Dirty Headlines - L. J. Shen - E-Book

Dirty Headlines E-Book

L.J. Shen

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Beschreibung

Stell dir vor: Dein unvergesslicher One-Night-Stand entpuppt sich als dein neuer Boss

Als Judith Humphrey sich aus dem Bett ihres unglaublich guten One-Night-Stands schleicht, ist sie fast ein wenig enttäuscht, dass sie den attraktiven Unbekannten niemals wieder sehen kann. Hat sie doch sein gut gefülltes Portmonnaie mitgehen lassen. Aber Jude läuft dem Mann, der immer noch ihre Gedanken beherrscht, schneller wieder über den Weg, als ihr lieb ist. Denn er ist niemand anderes als Célian Laurent: stadtbekannter Playboy, Erbe eines millionenschweren Medienunternehmens - und Judes neuer Boss ...

"Dirty Headlines ist eine heiße Enemies-To-Lovers-Romance mit Office-Setting." LAURELIN PAGE


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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Leserhinweis

Widmung

Playlist

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von L. J. Shen bei LYX

Impressum

L. J. Shen

Dirty Headlines

Roman

Ins Deutsche übertragen vonPatricia Woitynek

ZU DIESEM BUCH

Als Judith Humphrey sich aus dem Bett ihres unglaublich guten One-Night-Stands schleicht, ist sie fast ein wenig enttäuscht, dass sie ihn nicht wiedersehen kann. Zwar hat sie noch nie eine so knisternde Anziehung zu einem Mann gespürt, aber die Bedingungen ihrer gemeinsamen Nacht waren von Anfang an klar: keine Namen, keine Gefühle, kein zweites Date. Daher zögert Jude auch nur kurz, als sie beim Verlassen der Suite sein gut gefülltes Portemonnaie mitgehen lässt. Schließlich braucht sie das Geld viel dringender als der attraktive Unbekannte. Doch Jude läuft dem Mann, der immer noch ihre Gedanken beherrscht, schneller wieder über den Weg, als ihr lieb ist. Er ist niemand anderes als Célian Laurent: stadtbekannter Playboy, Erbe eines millionenschweren Medienunternehmens – und ihr neuer Boss! Schon bei ihrem ersten Aufeinandertreffen muss Jude erkennen, dass Célian ihre gemeinsame Nacht genauso wenig vergessen hat wie sie – und dass er nicht vorhat, so zu tun, als sei zwischen ihnen nichts gewesen …

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

Für Vanessa Serrano und Vanessa Villegas – mit (virtuellen) Umarmungen und (aufrichtiger) Dankbarkeit

PLAYLIST

»Promiscuous« – Nelly Furtado und Timbaland

»How Soon is Now?« – The Smiths

»Le Chemin« – Kyo feat. Sita

»Makes Me Wonder« – Maroon 5

»Anybody Seen My Baby?« – The Rolling Stones

»Bloodstream« – Stateless

»Hey Jude« – The Beatles

»Down« – Jason Walker

»Moi Lolita« – Alizée

PROLOG

Jude

Auf dem Sterbebett sagte meine Mutter zu mir, das Herz sei ein einsamer Jäger. »Unsere Körperteile sind wie wir, Jude. Sie brauchen Gesellschaft, einen verlässlichen Rückhalt. Darum haben wir Lungen, Mandeln, Hände, Beine, Finger, Zehen, Augen, Nasenlöcher, Zähne und Lippen – alles im Plural. Einzig das Herz ist auf sich allein gestellt. Wie Atlas trägt es klaglos die Bürde unserer Existenz auf seinen Schultern – es rebelliert nur dann, wenn es von der Liebe in Unruhe versetzt wird.«

Sie meinte, einem einsamen Herzen – sprich, meinem – würde das niemals widerfahren, und bisher hatte sie recht behalten.

Könnte das die Sache heute Nacht heraufbeschworen haben?

Ist das der Grund, warum ich jeden Versuch aufgegeben hatte?

Seidige Laken wickelten sich wie Schlingpflanzen um meine Beine, als ich sie aus dem extravaganten Kingsize-Bett schwang und aufstand, meinen Rücken beharrlich dem Fremden zugekehrt, den ich am Nachmittag kennengelernt und mit dem ich die vergangenen Stunden in diesem luxuriösen Hotelzimmer verbracht hatte.

Ein einziger Blick zu ihm, und sofort würde sich mein Gewissen melden und meinen Plan vereiteln.

Sein Geld war mir wichtiger als meine Redlichkeit.

Ich brauchte es dringend.

Um meine Stromrechnung und Dads Medikamente für diesen Monat zu bezahlen.

Von unendlicher Leere erfüllt schlich ich auf Zehenspitzen zu seiner Anzughose, die er achtlos auf den Boden geworfen hatte. Dies war das erste Mal, dass ich etwas stehlen würde, und die Endgültigkeit meiner Entscheidung verursachte mir Brechreiz. Ich war keine Diebin, trotzdem plante ich, diesen mir fremden Mann zu beklauen. Darüber, dass wir Sex gehabt hatten, durfte ich gar nicht nachdenken, sonst würde am Ende noch mein Gehirn explodieren und sich überall auf dem flauschigen Teppich verteilen. Normalerweise ließ ich mich nicht auf One-Night-Stands ein.

Aber in dieser Nacht war ich nicht ich selbst.

Mein Morgen hatte damit begonnen, dass mein von Postsendungen und Rechnungen überquellender Briefkasten mit einem lauten Knall zusammengekracht war. Später verlief ein Bewerbungsgespräch dermaßen desaströs, dass die Personalentscheider es vorzeitig abbrachen, um sich ein Spiel der Yankees anzuschauen. (Als ich in meiner Verzweiflung darauf hinwies, dass gar keins stattfinde, erklärte man mir, es handle sich um eine Aufzeichnung.)

Bitter enttäuscht hetzte ich im unbarmherzig prasselnden Frühlingsregen durch die mitleidlosen Straßen Manhattans. Es schien mir das Sinnvollste, mich in die Wohnung meines Liebsten zu flüchten, zu der ich einen Schlüssel hatte. Milton würde vermutlich arbeiten gegangen sein und seinem Artikel über die Gesundheitsfürsorge von Zuwanderern den letzten Schliff geben. Er schrieb für The Thinking Man, eines der renommiertesten Magazine New Yorks. Zu behaupten, dass ich stolz auf ihn war, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts.

Der Rest des Nachmittags lief ab wie ein schlechter, mit Klischees und Melodrama überfrachteter Film. Ich öffnete die Wohnungstür und schüttelte mir die Regentropfen aus den Haaren und von der Jacke, als ich auch schon tiefes gutturales Stöhnen vernahm. Das zugehörige Bild folgte auf dem Fuße:

Miltons Lektorin Elise – ich hatte sie erst einmal, bei einem Drink, getroffen – beugte sich über die Seitenlehne der Couch, die er und ich gemeinsam auf meinem Lieblingsflohmarkt aufgestöbert hatten, während er rhythmisch in sie hineinstieß.

Wums.

Wums.

Wums.

Wums!

Das Herz ist ein einsamer, grausamer Jäger.

Ich fühlte, wie meins einen Giftpfeil in Miltons von Schweiß glänzende Brust abschoss, bevor ich ein Knacken hörte, mit dem es entzweizubrechen drohte.

Wir hatten uns an der Columbia University kennengelernt und waren seit fünf Jahren ein Paar. Er war der Sohn eines pensionierten NBC-Moderators, ich bezog damals ein Vollstipendium. Wir wohnten nur deshalb nicht zusammen, weil mein Vater krank war und ich ihn nicht allein lassen wollte. Doch das hinderte Milton und mich nicht, unsere Träume, die wir der Reihe nach verwirklichen wollten, in denselben Farben und Mustern zu gestalten.

Afrika bereisen.

Nach Nahost entsandt werden.

In Key West den Sonnenuntergang bewundern.

In Paris ein perfektes Macaron essen.

Unsere Wunschliste war in einem Notizbuch festgehalten, das ich voller Euphorie Kipling getauft hatte und das jetzt ein Loch in meine Handtasche zu sengen schien.

Ich hatte nicht vorgehabt, auf Miltons Türschwelle zu kotzen, andererseits war es in Anbetracht des Anblicks, der sich mir bot, keine wirkliche Überraschung. Der Dreckskerl rutschte fast darin aus, als er mir hinterherjagte, bis ich die Fluchttür am Ende des Flurs aufstieß und die Treppe hinunterstürmte, wobei ich immer zwei Stufen auf einmal nahm. Milton trug nichts am Leib außer dem Kondom, und er realisierte wohl, dass es keine so glorreiche Idee wäre, so auf die Straße zu stürzen.

Ich rannte, bis meine Lungen brannten, meine Chucks durchnässt und mit Schlamm bedeckt waren.

Im trommelnden Regen kollidierte ich mit Schultern, Schirmen und Straßenhändlern.

Ich war wütend, verzweifelt und schockiert – aber nicht am Boden zerstört. Mir blutete das Herz, doch es war nicht gebrochen.

Das Herz ist ein einsamer Jäger, Jude.

Ich wollte einfach nur vergessen – Milton, die sich stapelnden Rechnungen, meine unselige, seit Monaten anhaltende Unfähigkeit, einen Job zu finden. Ich brauchte Alkohol und warme Haut.

Der Fremde in der Hotelsuite hatte mir beides gegeben, und jetzt würde ich mir zusätzlich etwas von ihm nehmen, das wir nie vereinbart hatten.

Allerdings sollte er, dieser Luxusunterkunft nach zu urteilen, trotzdem keine Schwierigkeiten haben, ein Taxi zum Flughafen zu bezahlen.

Eine schmiedeeiserne Wendeltreppe, die mehr gekostet haben dürfte als meine ganze Wohnung und zu einem Whirlpool in der Größe meines Schlafzimmers führte, zog meinen Blick auf sich. Vornehme, mit rotem Samt bezogene Sofas verhöhnten mich. Raumhohe Fenster forderten mich dazu heraus, meinen nichtswürdigen Augen einen Blick auf das finanzkräftige Manhattan zu gönnen. Und die Kristalltropfen des Kronleuchters wiesen eine gespenstische Ähnlichkeit mit Spermien auf.

Du willst die nächste Woche überstehen, Judith Penelope Humphry, also lass diese dummen Überlegungen, und setz dein Vorhaben in die Tat um.

Ich zog sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche seiner Tom-Ford-Hose – er hatte es darin verstaut, gleich nachdem er eine Packung Kondome herausgenommen hatte – und inspizierte es mit zitternden Händen. Ein Bottega-Veneta-Modell aus schwarzem, glattem Leder. Ich schluckte mehrmals, doch auch das konnte meine flatternden Nerven nicht beruhigen.

Ich klappte es auf und griff mir das Bündel Bargeld. Wie sich zeigte, war sein bestes Stück nicht das einzig Ansehnliche an ihm. Mir flimmerten die Augen, als ich hastig die Scheine zählte.

Einhundert … zweihundert … dreihundert … sechshundert … achthundert … Fünfzehnhundert. Danke, lieber Gott.

Ich konnte förmlich hören, wie er mich scharf zurechtwies. »Spar dir deinen Dank. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich ›Du sollst nicht stehlen‹ ganz weit oben auf meine Liste der Gebote gesetzt habe.«

Ich fischte mein Handy aus meinem Rucksack, gab den Markennamen der Geldbörse in die Suchmaschine ein und bekam die Info, dass sie knapp siebenhundert Dollar kostete. Mein Herz, das sich trotz seines stolpernden Schlagens bleischwer anfühlte, hämmerte laut, als ich alle Plastikkarten achtlos herauszerrte. Das Portemonnaie ließe sich leicht verhökern – so, wie ich es gerade mit meinem moralischen Kompass tat.

Mein Magen krampfte sich vor Beschämung zusammen, mein Gesicht wurde knallheiß. Er würde aufwachen und mich hassen, den Augenblick verfluchen, in dem er mich in der Bar angesprochen hatte. Eigentlich sollte mich das kaltlassen. Er würde New York morgen Früh verlassen, und ich würde ihn nie wiedersehen.

Sowie ich sämtliche in seinem Geldbeutel befindlichen Karten und Ausweise ordentlich auf dem Nachttisch deponiert hatte, schlüpfte ich in mein Kleid und meine neonpinken, schlammverkrusteten Chucks und riskierte einen letzten Blick auf ihn.

Er war komplett nackt, nur seine Hüften waren von einem Laken verhüllt. Mit jedem Atemzug spannten sich seine ansehnlichen Bauchmuskeln an. Selbst im Schlaf wirkte er kein bisschen verletzlich, sondern wie ein griechischer Gott, dem nichts und niemand etwas anhaben konnte. Männer wie er waren zu selbstsicher, um sich je aus der Ruhe bringen zu lassen. Zum Glück würde bald ein ganzer Ozean zwischen uns liegen.

Ich öffnete die Tür und hielt mich am Rahmen fest.

»Es tut mir so leid«, flüsterte ich und warf dem Fremden einen Luftkuss zu.

Erst als ich das Hotel verlassen hatte, gab ich dem Ansturm meiner Tränen nach.

Fünf Stunden früher

Ich stolperte in eine Bar, schüttelte die Regentropfen aus meinen langen, aschblonden Haaren und bestellte schniefend am Tresen einen Whiskey.

Am Ausschnitt meines schwarzen Kleids zupfend pflanzte ich meine knapp ein Meter sechzig auf einen Hocker, ließ meine Füße in den flachen, pinkfarbenen Chucks – für die ich mich aus unverbesserlichem Optimismus an diesem Morgen entschieden hatte – in der Luft baumeln und genehmigte mir wehleidig seufzend einen Schluck aus dem Glas, das der Barmann vor mich hingestellt hatte. Meine Ohrhörer steckten immer noch in meinen Ohren, doch ich ließ meine perfekt zusammengestellte Playlist nicht laufen, um sie nicht mit meiner miesen Laune zu besudeln. Würde ich jetzt einen meiner Lieblingssongs hören, würde ich ihn dauerhaft mit dem Tag in Verbindung bringen, an dem ich herausgefunden hatte, dass Milton also doch auf die Doggy-Stellung stand – nur eben nicht mit mir.

Während ich Whiskey, den ich mir nicht leisten konnte, wie Wasser in mich reinschüttete, versuchte ich, mir selbst gut zuzureden.

Mein Bewerbungsgespräch war katastrophal verlaufen, andererseits hatte ich nie wirklich mein Herz daran gehängt, für ein christliches Magazin zu arbeiten, das sich glutenfreier Ernährung verschrieben hatte.

Milton war mir fremdgegangen – doch insgeheim hatte ich seit langem Zweifel an seiner Aufrichtigkeit. Sein Lächeln verschwand stets zu schnell, wenn wir Zeit mit meinem Vater verbrachten oder auf der Straße einem bekannten Gesicht begegneten. Und wann immer jemand anderer Meinung war als er, zuckte seine rechte Augenbraue nach oben.

Was den wachsenden Stapel unbezahlter Arztrechnungen betraf, würde ich eine Lösung finden. Unser Apartment in Brooklyn gehörte meinem Vater und mir, notfalls würden wir es verkaufen und irgendwo zur Miete wohnen. Abgesehen davon brauchte ich nicht unbedingt zwei Nieren.

Ich hing über meinem Drink, als mir der Duft von Zedernholz, Salbei und drohender Sünde in die Nase stieg. Doch ich sah selbst dann nicht auf, als der Mann mich ansprach. »Eine klassische Schönheit in leicht angetrunkenem Zustand: der feuchte Traum eines jeden Jägers.«

Seine Stimme war mit einem starken französischen Akzent behaftet, sinnlich und rau. Ich wandte den Blick nicht von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit ab, die in meinem Glas schwappte, war nicht in Stimmung für Smalltalk. Normalerweise war ich der Typ, der sich sogar mit einem Ziegelstein anfreunden konnte, aber momentan war mir eher danach, jeden Mann zu erdolchen, der auch nur in meine – oder sonst irgendeine – Richtung atmete.

»Wahlweise auch der schlimmste Albtraum eines jeden Jägers«, gab ich zur Antwort. »Anders ausgedrückt: Ich bin nicht interessiert.«

»Das ist gelogen, und mit Lügnerinnen gebe ich mich nicht ab.« Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er ein Cocktailstäbchen zwischen den Lippen rollte und mich dabei wölfisch angrinste. »Aber für dich werde ich eine Ausnahme machen.«

»Dreist und selbstgefällig?« Im Stillen klebte ich mir eine, weil ich ihm überhaupt antwortete. Ich hatte meine Ohrhörer drin – wenn auch nur zu dem Zweck, potenzielle Gesprächspartner abzuwimmeln –, warum also hatte er mich angequatscht? Immerhin war dies das internationale Zeichen dafür, dass man gefälligst in Ruhe gelassen werden wollte.

»Dem entnehme ich, dass du in der Vergangenheit von äußerst primitiven Männern angebaggert wurdest. Erzähl mir, wie schlimm dein Tag genau war.« Er kam mir so nah, dass ich seine Körperwärme durch seinen Maßanzug hindurch spüren konnte.

Mein Gefühl sagte mir, dass ich ihn nur richtig ansehen müsste, um sofort Schnappatmung zu bekommen. Mein zorniges, verwundetes Herz klopfte dumpf in meiner Brust. Wir wollen keine Eindringlinge, Jude.

Der große, attraktive Franzose schob dem Barkeeper einen Hundert-Dollar-Schein zu. Sein Blick streichelte meine eine Gesichtshälfte, als er ihn fragte: »Wie viele Drinks hatte sie?«

»Dies ist ihr zweiter, Sir.« Der Barmann nickte kurz, dann wischte er mit einem feuchten Tuch über die hölzerne Oberfläche.

»Bringen Sie ihr ein Sandwich.«

»Ich will kein Sandwich!« Ich riss die Ohrhörer heraus, knallte sie auf den Tresen, fuhr auf meinem Barhocker zu ihm herum und nahm Blickkontakt mit ihm auf.

Der schwerste Fehler, den ich machen konnte. In den ersten Sekunden war ich nicht einmal fähig einzuordnen, was meine Augen sahen. Die wenigsten wären auf dieses Musterexemplar eines Prachtkerls vorbereitet gewesen. Er vereinte die perfekten Gesichtszüge eines Chris Pine, den muskulösen Körperbau eines Chris Hemsworth und die Anziehungskraft eines Chris Pratt auf sich. Eine dreifache Chris-Ladung – ich war so was von geliefert.

»Du musst etwas essen.« Er wandte den Blick ab und warf sein Handy auf die Theke. Es blinkte wie verrückt, jede Minute gingen Dutzende neue Mails ein.

»Warum?«

»Weil es unter meiner Würde ist, eine betrunkene Frau zu vernaschen, und ich heute Nacht sehr gern Sex mit dir hätte«, erklärte er seelenruhig und unterstrich seine lockere Aussage mit einem hypnotisierenden Lächeln, das seine Grübchen zum Vorschein brachte und meine Knie in Pudding verwandelte.

Ich blinzelte wie unter Schock, konnte nicht aufhören, ihn zu betrachten, mir alle Details einzuprägen.

Leicht schrägstehende Augen, dunkelblau wie die Tiefen des Ozeans; mittelbraune, verwuschelte Haare; eine Kieferpartie, an der man sich schneiden könnte, würde man mit dem Finger daran entlangfahren; Lippen, die für schmutziges Bettgeflüster wie geschaffen waren. Er gehörte einer Kategorie an, mit der ich bis dato nie Bekanntschaft gemacht hatte. Ich hatte mein ganzes Leben in New York verbracht, folglich waren mir Männer ausländischer Herkunft keineswegs fremd. Aber dieser hier wirkte wie eine unvorstellbare Kombination aus Model und Firmenchef.

Sein dunkelblauer Anzug verlieh ihm eine Seriosität, die im Kontrast zu seinen anziehenden Gesichtszügen, den scharf geschnittenen Wangenknochen, dem markanten Kinn, den sinnlich vollen Lippen und der geraden Nase stand.

Mein Blick glitt zu seiner Hand, suchte nach einem Ehering. Fehlanzeige.

»Wie bitte?« Ich setzte mich kerzengerade auf. Nur weil er wie ein Gott aussah, gab ihm das nicht das Recht, sich wie einer zu verhalten. Der Barkeeper schob einen Teller vor mich hin, auf dem ein warmes, mit Roastbeef, Mayo, Tomate und Cheddar gefülltes Brioche-Brötchen thronte. Ich hätte gern weiter den aufsässigen Trotzkopf gespielt, gleichzeitig wollte ich auf keinen Fall in einer Stunde puren Whiskey erbrechen.

Der attraktive Unbekannte lehnte sich mit seinem hochgewachsenen Körper – eins fünfundachtzig? Eins achtundachtzig? – gegen die Bar und legte den Kopf schräg. »Iss.«

»Dies ist ein freies Land«, wies ich ihn schnippisch hin.

»Trotzdem scheint es dir irgendwie verwerflich vorzukommen, mit einem Wildfremden ins Bett zu steigen.«

»Entschuldigung, ich habe Ihren Namen nicht mitbekommen, Mr Schwer-von-Begriff.« Ich gähnte ostentativ.

»Will Power. Freut mich, dich kennenzulernen. Hör zu, du hattest augenscheinlich einen miesen Tag. Und ich muss mir die Nacht um die Ohren schlagen. Morgen früh fliege ich zurück nach Hause, aber bis dahin …« Der Ärmel seines Sakkos rutschte hoch, als er den Arm hob und auf seine Vintage-Rolex schaute. »Ich sorge dafür, dass du, was immer dich belastet, für ein paar Stunden vergisst. Miss …?«

Scheiß drauf. Und auf ihn. In Sachen Sexy spielte er in einer Liga, wie sie mir voraussichtlich in diesem Leben kein zweites Mal begegnen würde.

Ich könnte Milton dafür verantwortlich machen.

Und die Arztrechnungen.

Oder den Whiskey.

Verdammt, nach dem Tag, der hinter mir lag, konnte ich dem ganzen Staat New York den schwarzen Peter zuschieben.

»Spears.« Ich kniff die Augen zusammen und biss in das Sandwich. Köstlich. Ich drehte die Serviette um und las den darauf abgedruckten Namen der Bar. Le Coq Tail. Ich notierte mir im Kopf, in zwanzig Jahren oder so noch einmal herzukommen, nachdem ich die Rechnungen meines Vaters abbezahlt und aufgehört hätte, mich von Ramen-Nudeln zu ernähren.

»Wie in Britney Spears?« Er zog skeptisch die Augenbrauen in die Höhe.

»Ganz genau. Und du bist?«

»Mr Timberlake.«

Ich nahm noch einen Bissen und hätte vor Genuss fast geseufzt. Wann hatte ich zuletzt etwas gegessen? Wahrscheinlich heute Morgen, bevor ich zu meinem Vorstellungsgespräch aufgebrochen war.

»Sie strapazieren meine Nerven, Mr Timberlake. Und war es nicht gerade noch Will Power?«

»Asche auf mein Haupt, Baby. Ich heiße Célian.« Er streckte mir die Hand entgegen.

Seine Selbstsicherheit entnervte und faszinierte mich gleichermaßen. Er hatte das Aussehen einer in Marmor gehauenen Götterskulptur, dabei verströmte er die Vitalität und Wärme eines Sterblichen. Diese Gegensätzlichkeit trübte mein Urteilsvermögen, vernebelte meine Sinne und löste in mir das Gefühl aus, als würde jeder Zentimeter meines Körpers von heißen Küssen liebkost.

»Judith, aber jeder nennt mich Jude.«

»Du bist also Beatles-Fan.«

»Wie voreingenommen. Die Liste deiner schlechten Eigenschaften wird immer länger.«

»Ich habe noch etwas, worauf das zutrifft. Und jetzt iss, Judith.«

»Jude.«

»Ich bin nun mal nicht jeder.« Er lächelte ungeduldig, wie um mir zu sagen, dass er dieses Gespräch langsam satthatte.

Dominanter Idiot. Ich genehmigte mir einen weiteren Bissen. »Das hier bedeutet gar nichts.«

Ich ahnte, dass ich mir in die eigene Tasche log, aber ich war emotional zu sehr ausgelaugt, um mir an diesem Abend irgendetwas zu verwehren.

Er beugte sich zu mir, drang unerbittlich in meine Distanzzone ein, wie Napoleon seinerzeit Moskau invadiert hatte, ein stolzer, listenreicher Krieger. Er strich mit der Daumenkuppe an meinem Hals entlang. Die schlichte Berührung jagte mir eine Gänsehaut über den Leib. Es war diese Mischung aus ungezähmter, markiger Männlichkeit, seinem Akzent und sexy Rest – seinem Anzug, seinem Duft, seinen Gesichtszügen.

Ich war ihm hilflos ausgeliefert.

Nichts anderes wollte ich sein.

Das Herz ist ein einsamer Jäger. Ich brauchte heute Nacht körperliche Nähe.

Er beugte sich zu meinem Ohr und flüsterte: »Aber das hier schon.«

»Du bist nicht mein Typ.« Ich grinste in mein Whiskeyglas, während ich es leerte.

»Ich bin jedermanns Typ«, stellte er sachlich fest. »Es wird dir gefallen.«

»Du weißt nicht, was ich mag«, parierte ich voll Vergnügen an diesem Wortgefecht. Er war schroff, kaltschnäuzig und schlagfertig, dabei jedoch unerklärlicherweise nicht ungehobelt.

»Ich würde jeden Cent in meiner Tasche darauf verwetten, dass ich es sehr wohl weiß.«

Hört, hört!

»Ich könnte dafür sorgen, dass du es gar nicht mitkriegst, wenn ich einen Orgasmus habe.« Ich stopfte meinen iPod samt Ohrhörer in meine Tasche. Dieses Gespräch hatte den Gipfel des Absurden erreicht. Er bedachte mich mit einem Lächeln, wie ich es nie zuvor in einem menschlichen Gesicht gesehen hatte – es war das eines Raubtiers und bewirkte, dass mein Schoß sich zusammenzog, mein Slip feucht wurde.

»Daraus schließe ich, dass du nie wirklich einen hattest. Würde ich dich zum Höhepunkt bringen, könntest du von Glück reden, wenn dir vor Lust nicht die Kniescheiben zerspringen.«

»Selbstüberschätz –«

»Lass stecken, Spears.«

Zehn Minuten später überquerten wir die Straße und steuerten sein Hotel an. Ich hatte Mühe, meine coole Fassade aufrechtzuerhalten, als wir die mondäne Lobby betraten. Das Laurent Towers Hotel befand sich gegenüber dem LBC-Wolkenkratzer, Sitz eines der größten Nachrichtensender der Welt. Im Eingangsbereich herrschte ein stetiges Kommen und Gehen, während wir schweigend auf den Aufzug warteten. Mein Herz schlug so stark, als müsste es mir den Brustkorb sprengen, meine Knie zitterten unkontrolliert unter meinem billigen schwarzen Kleid. Ich war tatsächlich im Begriff, einen One-Night-Stand zu haben. Sicher, ich war dreiundzwanzig, frisch getrennt und auf Rache aus. Es war nichts verwerflich daran, mit dem Mann zu schlafen. Auf der anderen Seite wusste ich, dass es eine einmalige Sache wäre, über die ich in ein paar Jahren lachen würde.

»Normalerweise mache ich so etwas nicht«, sagte ich, als die Tür schließlich aufglitt und wir einstiegen.

Célian würdigte das keiner Antwort. Kaum dass die Tür sich hinter uns geschlossen hatte, pirschte er sich mit selbstsicheren Schritten an mich heran, seine Lippen geschürzt, sein Blick kühl und unnahbar. Ich wich mit flatterndem Puls und bebenden Nasenflügeln zurück, bis ich mit dem Rücken gegen die Wand stieß.

Trotzig schob ich das Kinn vor, worauf er seine warme Hand erst auf die Stelle legte, an der der kurze Saum meines Kleides auf meinen Oberschenkel traf und sie dann langsam unter dem dünnen Stoff immer weiter hinauf schob, bis sie schließlich zwischen meine Schenkel glitt. Das Gefühl seiner Haut auf meiner durchfuhr meinen ganzen Körper und ich drängte mich ihr stöhnend entgegen. Sein Daumen fand wie von selbst die Stelle meines Körpers, die sich am meisten nach seiner Berührung sehnte und streichelte sie mit festen, kreisenden Bewegungen.

»Du brauchst mich nicht davon zu überzeugen, dass du ein anständiges Mädchen bist«, zischte er, und sein nach Pfefferminze und frisch gemahlenem Kaffee duftender Atem strich über meinen Hals. »Das interessiert mich verdammt noch mal nicht.«

»Für einen Touristen sprichst du ziemlich gut Englisch«, bemerkte ich. Trotz seines starken Akzents war jedes Wort, jede Silbe wie ein strategischer, wohlgezielter Schwerthieb.

Er trat einen Schritt zurück und musterte mich mit gleichgültiger Miene. »Du wirst schon bald herausfinden, dass ich viele Dinge gut beherrsche.«

Der Fahrstuhl vermeldete mit einem Ping, dass wir am Ziel waren, und Célian nahm seine Hand weg.

Die Tür ging auf, davor stand ein älteres Paar und wartete lächelnd, bis wir ausgestiegen waren. Célian hakte sich bei mir unter, als wäre ich seine Partnerin, bevor er sich, sowie wir außer Sichtweite waren, sofort wieder von mir löste.

Keiner von uns sagte ein Wort, während wir zu seiner Suite gingen, dafür war das Gedankengetöse in meinem Kopf ohrenbetäubend laut. Ich redete mir ein, dass ich das Richtige tat und eine heiße, unverbindliche Nacht mit diesem übermenschlich attraktiven Fremden meinen Schmerz lindern würde. Meinen Blick auf seinen breiten Rücken, seine athletische Statur fixiert, folgte ich ihm. Er sah aus, als würde er täglich stundenlang trainieren, gleichzeitig deutete seine Aufmachung an, dass er keine Zeit für regelmäßige Besuche im Fitnessstudio hatte. Allerdings würde seine berufliche Tätigkeit weiter ein ungelöstes Rätsel bleiben. Schon morgen würde er zurück nach Frankreich fliegen, und für mich machte es absolut keinen Unterschied, ob er nun ein Spitzenanwalt war oder ein Auftragsmörder.

Wir betraten seine Suite, und er reichte mir als Erstes eine Flasche Wasser.

»Trink.«

»Hör auf, mich herumzukommandieren.«

»Dann hör du auf, mich mit deinen Rehaugen anzusehen, als wartetest du auf meine Anweisung.«

Er zog sein Jackett aus und streifte seine Schuhe ab. Das Zimmer war riesig, piekfein und viel zu ordentlich dafür, dass es bewohnt wurde. Nirgendwo war ein Koffer zu sehen, keine Spur von einem Handy-Ladekabel, einem herumliegenden Kleidungsstück oder etwas anderem, das irgendwelche Rückschlüsse erlaubt hätte.

Das war einerseits verdächtig, andererseits wirkte er exakt wie die Art von Psycho, die niemals irgendwelche Spuren hinterließ. Und ich hatte mich in die Höhle des Löwen begeben. Na toll.

Notiz an mich selbst: Nach deinem heutigen Verhalten solltest du dich bei zukünftigen Entscheidungen lieber von Glückskeks-Ratschlägen leiten lassen. Damit fährst du besser.

Ich trank das Wasser, fast ohne es zu merken, und versenkte die Flasche im Papierkorb, als stünde sie in Flammen; von meiner Aufmüpfigkeit war nun nicht mehr viel übrig.

Es ist noch nicht zu spät für einen Rückzieher. Sag ihm, du fühlst dich nicht wohl, und verschwinde.

»Ich denke, ich sollte –«, begann ich, brachte den Satz jedoch nicht zu Ende.

Célian stieß mich gegen die Wand und verschloss mir den Mund mit einem sengenden Kuss. Ich verdrehte vor Wonne die Augen, hinter meinen Lidern explodierten Sterne. Seine Finger umfassten fest meinen Po, als er mich hochhob, ich mich am Kragen seines Hemds festklammerte und die Beine um seine Hüften schlang. Er rieb sich an meinem Unterleib, bis ich vor Lust stöhnte, dabei hielt er mich so fest an der Hüfte gepackt, dass ich ihn abzuwehren versuchte, bevor ich die Fingernägel in seine Haut grub und mich mit allen Sinnen dem leidenschaftlichen Kuss hingab. Seine Lippen fühlten sich an wie heißer Samt, als er sie auf meine presste, alles an seinem Körper war hart wie Granit.

Seine Zunge glitt in meinen Mund, und ich hieß sie willkommen.

Er bewegte sein Becken, drückte seine Erektion gegen meine Mitte, und auch das ließ ich zu.

Knurrend biss er mich unsanft in die Unterlippe, dann saugte er daran, um den Schmerz zu lindern. Ich bettelte um mehr.

Célian ließ die Hand zwischen meine Schenkel gleiten, schob den Slip zur Seite und drang mit zwei Fingern in mich ein.

Ich war beschämend feucht.

Der sexy Franzose löste sich von meinem Mund und schaute mich herausfordernd an. »Wollen Sie Ihren Satz nicht beenden, Miss Spears?«

»Ich … ich …« Ich blinzelte verwirrt.

Mit unverändert ernster Miene fing er an, aufreizend langsam in mich hineinzustoßen.

Wer war dieser Kerl? Er ließ sich keinerlei Regung anmerken, während er immer tiefer in mich eindrang und ich unwillkürlich stöhnen musste, als er die Finger krümmte und meinen G-Punkt traf. Seine andere Hand fuhr zu meinen Brüsten und drückte beinahe schmerzhaft einen Nippel.

»Du sagtest, dass du irgendetwas tun solltest.« Er ließ kurz von meinem Schoß ab, strich mit seinen von meiner Begierde feuchten Fingern über meine Lippen, bevor sie zu ihrer neuen Lieblingsstelle zwischen meinen Beinen zurückkehrten. Er küsste mich. »Was denn, Judith?«

Judith. Wie er sich das J von den Lippen rollen ließ, weckte in mir den Wunsch, in seinen Armen zu vergehen. Seine heiße Zunge strich über meinen Hals, mein Kinn, meinen Mund, bevor sie ein weiteres Mal hineinglitt. Wir klammerten uns aneinander, als hinge unser Leben davon ab. Ich wusste, es wäre nur für eine einzige Nacht, doch es fühlte sich wie so viel mehr an.

»Ich… äh … nichts.« Ich tastete nach dem Reißverschluss seiner Hose, was er zum Anlass nahm, seine Hand über meine zu legen und sie auf seine gigantische Erektion zu pressen. Jetzt befiel mich eine ganz andere Art von Aufregung. War sein bestes Stück tatsächlich so groß, wie es sich anfühlte?

»Ich bestimme das Tempo«, eröffnete er mir.

Ich schüttelte den Kopf. Er war nicht mein Boss. Dann schob er zwei weitere Finger in mich hinein, und ich hatte das Gefühl zu verglühen. Mir entrang sich ein tiefes Stöhnen, er trank es von meinen Lippen, als ich im selben Augenblick kam.

Der Orgasmus war so heftig, dass ich anschließend kraftlos an der Wand herabsank. Célian half mir, mich wieder aufzurichten, dann nahm er mein Gesicht in beide Hände und sah mir fest in die Augen. »Hoffentlich schmeckst du so gut, wie du aussiehst.«

Mit einer geschmeidigen Bewegung ließ er sich auf ein Knie nieder, schob mein Kleid nach oben und legte sich eins meiner Beine über die Schulter. Er presste seinen Mund gegen meine immer noch vor Verlangen pochende Mitte, doch anstatt zu lecken und zu saugen, drang er geschickt mit seiner Zunge in mich ein. Ich krallte die Finger in sein Haar, registrierte, dass es weicher war als meines, und rollte meinen Kopf an der Wand hin und her, während er mich auf eine Weise oral verwöhnte, wie ich sie mir niemals hätte erträumen können.

Milton war ein großzügiger, wenn auch etwas mechanisch agierender Liebhaber. Dieser Mann hingegen war die personifizierte Ekstase. Er bräuchte mich vermutlich nur sanft anzuhauchen, und ich würde auf der Stelle kommen. Ich spürte den übermächtigen Drang, meine Beine um seinen Kopf zu schlingen und ihn nie wieder freizugeben. Mein zweiter Höhepunkt schoss wie ein Stromstoß durch mich hindurch und beförderte mich ins Paradies, und als seine Lippen sich dann auch noch um meine empfindsamste Stelle schlossen, hörte ich die Engel singen. Als er schließlich aufstand, Hemd und Hose auszog und eine Kondomverpackung aufriss, war ich fest entschlossen, ihn vollkommen in mir aufzunehmen, obwohl ich noch keine Erfahrungen mit einer so mächtigen Erektion wie seiner gemacht hatte.

Ich prallte mit dem Rücken gegen eine Schranktür, als Célian mit einem einzigen Stoß in mich eindrang, seine Finger zu beiden Seiten meines Kopfs mit meinen verschränkt, sodass ich praktisch gefangen war. Die Lust zerriss mich schier, und ich versuchte, mich aus seinem Griff zu befreien, um mit Händen und Fingernägeln gierig über seinen Leib zu fahren, während er unaufhörlich in mich hineinstieß.

»Fuck«, zischte er. »Judith.«

»Célian.« Das war das Letzte, was ich zu ihm sagte, bevor wir unserer Begierde freien Lauf ließen.

Auf dem Fußboden, wie zwei Wilde.

In Hündchenstellung auf dem Bett, seinen Blick dem Fernseher zugewandt – wo gerade CNN lief.

Als er Anderson Coopers Exklusivbericht über einen Wahlbetrug – zugegeben, sogar ich lauschte ihm mit halbem Ohr – mit einer leisen Verwünschung quittierte, teilte ich ihm mit, dass er die Manieren eines Neandertalers habe. Danach stiegen wir unter die Dusche, wo er mich erneut mit dem Mund befriedigte.

Die nächste Runde fand gegen den Waschtisch gelehnt statt.

Als wir endlich ins Bett sanken, gab er mir noch eine Flasche Wasser zu trinken. »Ich breche um sechs auf«, sagte er. »Um zehn muss das Zimmer geräumt sein. Verspäte dich nicht, das schätzen die hier gar nicht.«

Mir lag auf der Zunge, ihm zu sagen, dass er mir erstens den Buckel runterrutschen könne und es zweitens eine unvergleichlich schlechte Idee wäre, wenn ich bei ihm übernachtete. Andererseits war ich mir nicht sicher, ob ich meinem kranken Vater nach all dem Sex, den ich gehabt hatte – zumal nicht mit meinem neuerdings Exfreund –, gegenübertreten könnte. Ich brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, dass ich völlig verwüstet aussah, mit geschwollenen, aufgesprungenen Lippen, den Spuren von Bartstoppeln auf meiner geröteten Haut und den drei Bissmalen an meinem Hals. Gar nicht zu reden von meinem benebelten Blick, der nicht dem Whiskey, den ich vor mehreren Stunden getrunken hatte, geschuldet war.

Widerstrebend schrieb ich meinem Vater, dass ich bei Milton schliefe, bevor ich mich in Célians Bett ausstreckte und die Augen schloss. Ich fühlte mich mutterseelenallein auf der Welt. Niemand wusste, wo ich war, und die einzige Person, die sich dafür interessierte, nämlich mein Dad, konnte mir nicht wirklich helfen, da er kaum noch das Haus verließ.

Da beschloss ich, nicht einmal ihm zu erzählen, dass ich mich von Milton getrennt hatte. Er hatte seine ganze Hoffnung auf meinen Freund gesetzt und sich darauf verlassen, dass dieser sich um mich kümmern werde, wenn er nicht mehr wäre. Jeder Mensch brauchte jemanden, aber ich hatte jetzt nur noch meinen Vater.

Célian schlüpfte hinter mir unter die Decke, und ich spürte an den Rückseiten meiner Schenkel, wie sein Glied anschwoll.

Er strich mit einer rauen Fingerkuppe über meine Rippen, zeichnete das Tattoo nach, das ich mir an meinem achtzehnten Geburtstag hatte stechen lassen.

If I seem a little strange, that’s because I am.

»Du bist kein Fan der Beatles, dafür magst du The Smiths.« Sein Atem streifte mein Schulterblatt.

Ich war bei einem alleinerziehenden Vater aufgewachsen, der als Bauhandwerker in New York gearbeitet und entsprechend wenig verdient hatte. Unsere liebste Freizeitbeschäftigung war gewesen, uns zusammen auf den Fußboden zu setzen und seine Schallplatten anzuhören. Außerdem hatten wir uns die Zeit damit vertrieben, Bücher über Johnny Rotten zu lesen und uns mit einem selbst ausgedachten Ratespiel über Musik zu vergnügen, bei dem wir absichtlich falsche Fährten legten.

»Sei vorsichtig. Du könntest mir verfallen, wenn du mich besser kennenlernst«, murmelte ich, während ich aus dem deckenhohen Fenster mit Blick auf Manhattan starrte.

Er drang von hinten in mich ein. »Das Risiko nehme ich auf mich.«

Die Stellung erinnerte mich unweigerlich an Miltons und Elises treulos-amouröse Darbietung, die ich sozusagen vom Logenplatz aus beobachtet hatte. Meine Gefühle waren das reinste Chaos. Trotz meiner Erregung sammelten sich Tränen in meinen Augenwinkeln. Ich war froh, dass mein Liebhaber für eine Nacht sie nicht sehen konnte; sie entsprangen einerseits meiner lustvollen Glückseligkeit, hauptsächlich jedoch meiner Angst davor, am nächsten Morgen nach Hause zu gehen und mich der Realität zu stellen.

Kein Freund.

Kein Job.

Ein todkranker Vater und ein Stapel Rechnungen, von denen ich nicht wusste, wie ich sie begleichen sollte.

Nachdem wir beide zum Höhepunkt gekommen waren, küsste er mich auf den Nacken, drehte sich zur anderen Seite und schlief ein. Und ich? Ich hatte ungehinderten Blick auf seine Hose und die Umrisse seines dicken Portemonnaies, das mich zu verhöhnen schien.

Mein Herz war ein einsamer Jäger.

Heute Nacht würde ich ihm ein Festmahl bereiten.

KAPITEL 1

Jude

Drei Wochen später

»Wie sehe ich aus?«

»Nervös. Ängstlich. Süß. Hübsch. Na, ist die richtige Antwort dabei?« Schmunzelnd rieb mein Vater mit den Händen über meine Arme.

Ich hatte mich für einen weißen Bleistiftrock und meine schwarzen Chucks entschieden. Klassisch. Dezent. Ich wollte heute einen seriösen, professionellen Eindruck erwecken. Meine dunkelblonden Haare waren zu einem lockeren Knoten geschlungen, ein dramatischer Lidstrich betonte meine haselnussbraunen Augen. Gewöhnlich bevorzugte ich Flanellhemden, Röhrenjeans und Kunstlederjacken, aber heute war mein erster Tag an meinem neuen Arbeitsplatz, darum war es elementar, dass ich nicht aussah wie das ehemalige Mitglied einer Rockband.

Ich strich über Dads kahlen Kopf, dessen vereinzelte weiß behaarte Inseln an zerrupfte Pusteblumen erinnerten, und küsste seine blasse, von blauen Äderchen durchzogene Wange.

»Du kannst mich jederzeit anrufen«, erinnerte ich ihn.

»Ah ja. Mein Lieblingstitel von Blondie.« Er grinste.

Ich quittierte die Blödelei mit einem Augenrollen.

»Es geht mir gut, Jude. Kommst du anschließend nach Hause, oder bleibst du bei Milton?« Er zauste mir das Haar, als wäre ich ein Kind, was ich in seiner Wahrnehmung wohl auch noch war – und immer bleiben würde.

Mitten im Satz hatte er wieder einen Hustenanfall, und ich bekam leichte Gewissensbisse, weil ich ihn in dem Glauben ließ, Milton und ich seien noch ein Paar. Mein Vater hatte Lymphknotenkrebs im dritten Stadium und vor zwei Wochen seine Chemotherapie abgebrochen. Die Zeit zerrann wie Sand zwischen unseren Fingern.

Seine Ärzte hatten ihn gedrängt, die Behandlung fortzusetzen, aber er hatte behauptet, zu erschöpft zu sein. Anders ausgedrückt: Wir waren pleite. Würde er sich weiter behandeln lassen, müssten wir unsere Wohnung neu finanzieren, aber mein Vater wollte nicht, dass ich nach seinem Tod mit leeren Händen dastünde – egal wie vehement ich gegen seine Entscheidung protestierte. Jetzt drückten Schuldgefühle auf mein einsames, sorgenvolles Herz; es war schwer wie eine Schatulle voller Gold, bis zum Rand gefüllt mit kostbaren, nutzlosen Dingen.

Ich hatte ihn angeschrien, das verdammte Apartment zu verkaufen, bis meine Stimme heiser war und ich endlich einsah, dass ich seinen Stress und Kummer nur verschlimmerte.

»Ich werde heimkommen.« Mit einem Kuss auf seine Schläfe verschwand ich in der Küche und stellte das Essen bereit, das ich für ihn vorbereitet hatte.

»Ihr seht euch in letzter Zeit nicht oft. Ist alles in Ordnung?«

Ich nickte und deutete auf die Plastikbehälter vor mir. »Frühstück, Mittagessen, Abendessen und kleine Zwischenmahlzeiten. Ich habe eine zusätzliche Decke auf dein Bett gelegt, für den Fall, dass es kalt wird. Erwähnte ich schon, dass du mich jederzeit anrufen kannst? Ja, ja, schon gut.«

»Hör auf, dir Sorgen um deinen alten Herrn zu machen.« Er wuschelte mir erneut durch mein sorgfältig frisiertes Haar, als ich auf dem Weg zur Tür an ihm vorbeiging. »Ich wünsch dir Hals- und Beinbruch.«

»Bei meinem Glück stehen die Chancen dafür gut.« Ich schnappte mir meine Umhängetasche, während er sich ächzend in seinen Sessel vor dem Fernseher sinken ließ.

Wenn ich Gott weiß wann von der Arbeit zurückkäme, würde er immer noch im Pyjama sein. Kaum jemand, der so hoch verschuldet war wie wir, hätte sich Netflix geleistet, aber mein Vater kam so gut wie nie aus dem Haus. Bis vor Kurzem hatte er an permanenter Übelkeit gelitten und sich extrem schwach gefühlt. Die Chemo hatte nicht nur die Krebszellen vernichtet, sondern auch seinen Appetit. Seine einzige Ablenkung waren Serien wie Black Mirror, House of Cards und Luke Cage. Eher würde ich mir noch einen zweiten Job suchen, als ihm dieses Vergnügen zu nehmen.

Was einem niemand sagt, wenn man einen geliebten Menschen an den Krebs zu verlieren droht, ist, dass nicht nur der Betroffene lebendig gefressen wird. Der Krebs macht auch vor dir nicht Halt, er verleibt sich gemeinsam verbrachte Lebenszeit ein, lässt keinen glücklichen Augenblick, keinen Moment der Freude unbeschadet. Er verschlingt Gehaltsschecks und Ersparnisse, labt sich an deinem Elend und wuchert in deiner Brust, obwohl du selbst ihn gar nicht hast.

Vor zehn Jahren war meine Mutter an Brustkrebs gestorben.

Jetzt kämpfte mein Vater mit dem Tode, und ich konnte nichts dagegen tun.

Es war eine lange Fahrt von Brooklyn nach Manhattan, und ich hatte meinen iPod nicht mehr. Das betrachtete ich als Strafe dafür, einen Fremden bestohlen zu haben. Ich hatte das Gerät zusammen mit meinen Ohrhörern und meinen ethischen Grundsätzen in dem Hotelzimmer zurückgelassen. Einerlei. Das Geld hatte es mir ermöglicht, zwei längst überfällige Stromrechnungen und unseren wöchentlichen Lebensmitteleinkauf zu bezahlen. Außerdem blieb mir so jetzt die Zeit, sämtliche Informationen über die Laurent Broadcasting Company, die ich im Vorfeld ausgedruckt hatte, durchzulesen. Der Hauptsitz von LBC befand sich in einem gigantischen Hochhaus an der Madison Avenue. Das Unternehmen zählte neben MSNBC, CNN und FOX zu den vier meist gesehenen Nachrichtensendern weltweit. Ich hatte als Junior Redakteurin für LBCs Beauty-und-Lifestyle-Online-Blog angeheuert – nicht gerade die Erfüllung meines Lebenstraums. Andererseits lag meine oberste Priorität darin, nicht unter einem Berg fälliger Forderungen begraben zu werden.

Ich war dankbar für die Gelegenheit und wäre fast vom Stuhl gekippt, als man mir telefonisch die Zusage erteilte. Meine Chance, mich in der Nachrichtensparte zu beweisen, würde noch kommen. Ich musste mich einfach hocharbeiten.

Zunächst einmal war das Wichtigste, dass ich diesen Job, der mir fünfundsiebzigtausend Dollar pro Jahr einbrachte, auch behielt. Es war nicht nur eine großartige Möglichkeit, einen Fuß in die Tür zu bekommen; vielleicht würde mein Dad sich jetzt überzeugen lassen, seine Chemotherapie fortzusetzen.

Die Redaktion des Lifestyle-Blogs – treffend Couture benannt – war zusammen mit der Buchhaltung in der fünften Etage des Gebäudes untergebracht.

»Man behandelt uns nicht wie echte Journalisten«, hatte Grayson, alias Gray, mich redselig bei meinem Einstellungsgespräch vorgewarnt. »Die Klobrillen genießen hier mehr Respekt als die Abteilung für Beauty und Unterhaltung. Und sie bekommen außerdem bestimmt auch heißere Hintern zu sehen. Von den Leuten in der Buchhaltung holt keiner einen Schönheitspreis.«

Ich war am Vortag extra hergekommen, um meinen Ausweis und meine elektronische Schlüsselkarte abzuholen und den Papierkram auszufüllen. Die Stelle ging mit einer erstklassigen Krankenversicherung und der kostenlosen Nutzung des Fitnesscenters einher. Könnte ich diesen Job heiraten, würde ich ihn auf Händen tragen und ihm allabendlich die Füße massieren.

Da ich eine halbe Stunde zu früh dran war, besorgte ich für die gesamte Etage köstlich klebrige Donuts. Die Rezeptionistin, eine brünette junge Frau namens Kyla, saß bereits hinter ihrem Schreibtisch und tippte auf ihrer Tastatur, als ich hereinkam. Ich bot ihr ein Gebäckstück an, worauf sie mich argwöhnisch musterte, als wollte ich ihr eine unregistrierte Waffe andrehen.

»Sie schmecken gut, vertrau mir. Meine Mutter und ich sind früher jeden Samstag nur ihretwegen den ganzen weiten Weg aus Brooklyn hergekommen.« Ich lächelte.

»Es gibt bei LBC keine netten Leute.« Sie klopfte nervös mit den Fingern auf die Tischplatte.

»Jetzt schon. Darum …« Ich zuckte die Achseln.

Sie nahm sich einen Donut mit Schokoglasur und führte mich zu meinem Arbeitsplatz, einer Wabe in einem Großraumbüro. Ganz in Beige und Weiß gehalten, verströmte es mit seinen einheitlichen Kunststofftrennwänden und Bürostühlen eine deprimierend sterile Atmosphäre. In jeder Wabe standen vier Schreibtische; ich würde mir meine mit den beiden anderen Mitarbeitern von Couture teilen.

»Gray müsste jeden Moment hier sein«, erklärte Kyla und biss genüsslich seufzend in ihren Donut.

Ich verstaute meinen nicht zu meinem Outfit passenden Rucksack unter einem Schreibtisch, der nicht mit Fotos und Nippes dekoriert war, und sah zum Fenster hinaus. Der Blick ging ungehindert auf das Laurent Towers Hotel, wo ich die Nacht mit Célian verbracht hatte. Selbst jetzt, drei Wochen später, kam es mir immer noch surreal vor, dass ich mehrere Male mit einem wildfremden Mann Sex gehabt hatte. Noch merkwürdiger war das stechende Gefühl von Reue, das die Erinnerung an das Geld, das ich ihm gestohlen hatte, in meiner Brust auslöste. Ich gelobte mir, so etwas nie wieder zu tun, und versuchte, mein Verhalten damit zu rechtfertigen, dass ich an fraglichem Tag nicht ich selbst gewesen war.

Zwanzig Minuten später tauchte Grayson auf. Optisch hätte er das uneheliche Kind von Kurt Hummel aus Glee und dem typisch sexy Bruder der besten Freundin sein können, auch wenn er sich kleidete wie Willy Wonka. Heute trug er einen rostbraunen Samtblazer, der an jedem anderen kriminell ausgesehen hätte. Seine Augen hinter einer riesigen Prada-Sonnenbrille verborgen, begrüßte er mich mit einem theatralischen Winken, bevor er mich, an seinem Kaffeebecher nippend, auf der Etage herumführte, die sich allmählich mit Mitarbeitern füllte. Die Buchhalter und Sekretärinnen nickten mir unfreundlich zu, als wir sie passierten.

»Zögere nicht, jede Person samt zugehörigem Gesicht sofort wieder aus deinem Gedächtnis zu löschen und den Platz für Dua Lipas Schönheitsritual zu nutzen, weil nämlich keiner von denen je mit uns spricht oder auch nur unsere Existenz zur Kenntnis nimmt. Man hat uns nach diesem Vorfall letztes Jahr, der nicht erwähnt werden darf, vollkommen unberechtigt und auf brutale Weise aus dem sechsten Stockwerk – sprich der Nachrichtenabteilung – vertrieben.«

Er ließ sich in seinen Chefsessel fallen und fuhr mit den Fingern durch sein rabenschwarzes Haar. »Dadurch wird unsere Arbeit für Couture enorm erschwert, aber wir kommen immer noch zurecht.«

»Was ist passiert?« Ich stützte die Ellbogen auf meinen Knien auf.

»Die obersten Bosse haben jemand Wichtigen verloren.«

»Was hat das mit euch zu tun?«

»Besagte Person war unsere Chefin. Jedes Mal, wenn sie uns ansehen, werden sie an sie erinnert. Weshalb sie uns keines Blickes würdigen.«

Ich fasste nach Grays Hand und drückte sie kurz, als gleichzeitig das letzte Mitglied in unserem Trio zu uns stieß.

»So, damit wäre das Team der Aussätzigen und wegen guten Aussehens Angeklagten komplett.« Sie reichte mir ihre Hand, deren Fingernägel grün und blau lackiert waren. »Ich bin Ava.«

Ich schlug ein. Sie schien wie Gray Ende zwanzig zu sein und verströmte Chic aus allen Poren. Mit ihren mandelförmigen Augen, der gebräunten Haut und den voluminösen Locken – nicht zu vergessen dem roten Lederminikleid und den gelben Vintage-Stiefeln – hätte sie jeder Pop-Prinzessin einen harten Wettkampf geboten.

»Ist verkappte Krankenschwester das stilistische Motto des Tages?« Stirnrunzelnd beäugte sie mein weißes Kleid. Ich öffnete den Mund, um ihr zu erklären, dass mein Modebewusstsein in etwa dem einer Computertastatur entsprach, als ein Grinsen über ihr Gesicht glitt und Grayson an seinem Schreibtisch kopfschüttelnd zu lachen anfing.

»Ein Wickelkleid und Chucks? Echt jetzt?« Sie wischte sich ein paar Tränchen aus den Augenwinkeln.

»Was stört dich mehr, dieses Secondhandteil oder die Schuhe?« Ich zupfte an meiner Unterlippe.

»Eher die Tatsache, dass du aussiehst wie ein kleines Mädchen, das sich im Apfelsaftrausch an Mrs Clintons Kleiderschrank vergriffen hat. Hast du einen Namen?« Ava betrachtete mich von oben bis unten.

»Judith. Aber man nennt mich Jude.«

»Hey, Jude.« Sie zwinkerte mir zu.

»Ich bin sicher, den hat sie noch nie gehört, Av.« Grayson drehte sich auf seinem Stuhl zu seinem Apple-Monitor um und klickte auf das Briefumschlagsymbol.

Als ich ungefähr sieben war, hatten die Kinder in meiner Nachbarschaft entschieden, dass Judith viel zu mädchenhaft für einen Wildfang wie mich sei, und mich in Jude umgetauft. Der Name Judith starb seither eines langsamen Todes, von dem er nur dann röchelnd wiederauferstand, wenn es ein offizielles Dokument auszufüllen galt.

»Jude kann mit der Zunge an ihre Nasenspitze tippen und mit den Achselhöhlen Furzgeräusche machen.«

»Jude bringt uns bei, wie man Skateboard fährt.«

»Jude weiß, wie man Wasserbomben herstellt.«

»Da wir gerade von Störfaktoren reden. Mr Laurent wird heute um drei eine Ankündigung machen. Insofern ist es vielleicht nicht das Schlechteste, dass unsere kleine Reese Witherspoon hier ein geradezu verboten hässliches Kleid trägt.«

Ich funkelte Ava an, worauf sie ihren Kaugummi vor meinem Gesicht platzen ließ. »Er ist ein Lustmolch, aber keine Sorge – sein Sohn hält ihn an der Kandare.«

Die Minuten schleppten sich an diesem wolkenverhangenen Tag voran, sie dehnten sich zu Stunden aus. Ich verbrachte sie mit Recherchen zum Thema Zellulite und den abschreckenden Methoden, ihr mit Kälte, Hitze oder Peelings zu Leibe zu rücken. Um drei erklang ein helles Pling aus Richtung Fahrstuhl. Damit hatte es sich aber auch schon mit der Heiterkeit. Die Zeit schien stehen zu bleiben. Das Klackern der Tastaturen verstummte gleichzeitig mit dem allgemeinen Stimmengewirr und dem Geplärr der Radiosender, das über den Flur schallte. Aus der lastenden Stille, die sich anfühlte, als schwebte ein Fallbeil über meinem Kopf, schloss ich, dass Mr Laurent, der Eigentümer von LBC, eingetroffen war.

Grayson stand von seinem Schreibtisch auf und bedeutete Ava und mir, unser Zellenbüro zu verlassen. Ich wischte mit meinen schweißnassen Handflächen über mein Kleid.

»Die Hauptattraktion ist hier. Hoffen wir mal, dass Laurent senior niemanden betatscht und Laurent junior uns nicht alle feuert, weil er schlecht geschlafen hat.« Mit schwingenden Hüften stolzierte er zum Empfangsbereich.

Ich lachte leise. Also waren die königlichen Hoheiten New Yorks mit Vorsicht zu genießen. Für mich machte das kaum einen Unterschied. Ich bezweifelte, dass sie sich auf dieser Etage oft blicken ließen, geschweige denn hier arbeiteten. Ich hatte viel von dem französischen Mogul Mathias Laurent gehört. Er schien zu wichtig, um sich mit den Sterblichen aus dem fünften Stock abzugeben, die ihre Tage damit zubrachten, Zahlen zu addieren oder Proben neuartiger glutenfreier Parfums zu testen.

Wir betraten das bereits volle Foyer, und mir fiel noch in derselben Sekunde die Kinnlade runter. Meinem Gefühl nach knallte sie wie in einem Zeichentrickfilm auf den Boden, und meine Zunge rollte sich aus wie ein roter Teppich.

Oh mein Gott!

Ich sah regelrecht vor mir, wie er mir mit der Faust drohte und zeterte: »Ich verbiete dir, jedes Mal, wenn du an eine von dir begangene Sünde erinnert wirst, meinen Namen zu missbrauchen.« Er hatte nicht ganz unrecht. Wenn das so weiterging, müsste ich so viele Ave Marias beten, dass ich an meinem dreißigsten Geburtstag noch nicht fertig wäre.

Vor mir stand der sexy Tourist aus Frankreich, der vor drei Wochen höchst unzüchtige Dinge mit meinem Körper angestellt hatte. Er sah noch genauso anbetungswürdig aus wie in jener Nacht – nur sehr viel furchteinflößender.

Célian trug hellgraue, maßgeschneiderte Hosen, ein weißes, tadellos sitzendes Hemd und dazu eine beeindruckend grimmige Miene zur Schau. Er schien drauf und dran, Kyla in Stücke zu reißen und sie an die Umstehenden zu verfüttern. Neben ihm stand ein weißhaariger Mann, der einige Zentimeter kleiner war.

Mathias Laurent hatte schmale, schwarze, kalte Augen – nicht dunkelblaue wie sein Sohn. Doch in ihren Gesichtern stand der gleiche missbilligende Ausdruck, der einem das Gefühl vermittelte, Dreck an ihren Bolvaint-Schuhen zu sein.

Und vermutlich besaßen sie beide die Autorität, jeden Anwesenden auf der Stelle rauszuschmeißen.

»Kommen wir gleich zum Kern der Sache. Eigentlich betrifft dieses Meeting nur die Buchhaltung, aber wir haben beschlossen, Couture miteinzubeziehen, weil dieser Blog die reinste Geldvernichtungsmaschine ist«, begann Célian, ohne seinen eisigen Blick vom Display seines Handys zu nehmen.

Meine Augen rollten nach hinten, meine Knie drohten nachzugeben.

Er hatte einen amerikanischen Akzent. Keinen französischen. Amerikanisch. Klingend. Vertraut. Gewöhnlich. Er stieß seine Sätze in pfeilschnellen Wortketten hervor. Ich hörte ihn, konnte dem, was er sagte, jedoch nicht folgen. Mein Körper stand wie unter Schock, während die Puzzleteile sich zu einem Ganzen zusammenfügten. Der Mann, mit dem ich einen schmutzigen One-Night-Stand gehabt hatte, war mein Boss. Mein verlogener amerikanischer Boss. Und jetzt musste ich irgendwie damit klarkommen – was mir hoffentlich sehr lange gelingen würde, weil ich diesen Job unbedingt brauchte.

Jemand schnippte mit den Fingern, und mein Blick zuckte von Célians Gesicht zu Graysons.

Er zog die Stirn kraus. »Du siehst aus, als müsstest du dich mit aller Macht davon abhalten loszuheulen, oder als hättest du gerade einen echt intensiven Orgasmus. Ich hoffe für dich, dass es Letzteres ist und du dich in einem Zustand spontan hervorgerufener Ekstase befindest. Ist alles okay?«

Ich nickte und rang mir ein Lächeln ab. »Bedaure, aber dieses Kleid ist nicht orgasmustauglich. Ich war nur einen Moment mit meinen Gedanken woanders.« Lügen über Lügen. Schon bei der Erinnerung daran, wie Célian mit seinen großen, rauen Händen meine Schenkel gespreizt und mich auf lustvollste Weise seine Zunge hatte spüren lassen, war ich kurz davor zu kommen.

Plötzlich brach Célians Schimpfkanonade ab, und ich musste feststellen, dass sein Schweigen tatsächlich noch schlimmer war, als ihn in perfektem amerikanischem Englisch sprechen zu hören. Weil seine Eisplattenaugen jetzt wie eine entsicherte Waffe auf mich gerichtet waren.

Ich sah auf und begegnete seinem Blick. Er starrte mich exakt eine Sekunde lang an, bevor er seine Aufmerksamkeit Grayson zuwandte. »Habe ich mich klar ausgedrückt, Gregory?«

Gregory?

»Glasklar, Sir«, antwortete Grayson mit gesenktem Kopf und leicht zitternder Stimme.

Célian wies mit dem Kinn auf mich. »Ihre Covergirls sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.«

Gottverdammter Bastard!

Ich wusste, dass er mich erkannt hatte. Im selben Moment, als unsere Blicke kollidierten, war etwas Dunkles, Heißes in seinen Augen aufgeschimmert und hatte das Eis in ihnen zum Schmelzen gebracht. Er erinnerte sich an mich, und allem Anschein nach setzte ihm meine Anwesenheit genauso sehr zu wie mir selbst.

Ich will meinen iPod zurück, teilte ich ihm wortlos mit. Auf dem Ding waren über dreitausend Songs, jeder einzelne davon zu gut, um ihn an diesen verlogenen Mistkerl zu verlieren.

»Das ist Jude Humphry. Unsere Junior Redakteurin. Es ist ihr erster Tag hier«, klärte Grayson ihn fast flehentlich auf. Er rückte dichter an mich heran, wie um mich vor diesem scharfzüngigen, anzugtragenden Ungeheuer zu beschützen.

Ich unterdrückte ein Lächeln, als mir einfiel, dass ich Célian weisgemacht hatte, mein Nachname sei Spears. Tja, er war ganz eindeutig auch kein Timberlake. Sondern ein Laurent. Ein amerikanischer Kronprinz durch und durch. Ein Milliardär mit großem Einfluss und – unserer einmaligen Begegnung nach zu urteilen – ein waschechter Playboy.

Du hattest Sex mit diesem Mann, kreischte eine innere Stimme. Und das nicht nur ein Mal. Er war so tief in dir, dass du vor Lust geschrien hast. Du erinnerst dich noch an seinen salzigen, erdigen Geschmack. Du weißt, dass er ein Muttermal auf seinem unteren Rücken hat und welche Geräusche er macht, wenn er kommt.

Ich nickte ihm zu, dabei verfluchte ich mich im Stillen mein Gehirn dafür, dass es in aller Öffentlichkeit meinen Slip feucht werden ließ. »Schön, Sie kennenzulernen, Sir.« Meine Wortwahl trieb mir die Schamesröte ins Gesicht, als ich ihm meine Hand hinstreckte.

Und er sie im Beisein aller Anwesenden – es waren mindestens fünfzig – ignorierte. Stattdessen wandte Célian – falls das überhaupt sein Name war – sich seinem Begleiter zu. »Möchtest du noch ein paar weise Worte hinzufügen, Mathias?«

Mathias? So nannte er seinen Vater? Wie kaltblütig war dieser Mann mit den eisblauen Augen?

»Ich denke, du hast alle Themen angesprochen«, entgegnete der große Boss. Er hatte tatsächlich einen schweren französischen Akzent, was den Ursprung von Célians Lüge erklärte. Mathias ließ unverwandt seinen Blick auf mir ruhen, als stünde mir das Geheimnis, das sein Sohn und ich teilten, ins Gesicht geschrieben.

Célian drehte sich zu mir um, öffnete die Manschettenknöpfe seines Hemds und rollte die Ärmel hoch, sodass seine sehnigen Unterarme zu sehen waren. »Die Buchhaltung kann sich wieder an ihre beklagenswerte Arbeit machen. Das Couture-Team ist vom Rest dieses Meetings befreit – wenn auch nicht von der Verantwortung für seinen grauenvollen Blog. Miss Humphry?« Er schnippte ungeduldig mit den Fingern in meine Richtung.

Damit setzte er sich in Bewegung, wohl wissend, dass ich ihm wie ein Hündchen folgen würde, und diese Tatsache zweifellos in vollen Zügen auskostend.

»Ich habe ein Hühnchen mit Ihnen zu rupfen.«

Ich warf Grayson einen hilfesuchenden Blick zu. Seiner besagte: Ich würde dir ja gern den Arsch retten, aber ich hänge zu sehr an meinem Leben.

Meine Chucks trugen mich den schmalen Flur entlang, hinter Célian her. Er drängte sich zwischen den Leuten von der Buchhaltung hindurch, blieb dann vor einem Eckbüro stehen und riss die Tür auf. »Raus!«, bellte er den Mann darin an und befahl mir mit einem Kopfnicken einzutreten. Ich gehorchte. Er schloss die Tür, und wir waren allein.

Mit gerade mal einem Meter Abstand zwischen uns.

Seine Augen kündeten von Krieg.

Was nichts Gutes für mich verhieß, weil er über Bomben verfügte und ich sozusagen nur einen Holzstock zur Verteidigung hatte.

»Was ist mit deinem Akzent passiert?«, fragte ich mit einem künstlichen Lächeln.

»Was ist mit meiner verdammten Kohle passiert?« Er behielt seinen lapidaren Ton bei, doch seinem Grinsen haftete jetzt etwas Sündiges an.

Verlegenheit huschte über mein Gesicht; die unerwartete Begegnung hatte mich so sehr aus der Fassung gebracht, dass mir dieses kleine Detail doch glatt entfallen war.

»Ich habe sie genommen.« Ich schluckte schwer.

»Und ich habe ihn vorgetäuscht.« Er meinte den Akzent.

»Ich zufälligerweise auch.« Ich meinte etwas anderes.

Mir war soeben unsere Wette im Le Coq Tail wieder eingefallen, der zufolge ich Anspruch auf das Geld in seiner Tasche hätte, falls er mich nicht zum Höhepunkt brächte. In Wahrheit war ich nie zuvor so heftig gekommen, doch das würde ich nicht zugeben. Nicht, nachdem er mich ein zweites Mal zum Narren gehalten hatte, indem er einen französischen Akzent vorgaukelte, damit ich nur ja nicht auf den Gedanken verfiele, Telefonnummern austauschen zu wollen.

»Miss Humphry?« Er klackte tadelnd mit der Zunge, als wäre ich ein niedliches Hündchen, das ärgerlicherweise auf seine Zwei-Tausend-Dollar-Schuhe gepinkelt hatte. »Es wird lange dauern, bis du nicht mehr an mich denkst, wenn du am Ende eines langen Arbeitstags einsam unter deiner billigen Bettdecke masturbierst.«

Ich würde ihn umbringen.

Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

Vielleicht nicht heute oder morgen, aber irgendwann ganz bestimmt.

Ich stieß den Atem aus und verschränkte die Arme vor der Brust. »Es tut mir leid, dass ich dich beklaut habe.« Es schmerzte, mich bei ihm zu entschuldigen, aber mein Gewissen verlangte ebenso danach wie mein Beschäftigungsstatus.

Célian starrte durch mich hindurch, als hätte er mich nicht gehört. »Ich erwarte, dass du Schweigen bewahrst über unser kleines …« Er ließ den Blick über meinen Körper gleiten, doch es stand keine Begierde darin, sondern eher der Wunsch, mich loszuwerden.

Ich klimperte mit den Wimpern. »Haben Sie Ihre Zunge verschluckt, Sir?«

»Das trifft es nicht ganz.« Alles um ihn her verblasste angesichts seines Sexappeals, als er sich mit der Schulter gegen die Tür lehnte. »Schließlich kennst du die Geschicklichkeit meiner Zunge sehr gut. Ganz zu schweigen von den Talenten meines Schwanzes, meiner Finger und allem anderen, mit dem ich dich in dieser Hotelsuite zur Ekstase gebracht habe. Ich erspare dir die schmutzigen Details, weil du erstens dabei warst und wir zweitens von jetzt an ausschließlich beruflich miteinander verkehren werden. Verstanden?«

Herr im Himmel, dieser Mund.

»Wenn Sie nicht endlich damit aufhören, meinen Namen zu missbrauchen, Lady, wird das schwerwiegende Konsequenzen haben.«

»Willst du dich nicht ebenfalls entschuldigen?« Ich stemmte die Hände in die Hüften.

»Wofür?« Er klang ernsthaft neugierig.

Wie alt war er? Dreißig? Zweiunddreißig? Jetzt, wo ich nüchtern war und ihn durch einen Nebel aus Zorn und purer Beschämung betrachtete, kam er mir nicht mehr ganz so jung vor.

»Für deine Lügen.« Meine Stimme war höhergerutscht, ich musste mich beherrschen, nicht mit dem Fuß aufzustampfen. »Dafür, dass du einen falschen Akzent vorgetäuscht und behauptet hast, zurück in deine Heimat zu fliegen. Für –«

Er hob die Hand, um meinen Redestrom zu unterbrechen. »Es geht dich zwar nicht das Geringste an, und es wird außerdem auch die letzte persönliche Information über mich sein, die du bekommst. Immerhin bist du jetzt offiziell meine Angestellte und eine rangniedrige noch dazu«, erinnerte er mich kühl. »Aber ich musste tatsächlich einen Flieger erwischen. Nach Florida, um meine Mutter zu besuchen. New York ist nicht mein Zuhause. Frankreich allerdings auch nicht.«

»Und der Akzent?« Ich wünschte, ich könnte ihn mit einem Heftklammergerät niederstrecken und trotzdem meinen Job behalten. Leider würde der Personalleiter da bestimmt nicht mitspielen.

Mit einem wölfischen Grinsen lockerte er seinen Kragen. »Ich stehe auf unkomplizierten, bedeutungslosen Sex.«

»Nein. Du wolltest sicherstellen, dass ich dich nicht nach deiner Nummer frage oder versuche, dir meine zuzustecken.« Ich hatte meine Stimme jetzt nicht mehr unter Kontrolle, und er schien zu ahnen, dass ich kurz davor war, ihm eine zu scheuern.

Er sah mich ausdruckslos an. »Verrückt steht dir nicht, Spears.«

»Du darfst dich glücklich schätzen, weil ich nämlich nicht vorhabe, noch mal irgendetwas mit dir auszutauschen, seien es Telefonnummern, Körperflüssigkeiten oder Nettigkeiten.« Ich drehte mich auf dem Absatz um und wollte schon aus der Tür stürmen, als Célian mein Handgelenk packte und mich festhielt. Die Berührung fuhr mir wie ein elektrischer Schlag bis in den Unterleib, ein weiterer Beweis dafür, dass ich klar bei Sinnen, mein Herz einsam und mein Körper ein mieser Verräter war.

»Sprich mit niemandem darüber«, warnte er mich.

Ich verdrehte die Augen. Als wäre es in meinem Interesse, in einer Pressemitteilung zu verkünden, dass ich mir von meinem Boss das Hirn hatte rausvögeln lassen.

»Ja, Sir.« Ich schüttelte seine Hand ab. »Sonst noch etwas, Sir?«

»Werd ja nicht frech.«

»Andernfalls?«

»Mache ich dir das Leben schwer. Und das mit Freuden. Nicht, weil wir Sex hatten, sondern weil du mein Geld, mein Portemonnaie und meine Kondome gestohlen hast.«

Was Letztere betraf, hatte ich schlicht und einfach vergessen, sie herauszunehmen. Wodurch die ganze Sache noch eine Stufe peinlicher wurde. Mir war klar, dass ich mich auf dünnem Eis bewegte, auf keinen Fall wollte ich erneut im Meer der Arbeitslosen untergehen. Ich beschloss, das Thema zu wechseln.

»Ich habe meinen iPod in dem Zimmer vergessen. Hast du ihn zufällig gefunden?«

»Nein.«

Verflixt. »Darf ich jetzt gehen?«

Er trat einen Schritt zurück. »Ich hoffe, so wenig wie möglich von Ihnen zu sehen, Miss Spears.«

»Zur Kenntnis genommen, Mr Timberlake.«

Auf dem Rückweg zu meinem Zellenbüro schlug ich mir immer wieder mit der Hand auf die Stirn. Schlimmer konnte meine Situation nicht werden, davon war ich überzeugt. Der zukünftige Eigentümer von LBC machte einen stocksauren, hochgradig explosiven und rachsüchtigen Eindruck. Und das alles wegen mir. Ich wusste, er würde mir tunlichst aus dem Weg gehen. Zu meiner Schande bekümmerte mich das, weil sein Duft, seine Stimme, die unerhörten Dinge, die er sagte, mich im gleichen Maße ärgerten wie faszinierten.

Mit dem Plan, mich von Parfumproben betäuben zu lassen, betrat ich meine Wabe, als mir dämmerte, dass ich eine Erklärung würde abgeben müssen. Grayson und Ava saßen mit überschlagenen Beinen nebeneinander und taxierten mich, als wäre ich eine Sondersendung auf dem National Geographic Channel. Fehlte nur noch das Popcorn.

Grayson wies mit dem Daumen in Richtung Aufzug. »Was hatte das zu bedeuten?«

»Nichts –«

Ava fiel mir ins Wort. »Mr Laurent jr., alias Lord Wichsermort, seines Zeichens Nachrichtendirektor und leitender Producer der Hauptnachrichten, meidet jeden Augenkontakt, und erst recht gewährt er niemandem eine Privataudienz.«

Ach nein? Ich bin schockiert.

»Fang besser an zu singen, als wäre dies American Idol und ich Simon Cowell, Mädchen.« Grayson schnipste mit den Fingern und ließ auf seinem Stuhl das Becken kreisen. »Ich will wissen, wie, wann, wo und wie lange. Vor allem die Länge interessiert mich zentimetergenau.«

Wahrscheinlich hatte ich das verdient. Was fiel Célian ein, mich an meinem ersten Arbeitstag herauszupicken und ein Gespräch unter vier Augen mit mir zu führen? Zumal diese beiden hier die einzig netten Menschen im ganzen sechzigstöckigen Gebäude zu sein schienen.