MitGefühl - Magdalena Rogl - E-Book

MitGefühl E-Book

Magdalena Rogl

0,0
15,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

„Du bist so emotional“, klingt nicht nach einem Kompliment, schon gar nicht in der Arbeitswelt. Im Job zeigt man keine Gefühle, stören sie doch das Arbeitsklima. Auf einen cholerischen Chef oder die weinende Kollegin verzichtet man gerne. Doch diese Sichtweise wird den Emotionen und ihrempositiven Einfluss nicht gerecht. Und überhaupt: Emotionen werden viel zu stark unterschätzt. Sie sind wichtig, will manEntscheidungen treffen oder kreativ zu sein. Auch um empathisch zu sein und wenn man sich mit seiner ganzen Persönlichkeit im Job einbringen will, geht das nicht ohne Gefühle.

Enttäuschung nach nicht erreichten Zielen, Freude, wenn ein Projekt erfolgreich beendet wurde –, wie geht man mit den Emotionen um? Wir kann man sie nutzen, statt sie zu verdrängen oder vorbeiziehen zu lassen? Wann ignoriert man Gefühle besser, wann sagt man dem Chef, dass man gelangweilt, enttäuscht oder frustriert ist? Was tun, wenn dem Kollegen die Tränen kommen oder die Vorgesetzte ausflippt?

Die Botschafterin der Emotionen, wie Magdalena Rogl sich auch nennt, kennt Antworten und hat sich mit den komplexen Zusammenhängen zwischen der eher rationalen Arbeits- und individuellen Gefühlswelt des Mitarbeitenden auseinandergesetzt. Aus eigener Erfahrung weiß sie, dass eine Arbeitswelt, in der Emotionen nicht mehr als Schwäche, sondern als Stärke gelten, produktiver und rentabler ist. Und dass Menschen, die in ihrem Job Gefühle zulassen, glücklicher und erfolgreicher sind.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 223

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum

Alle in diesem Buch veröffentlichten Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt und dürfen nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung des Verlags gewerblich genutzt werden. Eine Vervielfältigung oder Verbreitung der Inhalte des Buchs ist untersagt und wird zivil- und strafrechtlich verfolgt. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die im Buch veröffentlichten Aussagen und Ratschläge wurden von Verfasser und Verlag sorgfältig erarbeitet und geprüft. Eine Garantie für das Gelingen kann jedoch nicht übernommen werden, ebenso ist die Haftung des Verfassers bzw. des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ausgeschlossen.

Bei der Verwendung im Unterricht ist auf dieses Buch hinzuweisen.

EIN EBOOK DER EDITION MICHAEL FISCHER

echtEMF ist eine Marke der Edition Michael Fischer

1. Auflage

Originalausgabe

© 2022 Edition Michael Fischer GmbH, Donnersbergstr. 7, 86859 Igling

Covergestaltung: Luca Feigs, unter Verwendung eines Motivs von © Thomas Dashuber

Redaktion: Regina Carstensen

Satz: Luca Feigs

Illustrationen: Eva Krebs und Luca Feigs unter Verwendung von Motiven von Pavlo S/shutterstock, eveleen/shutterstock und Fagreia/shutterstock

Herstellung: Margareth Ogundipe

ISBN 978-3-7459-1322-4

www.emf-verlag.de

Inhalt

Vorwort

Warum uns Emotionen selbstbewusster machen

Warum es keine „Kopf- oder Bauchmenschen“ gibt

Warum vermeintlich negative Emotionen wichtig sind

Warum Intelligenz mehr ist als ein IQ-Wert

Warum emotionale Intelligenz unsere Resilienz steigert

Warum wir uns wie Hochstapler*innen fühlen – manchmal zumindest

Warum wir Mitgefühl mit uns selbst haben sollten, um Empathie zu leben

Warum Gefühle einen Gender Bias haben

Warum Kommunikation immer emotional ist

Warum uns Glück gesünder und erfolgreicher macht

Warum Werte ein Kompass für unser Leben sein können

Warum die Arbeitswelt der Zukunft emotional ist

Warum aus „Human Resources“ „Human Relations“ werden sollten

Warum Leadership etwas ist, das wir alle leben können

Nachwort

Danksagung

Quellen

0

Vorwort

Ein Zimmer voller Bücher, der ganze Boden übersät mit Notizen, auf dem Tisch liegen Zeitungen, Ordner – ein einziges Chaos.

„Was machst du da?“, fragt mein Kind, völlig irritiert, weil ich eigentlich ein sehr ordnungsliebender Mensch bin.

„Ich schreibe ein Buch über Emotionen und Empathie“, antworte ich.

Das Kind sagt sehr trocken, aber vollkommen ernst: „Das ist doch ganz einfach. Empathie ist wichtig. Punkt. Buch fertig.“

Auch wenn das natürlich grundsätzlich richtig ist (Kinder haben eigentlich fast immer recht), gibt es so unglaublich wichtige, spannende Dinge zu diesem Thema zu sagen und zu lernen. In den letzten Jahren konnte ich selbst sehr viel darüber erfahren, was Emotionen für uns persönlich und für die Arbeitswelt bedeuten. Ich konnte wachsen – und hatte dabei manchmal starke Wachstumsschmerzen.

Der Auslöser, mich bewusst und intensiv mit Emotionen zu beschäftigen, war, als mir eine Kollegin vor vielen Jahren sagte: „Lena, du bist viel zu emotional, und damit untergräbst du deine Autorität.“ Ich war erst mal ziemlich sprachlos, wollte aber verstehen, was hinter dieser Aussage steckte. Ich wollte begreifen, warum wir Emotionen so unterschiedlich leben und wahrnehmen, warum es Menschen gibt, die Emotionen komplett verdrängen, und vor allem, warum wir Emotionen aus der Arbeitswelt ausgrenzen, anstatt sie zu nutzen.

„Emotionen“ und „Arbeit“ sind zwei Begriffe, die für die meisten Menschen immer noch nichts miteinander zu tun haben. Dabei kann uns das Bewusstsein über die eigenen und die Emotionen anderer erfolgreicher und glücklicher machen. Dafür brauchen wir emotionale Intelligenz. Und im Gegensatz zum IQ können wir unseren EQ trainieren und so auch Resilienz entwickeln. Der Mythos, es gäbe eben empathische und weniger empathische Menschen, ist nämlich falsch. Wir können unser Einfühlungsvermögen wie einen Muskel trainieren – und dabei sollten wir zuallererst üben, empathischer mit uns selbst zu sein.

Denn Selbstmitgefühl kann uns selbstbewusster und vor allem glücklicher machen als Selbstdisziplin. Wir können die innere kritische Stimme, die uns in unseren Gedanken oft laut und grob begleitet, zum inneren Ratgeber machen. Wir haben die Chance, wirkliches SelbstBEWUSSTsein zu entwickeln und dadurch empathischer mit uns selbst, aber vor allem auch mit unseren Mitmenschen oder Kolleg*innen zu sein.

Über diese Dinge – und sicher noch ein paar mehr – möchte ich hier schreiben. Über meine eigenen Erfahrungen als Mitarbeitende und mit Mitarbeitenden, über die Erfahrungen, die andere mit mir geteilt haben, über das, was die Wissenschaft dazu sagt, und darüber, was wir ganz konkret tun können.

Als ich diesen Entschluss gefasst habe, bin ich selbst sehr emotional geworden. Überwältigt von Dankbarkeit, die Chance zu haben, diese Gedanken zu teilen, und voller Zweifel und Angst, ob ich gut genug bin, wirklich ein Buch zu schreiben. Bin ich etwa zu emotional zum Schreiben?

Ich bin keine Wissenschaftlerin, ich bin keine Journalistin. Eigentlich bin ich Kinderpflegerin. Vor mehr als zehn Jahren, mit Mitte zwanzig, habe ich einen Quereinstieg in die Medienbranche gemacht. Ich war alleinerziehend mit zwei kleinen Kindern, wollte und musste mich beruflich neu orientieren. Ohne Abitur oder Studium startete ich erst mal als Aushilfe in einer Onlineredaktion und moderierte dort die Kommentare unter den Artikeln, das nannte sich damals Community Management. Es ging darum, möglichst sachlich und vor allem schnell zu entscheiden, was mit einem Kommentar passiert. Stundenlang lesen, klicken, fast mechanisch reagieren und möglichst wenig über die Menschen nachdenken, die diese Kommentare geschrieben hatten. In meinem Ausbildungsberuf, in der Arbeit mit Kindern, spielen Emotionalität und Empathie eine große Rolle – aber plötzlich fand ich mich in einer Arbeitswelt wieder, in der meine Gefühle offensichtlich überhaupt keinen Raum hatten oder sogar verpönt waren. Erschwerend kam noch mein Impostor-Syndrom dazu. Das Gefühl, eine Hochstaplerin zu sein, und die damit einhergehende Angst, jederzeit „enttarnt“ werden zu können. Jahrelang habe ich versucht, eine Rolle zu spielen, habe mich so verhalten, als verstehe ich akademische Fachbegriffe, die mir völlig fremd waren, habe mich in der Büro-Toilette eingesperrt, um zu weinen, und habe meine Emotionen permanent unterdrückt. Ich habe nicht mehr darauf geachtet, was ich fühle, sondern nur noch darauf geachtet, so zu funktionieren, wie es in dieser Arbeitswelt scheinbar angebracht war. Die cholerischen Schreianfälle des Chefs habe ich akzeptiert, nie aber meine eigene emotionale Reaktion darauf.

Mein Selbstbewusstsein und mein Selbstvertrauen haben stark darunter gelitten – rückblickend eigentlich logisch: Wenn ich meine eigenen Emotionen so verdränge, dass sie mir nicht mehr bewusst sind, wie soll ich dann Vertrauen in mich selbst haben? Wie soll ich dann selbstbewusst sein? Vielleicht hat diese fehlende Emotionalität im Job aber damals dazu geführt, dass ich mir andere Wege gesucht habe, meinen Emotionen Raum zu geben und sie für meine berufliche Weiterentwicklung zu nutzen.

Als Quereinsteigerin war ich stark darauf angewiesen, mich gut zu vernetzen und von anderen Menschen zu lernen – dafür ist emotionale Intelligenz unverzichtbar. So sind aus Vorbildern Freundinnen geworden, aus Freundinnen Kolleginnen. Ich hatte das Glück, dass viele davon nicht nur ihr Wissen geteilt, sondern mir auch Hände gereicht und Türen geöffnet haben. Und mit jeder Hand, die ich greifen durfte, mit jeder Tür, durch die ich gehen konnte, wuchs mein Selbstvertrauen.

Weil mir selbst die Emotionalität in der Arbeitswelt so oft gefehlt hat, habe ich immer versucht, mit Dienstleistungsunternehmen und eigenen Mitarbeitenden besonders empathisch zu sein – und trotzdem sehr klar zu kommunizieren, was ich erwarte. Mir wurde bewusst, welchen Unterschied es macht, als Führungskraft Mitgefühl zu haben. Ich wollte die Chefin sein, die ich mir früher selbst gewünscht hätte. Klar, reflektiert, empathisch – mit Gefühl.

Um mich selbst weiterzuentwickeln, habe ich damals wie heute regelmäßig Konferenzen und Workshops besucht. In einem davon hatten wir als Teilnehmende die Aufgabe, ein eigenes Vision Statement zu schreiben, also einen Leitsatz für uns selbst. Dieser Satz steht bis heute in meinem Notizbuch und hat auch Jahre später nicht an Bedeutung verloren:

By combining my educational and psychological background I want to empower and inspire people to be the best version of themselves.

Ich möchte die wichtigen Methoden, die ich in meiner pädagogischen und entwicklungspsychologischen Ausbildung als Kinderpflegerin und von vielen Expert*innen gelernt habe, nutzen, um Menschen dabei zu helfen, die beste Version von sich selbst zu sein – und mit Menschen meine ich übrigens auch mich selbst.

Ich war unglaublich inspiriert von diesem Workshop und sehr stolz, dass ich in kurzer Zeit mein persönliches Statement erarbeiten konnte. Weil es so exakt meine Werte zusammenfasste und das Potenzial hatte, ein deutlicher Kompass für meine eigene Weiterentwicklung zu sein. Aber dieses Gefühl von Inspiration und Stolz, das in diesem Moment so stark und unerschütterlich wirkte, wurde innerhalb von Sekunden und noch vor Ende des Workshops zunichtegemacht. Eine Kollegin, die zufällig im selben Workshop war, kam auf mich zu und sagte ebendiesen Satz, der mich überhaupt erst mit dem Thema konfrontiert hat: „Lena, ich finde, du bist viel zu emotional.“

Ich war vollkommen perplex und schaltete spontan auf Autopilot. Weil ich verinnerlicht habe, wie wichtig Feedback und Wertschätzung sind, habe ich erst mal „Danke für deine Ehrlichkeit“ geantwortet. Ich bin auch heute noch davon überzeugt, dass es als ehrliches und hilfreiches Feedback gemeint war. Aber was heißt denn eigentlich „zu emotional“? Und warum untergräbt meine Emotionalität meine Autorität? Warum sehen wir Emotionen immer noch als Schwäche?

In den letzten Jahren habe ich viele Vorträge über diese Thematik gehört. Der Vortrag, der mich dabei am meisten inspiriert und beeindruckt hat, war der von der US-Amerikanerin Brené Brown. Die Bestsellerautorin und Wissenschaftlerin forscht seit mehr als zwanzig Jahren zu Emotionen und hat den Begriff „Vulnerable Leadership“ geprägt. Die wörtliche Übertragung „Verletzliche Führung“ klingt etwas sperrig, ich übersetze es deshalb lieber als „emotionale Führung“. Es geht darum, sich der eigenen Verletzlichkeit bewusst zu werden, sie zu reflektieren und sie zu nutzen, um besser zusammenzuarbeiten.

Was für mich dabei ganz wichtig ist: Leadership hat nichts damit zu tun, ob ein Mensch Personalverantwortung hat. Für mich geht es vielmehr um eine Vorbildfunktion und um Verantwortung. Und diese Rolle können wir alle übernehmen.

Als ich angefangen habe, selbst öffentlich über Emotionen zu sprechen und zu schreiben, war ich erstaunt, wie groß die Resonanz darauf ist – positiv wie negativ. Man könnte auch sagen: emotional.

Mein erster Artikel zu Emotionen in der Arbeitswelt wurde hundertfach geteilt, zu keinem Thema habe ich in den vergangenen Jahren mehr Vorträge gehalten und Interviews gegeben. Eine Frage wird mir dabei fast immer gestellt: „Wenn wir im Job alle weinen, wie sollen wir dann noch arbeiten?“ Das zeigt sehr deutlich, welche Bedeutung Emotionen in unserer Gesellschaft haben. Wir sehen sie selten als wertvoll, sondern als lästig, anstrengend und peinlich. Weinen im Beruf wird als absolutes No-Go gesehen – cholerische Chefs dagegen werden mehr oder weniger klaglos akzeptiert und gelten als „normal“.

Natürlich ist weder maßloses Weinen noch aggressives Verhalten hilfreich in der Zusammenarbeit. Es geht nicht darum, Emotionen ungefiltert rauszulassen, sondern darum, sie zu reflektieren und als Kompass zu nutzen. Es geht darum, unsere Emotionen nicht zu unterdrücken, sondern wahrzunehmen, zu reflektieren und Mitgefühl mit uns selbst zu haben, um uns als Menschen weiterentwickeln zu können.

Genau darüber möchte ich in diesem Buch schreiben. Weil ich davon überzeugt bin, dass wir in unserer Gesellschaft, aber vor allem in unserer Arbeitswelt mehr Mitgefühl brauchen. Mit anderen, aber vor allem mit uns selbst.

Ich möchte euch mitnehmen auf meine Reise, und vielleicht habt ihr auch Lust, euch selbst auf eine Reise zu machen. Eine Reise #MitGefühl.

Bevor wir starten, ist mir noch ein Hinweis sehr wichtig:

Nicht alle Menschen nehmen Emotionen auf gleiche Weise wahr, genauso wenig drücken alle Menschen Emotionen auf gleiche Weise aus. Während einige Emotionen für manche von uns als universell gelten mögen, ist auch bekannt, dass gesellschaftliche Normen für Gefühle von neurodiversen Menschen (beispielsweise Menschen mit ADHS oder Autismus) anders wahrgenommen und gelebt werden können. Wenn wir die Welt um uns herum aus einer inklusiven Perspektive betrachten wollen, ist es wichtig, zu verstehen, dass nicht alle Menschen Emotionen in gleicher Weise erkennen und darauf reagieren.

Inklusion bedeutet auch, anzuerkennen, dass unterschiedliche Menschen emotional unterschiedlich denken und reagieren können.

1

Warum uns Emotionen selbstbewusster machen

Die wichtigste Frage ist natürlich: Was sind Emotionen überhaupt?

Und darauf gibt es keine einfache Antwort. Emotionen, Emotionalität, Gefühle, Fühlen – es gibt verschiedene Worte mit unterschiedlichen Bedeutungen, die aber oft als Synonyme benutzt werden. Auch die wissenschaftlichen Begriffsbestimmungen unterscheiden sich teilweise, die eine, ganz präzise Definition für den Begriff „Emotion“ gibt es nicht. Schaut man in die Philosophie, finden sich andere Erklärungen als in der Psychologie oder der Neurowissenschaft. Damit wir hier einen gemeinsamen Startpunkt haben, würde ich gerne diese Definition festhalten: Eine Emotion ist eine psychologische und/oder physiologische Reaktion auf eine Situation.

Wir reagieren nämlich nicht nur „im Kopf“, sondern auch körperlich. Zum Beispiel haben wir Gänsehaut, wenn uns etwas berührt, Herzrasen, wenn wir gestresst sind, wir schwitzen, wenn wir Angst haben. Aber Moment! Habt ihr vielleicht eher Gänsehaut bei Ekel, Herzrasen, wenn ihr verliebt seid, und friert ihr, wenn ihr Angst habt? Genau das ist ein ganz wichtiger Punkt: Unsere emotionalen Reaktionen können sehr unterschiedlich sein. Emotionen können sich für mich anders anfühlen als für mein Gegenüber. Deshalb ist es schwierig, Emotionen zu definieren, und umso wichtiger, darüber zu sprechen.

Ich glaube, es geht aber gar nicht so sehr darum, wie eine Definition lautet, sondern vielmehr darum, was wir im Allgemeinen unter dem Begriff „Emotion“ verstehen – und das hängt natürlich auch von unserer gesellschaftlichen und sozialen Prägung ab. Wie sehr wir von klein auf gelernt haben, auf unsere Emotionen zu achten, Raum für sie zu bekommen und sie in Worte zu fassen – oder eben nicht. Als ich noch in meinem früheren Beruf als Kinderpflegerin gearbeitet habe, habe ich oft erlebt, wie Eltern versuchen, die Emotionen ihrer Kinder zu lenken und manchmal auch zu unterdrücken. Aber wir können ihnen dabei helfen, ihre Emotionen wahrzunehmen, und ihnen die Möglichkeit geben, ihre emotionalen Bedürfnisse auszudrücken.

Ganz wichtig ist es nämlich, ob und wie uns beigebracht wurde, unsere eigenen Emotionen zu benennen.

Schon Säuglinge kommen mit Emotionen auf die Welt, sie sind überlebenswichtig. Durch Weinen signalisieren sie beispielsweise Angst, Hunger oder das Bedürfnis nach Zuneigung. Nach einigen Wochen können Babys Freude ausdrücken und lächeln, sie fangen an, die Emotionen von Erwachsenen nachzuahmen. Mit ungefähr einem Jahr werden die Emotionen differenzierter, und meist ist das auch der Zeitpunkt, in dem Kinder anfangen zu sprechen. Auszudrücken, zu benennen, wie wir uns fühlen, ist bestenfalls etwas, das wir von Kindesbeinen an lernen – aber leider entspricht das eher selten der Realität. Vermutlich liegt das auch daran, dass viele Eltern selbst nicht darin bestärkt wurden, über ihre Emotionen zu sprechen. Und das bringt uns zur gesellschaftlichen Prägung: Es geht nicht nur darum, wie unser soziales Umfeld mit Emotionen umgeht, sondern auch darum, welche Bedeutung Emotionen in unserer Kultur haben. Und die Deutschen sind nicht gerade für ihre Emotionalität bekannt. Obwohl viele Emotionen nachweislich kulturübergreifend sind, ist es sehr unterschiedlich, welchen Wert und welchen Raum sie in der jeweiligen Kultur haben. Im Gegensatz zu anderen Kulturen haben Emotionen in der deutschen Gesellschaft eher wenig Raum. Aber die gute Nachricht ist: Dafür ist es nie zu spät. Wir können das lernen, und vielleicht sogar unsere Gesellschaft verändern.

Ich selbst bin mit einem sehr gespaltenen Verhältnis zu Emotionen aufgewachsen. Mein Vater neigte zu unvorhersehbaren Wut- und Gewaltausbrüchen. Ich habe nie verstanden, wodurch diese ausgelöst wurden. Aber weil mein Vater in unserem sozialen und gesellschaftlichen Umfeld sehr bewundert wurde, engagierte er sich doch für Naturschutz und Kultur, konnte ich als Kind nur schlussfolgern, dass mit meiner Schwester und mir etwas nicht stimmen musste. Von meinen Großeltern bekam ich oft signalisiert, dass ich sehr anstrengend, zu laut, zu wild, zu viel sei und dass es ja kein Wunder wäre, dass mein Vater überfordert sei. Ich habe daraus früh gelernt, dass meine Emotionen nichts Gutes sind. Und gleichzeitig geübt, meine emotionalen Bedürfnisse von Anerkennung, Zuneigung und Liebe zu stillen, indem ich mich anderen Menschen gegenüber genau so verhielt, wie sie es vermutlich gut finden. Ich habe gelernt, die Emotionen anderer so perfekt zu lesen, dass ich genau darauf reagieren konnte. Ohne es damals zu wissen, bin ich eine Meisterin in Empathie geworden – aber nur für andere, nicht für mich selbst.

Ganz früh habe ich den Entschluss gefasst, Kindergärtnerin zu werden. Rückblickend ist für mich klar: Ich wollte anderen Kindern das geben, was ich selbst nicht bekommen habe. Emotionale Sicherheit. Mit sechzehn habe ich mich dazu entschieden, das Gymnasium zu verlassen, um meinen Traumberuf zu ergreifen. In der Ausbildung erfuhr ich viel über Pädagogik, Entwicklungspsychologie und Emotionen und war unglaublich fasziniert, wie wir Menschen funktionieren. Gleichzeitig war ich verwundert darüber, dass diese Themen in der Schule und in unserer Allgemeinbildung kaum Raum einnahmen. Besonders irritierend fand ich (und das hat sich bis heute nicht geändert), dass das Wort „Emotionen“ in unterschiedlichen Zusammenhängen ganz anders bewertet wird – mal als etwas ganz Tolles und mal als etwas, das es um jeden Preis zu vermeiden gilt.

Wie wir Emotionen als Signale nutzen können

Während der Coronapandemie habe ich zum Beispiel angefangen, regelmäßig freiwillige Fragebögen des Robert Koch-Instituts auszufüllen. Eine Frage lautete, wie emotional ich mich derzeit fühle. Erst einmal ist das eine neutrale Frage – allerdings stand hinter ihr in Klammern „ängstlich, nervös“. Dabei ist es gerade in herausfordernden Zeiten wie einer Pandemie wichtig und positiv, emotional zu sein, Gefühle zu zeigen, empathisch miteinander umzugehen. In dieser Umfrage wurde Emotionalität aber als negativ bewertet. Das ist nur ein Beispiel von vielen und macht deutlich: Emotionen werden in unserer Gesellschaft oft als etwas Schwieriges oder manchmal sogar Lästiges gesehen.

In den letzten Jahren habe ich mehr als achtzig Vorträge oder Workshops zu Emotionen gehalten und Interviews gegeben. Im Vorwort habe ich schon eine der häufigsten Fragen erwähnt, die mir in diesem Zusammenhang gestellt wird. Anfangs hat sie mich irritiert, heute bringt sie mich zum Schmunzeln: „Wie sollen wir denn arbeiten, wenn plötzlich alle nur noch weinen?“

Anhand dieser Frage werden gleich zwei Dinge deutlich: Bei Emotionen im Zusammenhang mit der Arbeitswelt denken zum einen sehr viele sofort an weinende Kolleg*innen, nicht aber an Begeisterung für Ideen, Leidenschaft für Projekte oder Empathie für Mitarbeitende. Und zum anderen glauben die meisten, dass ich dafür plädiere, Emotionen ungefiltert auszuleben. Aber das ist selten hilfreich, weder im Arbeitsumfeld noch im Privaten. Entscheidend ist, dass wir unsere Emotionen bewusst wahrnehmen, sie reflektieren und als die wichtigen Signale nutzen, die sie sind.

Jede Emotion kann sehr viel über uns verraten, jede Emotion kann helfen, uns über uns selbst bewusst zu werden. Und ist es nicht das, was wir uns alle wünschen – mehr Selbstbewusstsein? Kaum ein Begriff findet sich öfter in Coaching-Angeboten oder Ratgebern. Sehen wir uns dieses Wort einmal genauer an, wird schnell deutlich, dass es von uns eigentlich falsch genutzt wird. Selbstbewusstsein gilt, folgt man dem Duden, als Synonym für „das Überzeugtsein von eigenen Fähigkeiten, von seinem Wert als Person, das sich besonders in selbstsicherem Auftreten ausdrückt”.

Viel wichtiger ist aber die wortwörtliche Bedeutung: das Bewusstsein über uns selbst. Und dabei spielen unsere Emotionen eine sehr große Rolle. Wenn wir uns wirklich Zeit nehmen, unsere Emotionen zu reflektieren, und uns so bewusst über uns selbst werden – können wir wirkliches Selbstbewusstsein entwickeln und auch nachhaltig verankern.

Für dieses SelbstBEWUSSTsein ist es aber erst einmal wichtig, zu verstehen, was unsere Persönlichkeit ausmacht. In der Psychologie wird dabei von den „Big Five“ gesprochen. Die Big Five wurden durch diverse Studien erforscht und belegt und gelten heute als universelles Standardmodell in der Persönlichkeitsforschung. Demnach zufolge existieren fünf Faktoren, um unsere Persönlichkeit, unseren Charakter besser zu beschreiben: Offenheit für Erfahrungen (Aufgeschlossenheit), Verträglichkeit (Empathie), Neurotizismus (Verletzlichkeit), Gewissenhaftigkeit (Perfektionismus) sowie Extraversion (Geselligkeit).

Emotionen spielen für diese Persönlichkeitsmerkmale eine grundlegende Rolle, weil sie uns einerseits dabei helfen können, unseren Charakter zu entwickeln. Andererseits sind sie in der Lage, wichtige Botschaften zu den einzelnen Faktoren zu vermitteln. Sie können uns verständlich machen, wann und warum wir uns verletzlich fühlen oder was uns dabei hilft, empathisch zu sein.

Im vielfach ausgezeichneten US-amerikanischen Animationsfilm Alles steht Kopf werden fünf unserer Basisemotionen, also Freude, Kummer, Angst, Wut und Ekel, als Schaltzentrale im Kopf der kleinen Riley gezeigt. Mir gefällt dieses Bild sehr gut: Emotionen sind Nachrichten unserer Psyche. Sie geben uns wichtige Informationen über uns und unsere Welt. Im Film führen die Emotionen unter der Leitung von Freude die Teenagerin Riley mithilfe eines Schaltpults durch den Alltag. Freude ist dafür zuständig, dass Riley glücklich ist, Angst bewahrt sie vor Unfällen und Verletzungen, Wut sorgt für Gerechtigkeit und Ekel dafür, dass Riley nicht krank wird. Nur Kummer scheint im Film anfänglich keine wirkliche Aufgabe zu haben – bekommt aber im weiteren Verlauf eine Hauptrolle: Als klar wird, dass die Aufgabe von Kummer unter anderem darin besteht, Bindungen zu stärken, wird diese Emotion zur leitenden Funktion in der Schaltzentrale und sorgt dafür, dass Riley, nachdem sie von zu Hause weggelaufen war, die wichtige Bindung zu ihren Eltern wiederfinden kann und nach Hause zurückkehrt.

Der Pixar-Film zeigt für mich auf wunderbare Weise, dass alle unsere Emotionen wichtig sind und eine eigene Aufgabe haben. Von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) bekam Alles steht Kopf das Prädikat „besonders wertvoll“ mit der Begründung: „Am Ende steht die Erkenntnis, dass alle Gefühle – auch die vermeintlich negativen – ihre Daseinsberechtigung und ihre Zeit haben und dass Kummer ein wichtiger Bestandteil des Lebens ist. Wie unterhaltsam, leicht, fantasievoll und dennoch zutiefst klug Alles steht Kopf diese Einsicht in unsere Gefühlswelt auf den Punkt bringt, macht ihn zu einer absoluten Ausnahmeerscheinung im Family Entertainment bzw. Animationsfilm – und damit zu einem Werk, das möglicherweise Maßstäbe für die Zukunft setzen wird.“

Der Film macht deutlich, dass wir all unsere Emotionen wertschätzen sollten, bevor wir sie bewerten. Und auch, dass wir einzelne Emotionen nicht einfach abschalten können, sondern sie vielmehr wie ein Mischpult für Musik nutzen sollten: Nur mit vielen unterschiedlichen Komponenten kann ein guter Song entstehen. Nur wenn wir alle Emotionen wahrnehmen, können wir emotionale Intelligenz entwickeln.

Wie wir emotionale Intelligenz entwickeln

Emotionale Intelligenz beschreibt die Fähigkeit, eigene und die Gefühle anderer bewusst wahrzunehmen, sie nachzuvollziehen, zu reflektieren und sinnvoll zu nutzen. Und genau das ist für mich eine wichtige Entwicklung, vor allem auch in der Arbeitswelt: von Emotionalität zu emotionaler Intelligenz.

Aber wie schaffen wir diesen großen Entwicklungsschritt? Indem wir die Teilschritte gehen, die nötig sind. Indem wir diese Zwischenschritte immer wieder üben, bis wir sie so verinnerlicht haben, dass sich die Entwicklung ganz von selbst ergibt.

Der erste Schritt ist die bewusste Wahrnehmung – und das ist zugegebenermaßen ziemlich schwer. Haben wir doch oft genug gelernt, Emotionen zu unterdrücken, sie sofort zu bewerten oder schlimmstenfalls uns für sie zu schämen. Ein Bild kann sehr hilfreich sein, um die Wahrnehmung für Emotionen zu schärfen: Emotionen sind wie Wellen im Meer, manchmal wild, manchmal überwältigend, manchmal sanft. Aber ganz egal, wie die Wellen gerade aussehen, unten ist das Meer immer ruhig. Genau diese Vorstellung von Ruhe hilft mir oft weiter, wenn ich mal wieder glaube, meine Emotionen schwappen über und werden unkontrollierbar. Ich versuche mich dann daran zu erinnern, dass trotz aller Wellen tief in mir Ruhe ist. Und wenn wir richtig gut üben, können wir die Wellen vielleicht sogar surfen. Gut, aber um ehrlich zu sein, hier endet meine Vorstellungskraft – das liegt aber nur daran, dass ich ein sehr unsportlicher Mensch bin und mich niemals auf einem Surfbrett halten könnte. Doch wenn ich nicht surfen kann, muss ich eben schwimmen. Und auch beim Schwimmen ist klar: Mit den Wellen zu schwimmen ist wesentlich schöner und einfacher als gegen sie.

Der zweite Schritt ist das Verstehen. Welche Emotion ist das gerade? Wie fühlt sie sich an? Das klingt erst einmal banal, aber das richtige Benennen von Emotionen ist existenziell.

Wenn wir beim Bild der Wellen bleiben, können wir uns vorstellen, dass die Wellen Dinge an den Strand spülen. Und wir sollten uns diese Dinge genau anschauen. Um das, was wir da sehen, auch zu verstehen, brauchen wir die richtigen Worte. Das Gute ist: Es gibt nicht nur die fünf Basisemotionen Freude, Kummer, Angst, Wut und Ekel, die in Alles steht Kopf vorgestellt werden. Der US-amerikanische Psychologe Robert Plutchik, einer der wichtigsten Forscher zu Emotionen, hat 1980 das „Rad der Emotionen“ entwickelt, um Gefühle und deren unterschiedliche Ausprägungen darstellen. Ihm zufolge gibt es zweiunddreißig Felder, ähnliche Emotionen befinden sich nebeneinander, gegensätzliche Emotionen gegenüberliegend.

In ihrem Bestseller Atlas of the Heart stellt Brené Brown sogar siebenundachtzig verschiedene Emotionen detailliert vor. Um meine eigenen Emotionen besser verstehen zu können, hat es mir anfangs sehr geholfen, mich selbst zu fragen: Was für eine Emotion ist das genau, die ich hier gerade fühle? Ist es Bewunderung oder Neid? Ist es Angst oder Aufregung? Umso klarer ich meine Emotion benennen kann, desto besser kann ich sie erfassen und nachvollziehen. Emotionen zu benennen gibt ihnen nicht mehr oder weniger Macht – aber es gibt uns selbst Klarheit und damit die Macht, sie besser zu deuten und uns von ihnen nicht überwältigen zu lassen.

Im dritten Schritt geht es um die Reflexion. In der Physik beschreibt es das Zurückwerfen von Strahlen, im philosophischen Gebrauch wird es als Wort für „tiefes Nachdenken“, „Nachsinnen“ benutzt. Die physikalische Auslegung des Begriffs scheint besonders passend zu sein: Ehrlich sollten wir in den Spiegel schauen und sehen, was uns dort zurückgeworfen wird. Wenn wir uns dafür Zeit nehmen, ohne zu werten, haben wir die Chance, unsere Emotionen zu lesen. Was heißt: Nehmen wir sie erst mal so wahr, wie sie angespült werden, haben wir die Möglichkeit, darüber nachzudenken, woher sie kommen. Warum bin ich gerade neidisch? Was macht mich traurig? Wieso fühle ich mich gestresst? Wo liegt der Ursprung meiner Angst? Und vielleicht habt ihr es gemerkt: Das alles sind Emotionen, die wir im Alltag gerne wegwischen. Die wir eher ignorieren, wenn sie angespült werden, die wir sogar versuchen zu verstecken. Aber: Es gibt keine positiven oder negativen Emotionen. Je mehr wir uns bemühen, vermeintlich negative Emotionen zu unterdrücken, desto stärker kommen sie zurück. Alle Emotionen sind wichtig. Jede Emotion ist wichtig, um mehr über uns selbst zu erfahren, um uns besser zu verstehen, um selbstBEWUSSTER zu werden.

Genau dafür sind die Fragen, auf die nicht einfach mit einem „Ja“ oder „Nein“ geantwortet werden kann, so entscheidend: Warum bin ich gerade neidisch? Was macht mich traurig? Wieso fühle ich mich gestresst? Woher kommt meine Angst?

Wir schauen uns also an, was da gerade angespült wird, und können mit diesen Fragen anfangen zu reflektieren, nachzudenken, und vielleicht sogar einen Grund für die Emotion benennen. Das Wichtige ist, dass es hier um keine Wertung geht, um kein Urteil über uns selbst, sondern vielmehr um die Neugier, mehr über uns zu erfahren, uns selbst besser zu verstehen.

Im letzten Schritt geht es um das sinnvolle Nutzen der eigenen Emotionen: Warum spreche ich abschätzig, wenn ich neidisch bin? Zeigt mir der Neid vielleicht, was ich eigentlich bewundere? Kann er mir helfen, eigene Ziele zu setzen? Warum fühle ich mich wie gelähmt, wenn ich traurig bin? Muss ich der Traurigkeit vielleicht Raum geben, damit ich sie gehen lassen kann und sie mich nicht mehr bremst? Warum werde ich aggressiv, wenn ich gestresst bin? Zeigt mir meine Aggression vielleicht, dass ich körperlichen Ausgleich für meine Anspannung brauche? Was steckt hinter meiner Angst? Ist meine Angst vielleicht ein wichtiges Signal, das mich vor einem Fehler bewahren will?