Schueni, der Knecht - Daniel Grob - E-Book

Schueni, der Knecht E-Book

Daniel Grob

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Beschreibung

Ein abgelegenes Dorf in den Schweizer Voralpen. Schueni ist ein Aussenseiter, nicht nur sein Körper ist krumm gewachsen, auch seine Gedanken gehen verschlungene Wege. Im Dorf wird er verspottet und schikaniert. Nur Bauer Langenegger nimmt ihn als Knecht bei sich auf. Mit ihm und dessen Geiss, die sich nicht zähmen lässt, versteht sich Schueni. Früher war da noch Sommers Lena, die Bauersfrau im Tanneck. Sie war die einzige, die ihn bei seinem richtigen Namen genannt hat: Johann. Bei ihr und ihren Enkeln fand er Nähe und Anerkennung. Doch Lena ist gestorben.Mit neuen Pächtern, die aus dem Unterland kommen, hält die Moderne Einzug in die Bergwelt. Auch sein Meister beginnt von neuen Zeiten zu sprechen, in denen für einen wie Schueni kein Platz mehr ist. Erstmals in seinem Leben muss Schueni auf eigenen Beinen stehen.In seinem alles andere als idyllischen Heimatroman zeichnet der Autor ein realistisches Bild des Bergbauerntums zwischen bröckelnder Tradition und ungewissem Aufbruch. Das Dorf wird zum Spiegel der Welt. Und darin leben Menschen, die ihren Werten treu bleiben und für sich zeitlos gültige Antworten auf die grossen Fragen des Lebens finden. So wie Johann, genannt Schueni.   Autorin und Verlag danken für die grosszügige Unterstützung:Raiffeisenbank Aare-Langete

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Inhalt

Cover

Impressum

Titel

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Über das Buch

Über den Autor

DANIEL GROB

SCHUENI, DER KNECHT

Der Autor und der Verlag danken für die Unterstützung:

Der Zytglogge Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021–2024 unterstützt.

© 2021 Zytglogge Verlag, Schwabe Verlagsgruppe AG, BaselAlle Rechte vorbehaltenLektorat: Angelia SchwallerKorrektorat: Jonas Gygax

Daniel Grob

SCHUENI,DER KNECHT

Roman

Nicht was einer erreicht im Leben, zählt, sondern was einer tut.

1

Das Dorf ist schon immer das Dorf gewesen. Dem Knecht hat man schon immer Schueni gesagt und die Ziege ist die Geiss.

Schueni schiebt seinen verrenkten Körper näher an die Mauer: Jetzt stehen sie am Grab. Wieder eine der Alten weniger. Die Jungen auf dem Friedhof kommen von auswärts, man sieht ihre Autos vor der Kirche. Auch ein Soldat steht dort. Schueni grinst schief: Das ist ein Enkel, die Geiss wird ihn kennen!

Aber ums Lachen ist ihm nicht: Nun ist also auch Sommers Lena nicht mehr. Eine Gute war das, wohl-wohl, die Bauersfrau auf dem Tanneck, hat immer Zeit gehabt für Schueni, einen Kaffee, einen Most, ein Vesperbrot. Und immer hat sie ihn bei seinem richtigen Namen genannt, «Johann», hat sie gesagt, «ein Gschaffiger bist», hat sie gesagt und ihm zurechtgeholfen. Aber die letzten Jahre ist sie im Pflegheim gewesen.

Schueni hat das Pflegheim nicht gesehen, er ist nie aus dem Dorf fortgewesen ausser bei der Aushebung vor dreissig Jahren, da ist er mit den andern ins Städtli gefahren auf dem Brügiwagen. Wieder verzerren sich seine Lippen: Wie sie getrunken haben und gesungen! Und der Schueni wird General!, haben die andern gegrölt. Schuenis Grinsen erstirbt. Er ist nicht General geworden. Der Oberst hat seinen verdrehten Körper mit verkniffenen Lippen gemustert, dann ist sein Gesicht feuerrot geworden: «Abtreten!», hat er gebrüllt. Wie er zurück ins Dorf gekommen ist, weiss Schueni nicht mehr. Bloss wie der Vater gewütet hat und dreingeschlagen, das weiss Schueni noch und dass das Lied noch über Jahre gesungen wurde: Und der Schueni wird General! Das rote Gesicht des Obersten und das Warten draussen auf die Kameraden, die in die Wirtschaft wollten.

Sommers Lena also! Über der Wegenalp hockt der Nebel, unbeweglicher grauer Herbstnebel, der alles feucht macht. Dann sind die Tannen schwarz und die Strasse zum Städtli verschwindet unterhalb des Friedhofs im bedrückenden Tunnel des Waldes. In der Fabrik haben sie die Lichter angezündet, aber das hohe Gebäude bleibt düster, die schmutziggelbe Verputzfarbe sieht verschmiert aus. Schueni schauderts: In die Fabrik wollten sie ihn auch schicken, als der Vater verunglückt war. Lag auf dem Kanapee, der Vater, und ächzte. Drei Tage nur hat es Schueni ausgehalten in den lärmigen Sälen, dann hat er sich verkrochen in den schwarzen Tannen, bis der Fabrikherr zum Vater ging, er hat ihn gesehen, wie er in das Tätschhüttli trat und nachher ins Pfarrhaus, und dort ist Schueni auch hingegangen, als es dämmerte.

Schueni liebt die raue Friedhofsmauer. Die Feuchtigkeit malt dunkle Streifen drauf. Er kann sich gut vorstellen, dass man dahinter Ruhe findet. Die Erde wird auch zu seinem verdrehten Körper gut sein, die Tanneck-Lena wird es gut haben und auch der Soldat, der dort am Grab steht, der Enkel, auch wenn er in der Stadt sterben wird. Die Erde ist überall gut. Schueni verzieht die Lippen: Die Geiss! Der Enkel hat sie vertrieben, wenn Sommers Lena ungeduldig wurde. Die Geiss gehörte seinem, Schuenis Meister, aber sie liess sich von keinem Zaun aufhalten. Sie liebte die Mostbirnen auf dem Tanneck, bei Sommers Scheune, und sie schaute nur spöttisch, wenn die Kinder johlend herankamen, der Mischa voraus. «Schmeiss, Mischa!», riefen die anderen, denn er war es wohl gewesen, der auf die Idee kam, Birnen in die Jauchegrube zu tauchen und auf das weisse Fell der Geiss zu werfen. Mischa war es immer, der die Ideen hatte, aber diesmal schämte er sich vor Schueni. «Das war nicht richtig, Johann», sagte er, «man soll ein Tier nicht quälen, es tut mir leid!» Auch Mischa sagte Johann zu Schueni und er hat sich entschuldigt bei ihm.

Der Meister schickte Schueni, um nach der Geiss zu schauen, und plötzlich standen sie sich gegenüber, Schueni und die Kinder. Erschrocken, Mischa wirkte erschrocken, und Schueni konnte nicht verhindern, dass sich seine Lippen verzogen, sein Körper zuckte noch von der Anstrengung des Steigens, die andern Kinder verdrückten sich, nur Mischa blieb und er entschuldigte sich. Dann erschien Sommers Lena, die Grossmutter der Kinder, klein, gebückt und mit schlohweissem Haar: «Eh schau, der Johann.» Sie hat ihn immer bei seinem Namen genannt, die Tanneck-Lena, und Kaffee hat er bekommen, in der Stube sogar, nicht etwa nur in der Küche, nein, in der niedrigen guten Stube, und die Kinder haben gezeichnet auf dem Schiefertisch, mit Kreide gezeichnet, und haben sich an ihn gewöhnt: «Schau bloss, Johann, ist das nicht schön?» Johann, haben sie gesagt! Und den Spruch vom General haben sie auch nicht gekannt.

Jetzt kommen die Tränen doch. «Macht nichts, Schueni», hat der Pfarrer gesagt, «weine du nur». Er wagte sich aus den dunklen Tannen, Schueni, zum Pfarrer, als es dämmerte und der Fabrikherr schon hinuntergegangen war zu dem hohen Gebäude mit den drei Reihen heller Fenster. «Er ist nicht schlecht, der Herr Wartmann, nur muss er eben auch schauen, dass das Geld kommt, nicht wahr, und da kann er nur flinke Hände gebrauchen», sagte der Pfarrer, «aber wir finden schon einen Meister für dich!»

Das Gesicht wird feucht in diesem Nebel, der jetzt schon das Tageslicht erstickt. Und trotzdem sieht man noch den weissen Fleck, die Geiss, die gemächlich herantrottet. Nur als Fleck nimmt man sie wahr, man sieht nicht, dass sich das struppige Fell hart über die Knochen spannt, ihr Schädel sich scharf abzeichnet unter der abgeschabten Haut. Hat der Soldat die Geiss gesehen, schaut er nicht hin? Sie beten jetzt dort am Grab. «Johann» hat Lena zu ihm gesagt, und Schuenis Gesicht ist nass. Sie hat ihm einen Kittel gegeben und gefragt, wie es dem Vater geht. «Er klagt», sagte Schueni und Sommers Lena nickte: «Ja, wenn die Mutter noch wär!»

Aber die Erde ist gut und auch der Vater klagt nicht mehr. Schritte nähern sich über den Kies und Schueni drückt sich an die Mauer. Aber der Soldat sieht ihn: «Johann!», ruft er leise und er drückt die gstabige Hand, fest drückt er sie und schaut Schueni so an, dass er etwas spürt, das ihm ganz ungewohnt ist. Im Tanneck hat er es auch gespürt, etwas wie Wärme, ein Gefühl, dass man da hingehört, und Schueni denkt, dass er das nun nie mehr spüren wird. Sommers Lena ist endgültig gegangen. Denn obwohl sie weg war, im Pflegheim war die letzten Jahre, war’s doch auf dem Tanneck, als gäbe es sie noch, hat man sie noch gespürt, auch wenn nur der Alte dort ist, auf dem Kanapee ächzt, der Tanneck-Bauer und Walter, der Älteste, der in frommen Heftchen liest.

Aber jetzt muss der Enkel, muss Mischa sich beeilen, die andern verschwinden schon in der Kirche. Schueni packt die Schaufel. Der Kies knirscht auch unter seinen Sohlen. Der Sarg ist aus hellem Holz. Den Grossvater, den Alten, haben sie gestützt, gebeugt ist er in der Kirche verschwunden, Gottlieb, hat die letzten Jahre in der Stube gelegen und geächzt, wie seiner, Schuenis Vater, und Walter hat den Hof besorgt, der älteste Sohn, schlecht und recht hat er ihn besorgt, Walter, über den sie auch gesungen haben an der Aushebung: Sommers Walti nimmt än Alti!, und er hat eben keine Frau. «’s hat’s keine ausgehalten beim Vater», sagt er, aber er ruft nicht Johann, wenn er beim Messmeramt einen Gehilfen braucht, er sagt Schueni, wie die andern.

Es liegen ordentlich Blumen auf dem Sarg und vier Kränze hat sie erhalten, Sommers Lena. Die Geiss meckert. Aus der Nähe sieht man, wie die Knochen das Fell spannen. «Se-se», sagt Schueni, «willst still sein jetzt!» Lena konnte bloss den Kopf schütteln: «So ein Starrkopf! Jagt sie bloss weg, Kinder, dass sie mir nicht in den Garten kommt.» Aber dem Johann hat sie Kaffee eingeschenkt und er durfte im Garten die Alpenblumen berühren. «Du hast gute Hände, Johann», hat sie gesagt und er hat seine knorrigen Hände erstaunt betrachtet. «Blumen – dummes Zeug», hat der Tanneck-Bauer drinnen auf dem Kanapee gebrummt, «würdest auch besser zum Gemüse schauen». Und Mischa ist bei Schueni geblieben und fragte, ob er ihm nicht helfen könne mit der Geiss, damit man ihr nicht weh tun müsse. Und Schueni zeigte ihm, wie man sie vertreiben kann. «Manchmal, wenn man es richtig macht, dann versteht sie, was man will», sagte er, «sie kann fast wie ein Mensch denken». Und Mischa lachte nicht.

Drinnen spielen sie Orgel, singen. Schueni schaufelt. Die Erde ist gut. Er muss fertig sein, wenn sie herauskommen. Der frühere Pfarrer wollte ihn nicht dabeihaben, wenn die Angehörigen am Grab stehen. Es gehört sich nicht, sagte er und musterte den schiefen Körper so wie damals der Oberst. Und der neue Pfarrer ist noch nicht lange da. Aber als Totengräber brauchten sie ihn doch, das hat der Meister durchgesetzt. Der Meister meinte es nicht schlecht mit Schueni. «So Johann», sagte er am ersten Tag, «du und ich, wir werden es schon zusammen aushalten». Und Schueni hat sich gefreut. Aber auch der Meister sagte nachher Schueni zu ihm.

Die Erde ist gut, schwere Erde, sie riecht nach Nebel jetzt, nach sterbendem Laub, feucht riecht sie, aber man denkt auch an den Kachelofen in der Stube, an das Licht, wenn man als Kind nach Hause kommt. Alles ist in der Erde, die guten Erinnerungen, die Geborgenheit. Schueni schichtet den Hügel, ordnet die Gebinde, die Kränze, und jetzt läuten schon die Glocken, der Meister läutet heute. «Wir müssen uns zusammentun», hat er gesagt, «wir sind nur noch wenige». Die Geiss mahlt spöttisch, ihr Bärtchen hüpft. Kommt Mischa? Der Soldat ist ernst: «Ist das nicht die Geiss, Johann, immer noch die gleiche Geiss, weisst du noch?»

Schueni stellt die Schaufel an den Zaun. Er sieht schon den schwarzen Flattermantel des Pfarrers und die Geiss steht hier am Zaun und geifert mit gelben Zähnen nach den Blumengebinden. «Se-se!», Schueni stolpert, zwingt seine schiefen Glieder über den Zaun und packt den fettigen Strick. Wie angewachsen steht das Tier da. Schueni lockt leise, «se-se, bist eine Gute, wohl-wohl», flüstert er, droht, stemmt und pufft. Die Geiss hebt ihr Totenkopfgesicht und meckert. Der Pfarrer macht ein verbissenes Gesicht, die Angehörigen brummeln. Nebel kriecht aus den schwarzen Tannen, der weisse Fleck bleibt starr, spöttisch erhoben das Bärtchen. «Mischa», fleht Schueni leise und der Soldat bückt sich, in alter Erinnerung, macht eine schlenkernde Bewegung gegen den weissen Fleck, der sich plötzlich umwendet, den schiefen Körper wegstösst und davontrabt.

2

Man fährt aus den dunklen Tannen unvermittelt ins Helle: Gleich am Waldrand steht in der Senke die Fabrik, gelb verschmierte, fleckige Mauern, von Holzschöpfen umgeben, zwei schmucklose Kosthäuser daneben, in denen heute die ausländischen Arbeiter wohnen, nicht mehr die Fabriklerinnen, die Mädchen aus dem Dorf. Die gehen jetzt gebückt den Hecken nach, sammeln Beeren und die Früchte der Heckenrose, die Hagebutten. Ihre Haare sind weiss geworden in den Fabriksälen und sie sind oft bei Sommers Lena zu Gast gewesen, haben ihr Beeren gebracht und einen Tee getrunken, einen Kaffee.

Eine letzte Steigung nach der Fabrik: Die Kirche bewacht die Talmulde, die graue Mauer des Friedhofes als Festung, und man taucht auf neben der Kirche in der Häuserreihe des Dorfes. Heute glühen die Wälder auf dem Hügelkranz in der Sonne, in den Holzschindeln des Rössli hockt die Wärme, duftet über den Platz, auf den das kleine gelbe Postauto ausrollt, wo die Teerstrasse zerfällt in steile Kieswege, die in die Wiesen eingesunken sind, Hohlwege, von Gelb und Rot überglüht.

Die Geiss hat auf das Postauto gewartet, das weisse Fell wirkt schmutzig jetzt in der Sonne, unverändert grinst ihr Schädel, kauen die Kiefer im Garten des Rössli. Sie achtet nicht auf die schiefe Gestalt, die heranhastet, am fettigen Strick zerrt, reisst. Unverwandt spöttisch schaut sie auf das gelbe Auto, aus dem ein Junger steigt, einer in Jeans und gestricktem Pullover, mit einem Rucksack. Die schiefen Lippen Schuenis verzerren sich: «Mischa!», flüstert er. Der Soldat! Aber heute ist er nicht Soldat, Schueni weiss Bescheid, sie haben es ihm vorgesagt: Rekrutenschule siebzehn Wochen, Wiederholungskurse achtmal drei Wochen, Ergänzungskurse – General Schueni weiss Bescheid. Wie alt ist Mischa? Schueni wiegt den Kopf, das Rechnen behagt ihm nicht, er mustert den Jungen: Vielleicht vierundzwanzig? Er, Schueni, ist jetzt vierundfünfzig, wie viel älter ist das? Und wann hat er Mischa zum ersten Mal gesehen? Er war vierzig damals, das weiss er. Der Meister hat einen Kuchen aufgestellt und Schueni hat einige Kuchenstücke ins Tanneck hinauf mitgenommen. «Johann bringt Kuchen!», haben die Kinder geschrien, und Sommers Lena ist hinaus auf’s Brüggli gekommen, so sagt man hier dem Windfang vor der Haustüre, ist auf’s Brüggli gekommen und hat die Hände zusammengeschlagen: «Eh schau, der Johann bringt Kuchen!»

Die Geiss fährt plötzlich herum, meckert und stösst die schiefe Gestalt, stösst Schueni in die Selleriestauden und satzt davon. Hat Mischa es mitbekommen? Er steht auf dem Plätzli beim Brunnen und schaut gegen das Tanneck hinauf, lässt kühles Wasser über die Hand plätschern. «Mischa?» Hat er geträumt? Er dreht sich um, der Enkel: «Eh schau, der Johann! Wohl-wohl, du kennst mich noch, das ist gut!» Schueni stolpert aus dem Garten, der Enkel drückt ihm die Hand, fest und sicher drückt er die Hand. «Kommst mit zum Friedhof, Johann?» Zusammen gehen sie das Strässchen hinunter der Kirche zu.

«So ist die Luft hier im Herbst», sagt Mischa, «gläsern und scheinbar ohne Bewegung. Nur die Pappel, die Geschichtenerzählerin, wird wohl wispern, droben auf dem Tanneck, was meinst? Kommst nachher noch mit ins Tanneck hinauf, kommst mit?» Und Schueni freut sich und geht mit Mischa die kleine Strasse hinunter, vor dem Pfarrhaus vorbei.

«Weine du nur, Johann», sagte der Pfarrer. Er war ein Guter, auch wenn er ihn nicht am Grab stehen liess mit den Angehörigen, aber er kümmerte sich um Schueni, als der Fabrikherr gesagt hat, dass es nicht geht mit ihm in den lärmigen Sälen. Er hat den Meister für ihn gefunden und Schueni hat’s dann nicht schlecht gehabt.

«So klar wie Kristalle», sagt Mischa, «schmeichelnd, laubglänzend und feuchtglitzernd. Worte muss man erfinden für den Herbst hier im Dorf». Schueni staunt. So hat er auch schon gedacht, nur die Worte findet er nicht. Aber der Enkel hat recht, Worte erfindet auch Schueni dafür, die keiner kennt, Worte für die Tage, wenn man unter den Kirschbäumen das Laub aus den Trittlöchern der Weide strählte mit dem holzzinkigen Rechen. Zu grossen Haufen zog man es zusammen und band es in grobe Tücher, schleppte sie zur kleinen Weidscheune und dort balancierend die Leiter hinauf. Schueni war oft und oft dabei. Lachte nicht der Grossvater, der Alte, wenn die Kinder aus der Stadt Angst hatten auf der Leiter? Links und rechts der Abgrund der Tenne, tief für einen zehnjährigen Jungen, das Laubtuch hängt fest, man wankt zur Seite, schwindlig wird man da, lässt das Tuch zu früh los, und erst beim dritten oder vierten Aufstieg kommt man bis ganz nach oben, auf die Bretterbühne droben, und wirft es endlich auf den Haufen.

Im Herbst hat der Himmel ein wehmütiges Blau, das Seufzen der Grossmutter ist darin, Sommers Lena: «Eh ja, bald kommt der Schnee!», aber auch die Freude über den sprudelnden Apfelsaft im schwarzen Loch unten an der Presse, Most, sagt man dem Saft im Dorf. Äpfel auspressen und die kleinen Birnen, die man der Geiss nachgeworfen hat, in Jauche getüncht. Walter zeigt, wie man die Kurbel dreht an der Mühle, welche die Äpfel zerreisst und die Birnen. Dann lässt er sie machen, die Kinder, mit Schueni zusammen lässt er sie machen, schaut nur ab und zu vorbei und hilft ihnen zurecht, Walter, der selbst nicht zurechtkommt mit dem Leben, der bleibt, ohne bleiben zu wollen, und die Kinder verstehen seine Seufzer nicht, abends, beim Grasen am steilen Bord: «Eh ja, ja, wohl-wohl!»

Der Grabhügel dampft: Die Erde ist gut! Schueni bleibt an der Ecke beim Holunderbusch stehen. Wie Mischa über den Friedhof geht, so geht sonst er, Schueni, sagen die Leute: Unsicher, tapsig wie ein Traumwandler, Schueni ist ein Nachtwandler, General Schueni, so hat es geheissen. Der Meister hat das Gerede abgestellt: «Unsinn, der Schueni ist ein anstelliger Bursch!» Anstellig, Schueni mustert seine knorrigen Hände. Wohl wahr, für alles kann man ihn anstellen. Auch diesen Holunder hier wird er pflücken, überreif sind die Beeren schon, niemand kann sie gebrauchen. Er hat sie immer der Tanneck-Lena gebracht, dann hat sie gelacht und zu den Kindern gesagt: «Schaut, der Johann will Holderzsune!» So nennen sie im Dorf den heissen Brei aus Holunderbeeren. Jetzt wird er sie dem Walter bringen, der macht die Holderzsune fast so gut wie Lena. Er besorgt jetzt die Hausarbeit. «Siehst du, Schueni», sagt der Meister, «so kommt’s. Wir sind halt immer weniger!»