Exodus - DJ Stalingrad - E-Book

Exodus E-Book

DJ Stalingrad

4,5

Beschreibung

Im Rausch der Gefahr - Ein Roman aus dem Untergrund 'Exodus' ist der authentische Entwicklungsroman eines Aussteigers am Rand der Gesellschaft. Allgegenwärtiges Elend, absolute Perspektivlosigkeit und Wut prägen von Kindheit an die Umgebung des Erzählers. Er antwortet darauf mit roher Gewalt: Keine Schlägerei, kein Straßenkampf ist ihm zu blutig oder zu sinnlos, er hängt weder am Leben noch glaubt er an irgendwelche Werte. Doch mit diesem drastischen, ungeheuer intensiven Buch, das zunächst im Samisdat erschien, findet er eine Sprache für den Krieg an der Peripherie der Großstädte. Schreibend macht sich Piotr Silaev, alias DJ Stalingrad, Angehöriger der roten Skinheadszene, Anarchist und Antifaschist mit philologischer Hochschulbildung, auf die Suche nach einer höheren Wahrheit, die uns alle angeht.

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DJ Stalingrad

EXODUS

Aus dem Russischen von

Friederike Meltendorf

gewidmet unserem liebsten Fedja

Inhaltsverzeichnis

Exodus
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6: Backstage
Anmerkungen
Impressum

Die Sonne brennt. Der strahlende Himmel und das Wasser im Meer – ein Chlorblau wie in der Kindheit. Wir steigen den Hügel hinauf, zur Altstadt, dorthin, wo die antike Festungsmauer ihre Ringe gezogen hat wie sich windende steinerne Drachen. Ringsum verfallene Häuser, sie dürfen weder abgerissen noch restauriert werden, in den meisten wohnen Zigeuner. Auch wir suchen ein neues Haus. Hinauf, hinauf die kleine Kopfsteinpflasterstraße, fast bis ganz oben sind wir gelaufen und haben eins gefunden.

Ein nicht zu großes, ordentliches, weiß gestrichenes Landhaus, zwei Stockwerke, Weinreben, Veranda. Wir haben geprüft, ob es Strom gibt, gibts, geprüft, ob es Wasser gibt, gibts auch, Menschen nicht. Angekommen und gefunden.

Ich habe einen Sessel auf die Veranda gestellt. Hitze, im Hof ist Dezember. Unten Ziegeldächer, ein Hafen, eine Bucht und verschneite Berge am Horizont. Zwischen dem Kram im Haus fanden sich Bücher in unbekannten Sprachen und ein leeres liniertes Heft. Da schreibe ich rein. Ich wollte sehr lange nichts schreiben, jetzt will ich. Ich brauche es. Ich bin entspannt und schreibe einfach Bilder auf, eins nach dem anderen, wie sie in meiner Erinnerung auftauchen. Sie haben die ganze Zeit in mir gelebt, mich belagert und gequält, ich konnte an nichts anderes denken. Jetzt mache ich diese Aufzeichnungen, und mit jeder Seite kann mich einer der Dämonen, die dort hängengeblieben sind, die sich über meinem Kopf verhakt haben, verlassen und für sich eine neue Form auf dem Papier finden. Je länger ich schreibe, desto leichter wird mir, all mein Leiden banne ich auf dieses Papier, und wie immer erduldet es alles. Mir wird tatsächlich leichter, ich erinnere, um zu vergessen.

Shenja und ich sitzen bei Freundinnen in einer Wohnung in Petrograd. Draußen vor dem Fenster massenhaft Schnee, wir blasen Trübsal. Wir haben unsere Heimatstadt verlassen, mit der uns so viel verbindet. Shenja bekam am Ende Schwierigkeiten mit der Drogenpolizei, sie warteten vor seiner Wohnung. Roma war ihn besuchen gekommen – sie fickten ihn im Auto ordentlich durch, dann musste er nackt zwei Stunden lang wie bekloppt Kniebeugen machen, damit das Heroin aus ihm rausrutscht. Jetzt sind wir hier, ich hab ihm was gedrückt – Shenja ist glücklich. Die Damen füllen uns ab, ich bin in der Stimmung, über was Ernstes zu reden, Trübsal zu blasen. Ich lege eine Platte mit Liedern von Wertinski auf.

»Du hättest schon früher den Wohnort wechseln sollen, Shenja. Wärst du noch länger in Moskau geblieben, hätten sie dich entweder eingelocht oder du wärst an einer Überdosis gestorben.«

»Weißt du noch, wie ich damals in Petrosawodsk fast gestorben wäre?«

»Ja, am Krepieren warst du, beinahe hätten wir dich nicht gefunden. Sind mit unseren Bussen durch die ganze Stadt gefahren, da seh ich, wie du an der Ampel stehst, die Augen kippen dir weg. Ich hab trotzdem nie verstanden, warum du damals fünfzehn Tropfen genommen hast.«

»Naja, ich wollte es eben ausprobieren, es ist einfach so passiert. Entschieden hatte ich das viel früher. Ich weiß nichts mehr, nur noch, wie ich im Bus zu mir kam, du neben mir und alle Jungs, und plötzlich bleibt mein Herz stehen. Stille. Ich hau mir auf die Brust, mit aller Kraft, einmal, zweimal. Und es fängt wieder an zu schlagen ... Präkordialer Faustschlag, Erste Hilfe.«

»Ein ordentlicher Schlag in die Fresse – das ist Erste Hilfe. So haben wir Leute auf der Arbeit oft zur Besinnung gebracht. Gläubige Boxer nannten es Versuchung.«

»Ich weiß noch, wie ich Fedja frage, wo er die Narben über der Braue herhat. Er sagt: ›Ich bin mal besoffen in eine Schlägerei geraten, die haben mich bewusstlos gefickt. Ich kam in die Alki-Trauma – die Unfallstation für Unzurechnungsfähige. Es ist Nacht, ich komm auf einem Stahltisch zu mir, als mir ein Kerl die Braue näht, grob wie einem Hund, und auch noch direkt über meinem Gesicht raucht. Es tut weh, ich bin besoffen, meine erste Reaktion – ich hau ihm eins in seine beschissene Fresse. Was für Kerle da von allen Seiten angerannt kamen, in weißen Kitteln, wie Kühlschränke. Die haben mich dermaßen gefickt, verdammte Scheiße, und rausgeschmissen in den Frost. Um fünf Uhr morgens, ich habs kaum zur Metro geschafft, kapiere nichts, die ganze Kleidung voll getrocknetem Blut, wie Holz. Kein Geld für ein Ticket. Die Alte am Drehkreuz sagt: Geh durch, Söhnchen, wieder in der Alki-Trauma ...‹ Massen solcher Geschichten hatte der.«

»Ja, vor fünf Jahren sind wir mal nach Kirow gefahren, er hat den ganzen Weg von seiner Arbeit erzählt, von all den Fabriken. Wie sie in der Halle besoffen Karten gespielt und den Verlierer an den Kranhaken gehängt haben, wie sie ihn über dem Siemens-Martin-Ofen baumeln ließen. Der jault und wird geröstet, alle lachen ... Wie sie Wetthüpfen über die Säurewannen gemacht haben. Und die Geschichte mit der Schürze, kennst du die?«

»Nein.«

»Da hat er in einem Betrieb gearbeitet, in einer Tischlerei, und wenn sie auf der Arbeit soffen, machten sie Folgendes: Sie hatten Leinenschürzen, die ziehst du an und nagelst sie wie bekloppt an diese verfickte Maschine, und dann kannst du nicht mehr umfallen! Der Vorarbeiter kommt zum Kontrollgang – die ganze Mannschaft festgenagelt ...«

»Ja, genau. So hat er gearbeitet, seit er vierzehn war ...«

»Tja, ich denke oft, dass ... und er hat das selbst gesagt ... dass er im Leben ganz schön weit gekommen ist. Dass ihm vom Schicksal ein ewiges Dahinvegetieren bestimmt war, voll Armut und Scheiße, aber er hat doch ein ganz lustiges Leben gehabt, hat ordentlich was geschafft. Er hat erzählt, wie er mal einen Klassenkameraden getroffen hat, der in einem Büro arbeitet, billiges Jackett, grinst nur und erzählt eine ganze Stunde, wie er sich einen neuen Heimtrainer gekauft hat, wie toll der ist, lobt sich. Fedja ist müde, verkatert, kommt außerdem gerade von der Arbeit, und der fragt ihn: ›Was hast du denn erreicht?‹ Fedja ist scheißegenervt und brutal direkt: ›Einen Heimtrainer hab ich nicht, Geld auch nicht, aber gestern, da hab ich auf den Rjasanski Prospekt einen Kerl mit einem Eimer verdroschen. Er wurde mit dem Krankenwagen abtransportiert ...‹«

»Ich versteh einfach nicht, warum wir nicht alle sitzen.«

»Naja, wir sitzen eben nicht, wir hören gerade in Piter Wertinski, Fedja ist unter der Erde, Kolja hinter Gittern ... jedem das seine, wie man so sagt.«

»Stimmt. Echt Wahnsinn, wie Kolja all die Jahre gefeiert hat ... wie wir damals druff waren, an der Metro sind wir voll abgeflogen, sind auf irgendwelche Schickimickis los, er mit ner Knarre, ich mit ner Machete. Alte Scheiße, wie mexikanische Gangster, und dann haben wir uns in die Metro zurückgezogen, Rücken an Rücken, haben mit den Waffen rumgefuchtelt und die Bullen haben sich alle verdrückt.«

»Die haben euch alle längst gesucht und ihr habt trotzdem ordentlich weitergemacht ... und dann noch diese Knarre, er hat die ganze Zeit damit rumgeballert. Steigt nachts besoffen in die Metro, zieht die Knarre und schreit: ›Es lebe Stalin!‹ Alle Fahrgäste verpissen sich sofort aus dem Zug ...«

»Oder wie wir besoffen in den Laden sind, Kolja krallt sich Wodka, Kognak, aus allen Taschen ragen Flaschen. Wir gehen zur Kasse. Er zahlt einen Kaugummi, da fällt ihm die Pistole aus der Jacke, direkt aufs Verkaufsband. Er entschuldigt sich, nimmt den Kaugummi und geht. Die Wachleute sind einfach zur Seite getreten ...«

»Na ja, er hatte nicht immer so ein Schwein. Vorigen Sommer hat er einem Wachmann einen Zigarettenständer übergezogen und ihm die Birne eingeschlagen, danach haben sie Kolja die Birne zerkloppt ... Ich hab ihn die ganze Nacht von Notaufnahme zu Notaufnahme gekarrt.«

»Das war totaler Wahnsinn, als wäre ihm schon alles scheißegal gewesen.«

»Na, stimmt doch, er hatte ja auch nichts zu verlieren: die Familie bettelarm, die Eltern Rentner. Was sollte er denn machen? Als Träger wollte er nicht arbeiten ... und ich übrigens auch nicht, wie viel ich auch geackert hab – alles umsonst. Gutes Geld verdien ich nur, wenn ich lange Finger mache oder wenn was vom Himmel fällt. Das ganze letzte Jahr zum Beispiel hab ich nicht gearbeitet, hab all die Konzerte gemacht und hatte mehr Geld als je zuvor. Es war interessant, brachte Ruhm, brachte Geld und arbeiten musste ich auch nicht ... Was für Partys wir in dem Sommer hatten, echt geil ...«

»Ja, ich hab auf den Partys auch ziemlich geil verkauft ...«

»Das hat man gesehen, durchgedreht sind die alle, haben sich gegenseitig mit Messern und Flaschenhälsen aufgeschlitzt, ihre eigenen Kumpel mit Schlagringen verdroschen, nachts sind sie ins Lagerfeuer gefallen und wurden geröstet. Morgens fing es an zu regnen, die Leute sind nackt durch den Schlamm gerobbt, die Musiker haben echt im Sumpf gespielt! Das ist mal Rock’n Roll! ... Oder im Winter, im Kulturhaus, ich geb ein Konzert, da stürzt der Direktor auf mich zu, knallrot, und schreit: ›Was soll denn der Scheiß, so war das nicht abgemacht! Die Leute drücken mitten im Foyer.‹ Mann, war das geil ...«

»Ja, und hier kann es auch so werden ... wir leben uns in Piter ein und legen dann los ... langweilen werden wir uns jedenfalls nicht.«

»Nee, mach was du willst, aber ich bin fertig. Für mich ist das alles vorbei. Als sie Fedja umgelegt haben … in dem Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen, vorher stand ich im Dunkeln und plötzlich sah ich klar. Ich will nicht mehr, danke nein, es reicht. Konzerte, Auswärtsspiele, Schlägereien, Zechereien, Partys – Schluss, das bedeutet mir nichts mehr. Ich kann nicht mehr.«

***

Durch die schwarzen Fenster der Nacht, aus dem Dunkel der endlosen Moskauer Winter kam Er zu mir. Er öffnete das Fenster, betrat mein verängstigtes Kinderherz und sagte:

»Siehe, du bist verdammt. Alles wird sehr schlimm, dein Leben wird für dich eine sinnlose, endlose Qual und für deine Mitmenschen eine Bürde. Du wirst ertragen, dann wird man dich ertragen, es wird niemals enden. So habe Ich dir geheißen.

Aber du kannst das ändern, knie vor Mir nieder, diene Mir, übergib dich vollständig Meinem Willen, und Ich mache dein Leben zu dem, was Ich will. Es wird darin viel Schreckliches, Dummes, Krasses, Scheußliches geben ... Nichts wird dir gehören, Ich gebe dir, was Ich will, nur das. Als Besitzloser wirst du dich durchbetteln und klauen. Ich werde dich mehr und mehr ausnutzen, du wirst zur Lieblingsfigur in Meinem Spiel, doch irgendwann werde Ich dich austauschen, zerquetschen und in den Müll werfen. So wird es, vertrau Mir.«

Und ich blieb bei Ihm, Er trat als Bedrohung und Angst für immer in mein Herz, ich kniete vor Ihm nieder und ließ Ihn ein. Jahre später kam ich zu dem Schluss, dass Er der Herrgott ist. Mir bleibt nur, auch jetzt auf Ihn zu hoffen ...

Sagt mir warum? Warum? Insgeheim weiß ich genau warum.

Der Typ ist nicht schlecht gekleidet, bescheiden, geschmackvoll. Ordentliche Frisur, entschlossene Gesichtszüge, wirkt athletisch, treibt Sport, zuversichtlicher Blick aus braunen Augen. Er ist keine dieser modischen Schwuchteln, er ist ein ernsthafter, guter Kerl – ein starker, mutiger, okayer Typ. Er handelt überlegt, liebt aber die Leidenschaft, den Moment und den Übermut des Spiels. Seine Nase hat einen kleinen Höcker, sie war mal nach einer Schlägerei gebrochen – der Junge kennt den Geschmack von Blut auf den Lippen nicht nur vom Hörensagen. Er ist immer bereit, für sich und seine Nächsten einzustehen, hat viele Freunde, unter denen er berechtigtes Ansehen genießt. Viele Freundinnen, die ihn dafür lieben, dass er gefährlich, risikofreudig, ja männlich wirkt, was den Jungs aus der Stadt einfach abgeht. Er amüsiert sich, spielt leidenschaftlich, gibt gerne Geld aus, findet leicht aus schwierigen Situationen raus – er ist noch jung, hat aber schon ordentlich was erlebt. Und er ist rechtschaffen, ein guter Kerl. Er hat die richtige Vorstellung davon, wie man das Leben richtig lebt. Nicht nur schön, übermütig, mit lustigen Mädels und wilden Freunden, sondern auch bedacht, so, dass er sich nicht seiner sinnlos vertanen Jugendjahre schämen muss. Wissen braucht man und Einsicht. Sein Land muss man lieben, Vater und Mutter ehren, Prinzipien vertreten, Alkoholmissbrauch vermeiden, ein gutes Mädchen finden, eine Familie gründen, Kinder erziehen. Alles tun, wie es sich gehört, schön ein schönes Leben führen, ohne Unterlass.

Tja, dieser Kerl steht abends vor einem Laden, und ich trete von hinten an ihn ran. In einem ollen Pulli, dreckigen Turnschuhen, mit einer schlampig rasierten Glatze, pubertärem Bartflaum, das Gesicht voller Pickel, verfaulte Zähne. Und innerhalb einer Sekunde verwandelt sich dieser super Typ in ein Stück Scheiße. Ein Eisenrohr macht aus seinem Kopf blutiges Hackfleisch. Zähne, Hautfetzen, Blut fliegen in alle Richtungen. Ich bin ein Fünferkandidat aus der letzten Reihe, meine Klassenkameraden verachten mich, ich saufe und wichse. Ich habe eine eingefallene Brust, einen rachitischen Bauch, ich neige zu Asthma, habe ein schwaches Herz, hatte nie eine normale Arbeit, hatte nie einen Vater, hatte nie eine Freundin. Innerhalb einer Sekunde räche ich mich an diesem Wichser für all die Jahre, für mein ganzes Leben, für all die Idioten wie mich, für die Krüppel, die Kranken, für die Kinder des Angestelltenproletariats, für alle Dummen, Infantilen, für die Versager, die einen beschissenen Wahnsinnsanteil an der Bevölkerung unseres Landes ausmachen. Ich werde ihm mit diesem Eisenrohr für uns alle den Kopf einschlagen, und es wird etwas von Heiligkeit haben. Beziehungsweise hat Heiligkeit immer etwas davon.

»Die Kinder von Bullen hassen Bullen!« Im Winter 2005 sind wir mit Vorortzügen nach Rjasan gefahren, es war Frost, arschkalt, alle sind schlicht durchgedreht. Wir kamen in das abgewichste Kino, Rjasaner waren fast keine da, also blieben wir beim Konzert unter uns. Uns alle, rund vierzig Leute, die im Saal waren, überfiel eine kranke Aufregung, die sich in Euphorie verwandelte. Wie wir es liebten.

Der besoffene Gena kroch auf die Bühne, griff sich das Mikro, skandierte irgendwelche Zeilen, wir kapierten nicht gleich, dass das Lieder waren, eines nach dem anderen. All seine verfickten Schwachsinnshits. Wir gerieten in Raserei, fielen krampfend zu Boden, zuckten in qualvollen Tänzen, tanzten epileptische Reigen, verprügelten einander. Nachts dann quer durch die ganze Stadt zum Bahnhof, Mischa hätte fast seine Freundin umgebracht, als er ihr einen Ziegelstein an den Kopf schmiss. Ein paar Leute schlug es unterwegs derart gefickt auf den Asphalt, dass sie nicht mehr laufen konnten, wir mussten sie tragen. Serjosha, Vater von zwei Kindern, sagte, dass er gleich stirbt, hielt ein Auto an und fuhr zum Bahnhof. Es war Quatsch, ihn alleine vorfahren zu lassen – dort geriet er mit Angehörigen einer Spezialeinheit bewaffneter Fallschirmjäger aus Tschetschenien aneinander, die sofort ihr Urteil über ihn fällten. Sie tranken gerade im Wartesaal mit örtlichen Bullen Wodka und aßen dazu Eistorte, die sie mit einem Bajonettmesser aufspießten. Alle hatten Maschinengewehre. Wir waren auch irgendwie bewaffnet, außerdem waren wir in der Überzahl und aggressiv drauf, die Soldaten entschieden, sich auf Verhandlungen zu verlegen und boten den Unterhändlern Wodka an. Die tranken und begannen eine Antikriegsdiskussion, erklärten, dass es in der libertären Welt der Anarchie keine Armee braucht. Während die Fallschirmjäger noch die Information verdauten, kam die morgendliche Elektritschka und wir zogen ab. Fingen an, uns in die Waggons zu hieven, ich gucke – wieder kein Serjosha. Denke, die haben ihn geschnappt, renne über den Bahnsteig und seh plötzlich – da steht ein Bulle an der Kasse, der wartet auch auf die Elektritschka, von hinten nähert sich ihm Serjosha, Vater von zwei Kindern, öffnet seinen Hosenstall und fängt an, auf dessen Hose zu strullern ... Beherzt schlagen wir Serjosha k.o., schubsen ihn in den Waggon ... Bis bald.

Serjosha kann Bullen echt nicht leiden, immer wenn er sich besäuft, läuft er durch die Stadt und fickt sie, dann ficken sie ihn, packen ihn, schleppen ihn aufs Revier, nachts kommt dann Serjoshas Frau und löst ihn aus. Das passiert regelmäßig. Einmal hätten sie Serjosha beinahe richtig eingelocht, als er, während er auf dem Revier im Affenkäfig saß, durch das Gitter auf einen Untersuchungsbeamten eindrosch, der gerade vorbeilief.