Ein mörderischer Sommer - Joy Fielding - E-Book
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Ein mörderischer Sommer E-Book

Joy Fielding

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Beschreibung

Zwanzig Jahre hat Joanne sich nur der Familie gewidmet. Und jetzt lässt ihr Mann sie einfach mit den Töchtern sitzen. Nur langsam erholt sie sich von ihrem Schock und versucht, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Aber als sie endlich glaubt, ihr Gleichgewicht zurückerlangt zu haben, erhält sie plötzlich mysteriöse Anrufe. Die unheimliche Männerstimme am Telefon kennt offenbar jeden ihrer Schritte. In diesem Sommer muss Joanne um ihr Leben kämpfen...

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Seitenzahl: 511

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Das Buch
Nach zwanzig Jahren Ehe steht Joanne plötzlich mit ihren Kindern allein da. Nur langsam kommt sie über den Schock hinweg, dass ihr Mann sie verlassen hat. Sie nimmt einen Job an, kümmert sich um die beiden Töchter, versucht, sich im Alltag wieder zurechtzufinden. Da zerstört ein mysteriöser Anrufer ihre mühsam zurückgewonnene Balance. Er weiß offenbar über jeden ihrer Schritte Bescheid. Und er ist alles andere als ein harmloser Spinner. In diesem mörderischen Sommer zählt für Joanne bald nur noch eins: Überleben … 
Joy Fielding 
gehört zu den unumstrittenen Spitzenautorinnen Amerikas. Seit ihrem Psychothriller „Lauf, Jane, lauf“ waren alle ihre Bücher internationale Bestseller. Joy Fielding lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Toronto, Kanada, und in Palm Beach, Florida. Weitere Informationen unter www.joy-fielding.de

Joy Fielding

Ein mörderischer Sommer

Roman

Aus dem Amerikanischem von Michaela Grabinger

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »The Deep End« bei Doubleday, New York

Copyright © der Originalausgabe by Joy Fielding, Inc. Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 1996 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Deutsche Übersetzung aus dem Amerikanischen von Michaela Grabinger © 1988 Droemer Knauer Verlag, München

Satz: IBV Satz- und Datentechnik GmbH, Berlin

KA. Herstellung: Sebastian Strohmaier

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur

Umschlagcover: © Fine pic, München

ISBN: 978-3-641-05415-1 V004

www.goldmann-verlag.de

Inhaltsverzeichnis
 
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Für Shannon und Annie

1

Das Telefon klingelt.
Joanne Hunter sitzt am Küchentisch und starrt es an. Sie macht keine Anstalten, aufzustehen und den Hörer abzunehmen, denn sie weiß, wer der Anrufer ist und was er sagen wird. Sie hat es schon oft gehört, sie spürt keinerlei Verlangen, es noch einmal zu hören.
Das Telefon klingelt weiter. Joanne, allein an ihrem Küchentisch, schließt die Augen und versucht, Bilder aus glücklicheren Tagen heraufzubeschwören.
»Mom...«
Joanne vernimmt die Stimme ihrer jüngeren Tochter wie durch einen Tunnel. Langsam öffnen sich ihre Augen. Sie lächelt dem Mädchen in der Türöffnung zu.
»Mom«, wiederholt ihre Tochter, »das Telefon klingelt.« Sie wirft einen Blick auf das weiße Wandtelefon. »Soll ich drangehen?« fragt sie, sichtlich beunruhigt von dem starren Gesichtsausdruck ihrer Mutter.
»Nein«, sagt Joanne.
»Vielleicht ist es Daddy.«
»Lulu, bitte...« Aber es ist schon zu spät. Lulu hat bereits nach dem Hörer gegriffen, führt ihn ans Ohr. »Hallo? Hallo?« Sie schneidet eine Grimasse. »Ist da jemand?«
»Leg auf, Lulu!« befiehlt Joanne in scharfem Ton; dann wird sie sofort freundlicher. »Leg auf, mein Schatz!«
»Warum ruft einer an, wenn er dann nichts sagt?« fragt das Kind schmollend.
Joanne lächelt ihr zu. Laut Geburtsschein heißt ihre Tochter Lana, aber alle außer ihrer Lehrerin nennen sie Lulu. Sie sieht seltsamerweise gleichzeitig jünger und älter aus als eine Elfjährige.
»Ist alles in Ordnung mit dir?« fragt Lulu.
»Alles in Ordnung«, versichert Joanne lächelnd mit beruhigender Stimme.
»Warum tut jemand so was?«
»Ich weiß es nicht«, sagt Joanne wahrheitsgemäß und fährt dann mit einer Lüge fort: »Vielleicht hat sich die Person verwählt.« Was sonst soll sie ihrer Tochter schon erzählen? Daß der Tod am anderen Ende der Leitung sitzt? Daß er nur darauf wartet, durchgestellt zu werden? Sie wechselt das Thema. »Bist du jetzt fertig?«
»Ich hasse diese blöde Uniform«, erklärt Lulu und sieht an sich hinunter. »Warum konnten die nicht was Hübsches aussuchen?«
Joanne betrachtet den kräftigen Körper ihrer Tochter. Lulu ist eher wie ihr Vater gebaut, während Robin, die ältere Tochter, fast die gleiche Figur wie Joanne hat; im Gesicht ähneln beide Mädchen dem Vater. Joanne findet, daß die dunkelgrünen Shorts und das zitronengelbe T-Shirt eigentlich sehr vorteilhaft für ihre Tochter sind und gut zu ihrer hellen Haut und dem mittelbraunen Haar passen. »Lageruniformen sind immer unmöglich«, sagt sie – sie weiß, daß es sinnlos wäre, das Kind vom Gegenteil überzeugen zu wollen. »Aber du siehst richtig niedlich aus«, fügt sie hinzu. Sie muß es einfach sagen.
»Fett sehe ich aus!« widerspricht Lulu. Das hat Robin ihr kürzlich eingeredet.
»Du siehst überhaupt nicht fett aus.« Der Ton in Joannes Stimme kündigt das Ende dieses Themas an. »Ist Robin fertig?« Lulu nickt. »Ist sie immer noch sauer?«
»Die ist doch immer sauer.«
Joanne lacht. Sie weiß, daß es stimmt.
»Wann holt Daddy uns ab?«
Joanne sieht auf ihre Armbanduhr. »Bald. Ich muß mich beeilen.«
»Warum denn?« fragt Lulu ihre Mutter. »Fährst du denn mit?«
»Nein«, sagt Joanne. Ihr fällt ein, daß Paul und sie entschieden haben, es sei besser, wenn Paul die Mädchen allein zum Bus bringt. »Ich habe mir nur gedacht, ich ziehe mich mal um...«
»Für was denn?«
Nervös fährt Joanne mit der Hand über ihr orangefarbenes T-Shirt und die weißen Shorts. Orange ist die Farbe, die Paul am allerwenigsten mag, erinnert sie sich plötzlich. Und die Shorts sind alt; einer der Hosenaufschläge hat einen Fleck, den sie erst jetzt bemerkt. Sie möchte hübsch aussehen für Paul. Sie schaut auf ihre Füße. Die Nägel der großen Zehen sind tiefrot verfärbt. Sie hat in Schuhen, die eine halbe Nummer zu klein waren, Tennis gespielt. Sie überlegt, ob sie nicht geschlossene Sandalen anziehen soll, beschließt aber, es bleiben zu lassen. Wenn Paul ihre Zehen bemerkt, haben sie wenigstens ein Gesprächsthema. Es ist schon einige Wochen her, daß sie zum letztenmal über etwas anderes als über die Kinder geredet haben.
Es läutet an der Tür. Joannes Hand schnellt hoch zu ihrem Haar. Sie hat es heute noch nicht gekämmt. Vielleicht könnte sie, während Lulu die Tür öffnet, nach oben laufen, sich die Haare bürsten, das türkisfarbene Strandkleid, das Paul immer so gut gefiel, anziehen und genau in dem Augenblick in der Diele bei der Eingangstür erscheinen, in dem Paul und die Mädchen das Haus verlassen, so daß er nur einen ganz kurzen Blick auf sie werfen kann – genug, um ihm den Mund wäßrig zu machen, um ihn noch einmal zum Nachdenken zu bringen über das, was er getan hat.
Schon zu spät. Lulu ist an der Tür, da kommt Joanne jetzt nicht mehr vorbei. Eine Hand auf der Türklinke, dreht Lulu sich zu ihrer Mutter um, deren Mund sich automatisch zu einem Lächeln verzieht. »Du siehst hübsch aus, Mom«, versichert Lulu ihr. Sie öffnet die Tür.
Der Fremde, der die beiden begrüßt, ist Paul Hunter, seit fast zwanzig Jahren Joannes Ehemann. Er ist mittelgroß und von normalem Körperbau, aber Joanne bemerkt neue Muskeln, die sich unter seinem blauen, kurzärmeligen Hemd abzeichnen – zweifellos das Ergebnis des seit kurzem regelmäßig betriebenen Gewichthebens. In diesem Augenblick findet sie, daß ihr seine Arme so besser gefallen, wie sie sie immer gekannt hat: eher dünn, nicht so muskulös. Es ist ihr immer schwergefallen, sich an Neues zu gewöhnen. Wahrscheinlich ist dies einer der Gründe, weshalb Paul sie verlassen hat.
»Hallo, Joanne«, sagt er freundlich, einen Arm um ihrer beider jüngste Tochter gelegt. »Du siehst gut aus.«
Joanne versucht etwas zu erwidern, aber die Stimme versagt ihr. Sie fühlt, wie ihre Knie schwach werden, sie hat Angst, jeden Moment zu Boden zu sinken oder in Tränen auszubrechen – oder beides. Aber das will sie nicht. Es würde Paul beunruhigen, und das ist das letzte, was sie möchte. Mehr als alles andere will sie, daß der Mann, mit dem sie seit beinahe zwanzig Jahren verheiratet ist, sich in seinem eigenen Haus wohl fühlt, denn sie hofft noch immer, daß er sich zur Rückkehr entschließt. Schließlich ist noch überhaupt nichts endgültig entschieden. Es ist erst zwei Monate her. Er ist noch dabei, »über alles nachzudenken«. Noch ist sie erst in der Vorhölle, und ihre Zukunft ist dort, wohin seine Entschlüsse sie beide letztlich führen werden.
»Wie geht es dir denn so?« fragt er. Seine Gegenwart füllt den ganzen Raum aus.
»Gut«, lügt Joanne, wissend, daß er ihr glauben wird, denn es ist genau das, was er glauben will. Er wird nicht die Sehnsucht in ihren Augen sehen und nicht das Zittern ihrer Stimme hören – nicht weil er ein grausamer Mensch ist, sondern weil er sich fürchtet. Er hat Angst davor, in ein Leben zurückgeschleift zu werden, das er nicht mehr führen will. Und er hat Angst, weil er nicht weiß, durch was er dieses Leben ersetzt sehen möchte.
»Was ist denn mit deinen Zehen passiert?« fragt er.
»Mom hat in zu kleinen Schuhen Tennis gespielt«, antwortet Lulu für sie.
»Sie sehen sehr wund aus«, stellt Paul fest. Joanne bemerkt erst jetzt, wie braun er ist, wie ausgeruht er wirkt.
»Sie tun aber überhaupt nicht weh«, sagt Joanne, der Wahrheit entsprechend. »Bevor sie rot wurden, hatte ich Schmerzen, aber jetzt sind sie taub.« Joanne denkt, dies wäre wahrscheinlich auch eine gute Beschreibung ihres Lebens, aber sie sagt es nicht laut. Statt dessen lächelt sie und überlegt, ob sie Paul ins Wohnzimmer bitten und Platz nehmen lassen soll.
Paul sieht auf seine Uhr. »Wir müssen bald los«, sagt er locker, als ob es ihm im Grunde egal wäre, wann sie aufbrechen. »Wo ist Robin?«
»Ich hole sie«, macht Lulu sich erbötig und verschwindet die Treppe hinauf, läßt die Eltern allein auf einem unsichtbaren Seil, läßt sie ohne die Sicherheit, die ihre Anwesenheit ihnen gäbe.
»Möchtest du eine Tasse Kaffee?« fragt Joanne, während sie Paul durch die Diele in die große, helle Küche folgt.
»Besser nicht.« Er geht zur gläsernen Schiebetür, die die Südwand der Küche bildet, und starrt in den Garten hinaus.
»So ein Saustall!« sagt er kopfschüttelnd.
»Man kann sich daran gewöhnen«, erklärt Joanne, und ihr wird bewußt, daß es ihr bereits gelungen ist.
Der »Saustall«, den Paul angesprochen und an den Joanne sich gewöhnt hat, bezieht sich auf eine große, leere, mit Beton ausgekleidete, bumerangförmige Baugrube, die ihr neuer Swimmingpool werden sollte. Paul hat ihn entworfen (obwohl er von Beruf Rechtsanwalt ist) und versucht, aus der zur Verfügung stehenden Fläche den größtmöglichen Schwimmbereich herauszuholen. Ursprünglich sollte er eine Art Ersatz für den Sommerurlaub sein – oder, wie der Mann von Rogers Pools sich noch einige Tage, bevor seine Firma pleite ging, ausdrückte: »Ihr Sommerhäuschen ohne den lästigen Verkehr.«
»Ich unternehme wirklich alles, damit das Ding endlich fertiggebaut wird«, sagt Paul.
»Davon bin ich überzeugt.« Joanne lächelt. Er soll ihr glauben, daß sie weiß, es ist nicht seine Schuld. »Was soll man schon machen?« Sie zuckt mit den Achseln.
»Schließlich war es meine Idee.«
»Ich schwimme ja sowieso nicht«, erinnert sie ihn.
Er wendet sich vom Fenster ab. »Wie geht es deinem Großvater?«
»Immer gleich.«
»Und Eve?«
»Immer gleich«. Sie lachen beide.
»Noch mehr von diesen Anrufen?« fährt er nach einer kurzen Pause fort.
»Nein.« Sie lügt, weil sie weiß, daß eine gegenteilige Antwort ihn bloß reizen würde. Er wäre dann gezwungen, das zu wiederholen, was er ihr schon oft gesagt hat: daß alle Leute Telefonanrufe von Verrückten bekommen, daß sie sich in keinerlei Gefahr befindet, daß sie, wenn sie sich wirklich Sorgen macht, noch einmal die Polizei anrufen soll oder, noch besser, Eves Mann, Brian. Er ist Polizeisergeant und wohnt im Nebenhaus. Das alles hat er ihr schon oft gesagt. Er hat ihr außerdem gesagt – und zwar so vorsichtig wie möglich -, er finde, sie zeige eine Überreaktion und übertreibe höchstwahrscheinlich, was möglicherweise gar nicht ihre Absicht sei, sondern eine Methode, mit der sie ihn an sich binden wolle, indem sie ihm die Verantwortung für sie aufbürde, die er ja gerade erst abgelegt habe, zumindest für eine bestimmte Zeit. Er hat nicht, wie ihre Freundin Eve es getan hat, die Ansicht geäußert, die Anrufe seien Produkt ihrer Phantasie, dies sei ihre Art, mit der augenblicklichen Situation fertig zu werden. Joanne versteht diese Theorie von Eve nicht, aber Eve ist eben nicht nur ihre beste Freundin, sondern auch Psychologin. Und was ist Joanne? Joanne ist »getrennt lebend«.
Getrennt, wiederholt Joanne in Gedanken, während sie Paul folgt, der in die Diele zurückgeht. Eine ausgesprochen treffende Beschreibung. Fast ein bißchen schizophren. Getrennt, fährt es ihr durch den Kopf, wie ein Ei.
An der Treppe warten schon die Mädchen. »Habt ihr alles?« fragt ihr Vater.
Joanne starrt die Töchter an, sucht in den jungen Frauen, die sie jetzt sind, nach Spuren jener Kinder, die sie einst waren. Lulu hat sich seit dem frühen Kindesalter am wenigsten verändert, denkt Joanne; ihre großen braunen Augen – von ihrem Vater geerbt – sind immer noch der Blickfang in ihrem Gesicht, alles übrige darin dient diesen Augen nur als Hintergrund. Wenn auch die Babybacken flacher geworden sind und dem Gesicht nun etwas Jugendliches geben, wenn auch die Lippen jetzt zu einem beinahe schwulstigen Schmollmund geschwungen sind und die Nase eine ausgeformte Nase ist, nicht nur ein winziges Stück aufgewölbtes Fleisch in der Mitte ihres Gesichts, so sind die Augen doch die gleichen geblieben. Um diese Augen herum ist sie groß geworden.
Robin sieht anders aus, obwohl auch sie die Stupsnase und den eckigen Unterkiefer ihres Vaters hat. Erst jetzt, mit fünfzehn, beginnt sie sich einen Weg aus der häßlichen Schale zu picken, mit der die Pubertät jeden Menschen umschließt, jene Schale, von der Lulu noch umgeben wird. Dementsprechend paßt im Moment nichts so recht zusammen, die Beine sind zu lang, der Rumpf zu kurz, der Kopf zu groß. In ein oder zwei Jahren, denkt Joanne, wird Robin schön sein, ein eleganter Schwan, der sich aus einem häßlichen Entlein entwickelt hat. Seltsamerweise ist Robins Aussehen zur Zeit – anders als in Joannes Jugend – »in«. Entsprechend zieht sie sich an, sogar jetzt. Den Eindruck der Bravheit, den ihre Lageruniform hervorruft, hat sie verwischt, indem sie ihre Shorts keß mit einem Chiffonschal von schreiendem Rosa gegürtet und ihrem Haar eine Superdauerwelle angedeihen lassen hat. Ihre Augen – ganz normale haselnußbraune Augen wie die ihrer Mutter – starren trotzig auf den Boden.
»Ich warte im Auto«, sagt Paul, öffnet die Haustür und geht hinaus in das helle Sonnenlicht.
Joanne lächelt ihre Töchter an. Sie fühlt, wie ihr Herz gegen ihren Brustkorb zu schlagen beginnt. Ihr wird bewußt, daß sie in wenigen Minuten zum erstenmal völlig allein sein wird. Ihr ganzes bisheriges Leben hat sie mit anderen Menschen - für andere Menschen gelebt. Aber die nächsten zwei Monate hindurch wird sich niemand um sie kümmern als sie selbst.
»Mach dir keine Sorgen, Mom«, beginnt Lulu, bevor Joanne das Wort ergreifen kann. »Die Platte kenne ich auswendig: Ich werde aufpassen, ich werde mich auf nichts Gefährliches einlassen, ich werde mindestens einmal in der Woche schreiben, und ich werde daran denken, daß ich essen muß. Habe ich irgendwas vergessen?«
»Was ist mit dem Spaßhaben?« fragt Joanne.
»Ich werde Spaß haben«, stimmt Lulu ihr zu und schlingt die Arme um den Hals ihrer Mutter. »Und wie ist das mit dir?«
»Mit mir?« fragt Joanne. Sie streicht ihrer Tochter ein paar widerspenstige Haare aus der Stirn. »Ich werde die Zeit so richtig genießen.«
»Versprichst du das?«
»Ich verspreche es.«
»Nun, irgendwie findet sich alles«, sagt Lulu so ernsthaft, daß Joanne sich die Hand vor den Mund legen muß, um das aufkommende Lächeln zu verbergen.
»Von wem hast du das denn?«
»Du sagst das«, antwortet Lulu, »und zwar andauernd.«
Jetzt wird Joannes Grinsen so breit, daß ihre Hand es nicht mehr verbergen kann. »Heißt das, du hörst tatsächlich zu, wenn ich etwas sage? Kein Wunder, daß du so gescheit bist.« Sie küßt Lulu so oft, wie diese es sich gefallen läßt, und schaut ihr dann nach, wie sie die Stufen zu Pauls Auto hinunterläuft. Sofort ist Robin an der Tür und will ihr nachrennen. »Wirst du nicht wenigstens versuchen, ein bißchen Spaß zu haben?« fragt Joanne.
»Aber natürlich. Ich werde es so richtig genießen«, erklärt Robin spitz, ihre Mutter nachäffend.
»Ich glaube, du wirst schon noch einsehen, daß wir die richtige Entscheidung getroffen haben...«
»Du hast diese Entscheidung getroffen«, berichtigt Robin sie, »nicht ich.«
»Ich habe eben deinen Vater und mich gemeint«, fährt Joanne fort. Ihr wird plötzlich bewußt, daß sie noch nie in ihrem Leben eine größere Entscheidung ganz allein getroffen hat. »Wir brauchen alle ein bißchen Zeit, um uns zu beruhigen und noch einmal alles zu überdenken...«
»So wie du und Daddy das machen?« fragt Robin mit gerade so viel Höflichkeit, daß Joanne überlegt, ob die in dieser Bemerkung mitklingende Grausamkeit beabsichtigt ist oder nicht.
»Ja, wohl so. Auf jeden Fall«, stottert sie, »versuche doch einfach, das Beste aus der Sache zu machen. Vielleicht wird dir dieser Sommer noch sehr gut gefallen.« Obwohl du dir dabei selbst im Weg stehst, denkt sie.
»Klar«, murmelt Robin.
»Darf ich dir einen Abschiedskuß geben?« Joanne wartet die Erlaubnis ihrer Tochter ab, wertet deren stummes Achselzucken als Aufforderung, umarmt das Mädchen und küßt seine mit Rouge geschminkten Wangen. Robin führt eine Hand ans Gesicht, um das Make-up, das ihre Mutter möglicherweise verwischt hat, wieder in Ordnung zu bringen. Oder wischt sie meinen Kuß weg? überlegt Joanne, und sie sieht Robin als Kind vor sich, Robin, die unerwünschte Küsse immer trotzig wegwischte. »Sei vorsichtig!« ruft sie ihrer älteren Tochter nach und sieht zu, wie sie die Stufen hinunterspringt und auf dem Rücksitz im Wagen ihres Vaters verschwindet.
Paul steigt aus dem Auto und richtet den Blick auf das Haus. »Ich rufe dich an.« Er winkt seiner Frau zu, bevor er wegfährt.
 
Das Telefon klingelt, als Joanne das Haus wieder betritt. Sie ignoriert es, geht an ihm vorbei durch die Küche, bückt sich, um die Glastür unten zu entriegeln, öffnet ein zusätzliches Schloß nebenan und schiebt die Tür auf. Sie macht einen Schritt hinaus auf die vor kurzem erbaute Veranda, der noch der letzte Farbanstrich fehlt, und steigt die Stufen, die zum Pool führen, hinab. Langsam – hinter ihr klingelt immer noch das Telefon – läßt sie sich auf eine der zartrosafarbenen Steinplatten nieder, die die betonierte Baugrube umgeben, und läßt ihre Füße dort hineinhängen, wo eigentlich das tiefe Ende des Pools sein sollte. Es ist schwierig, echtes Mitleid für eine Frau aufzubringen, die einen Swimmingpool hat, denkt sie, wirft einen Blick hinauf zum Nachbarhaus und entdeckt ihre beste Freundin, Eve, die vom Schlafzimmerfenster aus zu ihr herunterschaut.
Joanne hebt die Hand und winkt, aber die schemenhafte Figur zieht sich plötzlich zurück und ist verschwunden. Joanne beschattet ihre Augen mit der Hand, während sie versucht, ihre Freundin wieder ausfindig zu machen. Aber Eve ist nicht mehr da, und Joanne fragt sich, ob sie überhaupt je da war. In letzter Zeit spielt ihre Phantasie ihr Streiche...
(»Ich sage ja gar nicht, daß du keine Anrufe von jemandem erhältst«, hört sie Eve sagen.
»Was sagst du denn dann?«
»Manchmal spielt einem die Seele Streiche...«
»Hast du mit Brian darüber gesprochen?«
»Natürlich«, sagt Eve, plötzlich abblockend, »schließlich hast du mich darum gebeten, oder? Er sagt, jeder Mensch bekommt obszöne Anrufe, und du sollst einfach immer sofort auflegen, wenn der Typ dich belästigt.«
»Ich bin mir ja nicht einmal sicher, ob es überhaupt ein Mann ist! Es ist eine so komische Stimme. Ich kann nicht sagen, ob sie alt oder jung klingt, männlich oder weiblich...«
»Aber natürlich ist es ein Mann«, erklärt Eve rundheraus. »Keine Frau würde eine andere Frau mit obszönen Anrufen belästigen.«
»Es ist viel schlimmer als obszöne Anrufe! Er sagt, er wird mich umbringen! Er sagt, daß ich die nächste sein werde! Warum starrst du mich so an?«
Eve will schon gegen diesen Vorwurf protestieren, ändert ihre Meinung aber plötzlich. »Ich habe mich nur gerade gefragt, ob die Anrufe anfingen, bevor Paul wegging oder danach«, gesteht sie und versucht, ihren Verdacht durch ein mitfühlendes Lächeln abzumildern.)
Genau das fragt sich auch Joanne, und verzweifelt bemüht sie sich, die Ereignisse der letzten Monate in eine zeitliche Ordnung zu bringen. Aber wie ein Kind, das sich in dem ewigen Rätsel vom Huhn und dem Ei verfangen hat, ist sie unfähig, herauszufinden, welches Geschehnis sich vor welchem ereignete.
Alles, was sie weiß, ist, daß sich in den letzten Monaten ihr ganzes Leben umgedreht hat, daß sie an ihren Füßen von der Decke herabhängt und zusieht, wie vertraute Dinge ihr entgleiten, plötzlich verzerrt und fremd erscheinen. Da ist nichts, wonach sie greifen kann, da sind keine Arme, die sie zurück in Sicherheit ziehen. Irgendwie findet sich alles, hört sie Lulu sagen. Die Tochter gebraucht absichtlich dieselbe Floskel, die Joanne früher so oft verwendete und mit der, sie erinnert sich, ihre eigene Mutter ihr immer in den Ohren lag.
Joanne steht auf. Sie registriert, daß das Telefon nicht mehr klingelt. Sie geht um den Pool herum zum seichten Teil des unfertigen Beckens und steigt die drei Stufen in die Baugrube hinunter. Vielleicht bin ich verrückt, denkt sie, und sie beschließt, dies als die einfachste Lösung ihrer Probleme zu betrachten.

2

Joanne erinnert sich: Als Eve vor zwei Monaten an der Haustür erschien, hatte kurz zuvor das Telefon geklingelt. »Hallo?« sagte Joanne in die Muschel hinein, mehr eine Feststellung als eine Frage. »Hallo. Hallo?« Sie zuckte mit den Achseln und legte auf. »Kinder«, murmelte sie. Noch einige Minuten später, als sie Eve ins Haus bat, war sie so verwundert, daß sie immer wieder den Kopf schüttelte.
»Fertig?« fragte Eve.
»Ich muß nur noch meinen Schläger finden.« Joanne öffnete den Wandschrank in der Diele. »Hier irgendwo habe ich ihn vergraben, glaube ich.«
»Also beeil dich! Soviel ich gehört habe, ist der neue Trainer prima, und ich möchte nicht eine Minute von unserer Stunde versäumen.«
»Ich weiß einfach nicht, warum ich mich von dir zu solchen Sachen überreden lasse.«
»Weil du dich von mir schon immer zu allem hast überreden lassen. Das macht einen Teil deines Charmes aus.«
Joanne, unter den ordentlich aufgereihten Frühlingsmänteln der Familienmitglieder hockend, unterbrach ihre Suche für einen Augenblick und wandte ihr Gesicht der Frau zu, die seit fast dreißig Jahren ihre Freundin war. »Kannst du dich erinnern, was meine Mutter früher immer gesagt hat?« Eves verständnisloser Gesichtsausdruck verriet, daß sie sich nicht erinnern konnte. »Sie hat mich immer gefragt: >Wenn Eve dir sagen würde, du sollst von der Brooklyn Bridge springen, würdest du das tun?‹«
Eve lachte. »Wenigstens hat sie nicht um zwei Uhr früh alle deine Freunde angerufen, um zu erfahren, wo du warst, und sie ist nie runtergekommen, >um die Wasserleitung zu reparieren<, wenn du mit einem Jungen im Hobbykeller warst.«
»Ich war nie mit irgendwelchen Jungen im Hobbykeller«, erklärte Joanne und setzte ihre Suche fort.
»Ja, ich weiß. Du warst immer so widerlich brav.« Sie sah in Richtung Küche. »Der Pool scheint ja gewaltige Fortschritte zu machen. Ich halte mich von meinem Schlafzimmerfenster aus auf dem laufenden darüber.«
»Na ja, der Mann sprach von zehn Tagen bis zwei Wochen, allerhöchstens, und es sieht so aus, als ob sie diesen Termin einhalten würden. Ich habe ihn!« rief sie und zog den Schläger triumphierend aus den Niederungen des Schranks. »Ich sage nur den Männern schnell noch, daß ich weggehe.«
»Mach schnell, sonst kommen wir zu spät!«
»Immer hast du es so eilig«, meinte Joanne lachend, lief in die Küche und öffnete die Schiebetür, um den Arbeitern mitzuteilen, daß sie das Haus für einige Stunden verlassen werde.
»Und du hast immer die Ruhe weg«, erwiderte Eve, als Joanne zurückkam. »Um dich in Bewegung zu bringen, braucht man eine Stange Dynamit.«
»Deshalb sind wir schon so lange gute Freundinnen. Wenn wir beide so wären wie ich, würden wir zu überhaupt nichts kommen. Und wenn wir beide so wie du wären, würden wir uns gegenseitig in die Luft jagen.«
Es ist wahr, dachte Joanne während der Autofahrt zum Fresh Meadows Country Club. Sie hatte ihre älteste und beste Freundin in der siebten Klasse kennengelernt, mit zwölf Jahren. Schon damals war Eve etwas Besonderes gewesen, ein schlaksiger Rotkopf mit ansteckendem Kichern und einem befehlenden Ton in der Stimme.
»Ich brauche noch jemanden, der den Labortisch mit mir zusammen benutzt«, hatte Eve eines Morgens in der Schule verkündet und Joanne zu verstehen gegeben, daß sie diejenige war. Joanne hatte kein Wort gesagt, so erstaunt, so überwältigt war sie, daß das beliebteste Mädchen der Klasse ausgerechnet sie erwählt hatte. »Bist du immer so still?« hatte Eve sie später gefragt, als der Lehrer gerade tote Frösche zum Sezieren austeilte.
»Ich habe Angst«, hatte Joanne geflüstert, und als der plumpe, leblose Körper eines Frosches vor ihr auf den Labortisch gelegt wurde, hatte sie nur noch gehofft, ihr werde nicht schlecht werden.
»Angst vor einem toten Frosch?« Eve hatte ihn lässig zu sich hinübergeschnippt.
»Ich glaube nicht, daß ich das kann.«
»Du mußt ja nicht«, hatte Eve, offensichtlich hocherfreut, ihr versichert. »Ich mache das schon. Ich mag dieses Zeug, Blut und Eingeweide. Das ist toll. Wenn ich ein Junge wäre, würde ich Arzt werden, wenn ich erwachsen bin.«
Sie machte eine kurze Pause und musterte ihre neue Laborpartnerin so unverhohlen, als wäre diese, und nicht der Frosch, das Objekt der Sektion. »Warum sagst du nie was im Unterricht? Man merkt ja gar nicht, daß es dich gibt.«
»Warum hast du mich als Laborpartnerin ausgesucht?« fragte Joanne statt einer Antwort.
»Eben weil du nie was sagst und keiner merkt, daß du überhaupt da bist.« Eve lächelte listig. »Ich will immer im Mittelpunkt stehen.«
Sie wurden unzertrennliche Freundinnen; selten sah man die eine ohne die andere. »Wenn Eve dich bitten würde, von der Brooklyn Bridge zu springen, würdest du es tun?« wurde Joanne manchmal von ihrer Mutter gefragt.
Wahrscheinlich würde ich es tun, dachte Joanne, während Eve in den überfüllten Parkplatz einbog. »Dort drüben ist noch was frei. Da rechts.«
Automatisch fuhr Eve nach links. Joanne lachte. Dreimal hatte ihre Freundin zur Fahrprüfung antreten müssen, bevor sie den Führerschein bekam. »Ist das nicht Karen Palmer?«
»Wo?« Eve fuhr haarscharf an dem Auto vorbei, neben das sie einparken wollte, und krachte gegen die hintere Stoßstange eines nagelneuen Mercedes.
»Da drüben. Jetzt geht sie gerade rein. Sie sieht aus wie Karen, aber irgend etwas ist anders.«
»Mein Gott, sie hat ja einen Busen!«
»Was?«
»Sie hat sich das Gesicht liften und bei dieser Gelegenheit gleich den Busen vergrößern lassen. Wer hätte Karen Palmer je mit wippenden Titten gesehen?«
»Warum hat sie das wohl machen lassen?« fragte Joanne, während sie zum Clubhaus gingen.
»Ihr Mann hat immer schon auf Busen gestanden«, erzählte Eve. »Hast du noch nie bemerkt, wie er einem auf die Brust starrt, wenn er sich mit einem unterhält?«
Sie verstauten ihre Taschen in den Spinden und gingen zu den Tennisplätzen.
»Ist der Busen denn so wichtig?« überlegte Joanne laut.
Eve zuckte mit den Achseln. »Für manche Männer schon. Brian zum Beispiel ist ein Arsch-Typ. Habe ich dir schon erzählt, was er kürzlich nachts gemacht hat?«
»Erspare es mir«, unterbrach sie Joanne. »Ich will es gar nicht wissen.«
»Du bist eine Spielverderberin. Nie willst du, daß ich dir was erzähle.«
»Es wäre mir peinlich, Brian ins Gesicht zu sehen, nachdem ich alle Details eures Geschlechtslebens erfahren habe.«
»Sein Gesicht ist noch nicht das Beste an ihm, das kannst du mir glauben.«
»Eve!«
»Joanne!« äffte Eve sie nach.
»Eve und Joanne?« fragte ein großer, muskulöser Mann. »Ich bin Steve Henry, der neue Trainer.«
»Es gibt also doch einen Gott«, flüsterte Eve, als sie und Joanne ihre Positionen am Netz einnahmen.
»Na, wie findest du ihn?«
»Scheint ein guter Lehrer zu sein.«
»Das ist nicht genau das, was ich gemeint habe«, erklärte Eve ihrer Freundin mit einem vielsagenden Augenzwinkern.
»Auf diese Art schaue ich mir Männer nie an«, sagte Joanne. Ihr Gesichtsausdruck schwankte zwischen einer finsteren Miene und einem Lächeln.
»Nun, dafür hat er sich dich um so mehr angeschaut.«
»Du meinst, er hat sich meine miese Rückhand angeschaut. Wenn ich die zwei Wörter ›Voll durchziehen!‹ noch ein einziges Mal höre, fange ich zu schreien an.«
»Dein Hinterteil hat er sich angeschaut, nicht deine Rückhand, und das weißt du auch.«
»Der flirtet eben mit jeder. Außerdem glaubt er bestimmt, sich an ältere Frauen ranzumachen gehört zu seinem Job.«
»An mich hat er sich nicht rangemacht.«
»Dein Hintern hängt noch nicht tief genug.«
»Nein, ich habe nicht deine Beine.«
»Und ich habe nicht dein Mundwerk. Hör auf, du machst mich verlegen.«
»Warum machst du dich immer schlechter, als du bist?« fragte Eve plötzlich ganz ernst.
»Ich betrachte meine eigenen Grenzen eben realistisch.«
»Was soll das denn heißen?« fragte Eve. »Schau dich doch mal an! Außer einem Schuß Selbstvertrauen und meinetwegen ein paar blonden Strähnchen fehlt dir nicht das geringste.«
Joanne fuhr sich verlegen durch das hellbraune Haar. »Nur daß ich fünf Pfund abnehmen und meine Tränensäcke loswerden und mir die Zähne richten lassen muß.«
»Sprich doch mal mit Karen Palmer. Ihr Mann ist Zahnarzt. Und wenn du schon dabei bist, kannst du sie gleich fragen, wer ihr den Busen gemacht hat.«
»Frag sie doch selber; sie steht direkt hinter dir.«
»Hi«, wurden die beiden von einer unendlich überrascht wirkenden Frau begrüßt. »Habt ihr schon von dem neuesten gräßlichen Mord in Great Neck gehört?«
»Schon der dritte dieses Jahr«, ergänzte Eve. »Und welch ein M. O. – modus operandi -, wie mein Mann sagen würde! Ich habe immer geglaubt, wir sind nach Long Island gezogen, um in Sicherheit zu leben!«
»Die arme Frau – erst erdrosselt und dann in Stücke gehackt!« In Karen Palmers Stimme schwang etwas Unheimliches mit, während sie sich in das Thema immer mehr hineinsteigerte. »Könnt ihr euch vorstellen, was in ihr vorgegangen sein muß in diesen letzten schrecklichen Augenblicken? Das Entsetzen, das sie gepackt haben muß?« Ihre Augen wurden größer und größer, als ob sie die Szene vor Augen hätte. »Jim ist da mal an einen Pornofilm rangekommen. Angeblich war es so ein ›Abkratz‹-Film, ihr wißt schon, diese Filme, in denen irgendein armes Mädchen vor laufender Kamera tatsächlich umgebracht wird – und ich schwöre euch, man konnte ihre Angst beinahe schmecken...«
»Müssen wir eigentlich über so etwas sprechen?« unterbrach Joanne.
»Sie versteht keinen Spaß.« Eve lächelte die aus dem Rhythmus gekommene Karen Palmer an. »Nie läßt sie einen die guten Sachen erzählen.«
Karen zuckte mit den Achseln. »Habt ihr gerade eine Trainerstunde gehabt?« fragte sie, um auf ein weniger delikates Thema zu sprechen zu kommen.
»Der neue Trainer ist ganz geil auf Joanne.« Eve lachte, während sie ihre Handtasche aus dem Spind nahm und die Tür zuschlug.
»Oh, den würde ich mir aber nicht entgehen lassen, wenn ich du wäre«, empfahl Karen unverhohlen genüßlich.
»Genau das ist ihr Problem«, erklärte Eve. »Sie läßt ihn sich entgehen.«
»Sehr lustig!« meinte Joanne. Sie fühlte, wie sie errötete.
»Sie wird rot«, neckte Eve sie. »Kein Rauch ohne Feuer...«
»Der ist doch kaum zwanzig...«
»Ein Mann in den besten Jahren.«
»Er ist neunundzwanzig«, wußte Karen zu berichten.
»Über die besten Jahre hinaus«, klagte Eve. »Trotzdem – nicht schlecht.«
»Ihr seid beide verrückt«, erklärte Joanne scherzhaft, als sie zu dritt das Clubhaus verließen und auf den Parkplatz hinausgingen. »Ihr zwei habt doch Männer, die vollkommen in Ordnung sind.«
»In Ordnung, ja«, sagte Eve, »aber weit davon entfernt, vollkommen zu sein.« Plötzlich wandte sie sich an Karen, die sie überrascht ansah. »Zu welchem Friseur gehst du zur Zeit eigentlich?« fragte sie und versuchte, den Blick nicht auf Karens neu gestrafften Oberkörper zu richten, was ihr aber nicht ganz gelang.
Karen Palmer lächelte. »Zu Rudolph’s. Da gehe ich schon seit Jahren hin.«
»Ich muß unbedingt einen neuen Friseur finden«, sagte Eve mit Pokerface. »Ich habe die Nase voll von homosexuellen Friseuren. Du sagst ihnen, sie sollen dich so frisieren, daß du sexy aussiehst, und dann machen sie einen Jungen aus dir!« Sofort richteten sich alle Blicke auf Karens Busen. »Also, es war nett, dich mal wieder zu sehen.«
Sie schauten zu, wie Karen in ihren Corvette stieg und dabei mit den Brüsten gegen die Tür stieß. »Den Dreh hab’ ich noch immer nicht ganz raus«, erklärte sie verlegen. »Aber es hat sich gelohnt«, fügte sie hinzu, während sie den Motor anließ, »und wenn es nur für Jims Lächeln jeden Morgen wäre.«
»Jetzt erzähle ich dir mal, was Brian zum Lächeln bringt«, sagte Eve, als Joanne und sie bei ihrem Wagen ankamen.
»Entschuldigen Sie, Mrs. Hunter!« ertönte eine Männerstimme vom anderen Ende des Parkplatzes her. Joanne hob den Blick und sah den neuen Tennistrainer mit langen, lässigen Schritten auf sie zulaufen.
»Ein Traum in Weiß«, spöttelte Eve.
»Das haben Sie auf dem Platz vergessen«, sagte er, als er bei den Frauen angekommen war, und holte einen Schlüsselbund aus seiner Gesäßtasche.
»Oh, um Gottes willen, danke schön. Immer lasse ich solche Sachen irgendwo liegen.« Joanne fühlte die Röte über ihr Gesicht bis auf die Kopfhaut kriechen, als sie ihre Hausschlüssel aus der Hand des Tennislehrers entgegennahm.
»Bis nächste Woche.« Er lächelte und war verschwunden.
»Mrs. Hunter ist ganz rot«, lachte Eve, als sie einstiegen.
»Mrs. Hunter fährt jetzt nach Hause und stellt sich unter die Dusche.«
»Meinst du, du kannst deine Schamhaftigkeit wegwaschen?« witzelte Eve.
»Es macht dir wirklich Spaß, mich in Verlegenheit zu bringen, was?« fragte Joanne gutmütig.
»Jawohl, es macht mir Spaß«, gab Eve zu, und beide Frauen begannen zu lachen. »Es macht mir wahnsinnigen Spaß!«
 
Das Telefon klingelte, als Joanne gerade aus der Dusche kam. »Verdammt«, murmelte sie, wickelte ein Badetuch um ihren nassen Körper und lief zum Apparat neben dem Bett. »Hallo?« Niemand antwortete. »Hallo... hallo?« Sie sah zu, wie die Tropfen in einer Spur an ihrem linken Bein entlangliefen und in dem weichen beigen Teppichboden unter ihren Füßen versickerten. »Zum letztenmal... hallo?«
Angewidert legte sie den Hörer auf. »Adieu«, sagte sie. Ihr Blick fiel auf einen der Arbeiter im Garten, der gerade unter dem Fenster vorbeiging. Er sah hinauf und starrte sie an, ließ aber nicht erkennen, ob er sie wirklich bemerkt hatte. Sofort duckte sie sich unter das Fensterbrett. Hatte er sie gesehen? Nein, dachte sie, während sie zum Bad zurückkroch. Sie hatte ihn sehen können, er sie jedoch nicht.
Der Gedanke, daß sie jemanden beobachtet hatte, der davon nicht das geringste wußte, ließ Joanne einen Augenblick lang erschauern. Sie erreichte das Bad und sah sofort nach, ob die Jalousien auch wirklich richtig heruntergelassen waren. Erst dann richtete sie sich auf. Das Badetuch fiel von ihr ab und glitt auf den gefliesten Boden.
Sie sah ihren nackten Körper im großen Spiegel und wandte den Blick instinktiv ab. Sie hatte sich noch nie gerne nackt betrachtet, auch nicht bevor die Jahre und die Schwangerschaften ihrem Körper mehr – besonders an ganz bestimmten Stellen – oder weniger zugesetzt hatten. Sie dachte an Karen Palmer, die ein paar Jahre älter war als sie und ihren Körper und ihre Psyche auf Biegen und Brechen dem Skalpell eines Chirurgen unterworfen hatte. Und für was? Für ihren Mann? Für ihre eigene Eitelkeit? Wie fühlte sich diese Frau, wenn sie sich jeden Tag selbst im Spiegel überraschte, jedes Jahr mit einem neuen Modell, wie eine neue Autoserie?
Plötzlich fühlte Joanne sich zu dem Wandspiegel hingezogen; ihr Blick richtete sich auf ihr Gesicht. Das Älterwerden ist ein so erstaunlicher Prozeß, dachte sie. Ihre Finger krochen hoch und strichen die kleinen Falten an ihren Augen glatt. Wann waren sie zum erstenmal erschienen? Wie merkbar wir älter werden und doch so unmerklich. In ihren Augen lag zwar keine große Weisheit, aber sie spiegelten den Lauf der Jahre wider. Sie waren wissender geworden, weniger vertrauend. Die Tränensäcke, die früher nach einer durchschlafenen Nacht stets verschwunden waren, bildeten jetzt einen festen Bestandteil ihrer Gesichtszüge. Wie lange war es her, daß jemand ihr in die Augen gesehen und ihr gesagt hatte, wie schön sie war? Lange, dachte sie.
Widerwillig fiel ihr Blick auf ihre Brüste, Brüste, die in ihrer Jugend hoch und fest gewesen, jetzt jedoch weit weniger prall waren. Kurz vor den Brustwarzen sanken sie ein wenig ein, was ihnen das exotische Aussehen von Aladins spitz zulaufenden Schuhen gab. Ihr Bauch, einst wie ausgehöhlt, wies jetzt eine nicht zu übersehende Rundung auf, und ihre Taille weitete sich unerbittlich in den Bereich ihrer immer noch schmalen Hüften aus. Nur ihren Beinen, immer schon ihr größter Stolz, war kein Zeichen des Alters anzusehen, keine violetten Äderchen, die hinter den Knien zum Vorschein kamen – über solche Äderchen hatte Eve zu klagen begonnen. Auch mit einundvierzig brauchte sie sich über Fettwülste oder Cellulitis noch keine Sorgen zu machen, und wenn ihr Hintern jetzt ein paar Zentimeter tiefer saß, nun, Paul jedenfalls hatte sich darüber noch nie beschwert. Vielleicht ist er kein Arsch-Typ, dachte sie, nachdem sie sich an Eves Bemerkung erinnert hatte. Sie hoffte, daß er ein Bein-Typ war; irgendeine Vorliebe hatte er nie gezeigt. Sie griff in das Schränkchen unter dem Waschbecken nach dem Fön.
Er war nicht an seinem gewöhnlichen Platz. »Ist ja seltsam. Wo hat Paul ihn bloß hingetan?« fragte sie laut und öffnete ein anderes Schränkchen. Auch dort war der Fön nicht. Dafür etwas anderes, irgendeine Zeitschrift, ganz hinten auf das Brett geschoben. Joanne griff danach und zog sie heraus. »O mein Gott«, flüsterte sie. Eine lächelnde, vollbusige junge Frau starrte sie an, als ob sie eine liebe alte Freundin wäre. Wenn auch in dem Gesichtsausdruck des Mädchens eine gewisse Unschuld lag, so war an ihrer Pose ganz und gar nichts Unschuldiges. Ihr nackter, äußerst üppiger Körper lehnte gegen eine große und ebenso gut ausgestattete Stereoanlage; ein Mikrophon steckte nicht gerade diskret zwischen ihren Beinen. »Und was werden wir heute singen?« fragte Joanne. Sie hörte Eves Stimme bei diesen Worten. Sie begann das Heft durchzublättern; ihre Augen weiteten sich bei jedem neuen Foto. »Mein Gott«, keuchte sie, versuchte wegzusehen, aber ihr Blick blieb auf den schlecht gedruckten Farbbildern haften. »Wann hat Paul angefangen, sich mit so was wie euch einzulassen?« fragte sie und erinnerte sich sofort, daß er in letzter Zeit geistesabwesend zu sein schien, daß sein sonst so schnelles Lächeln jetzt nur langsam kam, daß er oft verstört wirkte, ja deprimiert. Sie hatte angenommen, es habe etwas mit seiner Arbeit zu tun – Paul hatte seine Büroangelegenheiten nie ins Privatleben hineingetragen-, und so war sie dazu übergegangen, das, was sie als eine kurze Krise ansah, nicht weiter zu beachten. Sie war zu dem Schluß gelangt, daß jedes Ehepaar, ganz besonders Leute, die so lange verheiratet waren wie Paul und sie, Phasen durchleben mußten, in denen die Leidenschaft etwas niedriger loderte. Sobald er weniger Arbeit hat, war ihre Überlegung gewesen, wird er wieder er selbst sein, so gesellig wie früher, und sein Interesse an mir wird wieder aufflammen. Jetzt mußte sie sich fragen, ob es möglich war, daß er sie nicht mehr attraktiv fand! War Sex bei ihnen zu einer solchen Routine verkommen, daß er ihre aktive Teilnahme nicht mehr benötigte? Hatte ihr Körper den Reiz verloren, den er auf Paul einst so mühelos ausgeübt hatte? »Ist das der Grund, weshalb du hier bist?« befragte sie das lächelnde Mädchen auf dem Foto. »Was sieht er denn, wenn er dich betrachtet? Was sieht er denn«, variierte sie ihre Frage, während sie sich im Spiegel besah, »wenn er mich betrachtet?«
Langsam, sehr befangen, brachte Joanne ihren Körper in eine ähnliche Position wie diejenige der Frau auf dem Foto: die Arme zurückgelegt, die Brüste vorgestreckt, die Knie angewinkelt und die Beine weit gespreizt. »Wie kriegen die es bloß hin, daß sie so rosa werden?« fragte sie laut und stand abrupt auf. Obwohl sie alleine war, schämte sie sich. Noch nie hatte sie ihren Körper einer so eingehenden Betrachtung unterzogen, nie zuvor hatte sie versucht, sich selbst mit den Augen Pauls zu sehen. Plötzlich beugte sie sich vor, berührte ihre Zehen mit den Fingern und imitierte eine weitere der in dem Heft abgebildeten Posen. »Schön«, meinte sie sarkastisch, während sie sich von unten durch ihre Beine hindurch anstarrte.
»O Mom – iih!«
Noch während sie sich aufrichtete, schleuderte Joanne das Heft in den kleinen Schrank zurück und stieß die Tür mit dem Fuß zu. Gleichzeitig griff sie nach dem Badetuch, das am Boden lag, und wickelte es um sich herum. Sie fühlte ihre feuchte Haut warm werden von der Hitze des Schamgefühls.
»Was hast du da gemacht?« fragte Lulu.
»Ich habe meine Zehe angeschaut.«
»Deine Zehe hast du angeschaut?«
»Ich habe sie mir beim Tennisspielen verletzt«, erklärte Joanne mit schriller Stimme. »Was machst du denn so früh hier?«
»Lehrerkonferenz oder so was Ähnliches. Darf ich zu Susannah gehen? Ihr Vater hat einen neuen Flipperautomaten.«
»Natürlich, geh nur. Aber komm nicht zu spät zum Abendessen«, rief sie Lulu nach, die schon auf der halben Treppe war. »Mein Gott«, seufzte sie in einer Mischung aus Unbehagen und Erleichterung, als sie hörte, wie die Haustür geöffnet und wieder geschlossen wurde.
Das Telefon klingelte.
Sie lief hin, achtete dabei jedoch darauf, nicht zu nah am Fenster vorbeizukommen. »Hallo?« Wie schon zuvor, erhielt sie auch jetzt keine Antwort. »Ach nein, nicht schon wieder!« Sie wartete ein paar Sekunden, lauschte der unheimlichen Stille am anderen Ende der Leitung, fühlte unsichtbare Augen auf sich gerichtet, als ob das Telefon eine Kamera wäre, und ließ den Hörer so plötzlich auf die Gabel fallen, als wäre sie von einem Stromschlag durchzuckt worden. »Mensch, geh jemand anderem auf die Nerven!« riet sie dem Telefon und ließ sich rücklings auf ihr Bett fallen. Sie wußte nicht warum, aber sie fühlte sich in Gefahr.
Dieses blöde Heft, dachte sie. Neue Wellen der Scham stiegen in ihr empor, als sie an den verblüfften Ausdruck ihrer Tochter dachte, von der sie dabei ertappt worden war, wie sie mit dem Kopf zwischen den Schenkeln dastand. Nicht daß sie prüde war – sie hatte es ganz einfach nie für richtig gehalten, nackt vor ihren Töchtern herumzuspazieren. Ihr wurde bewußt, daß sie ihre eigene Mutter erst dann nackt gesehen hatte, als die Frau zu schwach und zu krank geworden war, um sich alleine anzuziehen. Warum kaufte Paul wohl solche Zeitschriften?
»Hallo? Ist jemand zu Hause?« fragte eine Männerstimme.
»Paul?« Joanne schrak auf, fischte einen Bademantel aus dem begehbaren Schrank und schlüpfte schnell hinein, bevor ihr Mann an der Tür erschien. »Was machst du denn mitten am Nachmittag zu Hause? Ist alles in Ordnung mit dir?«
Er sieht nicht gut aus, dachte sie, als sie ihn sanft auf die Wange küßte.
»Ich wollte mit Mr. Rogers sprechen«, sagte er und sah aus dem Fenster. »War er heute hier?«
»Nein, nur die Arbeiter. Obwohl... vielleicht war er doch hier – ich bin ein paar Stunden weggewesen. Eve und ich hatten eine Tennisstunde im Club. Ein neuer Trainer. Er scheint der Ansicht zu sein, daß ich ein Naturtalent bin, aber ich weiß nicht. Es ist schon so lange her, daß ich Tennis gespielt habe...« Was faselte sie da eigentlich? Warum war sie so nervös?
Sie betrachtete den Rücken ihres Mannes, der am Fenster stand und hinaussah. Irgend etwas an seiner Haltung, an der Neigung seines Kopfes, die sichtbare Verspanntheit seiner Schultern ließ ein ungutes Gefühl in ihr aufkommen. Er drehte sich zu ihr um, und der Ausdruck in seinem Gesicht gefiel ihr ganz und gar nicht.
»Was ist los?« fragte sie. Wenn sie nur dieses verdammte Heft aus ihren Gedanken verbannen könnte. »Ist irgend etwas mit dem Pool schiefgelaufen?« fragte sie, obwohl sie instinktiv wußte, daß es nicht um den Pool ging.
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich dachte nur, wenn Rogers hier ist, spreche ich mal kurz mit ihm. Nein, nein, das ist es nicht«, fuhr er fast im selben Atemzug fort. »Das ist nicht der Grund, weshalb ich so früh nach Hause gekommen bin. Nicht wegen des Pools. Wegen mir.«
»Wegen dir? Was ist denn los?« Sie fühlte Panik in sich aufsteigen. »Hast du wieder diese Schmerzen in der Brust?«
»Nein, nein«, versicherte er ihr hastig. »Nein, es ist etwas anderes.« Eine lange, unangenehme Pause folgte. »Ich muß mit dir reden«, sagte er schließlich.

3

Spät in dieser Nacht, nachdem ihr Mann ein paar Sachen in einen Koffer gepackt und das Haus verlassen hatte, um in einem Hotel zu übernachten, war Joanne die ganze Szene in Gedanken noch einmal durchgegangen – so wie Eve sie gespielt hätte.
Sie stellte sich ihre Freundin vor, wie sie vornübergebeugt auf dem blauen Sessel sitzt, das rote Haar in schönen Wellen zu beiden Seiten des schmalen Gesichts herabfallend, das spitze Kinn in ihrer Hand ruhend. Jetzt sieht Paul, der mit dem Rücken zum Fenster steht, sie an, als ob sie seine Frau wäre, und spricht mit ihr, als wäre sie Joanne.
»Was ist los?« fragt Eve – die gleichen Worte, die Joanne benutzte. Aber der Klang von Eves Stimme ist »ganz Eve«, viel lokkerer, nicht so ängstlich. Neugierig, beinahe herausfordernd. »Ist in der Kanzlei irgend etwas passiert?«
Joanne legte ihren Kopf auf das Kissen und schloß die Augen. Sie sah das Zögern in den Augen ihres Mannes, sie konnte das Zucken seiner Lippen fühlen, die darum kämpften, endlich die entscheidenden Worte auszusprechen. »Seit Wochen übe ich das nun schon in meiner Phantasie«, sagt er. »Ich dachte, ich wüßte ganz genau, was ich sagen muß...«
»Um Himmels willen, Paul«, unterbricht ihn Eve, »nun sag’s doch endlich!«
Paul dreht sich wieder zum Fenster. Er ist nicht fähig, seiner Frau ins Gesicht zu sehen. »Ich finde, wir sollten uns trennen«, sagt er schließlich.
»Was?« In Eves Keuchen schwingt ein Lachen mit. Sie weiß, daß dies ein Scherz ist.
Langsam wendet Paul sich zu ihr um. Seine Stimme ist jetzt fester, die Wiederholung stärkt sein Selbstvertrauen: »Ich finde, wir sollten uns trennen, einfach eine Weile getrennt voneinander leben...«
»Nur weil ich letzten Winter nicht zum Skifahren wollte?« sagt Eve neckisch. »Meinst du nicht, daß du ein bißchen überreagierst?«
»Ich meine es ernst, Joanne.«
Eve sieht, daß er es ernst meint. Sie sinkt in den Plüsch des blauen Sessels zurück. Einen Augenblick – aber wirklich nur einen Augenblick – lang trüben sich ihre Augen mit ersten Tränen, aber dann verändert sich ihr Gesicht, beinahe unmerklich, ihr Kinn strafft sich, und die Tränen verschwinden. Mit kalten, klaren Augen starrt Eve Paul an, und als sie endlich zu sprechen beginnt, ist ihre Stimme hart, zornig. »Würdest du mir bitte sagen, warum?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich es sagen kann.«
»Ich glaube, du tätest gut daran, es zu versuchen.«
»Ich weiß den Grund nicht«, gesteht Paul nach einer längeren Pause.
»Du weißt den Grund nicht«, wiederholt Eve und nickt dabei, als ob sie das verstünde; aber dieses Nicken verstärkt noch die Absurdität dessen, was Paul gerade gesagt hat. »Du bist Rechtsanwalt, Paul«, stichelt sie. »Mach schon – sonst warst du doch immer groß im Reden! Du bist doch bestimmt in der Lage, dir irgendeinen Grund auszudenken, der erklären würde, weshalb du eine fast zwanzigjährige Ehe aufgeben willst – ganz zu schweigen von den zwei Töchtern, die dieser Ehe entsprungen sind. Ich finde nicht, daß das zuviel verlangt ist.«
Er sucht nach einer Antwort. Vom Garten, wo die Arbeiter um den geplanten Pool herumstehen, dringt Gelächter herein. »Ich bin ganz einfach nicht glücklich«, sagt er schließlich. »Ich weiß, wie abgedroschen das klingt...«
»Aber weißt du auch, wie abgedroschen es ist?« kontert Eve sofort. Gute Gegenattacke.
Paul geht darüber hinweg. »Ich habe das Gefühl, etwas zu versäumen«, gesteht er. »Ich bin jetzt zweiundvierzig, Joanne. Als wir heirateten, war ich noch im College.«
»Meine Eltern haben uns finanziell unterstützt«, erinnert sie ihn.
»Du warst erst meine dritte feste Freundin.«
»Und du warst mein erster fester Freund«, erwidert sie. Sie weiß, daß es unnötig ist, »und einziger« hinzuzufügen.
»Hast du nie Lust auf einen anderen Mann gehabt?« fragt er plötzlich. Sie ist überrascht. »Hast du dich nie gefragt, wie es mit einem anderen sein würde?«
»Du kannst deinen süßen Arsch darauf wetten, daß ich mich das gefragt habe«, sagt Eve wütend. »Jeder Mensch hat von Zeit zu Zeit solche Gedanken. Aber man zerstört nicht seine Ehe, man verläßt nicht zwei Töchter, die ihren Vater noch brauchen, nur weil man nicht glücklich ist! Wer hat dir denn versprochen, daß du andauernd glücklich sein wirst?«
»Ich will eben mehr«, gesteht er leise.
»Weniger willst du!« berichtigt sie ihn. »Eine Frau weniger, zwei Kinder weniger...«
»Ich habe dich nie betrogen, Joanne. In zwanzig Jahren habe ich dich kein einziges Mal betrogen.«
»Soll ich mich jetzt wohler fühlen?« fragt Eve. »Wenn man mir die Scheidungspapiere überreicht, soll ich da vielleicht mit den Achseln zucken und sagen: >Na ja, wenigstens hat er mich nicht betrogen<?«
»Ich habe kein Wort von Scheidung gesagt.«
Eva starrt Joannes Mann an. »Da muß ich irgend etwas mißverstanden haben. Über was reden wir hier eigentlich?«
»Wir reden über eine Trennung«, erklärt er. »Sechs Monate, vielleicht ein Jahr. Deshalb können wir uns immer noch sehen... ins Kino gehen vielleicht... oder zusammen essen gehen... Bitte, Joanne, ich bitte dich doch nur um ein bißchen Zeit, damit ich über alles nachdenken kann. Ich will mich nicht voreilig scheiden lassen. Ich brauche nur ein bißchen Zeit, um herauszufinden, was ich eigentlich will, ob ich mit der Juristerei weitermachen will oder nicht... Im Augenblick bin ich mir da völlig unsicher. Ich brauche Zeit für mich selbst. In ein paar Monaten bin ich dann hoffentlich soweit, daß ich klare Entscheidungen treffen kann, und ich hoffe, daß diese Trennung uns guttun wird, daß wir vielleicht wieder zueinanderfinden können.«
»Man trennt sich nicht, um wieder zueinanderzufinden. Man trennt sich, um sich scheiden zu lassen.«
»Nicht unbedingt.«
»Sei doch nicht so naiv, Paul! Du hast doch gesehen, wie es anderen Leuten damit ergangen ist. Eine Trennung verselbständigt sich. Dann hat man es plötzlich nicht mehr nur mit den ursprünglichen Schwierigkeiten zu tun, sondern auch mit denen der Trennung. Wenn wir Probleme miteinander haben, dann mußt du hierbleiben und versuchen, sie zu lösen. Du mußt mit mir sprechen, du mußt mir sagen, was dich stört, anstatt mich auszuschließen. Meine Eltern haben mich genauso behandelt, das war ein großer Fehler. Ihr ganzes Leben lang haben sie mich beschützt, und plötzlich waren sie nicht mehr da, und jetzt machst du dasselbe mit mir. Das ist nicht richtig!«
»Du wirst es überstehen«, fährt Paul dazwischen. Er fühlt ihre wachsende Panik auf sich übergehen. Verzweifelt versucht er ihr- aber auch sich selbst – zu beteuern: »Du bist stark, stärker, als du glaubst. Du wirst damit fertig, so wie du mit allem fertig wirst. Wahrscheinlich macht es dir plötzlich sogar einen Riesenspaß...«
Stille. Beide überlegen, was jetzt zu sagen bleibt.
»Ich habe mir gedacht, ich versuche ein Apartment in der Nähe der Kanzlei zu finden«, verkündet Paul. In diesem Augenblick dringt vom Garten ein lautes Streitgespräch zwischen zwei Arbeitern herein. »Für dich und die Mädchen wird natürlich gesorgt sein. Was immer du brauchst, du mußt es mir nur sagen. Geld wird kein Problem sein, das verspreche ich dir.«
»Bis du eine andere findest«, sagt sie ätzend. »Die ganze Welt ist voll von Frauen, die mit den ›Kein-Geld‹-Problemen kämpfen, die ihre Männer ihnen hinterlassen haben, nachdem ihr anfängliches Schuldgefühl überwunden war.« Eine weitere peinliche Pause folgt; jeder wartet darauf, daß der andere zu sprechen beginnt. »Wer soll es den Mädchen beibringen?« fragt Eve. Gerade hat sie Robin heimkommen hören.
»Ich mache das.«
»Wann?«
»Wann du willst.«
»Heute tun wir das, was du willst«, erinnert sie ihn.
Plötzlich klingt seine Stimme genauso schneidend wie ihre. »Nun gut«, sagt er. Sie hören, wie ihre Tochter direkt unter ihnen in der Küche hin und her geht.
»Lulu ist drüben bei Susannah.«
»Würdest du sie bitte anrufen?«
»Du bist derjenige, der mit ihr sprechen will«, antwortet Eve trocken. »Ruf sie doch selber an.«
Paul nickt. Dieses Bild blieb, als Joanne die Augen aufschlug und in das Dunkel des nächtlichen Zimmers starrte.
So war es nicht gewesen.
Sie hatte nichts gesagt. Überhaupt nichts. Sie war einfach nur dagesessen und hatte zugehört, während Paul seinen Entschluß zu erklären versuchte, sich andauernd verhaspelte, immer wieder um Entschuldigung bat. Sie hatte den Mund nicht aufgemacht, hatte sich nicht bewegt, außer als sie die Tränen wegwischte. Sie hatte nicht protestiert, keine Bitten geäußert oder Gegenangriffe unternommen. Sie hatte einfach nur zugehört, und dann hatte sie auf Pauls Wunsch hin bei Susannah angerufen und Lulu gebeten, nach Hause zu kommen. Sie war im Zimmer geblieben, als Paul seinen Entschluß, auszuziehen, vor den Töchtern wiederholte, und als die beiden später, lange nachdem er gegangen war, eine Reaktion gezeigt hatten, war ihr Zorn, genau wie Joanne es vorausgesehen hatte, gegen sie gerichtet gewesen, nicht gegen den Mann, der sie verlassen hatte.
»Ich kann doch nichts dafür«, hatte sie sagen wollen. Aber irgendwie, fühlte sie, war es doch ihre Schuld.
Joanne ertrug den leeren Platz neben sich im Bett nicht länger und stand auf. Sie ging ans Fenster und starrte in den Garten hinunter. Die Baugrube, die die Arbeiter darin zurückgelassen hatten, wurde von der Schwärze der sternenlosen Nacht gnädig verhüllt. Sie sah hinüber zu Eves Haus. Hell und anschuldigend brannten die Lampen auf Eves überdachter Terrasse. Sorgfältig zog Joanne die Vorhänge zu, griff zum Telefonhörer und wählte. Als Eve auch nach dem achten Klingelzeichen nicht abgenommen hatte, legte Joanne auf. Es war schon spät, fast Mitternacht, und ihr fiel ein, daß Eve ihr erzählt hatte, Brian und sie würden an diesem Abend zu einer Polizeifete gehen.
Lulu schlief – oder hatte zumindest so getan, als Joanne einen Blick in ihr Zimmer geworfen hatte. Robin war auf einer Party.
Mit roboterartigen Bewegungen kroch Joanne zurück in das riesige Ehebett. Meine Eltern haben mich angelogen, dachte sie. Sie hatten ihr immer versprochen, mit zunehmendem Alter würden auch Weisheit und Ausgeglichenheit kommen. Sie werde erwachsen werden, hatte das Lächeln ihrer Eltern schweigend verheißen, und die Welt werde ihr gehören. Sie werde Kontrolle über ihre Handlungen, über ihr Leben haben, werde Entscheidungen treffen, wählen, werde sich geborgen fühlen in einer beständigen, ein für allemal so eingerichteten Welt. Und eine Zeitlang hatten sie recht behalten: Im großen und ganzen war sie aufgewachsen wie geplant, hatte geheiratet und Kinder zur Welt gebracht – Kinder, die dann sie als die Quelle der Weisheit betrachtet hatten...
Erst nachdem Robin heimgekommen war, schlief Joanne ein.
Das Telefon klingelte. Schlaftrunken griff Joanne nach dem Hörer. »Hallo.«

4

Die Mädchen schliefen noch, als Joanne am nächsten Tag kurz vor zwölf Uhr mittags das Haus verließ. Sie war müde und hatte geschwollene Augen vom Weinen und vom schlechten Schlaf. Was würdest du jetzt zu mir sagen, Mom, fragte sie in den wolkenlosen Himmel hinein, während sie auf dem Rasen zu Eves Haus hinüberging. Schultern zurück, Bauch rein! hörte sie ihre Mutter antworten, und sie lächelte. Moms Standardantwort!
Du hast Paul immer gern gehabt, fuhr Joanne in Gedanken fort. – Ein intelligenter, gutaussehender Junge aus einer netten Familie, erklärte ihre Mutter, er wollte Rechtsanwalt werden, er liebte meine Tochter...
Liebte, wiederholte Joanne. Was macht man, Mom, fragte sie schweigend, während sie an Eves Tür klopfte, wenn jemand plötzlich aufhört, dich zu lieben?
Niemand öffnete. Joanne klopfte noch einmal und drückte dann auf die Klingel. Es erinnerte sie an das Läuten des Telefons mitten in der Nacht. Hatte es wirklich geklingelt, oder hatte sie es nur geträumt? Wie verrückt mußte man sein, daß man Befriedigung daraus zog, fremde Leute in den frühen Morgenstunden anzurufen und fast zu Tode zu erschrecken?
Sie mußte mit Eve sprechen. Eve würde alles geraderücken. Sie wurde Joanne helfen, Pauls Standpunkt zu verstehen. »Jedes Ding hat zwei Seiten«, hörte sie Eve schon sagen. »Deine und die von dem Arschloch!« Eve würde sie zum Lachen bringen. Aber wo war sie? Warum ging sie nicht an die Tür?
Gerade als Joanne schon aufgeben wollte, erschien Eves Mann, Brian, und ließ sie herein. Brian Stanley war fünfundvierzig Jahre alt, groß, mit sehr sanft blickenden Augen, die nichts von dem Entsetzlichen verrieten, das er als Polizist jeden Tag mit ansehen mußte. Er war ein schweigsamer Mann, aber heute sprach er noch weniger als sonst. »Bring du sie zur Vernunft«, sagte er nur.
Eve saß am Tisch in der Küche und nippte an einer Tasse Kaffee. Sobald sie ihre Freundin sah, wußte Joanne, daß irgend etwas nicht stimmte. »Was ist los?« fragte sie. Eve war noch im Morgenmantel, und ihr sonst stets perfekt frisiertes Haar wirkte ungekämmt.
»Nichts«, antwortete Eve. Sie versuchte gar nicht, ihren Ärger zu verbergen. »Viel Getu’ um nichts.«
»Na klar, es ist überhaupt nichts!« Wie aus dem Nirgendwo erschien Eves Mutter und schob ihrer widerwilligen Tochter ein Fieberthermometer in den Mund.
»Hallo, Mrs. Cameron«, sagte Joanne. Sie war überrascht, Eves Mutter hier zu sehen. »Was ist denn los?«
»Was los ist? Meine Tochter ist letzte Nacht zusammengebrochen und mußte ins Krankenhaus gebracht werden!«
Eve nahm das Thermometer aus dem Mund. »Ich bin nicht zusammengebrochen! Mir geht es ausgezeichnet!«
»Steck das Thermometer wieder in den Mund!« rief ihre Mutter, als ob Eve ein vierjähriges Kind wäre. Eve warf einen beschwörenden Blick zur Decke, tat aber, wie ihr befohlen. »Hattest du vielleicht gestern nacht keine Schmerzen, und mußtest du die Party nicht frühzeitig verlassen? Hat Brian dich nicht ins North Shore University Hospital zur Notaufnahme gebracht? Hat er mich vielleicht nicht in aller Frühe angerufen und gebeten, daß ich mich um dich kümmere, weil er wegmuß?«
»Ich hatte leichte Schmerzen«, korrigierte Eve, nachdem sie das Thermometer wieder aus dem Mund genommen hatte, »und die anderen haben überreagiert.«
»Was für Schmerzen?« fragte Joanne. Einen Augenblick lang hatte sie ihre eigenen Probleme vergessen.
»Nur ein kleiner Schmerz in der Brust. Das habe ich schon seit ein paar Wochen.«
»Entschuldigt bitte«, sagte Brian, der an der Tür stand, »aber ich muß jetzt gehen, ich bin schon spät dran. Eve hat gestern gegen Mitternacht Schmerzen in der Brust bekommen, und weil es ihr schwerfiel, aufzustehen, habe ich sie ins Krankenhaus gefahren.«
»Dort haben sie ein paar Untersuchungen gemacht und gesagt, es sei alles in Ordnung«, erklärte Eve.
»Ein EKG haben sie gemacht und alles andere, was man eben macht, wenn Verdacht auf einen Herzanfall besteht...«, ergänzte Brian.
»Und sie haben herausgefunden, daß es kein Herzanfall war.«
»Und sie haben ihr geraten, Ende der Woche noch ein paar Tests machen zu lassen – Magen, Gallenblase und so weiter«, fuhr Brian fort. »Aber sie weigert sich.«
»Mein Gott, es war eine kleine Magenverstimmung«, sagte Eve. »Ich habe keine Lust, hundert unangenehme Untersuchungen über mich ergehen zu lassen, nur damit irgendein Arzt auf meine Kosten medizinische Erfahrung sammeln kann – was sie zugegebenermaßen alle nötig haben!«
»Bitte, rede ihr zu, daß sie die Untersuchungen machen läßt«, bat Brian Joanne. »Ich muß jetzt gehen.« Er gab seiner Frau einen aufmunternden Kuß ins Haar – eine Geste, die in Joannes Brust einen stechenden Schmerz hervorrief und ihr fast die Tränen in die Augen trieb. Dies war ganz offensichtlich nicht der geeignete Zeitpunkt, von Pauls plötzlichem Abgang zu erzählen.
Die Haustür fiel hinter Brian zu. Als Eve den Mund zum Sprechen öffnete, steckte ihre Mutter ihr ganz automatisch das Thermometer hinein.