Strategische Unternehmensführung - Thorsten Krings - E-Book

Strategische Unternehmensführung E-Book

Thorsten Krings

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Beschreibung

Strategisches Vorgehen ist essenziell für eine erfolgreiche Unternehmensführung. Dieses Lehrbuch zeigt - ausgehend vom St. Galler-Modell - die verschiedenen Ebenen der strategischen Unternehmensführung und -planung auf und stellt die jeweiligen Analyse- und Planungsinstrumente anhand vieler Beispiele, Fallstudien und Transferaufgaben aus der Praxis verständlich dar. Durch seine prägnante, aber inhaltlich präzise Darstellung ist das Buch nicht nur für Fach- und Führungskräfte interessant, sondern auch für Studierende und Dozenten geeignet.

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[2]BWL und VWL für die Praxisherausgegeben von Thorsten Krings

Thorsten Krings

[3]Strategische Unternehmensführung

Von der Analyse zur Implementierung

2., aktualisierte Auflage

Verlag W. Kohlhammer

[4]Kontaktdaten

Prof. Dr. Thorsten KringsRavensburgstr. 3069168 Wiesloch

E-Mail: [email protected]

Illustrationen von Frederick Nieland

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

2., aktualisierte Auflage 2024 Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-044469-0

E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-044470-6

epub: ISBN 978-3-17-044471-3

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

[5]Inhaltsverzeichnis

1

Einleitung

2

Ebenen der Unternehmensführung

2.1

Muss man alles tun, was man tun kann?

2.2

Reicht es aus, sich an Gesetze zu halten?

2.3

Mission und Vision

3

Von der Vision zur Strategie

3.1

Die Umfeldanalyse

3.2

Wettbewerberanalyse

3.3

Benchmarking

3.4

Branchenstrukturanalyse

3.5

Szenariotechnik

3.6

Kundenengagement

3.7

Zielgruppenanalyse

3.8

Die SWOT-Analyse

4

Innensicht

4.1

Bewertung des Humankapitals

4.1.1

Mitarbeiterengagement

4.1.2

Mitarbeiterportfolio

4.2

Output

4.2.1

Produktportfolio

4.2.2

Substitutionsanalyse

4.3

Dienstleistungen: Klassifizierung und Qualitätsmessung

4.4

Kernkompetenzanalyse

4.5

Kulturanalyse

4.6

Kostenstrukturanalyse

5

Strategische Planung

5.1

SWOT-Normstrategien

5.2

Marktfeldanalyse nach Ansoff

5.3

Wettbewerbsstrategien nach Porter

5.4

Marktpositionierung

5.5

Balanced Scorecard

6

Innovative Organisationsformen

6.1

Organisationsformen

6.2

Agile Organisationsformen

7

Businessplan

Literatur

[7]1Einleitung

Wie häufig sieht man, dass Gastronomiebetriebe nach ein, zwei oder drei Monaten schließen? Manchmal sind dies sogar Betriebe mit guter Qualität und innovativen Konzepten und man wundert sich, warum der Besitzer so schnell das Handtuch wirft. Die harte Realität ist, dass viele Menschen gute Ideen und Konzepte haben. Aber das allein reicht nicht aus, denn Kreativität kann die systematische Planung nun einmal nicht ersetzen.

Man muss den Markt für das jeweilige Konzept finden, der Service muss zu Produkt und Dienstleitung passen, Konzepte müssen an die sich ändernden äußeren Umstände angepasst werden, saturierte Märkte müssen mit neuen Produkten bearbeitet werden oder man muss neue Märkte erschließen und schließlich muss man wissen, wie man den Kunden erreicht. Man muss Szenarien entwickeln, um abschätzen zu können, welche Umsatzerlöse man erreichen kann, aber vor allem auch, um zu wissen, welcher Kapitalbedarf dahintersteckt. Wenn man nun wieder das Beispiel aus der Gastronomie aufgreift, dann unterschätzen viele Neuunternehmer einfach wie lange es dauert, die Gewinnschwelle bzw. den Break-Even(-Point) zu erreichen. Gerade in der Gastronomie tummeln sich viele Quereinsteiger, deren mangelnde Kenntnis von Branche und Kunden oft zum Problem wird.

Aber auch bei großen Unternehmen sieht man häufig durch mangelhafte oder fehlende Planung verursachte Fehlschläge, die existenzbedrohend werden können. Als Beispiel kann hier die Insolvenz der Praktiker Bau- und Heimwerkermärkte AG gelten. Eine Kette von falschen Entscheidungen in der Unternehmensführung führte nicht nur dazu, dass die schon immer problematische Marke Praktiker in die Insolvenz ging, sondern dass auch die zugekaufte, aber wirtschaftlich kerngesunde Baumarktkette Max Bahr hineingezogen wurde. Dass 20-Prozent-Rabattaktionen an 100 Einkaufstagen nicht funktionieren können, wenn die durchschnittliche Marge bei etwa 23 % liegt, ist ja eigentlich offensichtlich. Trotzdem wurde bei jeder Umsatzschwankung nach unten mit genau dieser Aktion reagiert. Auf die Frage bei einer Betriebsversammlung, wie die Erträge zu erwirtschaften seien, antwortete der damalige Vorstandsvorsitzende Wolfgang Werner, dass der Vertrieb nur für die Umsätze zuständig sei, die Ertragsverantwortung beim Einkauf liege. Ein systematischer Prozess der Unternehmensführung fand vor allem in den letzten Jahren nicht statt, sondern es wurde nur noch reflexartig agiert. Dabei wäre gerade dieses Unternehmen trotz aller Probleme, die sich bei einem nicht organisch gewachsenen Unternehmen ergeben, zu retten gewesen. Man hätte einen [8]Teil der Erlöse aus dem Börsengang sinnvoll in eine Desinvestitionsstrategie für dauerhaft nicht profitable Märkte verwenden können: Max Bahr und die großflächigen und modernen Praktiker-Märkte zu einer Premiummarke zusammenzuführen, um mit einem Kleinflächenkonzept als lokaler Nahversorger in Innenstadtlagen starten zu können. Stattdessen kaufte man ein Unternehmen, zu dem es kaum Synergieeffekte gab und setzte auf Rabattaktionen. Im konkreten Fall hat dies sicherlich auch viel mit einer Unternehmenskultur zu tun, die auf Gehorsam statt auf Diskurs setzte. Daraus resultierend auch mit erhebliche Defizite bei den Führungsqualitäten. All dies hatte letztlich die Konsequenz, dass nichts sauber geplant und konsequent zu Ende gedacht wurde.

Ein anderes Beispiel für Aktionismus statt Planung war die Galeria Kaufhof GmbH. Ohne Zweifel erlebt das Format Warenhaus als Ganzes eine Krise, weil Märkte und Kundenbedürfnisse sich verändern. Dies kann man nicht nur in Deutschland, sondern auch in Großbritannien anhand der andauernden Krise von Marks & Spencer und der Insolvenz von BHS beobachten. Dem entgegen stehen jedoch Galeries Lafayette in Frankreich, Corte Ingles in Spanien oder Grupo Coin in Italien, die durch Marken- und Sortimentsschärfung das Format sehr erfolgreich erneuert haben. Galeria Kaufhof hatte viel zu lang versucht, alles für jeden zu sein und damit eine klare Marktpositionierung verloren. Der damalige Eigentümer Hudson Bay Company beschloss, in Deutschland mit einem Highend-Outletkonzept in den Markt einzutreten. Diese Entscheidung war aus mehreren Gründen katastrophal: Zum einen war diese Marktnische in Deutschland bereits durch TKMaxx besetzt und zum anderen trug dies nichts zur Lösung der Probleme im Kerngeschäft bei, sondern zog sogar noch notwendiges Kapital aus diesem Bereich ab.

1983 beschlossen Nissan und Alfa Romeo ein Joint Venture. Diese Idee erscheint zunächst durchaus sinnvoll, denn beide Unternehmen haben Stärken, die sich gut ergänzen könnten. Doch die Arbeitsteilung sah vor, dass nicht etwa Alfa Romeo für das Design und Nissan für die Technik zuständig war, sondern man verteilte die Aufgaben genau umgekehrt. Schon der Name des Alfa Romeo Arna (zusammengezogen aus Alfa Romeo und Nissan Automobili) ließ vermuten, dass man es hier nicht mit einem epochalen Produkt zu tun hat. Vielmehr vereinte dieses Fahrzeug technische Unzuverlässigkeit mit langweiligem Design. Man fragt sich, wie wohl der Planungsprozess ausgesehen haben mag, der zu solchen Ergebnissen kommt.

Jedem Leser fallen sicherlich noch zahlreiche Beispiele ein, mit denen man diese Liste fortsetzen könnte. Schauen wir uns auf der anderen Seite jedoch erfolgreiche Unternehmen an. Es ist in der Regel nicht so, dass das von Jim Collins karikierte »Genie mit 1000 Helfern« (Collins 2001, S. 45 f.) einsam eine Vision umsetzt. Vielmehr zeigt sich, dass dauerhaft erfolgreiche Unternehmen immer vernünftige Planungsprozesse zu Grunde legen, ihr Handeln stets an sich ändernde Umweltbedingungen anpassen und überschaubare Risiken eingehen. Als ein Beispiel kann hier Apple dienen. Als Steve Jobs nach Pixar zu Apple zurückkehrte, war das erste Produkt, das Apple aus einem reinen Nischenmarkt herausführte, der iPod. Das Risiko war sehr gering, denn der iPod basiert letztlich auf der MP3-Technologie und die Hardware stammt im Prinzip von Toshiba. Dann verknüpfte Apple den [9]iPod mit iTunes und öffnete dies dann schließlich für die PC Welt. (o. V. 2019 (1), online) Planung und kontrollierte Risikobereitschaft führten zum Erfolg. Wie schmal der Grat zwischen Erfolg und Misserfolg ist, zeigt das Beispiel von General Electric. Jack Welch übernahm 1981 den in Schieflage geratenen Konzern General Electric und baute ihn mit klarer Strategie zum größten Mischkonzern der Welt um. Er steigerte den Umsatz von 27 Milliarden Dollar auf 130 Milliarden Dollar bei einer Verringerung der Belegschaft um 100.000 Mitarbeiter. Jedes Geschäftsfeld wurde rigorosen Analysen unterzogen, um dann nach der Maxime »fix, close or sell« behandelt zu werden. Heute ist General Electric wieder eher ein Problemfall. Man kann sicherlich kritisieren, dass Welch (wie auch Steve Jobs) das Unternehmen stark auf seine Person ausgerichtet und es versäumt hat, nachhaltige Strukturen zu schaffen. Dennoch scheint er in der Unternehmensführung bestimmte Dinge richtig gemacht zu haben. (Maccoby 2002, online)

Es geht also bei der Frage nach Erfolg oder Misserfolg sicher auch um Inspiration, Visionen und Ideen, aber vor allem eben auch um die Disziplin in der Unternehmensführung. Hierzu gehören in ganz erheblichem Maße Analysetools, denn »richtig« oder »falsch« ist immer vom zeitlichen und räumlichen Kontext abhängig. Daher veraltet nichts schneller als »Management-Bibeln«, die kochrezeptartig den Weg zum Erfolg aufzeigen wollen. Analysetools hingegen sind immer einsetzbar und generieren kontextabhängige Antworten.

Nun mag man einwenden, dass Glück oder Unglück eine Rolle spielen und man manchmal eben einfach nichts für das Scheitern kann. Jim Collins ist in seinem Buch »How the Mighty Fall« genau dieser Frage nachgegangen. Er hat vergleichbare Firmen untersucht, die im gleichen Kontext sehr erfolgreich waren bzw. gescheitert sind. Er hat herausgearbeitet, dass Glück und Pech im Wesentlichen jeweils gleich verteilt waren, sich die Firmen dadurch unterschieden haben, wie sie jeweils damit umgegangen sind. (Collins 2009, S. 44) Ebenso verhält es sich mit Wettbewerb. Firmen schieben ihr Scheitern z. B. auf Wettbewerb aus dem Internet. Besonders der Buchhandel beschwert sich über die aus seiner Sicht »unfaire« Konkurrenz durch den Branchengiganten Amazon. Tatsächlich hat z. B. die traditionsreiche Universitätsstadt Heidelberg heute keine unabhängige Universitätsbuchhandlung im stationären Handel mehr. Gleichzeitig findet sich mit »Wortreich« in Heidelberg eine extrem erfolgreiche und preisgekrönte Buchhandlung, die der Konkurrenz aus dem Internet ein neues Konzept entgegengesetzt hat, das nicht das Buch, sondern Buchkauf als Erlebnis vermarktet. Es geht nie um die Frage, ob es Konkurrenz gibt, sondern nur darum, wie man damit umgeht.

Ein Unternehmen, egal welcher Größe, kann also nur dann erfolgreich sein, wenn es einen systematischen Prozess zur Unternehmensführung und vor allem einen für die kontinuierliche Weiterentwicklung der eigenen Strategie hat.

Wir sehen natürlich auch, dass Firmen immer wieder von Veränderungen überrollt werden und letztlich mit ihrer eigenen Evolution überfordert sind. Gründe hierfür kann eine trügerische Sicherheit sein, weil man im Augenblick sehr erfolgreich ist (z. B. MediaMarkt) oder glaubt, man wäre »too big too fail« (»zu groß, um zu scheitern«) oder es ist schlicht und ergreifend die irrige Überzeugung von der [10]eigenen Unfehlbarkeit (Praktiker) oder einfach nur das Versäumnis, in angemessenen Rhythmen zu planen bzw. Standortbestimmungen vorzunehmen. Doch die Welt ist schneller geworden. Wer glaubt, mit einem »Weiter so« auf Dauer erfolgreich zu sein, der wird ein böses Erwachen erleben.

Die Dynamik des Strategieansatzes hat sich dramatisch verändert. Die Nachkriegszeit war von einem starken Optimismus geprägt, in der es um die Antizipation des Wachstums ging. Man plante in langfristigen Perioden von bis zu 10 Jahren und ging aufgrund des vergleichsweise langsamen Innovationstempos und einer scheinbar gesetzten Weltordnung bzw. klarer Wahrheiten davon aus, dass Trends sich fortschreiben lassen. Auf die Entbehrungen der Kriegsjahre folgte nun das Wirtschaftswunder. Man wollte es wieder besser haben und auch der nachfolgenden Generation sollte es einmal bessergehen. So waren dann auch Werte wie Leistung, materieller Erfolg und Karriere wichtig und in einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung wurden ethische Aspekte wirtschaftlichen oft untergeordnet.

Die 1970 und 1980er brachten deutliche Veränderungen. Immer mehr wurde an Unternehmen auch die Anforderung gestellt, ethisch zu handeln und gleichzeitig formierte sich auch eine wirtschaftsliberale Front gegen diesen Anspruch. Mit der Ford Pinto-Affäre zeigte der Kapitalismus auch der Mittelschicht seine hässliche Fratze: Der Ford Pinto war ein kleines Modell, das vor allem für junge Leute und Fahranfänger konzipiert war. Das Fahrzeug war jedoch so konstruiert, dass der bei einem Auffahrunfall der Tank reißen, Benzin auf die heiße Achse tropfen konnte und so das Fahrzeug Feuer fangen konnte. Es wird kolportiert, dass Ford eine Rechnung aufgestellt hätte, ob es kostengünstiger sei, Entschädigungen an eine bestimmte Zahl von Opfern zu zahlen oder aber das Fahrzeug nachzurüsten. (Rau 1978, online; Sherefkin 2003, online) Zwar leugnet der ehemalige Ford Manager Lee Iacocca dies in seiner Autobiographie (Iacocca 1984, S. 171 f.), doch ist das letztlich gar nicht relevant, denn es ist ein Indiz dafür, dass die Sichtweise der Kunden auf das Unternehmen – sicherlich auch bedingt durch die gesellschaftlichen Umwälzungen ab 1968 – eine deutlich kritischere war. Dieser Wertewandel hatte auch zur Folge, dass der Kapitalismus in seinen Auswirkungen auf das Individuum kritisch hinterfragt wurde und als Konsequenz der Sozialstaat weiter ausgebaut wurde, was eine Steigerung der Last von Steuern und Abgaben für Unternehmen und Arbeitnehmer zur Folge hatte. Arbeit wurde zunehmend zum Kostenfaktor, der Grad der Zentralisierung stieg an und Wettbewerbsvorteile wurden zwar einerseits durch externe Chancen erreicht, aber eben auch durch Kostenmanagement. Die Ölkrisen von 1973 und 1979/80 führten in den führenden Industrienationen zu Rezessionen, der Optimismus der Nachkriegsjahre bekam einen empfindlichen Dämpfer. Somit wurde nach einer langen Wachstumsphase klar, dass es eben nicht nur um eine Antizipation des Wachstums geht, sondern dass dies auch gebremst werden kann. Folglich verkürzten die Planungsphasen sich deutlich.

In den späten 1980er und 1990er Jahren waren weltweit wirtschaftsliberale Ansätze auf dem Vormarsch. Man glaubte an den »Trickle down«-(Einsickerungs-)Effekt, d. h. dass Wohlstand sich zwangsläufig von oben nach unten fortsetzt. Man könnte das verkürzte Zitat von Richard E. Wilson »Was gut ist für General Motors, [11]ist auch gut für das Land.1« (o. V. 1961, online) als Motto dieser Zeit verwenden. Waren die 1980er Jahre noch stärker von einem Trend zur Diversifikation geprägt, verschob sich der Fokus in den 1990er Jahren deutlich in Richtung interne Kompetenzen. Tom Peters empfahl im Bestseller »In Search of Excellence« den Organisationen. sich möglichst dezentral aufzustellen, um einerseits kundenorientiert handeln zu können, andererseits aber ggf. auch Unternehmensteile einfach herauslösen zu können, ohne dadurch die Leistungsfähigkeit der gesamten Organisation zu gefährden. (Peters, Waterman 1995, S. 200 ff.) Unternehmen besannen sich nun auf ihre Kernkompetenzen, um flexibel zu sein und durch Fokussierung auf Stärken dauerhafte Wettbewerbsvorteile zu erreichen. So trennte sich z. B. der heutige Pharmakonzern Merz in den 1980er Jahren von seiner Sexshopkette Dr. Müller, da sich deutlich mehr Synergien mit dem bereits bekannten Anbieter Beate Uhse fanden.

Planungsrhythmen verkürzten sich nun in den 1980er Jahren auf drei Jahre. Der Fall des eisernen Vorhangs spielte zu diesem Zeitpunkt noch eine eher untergeordnete Rolle, da in vielen Transformationsländern weder die Kaufkraft vorhanden war, um als Märkte attraktiv zu sein, noch die Rechtssicherheit gegeben war, die Firmen für ein erfolgreiches Agieren am Markt benötigen. In Deutschland gab es einen Sondereffekt durch den Fall der Mauer, der viele Firmen dazu zwang, sehr kurzfristig auf die sich bietenden Chancen zu reagieren.

Der volle Effekt des Zerfalls des Ostblocks und vor allem auch der Öffnung Chinas waren dann in den 2000er Jahren spürbar. Einerseits eröffneten sich nun neue Märkte, die es Firmen ermöglichten, jenseits der oft saturierten Heimatmärkte in einem wenig wettbewerbsintensiven Umfeld schnell erfolgreich zu sein. Auch dies zwang Firmen zu deutlich agilerem Handeln als in der Vergangenheit. In Bezug auf den Grad der Zentralisierung zeichnete sich vor allem auch bedingt durch die Digitalisierung eine Tendenz zur stärken Zentralisierung ab, gleichzeitig verlangte die geographische Ausdehnung dann jedoch auch dezentrale Strukturen, die lokale Märkte und Gegebenheiten berücksichtigen. Hier sind immer noch starke Bewegungen von Zentralisierung über Regionalisierung und Dezentralisierung und zurück zu beobachten. Ein einschneidendes Ereignis, das nachhaltige Auswirkungen auf die Unternehmensführung hatte war 1995 der Brent Spar-Vorfall. Bei Brent Spar handelte es sich um einen schwimmenden Öltank von Shell. Da dieser außer Dienst gestellt wurde, sollte er, wie dies auch üblich war, im Meer versenkt werden. Shell setzte sich über die Forderung von Greenpeace, diesen zu verschrotten, um das Meer nicht mit Schadstoffen zu belasten, hinweg mit der Begründung, dass man im Interesse der Aktionäre die günstigste Art der Entsorgung wählen müsste. Shell hatte die Situation damals vollkommen falsch eingeschätzt und war letztlich auch als Organisation damit überfordert, mit der daraus [12]resultierenden Krise umzugehen. Greenpeace besetzte daraufhin den Tank und forderte zum Boykott von Shell auf. Dies führte zu Umsatzeinbußen von bis zu 50 % im Tankstellengeschäft. Auch im weiteren Verlauf agierte Shell mehr als unglücklich und war durch die fortschreitende Eskalation doch gezwungen, Brent Spar schließlich für teures Geld zu verschrotten. (Gunkel 2010, online) Zwar war das Agieren von Greenpeace äußerst fragwürdig, weil sich die aufgestellten Behauptungen über Schadstoffrückstände als falsch erwiesen (o. V. 1995, online), doch zeigte sich hier erstmalig sehr deutlich, dass eine reine Profitorientierung in der Unternehmensführung ohne Rücksicht auf das Umfeld zu kurz greift. Es zeigte sich also, dass bei der Unternehmensführung nicht nur die Interessen der Eigenkapitalgeber berücksichtigt werden müssen, sondern dass auch für das Unternehmen relevante andere Gruppen berücksichtigt werden müssen. Somit sahen Firmen sich einem wesentlich komplexeren Beziehungsgeflecht bei der Planung konfrontiert.

Die 1990er und 2000er Jahre brachten jedoch auch ein zunehmendes Engagement von Finanzinvestoren in vielen Firmen. Dies führte in der Summe dazu, dass gerade Großkonzerne ihre Entscheidungen immer mehr am Kapitalmarkt ausrichten mussten. Damals wurde der von vielen Unternehmen propagierte Begriff der »Shareholder Value« erstmals auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Zwar ist es grundlegend sicher legitim, die Rendite der Eigenkapitalgeber in den Fokus des unternehmerischen Handelns zu stellen, doch führt die Anpassung unternehmerischer Entscheidungsprozesse an Berichtszeiträume der Börse – also 3-Monatsrhythmen – dazu, dass eher kurzfristig entschieden wird. Hinzukommt eine Beschleunigung der Umwelt durch sich rapide verändernde äußere Umstände und vor allem auch durch die Digitalisierung. Daher wird heute in deutlich kürzeren Zyklen geplant, in der Regel nach Bedarf.

1

Tatsächlich sagte er »Ich dachte immer, was gut ist für das Land, sei auch gut für General Motors, und umgekehrt.« als er auf einen möglichen Interessenkonflikt zwischen seinem Amt als Verteidigungsminister und seinen Aktienoptionen als ehemaliger CEO des Unternehmens angesprochen wurde. (o. V. 1961, online)

[13]2Ebenen der Unternehmensführung

2.1Muss man alles tun, was man tun kann?

Kritiker der Marktwirtschaft werfen bei schmerzhaften Einschnitten wie z. B. Stellenabbau immer ein, dass man ja nicht alles tun müsse, was man tun kann. Insbesondere die Politik echauffiert sich gern publikumswirksam in dieser Form. Sehr deutlich war das bei der ersten Welle des massiven Stellenabbaus bei der Deutschen Bank 1995/96. Nun war dies tatsächlich für das Unternehmen und die Gesellschaft einschneidend, nicht umsonst hat man umgangssprachlich ja auch oft fälschlich vom »Bankbeamten« gesprochen. Für den Außenstehenden wirkte es damals so, als würden hier also langjährige Mitarbeiter geopfert, nur um noch mehr Profit zu erwirtschaften. Dass der damalige Vorstandsvorsitzende Hilmar Kopper -vorsichtig ausgedrückt- nicht gerade ein Sympathieträger2 war, trug natürlich dazu bei, dass dieser Vorgang sehr kritisch gesehen wurde. Aber ging es wirklich nur um die nackte Gier? Tatsache ist, dass die Aktie der Deutschen Bank damals sehr niedrig bewertet war und sie daher als Übernahmekandidat für US-amerikanische Großbanken galt. Wäre dies passiert, hätte dies wahrscheinlich eine Abwicklung der Deutschen Bank zur Folge gehabt, in jedem Fall jedoch deutlich höhere Arbeitsplatzverluste. Die Entlassungen hatten also den Sinn, durch Kostensenkungen den Kurs der Aktie zu steigern, um so die Unabhängigkeit zu wahren. Bei solchen Entscheidungen geht es also oft um den klassischen Gegensatz zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Hinzu kam, dass die digitale Technik rasante Fortschritte gemacht hatte, die es nun ermöglichten, bis dahin dezentral erbrachte Dienstleistungen zu zentralisieren und Arbeitsschritte in vielen Vorgängen zu eliminieren. Da Unternehmen im Wettbewerb stehen, wäre es vollkommen unverantwortlich, sich bietende Kostenvorteile nicht zu nutzen. Heißt das also nun, dass ein Unternehmen immer grundsätzlich alles tun sollte, was nicht illegal ist?

Wählt man einen Ansatz in der Unternehmensführung, der die Maximierung der Eigenkapitalrendite in den Mittelpunkt stellt, so spricht man von Shareholder Value. In Deutschland ist dieser Begriff häufig negativ besetzt, weil Sanierungs[14]maßnahmen und Einsparungsprogramme damit assoziiert werden. Eng verbunden mit dem Begriff des Shareholder Value ist der Name Milton Friedman. Friedman ist ein wirtschaftsliberaler Volkswirt, der der österreichischen bzw. der Chicagoer Schule zugerechnet wird. Wie bereits erwähnt wurde gerade ab Ende der 1960er bzw. Anfang der 1970er Jahre an Unternehmen verstärkt der Anspruch gestellt, die Unternehmensführung an gesamtgesellschaftlichen Erfordernissen ausrichten. Das klingt zunächst recht sympathisch. Dem setzt Milton Friedman in seinem 1970 in der New York Times erschienen Essay »Was die Aufgabe von Unternehmen ist – und was nicht« eine grundsätzlich andere Sichtweise entgegen (Friedman 1970, online). Friedman wird heute gern als eine Art radikal-kapitalistischer Dinosaurier belächelt. Da er jedoch einige sehr wichtige Argumente einführt, sollen diese kurz wiedergegeben werden. Zunächst argumentiert er, dass die Forderung des moralischen Handelns nur an natürliche Personen gestellt werden kann. Die meisten Unternehmen sind jedoch rechtliche Personen und können daher kein moralisches Bewusstsein haben. Die Führungskräfte können zwar individuell »moralisch« handeln, haben aber von den Eignern kein Mandat dazu, ihre individuellen Vorstellungen von Moral umzusetzen. Die Führungskraft (es sei denn sie ist auch Inhaber) verwaltet das Geld der Eigenkapitalgeber und hat nur ein Mandat, dies zu vermehren. Damit weist Friedman auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen Führungskraft und Unternehmer hin. Tatsächlich ist die Bezeichnung der Führungskraft als »Unternehmer im Unternehmen« unsinnig, denn der Unternehmer zeichnet sich dadurch aus, dass er selber das Risiko trägt und haftet. Die Führungskraft hingegen hat einen klaren Handlungsauftrag und die meisten Unternehmen haben das Erwirtschaften von Profiten zum Geschäftszweck. Handelt die Führungskraft nicht in diesem Sinne, veruntreut er das Geld der Besitzer. Führt das vermeintlich moralische Handeln einer Führungskraft dazu, dass eine Ware oder Dienstleistung verteuert wird, erhebt er damit faktisch eine Steuer. Der Wettbewerb im Markt führt jedoch dazu, dass sich das durchsetzt, was der Kunde für richtig hält. Dieser wiederum kann als Individuum moralisch entscheiden. Im Prinzip schlägt Friedman damit also eine basisdemokratische Entscheidung über moralische Standards vor. Als einziger Standard für die Bewertung des Handelns dienen Gesetze. (Friedman 1970, online) Das mag aus heutiger Sicht tatsächlich seltsam naiv und eindimensional anmuten, aber man darf dabei nicht außer Acht lassen, dass es zu diesem Zeitpunkt den Gegensatz zwischen dem kapitalistischen Westen und dem kommunistischen Osten gab. Zum damaligen Zeitpunkt war die Demokratie die einzige Regierungsform, die mit Freiheit auch das Versprechen des Wohlstands verband. Heute sieht man auch autokratische Systeme, in denen es den Bürgern materiell sehr gut geht. Einige Staaten propagierten damals einen »dritten Weg« und es ging Friedman darum zu vermitteln, dass Eingriffe in freies Marktgeschehen zwangsläufig zu Unfreiheit führen müssen. Auf der anderen Seite darf man auch nicht übersehen, dass viele kapitalistische Exzesse zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt waren.

Man muss Friedman jedoch vorhalten, dass er eine vollkommen unrealistische Vorstellung davon hatte, mit welchem Informationsstand ein Konsument eine [15]Entscheidung treffen kann. Man kann dies heute am Beispiel von Textilien festmachen: Für den Käufer ist schwer nachvollziehbar, ob das von ihm gekaufte Kleidungsstück unter fairen Bedingungen hergestellt wurde oder nicht, denn hoch- wie niedrigpreisige Anbieter nutzen nicht selten die gleichen Produktionsstätten. Auch sind viele der Qualitätssiegel intransparent oder können umgangen werden. Allerdings muss man auch da wiederum die Einschränkung machen, dass Friedman selbst definiert, dass sein Modell nur bei einem freien und fairen Markzugang für alle funktioniert. Textilarbeiter in der Dritten Welt haben sicherlich keinen freien und fairen Zugang zum Arbeitsmarkt. Aber selbst Thomas Hobbes hat schon im 17 Jahrhundert in seinem Werk Leviathan festgestellt, dass es Freiheit nur dort geben kann, wo es auch freiheitsbeschränkende Maßnahmen gibt. (Fest 1993, S. 63) In der Summe lässt sich also festhalten, dass Friedman recht hat, wenn er postuliert, dass Unternehmen eine rein wirtschaftliche Daseinsberechtigung haben, Führungskräfte das Geld der Eigenkapitalgeber zu mehren haben und dass erfolgreiche Unternehmen den Wohlstand für alle mehren. Gleichzeitig wissen wir jedoch aus der Geschichte auch, dass dies allein zu kurz greift.

Der englische Dichter John Donne beginnt eines seiner bekanntesten Gedichte mit den Worten: »Niemand ist eine Insel, in sich selbst vollständig; jeder Mensch ist ein Stück des Kontinentes, ein Teil des Ganzen.« Die Insel-Metapher lässt sich auch gut auf Unternehmen anwenden, denn ein Unternehmen agiert nicht im luftleeren Raum, sondern ist von der Kooperationsbereitschaft anderer Interessengruppen abhängig. Diese bezeichnet man als Stakeholder. Die offensichtlichste Gruppe sind die Kunden und der kurze historische Abriss hat ja gezeigt, dass diese ihre Kooperationsentscheidung heute nicht nur auf Basis von Preis, Qualität und Auswahl treffen, sondern vielmehr das Verhalten des Unternehmens in der Gesellschaft als Entscheidungskriterium heranziehen. Dazu kommen natürlich die Mitarbeiter, Fremd- und Eigenkapitalgeber, Kommunen, Gewerkschaften, der Gesetzgeber usw. Diese Anspruchsgruppen können also intern oder extern sein. Anspruchsgruppen, die einen legitimen Anspruch an das Unternehmen haben, bezeichnet man als diskretionäre Stakeholder. Aber nicht jede Gruppe, die sich für relevant hält, ist dies auch für das Unternehmen oder umgekehrt kann es sich herausstellen, dass Gruppen, die man für nicht relevant hält, weit größeren Einfluss haben als man vermutet. Der Fall Brent Spar hat gezeigt, dass diese Einschätzung nicht immer einfach ist. Was heißt das nun für die Unternehmensführung? Friedman denkt ohne Umwege und stellt die Frage, ob ein unternehmerisches Handeln unmittelbar dem Geschäftszweck des Unternehmens dient. Der Stakeholderansatz ist längerfristig: Er stellt die Frage, wie eine Kooperationsbereitschaft der relevanten Bezugsgruppen dauerhaft gewährleistet bleibt. D. h. unternehmerisches Handeln kann unmittelbar weniger profitabel sein als es möglich wäre, dafür aber mittelbar einen größeren Nutzen für die Organisation bieten. Was dies praktisch für die Unternehmensführung bedeutet, soll anhand von zwei Beispielen erläutert werden. Amazon erwirtschaftet einen Großteil des Umsatzes im Weihnachtsgeschäft. Daher werden zu dieser Zeit vermehrt Leiharbeiter eingesetzt. Der hessische Rundfunk produzierte 2014 eine Dokumentation über die Arbeitsbedingungen dieser Leiharbeiter und [16]bezeichnete die Arbeitsverhältnisse als moderne Sklaverei. Dazu gehörten die niedrigen Löhne, aber vor allem auch die Arbeitsbedingungen, die sehr zu Gunsten des Arbeitsgebers definiert waren. (Löbl; Onneken 2014, online) Amazon hat dabei keine Gesetze gebrochen und Friedman würde argumentieren, dass das Unternehmen die Pflicht hat, diese Dienstleistungen so günstig wie möglich einzukaufen und der Kunde die Pflicht hat, darüber zu entscheiden, ob dies fortgesetzt wird oder nicht. Nun muss man auch hier die Frage nach dem freien und fairen Marktzugang stellen, denn die Leiharbeiter kamen meist aus Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit und hatten keine Handlungsalternativen. Tatsächlich brach nach dieser Dokumentation das Weihnachtsgeschäft bei Amazon stark ein. Insofern ist also die Frage zu stellen, ob eine bessere Bezahlung und arbeitnehmerfreundlichere Arbeitsbedingungen in der Summe langfristig betriebswirtschaftlich sinnvoller gewesen wären.

Ein anderes Beispiel sind Rohstoffpreise z. B. für Kaffee. Betrachtet man 2019 einen 5-Jahreszeitraum, so ist auffällig, dass der Kaffeepreis abgesehen von einigen kurzen Ausschlägen nach oben deutlich fällt. Das mag auf den ersten Blick für den Konsumenten positiv sein und ermöglicht Handel und Gastronomie höhere Margen. Aber der mittel- bis langfristige Effekt wird sein, dass zunehmend Anbauflächen aufgegeben oder anders genutzt werden, weil der Anbau von Kaffee nicht mehr profitabel ist. Dieser Verlust von Anbauflächen kann einerseits zu künftigen Engpässen in der Lieferung führen und die Unternehmen in gefährliche Abhängigkeit von Lieferanten bringen und Preise unkontrollierbar steigen lassen. Insofern kann es für ein Unternehmen sinnvoll sein, ausgewählten Lieferanten, zu denen man ein dauerhaftes Verhältnis aufbauen will, über den Marktpreis zu bezahlen. Darstellung 1 visualisiert das Verhältnis zwischen Unternehmen und Stakeholdern.

Wichtig ist es an dieser Stelle zu verstehen, dass jede moralische Dimension hier ausgeklammert ist. Häufig wird in der Diskussion ein stakeholderbasierter Ansatz in der Unternehmensführung mit Corporate Social Responsibility (CSR) gleichgesetzt. Engagiert ein Unternehmen sich gesellschaftlich und übernimmt Verantwortung, die über gesetzliche Vorschriften hinausgeht, dann ist dies zweckfrei und in der normativen »DNA« des Unternehmens angelegt. Ist die Übernahme gesamtgesellschaftlicher Verantwortung nicht in das unternehmerische Handeln eingebettet und findet nachgelagert statt, redet man auch von »Greenwashing«. Dies ist z. B. der Fall, wenn ein Textilhändler die Produktionsbedingungen aus Kostengründen nicht kontrolliert, dafür dann aber Bildungsprojekte für Mädchen in der Dritten Welt unterstützt. Das Engagement des Unternehmers Dieter Schwarz in seiner Heimatstadt Heilbronn bezeichnet man als Corporate Giving oder Philantropy. Dies hat jedoch nichts mit Unternehmensführung zu tun, weil dies nachgelagerte Aktivitäten sind, die aus dem Privatvermögen des Mäzens gezahlt werden.

Die Frage nach dem sozialen Engagement von Firmen bzw. der daraus resultierenden Grauzone zwischen einem demokratisch legitimierten Staat und einem Unternehmen zeigt jedoch auch, dass Friedmans Gedanken durchaus ernst zu nehmen sind. Es ist sicherlich kritisch zu sehen, wenn soziales Engagement dazu führt, dass der Staat sich aus Kernaufgaben zurückzieht und diese unkontrolliert von nicht demokratisch legitimierten Organisationen übernommen werden. Ande[17]rerseits entstehen auch Grauzonen, wenn z. B. Amazon Schulen E-Book-Reader zur Verfügung stellt und damit dann gleichzeitig auch Werbung für Amazon macht. Eine ähnliche Diskussion gab es bei dem Calliope Projekt, in dem Drittklässler lernen sollen, wie ein Computer funktioniert. An der Stiftung, die dieses Projekt ins Leben gerufen hat, ist Google beteiligt und auch hier befürchtete man eine Einflussnahme auf das Schulwesen. (Leithold 2017, online).

Dar. 1:Stakeholder [zurück]

Fallstudie

Die Karacho Lebensmittelfilialbetrieb Stiftung & Co. KG ist ein Lebensmittel-Discounter mit einem Netz von über 1.400 Filialen unter dem Namen Karacho (eigene Schreibweise: KARACHO) in Deutschland, Italien, Österreich und Polen. Diese werden von 16 Niederlassungen versorgt. Die Filialen treten unter dem Namen Karacho sowie seit der Übernahme des Unternehmens Karamba auch unter Karacho-Karamba auf. Der Umsatz beträgt rd. 2,7 Mrd. Euro, wobei rd. 2,45 Mrd. Euro davon im Kerngeschäft in Deutschland erwirtschaftet werden.

Hervorgegangen aus dem im Jahr 1921 gegründeten Filialunternehmen »Georg Rosenkrantz« in Düren, wurden in den 1960er Jahren die ersten Karacho-Filialen in NRW eröffnet. Seit Ende der 1980er Jahre hat sich Karacho vom regionalen [18]Discounter zu einem international operierenden Unternehmen entwickelt. Sitz des Lebensmittelfilialbetriebs ist Hattingen. Am 5. April 2010 verstarb der Firmeninhaber Adolf Georg Rosenkrantz. Das Unternehmen wird von einer Doppelspitze, bestehend aus Karlheinz Müller und Roberto Mangione, geleitet. Im Dezember 2011 wurde die Rechtsform von einer GmbH in eine Stiftung geändert. Die Firma wurde daher in Karacho Lebensmittelfilialbetrieb Stiftung & Co. KG umbenannt. Für die Verwaltung des Immobilienbesitzes wurde eine weitere Stiftung eingerichtet.

Das Verkaufskonzept basiert auf dem Grundgedanken des Discountprinzips: Konzentration auf Produkte des täglichen Bedarfs. Zusätzlich zu der (im Vergleich zu klassischen Supermärkten) geringen Zahl von Sortimentsartikeln stehen wöchentlich wechselnde Angebotsartikel aus den Bereichen Food und Non-Food zum Verkauf. Auch regionale Marken und Produkte finden Eingang in die Angebots- und Sortimentspalette.

Die österreichische Tochtergesellschaft firmiert unter der Bezeichnung KARACHO GmbH & Co. KG, der Firmensitz ist in Schlag-Obers (Oberösterreich). Der Jahresumsatz 2018 belief sich auf 3,8 Millionen Euro. In Österreich gab es Ende 2015 13 Karacho-Filialen, mit einem Schwerpunkt von 8 Standorten in Oberösterreich. Karacho bezieht laut eigenen Angaben rund 25 % seines Sortiments von regionalen, österreichischen Lieferanten, vor allem in den Bereichen Obst, Gemüse und Molkereiprodukte. Derzeit gibt es noch kein eigenes Zentrallager, die Logistik wird über einen deutschen Standort und einige Direktlieferanten abgewickelt. Eine weitere Expansion auf 50 Märkte bis 2022 ist geplant. Diese ist auch dringend notwendig, denn in der augenblicklichen Größe ist das Unternehmen nicht profitabel und bindet gemessen am Umsatz deutlich zu viele Kapazitäten in der Konzernzentrale. Die Alternative zur Expansion wäre mittelfristig die Desinvestition.

Die Internationalisierungsstrategie ist konsequent polyzentrisch ausgerichtet. Im Wesentlichen ist jede Landesgesellschaft vollkommen unabhängig, aber dadurch in vielen Punkten auch auf sich selbst gestellt. Nur im Einkauf von Grundnahrungsmitteln nutzt man Synergien, wobei den Ländern die Ware nur zugeteilt wird. Dies soll sich auch nicht ändern, da man auf Grund des doch relativ geringen Auslandsumsatzes keine Holdingsstrukturen aufbauen will und auch glaubt, so flexibler auf lokale Marktbedürfnisse reagieren zu können.

Alexandra Schwarzer ist 27 Jahre alt und hat beim Discounter KONSUMKAUF dual studiert. Nach dem Studium, das sie vor 4 Jahren mit großem Erfolg abgeschlossen hat, war sie zunächst als Vertriebsleiterin für KONSUMKAUF zuständig und hat dort 5 Filialen betreut. Alexandra ist sehr ehrgeizig und zeigte in ihrer bisherigen Laufbahn sehr gute Leistungen. Da KONSUMKAUF ihr jedoch keine weitere Perspektive bieten konnte und sie auch vor einer möglichen Familiengründung noch ins Ausland gehen wollte, hat sie sich bei Karacho Discount für die Stelle der Geschäftsführerin Österreich beworben. Da sie im Gespräch überzeugen konnte und sie ihr Auslandssemester in Klagenfurt verbracht hat, bot man ihr trotz ihres jugendlichen Alters diese Position an. Sie führt dort 3 regionale Vertriebs[19]leiter, die je 4–6 Filialen betreuen. Die Hauptverwaltung hat 20 Mitarbeiter. An sie direkt berichten der Leiter Einkauf, der Leiter Finanzen/Verwaltung sowie der Marketingleiter. Die Funktion der Gesamtvertriebsleitung ist bei Alexandra angesiedelt. Einen Personalleiter gibt es nicht. Die Abrechnung ist outgesourct und es gibt zwei Personalreferenten (in Teilzeit), die nicht in der Zentrale ansässig sind und die Märkte vor Ort in Personalfragen betreuen. Es gibt eine kaufmännische Berufsausbildung im Unternehmen und ein Programm zur Weiterbildung zum Handelsfachwirt. Ansonsten finden nur gelegentliche Warenkundeschulungen statt. Wenn ein leitender Angestellter mit dem Wunsch kommt, ein Seminar zu besuchen, wird dies in der Regel genehmigt.

In den ersten 100 Tagen im neuen Job hat Alexandra sich einen Überblick über die Lage gemacht. Schnell ist sie auf einige gravierende Probleme bzw. Defizite gestoßen. Unmittelbar vor ihrer Ankunft gab es einen Skandal in der Presse. Die Kronen Zeitung berichtete, dass ein Filialleiter, der wegen seines hohen Krankenstands massiv in der Kritik stand, die Ärzte seiner Mitarbeiter angeschrieben hat und Auskunft über Krankheitsbilder angefordert hat. Dies ist nicht legal. Ferner begann er bereits bei Abwesenheiten von einem Tag Rückkehrgespräche mit seinen Mitarbeitern zu führen. Die Kronen Zeitung berichtete weiter, dass diese Gespräche Verhören glichen, Mitarbeiter nach ihren Krankheiten befragt wurden und massiv unter Druck gesetzt wurden. Dies führte zu Umsatzeinbußen. Das Unternehmen hat sich sofort vom betreffenden Filialleiter getrennt, aber das Image des Unternehmens hat nachhaltig darunter gelitten.

Es hat sich herausgestellt, dass der Leiter des Einkaufs, Josef Schlögl, über Jahre hinweg mit der Konkurrenz die Preise abgesprochen hat. Dies ist nicht an die Öffentlichkeit gelangt und passierte in jedem Fall mit Billigung von Alexandras Vorgänger und wahrscheinlich auch mit der des verstorbenen Firmeninhabers. Alexandra hat die Vorgabe bekommen, sich von Schlögl zu trennen. Er ist 53 Jahre alt, seit 20 Jahren im Unternehmen, verheiratet und hat 2 Kinder, die beide studieren. Er besitzt kein Wohneigentum. Er begreift sich als »Soldat« des Unternehmens und ist stolz auf das, was er für das Unternehmen geleistet hat. Die Unregelmäßigkeiten hat er nicht zur persönlichen Bereicherung genutzt. Er ist ein »Urgestein von der Fläche«, der sich in seine Position hochgearbeitet hat. Darauf ist er auch sehr stolz. Er sieht sich als Leistungsträger und weiß noch nicht, dass die Preisabsprachen bekannt geworden sind und von der neuen Unternehmensführung nicht geduldet werden. Er hat kein Unrechtsbewusstsein, denn aus seiner Sicht haben die Preisabsprachen kaum Auswirkungen auf die Kunden gehabt, aber dazu geführt, dass alle Mitbewerber profitabel arbeiten konnten.

Einer der regionalen Vertriebsleiter hat Alexandra während der ersten Besprechung immer wieder als »Mädel« bezeichnet und ist ihr mehrfach ins Wort gefallen. Es gab auch in der Vergangenheit Beschwerden gegen ihn, dass Mitarbeiterinnen sich sexuell belästigt fühlten. Folglich wurde ihm gekündigt. Alexandra möchte diese Position nun aus den eigenen Reihen nachbesetzen. Die Position möchte sie gern einer jungen Filialleiterin anbieten. Sabina Löbl ist 29 Jahre alt, hat eine Ausbildung im Unternehmen gemacht und eine anschließende Weiter[20]bildung zum Handelsfachwirt. Seit nunmehr 4 Jahren leitet sie ihre Filiale erfolgreich. Obwohl ihre Bewertungen sehr positiv sind, ist sie sich nicht sicher, ob sie diese Stelle annehmen soll. Zum einen ist sie durch das Verhalten des entlassenen Vertriebsleiters verunsichert, ob sie als Frau in einer solchen Rolle akzeptiert wird. Zum anderen hat sie eine Sprachbehinderung und weiß nicht, ob sie das in der Ausübung der neuen Rolle behindern würde. In der Summe hat sie auch großen Respekt davor, mehrere Filialen zu führen, da sie als Perfektionistin gilt und Sorge hat, Verantwortung für Dinge zu übernehmen, die sie nur mittelbar kontrollieren kann.

In der Zentrale hat sich einiger Unmut geregt. Von einem Personalberater hat Alexandra gehört, dass einige wichtige Mitarbeiter sich zurzeit auf dem Arbeitsmarkt umschauen. Der Grund liegt darin, dass die Gehaltsstrukturen als ungerecht wahrgenommen werden. Die deutschen Mitarbeiter in Österreich haben noch deutsche Verträge und bekommen nur 12 Monatsgehälter, wohingegen die österreichischen Mitarbeiter die gesetzlich vorgeschriebenen 14 Monatsgehälter bekommen. Im Einkauf sind 6 Mitarbeiter. Die »Eigengewächse« verdienen bis zu 60 % weniger als die 3 später eingetretenen Einkäufer. Auch das Bonussystem ist vollkommen intransparent. Es herrscht der Eindruck, dass der Geschäftsführer diese Zahlungen nach Gutsherrenart gewährt. Auch in den Filialen herrscht Unruhe. Die Fluktuation ist rasant angestiegen, denn die meisten Filialleiterpositionen wurden von extern besetzt und es gibt bisher nicht einen Fall, in dem ein Mitarbeiter in die Zentrale wechseln konnte. Da Karacho nicht dem Tarifvertrag angehört, gibt es kein einheitliches Gehaltsgefüge.

Alexandra hat mit Maria Hierlgeist eine sehr engagierte und eigenständige Assistentin. Diese war jedoch im vergangenen Jahr Playmate im österreichischen Playboy. Dies an sich ist schon nicht ganz unproblematisch. Hinzukommt, dass sie sich bei der Arbeit oft sehr körperbetont kleidet und darüber auch geredet wird.

Auf ihrem Schreibtisch liegt ein Schreiben eines Anwalts, der droht das Unternehmen zu verklagen, da ein Filialleiter im Gespräch einem Bewerber gesagt hätte, einen »Tschusch« (abschätzige Bezeichnung für Osteuropäer) würde er nicht einstellen. Dafür gibt es keine Zeugen.

Kommentar zur Beurteilung

Das Unternehmen ist an einem entscheidenden Punkt angelangt: Entweder gelingt der nächste Schritt der Expansion, um kritische Masse zu gewinnen oder aber die Organisation muss abgewickelt werden. Das Einsetzen einer relativ jungen und unerfahrenen Führungskraft zeigt, dass die Unternehmensleitung das wahre Ausmaß des Problems wahrscheinlich nicht erkannt hat. In ihrem augenblicklichen Zustand wird die Firma die Expansionsziele nicht erreichen können. Zum einen fehlen natürlich Strukturen und das zeigt sich sehr deutlich bei allen personalrelevanten Themen. Doch selbst wenn diese Strukturen vorhanden wären, bliebe ein Erfolg sehr zweifelhaft, denn das interne und externe Employer Branding sind einigermaßen katastrophal. Die vorhandenen Mitarbeiter erleben ihre Arbeit of[21]fensichtlich als belastend, weil es Führungskräfte mit einem negativen Menschenbild gibt, die auf Druck, Erpressung und Kontrolle setzen und sich dabei auch nicht scheuen, gegen Gesetze zu verstoßen. Dieses Verhalten dringt natürlich nach außen, sei es durch die illegalen Anfragen an die Ärzte oder aber rassistische Bemerkungen. Betrachtet man das Wertevakuum in dieser Organisation, kann man nicht ausschließen, dass der diskriminierende Begriff tatsächlich gefallen ist. Auch das scheinbar eher amüsante Problem mit der Sekretärin zeigt, dass in der Organisation offensichtlich nicht kommuniziert wurde, was als angemessenes Verhalten akzeptiert wird und was nicht. Das setzt sich fort mit der offensichtlichen Geringschätzung von Frauen in Führungspositionen fort. Das Schlimmste ist, dass es, wie auch beim Fall der illegalen Preisabsprachen, keinerlei Unrechtsbewusstsein vorhanden ist. Es konnten sich also Individuen im Unternehmen etablieren, die Werte vertreten, die für ein Unternehmen nicht vorteilhaft sein können. Man könnte jetzt natürlich anführen, dass die Preisabsprachen nicht in böser Absicht geschehen sind, sondern dem Unternehmen nutzen sollten. Hier muss jedoch eine Null-Toleranz-Politik gefahren werden, denn zum einen sind Gesetze nicht optional, sondern absoluter Handlungsmaßstab für Individuen und Unternehmen. Andererseits wird Kriminalität im Unternehmen auch sehr schnell zu Kriminalität gegen das Unternehmen. Insofern muss Alexandra in Absprache mit dem Mutterkonzern die normative Ebene der Unternehmensführung sofort dadurch besetzen, dass der betroffene Mitarbeiter entlassen wird und eine Selbstanzeige erfolgt. In einem zweiten Schritt müssen Compliance-Richtlinien definiert werden, die einerseits klare gesetzliche Anforderungen enthalten, darüber hinaus aber auch die Werte und das Menschenbild des Unternehmens. Diese müssen dann in die Organisation kommuniziert werden und auch durch Schulungen und Trainings vermittelt werden. Doch das wird nicht ausreichen. Im Unternehmen haben sich Verhaltensweisen etabliert, die ihm schaden.

Insofern wird Alexandra eine Entscheidung treffen müssen, wer zu den von ihr propagierten Werten passt und wer nicht. Wer die Werte des Unternehmens nicht teilt, muss gehen. Auch vor dem Hintergrund der möglichen Beförderung von Sabina Löbl muss man genau bedenken, ob sie in dieser Organisation als Frau mit einer Behinderung akzeptiert wird. Wahrscheinlich wäre sie beim augenblicklichen Reifegrad des Unternehmens von vornherein zum Scheitern verurteilt. Auch hier zeigt sich, dass die strategischen Themen des Personalmanagements nur dann erfolgreich umgesetzt werden können, wenn die entsprechenden Themen auf der normativen Ebene der Unternehmensführung umgesetzt werden. Auch das Gehaltsthema ist nicht nur eine operative Frage. Das Unternehmen hat es zugelassen, dass eine Zweiklassengesellschaft entsteht, weil es kostengünstiger war. Damit handelt die Organisation ungerecht und wird auch so wahrgenommen. Dasselbe gilt für die Förderung von Vertriebsmitarbeitern, die offensichtlich sehr stiefmütterlich behandelt werden.