Reisebriefe eines Artisten - Joachim Ringelnatz - E-Book

Reisebriefe eines Artisten E-Book

Joachim Ringelnatz

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Beschreibung

Mit dieser Gedichtsammlung begibt sich Ringelnatz auf das Feld der literarischen Reisen. Ursprünglich für die satirische Wochenzeitschrift Simplicissimus verfasst, nimmt der Lyriker seine Leser mit an die verschiedensten Orte. Beginnend in Breslau, macht er dabei unter anderem Station in Hamburg, Finnland und Berlin und rückt dabei die Perspektive des Artisten in den Vordergrund.-

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Seitenzahl: 69

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Joachim Ringelnatz

Reisebriefe eines Artisten

 

Saga

Reisebriefe eines Artisten

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1927, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788728015766

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Dem Peter Scher und seiner Lene

Eisenach

(An den liebsten Freund)

Edelster Freund, ich gedenke dein

Abends vorm Fusse der Wartburg sitzend,

Bleisoldaten aus Baumrinde schnitzend

Und beseelt von dem Wunsche, dir gleich, ein Dichter zu sein.

In der Drachenschlucht morgens gewesend,

Mittags den Simplizissimus

Und die Geschichte der Thüringer Landgrafen lesend,

Türmt sich — wie Schollen — Genuss auf Genuss.

Was ich hier schaue, erfüllt mich mit Liebe und Dank.

Du, mein Dichter — nein Mensch — du wirst mich verstehn.

Welch ein Unterschied zwischen den lieblichen Triften

Und jener bitteren und doch süssen Anklagebank,

Wo wir uns fanden eintausendneunhundertundzehn

Wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften.

Ist mir’s nicht eben, als hörte ich Raubritter streiten,

Hier, wo einst Luther den Teufel mit Tinte beschmiert?

Seh ich nicht dort weiland Kaiser Wilhelm den Zweiten,

Wie er persönlich die alte Burg renoviert?

Hat nicht der Riegel geknarrt?

Naht nicht Fritz Reuter sich dort?

Doch ich muss leider jetzt fort.

Landgraf, ach werden Sie hart!

Über Ewigkeit möcht ich jetzt plaudern

Mit dir, doch (He, Kellner, noch ein Glas! He!)

Doch aus dem Tale vernehm ich mit Schaudern

Ruf meiner Pflicht: Komm ins Varieté!

Liebster, adieu!

Was ich jetzt fühle und was meinen trunkenen Blicken

Schönes sich bietet, das möcht ich zum Postpaket

Falten und packen, um dir es zu schicken,

Sei’s nur dies abendvergoldete Gartenstaket.

Aber nun werde (weil muss) ich hinuntersteigen

In das äusserlich gut beleuchtete Eisenach,

Werde mich zeigen, arbeiten, verneigen. — —

Aber mit irgendwem kriege ich hinterher Krach.

Betrachtungen in einer Bahnhofswartehalle

Wie seine eigne Spucke schmeckt,

Das weiss man nicht.

Wenn man in seinen Spiegel leckt,

Kriegt man die Spucke zu Gesicht.

Das muss durchaus kein Spiegel sein.

Man kann aufs Sofa, auf die Hand,

Man kann auf jeden Gegenstand,

Wenn man nur richtig hintrifft, spein.

Jedoch: Tut wohl ein Gent,

Der etwas von Bazillen

Weiss und die Folgen kennt,

Bazillen das zu Willen??

Man spuckt von Bord ins Meer bei Sturm.

Man spuckt diskret vom Eiffelturm

(Bis unten sechs Sekunden).

Man spuckt an einen Litfasszaun,

Doch nie in Gegenwart von Fraun

Und stets in stillen Stunden.

Weh dem, der sie verliert!

Weh dem, der sie vergeudet,

Die Spucke! Sie bedeutet

Viel, wenn man raucht und priemt, frankiert,

Umblättert, löscht, aquarelliert.

Die eigne Spucke, Mimikry,

Verdirbt den Appetit uns nie.

Ich bin nicht ihr Entdecker.

Ich bin kein Speichellecker,

Bin kein Feinschmecker,

Doch ich liebe sie.

Ich liebe nur die meinige.

Ausnahmen sind exzeptionell

Und — frei gesagt — dann sexuell;

Obwohl ich solche Leute niemals steinige.

Manches soll man verschlucken.

Jetzt naht mein Zug. Die Zeit vergeht.

Ich weiss, in jedem Wagen steht:

„Nicht auf den Boden spucken.“

Kassel

(Die Karpfen in der Wilhelmstrasse 15)

Man hat sie in den Laden

In ein intimes Bassin gesetzt.

Dort dürfen sie baden.

Äusserlich etwas ausgefranst, abgewetzt —

Scheinen sie inwendig

Doch recht lebendig.

Sie murmeln Formeln wie die Zauberer,

Als würde dadurch ihr Wasser sauberer.

Sie kauen Mayonnaise stumm im Rüssel

Und träumen sich gegen den Strich rasiert,

Sodann geläutert, getötet, erwärmt und garniert

Auf eine silberne Schüssel.

Sie enden in Kommerzienräten,

Senden die witzigste von ihren Gräten

In eine falsche Kehle.

Und ich denke mir ihre Seele

Wie eine Kellerassel,

Die Kniebeuge übt. — — —

Ja und sonst hat mich in Kassel

Nichts weiter erregt oder betrübt.

Hanau

Es war nur nebenbei — nur eine Frage.

Ich weiss, wie mich mein Gastwirt liebt.

Ob ich mich auf die siebzehn Meter hohe Leiter wage?

Ja! Was es hohe Birnenbäume gibt.

Dem hab’ ich nun an einem Tage

Zirka zwei Zentner saftiger, gelber

Birnen herabgenommen;

Hab’ für mich selber

Das Maul und die Taschen voll

Und einen gärenden Groll

Gegen den Wirt bekommen,

Der, wenn ich mich in der Nacht

Blindvoll besaufe, so gastfreundlich lacht.

Sonntags

Du redest. Du redest doch auch zu mir?

Die Kanzel ist so hoch entfernt.

Was redest du auf Lateinisch zu mir!

Ich habe doch nie Lateinisch gelernt.

Was redest du so düster und fremd?

Lache doch einmal laut!

Was trägst du für ein feierlich Hemd?

Damit wir bangen? Damit uns graut?

Was gehst du so um den Brei herum,

Um den saftigen, würzigen Brei?

Ich war so froh; nun bin ich dumm

Und risse dir gern das Hemd entzwei.

Und sähe dich gerne splitternackt,

Verzweifelten Gesichts.

Ich bin vielleicht vom Teufel gepackt.

Aber er tut mir nichts.

Eisenbahnfahrt

Weine nicht Abschiedstrauer.

Es biegt sich alles sowieso.

Unterm moralischen Popo

Brennt nichts so heiss wie Dauer.

Und weil es uns so lange

So schlecht erging — nein noch zu gut! —

Sei nicht mehr bange.

Mir macht die Eisenbahn jetzt Mut.

Dann fuhr der Zug. — Mein Vis-à-vis,

Mann mit Begleiterinnen,

Die wollten — ach ich kenne die —

Ein Fettgespräch beginnen.

Aus Fett, im Fett und über Fett.

Ich aber wünschte ihnen

Im stillen ein bequemes Bett

Mit Syrup und mit Bienen.

Ich stierte fremd und sprach kein Wort.

Doch all mein Leid erwachte,

Dass ich mich einschloss im Abort

Und rauchte dort und dachte.

Es kann die Bahn, ein Mensch, ein Gaul

Ausgleiten und entgleisen. —

Denk nicht zu viel und halt dein Maul

Auf Reisen!

Wilhelmshöhe

An Bäumen und Steinen vorüber.

Dort oben soll Ledderhose sein.

„Das Leben wird täglich trüber“,

Sagen die Leute. Wie mag

Es erst im November sein?!

Nein, da trinke ich lieber

Jetzt, am hellichten Nachmittag,

Bei Ledderhose mit mir allein Bein.

Das hockt sich — wie eine Krähe —

Dort scheu vergnügt und allen fremd.

Ich brauchte mindestens zwei Flöhe

Für einen Reim auf Wilhelmshöhe,

Fühl aber nur vergangene Angst im Hemd.

Doch hab ich inzwischen den Ring versetzt.

Für zweihundert Mark!

Und du kannst dir denken: Jetzt

Bin ich ein König und stark, stark.

Wichtwürdige Gesichter

Balancieren rings um mich her,

Als wären es alles Richter. —

Ich aber denke an dich, Peter Scher.

Im Park

Ein ganz kleines Reh stand am ganz kleinen Baum

Still und verklärt wie im Traum.

Das war des Nachts elf Uhr zwei.

Und dann kam ich um vier

Morgens wieder vorbei,

Und da träumte noch immer das Tier.

Nun schlich ich mich leise — ich atmete kaum —

Gegen den Wind an den Baum,

Und gab dem Reh einen ganz kleinen Stips.

Und da war es aus Gips.

Hinterm Hotel

Hinter dem schwarzen Hotelbau lag

Ein Gärtchen, Düster bei Nacht wie bei Tag.

Blumenlos waren die Beete,

Weil keine Sonne sie je beschien,

Und grün, aber auch schmutzig grün,

Waren nur die Stakete.

Ein Hausdiener mit Knochenfrass

Und ein Küchenmädchen aus dem Elsass

Haben dort die Natur besiegt

Und ein Kind gekriegt.

Hinter der Laube, in blattlosen Zweigen

Lebt dort ein gutes Gespenst.

Ich will es dir zeigen,

Ohne dass du’s erkennst.

Berlin

Da fährt die Hochbahn in ein Haus hinein

Und auf der andern Seite wieder raus.

Und blind und düster stemmt sich Haus an Haus.

Einmal — nicht lange — müsstest du hier sein.

Wo das aufregend gefährlich flutet und wimmelt

Und tutet und bimmelt

Am Kurfürstendamm und am Zoo.

Das Leben in Pelzen und Leder.

Es drängt einen so oder so

Leicht unter die Räder.

Sonst habe ich gut hier gefallen.

Man hat mir hohe Gagen angeboten.

Aber weisst du: jeder verkehrt hier mit allen,

Nur nicht mit stillen Menschen oder mit toten.

Ich bin so stolz darauf, dir einen Scheck zu überweisen.

Ja, ja, hier heisst es sich durchbeissen.

Das gibt mir mancherlei Lehre.

Heute ging mir beim Kofferflicken die Nagelschere

Entzwei. Not bricht Eisen. —

Kurz vor der Weiterreise

In Eile — in vierzig Minuten

Geht mein Zug. Denke dir nur:

Die gelbe Tasche mit Frack und den guten

Hosen, vier Hemden und Onkel Karls Uhr,