Ein Versehen mit Todesfolge - Brigitte van Hattem - E-Book

Ein Versehen mit Todesfolge E-Book

Brigitte van Hattem

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Beschreibung

Stellen Sie sich vor, in Ihrem Kofferraum liegt eine Ihnen völlilg unbekannte Leiche und die Polizei versucht, Ihnen illegalen Leichentransport anzuhängen. Fiction? Aber nicht doch! Doch wer ist der Tote? Und wie kam seine Leiche in den Kofferraum? Wieder einmal hat Autorin Brigitte van Hattem Todesfälle aufgearbeitet, die selbst Rechtsmediziner zum Schwitzen gebracht haben. In diesem Buch wird nicht nur aus Neugierde, Sensationslust, Eitelkeit oder Sorglosigkeit gestorben, sondern auch aufgrund mangelnder Hygiene oder weil man auf der Autobahn keinen Walzer tanzen sollte. Kofferraum: Wie kommt die dem Fahrer unbekannte Leiche in seinen Kofferraum? Die richtige Diagnose und eine umsichtige Behandlung des Verstorbenen hätte diesen bizarren Unfall verhindern können. Gelb: Wieso hat sich mein Ehemann gelb verfärbt und warum ist es mir nicht aufgefallen? Laus: Takahiro kann froh sein: Er ist nicht mehr obdachlos! Zusammen mit einer Freundin kann er sich eine winzige Wohnung im teuren Tokio leisten. Doch er hat sich etwas auf der Straße eingefangen, das ihn eigentlich nicht töten wollte. Genug: Mediziner müssen helfen. Um jeden Preis. Planespotting: Sie wollte nur dabei sein und sehen, was die anderen auch sehen. Sie wusste nur nicht, was das war, sonst wäre sie vorsichtiger gewesen.

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Alle Geschichten in diesem Buch sind wahr: Diese Todesfälle hat es wirklich gegeben. Wo und wann, erfahren Sie im jeweiligen Anhang „Quellen und Anmerkungen“.

Sämtliche Namen sind geändert, die erzählerischen Details - soweit nicht bekannt - fiktional.

Inhaltsverzeichnis

Kofferraum

Kofferraum: Quellen und Anmerkungen

Gelb

Gelb: Quellen und Anmerkungen

Laus

Laus: Quellen und Anmerkungen

Genug

Genug: Quellen und Anmerkungen

Planespotting

Planespotting: Quellen und Anmerkungen

Ein Versehen mit Todesfolge

Ein Versehen mit Todesfolge: Quellen und Anmerkungen

Krass

Krass: Quellen und Anmerkungen

Danksagung

Impressum

Leseprobe aus: „Verschieden!“ Kurzgeschichten.Tödlich. Wie das Leben sie schrieb

KOFFERRAUM

Im Nachhinein war Ronald froh, dass Nicole sich geweigert hatte, mitzufahren, aber an jenem frühen Morgen auf der Autobahn 9 Richtung Bad Dürrenberg hegte er noch einen gewissen Groll gegen seine Frau, die ihren eigenen Kopf hatte und sich durchzusetzen wusste. Ronald hatte seinem Cousin versprochen, ihm beim Hausbau zu helfen und sie hätten Nicoles Unterstützung gut brauchen können, aber sie hatte sich rundweg geweigert, ihr wohlverdientes Wochenende auf einer zugigen Privatbaustelle zu verbringen.

Die Autobahn war erstaunlich leer, aber nicht ohne Tücken. Zwar hatte sich trotz der anhaltenden Minusgrade der letzten Tage kein Glatteis gebildet, aber auf den Straßen und Randbefestigungen lag Raureif, der im Licht der Scheinwerfer zu dampfen schien.

Ronald bremste ein paar Mal zur Probe, um zu sehen, ob er ins Rutschen kam, aber nichts passierte. Erleichtert gab er ein wenig mehr Gas.

***

Bernhard Meier war in einem Bett aufgewacht, das er nicht kannte. Erschrocken hatte er sich umgesehen. Wo war er?

Erleichtert entdeckte Bernhard eine Hose und ein Hemd feinsäuberlich zusammengefaltet über einem Stuhl in der Nähe hängen. Die Kleidungsstücke kamen ihm bekannt vor, vermutlich waren es also seine. Und sicher hatte Anna sie dorthin gehängt, sie war immer so ordentlich!

Seine Anna. Anna. Ein Anagramm. Wie Otto. Nein, kein Anagramm. Wie hieß das noch einmal? Bernhard dachte nach. Ein Wort von vorne wie von hinten.

Ein Palindrom! Genau! Bernhard lächelte. Das würde er heute seinen Studenten erzählen. Er war doch noch Professor?

Sein Lächeln verrutschte und er spürte eine eisige Hand nach seinem Magen greifen. War etwas geschehen? Etwas Schlimmes? Er wusste es nicht mehr, aber dieses Nichtwissen machte ihm Angst.

Bernhard richtete sich auf und schlug die Bettdecke zurück. Erstaunt stellte er fest, dass er keine Schlafanzughose trug, sondern nur ein Nachthemd. Wo waren seine Schlafanzüge? Wer hatte ihn in ein Nachthemd gesteckt? Niemals hätte er freiwillig so etwas angezogen! Auch Anna hätte das nicht gewollt.

Anna. Natürlich ein Palindrom! Ein Anagramm war ja viel komplizierter. Bernhard hielt inne. Wie kompliziert? Zu kompliziert, um sich jetzt Gedanken darüber zu machen. Er wollte lieber erst einmal aufstehen.

Bernhard rutschte von der Bettkante, aber dann schienen seine Füße am Boden festzukleben. Nur mit Mühe konnte er vom Bett in Richtung Stuhl trippeln, wo seine Sachen lagen. Er zog sich die dunkelblaue Jogginghose über seinen blanken Hintern und stopfte das Nachthemd hinein.

Nun besah sich Bernhard das schwarz-weiß karierte Flanellhemd. Es passte nicht zur Hose. Bernhard hielt das Hemd in der Hand und sah sich nach einer Alternative um. Aber an der Garderobe hing nur noch eine Jacke. Konnte er mit einer Jogginghose und einem karierten Hemd zu seinen Studenten? Er musste Anna das fragen. Sie wusste bestimmt Rat. Er musste sie nur suchen!

Schon zog er sich das karierte Hemd an, knöpfte es mehr schlecht als recht zu, stand auf und schleppte sich zur Tür.

***

Nicole konnte seinen Cousin eigentlich ganz gut leiden, das wusste Ronald. Nur mit dessen Frau verstand sie sich ganz und gar nicht. Nicole hatte in der Vergangenheit viele weniger schöne Worte für sie gefunden und Roland musste sich des Öfteren eingestehen, dass er ihr heimlich beipflichtete. Sein Cousin hatte wenig Geschick bei der Wahl seiner Angetrauten gezeigt, da war er ganz Nicoles Meinung.

An dieser Stelle musste Ronald schmunzeln und er spürte, dass sein Zorn verrauchte wie der Raureif auf seiner geraden Strecke. Er entspannte sich, stellte den Tempomat seines dunkelroten Saab 900 auf einhundertzwanzig Stundenkilometer und schaltete das Radio rechtzeitig zu den Sechs-Uhr-Nachrichten ein.

In Kanada waren vier Menschen bei einem Amoklauf an einer Schule in Saskatchewan gestorben. Infolge andauernder Unruhen und teilweise gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten hatte die tunesische Regierung eine nächtliche Ausgangssperre für das ganze Land verhängt. In Washington hatte der Blizzard Jonas ein Verkehrschaos ausgelöst. In den USA kamen nach massiven Schneefällen und orkanartigen Winden mindestens acht Personen ums Leben.

Ronald hörte die Nachrichten nur mit einem halben Ohr. Er wartete auf die Verkehrsmeldungen und die Wettervorhersage.

Daher interessierte ihn auch die abschließende Suchmeldung nicht sonderlich.

„Seit gestern Abend wird der 80-jährige Bernhard Meier vermisst“, las der Nachrichtensprecher.

„Es ist möglich, dass er orientierungslos umherirrt. Der Vermisste ist 1,80 Meter groß und hager. Möglicherweise ist er mit einer dunkelblauen Jogginghose und einem schwarz-weiß karierten Flanellhemd bekleidet. Wer den Mann gesehen hat, wird dringend gebeten, sich bei der nächsten Polizeidienststelle zu melden.“

Ronald musste an seinen Vater denken. Nun, er war noch nicht ganz so alt und kam bis jetzt in seiner kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung ganz gut allein zurecht.

Was aber, wenn nicht mehr? Würden sie ihn in ein Pflegeheim stecken? Bei sich konnten sie ihn nicht unterbringen. Nicole wollte schwanger werden und keinen Greis hüten. Das hatte sie Ronald schon vor Jahren eindrücklich klargemacht.

Gedankenverloren starrte Ronald auf die leere, mit Raureif überzogene Autobahn.

Seine Scheinwerfer reflektierten reines, sauberes Weiß. Eine unschuldige, bezaubernde Szenerie, untermalt von leisem Radiogedudel. Jäh unterbrochen durch einen Schlag.

***

Mit der Zeit fiel Bernhard das Gehen immer leichter. Er merkte, dass er mit kleinen Trippelschritten genauso schnell vorankam wie mit ausladendem Schlurfen. Es machte ihm Spaß, mit beiden Gangarten abzuwechseln.

Dennoch war er auf der Hut.

Er wusste nicht, in welchem Gebäude er sich gerade befand, aber er spürte, dass ihm von allen Seiten Gefahr drohte. Er hätte nur nicht sagen können, worin genau diese Gefahr bestand.

Wenn Bernhard Stimmen hörte, duckte er sich in die Ecken, versteckte sich unter Treppen oder schlug einen anderen Weg ein.

Er hatte mittlerweile jegliches Orientierungsvermögen verloren, aber es drängte ihn, immer weiterzugehen. Dass er das verhasste Gebäude verlassen haben musste, merkte Bernhard nur an der Kälte, die ihn plötzlich umgab. Damit ihm wieder warm wurde, beschleunigte Bernhard seine Schritte, aber dabei kam er ins Stolpern und er musste wieder trippeln oder schlurfen, um vom Fleck zu kommen. Vielleicht ging es aber auch mit einem Walzerschritt?

Eins-zwei-drei, ein-zwei-drei … Sie hatte den Walzer so geliebt, seine Anna, und sie waren über die Tanzflächen geflogen … oder sagte man „geschwebt“? Bernhard hielt irritiert inne. War es wie fliegen oder mehr wie schweben?

Eins-zwei-drei, eins-zwei-drei, hui, es ist Schweben und Fliegen gleichzeitig, dachte Bernhard und dass er das unbedingt seinen Studenten erzählen müsse.

***

Irgendetwas war gegen den Saab geprallt. Oder war es der Saab gewesen, der gegen etwas geprallt war? Ronald trat instinktiv mit voller Kraft in die Bremse, wobei sein Oberkörper nach vorne flog, aber mit einem heftigen Druck vom Gurt abgefangen wurde.

Gleichzeitig hielt er das Lenkrad so fest er konnte und beobachtete erleichtert, dass er lediglich geradeaus schlitterte.

Er rang nach Luft, als der Wagen endlich stand.

Verdammt! Was war das gewesen? Ronald schaltete die Warnblinkanlage an und sah sich um. Nichts. Er sah ein kristallweißes Nichts und wieder nichts.

Vorsichtig öffnete Ronald die Fahrertür. Kein weiterer Wagen in Sicht, er konnte aussteigen. Langsam setzte er seinen linken Fuß nach draußen. Ronald war überrascht, wie sehr er zitterte. Das ist nur der Schock, sagte er sich, und zog nun auch das rechte Bein nach. Als er sich aufrichtete, schienen seine Beine nachgeben zu wollen, aber Ronald hielt sich am Wagendach fest, presste die Lippen zusammen und atmete tief durch.

Sobald er spürte, wie die Kraft in seine Beine zurückkehrte, tastete er sich am Rand seines Wagens entlang nach hinten zum Heck. Dort ließ er seinen Blick in die Richtung schweifen, aus der er gekommen war.

Doch er konnte nichts erkennen, schon gar nichts, was er angefahren haben könnte. Ronald sah überall nur mit Puderzucker garnierte Dunkelheit.

Vielleicht, wenn er die Heckklappe öffnete? Die Kofferraumbeleuchtung würde die Szenerie möglicherweise erhellen. Nicht weit, aber es war einen Versuch wert. Ronald drückte den Knopf und die Heckklappe kippte nach oben. Was er jetzt im Schein des Innenraumlichts erkennen konnte, war so bizarr, dass er seinen Augen kaum traute. Wieder hielt sich Ronald an seinem Wagen fest, bis er aufhörte zu zittern. Aber es gab keinen Zweifel: In seinem Kofferraum lag eine Leiche.

***

Ein-zwei-drei, eins-zwei-drei … irgendetwas hatte Bernhard von hinten geschubst und in die Höhe getragen.

In einer eleganten Walzerdrehung landete er auf etwas, das wie eine Motorhaube aussah.

Hui! Was für ein Walzer!

Schon nach der nächsten Drehung flog Bernhard über eine Art Fenster auf einen blechernen Tanzboden, wo er abprallte und danach endlos schwebte. Wie merkwürdig, dachte Bernhard, während ihm der Wind die Jacke vom Leib riss und an seinen gebrochenen Extremitäten zerrte, aber das war Physik, das war nicht sein Fachgebiet. Er wollte doch nur Walzer tanzen! Aber wo war seine Anna?

Mitten in diesem Gedanken landete Bernhard unsanft auf einer Scheibe, die unter ihm splitterte, in seine Halsschlagader drang und ihm den Kopf halb abriss. Sein letzter Tanz fand ein plötzliches Ende.

***

Nachdem sich Ronald in den Straßengraben übergeben und die Polizei gerufen hatte, wagte er einen erneuten Blick in seinen Kofferraum.

Es gab keinen Zweifel: Ein Mann lag darin und er war eindeutig tot. Sein Kopf war im rechten Winkel zum Körper verdreht, die Augen starr und offen. Die Hose des Mannes hing nur noch in Fetzen an den unnatürlich verrenkten Beinen. Erst jetzt bemerkte Ronald, dass die Heckscheibe zersplittert war. Wann war das geschehen? Ronald konnte sich an nichts mehr erinnern.

Wenig später hielt ein Polizeifahrzeug hinter dem Saab.

„Warum haben Sie die Unfallstelle nicht gesichert?“, fragte ein Polizist statt einer Begrüßung und der andere, nach einem Blick in den Kofferraum: „Wer ist das?“

Ronald verstand die Fragen nicht. Da war ein Toter in seinem Kofferraum und das Entsetzen darüber raubte ihm noch immer Atem und Verstand gleichermaßen. Er hörte Worte wie „illegaler Leichentransport“ und „… aber warum sollte er uns dann anrufen?“, aber nichts machte einen Sinn. Schließlich hatte einer der Polizisten ein Einsehen und rief mit dem Leichenwagen auch einen Krankenwagen.

***

Als Ronald am nächsten Nachmittag im Kreiskrankenhaus Merseburg erwachte, war Nicole schon an seiner Seite. Sie hätten ihn sediert, erzählte sie, er habe unter Schock gestanden und sie könne es kaum glauben: Da wäre wirklich ein toter Mann in seinem Auto gewesen?