Risky Game. Küsse auf dem Eis - Genovefa Adams - E-Book
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Risky Game. Küsse auf dem Eis E-Book

Genovefa Adams

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Beschreibung

**Eishockeyprofi meets Südstaatengirl** Avery liebt die Sonne und Wärme der Südstaaten über alles. Als sie ihr Zuhause und ihre Freundinnen verlassen soll, bricht für sie eine Welt zusammen. Denn ausgerechnet in der eisigen Kälte von Minnesota hat ihr Vater seinen Traumjob gefunden. Doch Averys neue Heimat hält nicht nur Schnee für sie bereit, sondern auch den charmanten Tyler. Der Blick in seine fesselnden blauen Augen lässt sie all ihre Sorgen vergessen. Aber Tyler ist in Wirklichkeit nicht nur der sympathische Typ von nebenan, der er vorgibt zu sein. Er setzt alles daran, das Geheimnis um seine Identität zu bewahren, und führt Averys Herz dabei mehr und mehr aufs Glatteis.   //»Risky Game. Küsse auf dem Eis« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Genovefa Adams

Risky Game. Küsse auf dem Eis

**Eishockeyprofi meets Südstaatengirl**Avery liebt die Sonne und Wärme der Südstaaten über alles. Als sie ihr Zuhause und ihre Freundinnen verlassen soll, bricht für sie eine Welt zusammen. Denn ausgerechnet in der eisigen Kälte von Minnesota hat ihr Vater seinen Traumjob gefunden. Doch Averys neue Heimat hält nicht nur Schnee für sie bereit, sondern auch den charmanten Tyler. Der Blick in seine fesselnden blauen Augen lässt sie all ihre Sorgen vergessen. Aber Tyler ist in Wirklichkeit nicht nur der sympathische Typ von nebenan, der er vorgibt zu sein. Er setzt alles daran, das Geheimnis um seine Identität zu bewahren, und führt Averys Herz dabei mehr und mehr aufs Glatteis.

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Vita

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© privat

Genovefa Adams heißt eigentlich anders und hat sich den Namen ihrer Urgroßmutter nur ausgeliehen. Unter ihrem richtigen Namen schreibt sie Artikel für Zeitungen und Magazine. Den wirklich wichtigen Dingen, nämlich dem Leben und der Liebe, widmet sie sich in ihren Romanen. Sie ernährt sich vegan, hat einen verhaltensauffälligen Mischlingshund und findet Ballerinas wahnsinnig unbequem.

Für dich

Ich weiß, dass du dieses Buch dort liest, wo du jetzt bist.

Kapitel 1

Avery seufzte und setzte sich auf ihr neues Bett. Aus dem Bilderrahmen in ihren Händen grinsten ihr ihre besten Freundinnen Maureen und Suzie entgegen. Das Foto hatte sie letzten Sommer gemacht. Sie erinnerte sich noch genau an den Abend am See. Lagerfeuer, Musik und ihre beiden besten Freundinnen. Jetzt kam es ihr vor, als wäre das alles eine Ewigkeit her, dabei war seitdem nur ein halbes Jahr vergangen.

Tausend Meilen trennten sie jetzt von Maureen, Suzie und allen anderen. Von ihrem Leben in North Carolina. Dem Diner mit dem besten Milchshake der Welt. Dem Steg, auf dem sie vor zwei Jahren ihren ersten Kuss bekommen hatte.

Okay, der war eigentlich kein Grund, Heimweh zu bekommen. Jeremy hatte sie überrumpelt. Und der Kuss war ziemlich schlabberig gewesen. Aber darum ging es ja jetzt gar nicht.

Es ging darum, dass Avery mitten in ihrem Junior-Jahr an der High School mit ihrer Familie von North Carolina nach Jonestown, Minnesota, gezogen war. Gegen ihren Willen. Ihr Vater war hier Chefarzt in einer Klinik geworden. Avery fand, er hätte gut unter der Woche hier wohnen und für die Wochenenden zu ihnen nach North Carolina kommen können.

Natürlich hatte sie ihren Eltern das vorgeschlagen. Sie hatte argumentiert, gebettelt, gefleht. Trotzdem war sie jetzt hier.

Sie schaute zum Fenster. Die Fensterbank war hoch mit Schnee bedeckt, sodass Avery im Sitzen nur den Himmel sehen konnte. Die grauen Wolken sahen nach noch mehr Schnee aus.

»Davon haben wir ja noch nicht genug«, murmelte sie und rümpfte die Nase.

Es war nicht so, dass sie keinen Schnee mochte. Er sah sehr hübsch aus. Auf Postkarten, Postern und Buchcovern. Im echten Leben machte er Flecken auf die Winterstiefel und sorgte dafür, dass unschuldige Menschen sich vor den Augen der neuen Nachbarn auf die Nase legten und davon einen dicken blauen Fleck am Knie bekamen.

Avery legte sich aufs Bett und stellte das Foto so neben sich, dass sie es weiter anschauen konnte.

Sie blinzelte gegen die Tränen an, aber das half nicht.

Als es an die Tür klopfte, rief sie: »Ich bin nicht da.«

Sie hörte, dass die Tür geöffnet wurde.

»Sicher?«, fragte ihre Mutter. »Das wäre aber schade. Dann hätte ich die heiße Schokolade mit Marshmallows ganz umsonst gemacht.«

Avery drehte sich zu ihr um und stützte sich auf ihren Ellbogen auf. »Eine heiße Schokolade ändert auch nichts daran, dass wir jetzt im ewigen Eis leben«, sagte sie.

Ihre Mutter stellte den dampfenden Becher auf Averys Nachttisch und setzte sich zu ihr aufs Bett. »Ich verstehe dich ja.«

Avery schnaubte.

»Doch, das tue ich. Denkst du, für mich war es einfach? Oder für Dad?«

Avery richtete sich auf. »Der Umzug war eure Entscheidung. Ihr wolltet das so.«

»Wir wissen, wie schwierig das für dich ist.«

»Ich hätte in North Carolina bleiben können, bei …«

»… Großtante Josephine, ich weiß.«

»Sie hätte sich sehr gefreut, hat sie gesagt.«

»Sie ist achtzig, Avery, und krank. Wie soll sie da für einen Teenager sorgen?«

»Ich komme gut allein klar.«

»Wenn das so ist, nehme ich die heiße Schokolade einfach wieder mit.«

Avery griff nach dem Becher. »Nein. Das wäre ja Verschwendung.«

»Ich bin mir sicher, dass du hier ganz schnell Freunde finden wirst.«

»Ich komme aus einer Kleinstadt in den Südstaaten. Die werden mich für eine Hinterwäldlerin halten.«

»Jeden, der das denkt, kannst du gern an mich verweisen.«

Avery trank einen Schluck von der heißen Schokolade.

Eines musste sie ja zugeben: Auch wenn sie sauer auf ihre Mutter war, an deren heiße Schokolade kam einfach nichts heran.

»Mit Leuten, die solche Vorurteile haben, willst du doch nichts zu tun haben«, fuhr Averys Mutter fort.

»Wir reden hier von einer High School, nicht vom Bibelkreis. Ohne Vorurteile würde jedes High School-Gebäude einstürzen.«

»Dad und ich haben dich immer weltoffen und tolerant erzogen und …«

»Mom, bitte. Das hilft mir doch jetzt nicht.«

»Na schön. Aber eines möchte ich dir noch sagen: Du bist ein ganz tolles Mädchen. Du bist intelligent, lustig, schlagfertig, selbstbewusst …«

Avery wedelte mit der Hand durch die Luft. »Schon gut, schon gut. Ich hab’s verstanden.«

Über Averys Schulter hinweg sah ihre Mutter auf das Foto von Maureen und Suzie. »Meine Freundinnen fehlen mir auch, weißt du?«

»Maureens und Suzies Leben gehen zu Hause einfach weiter.« Avery blinzelte die Tränen aus ihren Augen. »In ein paar Wochen werden sie vergessen mich anzurufen. In ein paar Monaten werden wir gar keinen Kontakt mehr haben. Und wenn sie in ein paar Jahren ein Foto von mir finden, dann wissen sie nicht einmal mehr, wer ich bin.«

Ihre Mutter streichelte ihr über den Rücken. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Und wenn es doch so kommen sollte, dann waren das auch keine echten Freundschaf…«

Avery sprang auf. »Das waren echte Freundschaften. Wenn sie jetzt zerbrechen, hat das nur einen Grund, nämlich diesen Umzug!«

»Ist es wegen eines Jungen?«

»Was?«

»Die erste große Liebe ist etwas Wunderbares. Sie kann auch über größere Entfernungen hinweg funktionieren. Dein Dad und ich …«

»Erste große Liebe?«, wiederholte Avery. »Wer denn?«

»Na, du bist so unglücklich, dass ich dachte, es steckt vielleicht ein Junge dahinter.«

Avery schüttelte den Kopf.

»Du würdest mir doch erzählen, wenn …«

»Keine Sorge, Mom. Hier wird sich sowieso niemand für mich interessieren.«

***

Tyler ließ die Tür hinter sich zufallen und seine Trainingstasche von der Schulter gleiten. Er biss die Zähne zusammen und verzog das Gesicht.

Seine Schulter schmerzte höllisch. Jede Bewegung sorgte dafür, dass das Pochen noch stärker wurde. Trotzdem versetzte er seiner Tasche einen Tritt, ehe er in die Küche ging.

Dort nahm er sich eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank, lehnte sich gegen die Arbeitsplatte und atmete einmal tief durch.

»Scheiße«, murmelte er und schälte sich umständlich aus seiner Winterjacke.

Es waren minus sieben Grad draußen und es schneite. Er hatte seinen Wagen im Carport abstellen müssen, weil seine Mutter mit dem Geländewagen wieder beide Stellplätze in der Garage blockierte.

Tyler nahm sich ein Coolpack aus dem Kühlschrank und legte es vorsichtig auf seine Schulter.

Eigentlich hätte er nach dem Training zum Mannschaftsarzt gehen müssen. Roger hatte ihn gegen die Bande getackelt und dabei seine Schulter verdreht. Im ersten Moment war Tyler schwarz vor Augen geworden. Zum Glück war er nicht aus den Skates gekippt. Das hätte ihm gerade noch gefehlt. Er hatte ja so schon genug Stress mit seinen Teamkollegen.

Aus diesem Grund hatte er auch nicht zum Mannschaftsarzt gehen können. Er war mit seinen achtzehn Jahren nicht nur der jüngste Spieler bei den Jonestown Wolves, sondern in der gesamten NHL, der nordamerikanischen Eishockeyprofiliga.

Als Rookie hatte er bei seinen Mitspielern, die fast alle einige Jahre älter waren als er, einen schweren Stand. Vor allem, da Coach Lahtinen auf ihn baute. Tyler war der Spieler der Wolves mit den meisten Minuten auf dem Eis. Kein Wunder, dass die anderen davon nicht begeistert waren. Allen voran Gordon Collister, sein direkter Konkurrent.

Tyler zwang sich ruhig durchzuatmen. Das war nicht die erste Verletzung in dieser Saison, die er sich beim Training zugezogen hatte. Tatsächlich hatte er in seiner ganzen Laufbahn als Jugendspieler nicht so viele Verletzungen gehabt wie im vergangenen halben Jahr bei den Wolves.

Ein Gutes hatte der Schmerz in seiner Schulter wenigstens: Er war so stark, dass Tyler gar nicht mehr sein geprelltes Knie und den verhärteten Muskel in der linken Wade spürte.

Seine Küche war zum Wohnzimmer hin offen. Tyler überlegte einen Moment, ob ihm der Weg zur Couch nicht zu weit war, aber dann raffte er sich doch dazu auf, die fünf Meter anzugehen. Wer zwei Stunden mit den Wolves auf dem Eis schafft, schafft es auch bis zum Sofa, redete er sich selbst gut zu.

Nachdem er die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht hatte – kaum zu glauben, wie weit fünf Meter sein konnten –, klingelte das Telefon.

Seine Mutter. Das wusste Tyler, ohne aufs Display zu schauen. Sie war die einzige, die ihn auf dem Festnetz anrief. Sicher hatte sie gesehen, dass er nach Hause gekommen war, und wollte hören, wie das Training gelaufen war.

Tyler ignorierte das Klingeln, ließ sich aufs Sofa fallen und bereute das im nächsten Moment, als der Schmerz in seiner Schulter erneut aufflammte.

Wenige Augenblicke später schellte die Türklingel.

Tyler seufzte. Seine Mutter und sein jüngerer Halbbruder Nate waren mit ihm aus Oregon nach Jonestown in Minnesota gekommen, als er den Vertrag bei den Wolves bekommen hatte.

Sie bewohnten ein Haus mit zwei getrennten Wohnungen in einem Außenbezirk der Stadt. Das Erdgeschoss hatte Tyler für sich allein, oben lebten Nate und ihre Mutter. Immerhin hatte Tyler das Haus von seinem Honorar gekauft. Abgesehen davon konnte man als Eishockeyprofi ja schlecht bei seiner Mutter wohnen.

Tyler seufzte und rief: »Ist offen!«

»Wusstest du, dass das Universum zu neunzig Prozent aus dunkler Materie besteht?«, rief Nate, ehe er im Türrahmen auftauchte. »Wie siehst du denn aus?«

»Danke, Kleiner. Ich freue mich auch dich zu sehen.«

Nate grinste und setzte sich in den Sessel gegenüber von Tyler. »Was ist mit deiner Schulter?«

»Ich bin in der Kabine gestolpert und mit der Schulter gegen einen Spind geknallt.«

Seiner Mutter hätte er das nicht erzählen können. Sie hatte die nervige Angewohnheit, seine Lügen sofort zu durchschauen. Nate war eigentlich hochbegabt, aber im Umgang mit anderen Menschen nicht ganz so versiert wie seine Mutter. Deshalb kaufte Nate Tyler die Lüge dankenswerterweise ab.

»Mom lässt fragen, ob du mit uns zu Abend essen willst. Es gibt Hash Browns.«

Tyler lehnte den Kopf an die Rückenlehne seiner Couch. Die war sein Lieblingsmöbelstück. Meist schlief er hier abends ein, während CBS Sports auf dem großen Flachbildfernseher lief, der an der Wand hing.

Tyler mochte sein neues Zuhause. Es war viel größer als das winzige Häuschen, das sie in Oregon bewohnt hatten. Außerdem war die Ausstattung um einiges luxuriöser.

Schade, dass es niemanden gab, dem er die neue Villa zeigen konnte.

In den ersten Wochen in Jonestown hatte er ein paar Groupies abgeschleppt. Aber ein Mädchen, mit dem er nur eine Nacht verbringen wollte, musste nicht unbedingt wissen, wo er wohnte.

Die meisten seiner Mitspieler nahmen sich für One-Night-Stands mit Groupies Hotelzimmer. Tyler hatte das noch nicht gemacht und auch nicht vor.

Er wollte sich auf den Sport konzentrieren. Ehrlich gesagt war das mit den Groupies auch nicht so wirklich sein Ding und für eine richtige Beziehung hatte er jetzt sowieso keine Zeit mehr.

Von seinen Teamkollegen hatte noch niemand Tyler zu Hause besucht. Außer ihnen und anderen Mitarbeitern beim Verein kannte Tyler hier in der Stadt niemanden. Er hatte ja nie Freizeit. Wie sollte er da Leute treffen?

»Was ist nun? Isst du mit oder nicht?«, drängte Nate.

»Hm?« Tyler blinzelte. »Sorry. Ich muss kurz eingepennt sein.«

Nate verdrehte die Augen. »Du bist überhaupt nicht mehr bei der Sache. Nie hörst du mir zu.«

»Es tut mir leid, Kleiner. Ich komme gleich hoch, ja?«

Offen gestanden hoffte Tyler, dass Nate ihn jetzt in Ruhe lassen würde.

»Die dunkle Materie kann man nicht sehen. Deshalb heißt sie so. Aber man kann nachweisen, dass sie da ist, indem …«

Tyler bemühte sich um einen interessierten Gesichtsausdruck. Wenn Nate erwartete, dass er ihm zuhörte, sollte er vielleicht mal über etwas anderes reden als Astronomie.

Tyler reichte es schon, sich mit seinen eigenen Physik-Unterlagen beschäftigen zu müssen.

Vor dem Vertragsabschluss hatte seine Mutter Tyler das Versprechen abgerungen, dass er seinen Abschluss per Home Schooling machte. Tolle Idee. Er hatte ja noch nicht genug zu tun. Training, Spiele, Fotoshootings, Interviews, Autogrammstunden … Sicher, da hatte er reichlich Gelegenheit, sich mit Mathe, Physik und Französisch herumzuschlagen.

***

Avery hielt ihr Handy so, dass die Kamera das Schneechaos vor ihrem Fenster einfangen konnte.

Schneechaos, das war noch eine harmlose Umschreibung für das, was da draußen los war. Vor lauter Schnee konnte sie keinen Meter weit aus dem Fenster sehen. Und der Schneeturm auf ihrer Fensterbank wurde langsam so hoch, dass sie im Stehen nicht mehr darüber hinweg gucken konnte.

»O mein Gott«, rief Maureen. »Ich habe noch nie so viel Schnee gesehen.«

»Bitte sag dieses Wort nicht«, seufzte Avery und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Kissen am Kopfende ihres Bettes.

»Aber dein Zimmer sieht total schön aus. Du bist ja fertig mit dem Auspacken.«

Avery verzog das Gesicht. »Ich hätte lieber mein altes Zimmer zurück.«

»Ehrlich? Das neue ist fast doppelt so groß. Jetzt hast du endlich genug Platz für deine Yogaübungen morgens.«

»Ich weiß. Es ist nur … Dieses Zimmer ist so weit weg von euch.«

»Das stimmt. Aber wir sind trotzdem immer nur einen Videoanruf von dir entfernt.«

Avery zog eine Plüschdecke über ihre Beine. »Das ist doch nicht das gleiche. Wenn ich jetzt zu Hause wäre, würden wir bei dir auf dem Bett sitzen und auf eine WhatsApp-Nachricht von Suzie warten.«

»Ich kann nicht fassen, dass sie ausgerechnet ein Date mit Jeremy hat.«

»Ich auch nicht. Aber ich habe sie gewarnt. Wenn ich an den Kuss zurückdenke, wird mir immer noch übel. Ausgerechnet mein erster Kuss musste so traumatisch sein. Wenigstens muss Suzie nichts trinken, wenn sie sich küssen. Da bekommt sie genug Flüssigkeit.«

Maureen quietschte vor Lachen. »Habe ich dir schon mal gesagt, dass du der unappetitlichste Mensch bist, den ich kenne?«

»Dann kannst du ja froh sein, dass ich weg bin.«

»So war das doch nicht gemeint.«

»Ich weiß.« Avery drehte ihr Handy, um Maureen ihre gepackte Tasche zu zeigen. »Morgen geht die Schule wieder los.«

»Wir werden dafür sorgen, dass dein Platz in allen Klassenräumen frei bleibt, in denen wir zusammen Unterricht hatten.«

»Wetten, dass an meiner neuen Schule morgen alle Plätze um mich herum auch frei bleiben werden?«

Maureen verdrehte die Augen. »Du bist zwar unappetitlich, aber so schlimm bist du auch nicht. Wenn du niemandem von deinem Kuss mit Jeremy erzählst, sollte es keine Probleme geben.«

»Ich kenne da keinen einzigen Menschen. Nicht einmal eine entfernte Cousine oder … was weiß ich. Jemanden, den ich irgendwann mal irgendwo getroffen habe. Ich werde mutterseelenallein über die Flure irren.«

»Das bezweifle ich. Du wirst wohl kaum die einzige Schülerin sein.«

Avery schluckte. »Ich habe Angst, Maureen. Ich weiß doch gar nicht, wie das geht.«

»Wie was geht?« Maureen hatte ihr kupferrotes Haar auf Heißwickler gedreht und schaute in den Spiegel. »Meinst du, ich brenne mir die Haare weg?«

»Freundschaften schließen. Wir drei kannten uns schon, als wir noch nicht einmal geboren waren.«

Averys Mutter hatte sich während der Schwangerschaft mit Maureens und Suzies Müttern angefreundet.

»Guck mal, kokelt da was?« Maureen hielt ihre Handykamera vor ihren Hinterkopf.

»Nein, aber es riecht irgendwie verbrannt, findest du nicht?«

»O mein Gott, ehrli… Ach, du bist ein Arsch.« Maureen kicherte so ansteckend, dass Avery mitlachen musste.

»Tut mir leid«, japste sie.

»Schon gut. Wenigstens lachst du jetzt wieder. Ich bin mir sicher, dass deine neuen Mitschüler dich nett finden.«

»Und wenn nicht?«

»Ach, Avery. Wieso sollten sie nicht?«

»Vielleicht wegen meines Südstaatenakzents? Oder weil ich keine Übung darin habe, auf vereisten Flächen zu gehen? Du glaubst nicht, wie oft ich mich in den letzten Tagen vor unserer Tür auf die Nase gelegt habe.«

»Vielleicht kaufst du dir besser Schlittschuhe. O mein Gott, apropos Schlittschuhe! Das habe ich ja total vergessen. Gestern Abend war Stromausfall. Danach hat Coreys Fernseher nicht mehr funktioniert. Weil er aber unbedingt diese eine Sendung auf CBS Sports gucken wollte, ist er in mein Zimmer gekommen. Und dann …«

»Hat die Geschichte auch eine Abkürzung?«

Maureen warf ihr einen bösen Blick zu. »Jedenfalls haben die ein Interview mit einem total süßen Typen gezeigt.«

»Toll. Ein süßer Typ war im Fernsehen. Das ist ja mal eine Meldung.«

»Lass mich doch mal ausreden! Der Typ ist Eishockeyspieler. Bei den Jonestown … was weiß ich. Irgendwelche Tiere.«

»Ja, und?«

»Du lebst auch in Jonestown.«

»Na, dann ist ja alles prima. Wenn ich morgen das Haus verlasse, wird der süße Typ bei mir vor der Tür stehen. Mit einem Schimmel natürlich. Er wird mich auf sein Pferd ziehen und mit mir nach North Carolina reiten. Happy End.«

»Es ist immerhin möglich, dass ihr euch begegnet.«

»Wie heißt er denn?«

»Äh … gute Frage. Tony? Toby? Irgendwie so etwas.« Maureen zog ihren Laptop zu sich. »Ich schaue mal im Internet. Das muss ja rauszukriegen sein.«

Avery hob die Hand. »Ganz so verzweifelt, dass meine beste Freundin mir einen Typen googeln muss, bin ich auch nicht.«

»Warte, ich habe eine Nachricht bekommen.«

»Von Suzie?«

Maureen machte ein angewidertes Gesicht. »Die haben sich geküsst!«

»Siehst du? Wenn ich bei euch wäre, hätte ich sie retten können. Das passiert alles nur, weil ich jetzt hier in diesem Iglu festsitze.«

»Denk dran, wenn alle Stricke reißen, hast du immer noch Tony.«

»Das ist ein echter Trost.«

Kapitel 2

»Bitte nicht ins Gesicht fassen«, rief die Visagistin.

Tyler zog seine Hand zurück. Er hasste Fernsehinterviews.

Dieses hier war besonders schlimm. Zehn Kilo Make-up im Gesicht, zig Scheinwerfer und eine Reporterin, die so verdammt gut informiert war, dass sie Dinge über ihn wusste, von denen er selbst keine Ahnung hatte.

Corinne Miller war angeblich Sportreporterin. Sie interviewte Sportler, das schon. Aber nach zwei, drei Fragen über Sport kam sie jedes Mal auf Persönliches zu sprechen. Das Liebesleben ihrer Intervierpartner interessierte sie besonders, dicht gefolgt von Familiengeheimnissen und – der Renner auf Instagram – Geschichten über Haustiere, vorzugsweise Welpen oder Katzenbabys. Fohlen gingen auch.

»So, ich bin so weit«, verkündete der Kameramann.

»Bitte eine Sprechprobe«, bat der Mann, der für den Ton zuständig war.

»Ich habe Hunger auf einen Burger mit Pommes«, sagte Tyler.

Corinne kicherte und gab ihm einen Klaps auf die Schulter. »Unsere Zuschauer werden deinen Humor lieben«, rief sie und zeigte auf das große Sofa mit dem orangefarbenen Samtbezug. »Setz dich.«

Die meisten TV-Interviews fanden entweder in einem dafür eingerichteten Raum in der Eishalle oder im Fernsehstudio statt. Für dieses hier war jedoch ein Zimmer in einem Fünf-Sterne-Hotel in Jonestown gemietet worden.

Die Einrichtung war dunkel. Die Wände waren in einem kräftigen Lilaton gestrichen.

Die Scheinwerfer gingen an und tauchten den Raum in gleißendes Licht. Tyler blinzelte, als er auf dem Sofa Platz nahm. Er hatte heute Morgen zwei Schmerztabletten genommen und nach der Vormittagseinheit noch mal zwei. Trotzdem tat seine Schulter immer noch weh, wenn auch nicht mehr so unerträglich wie gestern direkt nach dem Bodycheck.

Peter kam zu ihm und sagte halblaut: »Denk dran, locker und fröhlich.«

»Ich bin total fröhlich«, knurrte Tyler.

»Nichts über Frauen. Jedenfalls nichts Konkretes. Du bist Single, ist das klar?«

»Ich weiß selbst, dass ich Single bin.«

Manchmal fragte Tyler sich, wozu er überhaupt einen Berater hatte.

»Betone das. Die Mädels lieben dich. Deine Rückennummer wird am zweithäufigsten verkauft.«

Tyler fuhr sich durch die Haare.

»Bitte nicht in die Haare fassen«, rief die Visagistin.

Dabei hatte sie an seiner Frisur gar nicht viel ausrichten können. Tyler hatte dunkelblonde mittellange Haare, die machten, was sie wollten. Meist standen sie ein bisschen struwwelig vom Kopf ab.

»Also, lächeln und Single sein.« Peter tätschelte Tylers Schulter – glücklicherweise die gesunde – und sagte zu Corinne: »Kann losgehen.«

Die Reporterin setzte sich strahlend auf einen Stuhl neben der Kamera und holte tief Luft. »Also«, hob sie bedeutungsschwer an. »Du bist jetzt seit etwa einem halben Jahr bei den Jonestown Wolves unter Vertrag – und das als jüngster Profi in der NHL. Erzähl mal, wie ist das so für dich?«

Tyler räusperte sich und antwortete: »Toll. Es ist toll, ehrlich. Bei den ersten Trainingseinheiten mit der Mannschaft konnte ich kaum glauben, dass ich mit Gordon Collister, Michael Harsen und Co. auf dem Eis stand. Mit der Zeit habe ich mich natürlich daran gewöhnt. Aber am Anfang war ich immer mal wieder in Schockstarre.« Er lachte gezwungen.

Tyler wusste, was die Reporterin und vor allem die Zuschauer von ihm hören wollten. Am liebsten hätte er eine andere Antwort gegeben. Aber die Wahrheit interessierte niemanden.

»Das verstehe ich. Mittlerweile seid ihr doch aber alle Freunde, oder?«

»Ja, klar. Ich bin sehr gut aufgenommen worden. Wir sind eine Mannschaft und halten zusammen. Sonst könnten wir auf dem Eis gar nicht bestehen.«

Fünfundzwanzig Männer, die alle nur ein Ziel hatten: der Beste zu sein. Tyler hatte keine Ahnung, wie irgendjemand da auf die Idee kommen könnte, sie würden sich gut verstehen.

In den Jugendmannschaften hatte es zwar auch mal Stress gegeben, aber der Druck und der Konkurrenzkampf, die bei den Profis herrschten, waren eine ganz andere Liga. Im wahrsten Sinne des Wortes.

»Sicher hat sich bei dir auch privat einiges verändert, oder?«

Peter, der neben dem Kameramann stand, winkte. Als Tyler ihn ansah, grinste er breit.

»Ja, eine ganze Menge. Immerhin bin ich von Oregon nach Minneso…«

»Das meine ich jetzt eigentlich nicht.« Corinne zwinkerte ihm zu.

»Ich habe natürlich auch wesentlich weniger Freizeit als früher. Auch wenn ich immer schon viel trainiert habe, ist es …«

Corinne hob die Hand. »Schätzchen, das interessiert doch keinen. Erzähl mal etwas über dein Liebesleben.«

»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich konzentriere mich im Moment ganz auf den Sport und …«

»Also bist du Single.«

»Ja.«

»Na also, dann hätten wir das Wichtigste schon mal geklärt. Wie müsste sie denn sein, die Frau deiner Träume? Oder bist du im Moment gar nicht auf der Suche nach etwas Festem?«

Tyler hatte Glück gehabt. Keines der Groupies, mit denen er sich getroffen hatte, hatte ihre Geschichte an eine Zeitung verkauft. Allerdings war er mit einer von ihnen beim Verlassen einer Party fotografiert worden. Der Verein hatte ihm deswegen Stress gemacht und er hatte eine Strafe zahlen müssen.

»Wie gesagt, mein Fokus liegt auf dem Sport. Wir befinden uns mitten in der Hauptrunde.«

»Mal rein hypothetisch – was müsste eine Frau haben, um dich doch vom Pfad der Tugend abzubringen?«

»Den Stanley Cup.«

Peter warf ihm einen strafenden Blick zu. Aber Tyler war doch nicht blöd. Wenn er öffentlich erklärte, auf der Suche nach einer Freundin zu sein, würden morgen zig Mädels sein Privathaus belagern. Früher hätte er sich darüber gefreut. Aber jetzt war es eben anders.

***

Avery schaute noch einmal auf den Stundenplan in ihrer Hand.

»Pädagogik, Raum B203«, murmelte sie.

Sie atmete einmal tief durch und stieß die Tür auf.

Letzte Nacht hatte sie kaum geschlafen und sich diesen Moment immer wieder vorgestellt. Ein Horrorszenario nach dem anderen hatte sie sich ausgemalt.

Nichts davon passierte. Also, es passierte einfach gar nichts.

Niemand sprach sie an. Niemand sah zu ihr hinüber. Niemand nahm sonst irgendwie von ihr Notiz.

Mit gesenktem Blick eilte Avery zu einem leeren Platz in der vorletzten Reihe.

Links von ihr saß ein Mädchen mit blonden Locken und einem rosafarbenen Pullover. Ihre Fingernägel hatte sie im exakt gleichen Rosaton lackiert.

Als Avery sich setzte, warf ihr das Mädchen einen Seitenblick zu und schaute wieder weg.

»Hi. Ich bin Avery.« Sie lächelte ihre neue Mitschülerin an.

Diese machte ein spöttisches Gesicht. »Kommst du aus den Südstaaten?«

Avery schluckte. Egal, wie viel Mühe sie sich gab, ihren Südstaatenakzent wurde sie einfach nicht ganz los.

»Ja, aus North Carolina. Ich bin neu hier.«

»Was du nicht sagst.« Ihre Sitznachbarin musterte Avery von oben bis unten.

Avery sah an sich hinunter. Sie hatte lange darüber nachgedacht, was sie heute tragen sollte, und hatte sich für eine dunkelblaue Jeans und ein weinrotes Sweatshirt entschieden. Dazu trug sie dicke Winterstiefel, die mit Fell gefüttert waren.

Ihre Sitznachbarin hatte hochhackige Stiefeletten an und eine zerrissene Jeans, durch deren Löcher ihre nackte Haut zu sehen war.

»Frierst du nicht?«, fragte Avery.

Ihre neue Mitschülerin verdrehte die Augen. »Nein, ich friere nicht.«

Avery wusste, dass sie es lassen sollte. Mit diesem Mädchen würde sie sich sicher nicht anfreunden. Doch von den anderen beachtete sie immer noch niemand. Sie konnte ja schlecht dem Jungen in der Reihe vor ihr auf die Schulter tippen und sich ihm vorstellen.

»Vielleicht muss ich mich erst noch an die Temperaturen hier gewöhnen«, sagte Avery daher und holte ihren Collegeblock und einen Stift aus ihrem Rucksack.

»Nicht nur an die Temperaturen.«

Ein großer, dunkelhaariger Junge betrat den Klassenraum und sah sich suchend um.

»Pat!«, rief ihre Sitznachbarin und strahlte ihn an.

Ach, du kannst ja doch lächeln, dachte Avery.

»Shirley!«

Pat winkte Shirley zu, stellte seine Tasche auf den Tisch vor einem leeren Stuhl und kam auf Avery zu. »Hi. Bist du neu?«

»Sie kommt aus den Südstaaten«, sagte Shirley, ehe Avery eine Chance hatte zu antworten.

»Patrick, freut mich.« Er streckte Avery die Hand hin.

Sie schüttelte seine Hand und lächelte. »Hi. Avery. Freut mich auch.«

Shirley stand auf und hakte sich bei ihm unter. »Na, auf welcher Liste von Santa warst du? Auf der mit den braven oder der mit den bösen Jungs?«

»Was denkst du denn? Auf der mit den guten natürlich. Komm mit, ich beweise es dir.« Patrick und Shirley gingen zu seiner Tasche. Er nahm ein nagelneues Smartphone heraus und zeigte es Shirley.

Avery schluckte und zwang sich zu einem unbeteiligten Gesichtsausdruck.

Na und? Dann war ihre erste neue Bekanntschaft hier an der Schule eben keine potentielle Freundin. Das hatte überhaupt nichts zu bedeuten.

Der Klassentraum füllte sich, bis kein einziger Platz mehr frei war. Um Avery herum herrschte wuseliges Durcheinander. Schüler begrüßten einander über die Köpfe der anderen hinweg, zeigten sich gegenseitig ihre Weihnachtsgeschenke und machten Witze über Lehrer.

Avery stellte ihren Rucksack wieder auf den Boden und sank in ihrem Stuhl zusammen.

Wie sollte es ihr nur gelingen, Anschluss zu finden, wenn niemand sonst allein herumsaß?

Nun mach schon, schalt sie sich selbst.

Was hatte sie schon zu verlieren? Die Gruppe Mädchen da vorne, die sahen doch eigentlich alle ganz nett aus. Sie musste einfach nur hingehen und sich vorstellen.

Avery zählte innerlich bis zehn, dann stand sie auf.

Wie ferngesteuert setzte sie einen Fuß vor den anderen, bis sie bei der Gruppe angekommen war. »Hi«, krächzte sie.

Keine Reaktion.

Avery räusperte sich und sagte es diesmal etwas lauter. »Hi.«

Die beiden Mädchen, die am dichtesten bei ihr standen, drehten sich um und schauten sie überrascht an.

»Ich bin Avery. Die Neue. Ich komme aus …«

»… den Südstaaten«, beendete das Mädchen links von ihr im gelben Plüschpulli Averys Satz.

Die anderen lachten.

Avery straffte die Schultern. »Ja, genau. Ich bin aus North Carolina. Wir sind hierhergezogen, weil mein Vater …« Sie sollte vielleicht nicht erzählen, dass ihr Vater Chefarzt im Krankenhaus war. Nicht dass die anderen sie für eine Angeberin hielten. »Mein Vater hat hier einen neuen Job gefunden. Er arbeitet im Krankenhaus.«

»Cool«, sagte das Mädchen rechts von ihr, machte mit ihrem Kaugummi eine Blase und ließ sie platzen.

»Liza, arbeitet deine Mom nicht auch im Krankenhaus?«

»Doch. Sie hat jetzt einen neuen Chef. Irgendeinen Spezialisten für Lungenwasweißichnichtwas. Nach seinem ersten Arbeitstag ist er beim Ausparken in einer Schneewehe gelandet«, berichtete Liza.

Avery stimmte in das Kichern mit ein, auch wenn ihr Vater stinksauer gewesen war, weil bei der Aktion die Stoßstange des neuen Wagens kaputtgegangen war.

»Bei uns an der Kreuzung sind auch ständig Unfälle. Ich weiß überhaupt nicht, wieso die Leute Auto fahren, wenn sie es nicht können.«

»Das musst du gerade sagen. Du hast deinen Führerschein doch nur, weil du so schöne große … ähem, Augen hast«, stichelte die im gelben Pulli.

Das angesprochene Mädchen warf ihr einen Handschuh an den Kopf.

Die mit dem gelben Pulli duckte sich weg und sah dann zu Avery. »Kommst du auch mit dem Auto zur Schule?«

»Meine Mom hat mich gefahren. Ich muss erst noch ein bisschen üben, im Schnee zu fahren. Aber bald komme ich …«

»Liza, wie war eigentlich dein Zahnarzttermin?«

»Hör mir bloß auf. Der hat die Spritze falsch gesetzt und ich konnte auf einmal nichts mehr sehen.«

»Was? Wie furchtbar.«

»Wisst ihr, was meinem Bruder passiert ist, als er die Weisheitszähne rausbekommen hat?«

»Dein Bruder ist Hypochonder.«

»Nein. Ja, doch, okay, ist er. Aber die Geschichte ist echt der Hammer.«

Avery steckte die Hände in die Hosentasche und unterdrückte ein Seufzen. Vielleicht musste sie sich einfach ein bisschen Zeit geben.

***

Tyler sah sich um. Das tat er mittlerweile immer, egal, wo er war. Auch wenn er sich dabei selbst ziemlich lächerlich vorkam. Er war ja nicht paranoid. Eigentlich jedenfalls.

Nach einem halben Jahr bei den Jonestown Wolves ging ihm der Rummel schwer auf den … äh, Geist. Jetzt war er froh, wenn mal nicht so viele Leute um ihn herum waren und ihn niemand um ein Selfie oder ein Autogramm bat.

Eigentlich mied Tyler Coffee Shops. Da waren meist junge Leute und das Risiko, dass ihn jemand erkannte, war besonders groß.

Er war nur hergekommen, weil Nate sein Mathebuch zu Hause vergessen hatte. Ihre Mutter musste arbeiten und da Tyler heute erst mittags in der Eishalle sein musste, hatte er seinem Bruder nach dem Interview das Buch vorbeigebracht.

Er hatte noch eine halbe Stunde Zeit und den Coffee Shop gegenüber von Nates High School entdeckt. Es schneite so heftig, dass Nates Mitschülern anscheinend der Weg hier herüber zu viel war.

Hinter einer halbhohen Wand weiter hinten sah er einen blonden Haarschopf hervorgucken, aber sonst war niemand da. Das Mädchen mit den blonden Haaren schien ihn nicht bemerkt zu haben. Oder sie hatte ihn nicht erkannt. Hauptsache, er hatte seine Ruhe.

Tyler nahm seinen Becher mit dampfendem Kaffee und setzte sich in einen Sessel in einer Ecke, von der aus er den Laden im Blick hatte, ohne dass er sonderlich auffiel.

Er zog seine Winterjacke aus, legte sie auf den freien zweiten Sessel an seinem Tisch und bemerkte, dass er vergessen hatte sich Zucker zu nehmen.

Tyler holte sein Handy aus der Jackentasche und steckte es ein. Er hatte die Nummern seiner Mitspieler da drin, das Handy durfte auf keinen Fall in die falschen Hände geraten. Dann drehte er sich um.

Das heißt, er versuchte es. Nach einer halben Drehung verlor er beinahe das Gleichgewicht, taumelte zwei Schritte zurück und hatte plötzlich ein Mädchen im Arm.

Dieses Mädchen stieß einen spitzen Schrei aus und ließ ihren Ordner fallen. Der ging auf und zig leere Blätter verteilten sich auf dem Boden.

»Oh, verdammte Scheiße«, fluchte sie.

Tyler musste lachen. Das war der breiteste Südstaatenakzent, den er je gehört hatte.

Das Mädchen stieß ihn vor die Brust und löste sich aus seinem Griff. »Das ist nicht witzig«, fuhr sie ihn an.

Er versuchte es ja, aber wie sollte er aufhören zu lachen, wenn sie ihn so anfunkelte und es ganz offensichtlich war, dass sie sich selbst für wahnsinnig einschüchternd hielt?

Sie war mehr als einen halben Kopf kleiner als er und hatte verdammt schöne Augen. Das konnte Tyler sehen, obwohl sie sie zusammenkniff, als wollte sie jeden Moment auf ihn losgehen.

Sie kniete sich auf den Boden und machte sich daran, die Blätter einzusammeln. »Lach nicht so blöd. Hilf mir lieber.«

Tyler bückte sich ebenfalls, klaubte ein paar Blätter zusammen und drückte sie ihr in die Hand. »Dir ist schon klar, dass du mich getackelt hast und nicht ich dich, oder?«

»Ge… was?«

»Egal.«

Sie war wohl kein Eishockeyfan. Vielleicht erklärte das die Tatsache, dass sie nicht sonderlich begeistert von ihm schien.

»Wieso hast du dich auch so plötzlich umgedreht?«, schimpfte sie.

»Ich wollte mir Zucker holen.«

»Aha.« Sie schnaubte und heftete die Blätter wieder in ihren Ordner.

»Und warum hast du es so eilig?«, fragte er.

Sie biss sich auf die Unterlippe und wich seinem Blick aus. »Ich bin auf der Flucht vor meinen neuen Mitschülern.«

»Klingt, als hättest du einen schwierigen Tag.«

Sie richtete sich auf und zog ihre Mütze aus. »Verdammt warm hier drin, oder?«

»Wenn wir jetzt Smalltalk über die Temperatur machen, ist das Gespräch über deinen Tag wohl beendet«, stichelte er.

Ihre Augen schimmerten und sie schüttelte wortlos den Kopf.

»Hey, tut mir leid.« Er streckte den Arm aus und berührte sie leicht am Oberarm. »Ich wollte nicht … darf ich dich auf einen Kaffee einladen?«

»Nein danke.«

Oooo-kay. Das war länger nicht mehr vorgekommen. Ehrlich gesagt konnte Tyler sich nicht einmal mehr an das letzte Mal erinnern, dass ein Mädchen ihm einen Korb gegeben hatte.

Das konnte allerdings auch daran liegen, dass er nur noch Mädchen kennenlernte, die Eishockeyfans waren. Er ging ja so gut wie nie privat weg und machte Home Schooling.

»Ich brauche einen Kakao. Mit ganz viel Sahne und Kakaopulver oben drauf.« Sie ließ die Schultern hängen und strich sich eine Strähne ihres dunklen Haars aus dem Gesicht.

»Alles klar. Ich bin übrigens Tyler.«

»Ich heiße Avery.«

»Freut mich, Avery.«

»Als ob.«

»Wie bitte?«

»Ach, nichts.«

Tyler machte einen Schritt auf sie zu, sodass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um zu ihm aufzusehen.

»Was hast du gesagt?«

»Ich habe nicht den Eindruck, dass es sonderlich viele Leute freut, meine Bekanntschaft zu machen.«

Er runzelte die Stirn. »Hat das etwas mit deinen neuen Mitschülern zu tun?«

Nate war sie bestimmt nicht begegnet, sie war mindestens zwei Jahre älter als sein Bruder.

»Ja. Müssen wir darüber reden?«

»Wenn du das nicht möchtest, müssen wir natürlich nicht. Setz dich.« Er nahm seine Jacke von dem zweiten Sessel. »Nur Kakao oder willst du auch etwas essen?«

»Nur Kakao. Danke.«

Tyler ging zurück zur Theke und bestellte einen Kakao für Avery.

Der Barista war ein pickliger Typ mit hängender Unterlippe und der Geschwindigkeit eines besonders faulen Faultiers, der ihn dankenswerterweise auch nicht erkannte. Kein Wunder. Eishockey war bestimmt viel zu schnell für ihn.

Ungefähr drei Stunden später war Averys Kakao fertig und Tyler nahm die Tasse mit zum Tisch.

Avery hatte inzwischen auch ihre Jacke und den Schal ausgezogen. Im Vorbeigehen musterte Tyler sie unauffällig.

Avery war hübsch. Sehr hübsch sogar. Auf eine andere Weise als die Eishockey-Groupies. Sie war viel natürlicher, nicht so aufgetakelt. Und sie trug Klamotten, die der Witterung angemessen waren. Letzte Woche hatte Tyler sich nach dem Training bei einem Gedanken ertappt, der ihn verdächtig an seine Großmutter erinnert hatte: Kriegen die keine Blasenentzündung mit so kurzen Röcken bei der Kälte?

Er stellte den Becher auf den Tisch und Avery schloss die Hände darum. »Vielen Dank. Tut mir leid, wir beide hatten einen schlechten Start.«

Tyler setzte sich ihr gegenüber und zuckte mit den Schultern. »Kein Problem.«

Er fand ihren Start ziemlich gut. Avery hatte keine Ahnung, wer er war, und das war eine verdammt nette Abwechslung.

Seit er bei den Wolves unter Vertrag war, wusste Tyler nie, warum jemand freundlich zu ihm war. Ob die Leute es ernst meinten, wenn sie nett waren, oder es daran lag, dass er Tyler Franklin war.

Er warf einen Blick über seine Schulter. Kein Mensch war auf der Straße. Blieb zu hoffen, dass niemand reinkam und ihn erkannte.

Tyler wollte ungestört mit Avery reden. Ohne dass jemand ihr Gespräch wegen eines Selfies unterbrach und vor allem, ohne dass jemand Avery verriet, wer er war.

»Ich bin neu hier. Ich komme eigentlich aus North Carolina«, erzählte sie.

Das hörte man. Tyler lächelte. »Und?«

Avery seufzte. »Meine neuen Mitschüler halten mich für eine Hinterwäldlerin. Jedenfalls die wenigen von ihnen, die mich überhaupt wahrnehmen.«

Er verzog das Gesicht. »Das Problem kenne ich.«

»Kommst du auch aus den Südstaaten?«

»Nein, ich meine … Ich bin bei uns in der Firma der Jüngste. Meine Kollegen nehmen mich auch nicht ganz für voll.«

»Wie alt bist du denn?«

»Achtzehn, und du?«

»Sechzehn. Dann machst du also keinen High School-Abschluss?«

»Darum geht’s doch jetzt gar nicht. Ich will hören, warum du so traurig bist.«

Sie sah ihn an und lächelte. »Ach, es geht eigentlich schon wieder.«

***

»Da ist ja unsere Neue.« Der Typ, den Avery vor der ersten Stunde kennengelernt hatte, betrat den Klassenraum und setzte sich an den freien Tisch neben ihr.

Eigentlich sollte sie sich darüber freuen. Schließlich wollte niemand sonst neben ihr sitzen. Aber irgendetwas stimmte nicht mit diesem Patrick. Sein Lächeln war breit, aber es erreichte nicht ganz seine Augen.

Anders als bei Tyler. Sein Blick war so … so … intensiv. Avery fiel kein geeignetes Wort ein, um es zu beschreiben. Jedenfalls war sie kaum in der Lage gewesen wegzusehen, wenn er sie so angeschaut hatte.

»Hast du dich schon eingelebt?«, fragte Patrick und nahm sein Mathebuch aus der Tasche.

»Na ja, es ist mein erster Tag«, erwiderte sie ausweichend.

Dem einzigen Menschen, der heute mehr als zwei Sätze mit ihr gewechselt hatte, war sie in der Freistunde im Coffee Shop gegenüber begegnet.

Tyler studierte Informatik am College, das direkt an die High School grenzte. Nebenbei arbeitete er in der IT-Abteilung einer Firma im Zentrum von Jonestown.

Ehrlich gesagt hätte Avery nie gedacht, dass es Computernerds mit solchen Muskeln gab.

Natürlich hatte sie Tyler nur angezogen gesehen. Um Himmels willen, sie hatten sich ja nur unterhalten. Aber unter seinem Pulli hatten sich äußerst definierte Arm- und Brustmuskeln abgezeichnet.

»Woran denkst du gerade? Du strahlst so.«

Avery zuckte zusammen und sah Patrick schuldbewusst an.

Sie sollte den einzigen Mitschüler, der sie beachtete, nicht vergraulen, indem sie ihn ignorierte. Aber wie sollte sie sich auf irgendetwas anderes als den süßesten Typen konzentrieren, dem sie je begegnet war?

»Ach, ich … habe an zu Hause gedacht.«

»North Carolina.« Seine Mundwinkel zuckten.

»Yeah«, erwiderte sie mit betontem Südstaatenakzent.

Wenn sie hier schon als Hillbilly galt, dann bitte.

Er grinste sie an. »Gefällt es dir hier?«

Nein, ich finde es schrecklich, dachte sie, aber das sagte sie sicherheitshalber nicht.

Na ja, ganz so schrecklich war es auch nicht mehr. Immerhin hatte sie Tyler kennengelernt und eine Verabredung mit ihm.