Sweet Enemy - Kristen Callihan - E-Book

Sweet Enemy E-Book

Kristen Callihan

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Beschreibung

Feindschaft auf den ersten Blick

Emma erlebt den schlimmsten Tag ihres Lebens. Nicht nur wurde ihre Rolle in der erfolgreichen Serie Dark Castle gestrichen, nein, sie findet auch heraus, dass ihr Freund sie betrügt. Am Boden zerstört zieht sich die Schauspielerin für einen Neuanfang auf ein Anwesen in Kalifornien zurück und trifft dort auf Lucian. Er ist verschlossen, abweisend und scheint nichts an ihr zu mögen. Und doch fühlt Emma sich von ihm angezogen, denn sie spürt, dass er ebenso verletzt ist wie sie. Kann sie Lucians Schutzmauern einreißen?

"Sweet Enemy ist eine zuckersüße, humorvolle und gleichzeitig unglaublich emotionale Geschichte über Hoffnung, Heilung und die intensive Liebe zweier beeindruckender Charaktere." Charleen von charlie_books

Band 2 der BETWEEN-US-Serie von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Kristen Callihan


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Seitenzahl: 609

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

Epilog

Ein paar Gebäckbegriffe

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Kristen Callihan bei LYX

Impressum

Kristen Callihan

SWEET ENEMY

Roman

Ins Deutsche übertragen von Anika Klüver

ZU DIESEM BUCH

Emma erlebt den schlimmsten Tag ihres Lebens. Nicht nur wurde ihre Rolle als Prinzessin Anya aus der beliebten Serie Dark Castle geschrieben, nein, sie findet auch heraus, dass ihr Freund, ein berühmter Footballspieler, sie betrügt. Um ihre Wunden zu lecken, zieht sich die Schauspielerin auf das Anwesen einer Freundin ihrer Großmutter in Kalifornien zurück. Auf Rosemont will sie darüber nachdenken, wie es für sie weitergehen kann. Doch dann trifft sie auf den Eishockeyspieler Lucian Osmond. Zweimal hat der NHL-Profi sein Team zum Stanley Cup geführt, aber auf dem Weg zum dritten Titel geschah das Unfassbare. Durch einen brutalen Bodycheck erlitt er eine Kopfverletzung, die ihn dazu zwang, seine Karriere frühzeitig zu beenden. Ohne Ziel und Perspektive lebt er seitdem bei seiner Großmutter auf Rosemont und kann sich und die Welt nicht ausstehen. Er tut alles, um die Menschen von sich fernzuhalten – auch Emma. Doch wie niemand sonst blickt sie hinter die Fassade des abweisenden Einzelgängers und schafft es, seine Schutzmauern Stein für Stein einzureißen … …

Für diejenigen, die das Bedürfnis nach ein wenig mehr Trost und Fürsorge verspüren.

PROLOG

Lucian

Ich war fünf Jahre alt, als ich meinen Eltern erzählte, dass ich fliegen wolle. Wie ich mittlerweile herausgefunden hatte, waren meine Eltern bereit, alles erdenklich Mögliche zu tun, um mich glücklich zu machen. Sie nahmen meine Bitte sehr ernst und arrangierten für uns einen Ausflug mit einem kleinen Flugzeug.

»Und?«, fragte mein Dad, als wir auf dem Rücksitz des lauten, bebenden Fliegers saßen. »Wie fühlt es sich an, zu fliegen?«

Es war ganz nett, aber ich saß einfach nur da. Das Flugzeug flog, nicht ich. Ratlos ließen sie die Sache auf sich beruhen. Aber ich tat das nicht. Ich sehnte mich so sehr danach, zu fliegen. Tief in meinem Inneren brauchte ich es, auch wenn ich nicht sagen konnte, warum das so war. Das Problem war nur, dass ich nicht wusste, wie ich dieses Ziel erreichen sollte.

Zwei Jahre später meldete mich mein Dad aus einer Laune heraus fürs Eishockeytraining an. Ich zog ein Paar Schlittschuhe an und lernte. Ich wurde stärker, besser, schneller.

Das war der Moment, in dem ich es begriff. Ich würde nicht in der Luft fliegen können. Sondern auf dem Eis.

Eis.

Ich liebte das Eis. Für mich war das Eis eine Geliebte: grausam, kalt, wunderschön, brutal, unentbehrlich. Ich war aufs Engste mit ihr vertraut – ich kannte ihren frischen Geruch, ihre unbarmherzige Kälte, die diversen Geräusche, die sie von sich gab, sowie die geschmeidige Unterstützung, die sie bot, wenn ich über ihren Körper wirbelte und glitt.

Ich liebte sie sofort, vom ersten Gleiten auf Schlittschuhen an. Sie befreite mich und gab mir ein Lebensziel.

Wenn ich auf dem Eis war, flog ich. Es war kein schwebendes, abgekoppeltes Fliegen, sondern eine Geschwindigkeit, die so glatt und schnell war, dass man nicht länger aus Fleisch und Blut bestand, sondern zu etwas anderem wurde: zu einem Gott.

Ich liebte es so sehr, über das Eis zu fliegen, dass ich beinahe eine andere Laufbahn eingeschlagen und vielleicht Eisschnellläufer geworden wäre. Und manchmal, wenn ich frei hatte, zog ich los und tat genau das – ich sauste schneller und immer schneller auf dem Eis herum.

Aber einfach nur Schlittschuh zu laufen verschaffte mir nicht die Herausforderungen, die ich brauchte. Dafür war Eishockey nötig.

Gott, ich liebte Eishockey. Einfach alles daran. Das Klappern meines Schlägers auf dem Eis, das Echo, das entstand, wenn ich den Puck berührte. Das Spiel sprach zu mir und flüsterte mir sogar dann noch ins Ohr, wenn ich schlief – mein Körper summte dann immer, als befände ich mich nach wie vor auf dem Eis.

Ich sah die Muster, die Spielzüge. Ich ließ sie geschehen, lockte sie hervor. Wenn Schlittschuhlaufen Fliegen war, dann war Eishockey ein Tanz. Ich hatte fünf Tanzpartner. Und wenn wir alle zusammenarbeiteten, dann war das verdammte Poesie. Ein wahrhaft schöner Anblick.

Nichts auf der Welt fühlte sich so an, wie den Puck über das Eis zu schieben, sich einen Weg durch die gegnerischen Spieler zu bahnen und die Scheibe dann mit einem kleinen Stoß direkt ins Netz zu befördern. Spontane Glückseligkeit. Jedes. Mal.

Das Eishockey definierte meine Persönlichkeit. Mittelfeldspieler. Mannschaftskapitän. Zweimaliger Stanley-Cup-Gewinner – beim ersten Mal als einer der jüngsten Kapitäne, die ihren Namen je in dieses riesige, wunderschöne Monster von einem Pokal eingraviert bekamen. Gewinner der Calder Memorial Trophy, der Art Ross Trophy … ich könnte noch ewig so weitermachen.

Worauf ich hinauswill, ist, dass Eishockey mein Leben war.

Und mein Leben war verdammt gut. Meine Mannschaft war eine gut geölte Maschine, und unter uns befanden sich keine Schlitzohren und keine Draufgänger, die uns alle in den Untergang hätten reißen können. Wir waren in den Play-offs und wollten uns erneut den Stanley Cup sichern. Der Sieg stand uns zu.

Die Jungs wussten es. Es lag etwas in der Luft – ein elektrisches Knistern, das auf der Haut kribbelte, in die Gelenke eindrang und sie alle nervös machte. So hatten wir uns schon mal gefühlt. Und wir hatten gewonnen.

Brommy war besonders fröhlich, als wir unsere Ausrüstung anlegten. Er legte seine große Hand auf meinen Kopf und zerzauste mein Haar gründlich. »Da wächst dir ja ein hübscher Salatkopf, Ozzy. Brauchst du noch ein Dressing dazu?«

In der Anfangszeit nannten mich alle Ozzy. Wegen meines Nachnamens: Osmond. Dann wurde es zu Oz verkürzt – so wie in Der Zauberer von Oz. Denn wenn ich den Puck bekam, ging die Magie los.

Ich ignorierte die weißen Lichter, die vor meinen Augen flackerten, und die Art, wie Brommys grobe Behandlung meines Kopfes den Raum – für einen Augenblick – zum Wanken brachte, und versetzte ihm ebenfalls einen Schlag auf den Kopf. »Nicht jeder von uns frisiert sich so fein, Goldlöckchen. Andererseits brauchst du sämtliche Schönheitshilfe, die du kriegen kannst.«

Ein paar der Jungs schnaubten belustigt. Brommy grinste breit und zeigte seine Zähne samt der Lücke, wo ein Schneidezahn fehlte. Wenn ich einen Zahn verloren hätte, hätte ich mich einer Operation unterzogen, um die Sache wieder in Ordnung zu bringen. Aber Brommy gab gerne damit an. Der bullige Linksverteidiger fand, dass er so einschüchternder wirkte.

Außerdem erzählte er Frauen gerne, dass er einen Puck mit seinem Helmgitter abgefangen und dabei den Zahn verloren hatte. Das brachte ihn jedes Mal zum Lachen. Die Frauen fielen auf sein albernes Getue herein, also konnte ich nichts gegen seine Methoden sagen.

»Wir können nicht alle so hübsch sein wie du, Käpt’n.« Er griff nach dem Anhänger, auf dem der Heilige Sebastian abgebildet war und den er um den Hals trug, küsste ihn zweimal und schob ihn dann zurück unter seine Ausrüstung. Ich konnte ihm wegen dieses Rituals keinen Vorwurf machen. Ich umwickelte meinen Schläger mit Klebeband. Wenn das irgendjemand anders für mich übernahm … Nun ja, ich war nicht bereit, diese Aufgabe jemand anders zu überlassen. Oder zuzulassen, dass jemand außer mir vor einem Spiel meinen Schläger anrührte. Das war keine Option.

»Bitte. Linz ist hier der Schönling.« Weswegen wir ihn Hackfresse nannten. So war das eben.

»Aber Linz hat keine umwerfende Frau, die verspricht, ihn für immer zu lieben.« Brommy stieß mich grinsend an.

Ich musste gegen mein eigenes Grinsen ankämpfen. »Das stimmt.«

Cassandra, meine Verlobte, war tatsächlich umwerfend. Sie liebte Eishockey und hatte in jeglicher Hinsicht den gleichen Geschmack wie ich. Wir stritten uns nie. Mit ihr zusammen zu sein war leicht. Sie kümmerte sich um alles, damit ich mir um nichts anderes als das Spiel Gedanken machen musste. Das waren ihre Worte. Aber ich wusste sie zu schätzen.

Ich hatte nicht vorgehabt zu heiraten. Aber Cassandra war so pflegeleicht, dass ich mir, als sie mich fragte, ob wir unsere Beziehung je offiziell machen würden, dachte: Warum nicht? Schließlich würde ich niemanden finden, der entspannter mit allem umging. Cassandra war das Sahnehäubchen auf dem perfekten Eisbecher meines Lebens.

Die Jungs tauschten weitere Beleidigungen aus. Ich beklebte meinen Schläger zusammen mit Jorgen, lauschte Marios Hymne »Under Pressure«, die er vor einem Spiel immer zum Besten gab, und hielt mich so weit wie möglich von unserem Torwart Hap fern. Wenn man sich vor einem Spiel mit ihm anlegte, konnte man sich ebenso gut sein eigenes Grab schaufeln.

Geistig war ich bereit. Körperlich waren meine Fähigkeiten bis zur Perfektion verfeinert worden. Aber hinter allem lag ein neues Flüstern, die leiseste Andeutung eines Geräuschs, das ich nicht hören wollte. Ich hatte diese nagende Stimme seit meiner letzten Gehirnerschütterung ignoriert. Sie klang sehr nach meinem Arzt. Ich hasste diesen Kerl.

Ich wusste, dass ich die Leute, die mir nur helfen wollten, nicht hassen sollte. Aber so war es nun mal. Denn was zum Teufel wusste er schon? Ich kannte meinen Körper besser als jeder andere. Mein Leben war perfekt. Nichts und niemand würde das ändern.

Also drängte ich diese hinterhältige kleine Stimme zurück in die Schatten, wo sie hingehörte.

Ich war schon immer gut darin gewesen, Dinge, die keine Rolle spielten, zu verdrängen. Konzentriere dich auf den Preis. Konzentriere dich auf das Spiel. Allein darum ging es. Behalte einen klaren Kopf, und sorge für einen starken Körper.

Darauf konzentrierte ich mich, als das Spiel losging. Ich erhielt diese Einstellung bei jedem Spielzug aufrecht.

Erst als ich in der Offensive war und der Puck an der Bande landete, hörte ich diese Stimme wieder. Zum ersten Mal in meinem Leben verspürte ich echte Angst. Sie weckte mich auf. Mein ganzer Körper war fast unerträglich aufmerksam. Ein kurzer Moment. Es blieben kaum zwei Sekunden zwischen dem Leben, wie ich es kannte, und der Katastrophe.

Ich hatte gehört, dass sich in den schlimmsten Augenblicken angeblich alles verlangsamte. Bei mir war das nicht der Fall.

In der einen Sekunde kämpfte ich um den Puck und hatte meine Schulter fest gegen die Bande gedrückt, um mich zu schützen. Und in der nächsten … Der erste Aufprall ließ mich herumwirbeln. Der zweite, ein Verteidiger, der mit Vollgas auf mich zustürmte – eine knapp zwei Meter große, hundert Kilo schwere Wand aus Muskeln –, rammte mich mit voller Wucht.

Mein Schädel knallte gegen das Plexiglas. In meinem Kopf explodierte eine Bombe. Und dieses Flüstern? Nun war es ein lautes Schreien, das nur eine einzige Sache verkündete: Das Spiel ist vorbei.

Dann gingen sämtliche Lichter aus.

Emma

Das Leben war gut. Durfte ich das sagen? Manchmal war ich mir nicht sicher, ob ich das sollte. So als könnte die Bestätigung, dass ich glücklich war und alles, was ich mir je gewünscht hatte, nach und nach in Erfüllung ging, einen Fluch über mich bringen. Aber verdammt noch mal: Das Leben war gut.

Jahrelang hatte ich mich abgerackert, um es als Schauspielerin zu etwas zu bringen. Gott, diese eine Rolle in diesem Werbespot, in dem ich eine Frau mit Durchfall spielen musste – so verzweifelt war ich. Versucht mal, das bei einer Verabredung beiläufig zu erwähnen, und schaut dann, was passiert. Nun hatte ich endlich eine Hauptrolle in einer angesagten Fernsehserie ergattert. Dark Castle. Die Fans waren ganz verrückt danach. Und mit dieser Rolle wurde ich schlagartig berühmt.

Wie gern ich mich an das erste Treffen mit der kompletten Besetzung zurückerinnerte. Die meisten von uns waren unbekannte Neulinge gewesen – so eifrig und aufgeregt, dabei zu sein. Unsere Regisseurin, Jess, hatte sich umgeschaut. Ihr Blick war ernst gewesen, aber in ihren Augen hatte auch ein Schimmer von … etwas gelegen. Tja, ich wollte es nicht »Stolz« nennen, weil sie uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannte, aber »warmherziges Verständnis« war vielleicht ein geeigneter Ausdruck. Und sie warnte uns.

»Nutzt die Zeit, bevor wir auf Sendung gehen, und geht aus. Tut all die Dinge, die euch Spaß machen. Denn wenn die Welt diese Serie gesehen hat, werden eure Leben nicht mehr dieselben sein. Privatsphäre wird für euch nicht mehr existieren. Wann immer ihr euch in der Öffentlichkeit blicken lasst, wird es jemand bemerken.«

Mein Filmpartner, Macon Saint, hatte angesichts dieser Warnung geschnaubt. »Nur gut, dass ich ein Eremit bin.«

Der Mann sah auf barbarische Weise absolut umwerfend aus – was vermutlich der Grund dafür war, dass man die Rolle des Kriegerkönigs Arasmus mit ihm besetzt hatte –, aber die unnahbare Kälte in seinen Augen sorgte dafür, dass ich ihm glaubte.

Dann hatte er sich verliebt. Und der mürrische Griesgram Macon Saint hatte sich verwandelt. Nun lächelte er jeden an und lachte regelmäßig, als könnte er sein Glück einfach nicht für sich behalten. Es war gleichermaßen liebenswert und nervtötend.

Nervtötend war es vor allem deshalb, weil ich keine Ahnung hatte, wie sich diese Art von überdrehter »Ich bin ganz verrückt nach meinem Partner, mit dem ich regelmäßig schlafe, und es ist absolut spektakulär«-Beziehung anfühlte. Ich wollte es wissen. Glaubt mir, das wollte ich. Aber bislang hatte sich mir diese Erfahrung entzogen.

Jess hatte recht behalten: Unsere Leben veränderten sich dramatisch. Privatsphäre wurde kostbar, etwas, das ich nur noch mit Vorausplanung und ein wenig Glück erreichen konnte. Hin und wieder konnte ich noch ausgehen, aber es gab keine Garantie, dass man mich in Ruhe lassen und mich nicht fotografieren würde.

Andererseits vergötterten mich die Fans, und oft baten mich niedliche Kinder um ein Foto, was ein bisschen seltsam war, wenn man bedachte, was in Dark Castle so alles passierte. Aber ich ging davon aus, dass sie der Prinzessinnenaspekt meiner Rolle als Prinzessin Anya mehr interessierte als der Sex und die Enthauptungen.

Weniger niedlich waren die gruseligen Typen, die mir gern ein wenig zu nah kamen, während sie nach einem Selfie mit mir fragten. Ich hatte gelernt, dass ich ihnen zuvorkommen und meine Hand auf ihre Schultern legen musste, bevor sie es tun konnten, damit ich sie weit genug von mir weg positionieren und »versehentliches« Betatschen verhindern konnte.

Mein Leben veränderte sich auch noch in anderer Hinsicht. Ich lernte Greg kennen, einen total heißen und entspannten Footballspieler, der mich zufälligerweise auch noch verehrte – seine Worte. Greg unterstützte mich, belagerte mich aber nicht und beschwerte sich auch nicht über meine aufreibenden Arbeitszeiten. Seine Arbeitszeiten waren ebenso schlimm wie meine, da er während der Saison oft unterwegs war. Aber wir bekamen es irgendwie hin.

Gegen Ende meines dritten Jahrs bei Dark Castle fühlte ich mich zufrieden und wohl mit meiner Rolle. Prinzessin Anya war unglaublich beliebt. Die Leute fragten entweder Saint oder mich ständig, wann seine Figur, Arasmus, und Anya heiraten würden. Wir hofften, ihnen die Antwort während des Staffelfinales geben zu können. Die Chancen standen gut. Sie hatten die Zitadelle erreicht, und er hatte ihr endlich einen Antrag gemacht.

Nun musste Anya ihn nur noch annehmen, und dann konnte die Hochzeit stattfinden. Das Nervtötende an der Arbeit an Dark Castle war, dass die Produzenten und Autoren sowohl die ersten als auch die letzten Folgen vor ihren Schauspielern geheim hielten, weil sie, was die Geheimhaltung betraf, total paranoid waren, und zwar trotz der Tatsache, dass wir alle Vertraulichkeitsvereinbarungen unterschrieben hatten.

»Bist du bereit hierfür?«, fragte mich Saint, als wir uns mit den Drehbüchern in der Hand an den Tisch setzten.

»So bereit, wie ich es je sein werde, Geliebter.«

Er schnaubte gut gelaunt. Trotz Saints mürrischer Art arbeitete ich wirklich gern mit ihm zusammen. Er war nie egoistisch und versuchte nie, eine Szene an sich zu reißen. Alle meine Schauspielkollegen waren toll. Die Arbeit war fordernd, aber wir alle wuchsen daran und verstanden uns wie eine Familie. Nun ja, eine Familie, die ihr Bestes tat, um sich auf dem Bildschirm gegenseitig abzumurksen.

Sobald alle bereit waren, fingen wir mit der Leseprobe für unsere jeweiligen Rollen an. Erst als wir uns dem Ende des Drehbuchs näherten, wich mir langsam das Blut aus dem Gesicht, und meine Finger wurden eiskalt. Denn mit jeder Seite wurde immer deutlicher, dass Anya in Kürze sterben würde.

Ich saß da und sagte wie betäubt meinen Text auf. Der mitleidigen Blicke meiner Kollegen war ich mir nur allzu bewusst. Ich ließ das Drehbuch seinen Lauf nehmen, bis der letzte Moment eintrat, in dem Anyas und Arasmus’ größter Feind ihr mit einer Axt den Kopf abschlug.

Doch erst nachdem ich den Raum verlassen hatte, um allein in meinem Trailer zu sitzen, den ich in der nächsten Staffel nicht mehr brauchen würde, wurde mir das ganze Ausmaß der Ereignisse klar. Ich war arbeitslos. Das, was mich glücklich machte, existierte nicht länger. Meine Traumrolle war zu Ende.

Ich war tief betrübt, und es gelang mir nur mit Mühe, die Angst vor dem Unbekannten auf Abstand zu halten. In diesem Zustand ging ich nach Hause. Ich hatte vorübergehend eine Wohnung in der kleinen isländischen Stadt gemietet, in der wir drehten. Greg war mit mir dort, weil seine Saison vorbei war und das Trainingslager noch nicht angefangen hatte.

Ich freute mich auf ein ausgiebiges Bad in der winzigen Sitzwanne der Wohnung und danach eine Runde Kuscheln mit Greg. Ich könnte mich an seiner Schulter ausweinen, und er würde mir versichern, dass alles wieder in Ordnung kommen würde.

Nur dass das nicht sein sollte. Ich war so sehr mit meinem Kummer beschäftigt, dass ich die Geräusche, die aus dem Inneren der Wohnung kamen, erst richtig wahrnahm, als ich praktisch über sie stolperte. Und mit »sie« meine ich Greg und die junge Kellnerin, die uns vor zwei Abenden das Essen serviert hatte.

Das war wirklich ein seltsamer Anblick: der nackte Hintern meines Freunds, der zwischen weit gespreizten Schenkeln ruckartig vor- und zurückwippte. Sah er so etwa aus, wenn er auf mir lag? Denn ich muss sagen, dass er recht lächerlich wirkte, während er wie ein wild gewordenes Karnickel rammelte. Andererseits hatte mir diese spezielle Methode, die er anwandte, nie besonders gut gefallen. Ich war nur selten zum Höhepunkt gekommen, wenn er mich wie ein Stück Fleisch bearbeitet hatte. Seine aktuelle Partnerin schien dieses Problem jedoch nicht zu haben. Entweder täuschte sie es vor oder sie liebte es. Aber ihre recht begeisterten Quieklaute der Freude verstummten schlagartig, als sie mich entdeckte und ihr sämtliches Blut aus dem Gesicht wich.

Traurigerweise brauchte Greg ein wenig länger, um zu erkennen, dass sie unter ihm erstarrt war. Greg war schon immer ein etwas egoistischer Liebhaber gewesen. Als er es schließlich bemerkte, war er so lässig wie immer. Er betrachtete mich über seine verschwitzte Schulter hinweg und machte keinerlei Anstalten, von der Frau abzulassen.

Stille legte sich über das Zimmer wie ein Hammerschlag. Oder vielleicht wie ein Axthieb. Warum nicht? Eine Axt konnte heute mehr als eine Sache durchtrennen. Greg schluckte zweimal und ließ den Blick über mich wandern, als könnte er nicht so recht glauben, dass ich dort stand. In meinem eigenen Zuhause.

Als er schließlich sprach, war seine Stimme ein wenig zittrig. »Du bist früh dran.«

Ich hätte so viel sagen können. Vielleicht schreien? Weinen? Aber ich war wie betäubt. Vollkommen betäubt. Also sagte ich das Einzige, was ich über die Lippen bringen konnte. »Witzig, ich habe den Eindruck, dass ich genau rechtzeitig gekommen bin.«

Und einfach so zerfiel das sorgfältig aufgebaute Leben, auf das ich so stolz war, zu Staub.

1. KAPITEL

Lucian

Eine Wahrheit, die ich früh im Leben gelernt hatte, lautete: Die zärtliche Fürsorge einer Frau, die dich liebt, ist die beste Zuflucht, wenn deine Seele leidet. Natürlich war ich nicht davon ausgegangen, dass die Frau, bei der ich Zuflucht suchen würde, meine Großmutter sein würde. Ja, sie liebte mich. Und ja, ihr Haus, Rosemont, war ein ausgezeichneter Zufluchtsort. Aber die traurige Wahrheit war, dass es für mich keinen anderen Platz mehr gab. Meine Verlobte war weg, meine Karriere war beendet, und ich war am Ende.

Was bedeutete, dass ich in Rosemont war. Und offensichtlich tanzte ich dort nach der Pfeife meiner Großmutter. Wenn man mit ihr zusammenwohnte, gab es so etwas wie Privatsphäre nicht. »Einmischung« war zwar nicht ihr zweiter Vorname, hätte es aber sein sollen.

Ihre eigenartige, musikalische Stimme schaffte es, sich über den Lärm meines Hämmerns zu erheben. »Es gibt da diese wundervolle Erfindung namens ›Nagelpistole‹, Titou. Zumindest habe ich mal davon gehört.«

Ich unterdrückte ein Seufzen, legte den Hammer weg und drehte mich zu ihr um. Sie stand unten am Fuß der Leiter, hatte die Hände in die breiten Hüften gestemmt und ein liebevolles, aber leicht vorwurfsvolles Lächeln auf den schmalen roten Lippen.

»Ich mag meinen Hammer.«

Ihre glasgrünen Augen blitzten. »Ein Mann sollte sein Werkzeug nicht so liebgewinnen, dass er den Rest der Welt aussperrt.«

Ich schwöre bei Gott. Das hier war jetzt mein Leben – ich musste die Zähne zusammenbeißen und die sexuellen Anspielungen meiner wenig schuldbewussten Großmutter ertragen.

»Wolltest du irgendetwas von mir, Mamie?«

Da es ihr nicht gelungen war, mir eine Erwiderung zu entlocken, seufzte sie und ließ die Schultern nach unten sacken. Sie trug einen ihrer Seidenkaftane, und wenn sie verärgert mit den Händen herumwedelte, sah sie wie ein kleiner Kopf aus, der oben auf einem flatternden orange-blauen Vorhang steckte.

Ich verkniff mir ein Grinsen. Denn dann wäre sie davongehuscht und für den Rest des Tages eingeschnappt gewesen.

»Erinnerst du dich an Cynthia Maron?«

»Das kann ich nicht unbedingt behaupten.«

»Sie ist eine sehr liebe Freundin von mir. Du bist ihr einmal begegnet, als du fünf warst.«

Das war typisch für Mamie, die jede Gesellschaft wie ein Schmetterling bereicherte und sich perfekt an jeden erinnerte, dem sie je begegnet war. Ich machte mir nicht die Mühe, sie darauf hinzuweisen, dass nicht jeder über dieses Talent verfügte. »Okay.«

Außerdem hatte ich keine Ahnung, worauf sie hinauswollte, aber ich wusste, dass sie irgendwann auf den Punkt kommen würde.

»Cynthia hat eine Enkelin. Emma.« Mamie schnalzte leise mit der Zunge. »Die arme Kleine hat es in letzter Zeit nicht leicht gehabt und braucht dringend ein wenig Erholung.«

»Sie kommt her, nicht wahr?« Das hier war nicht mein Haus. Mamie konnte einladen, wen auch immer sie zu Besuch haben wollte. Aber verdammt – ich war hier, um allem zu entkommen. Das schloss auch Gäste ein.

»Aber natürlich«, schnaubte Mamie. »Wovon sollte ich denn sonst reden?«

Es war kleinlich von mir, mich zu beschweren.

Rosemont war schon immer ein sicherer Hafen für jene gewesen, die einen brauchten. Das gewaltige Anwesen im spanischen kolonialen Revival-Stil, das über zahlreiche Gästehäuser verfügte, lag am Fuß des Santa-Ynez-Gebirges in Montecito. Das gewaltige Grundstück, das ins goldene Licht der kalifornischen Sonne getaucht war und nach betörenden Rosen und frischen Zitronen duftete, bot einen wundervollen Ausblick auf den Pazifik. In Rosemont zu sein bedeutete, dass man von Anmut und Schönheit umgeben war. Für mich war es immer ein Zufluchtsort gewesen. Ein Ort zum Heilen. Im Laufe der Jahre hatten dort andere, auf Mamies Einladung hin, ebenfalls Heilung gefunden.

»Es war nur eine Frage«, murmelte ich und kam mir sofort wie der wütende vierzehnjährige Junge vor, der ich gewesen war, als ich zum ersten Mal hergekommen war, um hier zu leben.

Sie gab ein weiteres verärgertes Schnalzen von sich, fegte mein rüpelhaftes Verhalten dann aber mit einer Handbewegung beiseite. »Sie kommt heute an. Ich dachte mir, dass wir gegen vier Kaffee und Kuchen servieren könnten.«

Ich wusste sofort, wohin das hier führen sollte. Aber ich stellte mich dumm. Zum Teil, weil ein Anflug von Angst über meinen Rücken huschte, und zum Teil, weil es meine Großmutter ärgern würde. Ah, die Spielchen, die wir spielten. Die Erkenntnis, dass es die einzige Art von Spiel war, die ich überhaupt noch spielen konnte, ließ meine Laune schneller sinken als einen Stein, der in einen kalten, dunklen Brunnen fiel.

»In Ordnung.« Ich stieg von der Leiter herunter. »Soll ich aufhören zu arbeiten, während du dein Kaffeekränzchen veranstaltest?«

Ein Schwall gedämpfter französischer Flüche folgte. Dann kniff sie mich schmerzhaft in die Seite, sodass ich beinahe aufschrie.

Mamie zog die Augen zu frostigen grünen Schlitzen zusammen. »Oh, in letzter Zeit stellst du meine Geduld wirklich auf die Probe, Titou.«

Ich wusste, dass ich das tat. Bedauern stieg in mir auf. Ich war wirklich keine angenehme Gesellschaft. Mamie war die Einzige, die mich noch ertragen konnte. Das alles wusste ich. Das Problem bestand darin, dass ich irgendwie nicht in der Lage zu sein schien, mich wieder in den Griff zu bekommen. Mein ganzes Leben war den Bach runtergegangen. An den meisten Tagen musste ich mich enorm zusammenreißen, um nicht zu schreien und zu toben, bis mir die Stimme versagte.

Nur dann zu sprechen, wenn es absolut notwendig war, schien mir die beste und sicherste Lösung zu sein.

Ich konnte meiner Großmutter nicht mal eine Entschuldigung anbieten. Sie steckte als dicker Klumpen mitten in meiner Brust fest.

Wieder seufzte sie. Sie starrte mich mit diesen kühlen grünen Augen an, die genau den gleichen Farbton wie meine hatten. Die Leute sagten oft, dass sie das Gefühl hätten, in einen Spiegel zu starren, wenn sie in die Augen meiner Großmutter schauten, weil sie so abweisend waren, dass sie alles, was auf sie traf, reflektierten. Diese Augen konnten einen Menschen mit einem einzigen Blick in Fetzen schneiden. An dieser Behauptung war durchaus etwas dran, denn jetzt gerade fühlte ich mich zerfetzt.

Für einen kurzen Augenblick liebkoste sie mit ihren kühlen, knorrigen Fingern meine Wange, und ich kämpfte gegen den Drang an zurückzuzucken. Ich konnte es im Moment nicht leiden, wenn mich Menschen anfassten. Kein bisschen.

Sie ließ die Hand sinken und formierte sich sichtlich neu. »Also dann. Ich erwarte von dir, dass du dich uns anschließt.«

»Nein.«

Sie zog ihre perfekt gezupften Augenbrauen hoch. »Nein?«

Ich kam mir vor, als wäre ich zwei Jahre alt. Und genauso bockig. Ich rieb mit einer Hand über mein Gesicht und versuchte es erneut. »Ich würde deinen Gast nur versehentlich beleidigen oder es auf ähnliche für dich peinliche Weise verbocken.«

Das war nicht gelogen. Ich hatte meine Fähigkeit, andere Menschen mit meinem Charme für mich einzunehmen, verloren. Sie war aus mir herausgesickert und nie zurückgekehrt. An manchen Tagen fragte ich mich, was es damit auf sich hatte, wie ich mich so sehr und so schnell hatte verändern können, dass ich mich in meiner eigenen Haut nicht mehr wohlfühlte.

»Ich denke, dass unser Gast in der Lage sein wird, mit Leuten wie dir umzugehen«, sagte Mamie trocken.

Lass dich davon nicht ködern.

»Und warum ist das so?«

Ich ließ mich ködern. Verdammt.

Ihr Lächeln war süffisant und siegessicher. »Es ist Emma Maron. Du hast von ihr gehört, nicht wahr?«

Emma Maron. Der Name tanzte in meinem zutiefst misshandelten Hirn herum. Ich kannte diesen Namen. Aber woher? Emma – ein Bild weit auseinanderstehender großer Rehaugen, die wie indigoblaue Tinte schimmerten, und eines üppigen Schmollmundes tauchte vor meinem geistigen Auge auf. Ein ovales Gesicht, das von weißem Haar mit grellblauen Spitzen eingerahmt wurde.

Die Erkenntnis traf mich wie ein unvorbereiteter Schlag. Prinzessin Anya. Emma Maron war einer der Stars aus Dark Castle. Die zierlich-schöne, aber brutal-grimmige Prinzessin Anya, die an der Seite ihres Geliebten Arasmus, dem Kriegerkönig, Armeen anführte. Okay, ich war ein Fan. Der Serie. In der es mindesten vier Haupthandlungsstränge gab. Trotzdem konnte ich nicht fassen, dass ich so lange gebraucht hatte, um ihren Namen zuzuordnen. Andererseits war mein Gehirn in letzter Zeit zu nichts mehr zu gebrauchen.

»Du hast eine Schauspielerin hierher eingeladen?«

»Ich habe gehört, dass berühmte Leute es vorziehen, ihre Wunden in einer privaten Umgebung zu lecken«, sagte Mamie ungerührt.

Punkt für Mamie.

»Warum muss sie ihre Wunden lecken?« Ich musste die Frage einfach stellen. »Sie ist ein Star der beliebtesten Serie im Kabelfernsehen.«

»Nicht mehr, die arme Kleine. Offenbar wurde sie aus der Serie herausgeschrieben. Irgendein böser Zauberer trennt ihr am Ende der Staffel den Kopf mit einer Axt vom Körper.«

»Scheiße, im Ernst?« Ich war ehrlich schockiert. Anya war unfassbar beliebt. Das Staffelfinale war noch nicht ausgestrahlt worden, aber ich vermutete, dass es einen Aufschrei geben würde, sobald die Leute es sahen.

»Achte auf deine Ausdrucksweise, Titou.«

»Entschuldige, Mamie.« Die Frau hatte ein dreckigeres Mundwerk als ich, wenn sie sauer wurde, aber sie war immer noch meine Großmutter.

»Hmm.« Sie beäugte mich für eine Sekunde. »Ich habe zu viel gesagt. Diese Information ist streng geheim. Sie könnte in Schwierigkeiten geraten, falls das herauskommt.«

»Wem sollte ich es denn erzählen?« Ich deutete vage auf das Grundstück rund um das Anwesen, das vollkommen menschenleer war und aktuell mein ganzes Sozialleben darstellte.

»Ja, das stimmt. Und jetzt verstehst du sicher, warum das hier der perfekte Ort für sie ist. Wir haben hier vollkommene Privatsphäre.«

»Wenn sie Privatsphäre braucht, dann ist das sogar ein noch besserer Grund dafür, dass ich ihr aus dem Weg gehen sollte.«

Zeit mit einer hübschen blonden Schauspielerin zu verbringen war das Letzte, was ich brauchte.

»Ach was.« Sie wedelte mit einer Hand.

»Mamie«, begann ich erschöpft. Ich war die ganze Zeit über so verflucht erschöpft. »Die Antwort lautet Nein. Ich werde keine Kontakte pflegen. Ich werde euch in Ruhe lassen und mit dem Hämmern aufhören, während ihr esst, in Ordnung?«

Wir starrten einander an. Eine Biene summte an uns vorbei, und der Laut vibrierte in meinem Ohr. Ich zuckte nicht zusammen. Was auch immer Mamie in meiner Miene sah, sorgte dafür, dass sie mit einem leichten Kopfschütteln nachgab. »Also gut. Ich werde allein die Gastgeberin spielen. Auch wenn ich ganz sicher keine Ahnung habe, was in aller Welt ich sagen könnte, um eine junge Frau zu unterhalten.«

Meine Großmutter war die schillerndste und lebhafteste Person, der ich je begegnet war. Und das wollte angesichts meines Berufs schon etwas heißen. Schmerz durchbohrte mein Herz. Angesichts meines ehemaligen Berufs.

Ich lehnte mich vor und gab Mamie einen Kuss auf die Wange. »Ich bin mir sicher, dass dir etwas einfallen wird.«

Sie summte – ein langer, gezogener Laut, der besagte, dass ich das Offensichtliche ausgesprochen hatte – und warf mir dann einer ihrer flehenden Blicke zu. »Wir werden Leckereien zum Kaffee brauchen …«

Mamie konnte selbst die Besten manipulieren, aber sie machte es vollkommen offen. Meine Lippen zuckten. »Ich werde mich darum kümmern.«

Ich stellte meinen Fuß gerade wieder auf die untere Sprosse der Leiter, als sie ihren letzten Angriff startete.

»Oh, und du musst Emma vom Flughafen abholen.«

Und das war der Beweis. Ich wusste ohne jeden Zweifel, dass meine sich einmischende Großmutter die Kupplerin spielte. Wir beide wussten es. Der Unterschied lag darin, dass Mamie tatsächlich dachte, dass sie eine gute Chance auf Erfolg hatte. Wie falsch sie damit doch lag. Sie könnte mir die perfekteste Frau der Welt vor die Nase setzen, und es würde keine Rolle spielen. Nicht mehr.

»Mamie …«

»Ihr Flugzeug landet um zehn …«

»Nein.«

»Also musst du schon bald los.«

»Mamie …«

Grünes Feuer blitzte in ihren Augen auf. »Fordere meine Geduld nicht noch weiter heraus, Lucian. Ich habe Emma bereits versprochen, dass sie jemand abholen wird. Du wirst fahren.«

Wenn meine Großmutter auf diese Weise sprach, gehorchte man. Da gab es keine Ausnahmen.

»In Ordnung, Mamie. Ich werde fahren.«

Das zufriedene Schimmern in ihren Augen entging mir durchaus nicht. »Gut. Sie landet in Oxnard.«

»Oxnard«, rief ich beinahe. »Warum zum Teufel ist sie nicht nach Santa Barbara geflogen?«

Sie zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. »Dort findet irgendeine Art von Gewerkschaftsstreik statt, und die Fluglinie hat die Flüge umgeleitet.«

»Toll.« Oxnard war eine Stunde entfernt, und das auch nur, wenn der Verkehr mitspielte. Was er nie tat.

»Du bist ein Held, mon ange.«

Ja. Klar. Ein Held.

Ich sagte kein Wort, sondern räumte einfach nur meine Werkzeuge zusammen. Lass sie denken, dass sie gewonnen hat. Ich würde Prinzessin Emma vom Flughafen abholen. Ich würde so höflich wie möglich sein, und dann würde ich mich verdammt noch mal von ihr fernhalten. Und meine Großmutter würde einfach mit der Enttäuschung leben müssen.

Emma

Der Kerl an der Gepäckausgabe fiel mir sofort auf. Hauptsächlich deswegen, weil er umwerfend war. Auf diese arrogante Art und Weise. Es gab zwei Typen von umwerfenden Männern. Den makellosen Schönling, von dem man ein Foto machen wollte, damit man es sich an die Wand hängen und bewundern konnte.

Und den wilden Kerl, der sexuelle Energie ausstrahlte, sodass man weiche Knie bekam und einem ganz flau im Magen wurde. Eben der arrogante Typ. Und dieser Kerl dort hatte eine Menge Arroganz zu bieten.

Sie lag allein schon in seinem lässigen, selbstbewussten Gang, als er in meine Richtung kam. Ich beobachtete, wie er sich mir näherte, und konnte einfach nicht so tun, als würde ich ihn nicht bemerken. Wie hätte er mir nicht auffallen können? Er war mindestens eins neunzig groß und hatte breite Schultern, schmale Hüften, einen flachen Bauch sowie muskulöse Oberschenkel. Sein tintenschwarzes Haar bildete einen Kontrast zu seiner olivfarbenen Haut und fiel ihm unordentlich und zerzaust in die Stirn.

Er war immer noch zu weit entfernt, als dass ich die Farbe seiner Augen hätte erkennen können, aber ich konnte sehen, dass sie hell waren und unter strengen dunklen Brauen saßen, von wo aus sie mich anstarrten.

Du meine Güte.

Eine weitere Welle der Anziehung rauschte durch meinen Körper. Sie war so stark, dass ich mir beinahe eine Hand auf den Bauch presste, um mich zu sammeln. Aber ich fing mich gerade noch rechtzeitig und schüttelte sie ab. Denn egal wie heiß dieser Kerl war, egal wie attraktiv seine selbstsichere Haltung war, jeder Moment, in dem sich mir heutzutage jemand näherte, war ein Grund zur Vorsicht. Seit ich mich damals dazu entschlossen hatte, Schauspiel zu studieren, war ich dem Ruhm nachgejagt. Ich brauchte seinen Schutz und seine Macht, damit ich die Rollen bekommen konnte, die ich haben wollte. Nun, da ich es geschafft hatte, hatte ich Schwierigkeiten mit den Einschränkungen, die der Ruhm mit sich brachte. Ich konnte nicht länger allein draußen rumlaufen, ohne unangenehme Begegnungen mit der Presse oder mit einem Fan zu riskieren, der kein Verständnis für persönliche Grenzen hatte. Als es zum ersten Mal passiert war, war ich vollkommen verängstigt gewesen. Nun war ich einfach nur vorsichtig.

Für einen flüchtigen Augenblick bedauerte ich die Tatsache, dass ich diesmal auf die Personenschützer verzichtet hatte, mit denen ich sonst immer reiste, seit Dark Castle so beliebt geworden war. Aber das ließ sich nun nicht mehr ändern. Ich war auf mich allein gestellt, und er kam definitiv in meine Richtung.

Vielleicht wollte er mich nur nach dem Weg fragen oder so was. Wenn das der Fall war, würde ich ihm nicht weiterhelfen können. Wie Tausende andere Passagiere sollte ich gar nicht hier sein. Mein Flug von Island über San Francisco hätte eigentlich in Santa Barbara landen sollen. Wir wurden nach Oxnard umgeleitet, und an diesem Flughafen herrschte ein regelrechtes Chaos.

Aufgrund der geänderten Ankunft hatte man mir mitgeteilt, dass mein Fahrer mich abholen, sich aber vielleicht ein wenig verspäten würde. Also hatte ich mich in der Nähe einer Sitzreihe positioniert und Ausschau nach jemandem in einer Uniform gehalten, der ein Schild mit der Aufschrift MARIA bei sich trug. Maria war mein Codename, wenn ich reiste. Nicht sehr einfallsreich, aber er erfüllte seinen Zweck.

Hinter dem sicheren Schutzschild, den meine große, weiß umrandete Sonnenbrille darstellte, beobachtete ich, wie der attraktive Kerl immer näher kam.

Er versuchte nicht, mich mit einem Lächeln oder auch nur einem netten Gesichtsausdruck freundlich zu stimmen. Um die Wahrheit zu sagen, wirkte er leicht genervt. Er hatte seine strengen, geraden Augenbrauen dicht zusammengezogen und den Mund fest zusammengepresst. Das tat seiner Attraktivität jedoch keinen Abbruch. Kein bisschen, verdammt.

Wenn überhaupt, lief ich ernsthaft Gefahr, wie ein verknallter Teenager zu kichern, während er auf mich zumarschierte und weit genug entfernt stehen blieb, um höflich zu sein, aber trotzdem nah genug an mich herankam, dass ich weitere Einzelheiten erkennen konnte.

Sein Haar war nicht schwarz, sondern von einem sehr intensiven dunklen Braun. Seine Gesichtszüge waren offen und scharf umrissen – auf eine Art, die ein alter Meisterbildhauer bewundert hätte. Auf der Mitte seines hohen Nasenrückens war eine Beule, so als wäre seine Nase irgendwann mal gebrochen gewesen. In diesem Gesicht lag nicht der kleinste Anflug von Weichheit, abgesehen von seinem Mund, der großzügig war und üppig hätte sein können, wenn er mal damit aufgehört hätte, seine Lippen zu einer grimmigen Linie zusammenzupressen.

Das wirklich Umwerfende an ihm waren jedoch seine Augen. Oh verdammt, seine Augen. Ich starrte sie mit offenem Mund an. Ich konnte einfach nicht anders, sie waren hinreißend. Sie saßen tief unter den wütenden Balken seiner Augenbrauen und wurden von langen, dichten Wimpern eingerahmt. Ihre Farbe war ein unheimliches, eisiges Grün.

Wenn es ums Aussehen ging, war ich eine Spätentwicklerin gewesen. Auf der Highschool hatten mich die Jungs wegen meiner zu großen Augen und meines scharfkantigen dünnen Gesichts »Maus« oder »Kaninchen« genannt. Ich hatte das gehasst und mich deswegen lange in der Gesellschaft von Männern unwohl gefühlt. Aber die Zeit und die Schauspielerei hatten alles verändert.

Ich befand mich ständig in der Nähe umwerfender, charmanter Männer. Das brachte mein Beruf so mit sich. Attraktivität war einfach nur eine weitere Ware. Trotzdem war ich Männern gegenüber anfangs oft blauäugig und naiv gewesen. Aber ich hatte noch nie beim bloßen Anblick eines Mannes weiche Knie bekommen. Keiner von ihnen hatte mich je so sprachlos werden lassen wie dieser Mann mit seinen finster dreinblickenden Augen.

Ich war mir nicht mal sicher, ob mein plötzlicher atemloser Zustand von Anziehung oder bröckelnden Nerven herrührte. Schließlich erlebte man es nicht jeden Tag, dass ein unfassbar umwerfender Typ mit einer so selbstsicheren Ausstrahlung auf einen zukam und einen mit einem Blick anschaute, der besagte, dass er gerade lieber an jedem anderen Ort auf der Welt wäre. Ich hatte wirklich keine Ahnung, was er für ein Problem hatte. Ich war versucht, einen Blick über meine Schulter zu werfen, um sicherzugehen, dass hinter mir kein Kamerateam stand, um diese Begegnung für irgendeine Sendung zu filmen, in der Prominente auf den Arm genommen wurden.

Er kam mir irgendwie seltsam bekannt vor, so als ob ich ihn schon oft gesehen hätte. Aber das konnte nicht stimmen. An einen Kerl mit diesem Aussehen hätte ich mich erinnert. Ich hätte mir im Geiste eine Notiz über ihn gemacht und sie zweimal unterstrichen.

Und dann wurde es noch viel schlimmer. Weil er sprach. Und verdammt noch mal, hatte dieser Mann eine Stimme. Ich spürte diese Stimme tief in meiner Kehle und bekam sofort noch weichere Knie.

»Sind Sie Emma Maron?«

Ich ließ diese tiefe, grollende Stimme über mich hinwegrollen und genoss die reine Freude, ihr einfach nur zu lauschen, bevor mir klar wurde, was er gerade gesagt hatte. Er wusste, wer ich war.

Ein Fan.

Enttäuschung stieg in mir auf. Ich hatte die strenge Regel, mich niemals auf Dates mit Fans einzulassen. Das wäre einfach zu seltsam und … Warum zum Teufel dachte ich überhaupt an Dates? Ich war nicht hier, um jemanden kennenzulernen. Ich war hier, um mich zu erholen, ein paar Bücher zu lesen, vielleicht den ganzen Tag zu schlafen und in aller Abgeschiedenheit meine Wunden zu lecken. Und dieser Mann hatte mir schließlich nur eine Frage gestellt.

Und er wartete auf eine Antwort. Offenbar sehr ungeduldig, denn er musterte mich, als wäre ich ein kniffliges Problem, das er lösen musste. Was keinen Sinn ergab, denn er war schließlich auf mich zugekommen.

Er verlagerte sein Gewicht. Seine langen, festen Muskeln bewegten sich unter seinen abgetragenen Jeans. Ich brachte einen Hitzeschub unter Kontrolle und konzentrierte mich. Vielleicht genierte sich dieser Kerl. Ja, das musste es sein.

Ich schenkte ihm mein öffentliches Lächeln. Höflich. Freundlich, aber nicht zu freundlich. »Ja, ich bin Emma.«

Sein Nicken war flüchtig, und er schickte sich an, sein Handy hervorzuholen. »Ich …«

Oh verflucht. Er wollte ein Foto. Das passierte in letzter Zeit ständig, und normalerweise ließ ich mich gerne darauf ein. Allerdings hatte ich gerade einen dreizehnstündigen Flug hinter mir und war zerzaust und müde. Sogar mein Haar schmerzte. Und was noch wichtiger war: Es würde Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Aufmerksamkeit, mit der ich allein nicht umgehen konnte, wenn mich viele Leute bedrängten. Ich hatte diese Art von Erfahrung schon einmal durchgemacht und hatte furchtbare Angst davor, dass sich dieses Erlebnis wiederholen könnte.

»Ich fürchte, dass ich außerhalb von organisierten Veranstaltungen nicht für Selfies posiere«, sagte ich schnell, bevor seine Bitte die ganze Situation noch unangenehmer machen konnte. »Aber ich gebe Ihnen gern ein Autogramm, falls Sie einen Stift dabeihaben.«

Meine Worte ließen ihn mitten in der Bewegung erstarren. Er war immer noch damit beschäftigt, das Handy aus seiner Hosentasche zu ziehen. Doch dann blinzelte er, und der Geist eines verwirrten Lächelns blitzte in den Mundwinkeln seiner wohlgeformten Lippen auf. »Sie denken, dass ich ein Autogramm von Ihnen will?«

Ein scharfes Prickeln blanken Entsetzens explodierte auf meiner Haut.

»Ich … äh …« Mist. »Nein?«

»Nein.« Er zog sein Handy hervor und schaltete es ein. »Ich bin hier, um Sie abzuholen. Für Amalie Osmond.« Es gelang ihm nicht ganz, dieses winzige arrogante Lächeln zu verbergen, als er mir das Handy reichte. »Ich wollte Ihnen nur die Bestätigungsmail zeigen.«

Oh Gott, bitte mach, dass sich der Boden unter mir auftut und mich verschlingt, damit ich einfach verschwinden kann. »Das … Es tut mir leid. Ich ging davon aus …«

»Das dachte ich mir.«

Vielleicht bildete ich mir das amüsierte Schimmern in diesen frostgrünen Augen nur ein, denn der Rest seiner Züge blieb hart wie Granit. Was mich noch nervöser machte.

»Es ist nur … wenn Leute heutzutage auf mich zukommen, wollen sie normalerweise ein Autogramm oder ein Foto.«

»Das verstehe ich.« Seine Mundwinkel zuckten. Einmal. »Das kommt vor.«

Ich konnte mit Gewissheit sagen, dass dieses spezielle Szenario mir so noch nie passiert war. Zum ersten Mal seit Jahren fühlte ich mich wieder wie das ungelenke, schüchterne Mädchen, das ich so lange gewesen war. Dabei hatte ich so lange darum gekämpft, diese Identität hinter mir zu lassen. Nun hatte ich eine Wahl. Ich konnte entweder der Verlegenheit nachgeben und mich zurückziehen oder all meinen Mut zusammennehmen und ein bisschen Spaß haben. Ich riss mich zusammen und rang mir ein Lächeln ab, von dem ich hoffte, dass es kess wirkte. »Sie haben ja keine Ahnung.«

Seltsamerweise brummte er, so als würde es ihm schwerfallen, sich einen Kommentar zu verkneifen. Eine unangenehme Pause pulsierte zwischen uns. Dann kam mir ein Gedanke, und ich stellte mich ein wenig aufrechter hin. »Moment. Sie haben nicht den richtigen Namen benutzt.«

Er zog gebieterisch die Augenbrauen hoch. Ich war mir sicher, dass ihm diese Geste schon oft dabei geholfen hatte, seinen Willen zu bekommen. Heute nicht, Freundchen. Ich erwiderte den Blick mit gleicher Intensität.

Er senkte die Augenbrauen ein kleines Stück, und sein Mund zuckte definitiv. »Also … sind Sie nicht Emma Maron?«

Sehr witzig.

Ich zog die Brauen zusammen. »Es gibt einen speziellen Codenamen, den meine Fahrer benutzen, wenn sie mich abholen.«

Es gefiel ihm eindeutig nicht, als »mein Fahrer« bezeichnet zu werden. Aber wie sollte ich es sonst erklären? Technisch gesehen war er meine Mitfahrgelegenheit. Oder vielleicht auch nicht. »Das ist eine einfache Sicherheitsmaßnahme.«

Die Härte um seine Augen herum ließ ein wenig nach. »Sie haben recht. Sicherheit ist wichtig.« Er richtete den Blick nach innen, während er sich mit offensichtlicher Nervosität den Nacken rieb. »Mist … ich erinnere mich nicht an irgendeinen … ah! Richtig.« Seine wintergrünen Augen fixierten mich mit einem triumphierenden Blick. »Maria.«

Erleichterung durchflutete mich. Ich wollte nicht, dass dieser Kerl ein potenzieller Stalker oder Mörder oder was auch immer war. Die Wahrheit war, dass ich es schön gefunden hätte, mir um nichts davon Gedanken machen zu müssen. Ja, ich liebte die Schauspielerei und die Tatsache, dass ich es so weit gebracht hatte, aber es gab Zeiten, in denen ich mir nichts sehnlicher wünschte, als diese Haut abstreifen und einfach wieder mein unscheinbares altes Ich sein zu können, das niemand kannte oder bemerkte.

Nun, da er meinen Test bestanden hatte, richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Gepäckförderband und blickte wieder finster drein. »Haben Sie Gepäck dabei?«

»Ich gehe mal davon aus, dass das eine rhetorische Frage war.«

Er zog eine Augenbraue hoch, verzog aber ansonsten keine Miene.

Schwieriges Publikum.

»Okay …« Ich atmete aus. »Ähm, tut mir leid, aber wie heißen Sie?«

Mr Grüblerisch blinzelte, so als wäre er schockiert, dass er vergessen hatte, mir seinen Namen zu nennen. »Ich bin … Lucian.«

»Sind Sie sich da sicher?« Okay, ich konnte einfach nicht anders. Er war so ernst, und zu sehen, wie seine mürrische Fassade an den Rändern ein wenig bröckelte, verschaffte mir einen seltsamen kleinen Nervenkitzel.

Lucian zog ruckartig die dunklen Augenbrauen zusammen. »Denken Sie, dass ich nicht wüsste, wie mein eigener Name lautet?«

»Sie haben gezögert.«

Lucian brummte und stemmte die großen Hände in seine schmalen Hüften.

»Und ich weiß nicht … Sie sehen nicht aus wie ein Lucian.«

»Ernsthaft?«

Irgendwie machte es Spaß, ihn zu necken. Er war so ein leichtes Opfer.

»Jemand, der Lucian heißt, trägt weiße Leinenanzüge und Slipper. Er bietet anderen Leuten einen Mint Julep an und verkauft ihnen dann einen antiken Garderobenschrank.«

»Dieser Typ klingt zum Totlachen. Aber dann verraten Sie mir doch mal, wie mein Name lauten sollte?«

»Sie sind eher ein Brick. Ein mürrischer ehemaliger Spitzensportler mit einem gewaltigen Komplex, der sich vor der Welt versteckt und seinen Schmerz im Alkohol ertränkt.«

Er blinzelte erneut und zuckte kaum merklich mit dem Kopf, so als hätte ich mit diesem Satz einen direkten Treffer gelandet.

Andererseits war das vielleicht nur meine Einbildung, denn er warf mir bloß einen weiteren ausdruckslosen Blick zu, und diese wundervolle, samtweiche Stimme erklang auf die gleiche gedehnte und überhebliche Art. »Ich würde wirklich gerne mehr über diese Wiederaufführung von Die Katze auf dem heißen Blechdach hören, die Sie geplant haben, Maggie, aber da kommt gerade das Gepäck an.«

Meine Wangen wurden heiß. Gott, er hatte mich durchschaut. Wenn ich nervös wurde, neigte ich dazu, mir die Welt als ein Theaterstück oder einen Film vorzustellen. Ich hatte die Verfilmung von Die Katze auf dem heißen Blechdach seit einer Weile nicht mehr gesehen, aber Lucian hatte wirklich etwas von diesem mürrischen und doch so attraktiven Verhalten, das Paul Newman darin an den Tag legt. Wer konnte einer Frau einen Vorwurf daraus machen, dass sie unter diesen Umständen ein wenig abgelenkt war?

»Klar.« Ich unterdrückte ein Seufzen und ging auf das Gepäckförderband zu. Er blieb an meiner Seite, und seine gleichmäßigen Schritte passten sich an meine schnelleren an. Ich würde ihn eindeutig nicht abhängen können, also ging ich langsamer, und meine Absätze klapperten auf dem glänzenden Linoleum.

»Welche Koffer sind Ihre?«

»Oh, ich kann das schon …« Sein beharrlicher Blick ließ mich mit einem Seufzen verstummen. »Die Aluminiumkoffer von Fendi mit den roten Gurten.«

Ohne ein Wort drehte sich Lucian – und er war wirklich viel zu groß und brummig, um ein Lucian zu sein – herum und machte sich daran, meine Koffer von dem Förderband zu hieven. Als er den letzten von ihnen abgestellt hatte, warf er mir einen weiteren Blick zu.

»Sind das alle Ihre Koffer?«, fragte er, als hätte ich eine Aussteuertruhe mitgebracht. Es waren nur vier.

»Sofern ich nicht plötzlich an Amnesie leide, sind das alle, ja.«

»Hmm.«

Zwei Brummlaute und ein »Hmm«. Reizend.

»Ich bin gerne vorbereitet«, fühlte ich mich genötigt zu erklären.

Er warf mir einen listigen Blick von der Seite zu. »Aber Sie hatten keinen Stift griffbereit.«

»Einen Stift?«

»Für dieses Autogramm, das ich wollte.«

Verflucht.

»Wenn Sie jemanden um ein Autogramm bitten wollen, Brick, dann sollten Sie mit einem Stift in der Hand an diese Person herantreten.«

»Das werde ich mir merken.«

Tja, das würde eine lustige Fahrt werden.

2. KAPITEL

Lucian

War ja klar, dass Emma Maron in natura noch schöner und eindrucksvoller sein würde. Obwohl ihr Haar jetzt honiggold statt weiß und blau war, hatte ich sie sofort erkannt und mich umgehend zu ihr hingezogen gefühlt. Vor einem Jahr hätte ich gleich von Anfang an meinen Charme spielen lassen und bereits geplant, sie in mein Bett zu locken. Ich wäre äußerst erfreut darüber gewesen, dass Mamie sie mir vor die Nase gesetzt hatte. Nun ja, das alles wäre der Fall gewesen, wenn ich damals nicht verlobt gewesen wäre. Die Tatsache, dass ich komplett vergessen hatte, dass ich überhaupt mal verlobt gewesen war, war beunruhigend.

Diese Frau war eine wandelnde Ablenkung. In letzter Zeit kam ich nicht gut mit Ablenkungen zurecht. Vor allem nicht mit solchen, die auf zuckersüße Art lächelten und über das Selbstvertrauen eines erstklassigen Scharfschützen verfügten – der Himmel wusste, dass ihre verbalen Schüsse perfekt gezielt waren. Diese Kombination hätte nicht sexy sein sollen. Aber das war sie.

Mein ganzer Körper stand unter Spannung, als ich die Beifahrertür meines Pick-up-Trucks öffnete und darauf wartete, dass sie einstieg. Für eine kurze Sekunde hielt sie inne und sah mich mit diesen großen indigoblauen Augen an, als würde sie darauf warten, dass ich ihre Hand ergriff und ihr mit vollem Körpereinsatz ins Auto half. Sofort wurde die Anspannung in mir zu einem ausgewachsenen Krampf.

Ich wollte sie nicht anrühren. Es fühlte sich gefährlich an. Wie ein linkischer Junge fürchtete ich mich vor Körperkontakt mit dieser Frau, so als könnte er mich so sehr verwirren, dass ich ihrer fröhlichen Überschwänglichkeit sogar noch dämlichere Erwiderungen entgegenschleudern würde als ohnehin schon.

Doch dann ließ sie einfach nur ein kurzes, atemberaubendes Lächeln aufblitzen und sprang mit überraschender Leichtigkeit in den Wagen. Mit einem erleichterten Seufzen schloss ich die Tür. Aber diese Erleichterung währte nur kurz. Die Fahrt dauerte über eine Stunde. Ich saß für mehr als eine Stunde mit der beliebtesten Barbarenprinzessin der Welt im beengten Führerhaus eines Autos fest.

Nicht dass sie so aussah, als hätte sie genug Kraft, um einen Marienkäfer zu verletzen. Natürlich verfügte sie in Dark Castle über magische Fähigkeiten und konnte glücklosen Seelen die Gesichter vom Schädel schmelzen. Fiktion oder nicht, diese Vorstellung sorgte dafür, dass man sich in ihrer Nähe lieber vorsichtig bewegte.

Ich drehte meinen Hals, um einen Muskelkrampf zu lösen, und stieg in den Truck. Und sofort traf mich ihr Duft. Sie saß seit gerade mal fünf Sekunden in dem verdammten Fahrzeug, und schon war das ganze Ding von ihrem Geruch durchzogen: satt und süß wie pochierte Birnen in Crème Anglaise. Nein, denk nicht an Creme für Gebäckfüllungen. Oder daran, sie aufzulecken.

Meine Reaktion auf sie war verflucht beunruhigend. Ein Jahr lang hatte ich nicht mal einen Funken sexuellen Verlangens verspürt und mich zu niemandem hingezogen gefühlt. Ich hatte es nicht mal vermisst – was ebenfalls Anlass zur Besorgnis gab. Doch ich hatte mich mit meinem teilnahmslosen Zustand abgefunden. Und nun hatte Emma Maron meinen Körper ebenso effektiv zum Leben erweckt, als hätte sie einen Stecker in eine Steckdose geschoben. Und das gefiel mir nicht.

»Also, wie weit ist es bis zum Haus?«, fragte sie, als ich den Truck anließ.

Zu weit. Die Fahrt dauerte ewig.

»Etwa eine Stunde.«

Die kleine Sorgenfalte, die auf ihrer Stirn erschien, entging mir nicht. Aber sie glättete sie schnell wieder und lehnte sich zurück. Wir schafften es immerhin aus dem Flughafen heraus, bevor sie die Stille brach. »Das wird ein Spaß.«

Der trockene Sarkasmus löste in mir den ungewohnten Drang zu lächeln aus. Ich schluckte ihn hinunter. »Oh, definitiv.«

»Was für ein Wort benutzten Sie vorhin noch gleich?« Sie verzog die üppigen Lippen zu einem verschmitzten Lächeln. »Zum Totlachen, war es das?«

»Zum Totlachen und zum Brüllen komisch«, erwiderte ich trocken und brachte sie damit zum Lachen. Herrgott, ihr Lachen. Es war rauchig und unbeschwert. Ein Schlafzimmerlachen. Ich rutschte auf meinem Sitz herum und konzentrierte mich auf die Straße.

Aber ich konnte mich einfach nicht davon abhalten, einen Blick in ihre Richtung zu werfen. Das war ein Fehler.

Gott, sie war umwerfend. Rein und makellos schön. Von den gerundeten Kuppen ihrer Wangen bis hin zur elegant geschwungenen Kieferpartie hatte sie die Art von Gesicht, die Bildhauer in Marmor verewigten und der Rest von uns über Jahrhunderte hinweg anstarrte.

Natürlich war sie schön. Sie war Schauspielerin. Sie war dazu bestimmt, auf dem Bildschirm angehimmelt zu werden. Emma Maron, auch bekannt als Prinzessin Anya, die zukünftige Königin und Eroberin in Dark Castle. Die Jungs und ich hatten die Serie immer geschaut, wenn wir zwischen den Spielen unterwegs gewesen waren. Anya war eine enorm beliebte Figur. Vor allem seit …

Ich hatte ihre Brüste gesehen. Die Erkenntnis traf mich wie ein Puck gegen den Helm, und meine Ohren klingelten. Ich hatte diese perfekten cremefarbenen Brüste gesehen, die je eine gute Handvoll ergaben und mit süßen, rosigen Spitzen versehen waren, die sich keck nach oben reckten, der Schwerkraft zu trotzen schienen und darum bettelten, dass man an ihnen saugte. Ich hatte sie auf Händen und Knien gesehen, und ihre Brüste waren auf- und abgewippt, während Arasmus sie von hinten genommen hatte.

Ich errötete tatsächlich. Ich. Der Kerl, dem sich seit der Highschool jeden Abend Dutzende von Frauen an den Hals geworfen hatten. Ich hatte schon so oft und auf so viele verschiedene Arten Sex gehabt, dass alles zu einer verschwommenen Erinnerung zusammengeflossen war. Nichts konnte mich in Verlegenheit bringen oder war mir peinlich. Und doch wurde mir unter dem Kragen meines Hemds langsam warm, und meine Wagen brannten. Nachdem ich fast ein Jahr lang keinerlei Interesse an jeglichen sexuellen Dingen gehabt hatte, beschloss mein Schwanz nun, seine Anwesenheit zu verkünden, indem er sich erhob. Ausgerechnet jetzt. Jetzt, da ich in diesem verdammten Truck festsaß und weniger als einen Meter von einer Frau entfernt war, bekam ich endlich einen verdammten Ständer. Wundervoll.

Ich kam mir wie ein verfluchter Lustmolch vor.

»Wenigstens ist es eine schöne Strecke«, sagte sie und riss mich damit aus meinen hitzigen Gedanken an cremefarbene Brüste mit zuckerwattepinken Brustwarzen.

»Hmm«, war alles, was ich hervorbrachte.

Aber sie hatte recht. Wir würden eine ganze Weile an der Küste entlangfahren, und obwohl manche Leute, die hier lebten, den Pazifik irgendwann nicht mehr beachteten, bezweifelte ich, dass es Emma Maron so ergehen würde. Was gut war. Sie konnte sich auf die Aussicht konzentrieren, und ich würde mich aufs Fahren konzentrieren. Anstatt auf sie. Nicht dass sie mir das leicht machte. Sie verstand mein Schweigen nicht als Hinweis.

»Nehmen Sie es mir nicht übel …«

»Was bedeutet, dass Sie jetzt etwas sagen werden, das ich Ihnen übel nehmen werde«, fiel ich ihr trocken ins Wort.

»Aber Sie wirken nicht wie der typische Chauffeur«, beendete sie ihren Satz mit einem amüsierten Tonfall.

»Ich dachte, dass ich der mürrische ehemalige Sportler wäre, der seinen Schmerz gerne im Alkohol ertränkt.« Obwohl ich einfach nur mit ihrer vorherigen Beobachtung konterte, zog sich tief in meinem Magen etwas auf unangenehme Weise zusammen. Mit dieser Aussage hatte sie den Nagel viel zu sehr auf den Kopf getroffen. Ich trank nicht. Aber der Rest stimmte.

Ihr sanftes Schnauben lenkte mich ab. »Tja, ich kann mir kaum vorstellen, dass der gute alte Brick anbieten würde, irgendjemanden vom Flughafen abzuholen. Vor allem dann nicht, wenn dieser Flughafen eine Stunde mit dem Auto entfernt ist.«

Da hatte sie mich erwischt. Ich umklammerte das Lenkrad ein wenig fester. »Amalie ist meine Großmutter.«

»Ah.« In dieser einen Silbe lag eine ganze Welt des Begreifens. Sie schaute aus dem Fenster, bevor sie weitersprach. »Ich bin ihr nie begegnet.«

»Und doch sind Sie jetzt hier, um sie zu besuchen?«

Sie lächelte ironisch. »Seltsam, nicht wahr?«

»Ich werde nicht über Sie urteilen.«

Das entlockte ihr ein Schnauben, aber es klang gutmütig. Ich riskierte einen kurzen Blick in ihre Richtung, und unsere Blicke trafen sich. Wir teilten ein kleines Lächeln, so als wollten wir sagen, dass wir beide Schwachsinn redeten. Doch dann zuckte sie mit den Schultern.

»Ich … mache gerade eine schwere Zeit durch und hab meine eigene Großmutter angerufen. Sie hat mir von diesem wundervollen Anwesen namens Rosemont erzählt und ihrer äußerst charmanten Freundin, der es gehört.« Emma warf mir einen schüchternen Blick zu, bevor sie fortfuhr. »Sie sagte, dass es der perfekte Ort für mich sei, um mich zu verstecken und wieder zu mir selbst zu finden.«

Daraufhin zog sie die Schultern hoch, als würde sie sich innerlich auf meinen Hohn vorbereiten. Den würde sie von mir jedoch nicht bekommen. Die Tatsache, dass sie sich gerade zur Zielscheibe für den möglichen Spott eines vollkommen Fremden gemacht hatte, rief in mir einen unerwarteten Beschützerinstinkt hervor. Also gab ich ihr im Gegenzug etwas von mir.

»Meine Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als ich vierzehn war.« Sofort wollte sie mir mitfühlende Worte anbieten, doch ich winkte ab. »Amalie wurde für mich gleichzeitig Großmutter und Mutter. Ihr zweiter Ehemann, Frank, hatte gerade Rosemont gekauft. Also lebten wir während des Schuljahrs dort. Es ist ein guter Ort, um …«

Zu heilen. Zu trauern.

Ich umklammerte das Lenkrad und gab mir einen Moment Zeit, um die Erinnerungen an dieses verlorene, wütende Kind zu verdrängen, das ich einst gewesen war. Sie kamen trotzdem. »Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass es eine Art magischer Ort ist …« Klar, deswegen bist du auch dorthin gerannt, sobald du konntest. »Aber es ist ein schönes und abgeschiedenes Anwesen. Und Amalie wird sich definitiv um Sie kümmern.«

Dieser Gedanke im Besonderen machte mich froh und löste gleichzeitig Unbehagen in mir aus. Emma sollte jemanden haben, der sich um sie kümmerte. Aber warum musste es ausgerechnet hier sein, wo ich ihr nicht entkommen konnte? Schon jetzt hatte ich in wenigen Minuten mehr mit dieser Frau geredet als seit Monaten mit irgendjemandem sonst.

Zum Glück nickte Emma einfach nur und schaute nachdenklich aus dem Fenster auf die Gebirgskette, die an uns vorbeizog.

»Ich helfe ihr dabei, das Anwesen auf Vordermann zu bringen«, fühlte ich mich genötigt zu sagen, allerdings hatte ich keine Ahnung, warum ich diesen Drang verspürte. Sie musste das nicht wissen. Und trotzdem wollte mein Mund keine Ruhe geben. »Hauptsächlich die Gästehäuser. Sie sind im Laufe der Jahre ein wenig heruntergekommen. Ihres ist allerdings gerade frisch renoviert.«

Halt die Klappe, Oz, du Idiot.

»Daran habe ich nie gezweifelt«, murmelte sie.

Gnädige Stille senkte sich über uns. Für etwa zehn Sekunden.

»Sie sind also Bauunternehmer?«

Ein Teil von mir wollte lachen. Ein Teil von mir wollte in die Leere hineinheulen. Das war aus mir geworden. Einem Mann, der einst Fans gehabt hatte, die ihn bewundert und nach einem Spiel in Scharen vor dem Stadion herumgelungert hatten, weil sie hofften, ein Autogramm von ihm zu ergattern. Einem Mann, von dem die Eishockeywelt erwartet hatte, dass er seiner Mannschaft einen weiteren Stanley-Cup-Sieg einbringen würde. Und nun war dieser Mann nicht mehr als ein Kerl, der für seine Großmutter arbeitete und eine berühmte Schauspielerin durch die Gegend kutschierte, die keine Ahnung hatte, wer er war.

Nicht dass ich erwartet hätte, dass sie ein großer Eishockeyfan wäre. Aber sie schien mich nicht mal ansatzweise zu erkennen. Ich hatte schon internationale Werbekampagnen für Energydrinks, einen Uhrenhersteller, Sportwagen und Fitnessriegel gemacht. Verdammt, vermutlich verbrachte sie mindestens einen Teil des Jahres in Los Angeles. Eine fünfzehn Meter hohe Plakatwand, auf der ich meinen Schläger in der Hand hielt und nicht viel mehr als enge rote Retroboxershorts und ein Lächeln trug, hing sowohl über dem Sunset Boulevard als auch über Los Feliz.

Der Gedanke an dieses dämliche Billboard, von dem Kopien in Städten auf der ganzen Welt hingen, und die Erinnerung daran, wie sich die Jungs darüber lustig gemacht hatten, dass der Lüsterne Luc seine Kronjuwelen vor aller Welt zur Schau stellte, ließ mich innerlich schaudern.

Vielleicht war es besser, dass sie mich nicht erkannte. Vielleicht hatte ich auf ihre Frage nach meinem Namen deswegen mit Lucian geantwortet. Abgesehen von meinen Eltern hatte mich nie jemand Lucian genannt. Ich war immer Oz oder Luc gewesen.

Neben mir gab die neugierige, kleine Emma einen Laut von sich, ein winziges »Hallo? Erde an Lucian«-Räuspern, um mich daran zu erinnern, dass ich ihre Frage noch nicht beantwortet hatte. War ich Bauunternehmer?

»So was in der Art.«

Ich schaltete das Radio ein. Die Wahrheit war, dass ich absolut nicht den Wunsch verspürte, dass sie mich erkannte. Das würde nur zu Fragen und der unausweichlichen Erkenntnis führen, dass ich die eine Sache, die ich im Leben am meisten liebte, nicht länger tun konnte.