren Zutaten, in Form von Kartoffelhörnchen im Backofen zu landen. Wie herrlich diese Stille war. Man hörte die Blätter im Wind rauschen und gelegentlich einen Vogel zwitschern. Sonst war es ruhig: kein Lärm, keine Stimmen, keine Autos. Absolut nichts, dass die friedvolle Umgebung störte. Felice bewegte das Messer gleichmäßig und hing dabei ihren Gedanken nach, die keineswegs zu der sonst meditativen Stimmung passten. Sie hatte Mist gebaut. Großen Mist sogar. Allerdings würde sie jederzeit in solch einer Situation erneut so handeln. Sie hatte ihr Bestes gegeben, auch wenn das ihre Vorgesetzten anders sahen. Was daraus werden würde und ob sie jemals in ihren Beruf zurückkehren konnte, stand in den Sternen. Schnell schob sie diese Gedanken zur Seite. Der Tag war viel zu schön, um sich über Dinge, die bisher nicht spruchreif waren, den Kopf zu zerbrechen.

Felice hatte fast die Hälfte der Kartoffeln geschält, als ein lautes Brummen ihre volle Aufmerksamkeit auf sich zog. Sportflugzeuge flogen ständig über ihr Haus hinweg. Sie zogen meistens eine kleine Schleife, bevor sie von dannen flogen. Allerdings war dieses Geräusch anders. Es war weder wie das der Flugzeuge, das sie kannte, noch war es das eines Hubschraubers. Neugierig legte sie die Kartoffel und das Messer zur Seite und hob sich die Hand an die Stirn, damit sie im grellen Licht der Sonne besser sehen konnte. Es dauerte einen Moment, bis sie das Flugzeug erkannte, dessen Motor laut aufheulte. Es zog eine lange dunkle Rauchsäule hinter sich her und man musste kein Experte sein, um zu wissen, dass etwas überhaupt nicht stimmte. Die Maschine driftete abwechselnd nach rechts und nach links und kam dabei gefährlich tief. Erschrocken sprang Felice auf die Beine, da sie zu wissen schien, was gleich passieren würde. Es fehlten lediglich wenige Meter, bis das Flugzeug die Wiese berührte. Ein Landemanöver schien das allerdings nicht zu werden, dafür war das Flugzeug viel zu schnell.

»Scheiße!«, fluchte Felice, griff nach dem Handy, das neben dem Topf auf dem Tisch lag, steckte es in die hintere Hosentasche ihrer Jeans und sprintete los. Zum Glück hatte sie noch die Turnschuhe an, mit denen sie zuvor einen kurzen Spaziergang unternommen hatte.

Es dauerte nur wenige Sekundenbruchteile, bis das Flugzeug mit einem lauten Schlag auf der Wiese aufschlug. Auf dem Gras rutschte es weiter und prallte mit voller Wucht seitlich gegen einen Baum. Abermals gab es einen Knall. Ein Teil der Maschine war abgebrochen, bevor sich der Rest um den Baum wickelte und im 270 Grad Winkel, um diesen hängen blieb.

Ohne ihre Schritte abzubremsen, zog Felice ihr Handy aus der Hosentasche und wählte die 112.

»Leitstelle für Feuerwehr und Rettungsdienst, alle Annahmeplätze sind belegt. Bitte legen Sie nicht auf. Ihr Anruf ist uns wichtig«, erschallte sofort eine Bandansage am anderen Ende der Leitung. Bereits das zweite Mal an diesem Morgen fluchte Felice laut vor sich hin, drückte auf die Lautsprechertaste ihres Handys, damit sie die Ansage, die sich in Dauerschleife wiederholte, besser hören konnte und rannte noch schneller als zuvor. Es trennten sie nur noch wenige Meter vom Flugzeug, als sich endlich eine reale Person am Telefon meldete.

»Felice Schmitz«, meldete sie sich mit ihrem Namen, damit ihr Gegenüber wusste, wen er am Telefon hatte, und verlangsamte dabei ihre Schritte geringfügig. »Es gab einen Flugzeugabsturz auf den Bachwiesen zwischen Helmhausen und Reichenstadt. Personenanzahl und deren Verletzungsmuster sind noch unbekannt. Schickt am besten alles, was ihr habt. Sobald ich vor Ort bin und mir ein Bild der Lage gemacht habe, melde ich mich wieder.« Noch bevor der Disponent der Leitstelle eine Frage stellen konnte, hatte Felice aufgelegt. Sie steckte das Handy zurück in die Hosentasche und sprintete los, um die letzten Meter schnellstmöglich zu schaffen. Erst jetzt sah sie das komplette Ausmaß der Katastrophe. Überall lagen, zum Teil noch brennende, Wrackteile herum. Der eine Flügel war abgebrochen, ein Rad rollte davon. Das Flugzeug selbst sah aus, als hätte man es in der Mitte aufgeklappt und um den Baum gelegt, der dieser Gewalt standgehalten hatte. Mit einem Sprung hüpfte Felice in das Flugzeug hinein und erkannte auf den ersten Blick fünf Personen. Selbstverständlich hätte sie die Zahl gleich weitergeben können, allerdings wollte sie sich vorab die Verletzungsmuster ansehen, um die passenden Rettungsmittel zu alarmieren. Zuerst ging sie in Richtung Cockpit.

Der Pilot hing nach vorn gelehnt über dem Steuer. Langsam, um keine weiteren Verletzungen hervorzurufen, zog Felice ihn zurück. Sein Kopf war überall mit Blut verschmiert. Obwohl Felices Unterbewusstsein ihr sagte, was mit ihm los war, musste sie es dennoch genau wissen und griff ihm mit ihren Fingern an den Hals, an dem sie keinen Puls mehr fühlte. Sie kletterte zurück, was nicht einfach war, da Kabel von der Decke hingen und scharfkantige Metallstücke ihr den Weg versperrten. Von diesem Teil des Flugzeuges konnte sie nicht in den hinteren gelangen. Sie musste erst herauskrabbeln und auf der anderen Seite noch einmal hinein. Eine Stewardess saß in der ersten Reihe. Auch bei ihr ertastete sie keinen Puls. Direkt dahinter befand sich ein älterer Mann in einem dunkelblauen Anzug. Erleichtert atmete Felice auf, als sie sah, wie sich sein Brustkorb hob und senkte. Der Mann war ohnmächtig und sie konnte lediglich grob abschätzen, welche innerlichen Verletzungen vorlagen. Mit einem gekonnten Griff öffnete sie seinen Gurt und zog ihn vom Sitz. Sie konnte ihn nicht sitzen lassen, sonst würde er womöglich an Blut oder Erbrochenem ersticken. Obwohl Felice ständig ihr Sporttraining verfluchte, war sie in diesem Moment froh, von ihrem Fitnesstrainer immer bis ans Äußerste getrieben zu werden. Sie hatte genügend Kraft und das Adrenalin tat den Rest. Als besäße sie übermenschliche Kräfte, gelang es ihr den Mann aus dem Flugzeug zu schleppen und auf der Wiese in die stabile Seitenlage zu legen. Das war momentan alles, was sie für ihn tun konnte. Tief atmete sie aus, bevor sie zum Flugzeug zurückrannte und sich den anderen beiden Insassen widmete, von denen sie nicht wusste, wie es ihnen ging. Die beiden Männer, die einen teuer aussehenden Anzug trugen, waren ebenfalls bewusstlos. Oder waren sie tot? Zuerst kümmerte sie sich um den schlanken, dunkelhaarigen, dessen Haare akkurat geschnitten waren. Eine Platzwunde an der linken Stirnseite war das Erste, das ihr ins Auge fiel, gleich gefolgt von einem Metallstab, der sich in seinen linken Oberarm gebohrt hatte. Einen kurzen Moment zögerte sie. Der Mann war attraktiv, mit einem mehr als zu beneidenden Körperbau. Schnell schüttelte Felice den Kopf. Wieso reagierte sie auf einmal so komisch? Das war sie nicht gewohnt. Mit einem gezielten Griff gingen ihre Finger an die linke Halsschlagader. Ihre Fingerspitzen hatten gerade die ersten beiden Herzschläge ertastet, als ihr Handgelenk gepackt wurde. Erschrocken schrie Felice auf. Es schien fast so, als wolle der Teufel höchstpersönlich sie holen, bevor sie realisierte, dass es sich dabei um die Hand des attraktiven Mannes handelte. Sie sah, wie schwer es ihm fiel, die Augen zu öffnen. Immer wieder öffneten sich die Lider ein klein wenig, bevor sie nur Sekundenbruchteile später zufielen.

»Alles ist gut«, beschwichtigte Felice den Mann. »Sie hatten einen Flugzeugabsturz.« Erst als sie diese Worte zu Ende gesprochen hatte, schaffte es der Dunkelhaarige, die Augen komplett zu öffnen und Felice anzustarren.

»Wer … wer sind Sie?«, fragte er abgehackt.

»Alles wird gut. Hilfe ist unterwegs. Ich schaffe Sie hier raus.« Mit ihrer Linken griff sie nach der Hand des Mannes, um seinen Griff um ihr Handgelenk zu lösen. Erst dadurch schien er zu bemerken, wie grob er sie gepackt hatte.

»Entschuldigung«, murmelte er und ließ sofort locker. Er schien komplett bei sich zu sein und sah sich im Flugzeug um, von dem nicht mehr viel übrig war.

»Kommen Sie«, begann Felice, griff nach seinem Oberarm und öffnete mit der anderen seinen Sicherheitsgurt. »Ich bringe Sie raus.« Wie gebannt hing der Blick des Mannes an der Stewardess, die zwei Reihen vor ihm saß.

»Nein. Ich bin okay. Kümmern Sie sich um die Frau«, sprach er und stand dabei auf.

»Sie ist tot«, entgegnete Felice ernst und blickte ihn dabei an. Sie konnte erkennen, wie schockiert er wirkte.

»Was ist mit André«, fragte er und drehte sich leicht, um nach dem Mann, der hinter ihm saß, zu sehen. Der Blonde hing nach vorn geneigt, auf den ersten Blick konnte man nicht sagen, wie es um ihn stand. »Bitte«, flehte der Dunkelhaarige. »Kümmern Sie sich um ihn.« Es dauerte einen Moment, in dem Felice die Lage durchdachte, bevor sie seinen Oberarm losließ.

»Setzten Sie sich wieder«, befahl sie in einem Ton, der keine Widerrede duldete. Der Dunkelhaarige schluckte, da er solch barsche Worte nicht gewohnt war, kam jedoch dem Befehl nach, da er selbst zu bemerken schien, wie weich seine Knie waren. Verwundert sah er an sich hinunter und erkannte einen zwei Zentimeter dicken Metallstab, der 15 Zentimeter aus seinem Oberarm herausstand. Mit der rechten Hand umgriff er das Metall und zog es mit einem Ruck heraus. Ein schmerzhaftes Stöhnen drang dabei aus seiner Kehle.

»Was tun Sie da?«, schrie Felice ihn an. »Sind Sie verrückt?« Blut floss aus dem Loch, das der Stab hinterlassen hatte. »Ziehen Sie sofort Ihr Jackett und Ihre Krawatte aus.« Zwar wusste Elias nicht, weshalb er das tun sollte, kam aber dennoch der Order dieser Fremden nach, die es anscheinend gut mit ihm meinte. Felice war derweil auf André zugegangen. Der Blonde schien bis auf eine große blutende Wunde am Oberschenkel unverletzt zu sein. Zudem war sein Bein im Vordersitz verklemmt. Allein würde sie es wahrscheinlich nicht schaffen, ihn zu befreien. Sofort griff sie nach der Krawatte des Blonden und zog sie ihm aus. Wie genau sie es schaffte, diese unter seinem Bein hindurchzufädeln, wusste sie selbst nicht. Das war alles außer einfach gewesen.

»Können Sie mir helfen?«, fragte sie bei Elias nach, dessen Namen sie bisher nicht kannte und band mit der Krawatte das Bein seines Freundes ab, wodurch die Blutung sich sogleich verlangsamte. Der Dunkelhaarige stand auf und trat auf sie zu. »Wir müssen den Sitz wegschaffen«, erklärte Felice, damit er wusste, worum es ging. »Aber warten Sie, wo ist denn Ihre Krawatte?« Sie wollte diese schließlich nutzen. Stumm griff der Mann auf den Sitz, auf dem er diese unter seinem Jackett abgelegt hatte und hielt sie ihr entgegen. Ebenfalls wortlos nahm Felice ihm diese ab und sah sich um. Sie benötigte noch ein Hilfsmittel, um in Kombination mit der Krawatte einen Druckverband zu machen. Ihr Blick fiel auf den Verschluss des Sicherheitsgurtes. Flink fädelte sie diesen aus Gurt heraus, bevor sie die Krawatte einmal um den Oberarm des Dunkelhaarigen wickelte. Den Verschluss drückte sie auf Höhe der Wunde auf die Krawatte, die sie daraufhin ein weiteres Mal, um den Arm zu wickeln. Mit einem Knoten direkt über der Verletzung zurrte sie das Ganze fest.

»Perfekt. Jetzt zu Ihrem Freund«, sagte Felice, welcher der verwunderte Gesichtsausdruck des Mannes nicht entgangen war. »Können Sie den Sitz nach vorn drücken?« Sofort griff Elias nach dem Sitz, der an zwei Schrauben befestigt war. Es kostete ihn sichtbar eine ganze Menge Kraft, doch schließlich schaffte er es, das verbogene Ding so weit wegzudrücken, damit Felice das Bein seines Freundes herausziehen konnte.

»Das wäre geschafft«, flüsterte sie erleichtert. »Kommen Sie, wir sollten ihn herausschaffen.« Felice packte den Blonden rechts, während sein Freund ihn links ergriff. Zusammen gelang es ihnen, den Mann aus dem Flugzeug zu schleppen und ihn neben dem anderen Verletzten abzulegen. Bei beiden führte Felice im Schnellverfahren einen Body-­Check durch, um verschiedene Verletzungsmuster auszuschließen. Sie wollte gerade nach ihrem Handy greifen, um der Leitstelle die neuste Lagemeldung abzugeben, als sie ein Martinshorn hörte, das von einem Rettungswagen stammte, der ihnen entgegen fuhr. Den Feldweg hatte er längst verlassen und fuhr inzwischen quer über die Wiese, bevor er direkt vor ihnen abbremste und zwei Sanitäter heraussprangen.

»Hi Sascha«, begrüßte Felice den Älteren. Sascha war Mitte dreißig, groß und mit der Statur eines Bären. Mit seiner dunklen Brille und dem gut gestutzten Vollbart, wirkte er streng, was allerdings überhaupt zutraf. »Wir haben zwei Exitus und zwei Bewusstlose. Der Blonde hat wahrscheinlich einen hypovolämischen Schock durch eine stark blutende Wunde am Oberschenkel, die ich provisorisch abgebunden habe. Der Ältere ein akutes Abdomen«, gab sie an ihn die Lagemeldung, die sie eigentlich der Leitstelle weitergeben wollte. »Ich würde daher sagen, einmal load and go und ich schaue nach dem anderen, wenn ihr mir alles dalasst, bis der nächste RTW kommt.« Viele Worte gab es nicht und ein Außenstehender wie Elias verstand lediglich die Hälfte, von dem, was sie sagte. Dafür verstanden die Sanitäter alles und wussten, dass der Blonde einen Schock nach einem großen Blutverlust hatte und der Ältere innere Verletzungen, die sofort im Krankenhaus behandelt werden mussten. Sascha nickte Felice zu und griff nach dem Oberarm seines Kollegen.

»Komm«, sagte er, ging an die Seitentür des Rettungswagens und zog diese auf. »Du holst die Trage, ich richte alles, was Felice braucht.«

»Du kennst sie?«, fragte der zweite Sanitäter überrascht nach. Es war schließlich nicht normal einem Ersthelfer, auch wenn er mit Fachbegriffen um sich warf, alles zu glauben und das zu machen, was er einem sagte.

»Ja, sie ist eine von uns«, antwortete Sascha, der bereits im Inneren des Rettungswagens stand und den Apothekerschrank aufgezogen hatte, um die erforderlichen Utensilien zu richten. Tourniquet, Verbandmaterial und alles, was man für einen venenösen Zugang benötigte, inklusive Infusionslösung. In beiden Armen trug er das Material zu Felice, die sich um den verletzten Blonden kümmerte. Elias half derweil dem anderen Sanitäter seinen Freund auf die Trage zu legen, die sie anschließend in den Rettungswagen schoben.

»Du schaffst das?«, fragte Sascha bei Felice nach, um sicher zu sein.

»Du kennst mich doch. Gibst du der ILS bitte noch eine Rückmeldung?« Die Meldung konnte er auf der Fahrt über Funk an die Integrierte Leitstelle abgeben, somit konnte sie sich derweil um den Verletzten kümmern. Sascha nickte, als er in den Rettungswagen einstieg. Sein Patient musste dringend in die Notaufnahme. Bei einem akuten Abdomen konnten alle möglichen inneren Organe in Mitleidenschaft gezogen worden sein. Man wusste nie genau, wie viel Blut inzwischen in den Bauchraum des Patienten geflossen war. Das konnte man in einem Rettungswagen leider nicht feststellen. Die einzige Überlebenschance bestand darin, ihn schnellstmöglich in einen Operationssaal zu bringen.

Elias sah dem Rettungswagen nach, wie er über die Wiese zurück zum Feldweg fuhr, während Felice dem Blonden einen richtigen Druckverband anlegte und ihm eine Nadel setzte, an die sie die Infusion anschloss.

»Können Sie das bitte halten«, bat sie den Dunkelhaarigen.

»Sie kannten die Sanitäter?« Mit einem Blick, den Felice nicht einschätzen konnte, sah der Mann dem Rettungswagen nach, der in der Ferne immer kleiner wurde.

»Sind ehemalige Kollegen von mir«, antwortete Felice knapp und wollte die Sache nicht weiter vertiefen. Zu sehr schmerzten die Erinnerungen. »Aber jetzt zu Ihnen«, wechselte sie schnell das Thema. Den Blonden hatte sie bestmöglich versorgt und konnte im Moment nicht mehr für ihn tun, daher war es an der Zeit sich um ihn zu kümmern. Mit einem fragenden Gesichtsausdruck sah der Dunkelhaarige Felice an. Er schien nicht zu wissen, was genau sie ihm damit sagen wollte.

»Setzten Sie sich bitte und halten Sie die Infusion weiter nach oben.« Elias tat, wie ihm geheißen wurde, auch wenn es für ihn eindeutig ungewohnt war, Befehle einer Frau zu folgen. Gekonnt öffnete Felice den provisorischen Krawattenverband und krempelte den Ärmel nach oben, damit sie sich die Wunde genauer ansehen konnte. »Das gibt eine große Narbe, mit der Sie später angeben können, wie Sie diesen Absturz überlebt haben«, erklärte sie tonlos und legte ihm einen richtigen Verband an. Obwohl er einen guten körperlichen Eindruck machte, sollte er sich dennoch wegen weiterer Verletzungen im Krankenhaus komplett durchchecken lassen. Wenigstens hatte die Kopfplatzwunde von selbst aufgehört zu bluten. Diese sah Felice sich genauer an und schob dabei die kurzen Haare mit ihrer Hand, über die sie längst ein Paar Einmalhandschuhe gezogen hatte, nach hinten. Erneut übermannten sie diese Gefühle. Der Mann war attraktiv, aber das war noch lange kein Grund für Gefühlsduseleien, die sie weder benötigen konnte, geschweige denn dulden wollte.

»Das sieht gut aus«, sprach Felice hastig, nachdem sie sich gefasst hatte.

»Danke. Was ist mit André?«, erkundigte er sich und sah dabei auf seinen Freund, der direkt vor seinen Beinen lag und mehr als bleich wirkte.

»Im Moment geht es ihm den Umständen entsprechend. Ich hoffe, dass bald ein weiterer Rettungswagen kommt.« Als wäre dies das Zeichen gewesen, hörten sie in jenem Moment Martinshörner. Felice drehte sich in die Richtung, aus der sie die Rettungsfahrzeuge vermutete. Sie waren noch weit entfernt, dennoch konnte man sie gut erkennen. Zwei Polizeiwagen und einige hundert Meter dahinter ein weiterer Rettungswagen.

»Scheiße!«, fluchte Elias leise, als auch er die Fahrzeuge erkannte und stand auf.

»Nein«, versuchte Felice ihn zu beschwichtigen. »Alles bestens. Der Rettungswagen wird rechtzeitig da sein.« Zumindest interpretierte sie die Angst um seinen Freund in dieses eine Wort. Leider war dem nicht so. Im nächsten Moment spürte Felice den Lauf einer Waffe in ihrem Rücken. Erschrocken hielt sie die Luft an und nahm die Hände nach oben.

»Wenn Sie sich ruhig verhalten, wird Ihnen nichts geschehen«, hörte sie Elias‘ Stimme direkt neben ihrem Ohr. Eiskalt lief es ihr den Rücken hinunter.

»Was wollen Sie?« Es war ein Wunder, dass sie angesichts ihrer augenblicklichen Lage, überhaupt einen sinnvollen Satz herausbrachte.

»Ich muss schleunigst weg und Sie werden mich begleiten.« Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Felice nicht gewagt, sich zu bewegen. Doch als der Mann hinter ihr den Lauf der Waffe fester in ihren Rücken drückte, ging sie den ersten Schritt.

»Wohin?« Wenn ihr Hintermann eine vor Angst zittrige Stimme erwartet hatte, wurde er enttäuscht. Felice schien genauso ruhig zu sein, wie bei der Versorgung der Verletzten.

»Richtung Feldweg.« Felices Herzschlag ging schneller als je zuvor. Würde der Mann, dem sie soeben geholfen hatte, von seiner Waffe Gebrauch machen und sie eiskalt ermorden? War er ein Mörder, der viele Menschen auf dem Gewissen hatte? Es gab unzählige Fragen, die Felice zeitgleich durch den Kopf schwirrten. Zu viele, als dass sie auf den Weg geachtet hätte. Daher bemerkte sie eine Unebenheit erst, als diese sie taumeln ließ. Mit dem Knie landete sie auf dem Gras. Der Rest von ihrem Körper wäre gefolgt, wenn Elias sie nicht fest am Oberarm gepackt hätte.

»Weiter«, knurrte er. Der nette Mann von zuvor war spurlos verschwunden. »Los. Beeilen Sie sich.« Sie wurden schneller, bis sie schließlich rannten. Die Polizeiwagen kamen näher und Felice hoffte, dass die Insassen sie retten würden. Doch noch bevor die Polizisten den Hügel zu ihnen herunterfuhren, zerrte Elias sie vom Feldweg. »In den Graben«, schrie er barsch und gab ihr einen Schubs. Dieser war nicht stark. Dennoch lenkte er sie in die gewünschte Richtung. Unsanft landete sie zwischen Schilf in dem knapp 1,5 Meter hohen Graben, in dem normalerweise kniehoch das Wasser stand. Durch den niederschlagsfreien Sommer war er ausnahmsweise fast ausgetrocknet. Einzig bei den Schritten hörte man ein leicht glucksendes Geräusch, das auf Feuchtigkeit unter ihren Füßen hinwies. »Runter.« Mit der Hand drückte der Dunkelhaarige ihren Kopf nach unten. Felice wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sollte sie aus dem Graben springen und die Polizisten auf sich aufmerksam machen? Würde der Dunkelhaarige sie in diesem Fall erschießen? Was, wenn sie nichts unternahm?

Der erste Streifenwagen war bereits in vollem Tempo an ihnen vorbeigefahren. Jetzt oder nie, dachte sich Felice und wollte aus der Senke krabbeln, was der Mann hinter ihr zu verhindern wusste. Obwohl ihm sein Arm schmerzen musste, hatte er sich auf sie geworfen und drückte sie mit seinem Körper fest gegen den Rand des Grabens.

»Wo willst du denn hin?«, flüsterte er ihr ins Ohr und war das erste Mal nicht so förmlich wie zuvor. Obwohl Felice die Nähe dieses Mannes unangenehm sein sollte, war sie das nicht. Was um alles in der Welt war mit ihr los? War das die Aufregung? Oder die Anziehungskraft eines bösen Buben?

Noch bevor sie ihre Gedanken zu Ende gedacht hatte, war das zweite Polizeifahrzeug an ihnen vorbeigerast und fuhr direkt auf die Unfallstelle zu. Sie hatte ihre Chance vertan, noch bevor sie diese richtig in Angriff genommen hatte.

»Los«, flüsterte der Mann ihr ins Ohr und zerrte Felice, die er abermals am Arm gepackt hatte, aus dem Graben. Sein Plan schien für ihn klar zu sein. »Stopp den Rettungswagen«, befahl er ihr. Felice musste dazu nicht viel tun. Sie stand bereits mitten auf dem Feldweg und bremste das Fahrzeug mit ihrer blanken Anwesenheit aus, da die Insassen niemanden überfahren wollten.

»Was soll das?«, schrie der Fahrer, der die Information hatte, dass es Verletzte gab, die schnell ins Krankenhaus gebracht werden mussten. Da konnte man eine Verzögerung nicht dulden. Felice ging dicht von Elias gefolgt auf den Fahrer zu.

»Aussteigen«, schrie Elias laut.

»Was?«, fragte der Beifahrer nach. »Sie haben sie doch nicht mehr alle.«

»Bitte«, sagte Felice mit einem flehenden Gesichtsausdruck. »Er hat eine Waffe.« Die beiden Sanitäter sahen sich fragend an und Felice bemerkte, wie sie sich wortlos austauschten.

»Genau«, bekräftigte Elias auf einmal bestimmend, »und von der mache ich auch Gebrauch. Wenn Sie nicht wollen, dass ich diese Frau töte, steigen Sie sofort aus.«

Die Sanitäter mussten nicht lange überlegen. Ihr Job war es Leben zu retten und wenn sie durch das Aussteigen aus ihrem Fahrzeug ein Leben retten konnten, würden sie das auch tun. Nachdem beide ausgestiegen waren, erklärte Elias, wie es weitergehen sollte.

»Weg vom Fahrzeug.« Die Sanitäter und Felice traten einige Schritte zurück.

»Sie nicht«, knurrte er und zeigte dabei auf Felice, die bereits gehofft hatte, sie hätte gleich alles überstanden. »Sie fahren.«

»Ja, aber …«

»Nichts aber. Einsteigen.« Die Sanitäter machten einen mitleidigen Gesichtsausdruck. Man sah ihnen an, wie leid ihnen Felice in diesem Moment tat, dennoch konnten sie nichts für sie tun. »Wenden«, gab Elias den Befehl, als sie beide im Wagen saßen. Felice legte den Gang ein und drehte auf dem Feldweg, was angesichts des Grabens und der Größe des Fahrzeuges nicht einfach war.

»Dafür werden Sie in der Hölle schmoren«, knurrte Felice, als sie an mehreren Feuerwehrautos vorbeirasten, die geradewegs zur Absturzstelle fuhren. Mit einem abwertenden Blick sah Elias seine Fahrerin an, unterließ es jedoch ein Wort zu sagen. »Wenn Ihr Freund krepiert, sind Sie daran schuld«, redete sie weiter. »Sie haben ihn auf dem Gewissen, weil Sie ihm den Rettungswagen gestohlen haben!«

»Könnten Sie bitte ruhig sein«, bat Elias monoton. Nachdenklich fuhr er sich durch die Haare. Ihm musste schnell eine Lösung einfallen. In diesem Fahrzeug würden sie dank des Blaulichtes zwar schnell vorankommen, aber es war viel zu auffällig. Zudem hatte es einen GPS-Tracker. Sobald die Sanitäter die Polizei verständigt hatten, war man ihnen auf den Fersen.

»Nein«, sagte Felice. »Ich werde nicht ruhig sein. Sie haben einem Schwerverletzten die einzige Chance aufs Überleben genommen. Er war Ihr Freund.« Freund war für das, was André und Elias verband, der falsche Ausdruck. Sie kämpften eher für die gleiche Sache und waren sich stets einig gewesen: Ihre Mission war wichtiger als das Leben eines einzelnen.

»Halten Sie endlich die Klappe, oder …«, begann der Dunkelhaarige zornig.

»Oder was?«, schrie Felice und sah dabei ständig von der Straße zu ihrem Entführer. »Dann erschießen Sie mich doch, wenn Sie meinen, dass Sie das müssen. Ich weiß nicht, warum Sie vor der Polizei flüchten. Aber ein Mord erleichtert die Sache mit Sicherheit nicht.« Nein, sagte Elias sich gedanklich, sicher nicht. Zudem wollte er sie nicht erschießen. Sie hatte höchstwahrscheinlich seinen Kollegen das Leben gerettet und sie war dabei ruhig und gelassen vorgegangen. Das hatte ihn beeindruckt. Nicht jeder würde in ein frisch abgestürztes Flugzeug klettern, von dem man nie wusste, wann der Kerosinvorrat explodierte. Doch egal, wie beeindruckt er von ihr war oder wie falsch sich das alles anfühlte, er durfte der Polizei nicht in die Hände fallen und das gelang ihm nur, wenn ihm ein passender Plan einfiel. Dazu sollte er sich konzentrieren, was ihm wiederum nicht gelang, solange diese Frau unentwegt weiterredete.

»Ich möchte Sie nicht töten. Das müssen Sie mir glauben. Bitte seien Sie einfach still, damit ich mir überlegen kann, wie es weitergehen soll«, sprach er auf einmal freundlich, genauso freundlich, wie er im Flugzeug gewesen war. Sie fuhren immer weiter. Erst durch den kleinen Ort, anschließend auf die Bundesstraße.

»Wo befinden wir uns?«, fragte Elias nach fünf Minuten. Er konnte grob einschätzen, wo sich das Flugzeug befunden hatte, bevor es abgestürzt war.

»Kurz hinter Reichenstadt. Wieso? Wo wollen Sie denn hin?« Auch Felice hatte inzwischen einen netteren Tonfall angeschlagen.

»Das weiß ich nicht«, gab er wahrheitsgemäß zu. Er wusste bisher nicht einmal, wo genau sich dieses Reichenstadt befand. »Vorerst weit weg von hier.«

***

Auf der Wiese wimmelte es von allen möglichen Menschengruppen. Polizei, Feuerwehr, Flugsicherung und noch andere Behörden, von denen man nicht wusste, dass sie überhaupt existierten. Den zweiten Verletzten hatte man längst ins Krankenhaus abtransportiert und hoffte über ihn mehr zu erfahren, sobald er das Bewusstsein zurückerlangt hatte. Sein älterer Kollege war auf der Fahrt in die Klinik leider verstorben. Gegenwärtig konnte niemand das Flugzeug zuordnen. Keiner wusste, wo es gestartet war oder wer die Insassen waren. Normalerweise gab es das nicht. Ein Flugzeug konnte schließlich nicht einfach wie aus dem Nichts auftauchen und hinfliegen, wohin es wollte.

»Kommissar Berger«, rief einer der Polizisten und trat auf den jungen Kommissar zu. Berger war erst seit Kurzem auf seiner neuen Dienststelle und erhielt gleich diesen eigenartigen Fall. Nachdenklich fuhr der Kommissar sich durch den gepflegten Dreitagebart. »Kommissar Berger«, rief der Polizist erneut. »Wir haben den gestohlenen Rettungswagen geortet. Er fährt Richtung Westen.«

»Was machen wir dann noch hier?«, schrie Berger und gab mit dieser Frage seinen Männern gleichzeitig den Befehl, dem flüchtigen Fahrzeug zu folgen.

***

Felice fuhr beharrlich weiter. Die Bundesstraße hatten sie längst verlassen und befanden sich seit einigen Minuten auf der Autobahn. Noch immer wusste sie nicht, wo ihr Ziel sein würde und um ehrlich zu sein, glaubte sie kaum, dass ihr Entführer eine Ahnung davon hatte. Als das Schild von der Autobahnauffahrt in Sichtweite gekommen war, bat er sie die Auffahrt zu nehmen, sagte dazu allerdings nicht in welche Richtung. Daher hatte Felice entschieden, wohin sie fuhren. Seitdem hatte der Mann neben ihr kein Wort gesprochen. Ständig blickte Felice von der Straße zu ihrem Entführer. Sie wollte sich jede kleinste Kleinigkeit von ihm einprägen, damit sie den Polizisten alles genauestens beschreiben konnte. Zumindest redete sie sich das ein, denn tief in ihrem Inneren spürte sie, dass sie sein Gesicht für ihre eigenen Erinnerungen haben wollte. Einen Moment überlegt sie, ob sie ihn in ein Gespräch verwickeln sollte, um mehr Einzelheiten zu erfahren.

»Warum tun Sie das? Sie müssen mich nicht als Geisel nehmen.« Genau das hätte wohl auch ihr Ausbilder im Eskalationstraining gesagt, bei dem sie solche aussichtslosen Lagen geübt hatten. Nie im Leben wäre sie auf die Idee gekommen, dass es einmal so weit kommen würde und sie seine Ratschläge anwenden musste.

»Glauben Sie mir, ich tue das nicht gerne«, antwortete ihr Beifahrer, ohne sie dabei anzusehen. Sein Blick ging starr geradeaus, als wäre er nicht im Hier und Jetzt.

»Wieso tun Sie es dann? Sie könnten mich einfach gehen lassen und alles wäre gut«, schlug Felice vor.

»Das werde ich machen, sobald ich in Sicherheit bin.« Diese Aussage war zumindest ein Lichtblick. Felice hatte sich einen Entführer immer anders vorgestellt. Böser, nicht so nett, wie er es war.

»Wo sind wir in Sicherheit?«, hakte sie nach. Sie wollte zumindest grob abschätzen, wie lange sie noch unterwegs waren.

»Das weiß ich bislang nicht.« Mit beiden Händen fuhr der Mann sich übers Gesicht. Er schien nicht der typische Verbrecher zu sein. Dafür war er definitiv zu freundlich. Zudem wirkte er eher verzweifelt, denn kaltblütig. Oder war das bloß eine Masche, damit sie ihm half?

Still fuhren sie weitere zehn Minuten. Felice wusste nicht, was sie sagen sollte, und Elias schien es ähnlich zu gehen.

»Sie bluten«, begann Felice nach einiger Zeit. »Wir sollten den Verband erneuern«, schlug sie vor. Inzwischen war Blut durch den Verband gesickert und färbte ihn rot.

»Wieso sind Sie so fürsorglich? Ich meine, ich habe Sie entführt und Sie sind um mein Wohl besorgt, obwohl Sie mir den Tod an den Hals wünschen sollten.« Unrecht hatte er mit seiner Aussage nicht. Sie hätte ihm eher die Augen auskratzen sollen, statt seine Wunden zu versorgen.

»Ich lebe, um Menschen zu helfen«, antwortete sie trocken. Zudem kann ich auf diesem Wege etwas gut machen, fügte sie in ihren Gedanken hinzu.

»Fahren Sie da vorn von der Autobahn.« An der nächsten Abfahrt verließen sie die Straße und fuhren in ein kleines Waldstück in der Nähe, in dem Felice das Fahrzeug anhielt. »Aber machen Sie keine Dummheiten«, sagte Elias. Bevor sie ausstiegen, gelang es Felice unbemerkt am Funk die Statustaste Null zu drücken. Dies zeigte der Leitstelle einen Notfall an. Sie würden ihr Hilfe schicken, dessen war sie sich sicher.

Zusammen mit ihrem Entführer ging sie in den hinteren Teil des Wagens, wo Felice das Medikamentenschränkchen öffnete. Sie zog eine Ampulle und die passende Spritze samt Kanüle heraus.

»Ähm, was soll das?«, hakte Elias bei ihr nach. Es ging um einen Verband, nicht um Schmerzmittel oder Ähnliches.

»Ich muss mich um Ihre Wunde kümmern, das hatte ich bereits erwähnt«, erklärte Felice ihre Vorgehensweise.

»Aber lediglich einen Verband, nicht mehr«, erwiderte der Mann, der inzwischen auf dem Sitz des Sanitäters Platz genommen hatte. Tief atmete Felice durch. Sie wollte ihrem Entführer ein narkotisierendes Medikament spritzen, aber solange sie die Spritze nicht einmal aufziehen durfte, würde das wohl nichts werden.

»Das ist gegen die Schmerzen«, versuchte sie ihr Glück. Der Dunkelhaarige griff an ihr Handgelenk und hielt sie davon ab, die Spritze auszupacken.

»Ich habe keine«, log Elias, der keine Medikamente wollte, die ihm die Sinne vernebelten. »Bitte beeilen Sie sich mit dem Verband. Wir müssen hier weg. Die finden uns sonst.« Genau das war Felices Hintergedanke gewesen. Je mehr sie trödelte, umso mehr Zeit hatte die Polizei, um zu ihnen zu gelangen.

»Könnten Sie mir das bitte erklären«, begann Felice. »Wieso sind Sie auf der Flucht?« Der Dunkelhaarige sah zu, wie sie einen weiteren Verband über den alten anlegte. »Sind Sie ein Terrorist?«

»Gott bewahre«, antwortete Elias und lachte dabei sogar auf. »Eher genau das Gegenteil.«

»Wie? Das Gegenteil?« Mit dieser Aussage konnte sie nichts anfangen. Was war das Gegenteil eines Terroristen? Gab es überhaupt ein Gegenteil? Wenn ein Terrorist böse war, gehörte er dann zu den Guten? Aber wieso befanden sie sich in diesem Fall auf der Flucht vor der Polizei? Elias überhörte Felices Frage großzügig.

»Verraten Sie mir Ihren Namen?«, fragte er stattdessen.

»Wieso? Wollen Sie wissen, was Sie auf meinen Grabstein schreiben müssen, nachdem Sie mich im Wald verscharrt haben?«, entgegnete Felice bissig. Sobald sie diesen Satz ausgesprochen hatte, tat es ihr leid. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hatte er nichts getan, das darauf schließen ließ, dass er sie töten wollte. Gewalt hatte er zu keiner Zeit angewandt.

Elias griff nach ihrer Hand. Er packte sie nicht, wie es Felice zu Anfang geglaubt hatte. Sanft griff er nach ihr und streichelte mit seinem Daumen über ihren Handrücken.

»Ich werde Sie nicht töten. Wieso sollte ich?« Am liebsten hätte Felice ihn angeschrien: Weil Entführer das tun. Dennoch sagte ihr Gefühl, dass es sich bei seiner Aussage um die Wahrheit handelte.

»Felice. Ich heiße Felice«, antwortete sie auf seine Frage von zuvor, auch wenn sie nicht wusste, weshalb sie ihm ihren Namen nannte. Elias lächelte sie an und streichelte weiter ihren Handrücken. Diese Berührung löste in Felice wollige Gefühle aus. Sie hätte ihm die Hand entziehen sollen, unterließ es jedoch.

»Danke Felice. Danke für alles.« Als er aufstand, wich sie einen Schritt zurück. »Du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde durch diese Tür gehen und verschwinden.« Er drückte sich an ihr vorbei und stieg aus der noch offenstehenden Seitentür.

»Warte«, rief sie ihm nach, als er ein paar Meter in den Wald gegangen war. Sie griff nach zwei Verbandspäckchen und rannte ihm hinterher. »Du solltest den Verband zweimal täglich wechseln und am besten noch heute einen Arzt aufsuchen, damit er sich die Wunde ansieht. Sie sollte genäht werden.« Verwundert nahm der Dunkelhaarige die Verbandspäckchen entgegen, sah zuerst auf das Verbandsmaterial und anschließend in Felices Gesicht.

»Wieso tust du das?« Obwohl er es nicht genauer bezeichnete, war Felice klar, was er damit meinte.

»Du weißt doch, ich habe das Helfersyndrom«, erinnerte sie an ihre Aussage von zuvor. Selbstverständlich war es nicht nur das. Sie hatte das Gefühl, dass er von Anfang an nichts Böses wollte und alles eine Verknüpfung dramatischer Ereignisse war.

»Hände hoch.« Wie aus dem Nichts waren rund um sie herum sechs Männer eines Sondereinsatzkommandos der Polizei erschienen. Mit angelegten Gewehren zogen sie den Kreis immer enger.

»Es tut mir leid«, murmelte Elias und ging dabei einen Schritt auf Felice zu, die nicht bemerkte, wie nahe er ihr auf einmal gekommen war.

»Weg von der Frau«, schrie Kommissar Berger, der ebenfalls wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Zwei der Polizisten rannten auf Elias zu, packten ihn und drückten ihn mit dem Gesicht auf den Boden. Erschrocken sah Felice zu, wie Elias alles ohne die geringste Gegenwehr über sich ergehen ließ.

»Geht es Ihnen gut?«, fragte der Kommissar, der auf Felice zuging, um sie zur Seite zu schieben, damit seine Kollegen ihrer Arbeit besser nachgehen konnten. Felice selbst nahm den Kommissar nicht wahr. Sie sah, wie sie Elias‘ Arme auf den Rücken drehten und die Handgelenke mit Kabelbinder fesselten, sah, wie sie ihn auf die Beine zerrten und durchsuchten.

»Waffen?«, erkundigte sich Berger bei seinen Männern. Einer der Polizisten schüttelte den Kopf.

»Alles sauber«, ergänzte er. Mit einem mehr als irritierten Gesichtsausdruck sah Felice zu Elias. Was hatte das zu bedeuten? Wo um alles in der Welt war die Pistole geblieben, mit der er sie bedroht hatte? Oder hatte sie sich das alles eingebildet? Gesehen hatte sie die Waffe schließlich nie.

***

Inzwischen war es gegen 17 Uhr. Seit mehreren Stunden saß Felice auf dem Polizeirevier, auf dem man ihr zumindest ein Salamibrötchen als Mittagessen angeboten hatte, das sie auch dank ihrer Medikamente, die sie immer in ihrer Jackentasche mit sich trug, essen konnte. Gefühlte Hunderttausende Male ging Berger mit ihr die ganze Sache durch.

»… und warum sind Sie mitgegangen?«, fragte Berger erneut.

»Das habe ich Ihnen doch schon beantwortet. Ich dachte, er hätte eine Pistole.« Felices Kopf schwirrte, genervt fuhr sie sich mit der Hand übers Gesicht. Andauernd stellte der Kommissar ihr die gleichen Fragen, es schien, als würde er ihr nicht zuhören.