Die Zigeuner-Prinzessin - Barbara Cartland - E-Book

Die Zigeuner-Prinzessin E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Im White's Club wettet Sir Algernon Gibbon, eine große Authorität in Sachen Genealogie, eine große Summe darauf, daß er erkennen kann wenn jemand nicht blaublütiger Abstammung ist, wie gut die Verstellung auch sein mag. Als sie die Wette in das berühmte Wettbuch eintragen, stellt der Marquis von Ruckley fest, daß sein Cousin und Erbe eine Wette abgeschlossen hat, daß er noch vor Ende des Jahres den Titel erben wird. Warum der Marquis sich entscheidet zu heiraten und kurz darauf eine schöne Zigeunerin mit seinem Phaeton überfährt; wie sie sein Leben zwei Mal rettet und sein Leben dramatisch ändert, das erzählt dieser romantische Roman, der im frühen 19. Jahrhundert spielt.

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Die Zigeuner-prinzessin

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2015

Copyright Cartland Promotions 1985

Gestaltung M-Y Books

1

„Das dürfte der beste Portwein sein, den du mir je vorgesetzt hast, Fabius“, bemerkte Captain Charles Collington.

„Freut mich, daß er dir schmeckt“, erwiderte der Marquis von Ruckley. Man hätte sich keinen eleganteren und besser aussehenden Mann vorstellen können als ihn. Sein Halstuch war auf die unnachahmliche Art geschlungen, die den Neid der Dandys von St. James erregte, wobei die Spitzen seines hohen Kragens bis zu dem festen, energischen Kinn reichten.

„Mein Vater hat genügend Voraussicht an den Tag gelegt, ein Faß dieses speziellen Weines einzulagern, der meiner Meinung nach jetzt reif zum Trinken ist“, fuhr der Marquis fort.

Captain Collington lachte und meinte: „Es gab eine Zeit, da hätten wir jeden auch nur einigermaßen genießbaren Wein getrunken, gemessen an dem unvorstellbaren Fusel, den wir bei der Armee in Portugal bekommen haben.“

„Wir waren froh, wenn wir überhaupt eine Flasche fanden“, stellte der Marquis trocken fest. „Ich bin heute noch überzeugt davon, daß die Bauern ihre Vorräte vor uns versteckt haben.“

„Und ob sie das getan haben“, stimmte der Captain zu. „Hättest du an ihrer Stelle anders gehandelt, wenn eine fremde Armee im Begriff wäre, dein Land leer zu trinken?“

Der Marquis schenkte sich noch ein Glas ein und reichte seinem Freund die Kristallkaraffe.

„Ob du es glaubst oder nicht, ich habe schon manchmal bedauert, nicht mehr in der Armee zu sein, Charles.“

„Du meine Güte, wie kannst du nur“, rief Charles Collington entsetzt, „nach acht Jahren in der Armee stehe ich nicht an zuzugeben, daß ich mehr als genug davon habe.“

„Willst du dich freikaufen?“

„Ich würde es gern, andererseits fehlen mir die Mittel, um mich dem süßen Nichtstun hinzugeben.“

„Mit anderen Worten gesagt, hast du Angst, dein Geld beim Spielen und Trinken zu verschwenden“, erklärte der Marquis. „Nichts ist kostspieliger als Nichtstun, wie du sehr wohl weißt.“

„In dieser Richtung sind auch meine Überlegungen verlaufen.“

„Ich habe ebenfalls nachgedacht“, fuhr der Marquis fort, „nicht weil ich mir das Nichtstun nicht leisten könnte, sondern weil es so verdammt langweilig ist.“

„Übertreibst du da nicht ein bißchen, Fabius? Du besitzt riesige Ländereien, erstklassige Rennpferde, bist der Stolz jedes Clubs und giltst als der beste Schütze Englands. Was willst du eigentlich mehr?“

Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, bis der Marquis sagte: „Ich glaube nicht, daß das genügt.“

„Sehnst du dich vielleicht nach Liebe?“ fragte sein Freund behutsam.

„Du lieber Himmel, nein, gewiß nicht.“

„Es kam mir auch ein bißchen unwahrscheinlich vor“, gestand der Captain lachend. „Dazu siehst du einfach zu gut aus. Ein Lächeln genügt, und jede Frau ist bereit, sich dir in die Arme zu werfen oder mit dir zum Traualtar zu gehen.“

Der Marquis antwortete nicht. Zwischen seinen Augen bildeten sich zwei steile Falten, als er nachdenklich in sein Glas blickte. Er wußte sehr wohl, daß er als eine der erstrebenswertesten Partien galt. Seit Ende des Krieges hatte er einen Großteil seiner Zeit in London verbracht und sich in unzählige Liebesaffären verstrickt. Obwohl darüber naturgemäß viel geredet worden war, hatte es nie einen öffentlichen Skandal gegeben, sei es, weil der Marquis außerordentlich diskret verfahren war, oder weil die Damen seiner Wahl großzügige Ehemänner hatten.

Wie es in seinen Kreisen der Brauch war, hielt der Marquis eine Maitresse aus und war ein gern gesehener Gast in den teuersten nächtlichen Vergnügungsstätten. Und dabei zeichnete ihn gleichzeitig eine gewisse Zurückhaltung oder besser gesagt Distanz aus, die den Frauen aller Gesellschaftsklassen das Gefühl vermittelte, im Grunde genommen nicht gut genug für ihn zu sein.

Die bezaubernden Mitglieder des Balletts, denen die Dandys von St. James den Hof machten, nannten den Marquis hinter seinem Rücken den „hochmütigen Lord“, und es war typisch, daß keiner seiner Freunde den Mut aufbrachte, ihm seinen Spitznamen mitzuteilen.

Captain Collington betrachtete nachdenklich seinen Freund. Unwillkürlich drängte sich ihm der Gedanke auf, daß der Marquis während seiner Zeit in der Armee tatsächlich weit sorgloser und glücklicher gewirkt hatte als in diesem Augenblick.

„Ich weiß, was dir fehlt, Fabius“, sagte er unvermittelt. „Du solltest heiraten.“

„Heiraten?“

Der Ton des Marquis zeigte deutlich, wie sehr ihm diese Vorstellung mißfiel.

„Wir sind beide siebenundzwanzig Jahre alt und können uns somit bereits zur reiferen Jugend zählen“, fuhr der Captain fort. „Die nächste Generation ist bereits angetreten, um uns die Erbinnen wegzuschnappen.“

„Die meisten dieser jungen Burschen würden meilenweit laufen, sobald der erste Schuß fällt“, erklärte der Marquis verächtlich.

„Ich finde, du übertreibst etwas“, protestierte Charles Collington, „wenn ich auch zugeben muß, daß einige von ihnen ziemlich unerwachsen wirken. Kein Zweifel, daß die Menschen im Krieg schneller altern.“

Der Marquis lächelte, was seinem Gesicht einen verwegenen Anstrich gab, den es im Ruhezustand nicht hatte. „Wenn ich dich recht verstanden habe, glaubst du, daß die Ehe eine Kur gegen alles ist.“

„Das habe ich nicht behauptet“, sagte der Captain. „Ich habe sie nur als Alternative gegen deine Langeweile vorgeschlagen.“

Der Marquis warf den Kopf zurück und lachte.

„Dann wäre die Therapie wohl schlimmer als das Leiden. Kannst du dir vorstellen, für alle Zeiten an eine Frau gebunden zu sein?“

„Es mag dir gefallen oder nicht, auf jeden Fall brauchst du einen Erben.“

„Du denkst an Jethro“, stellte der Marquis fest, der plötzlich ernst geworden war.

„Allerdings, das tue ich“, erwiderte sein Freund. „Du weißt vermutlich, daß er sich bis zum Hals in Schulden gestürzt hat auf die vage Chance hin, daß du im Krieg fallen könntest.“

„Das weiß ich, und wenn es etwas gab, was meinen Entschluß verstärkte, mir von Napoleons Truppen kein Loch durch den Schädel schießen zu lassen, dann war es die Vorstellung, daß sich Jethro dann als sechster Marquis in Ruckley breitmachen würde.“

„Dieser Gedanke ist allerdings unerträglich.“ Charles Collington leerte sein Glas, bevor er hinzufügte: „Trotzdem hat es wenig Sinn, wenn wir die ganze Nacht hier sitzen und über deinen unangenehmen Cousin nachdenken oder das Problem zu lösen versuchen, wie du deiner Langeweile Herr werden kannst. Sag mir lieber, wie wir den heutigen Abend totschlagen wollen.“

Der Marquis warf einen Blick auf die Uhr, die auf dem Kaminsims stand.

„Ich dachte, wir könnten nach Schluß der Vorstellung ins Opernhaus gehen. Es gibt dort eine rothaarige Schöne, die ich gern zum Souper ausführen würde.“

„Ich weiß, wen du meinst“, sagte Charles Collington. „Sie kommt aus Wien und sollte dir zumindest für einen Abend Gesellschaft leisten.“

„Wenn nur die Unterhaltung mit den hübschen Täubchen, besonders mit den ausländischen, nicht so mühsam wäre“, erwiderte der Marquis. „Du finden mich hübsch? Du schenken mir schöne Brosche, ja? Miete so schrecklich teuer“, imitierte er in gebrochenem Akzent. „Oh mein Gott, ich habe mir schon die ganze Skala angehört.“

„Vermutlich hält man dich für gutmütig“, erklärte Charles lachend. „Ich für mein Teil finde es jedes Mal spannend, Spekulationen darüber anzustellen, ob die Dame meiner heutigen Wahl amüsanter ist als die vom vergangenen Abend oder dem davor.“

„Du hast dich im Laufe der Zeit zu einem regelrechten Casanova entwickelt, Charles“, bemerkte der Marquis. „Und ausgerechnet du hältst mich dazu an, beständiger zu werden. Wie steht es denn in dieser Beziehung mit dir? Du bist doch auch wohlhabend, oder wirst es zumindest sein, wenn dein Vater stirbt.“

„Der mit seinen fünfundsechzig Jahren noch höchst gesund und munter ist“, erwiderte sein Freund. „Ich habe nicht die Absicht, mir Weib und Kind aufzubürden, bevor ich mir das nicht leisten kann.“

„Das ist keine Frage des Leistens, sondern des Ertragenkönnens“, sagte der Marquis. „Und das sind entschieden zwei Paar Stiefel.“

Er schob seinen Sessel zurück und erhob sich.

„Gehen wir, und ich hoffe, daß dieser Abend nicht unsere Meinung bestätigt, daß wir zu alt sind, um die frivolen Freuden des Lebens zu genießen.“

„Das Schlimme bei dir ist, daß du zu wenig trinkst“, stellte Charles Collington fest, der ebenfalls aufstand.

„Ich weiß, und das ist ein weiterer Punkt, an dem ich merke, daß ich alt werde. Nichts ist mir mehr verhaßt, als morgens mit Kopfschmerzen aufzuwachen.“

„Ich schlage vor, daß wir zwei übrig gebliebenen Kriegsveteranen vor unserem Besuch im Opernhaus einen Blick bei ,White’s‘ hineinwerfen, um zu sehen, ob noch mehr Veteranen von Wellingtons Armee mit uns fühlen.“

„Keine schlechte Idee“, stimmte der Marquis zu.

In der Halle des Hauses am Berkeley Square taten ein Butler und vier Lakaien Dienst. Der Marquis nahm den hohen Hut, den man ihm reichte, wies aber den Vorschlag zurück, einen Umhang über seinem eng anliegenden Abendanzug mit den langen Rockschößen zu tragen.

Draußen wartete eine Kutsche, und ein Reitknecht stand bereit, um die Tür zu öffnen. Ein roter Teppich war über den Bürgersteig gebreitet. Der Marquis hatte kaum den Fuß darauf gesetzt, als ihm einfiel, daß er den Butler nicht davon informiert hatte, ihn am kommenden Morgen besonders früh zu wecken. Da er einen Markt in der Nähe von Wimbledon besuchen wollte, mußte er London spätestens um halb neun Uhr verlassen.

Marquis von Ruckley drehte sich um und ging ins Haus zurück.

„Ich möchte um sieben Uhr geweckt werden“, begann er, als hinter ihm plötzlich ein ohrenbetäubender Krach zu hören war. Ein großes Stück Mauerwerk hatte sich vom Dach gelöst und war genau dorthin gefallen, wo er vor wenigen Augenblicken noch gestanden hatte.

„Was zum Teufel war denn das?“ rief der Captain und drehte sich erschreckt um.

„Sind Sie verletzt, Mylord“, fragte der Butler verstört.

„Nein“, erwiderte dieser nun ruhig, „wenn ich jetzt nicht mit Ihnen gesprochen hätte, Burton, hätte mich die ganze Ladung getroffen.“

„Der Wind muß die lockeren Steine herunter gefegt haben“, erklärte Charles Collington, als er seinen Freund erreicht hatte.

„Die Sache ist mir unverständlich, Sir“, sagte der Butler. „Auf Anweisung Seiner Lordschaft wurde das Dach vor weniger als einem Monat inspiziert. Über einen ernsthaften Schaden hätten die Arbeiter doch sicherlich Bericht erstattet.“

„Man sollte es annehmen.“

Der Marquis betrachtete nachdenklich die Stelle des roten Teppichs, die mit Steinen bedeckt war. Der Lärm hatte die Pferde erschreckt, so daß der Kutscher sie nur mit Mühe zur Ruhe bringen konnte. Der Lakai, der gerade die Kutschentür öffnen wollte, starrte mit verwirrten Blicken auf die Szene.

Charles Collington trat neben den Marquis und sagte leise: „Das hätte leicht dein Ende sein können, Fabius.“

„Das habe ich auch gerade gedacht.“

Der Marquis blieb geduldig stehen, damit ihm der Lakai den Staub von der Kleidung bürsten konnte. Dann stiegen beide in die Kutsche ein. Während der Fahrt wurde nicht gesprochen, die Männer hingen ihren Gedanken nach.

Bis zum White’s Club war es nicht weit. Dieses war der Ort, den Beau Brummel zum Mittelpunkt der eleganten Männerwelt gemacht hatte. Im vergangenen Jahr hatte er nach einem unglückseligen Streit mit seinem Freund und Mäzen, dem Prinzregenten, zudem gezwungen durch seinen ruinösen finanziellen Status, auf das Festland fliehen müssen. Es war fast unvermeidlich, daß die beiden Herren beim Eintreten an Beau Brummel dachten.

Eine ganze Anzahl seiner früheren Freunde hatte sich hier versammelt, und man konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß heute ein eleganter und witziger Geist unter ihnen weilte.

Lord Alvanley, Lord Worcester und Prinz Esterhazy lauschten einer von Sir Algernon Gibbon in lehrerhaftem Ton gehaltenen Rede. Als Sir Algernon den Marquis erblickte, hellte sich seine Miene sichtlich auf.

„Kommen Sie und geben Sie mir Hilfestellung, Ruckley“, rief er, „ich habe eine Behauptung aufgestellt, von der ich sicher bin, daß sie voll und ganz Ihren Beifall findet.“

„Und was macht Sie so sicher?“ fragte der Marquis und ging auf die um den Kamin versammelte Gruppe zu.

Sir Algernon Gibbon versuchte, wie allgemein bekannt war, Beau Brummels vereinsamten Platz einzunehmen, wozu er tatsächlich wie geschaffen war. Er hatte einen ausgezeichneten Geschmack, was Kleidung und Mode betraf, und er war seit Beau Brummels Sturz ein enger Vertrauter des Prinzregenten. Was er nicht besaß, waren dessen scharfes und unfehlbares Urteil und die unverschämte Selbstsicherheit, die seinen Vorgänger ausgezeichnet hatte.

Sir Algernon benahm sich ziemlich anmaßend und trotz seines fundierten Wissens neigten seine Zeitgenossen eher dazu, über ihn zu lachen als sich seinem Diktat zu beugen.

„Ich habe die Behauptung aufgestellt, daß es für einen Menschen von niederer Geburt unmöglich ist, diesen Makel zu verbergen“, sagte er an den Marquis gewandt.

„Dagegen habe ich eingewandt, daß es einer klugen und belesenen Frau leicht fallen dürfte, sich als Dame auszugeben“, mischte sich Lord Alvanley ein.

„Mich würde sie nicht überzeugen.“

Sir Algernon ließ sich nicht von seiner Überzeugung abbringen.

Lord Worcester erklärte jetzt in seiner dunklen Stimme: „Wir sind auf dieses Thema zu sprechen gekommen, weil Prinz Esterhazy sich nach den Ahnen einer hübschen, kleinen französischen Taube erkundigte, die ihren bewundernden Verehrern einen Stammbaum zeigt, der den von Kaiser Karl dem Großen wie einen Fetzen Papier aussehen läßt.“

„Das ganze Ding ist eine Fälschung“, rief der Prinz.

„Natürlich ist es das“, bestätigte Sir Algernon, „und jeder Mensch mit Geschmack und Verstand sollte auf den ersten Blick Talmi von Gold unterscheiden können.“

„Was ist denn Ihre Meinung, Ruckley?“ wollte Lord Alvanley wissen.

„Ich schließe mich der Ihren an“, erwiderte der Marquis. „Wenn die betreffende Dame es geschickt anfängt, wird sie die Leute mit Leichtigkeit davon überzeugen können, daß sie ist, was sie zu sein vorgibt. Das Ganze ist doch lediglich eine Frage der Schauspielkunst.“

„Keine Frau und kein Mann könnte mich täuschen“, rief Sir Algernon hitzig. „Ich rieche einen Emporkömmling auf eine Meile Entfernung.“

„Würden Sie darauf eine Wette abschließen?“ fragte Lord Alvanley.

„Aber selbstverständlich“, erwiderte Sir Algernon.

„Wir wollen alle dagegen setzen und Gibbon auf sein Wort festnageln“, schlug Lord Worcester vor, „sonst wird er noch zu eingebildet.“

Das allgemeine Gelächter nahm Sir Algernon gutgelaunt zur Kenntnis.

„In Ordnung“, sagte er, „ich werde Ihre Wetten annehmen, ja, ich werde sogar noch ein Übriges tun. Ich setze eintausend Guineen dagegen, daß Sie weder einen Mann noch eine Frau finden, die mich von ihrer edlen Geburt überzeugen können, wenn dem nicht so ist.“

„Großartig, Gibbon“, rief Lord Worcester, „nichts geht über einen Mann, der seine Überzeugung in harter Münze stützt. Übrigens könnte ich im Augenblick ganz gut etwas Geld gebrauchen.“

„Sind Ausländer ausgeschlossen?“ erkundigte sich Prinz Esterhazy.

„Niemand ist ausgeschlossen“, erklärte Sir Algernon. „Aber jeder Versuch, bei dem es nicht gelingt, mich hinters Licht zu führen, kostet fünfzig Guineen. Noch bevor das Jahr zu Ende geht, habe ich die Taschen voller Geld, das kann ich Ihnen heute schon versprechen.“

„Möglicherweise behält er sogar recht“, wandte sich Captain Collington mit gedämpfter Stimme an den Marquis.

Sir Algernon bat einen der Kellner, das ledergebundene Wettbuch zu bringen. Es stammte aus dem Jahre 1743- das erste war bei einem Feuer ein paar Jahre früher zerstört worden - und bot ein erstaunliches Bild von den verschiedensten Interessen der Clubmitglieder. Die Schrift zeigte nur zu deutlich, daß eine große Anzahl Wetten nach dem Dinner getätigt und von einer Hand eingetragen worden waren, die des Schreibens nicht mehr völlig mächtig war.

„Wer von den Herren fordert mich nun heraus?“ fragte Sir Algernon.

Nachdem er das Buch auf einen Tisch gelegt und sich auf einen Stuhl davor gesetzt hatte, schrieb er einen Namen nach dem anderen ein. Es waren fünf, Prinz Esterhazy, Lord Alvanley, Lord Worcester, Captain Collington und der Marquis.

„Ich gebe Ihnen ein Jahr Zeit“, erklärte Sir Algernon. „Wenn Sie mir bis dahin nicht die tausend Guineen abgenommen haben, lade ich Sie zu dem besten Essen ein, das der Club zu bieten hat.“

Nachdem Sir Algernon sorgfältig Bedingungen und Datum der Wette eingetragen hatte, legte er das Buch zur Seite.

Charles Collington nahm es auf.

„Wer immer dieses Buch in späteren Zeiten liest, wird annehmen, daß die meisten Clubmitglieder von ,White's‘ nicht ganz bei Trost waren. Zum Beispiel steht hier Lord Lincoln wettet mit Lord Winchelsea hundert gegen fünfzig Guineen, daß die Herzoginwitwe von Marlborough die Herzoginwitwe von Cleveland nicht überlebt.“

„Den Eintrag kenne ich“, sagte der Marquis. „Ich habe mal in einer ruhigen Minute das ganze Buch durchgelesen. Dabei bin ich zu der Auffassung gelangt, daß ein Großteil der Wetten entweder von Verrückten oder von Säufern getätigt wurden. Aber es wird spät, sollen wir nicht aufbrechen?“

Zu seinem Erstaunen erhielt er nicht gleich eine Antwort. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis Captain Collington mit merkwürdig veränderter Stimme sagte: „Schau dir das an, Fabius.“

Als der Marquis auf die angedeutete Zeile im Buch schaute, las er: „Mr. Jethro Ruck wettet mit Sir James Copley, daß er bis Ende des Jahres 1818 im Besitz des Familientitels und -vermögens ist.“

„Das gibt dir noch acht Monate Zeit“, sagte Charles.

„Aber du kannst doch nicht glauben ...“, begann der Marquis.

„Sei kein Narr, Fabius. Die Angelegenheit ist völlig klar. Ich habe dir doch erzählt, daß Jethro um deinen Tod gebetet hat. Heute Abend ist er ein bißchen aktiver vorgegangen, das Beten hat ihm nicht mehr genügt.“

„Ich glaube, du hast recht.“

„Und was willst du tun?“

Der Marquis zuckte die Achseln.

„Ohne Beweis kann ich Jethro kaum beschuldigen, daß er vorhin versucht hat, mich umzubringen.“

„Um Himmels willen, du willst doch nicht etwa tatenlos dasitzen und abwarten. Früher oder später wird er dich erwischen.“

„Eigentlich ist das eine ziemliche Herausforderung, findest du nicht?“

„Sei nicht leichtsinnig“, bat Charles Collington. „Wie du wohl weißt, habe ich deinen Vetter noch nie leiden können, und es wundert mich nicht ein bißchen, daß er dich ermorden will. Was ich aber unerträglich finde, ist die Vorstellung, daß er Erfolg haben könnte.“

„Diese Vorstellung behagt mir selbst auch nicht sonderlich“, sagte der Marquis trocken.

„Dann unternimm etwas dagegen“, drängte Charles.

„Was schlägst du vor?“

„Es muß doch etwas geben.“

„Es gibt etwas“, erwiderte der Marquis langsam, erklärte sich jedoch nicht deutlicher, obwohl sein Freund ihn mit neugierigen Fragen bestürmte.

Am folgenden Nachmittag empfing Lady Walden in ihrem Haus nahe St. Albans in Hertfordshire einen Besucher.

„Fabius“, rief sie erstaunt, als der Marquis ihr gemeldet wurde. „Das ist aber eine Überraschung. Was führt Sie aufs Land, nachdem die Saison in London begonnen hat?“

„Ich wollte Sie sehen“, erwiderte der Marquis.

„Wie schmeichelhaft“, sagte Lady Walden lächelnd. „Da ich den am Donnerstag stattfindenden Ball der Herzogin von Devonshire nicht versäumen will, wäre ich morgen sowieso in die Stadt gefahren.“

„Ich habe nie daran gezweifelt, Sie dort zu treffen.“

„Und trotzdem haben Sie den weiten Weg nicht gescheut, mich heute zu besuchen.“

Als Eurydice Walden vor sechs Jahren die Schule verlassen hatte, drehte sich ganz St. James um sie. Sie war nach dem Geschmack ihrer Zeit eine echte Schönheit mit ihren blonden Haaren, den blauen Augen und den sanften Kurven, die keinen Zweifel an ihrer Weiblichkeit aufkommen ließen.

Man hatte sie schon bewundert, als sie wie ein Komet in der eleganten Welt aufgetaucht war. Im Laufe der letzten Jahre hatte sie an Liebreiz noch gewonnen.

Mit siebzehn hatte sie den wilden, gutaussehenden und immens wohlhabenden Sir Beaugrave Walden geheiratet. Als dieser im letzten Kriegsmonat ums Leben gekommen war, hatte er seiner Witwe ein Riesenvermögen hinterlassen. Sechs Monate später erbte sie nach dem Tode ihres Vaters 500 Hektar Land, die an den Besitz des Marquis grenzten.

Eurydice und der Marquis kannten sich seit ihrer Kinderzeit. Zwischen ihren Vätern war es beschlossene Sache gewesen, daß aus ihnen ein Paar werden sollte, womit auch ihre Ländereien automatisch zusammengefallen wären.

Als Eurydice heiratete, befand sich der Marquis mit seinem Regiment in Portugal, und obwohl sein Vater enttäuscht war, empfand er selbst diese Tatsache kaum als sonderlich schmerzlichen Verlust.

Nachdem er auf dem eleganten Damastsofa in Eurydices Salon Platz genommen hatte, betrachtete er sie eingehend.

„Was ist los, Fabius?“ fragte sie. „Sie sehen beunruhigt aus.“ Insgeheim zerbrach sie sich den Kopf über sein unerwartetes Auftauchen. Sie war froh, eines ihrer hübschesten Musselinkleider angezogen zu haben, denn wenn sie sich auch nicht ausgesprochen für den Mann interessierte, den sie schon so lange kannte, so wußte sie doch sehr wohl, daß ihre Freundinnen anders dachten.

„Ich möchte mit Ihnen reden, Eurydice.“

„Das haben Sie bereits angedeutet.“

„Ich weiß, aber ich bin nicht ganz sicher, wie ich Ihnen den Grund meines Hierseins erklären soll.“

„Schüchternheit steht Ihnen schlecht zu Gesicht“, neckte Eurydice.

Ohne auf ihren Einwurf einzugehen, fuhr er ernst fort. „Was ich Ihnen zu sagen habe, ist Folgendes: ich finde, wir sollten tun, was unsere Väter von jeher von uns erwartet haben.“

„Und was wäre das?“

Sie vermochte kaum zu glauben, daß er den Satz aussprechen würde, von dem sie halb und halb erwartete, daß er ihm auf den Lippen lag.

„Wir sollten heiraten.“

„Meinen Sie das im Ernst?“ fragte Eurydice ernst.

„Aber selbstverständlich. Sie wissen so gut wie ich, daß unsere Väter seit Ihrer Geburt nur einen Herzenswunsch kannten, daß aus uns ein Paar wird.“

„Aber das ist viele Jahre her, und inzwischen sind sie beide tot“, wandte Eurydice ein.

„Wir leben noch, und ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, daß das ein höchst vernünftiger Plan war.“

„Vernünftig vielleicht, aber kaum sonderlich romantisch.“

„Es tut mir leid, daß ich mich so ungeschickt ausgedrückt habe“, sagte der Marquis mit dem Lächeln, das die meisten Frauen unwiderstehlich fanden. „Ich mag Sie sehr gern, Eurydice, und Sie wissen auch, daß ich schon immer so empfunden ...“

„Unsinn“, fiel ihm Eurydice ins Wort. „Als kleiner Junge haben Sie mich aus tiefster Seele verabscheut. Kleine Mädchen waren für Sie vollkommen überflüssige Geschöpfe. Sie pflegten mich an den Haaren zu ziehen, und einmal habe ich sogar eine Ohrfeige von Ihnen bekommen, weil ich Ihren Kricketball ins Gebüsch geworfen habe.“

„Du lieber Himmel, das können Sie mir doch heute nicht mehr vorwerfen“, antwortete er.

„Warum nicht? Sie haben sich auch später nicht gerade übermäßig angestrengt, mir Ihre Zuneigung zu zeigen.“

„Hatte ich dazu überhaupt eine Chance? Sie haben geheiratet, während ich in Portugal gekämpft habe.“

„Bei unserem Wiedersehen hatte ich nicht den Eindruck, einen gramgebeugten Mann vor mir zu haben.“

„Ich habe Sie nach Ihrer Hochzeit nur ein oder zwei Mal getroffen, und da Beaugrave ein Freund von mir war, konnten Sie doch wohl kaum erwarten, daß ich unter seiner Nase Annäherungsversuche machte.“

„Sie hatten niemals diese Absicht“, gab Eurydice zurück, „warum sollten Sie mich jetzt plötzlich heiraten wollen?“

„Zunächst einmal, weil es höchste Zeit ist, daß ich es tue, und zum anderen, weil ich sicher bin, daß wir gut miteinander auskommen. Sie Ihrerseits können doch nicht bis in alle Ewigkeit damit fortfahren, den Klatschmäulern Stoff zu bieten.“

„Wer klatscht denn über mich, wenn ich fragen darf?“

„Als ob Sie nicht wüßten, daß Sie, seit Sie verwitwet sind, einen Skandal nach dem anderen verursacht haben“, erwiderte er belustigt. „Im Augenblick spricht zum Beispiel ganz London über Sie und Severn.“

Eine Pause entstand, bis Eurydice ihre Augen niederschlug und erklärte: „Vielleicht nicht ohne Grund.“

„Gütiger Himmel, Sie wollen doch nicht etwa andeuten, daß der Herzog sich erklärt hat.“

„Diese Frage beantworte ich nicht.“

„Dann hat er es also nicht getan“, stellte der Marquis fest.

„Sie haben kein Recht, mich ins Kreuzverhör zu nehmen.“

Der Marquis erhob sich.

„Ich sehe jetzt entschieden klarer“, sagte er. „Sie sind mitten in der Saison mit der Hoffnung aufs Land gefahren, daß der Herzog Ihnen folgen würde. Hat sich Ihr Wunsch wenigstens erfüllt?“

„Ich habe Ihnen bereits zu verstehen gegeben, daß Sie das nichts angeht, Fabius. Bitte lassen Sie mich allein.“

„Sie sind mir die Antwort auf meine Frage, ob Sie meine Frau werden wollen, schuldig geblieben“, erklärte der Marquis mit fester Stimme.

„Lassen Sie mir ein wenig Zeit, um darüber nachzudenken.“

Er blickte sie forschend an; sein Augenausdruck war hart geworden.

„Mit anderen Worten, Sie möchten gern abwarten, ob Severn Ihnen nicht ein besseres Angebot macht. Wenn ja, werden Sie ihn nehmen, wenn nein, ist auch ein Marquis nicht zu verachten.“

„Es gibt mehrere Männer, die mich heiraten wollen“, versicherte Eurydice beinahe böse.

„Dessen bin ich mir wohl bewußt“, erwiderte der Adelige, „dennoch bezweifle ich, daß Sie, abgesehen von Severn und meiner Wenigkeit, einen dieser liebeskranken Dummköpfe auch nur in Erwägung ziehen. Sie schreiben doch nur Gedichte über die Schönheit Ihrer Lippen und legen kleine Billetts auf Ihre Türschwelle. Die Mehrzahl dieser Verehrer kann sich wohl kaum mehr leisten, wie ich annehmen möchte.“

Voller Wut über seinen spöttischen Ton stampfte Eurydice mit dem Fuß auf.