FreakOut - Barbara Imgrund - E-Book

FreakOut E-Book

Barbara Imgrund

4,9

Beschreibung

Eine Journalistin quartiert sich in Sankt Georg ein. Ihr Auftrag: eine Reportage über das Institut zu schreiben, das hoffnungslose psychiatrische Grenzfälle betreut. Vera wird einer Gruppe von Patienten zugewiesen, deren Alltag sie zwei Wochen lang teilen soll – und nach anfänglicher Skepsis und zunächst eher widerwillig freundet sie sich schließlich mit der magersüchtigen Ylvi und den anderen „Freaks“ an. Doch je wohler sich Vera in Sankt Georg fühlt, desto verstörender werden die Begegnungen mit dem rätselhaften roten Drachen: Er erscheint ihr immer und immer wieder – so lange, bis sie zu ahnen beginnt, dass es noch einen Grund geben muss, warum sie hier ist. „Ein Roman, der einen auch lange nach dem Lesen nicht loslässt. Der es versteht, dunkle Kammern im Inneren des Lesers zu öffnen, von denen man glaubt – und hofft –, dass sie gar nicht da sind.“ Tanya Carpenter, Literaturportal LITERRA

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Barbara Imgrund

FreakOut

Eine Wahnsinnsgeschichte

Coverfoto: @amplejs3 – Fotolia • Drachengrafik: Riverstudio – iStockphoto

Barbara Imgrund

FreakOut – Eine Wahnsinnsgeschichte

Stuttgart 2014

ISBN 978-3-944561-30-1

Dieses Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© Barbara Imgrund

© 2014 red.sign media, Stuttgart

www.redsign-media.de

Für Mali,

die wie der rote Drache

gerade zum richtigen

Zeitpunkt

kam

Wahrlich, keiner ist weise,

Der nicht das Dunkel kennt,

Das unentrinnbar und leise

Von allen ihn trennt.

Hermann Hesse

Prolog

Eine Geschichte ist eine Geschichte ist eine Geschichte.

Zuerst ist sie nur ein Gedanke, klein und unscheinbar und noch gar nicht des Erzählens wert. Doch dann, wenn es Zeit dazu ist, wachsen ihm Flügel, er weiß selbst nicht wie, und ehe man sich’s versieht, erhebt er sich in die Lüfte und wird ein großer bunter Schmetterling, der sich im Wind wiegt und Stürmen trotzt. Suchend gleitet er über ferne Meere, Länder und Himmel, um irgendwo noch einen Schmetterling zu finden und noch einen Gedanken, der zu ihm passt. Denn zusammen werden sie der Beginn dieser Geschichte sein. Und ein wenig später sind es schon drei und vier, die miteinander flattern, und alsbald noch viel mehr, bis sich Flügel an Flügel reiht und eine Geschichte aus Schmetterlingen geboren ist mit einem Anfang und einem Ende und allem, was dazwischen liegt.

Doch dieser schillernde Tanz aus Gedanken und Schmetterlingen ist nicht das einzige Wunder, das die Geschichte vermag. Nun will sie erzählt werden, damit sich ihr Schicksal erfüllen kann. Denn dies ist ja ihr einziger Zweck: erzählt zu werden und selbst zu erzählen. Wie dies geschieht, ist ihr indes vollkommen einerlei. Es gibt hundert verschiedene Arten, das zu tun, und längst hat sie sich daran gewöhnt, dass sie sich kein einziges Mal gleich anhört. Tatsächlich erkennt sie sich zuweilen fast nicht wieder, weil hier ein Schmetterling davongeflogen ist und dort sich ein fremder hinzugesellt hat und alle nun kunterbunt durcheinander schaukeln. Aber darum ist sie doch nicht weniger sie selbst. Richtig oder Falsch kümmern sie kaum; genau genommen gibt es ja weder das eine noch das andere. Als das, was sie ist: eine Geschichte aus vielen, vielen Schmetterlingen, ist sie stets wahr. Es kommt nur auf den Blickwinkel an. Er ist der Schlüssel zum Schloss. Und er öffnet die Tür.

1

Der Blick schweift über Wiesen und bewaldete Hügel, streift den See, der glatt wie ein Tuch daliegt, und schwenkt hinüber zu den beiden weißen Gebäuden. Verheißungsvoll leuchten sie noch einmal in der Abendsonne auf, als stünde das irgendwo im Anstaltsprospekt. Friedlich ist es hier und still.

Beim Näherkommen zeigt sich der hohe Zaun, der das Gelände bis hinunter zum See umgibt, durchbrochen nur durch ein Tor. Es ist aus Schmiedeeisen und schlicht, doch es verrät Geschmack. Als es sich wenig später hinter der Besucherin schließt, ist ihr für einen Moment nicht ganz wohl dabei. Dann fällt ihr Blick auf das bunte Hochglanzpapier, das sie in Händen hält. Willkommen in Sankt Georg.

Sie starrte auf den Monitor, auf dem der schwarze Balken nach dem letzten Punkt blinkte. Erwartungsvoll. Er wollte mehr. Alle wollten sie mehr. Immer. Und sie hatten ja Recht: Da schlummerte noch so viel Weiß unbeschrieben in den Tiefen des Laptops. Eine Wüste von Weiß. Selbst wenn sie ab jetzt nichts anderes mehr tat, als nur noch zu schreiben, für den Rest ihrer Tage, ein ganzes Leben lang – sie würde doch niemals ans Ende des Weiß gelangen. Es wäre noch immer da. Hinter jedem Wort, hinter jeder Zeile. Bis in alle Ewigkeit.

Das Poltern eines Gegenstandes, der in dem Zimmer über ihr zu Boden fiel, riss sie aus ihren Gedanken; gleich darauf war es wieder still. Sie schüttelte den Kopf, auch um den kleinen nagenden Schmerz darin loszuwerden, fragte sich ebenso verwundert wie beiläufig, ob der Geist des Hauses schon jetzt, nach kaum einer Stunde, auf sie abfärbte, und vertiefte sich wieder in die wenigen Sätze, die sie vor ein paar Augenblicken geschrieben hatte.

Ich weiß nicht. Das kann ich besser. Es wirkt so blutleer. Wie schon mal gelesen. Solche Artikel überblättert man doch gleich. Dabei haben sie früher meinen Stil so gelobt: nichts zu viel und nichts zu wenig. Aber das hier ... Ich habe nur eine Ausrede – mir fehlt die Übung in letzter Zeit. Ich erinnere mich nicht mehr daran, wie man gute Texte schreibt. Manchmal ist es schwierig, sich diese Dinge ins Gedächtnis zu rufen. Diese und andere. Aber das wird schon werden. Ganz bestimmt. Ich bin doch eben erst angekommen. Und gesehen habe ich schließlich auch noch nicht viel. Nun, zwei Wochen sind lang, und sie haben gerade erst begonnen ...

Ja, jetzt bin ich hier. Also gut. Noch einmal von vorn.

Alles hatte damit angefangen, dass ihr ein Dämon im regennassen Fenster erschienen war. Es war einer von der unfreundlichen Sorte, dessen Fratze an der Scheibe zerfloss und rote Schlieren auf dem Glas hinterließ. Noch lange, nachdem er verschwunden war, hallte sein böses Fauchen in ihrem Kopf wider. Zuerst dachte sie an Überarbeitung. Dann, als die Erscheinung immer häufiger wiederkehrte und sich dort im Fenster häuslich einzurichten schien, wurde sie unruhig. Und zuletzt, nach dem 87. Mal, wie sie aus ihrem Tagebuch wusste, ließ sie sich einweisen.

Wieder Innehalten. Wieder Kopfschütteln. Sie überflog den Absatz, aber auch jetzt war sie nicht zufrieden. So wurde das nichts. Sie konnte doch nicht über etwas schreiben, von dem sie nichts wusste. Das hatte sie noch nie getan. Wirklich nicht. Bei ihrer Journalistenehre.

Ich sollte es einfach für heute gut sein lassen. Es wird mir schon etwas einfallen, wenn ich erst ein paar von den Patienten kenne. Und mit dem Arzt gesprochen habe. Morgen früh treffe ich ihn. Wie heißt er doch gleich? Moment, wo ist denn der Brief? Da … Doktor Morus. Komischer Name. Nur einen Buchstaben entfernt von Morbus: Krankheit. Vielleicht muss man ja so heißen, wenn man es mit lauter Irren zu tun hat.

Meine Güte, was denke ich hier eigentlich? Und was tue ich hier eigentlich?

Sie stand auf, ging zu ihrer Handtasche, die auf dem Bett neben dem halb ausgepackten Koffer lag, und wühlte darin nach den Zigaretten. Nach einigem Suchen fand sie ganz zuunterst das zerknüllte Päckchen, in dem auch das Feuerzeug steckte. Sie seufzte erleichtert. Während sie ans Fenster ging, fingerte sie eine Zigarette heraus, steckte sie zwischen die Lippen und ließ das Feuerzeug aufschnappen. Draußen eine regentriefende, dämmernde Welt. Wunderbar trostlos, ganz so, wie es sich für den Tag der Anreise gehörte.

Dann, kurz vor dem Anstecken, fiel es ihr wieder ein: Rauchverbot. In allen Räumen. Außerdem kein Alkohol. Und – natürlich! – keine Drogen.

Sie lachte leise, klappte das Feuerzeug zu und nahm die Zigarette wieder aus dem Mund. Halb so schlimm. Dann eben nicht. Sie war keine Sklavin des blauen Dunstes. Aber es wirkte doch eine Spur zu ärgerlich, als sie Zigarette und Feuerzeug wieder ins Päckchen zurückstieß.

Das fängt ja gut an. Willkommen in Sankt Georg. Willkommen in der Klapsmühle.

2

Am anderen Morgen wurde ihre Tür eingetreten. So hörte es sich wenigstens an. Aber es war nur der Weckdienst, der reihum anklopfte. „Guten Morgen“, brüllte es von draußen geradewegs in ihr pochendes Hirn. „Aufstehen! Frühstück!“

Sie ächzte und vergrub das Gesicht im Kissen. Ihr Herz schlug wie wild.

Sind die denn verrückt geworden?

Dann erinnerte sie sich wieder.

Natürlich. Sonst wären sie ja nicht hier.

Sie hob den Kopf und lauschte der Parole nach, die sich den Gang hinunter entfernte. Aus den anderen Zimmern hörte sie nichts. Wahrscheinlich kämpfte man dort ebenso gegen den lähmenden Schrecken, wie sie es tat.

Sie blieb noch einen Augenblick liegen, um zu sich zu kommen. Dies war wieder ein Kopfschmerzmorgen, links in der Schläfe, wo die Narbe saß. Ganz oben im Hals konnte sie ihren Herzschlag spüren. Jetzt nur nicht zu schnell aufstehen. Langsam wühlte sie sich aus dem Bettzeug und setzte sich auf. Ihr Blick wanderte zum Fenster hinüber. Keine Rollläden, keine Jalousien, nur cremeweiße Vorhänge, die jeden Fetzen Tageslicht hereinließen. Ob das therapeutische Zwecke hatte? Damit nur ja keine Trübsal aufkam? Depressionsverhütung? Immerhin dienten sie als Sichtschutz. Das zweite Gebäude stand nahe genug, dass man in ihr Fenster sehen konnte. Wer weiß, am Ende gab es unter all den Freaks hier auch ein paar Voyeure?

Noch immer Herzklopfen, jetzt aber schon ruhiger. Ihr Blick wanderte durch das kleine Zimmer. Nun, da die Herbstsonne wieder schien und sanft durch die Vorhänge hereinfloss, sah alles schon viel freundlicher aus. Man musste sich nur die Gitter vor den Fenstern wegdenken. Das Ganze hatte Geschmack, das war nicht zu leugnen. Klapse de luxe für die ganz hoffnungslosen Fälle. Die Austherapierten. Parkett am Boden, in der Mitte des Raums ein flauschiger Läufer, darüber zartes Orange an der Wand (das sich im Badezimmer bis in die Fliesen hinein fortsetzte). Sicherlich hatte man diesen Ton nach den neuesten farbpsychologischen Erkenntnissen ausgewählt. Dazu runde Türknäufe, keine Klinken, auch keine Schlösser. Kommt nur alle herein, wer braucht schon so etwas wie Privatsphäre? Scharfe Ecken und Kanten ebenfalls Fehlanzeige. Stuhl, Tisch und Bett alles aus lackiertem Buchenholz waren am Boden festgeschraubt. Am Kopfende des Bettes in die Wand eingelassen ein Knopf, mit dem man Hilfe herbeirufen konnte. Wenn man sie denn wollte. Schwere Zeiten für Selbstmörder.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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