Gregor 4. Gregor und der Fluch des Unterlandes - Suzanne Collins - E-Book

Gregor 4. Gregor und der Fluch des Unterlandes E-Book

Suzanne Collins

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Beschreibung

Band vier der spannenden Kinderbuchreihe der Bestsellerautorin Suzanne Collins ("Die Tribute von Panem") nun erstmals auch digital erleben! Für ein etwas jüngeres Publikum, aber ebenso fesselnd und mitreißend! Die dunkle Seite greift an ... Ein tödlicher Plan bedroht das Unterland Rätselhafte Dinge geschehen im Unterland. Gregor und Luxa erreicht eine verschlüsselte Botschaft der Huscher - ein verzweifelter Hilferuf. Die beiden machen sich große Sorgen und machen sich auf die gefährliche Suche nach den Mäusen, um sie zu retten. Auf ihrem Weg werden sie von angriffslustigen Riesenskorpionen bedroht und begegnen dem Fluch, jener weißen Ratte, die Gregor einst aus Mitleid verschont hat. Sie ist zu einem machtbesessenen Anführer herangewachsen und verfolgt mit einer ganzen Armee wütender Ratten einen tödlichen Plan. Der vierte Roman von Gregor - Abenteuer aus dem Unterland.

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Für Rosemary Stimola, Kate Egan und Liz Szabla

Teil 1

DIE KRONE

1. Kapitel

Gregor saß auf dem Bett und fuhr mit den Fingerspitzen über die Narben. Es gab zwei verschiedene Sorten. Die dünnen Linien, die kreuz und quer über seine Arme verliefen, stammten von den tückischen Ranken, die ihn in den Unterland-Dschungel hatten zerren wollen. Die tieferen Narben, die seinen ganzen Körper und vor allem die Beine übersäten, hatte er den Kiefern der Riesenameisen zu verdanken, gegen die sie gekämpft hatten. Die Narben waren zwar nicht mehr ganz so tief, aber durch ihre silbrig-weiße Farbe fielen sie sofort auf. An T-Shirts oder kurze Hosen war deshalb nicht zu denken. In der kalten Jahreszeit, als man sich sowieso warm anziehen musste, war das egal gewesen, aber jetzt, im Juli, bei über 30 Grad im Schatten, sah das natürlich anders aus.

Er nahm ein Döschen aus Stein von der Fensterbank, schraubte den Deckel ab und verzog das Gesicht. Der fischige Geruch der Salbe verbreitete sich sofort im ganzen Raum. Die Ärzte im Unterland hatten sie ihm verschrieben, damit die Wunden schneller verheilten, aber er hatte sie nicht besonders gewissenhaft benutzt. Eigentlich hatte er kaum einen Gedanken daran verschwendet, bis er eines Tages im Mai in Shorts ins Wohnzimmer gekommen war und die Nachbarin Mrs Cormaci gerufen hatte: »Gregor, du kannst unmöglich mit nackten Beinen rausgehen! Da fangen die Leute doch an, Fragen zu stellen!«

Sie hatte recht. Es gab ungefähr eine Trillion Sachen, die seine Familie sich nicht leisten konnte … und Fragen standen ganz oben auf der Liste.

Während Gregor sich das Zeug auf die Beine schmierte, dachte er sehnsüchtig an den Basketballplatz, die großen Wiesen im Central Park und das Freibad. Wenigstens konnte er ins Unterland gehen. Ein kleiner Trost.

Was für eine Ironie des Schicksals, dass das Unterland, das er immer so gefürchtet hatte, in diesem Sommer eine Zuflucht für ihn geworden war. Die stickige New Yorker Wohnung war viel zu klein für sie alle – Gregor, die ans Bett gefesselte Großmutter, den kranken Vater und Gregors jüngere Schwestern, die achtjährige Lizzie und die dreijährige Boots. Und doch hatte er immer das Gefühl, dass jemand fehlte … der leere Stuhl am Küchentisch … die unbenutzte Zahnbürste im Halter … Manchmal ertappte Gregor sich dabei, wie er ziellos von einem Zimmer ins andere ging, als würde er etwas suchen, und dann merkte er, dass er hoffte, seine Mutter zu finden.

In vielerlei Hinsicht hatte sie es im Unterland besser. Auch wenn sie sich meilenweit unter ihrer Wohnung befand und die Familie schrecklich vermisste. In Regalia, der Stadt der Unterlandmenschen, gab es Ärzte und reichlich gutes Essen, und die Temperatur war immer angenehm. Seine Mutter wurde dort unten behandelt wie eine Königin. Abgesehen davon, dass in Regalia jeden Moment ein Krieg ausbrechen konnte, war es gar kein so übler Ferienort.

Gregor ging ins Bad und wusch sich die Hände mit dem einzigen Mittel, das gegen die Fischsalbe ankam: Scheuerpulver. Dann ging er in die Küche, um Frühstück zu machen.

Dort erwartete ihn eine freudige Überraschung: Mrs Cormaci war schon da, sie verrührte gerade Eier und schenkte Saft ein. Auf dem Tisch stand eine große Packung Donuts mit Puderzucker. Boots saß auf ihrem Kinderstuhl, Puderzucker um den Mund, und mümmelte an einem Donut. Lizzie tat so, als würde sie ihr Rührei essen.

»Hey, gibt’s heute was zu feiern?«, fragte Gregor.

»Lizzie fährt ins Ferienlager!«, sagte Boots.

»Genau, kleines Fräulein«, sagte Mrs Cormaci. »Und wir sorgen dafür, dass sie vor der Abreise noch ein großes Frühstück bekommt.«

»Ein goßes Frühstück«, bekräftigte Boots. Sie fasste mit ihrer klebrigen Pfote in die Packung und hielt Lizzie einen Donut hin.

»Ich hab schon, Boots«, sagte Lizzie. Sie hatte ihren Donut noch nicht mal angerührt. Bestimmt konnte sie vor lauter Reisefieber nichts essen.

»Ich hab aber noch keinen«, sagte Gregor. Er griff Boots’ Handgelenk, führte den Donut zu seinem Mund und biss kräftig hinein. Boots kicherte und bestand darauf, den ganzen Donut an ihn zu verfüttern, wobei sie sein Gesicht mit Puderzucker beschmierte.

Da kam Gregors Vater mit einem leeren Tablett herein.

»Wie geht’s Großmutter?«, fragte Gregor und schaute seinem Vater auf die Hände. Wenn sie zitterten, stand ein schlechter Tag bevor. Aber heute schienen sie ruhig zu sein.

»Ach, ganz gut. Du kennst sie ja, einen anständigen Donut weiß sie immer zu schätzen«, sagte er mit einem Lächeln. Dann bemerkte er, dass Lizzie ihren Teller kaum angerührt hatte. »Sieh zu, dass du etwas in den Magen bekommst, Lizzie. Heute ist ein großer Tag.«

Da platzte es aus Lizzie heraus, als wäre ein Damm gebrochen: »Ich glaube, es ist besser, wenn ich nicht fahre! Ich muss hierbleiben, Dad! Was ist, wenn irgendwas passiert und ihr mich braucht oder wenn es Mom schlechter geht oder wenn ich nach Hause komme und ihr seid alle weg?« Ihr Atem ging hastig. Gregor sah, dass sie kurz vor einem hysterischen Anfall stand.

»Das passiert aber nicht, Schätzchen«, sagte sein Vater. Er kniete sich hin und nahm ihre Hände. »Hör zu, uns allen geht’s hier gut, und du wirst es im Ferienlager auch gut haben. Und deiner Mutter geht es von Tag zu Tag besser.«

»Sie möchte, dass du fährst, Liz«, sagte Gregor. »Sie hat bestimmt zwanzigmal wiederholt, dass ich dir das sagen soll. Außerdem kannst du sie ja sowieso nicht sehen und …«

Mit einem Blick brachte sein Vater ihn zum Schweigen. So was Blödes! Wie konnte er nur so was Idiotisches sagen! Lizzie hatte immer wieder versucht, sich zu einem Besuch im Unterland zu überwinden, um ihre Mutter zu sehen. Aber jedes Mal hatte sie schon vor dem Schacht im Wäschekeller eine Panikattacke bekommen. Zitternd und schweißgebadet hatte sie dann neben dem Trockner gekauert und um Atem gerungen. Sie wussten alle, wie gern sie ins Unterland wollte. Sie schaffte es nur einfach nicht.

»Ich meine, tut mir leid, ich wollte bloß …«, stammelte Gregor. Aber es war schon zu spät. Lizzie sah niedergeschmettert aus.

»Deine Schwester ist eben die Einzige in der Familie, die einen Funken Verstand hat«, sagte Mrs Cormaci. Sie flocht Lizzies Zöpfe neu, obwohl sie tadellos aussahen. »Mich würden keine zehn Pferde in dieses Unterland kriegen. Mich nicht.«

Im letzten Frühjahr war Gregor so verzweifelt gewesen, dass er Mrs Cormaci in das unglaubliche Familiengeheimnis eingeweiht hatte. Er hatte ihr alles erzählt, angefangen bei dem mysteriösen Verschwinden seines Vaters vor dreieinhalb Jahren. Er hatte erzählt, wie er Boots im letzten Sommer durch einen Schacht im Wäschekeller gefolgt war und wie sie meilenweit in die Tiefe gefallen waren, bis sie in einer merkwürdigen, dunklen Welt unterhalb von New York gelandet waren – im Unterland. Dort lebten riesige sprechende Tiere – Kakerlaken, Fledermäuse, Spinnen und viele andere – und außerdem blasse, violettäugige Menschen. Sie hatten Regalia erbaut, eine wunderschöne Stadt aus Stein. Mit einigen Tieren waren die Unterlandmenschen befreundet, mit anderen verfeindet, und Gregor fand das alles ziemlich verwirrend. Drei Mal war er jetzt schon im Unterland gewesen, das erste Mal, um seinen Vater zu retten, das zweite Mal, um gegen eine weiße Ratte zu kämpfen, die man den Fluch nannte, und dann noch einmal vor ein paar Monaten, um den Bewohnern im Unterland zu helfen, ein Heilmittel gegen eine furchtbare Pest zu finden. Auch Gregors Mutter hatte sich damit angesteckt, und keiner wusste, wann sie wieder nach Hause konnte. Gregor hatte Mrs Cormaci außerdem von den Prophezeiungen erzählt, in denen er als Krieger bezeichnet wurde – und zwar nicht als irgendein Krieger, sondern als derjenige, der die Regalianer vor dem Untergang retten sollte. Und er hatte ihr anvertraut, dass er sich nach einigen gewaltsamen Auseinandersetzungen auch noch als Wüter erwiesen hatte. Ein Wüter war ein besonders gefährlicher Kämpfer, im ganzen Unterland gab es nur eine Handvoll von ihnen.

Mrs Cormaci hatte ihn kein einziges Mal unterbrochen und nichts zu alldem gesagt. Am Ende war ihr einziger Kommentar: »Na, das schlägt ja dem Fass den Boden aus.«

Das Erstaunliche war, dass sie ihm offenbar glaubte. Natürlich stellte sie ein paar Fragen. Und sie wollte das Ganze noch mal von seinem Vater hören. Aber sie hatte schon lange vermutet, dass in seiner Familie merkwürdige Dinge vorgingen. Als sie die Wahrheit erfuhr, wirkte sie fast erleichtert. Endlich hatte sie eine Erklärung für das Verschwinden von Gregor, seinem Vater und Boots, für Gregors Narben und dafür, dass Boots zu jedem Kakerlak »Hallo« sagte. Dass das Unterland so eine fantastische Welt war, fand Mrs Cormaci nicht weiter befremdlich. Schließlich warb sie auf Handzetteln damit, dass sie die Zukunft aus Tarotkarten lesen konnte. Aber an diesem ersten Abend, als Gregor Mrs Cormaci im Wäschekeller eine riesige sprechende Fledermaus vorgestellt hatte, war sie doch ein wenig aus der Fassung geraten. Sie machte höflich Small Talk mit der Fledermaus, redete mit ihr übers Wetter, und als ein paar Flusen vom Trockner herüberwehten und im Fell der Fledermaus hängen blieben, sagte Mrs Cormaci einfach: »Halt mal still. Du hast da was am Ohr«, und nahm die Flusen weg. Doch als die Fledermaus wieder fort war, musste Mrs Cormaci sich erst mal ins Treppenhaus setzen und verschnaufen.

»Alles in Ordnung, Mrs Cormaci?«, fragte Gregor. Er wollte ja nicht, dass sie einen Herzinfarkt bekam, nur weil er sie in den ganzen Schlamassel mit hineingezogen hatte.

»Ja, ja, alles in Ordnung«, sagte sie und klopfte ihm gedankenverloren auf die Schulter. »Mir kam das Ganze nur irgendwie so unwirklich vor, bis ich die Fledermaus getroffen hab … Und jetzt ist es ein bisschen wirklicher, als ich es mir vorgestellt hatte.«

Von diesem Tag an hatte Mrs Cormaci es sich zur Aufgabe gemacht, für Gregors Familie zu sorgen. Und sie ließen sie gewähren, weil sie auf ihre Hilfe so sehr angewiesen waren.

Jetzt war sie mit Lizzies Zöpfen fertig. »Deine Sachen fürs Ferienlager sind alle gepackt. Wenn du ankommst, gibt es gleich Mittagessen. Soll ich dir den Donut für unterwegs einpacken?«, fragte sie.

»Nein danke, den ess ich sowieso nicht«, sagte Lizzie. »Gregor soll ihn für Ripred mitnehmen.«

»Okay, Liz«, sagte Gregor. Er hatte heute eine Stunde Ultraschallortung bei Ripred. Gregor hielt eigentlich nichts davon, Lizzies Essen an die große Ratte zu verfüttern, aber Lizzie lag viel daran, und außerdem hob es Ripreds Laune.

Mrs Cormaci schüttelte den Kopf. »Da unten gibt es so viele Lebewesen, die es schwer haben – die unter der Pest gelitten haben, die hungern müssen, die angegriffen werden … Warum willst du deinen Donut ausgerechnet dieser gerissenen Ratte schenken, die sehr gut für sich selbst sorgen kann?«

»Weil ich glaube, Ripred ist einsam«, sagte Lizzie leise.

Gregor unterdrückte ein wütendes Schnauben. Sollte Lizzie doch Mitleid mit dem jähzornigen, angriffslustigen Ripred haben.

»Also, für so ein kleines Mädchen hast du wirklich ein riesengroßes Herz«, sagte Mrs Cormaci und drückte sie. »Jetzt putz dir die Zähne, sonst verpasst du noch den Bus.«

Lizzie war froh, dem Frühstückstisch entfliehen zu können. Mrs Cormaci sah ihr kopfschüttelnd nach. »Ich mache mir Sorgen um sie.«

»Vielleicht tut ihr das Ferienlager gut«, sagte Gregor.

»Bestimmt. Ganz bestimmt«, sagte sein Vater. Aber keiner wirkte so richtig überzeugt.

Wie auch immer, eine Viertelstunde später saß Lizzie im Bus und fuhr zusammen mit anderen New Yorker Kindern in die Sommerferien.

Gregor hatte noch eine Stunde Zeit, bevor der Unterricht bei Ripred losging. Er setzte sich mit seinem Vater und Mrs Cormaci hin, um das zu besprechen, was sie das Familienunternehmen nannten.

In Regalia gab es ein Museum mit lauter Sachen, die zusammen mit ihren unglückseligen Besitzern aus New York heruntergefallen waren. Das ging schon seit einigen Jahrhunderten so, die Sammlung konnte sich also sehen lassen. Weil Gregors Familie in finanziellen Schwierigkeiten steckte, durfte Gregor sich alles nehmen, was ihnen weiterhalf. Am Anfang hatte er die alten Brieftaschen und Geldbörsen durchsucht und so viel Geld zusammengekratzt, wie er finden konnte. Damit hatten sie sich eine ganze Weile über Wasser gehalten.

Aber Mrs Cormaci hatte Größeres vor. »Ich kenne da einen Mann, Mr Otts. Er kauft und verkauft Antiquitäten.« Sie gab Gregor einen Koffer, den er bei seinem nächsten Ausflug ins Unterland vollpacken sollte. Und das tat er. Manche Sachen waren wertlos, doch es fand sich auch ein Ring mit einem großen roten Stein, mit dem sie die Rechnungen für zwei Monate bezahlen konnten. Jetzt ging der Erlös aus dem Ring allerdings zur Neige, deshalb mussten sie den nächsten Verkauf planen. Sie waren sich einig, dass sie es mit der eleganten alten Geige versuchen wollten, die Gregor unter einem Sattel im hinteren Teil des Museums gefunden hatte. Sie lag unversehrt in ihrem Kasten und musste eine Menge wert sein.

Gregor war zwar dankbar für das Geld, das die Sachen brachten, aber so ganz wohl fühlte er sich bei diesen Plünderungen nicht. Er dachte nicht gern an die Brieftaschen, den Ring, die Geige … an ihre ehemaligen Besitzer und das tragische Ende, das diese Menschen im Unterland gefunden hatten. Sicher waren nur sehr wenige gerettet und nach Regalia gebracht worden. Alle anderen waren entweder bei dem Fall ums Leben gekommen oder in den Tunneln den Ratten in die Klauen geraten. Deshalb machte es ihn traurig, das »Familienunternehmen«.

Doch heute konnte er ins Unterland reisen, ohne das Museum zu durchstöbern. Er wollte seine Mutter besuchen, Freunde treffen, und dann gab es noch ein großes Abendessen. Es versprach ein schöner Tag zu werden … wenn er erst mal die Stunde Ultraschallortung bei Ripred hinter sich hätte.

»Mach dich jetzt lieber auf den Weg, wenn du pünktlich da sein willst«, sagte Mrs Cormaci.

»Komm, Boots«, sagte Gregor. »Willst du mit zu Mama?« Er nahm eine Taschenlampe von einem Mantelhaken an der Eingangstür und befestigte sie an seiner Gürtelschlaufe.

»Jaa!«, rief Boots. »Ich hol meine Sandalen!« Aufgeregt stürmte sie los. Im Gegensatz zu Lizzie konnte Boots vom Unterland gar nicht genug kriegen.

Mrs Cormaci bot an, sie in den Wäschekeller zu begleiten und aufzupassen, dass sie nicht gesehen wurden. Als sie an ihrer Wohnung vorbeikamen, legte sie einen kurzen Zwischenstopp ein. Sie verschwand in die Küche, öffnete den Kühlschrank und holte eine halb volle Schüssel Nudelsalat heraus. »Hier«, sagte sie. »Den könnt ihr auch für die Ratte mitnehmen.«

Gregor hielt Lizzies Donut hoch, den er in eine Serviette eingewickelt hatte. »Ripred ist schon versorgt.«

»Heißt das, du brichst dir den Arm, wenn du das hier noch mit runternimmst?«, fragte Mrs Cormaci.

»Nein. Ich seh nur nicht ein, wieso wir ihm eine Schüssel eins a Nudelsalat schenken sollten. Er kann sich sein Essen selber fangen«, sagte Gregor.

»Ich wollte den Salat sowieso wegschmeißen. Ich glaube, die Mayonnaise kippt schon um. Aber das macht Ripred bestimmt nichts aus«, sagte Mrs Cormaci. »Warte, ich hole eine Papiertüte. Ich will nicht, dass die Ratte aus meiner Schüssel schleckt.«

Gregor schüttelte den Kopf. »Sie sind ja schlimmer als Lizzie.« Auch wenn sie Lizzie wegen des Donuts Vorhaltungen gemacht hatte – Gregor wusste es besser. Praktisch jedes Mal, wenn er ins Unterland ging, drängte Mrs Cormaci ihm irgendetwas zu essen für Ripred auf, das angeblich sowieso schon fast verdorben war.

»Na, vielleicht hat sie ja recht. Was hat Ripred schon? Kein richtiges Zuhause, keine Familie, immer am Kämpfen. Weißt du, jeder braucht ein bisschen Freude im Leben. Also, bitte, nimm ihm den Nudelsalat mit«, sagte Mrs Cormaci.

»Na gut«, sagte Gregor. Er wusste nicht, warum er sich so dagegen sträubte, Ripred einen Leckerbissen mitzubringen. Doch, er wusste es. Gregor war nicht gut in Ultraschallortung, und Ripred hatte so wenig Geduld mit ihm, dass Gregor erst unsicher und dann bockig geworden war. Im Grunde hatte er es aufgegeben, die Kunst der Orientierung im Dunkeln zu erlernen, und das wusste Ripred genau. Also beschränkte sich der Unterricht mittlerweile darauf, dass Ripred ihm zwei Stunden lang erzählte, was für ein erbärmlicher, fauler Versager er sei. Und Gregor hatte nicht die geringste Lust, Ripred dafür auch noch mit Leckereien zu belohnen.

Unten im Wäschekeller vergewisserte sich Mrs Cormaci, dass die Luft rein war, dann hielt sie den Daumen hoch. Gregor öffnete das Gitter in der Wand, pfiff einmal, und fast sofort tauchte Nike auf. Boots rannte zu der Fledermaus und streichelte ihr das schwarz-weiß gestreifte Gesicht.

»Sei gegrüßt, Prinzessin«, schnurrte Nike.

»Sei gegrüßt, Pinzessin«, antwortete Boots, und dann lachten sie beide. Das wiederholte sich jetzt ungefähr zum fünfzigsten Mal, aber es erheiterte Boots immer wieder aufs Neue. Gregor nahm an, dass Nike wohl vor allem deshalb lachte, weil Boots es so witzig fand. »Wir sind beide Pinzessinnen!«, sagte sie zu Gregor.

»Ja, das ist … wirklich lustig, Boots«, sagte er und grinste. Als Tochter der Fledermauskönigin war Nike tatsächlich eine Prinzessin. Boots wurde von den Kakerlaken Prinzessin genannt, weil sie sie verehrten, aber eigentlich war das nur ein Spitzname. »Los, ihr Prinzessinnen, ich will nicht zu spät kommen.« Er hob Boots hoch und wandte sich zu Mrs Cormaci: »Bis heute Abend dann?«

»Klar. Und jetzt viel Spaß euch beiden. Ich kümmere mich um alles«, sagte sie.

Plötzlich hatte Gregor ein schlechtes Gewissen, weil er sich wegen des Nudelsalats so angestellt hatte. Wie konnte er sich mit Mrs Cormaci wegen einer Schüssel Nudeln streiten, wo sie im Moment doch die Einzige war, die seine Familie zusammenhielt? »Vielen Dank, Mrs Cormaci«, sagte er.

Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Was hab ich sonst schon groß zu tun? Und jetzt ab mit euch.«

Die Reise durch die lange Röhre und die dunklen steinernen Tunnel zu dem hell erleuchteten Palast von Regalia verlief schnell und ohne Zwischenfälle. Doch durch die Zankerei um den Nudelsalat hatte Gregor sich verspätet. Als sie in der Hohen Halle gelandet waren, musste Gregor sofort zum Unterricht hetzen. Er sauste die Treppe hinunter und kam an den Krankenzimmern vorbei, aber er hatte noch nicht mal Zeit, bei seiner Mutter reinzuschauen.

Tief unten im Palast schob Gregor vier dicke Riegel aus Stein zur Seite, die eine schwere Tür sicherten, und schlüpfte hindurch. Er ließ die Tür für den Rückweg leicht angelehnt. Dann lief er mehrere Treppen hinunter. Der Rat von Regalia hatte widerstrebend zugestimmt, dass der Unterricht hier stattfinden konnte, wo sie sich zwar innerhalb der Stadtmauern befanden, wo Ripreds Anwesenheit jedoch praktisch allen Menschen verborgen blieb. Zwischen den Ratten und den Menschen gab es schon seit Jahrhunderten immer wieder Krieg. Die Bewohner Regalias hätten es niemals toleriert, dass sich eine Ratte so nah bei ihnen herumtrieb.

Ripred wartete an dem üblichen Treffpunkt, in einer großen kreisförmigen Höhle neben einer Treppe. Er lungerte an einer Wand herum und nagte an einem Knochen. Als Gregor ihn mit der Taschenlampe anstrahlte, blinzelte er und knurrte wütend: »Nimm mir das Ding aus den Augen! Wie oft soll ich dir das noch sagen?«

Gregor wandte den Strahl ab, gab jedoch keine Antwort. Selbst in dem schummrigen Licht konnte er sehen, wie Ripreds Nase zuckte.

»Was ist das für ein Geruch?«, fragte er.

»Das soll ich dir von Lizzie geben«, sagte Gregor und warf der Ratte den Donut zu.

Ripred fing ihn mühelos mit dem Maul auf und drehte ihn genießerisch hin und her. »Lizzie. Wieso hab ich nie mal mit den sympathischen Mitgliedern deiner Familie zu tun?«, fragte er. »Und was ist in der Tüte?«

»Das ist von Mrs Cormaci«, sagte Gregor.

»Ah, la bella Cormaci«, sagte Ripred seufzend. »Und was schickt die Küchenfee mir heute?«

»Sieh selbst«, sagte Gregor. Er wollte Ripred gerade den Nudelsalat zuwerfen, als er im angrenzenden Tunnel etwas rascheln hörte. Er zuckte zusammen. Außer Ripred und ihm war sonst nie jemand hier unten.

»Ich hab dir gesagt, du sollst dich nicht vom Fleck rühren!«, schnauzte Ripred in Richtung des Tunnels.

Eine kurze Zeit blieb es still, als wollte der Angesprochene den Rückzug antreten. Dann ertönte es schmollend: »Ich hab was gerochen. Was zu essen.« Bei dem Wort »essen« wurde die tiefe Stimme plötzlich zu einem Quieken. Es erinnerte Gregor an seinen Cousin Rodney, den alle aufgezogen hatten, als er in die Pubertät kam und seine Stimme ständig zwischen der eines Kindes und der eines jungen Mannes hin- und hersprang.

»Wer ist das denn?«, fragte Gregor.

»Das ist dein kleiner Freund, der Fluch«, sagte Ripred. »Nachdem er seine letzten beiden Babysitter verstümmelt hat, ist der Job jetzt mir zugefallen.«

»Der Fluch?«, fragte Gregor überrascht. Er hatte die weiße Ratte seit Monaten nicht gesehen. Er erinnerte sich an das Bündel aus weichem weißem Fell, das sich ängstlich in seine Arme geschmiegt hatte. Letztes Jahr im Dezember war Gregor ausgesandt worden, die weiße Ratte zu töten, aber als er gesehen hatte, dass sie noch ein Baby war, hatte er es nicht übers Herz gebracht. Er hatte die kleine Ratte Ripred übergeben.

»Darf ich reinkommen?«, fragte die Stimme vom Tunnel her.

»Ach, warum nicht?«, sagte Ripred. »Komm rein, dann kannst du dem Krieger persönlich dafür danken, dass er dir das Leben gerettet hat.«

Gregor schwenkte den Strahl der Taschenlampe zum Tunneleingang und erwartete eine etwas größere Version des Rattenbabys. Stattdessen stand ihm ein drei Meter hoher Berg aus weißem Fell gegenüber.

2. Kapitel

Gregor blieb der Mund offen stehen. »Oh Mann!« In wenigen Monaten war aus dem kleinen Wesen, das Gregor in den Armen halten konnte, dieser Berg geworden.

»Und er ist noch nicht mal ausgewachsen«, sagte Ripred. »Bis Weihnachten rechnen wir mit weiteren fünfzig bis hundert Zentimetern.«

Wie Schnee, dachte Gregor. Wir rechnen mit weiteren fünfzig bis hundert Zentimetern auf diesem großen weißen Berg.

»Ihr kennt euch ja schon, aber darf ich trotzdem vorstellen?« Ripred zeigte mit dem Schwanz auf Gregor. »Das ist Gregor der Überländer der Krieger, der sich weigerte, dich zu töten, als er die Gelegenheit dazu hatte.« Dann zeigte Ripred auf den Fluch. »Und das ist die Ratte, die wir den Fluch nennen, obwohl seine Mutter ihm einen so viel lieblicheren Namen gab Pearlpelt.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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