Jacques der Fatalist und sein Herr - Denis Diderot - E-Book

Jacques der Fatalist und sein Herr E-Book

Denis Diderot

4,9

Beschreibung

In neuer Übersetzung Denis Diderot, der vielleicht klügste, sicher aber heiterste und menschlichste der französischen Aufklärer, schenkte uns mit seinem Roman ›Jacques der Fatalist und sein Herr‹ die Summe seiner ironischen Beschäftigung mit Philosophie und Ästhetik. Diderot sprüht vor Erzähllust und schickt sein Protagonistenpaar, das an Don Quijote und Sancho Pansa erinnert, auf eine Reise durch Frankreich. Die beiden erörtern höchst geistreich unablässig philosophische Fragen während sie reiten und rasten, in Wirtshäusern einkehren, dort mit anderen reden und bis tief in die Nacht Wein trinken. Hinrich Schmidt Henkel schöpft in seiner Neuübersetzung die Lakonie und den pointierten Rhythmus des Originals voll aus und bietet dem Leser die Möglichkeit, Diderot als Zeitgenossen zu lesen. "von 6 Uhr bis halb 12 Diderots ›Jacques le Fataliste‹ in der Folge durchgelesen mich wie der Bel zu Babel an einem solchen ungeheuren Maale ergözt und Gott gedanckt dass ich so eine Portion mit dem großen Apetit auf ein mal als wärs ein Glas Wasser und doch mit unbeschreiblicher Wollust verschlingen kann" Johann Wolfgang von Goethe, 1780

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Denis Diderot

Jacques der Fatalist und sein Herr

[Jacques le fataliste et son maître]

Denis Diderot

Jacques der Fatalist und sein Herr

Aus dem Französischen und mit einemNachwort von Hinrich Schmidt-Henkel

Denis Diderot

Jacques der Fatalist und sein Herr

Nachwort

Anmerkungen

WIE WAREN sie einander begegnet? — Durch Zufall, wie alle. — Wie hießen sie? — Was schert Sie das? — Wo kamen sie her? — Vom nächstgelegenen Ort. — Wohin gingen sie? — Wer weiß schon, wohin er geht? — Was sagten sie? — Der Herr sagte nichts, und Jacques sagte, sein Hauptmann habe gesagt, alles Gute oder Schlechte, das uns hienieden widerfährt, stehe dort oben geschrieben.

DER HERR: Das ist mal ein großes Wort.

JACQUES: Mein Hauptmann sagte außerdem, jede Kugel, die einer abfeuert, ist bereits mit einer Adresse versehen.

DER HERR: Und er hatte recht.

Nach einer kurzen Pause rief Jacques aus: »Der Teufel hole diesen Wirt und seine Wirtschaft!«

DER HERR: Warum seinen Nächsten zum Teufel schicken? Das ist nicht christlich.

JACQUES: Weil ich mich an seinem schlechten Wein berauschte und dabei vergaß, unsere Pferde zur Tränke zu führen. Mein Vater sieht das; er ärgert sich. Ich zucke mit den Schultern; er greift einen Stock und lässt ihn nicht eben sanft auf ihnen tanzen. Ein Regiment zog vorüber auf dem Weg zum Lager vor Fontenoy; aus Verdruss lasse ich mich anwerben. Wir kommen dort an; schon geht die Schlacht los.

DER HERR: Und du bekommst eine Kugel an deine Adresse.

JACQUES: Sie haben es erraten; einen Schuss ins Knie; und Gott weiß, welche guten und üblen Abenteuer dieser Schuss nach sich gezogen hat. Sie hängen nicht mehr und nicht weniger zusammen als die Glieder der Kinnkette an einem Halfter. Ohne diesen Schuss zum Beispiel wäre ich wohl nie verliebt gewesen und würde nicht humpeln.

DER HERR: Du warst verliebt?

JACQUES: Und wie!

DER HERR: Wegen eines Schusses?

JACQUES: Wegen eines Schusses.

DER HERR: Davon hast du nie ein Wort erzählt.

JACQUES: Das glaube ich wohl.

DER HERR: Und warum?

JACQUES: Weil davon weder früher noch später erzählt werden konnte.

DER HERR: Und jetzt ist der Moment gekommen, von dieser Liebesgeschichte zu erfahren?

JACQUES: Wer weiß?

DER HERR: Dann fang doch auf gut Glück an…

Jacques begann die Schilderung seiner Liebesgeschichte. Es war nach dem Abendessen: das Wetter war drückend; der Herr schlief ein. Die Nacht überraschte sie inmitten der Felder; schon waren sie in die Irre geraten. In großem Zorn fällt der Herr mit der Peitsche über seinen Diener her, und der arme Teufel sagt bei jedem Hieb: »Der stand sicher auch dort oben geschrieben…«

Sie sehen, werter Leser, ich bin auf einem guten Wege, und jetzt läge es ganz bei mir, Sie ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre auf den Bericht von Jacques’ Liebesdingen warten zu lassen, indem ich ihn von seinem Herrn trenne und beide sämtlichen Zufällen unterwerfe, die mir so in den Sinn kämen. Was hindert mich daran, den Herrn zu verheiraten und zum Hahnrei zu machen? Jacques übers Meer auf die westindischen Inseln zu schicken? seinen Herrn ebenfalls dorthin zu verfrachten? beide auf demselben Schiff nach Frankreich zurückzubringen? Es ist ja so leicht, Geschichten zu erfinden! Aber ich lasse die beiden mit einer schlechten Nacht und Sie mit dieser Verzögerung davonkommen.

Der Morgen dämmerte. Da sitzen sie wieder auf ihren Pferden und reiten weiter. Wohin? Das fragen Sie mich jetzt schon zum zweiten Mal, und zum zweiten Mal antworte ich Ihnen: Was kümmert Sie das? Wenn ich erst auf das Ziel ihrer Reise zu sprechen komme, dann ist es mit Jacques’ Liebesdingen vorbei… Sie ritten eine Weile schweigend dahin. Als sich beide ein wenig von ihren Zwistigkeiten erholt hatten, fragte der Herr seinen Diener: »Na, Jacques, wie weit waren wir mit deiner Liebesgeschichte?«

JACQUES: Ich glaube, wir waren bei der Flucht vor der feindlichen Armee. Alles rennt und wird verfolgt, jeder will seine Haut retten. Ich bleibe auf dem Schlachtfeld zurück, begraben unter einem beträchtlichen Haufen von Toten und Verwundeten. Anderntags warf man mich mit einem Dutzend weiterer auf einen Karren, um uns zu einem unserer Lazarette zu schaffen. Ah, Monsieur, ich glaube, es gibt keine grausamere Verletzung als die des Knies.

DER HERR: Na, na, Jacques, du übertreibst.

JACQUES: Nein, beileibe nicht, Herr! Da drin gibt es weiß Gott wie viele Knochen, Sehnen und allerlei anderes, von dem ich nicht weiß, wie es genannt wird…

Ein bäuerisch wirkender Mann, der ihnen auf seinem Pferd folgte, eine junge Frau auf der Kruppe hinter sich, und ihnen zugehört hatte, ergriff das Wort: »Monsieur haben recht…«

Es war unklar, an wen dieses »Monsieur« sich richtete, doch nahmen Jacques und sein Herr es beide übel auf, und Jacques sagte zu diesem aufdringlichen Redner: »Was mischst du dich ein?«

»Mein Handwerk berechtigt mich dazu, ich bin Chirurg, zu Diensten, und ich werde Euch vorführen…«

Die Frau auf der Kruppe hinter ihm sagte: »Herr Doktor, reiten wir unseres Weges und lassen diese Herren in Ruhe, die es nicht mögen, dass ihnen vorgeführt wird…«

»Nein«, antwortete der Chirurg, »ich will und ich werde ihnen vorführen…«

Und indem er sich zu ihr umwendet, um vorzuführen, stößt er seine Gefährtin an, bringt sie aus dem Gleichgewicht und wirft sie zu Boden, ihr einer Fuß bleibt in seinem Rockschoß hängen, und die Röcke fallen ihr über den Kopf. Jacques steigt ab, befreit den Fuß des armen Geschöpfs und zieht ihr die Röcke wieder herunter. Ich weiß nicht, ob er zuerst die Röcke herunterzog oder den Fuß befreite; aber aus den Schreien dieser Frau zu schließen, hatte sie sich schwer verletzt. Und Jacques’ Herr sagte zum Chirurgen: »Das hat man vom Vorführen.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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