The Things we left unsaid. Unsere Herzen auf dem Spiel - Simona Ahrnstedt - E-Book
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The Things we left unsaid. Unsere Herzen auf dem Spiel E-Book

Simona Ahrnstedt

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Beschreibung

Wie hoch ist der Preis für die große Liebe? Bist du bereit, ihn zu zahlen? Kate Ekberg ist ein Star in Stockholm. Sie hat den Nachtclub Kate's gegründet und sich als toughe Geschäftsfrau in der männerdominierten Branche einen Namen gemacht. Aber niemand weiß, dass ein Erpresser sie in seiner Gewalt hat. Nach außen hin ist Jacob Grim ein zugeknöpfter Bankmanager mit strengem Blick. Seit sich vor zehn Jahren eine Tragödie in seinem Leben ereignete, hat er sich jeglichen Gefühlen versperrt. Und das hat gut funktioniert, bis er Kate begegnet… Die Nachtschwärmerin und der verschlossene Bankier könnten gegensätzlicher nicht sein, aber ihre stürmische Affäre verändert alles. Plötzlich ist das Versprechen auf mehr greifbar nah. Doch dafür müssen sie sich trauen, was ihnen am schwierigsten erscheint: verletzlich zu sein. Lasst euch von der skandinavischen Queen of Romance in Stockholms glitzernde Nachtclubwelt entführen. Für alle, die es aufregend, glamourös und prickelnd mögen. »Hervorragend« Publishers Weekly

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Seitenzahl: 579

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The Things we left unsaid. Unsere Herzen auf dem Spiel

Die Autorin

SIMONA AHRNSTEDT kam 1967 in Prag zur Welt und zog als Kind mit ihren Eltern nach Schweden.Sie arbeitet als Psychologin und Verhaltenstherapeutin. Ihre Romane stürmen in Schweden regelmäßig die Bestsellerlisten – nicht ohne Grund wird sie als die skandinavische Queen of Romance bezeichnet. Simona Ahrnstedt lebt mit zwei Teenies in der Nähe von Stockholm.

Das Buch

WIE HOCH IST DER PREIS FÜR DIE GROSSE LIEBE? BIST DU BEREIT, IHN ZU ZAHLEN?

Kate und Jacob könnten auf den ersten Blick nicht gegensätzlicher sein: Die glamouröse Clubbesitzerin liebt das Leben und gute Partys, während der reservierte Banker ein Einzelgänger ist. Doch beide tragen alte Wunden mit sich, und Kates Existenz wird von einem skrupellosen Erpresser bedroht. Gemeinsam stürzen sie sich in eine leidenschaftliche Affäre, die die Kraft hat, sie zu verbrennen – oder zu retten. Um eine gemeinsame Zukunft zu haben, müssen sie das wagen, was ihnen unmöglich scheint: verletzlich zu sein.

Simona Ahrnstedt

The Things we left unsaid. Unsere Herzen auf dem Spiel

Aus dem Schwedischen von Maike Barth

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Deutsche Erstausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH1. Auflage Dezember 2022© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022© Simona Ahrnstedt 2020Titel der schwedischen Originalausgabe: Nattens Drottning (Forum, Stockholm)Published by agreement with Salomonsson AgencyUmschlaggestaltung: zero-media, MünchenUmschlagmotive: © FinePic®, MünchenFoto der Autorin: © Kate GaborE-Book Konvertierung powered by pepyrus

ISBN 978-3-95818-697-2

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

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Leseprobe: The promises we made. Als wir uns wieder trafen

Social Media

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Cover

Titelseite

Inhalt

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~ 1 ~

Mit einer Hand, die fast gar nicht zitterte, öffnete Kate Ekberg die Tür der Bank im Zentrum Stockholms. Das traditionsreiche Haus hatte Marmorfußböden und hohe Decken, riesige Palmen wuchsen in antiken Töpfen und an den Wänden hingen Ölporträts der Gründer (ausschließlich Männer). So sah es heutzutage eigentlich in keiner Bank mehr aus. Doch hier drinnen schien die Zeit langsamer zu vergehen.

Kate stellte sich gerade hin. Sie hatte ihre Kleidung heute mit besonderer Sorgfalt gewählt, denn sie wollte, nein sie musste, bezaubern und überzeugen. Darum trug sie unter ihrem Wintermantel einen engen weinroten Bleistiftrock und eine auf Figur geschnittene Strickjacke mit V-Ausschnitt in demselben kühlen dunkelroten Ton, der so fantastisch mit ihrem blassen Teint und ihren dunklen Haaren harmonierte. Kate wusste, dass kleine Frauen meist weniger ernst genommen wurden als große, und da sie Pragmatikerin war, löste sie das Problem, indem sie hochhackige Schuhe trug. Ihr Haar glänzte und duftete. Erst heute Morgen war sie beim Friseur gewesen – eine hohe Ausgabe, wenn man bedachte, welche Richtung ihr Fiasko von einem Leben gerade nahm, aber verzweifelte Zeiten erforderten verzweifelte Maßnahmen. Sie schüttelte ihre Hollywoodlocken und sah sich nach ihrem persönlichen Bankberater Noah Antonsson um. Noah war jung und serviceorientiert, und er gab ihr fast alles, worum sie ihn bat, wofür sie gerade heute dankbarer war als je zuvor. Sie hoffte, es würde auch diesmal klappen.

»Hallo«, begrüßte sie die große blonde Frau, die auf sie zukam.

»Noah ist krank«, sagte die mit unverhohlener Schadenfreude. Sie starrte auf Kates Brüste, die von der weinroten Schafwolle vorteilhaft zur Geltung gebracht wurden.

»Kommen Sie ein anderes Mal wieder«, sagte die Frau, riss ihren Blick von Kate los und wendete sich ab. Bestimmt, um irgendeinem Arbeitnehmer oder Kleinsparer den Garaus zu machen, dachte Kate gehässig.

»Ungern«, sagte sie, wobei es ihr nicht gelang, die Panik in ihrer Stimme zu verbergen.

Gerade wollte sie noch etwas hinzufügen – was, das wusste sie noch nicht genau –, als das Smartphone in ihrer Handtasche piepte. Die höhnisch lächelnde oder vielleicht auch nur gestresste Bankangestellte nutzte die Gelegenheit und ließ Kate allein zurück.

Vielleicht hatte Noah sich ja gemeldet, dachte Kate hoffnungsvoll, während sie überlegte, an welche Strohhalme sich eine Frau in ihrer Lage noch klammern konnte.

UW: Wo bleibt mein Geld, du Schlampe?

Auch das noch. Was war das bloß für ein Tag.

Als sie von ihrem Display wieder hochschaute, war sie einen Augenblick lang wie gelähmt. Sie arbeitete ja schon daran, das Geld aufzutreiben. Zumindest versuchte sie es.

Denk nach, Kate, denk nach, ermahnte sie sich selbst. Wenn sie bloß mehr Zeit gehabt hätte. Dann hätte sie eins von den Dingen getan, die ein normaler Mensch in ihrer Situation tat: die Polizei rufen oder vielleicht außer Landes fliehen. Sie ließ ihren Blick über die Schreibtische, Computer und die Angestellten in dunkelblauen und grauen Anzügen schweifen. Einige der Männer lächelten ihr höflich, aber geistesabwesend zu, ehe sie sich wieder ihren Bergen von Dokumenten zuwandten. Ansonsten ignorierte man sie. Sie nahm ihre Handtasche auf den anderen Arm. Sie musste das schaffen. Jetzt.

Mit einem Mal traf sie ein kühler grauer Blick. Von ihm. Kate kannte zwar nicht seinen Namen, aber sie hatte ihn schon bei früheren Gelegenheiten bemerkt. Bestimmt war er hier der Chef. Immer runzelte er die Stirn, als lastete jeder Börsenkrach der Welt auf seinen Schultern, immer war er über irgendetwas gebeugt, das ihm Kopfschmerzen zu bereiten schien. Sie kannte ihn nicht, und sie hatten nie miteinander gesprochen, aber sie fand ihn unsympathisch. Aus keinem besonderen Grund. Außer dass er sie, immer wenn sie hier war – sie hatte ihn wohl so zwei, drei Mal gesehen –, ansah, als grüble er darüber nach, warum man sie überhaupt hereingelassen hatte. Normalerweise hätte sie ihn ignoriert, aber heute war kein normaler Tag. Sie war geübt darin, den Rang eines Menschen einzuschätzen, und dieser streng aussehende Mann hatte die Herrschaft über das Geld der Bank. Er war ihr neues Ziel.

Kate zog ihre Strickjacke zurecht, wobei sie gegen die aufkommende Panik ankämpfte. Zusammenzubrechen war nicht ihr Stil, denn wenn sie ein zerbrechlicher Mensch gewesen wäre, wäre sie schon vor langer Zeit zugrunde gegangen. Nein, Kate Ekberg war eine Kämpferin, rief sie sich selbst ins Gedächtnis. Trotzig hielt sie dem misstrauischen Blick des Mannes stand und zwang ihn, sie wahrzunehmen.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er schließlich, so als zöge ihm jemand die Worte einzeln aus der Nase.

Sie hoffte, dass man nicht sah, dass sie unter ihrer knallengen und figurformenden Unterwäsche schwitzte wie ein Schwein. Als sie jünger war, hatte sie keine Kleidung gebraucht, die ihre Form zusammenhielt, aber dank des fortschreitenden Alters und der Schwerkraft war es nun einmal, wie es war. Unvermeidlich.

Sie ging auf ihn zu und schwang dabei provokativ die Hüften. Sie lächelte, aber nicht zu übertrieben. Männer waren leicht zu verschrecken, darum musste man möglichst freundlich, hilflos und ungefährlich aussehen. Dieser Mann trug einen altmodischen Zweireiher mit grauer Weste, schneeweißem Hemd und dunkelblauem Schlips.

Kate lächelte so, dass ihre Grübchen zu sehen waren.

»Hallo«, sagte sie und mischte ihrer Stimme einen Hauch Atemlosigkeit bei, eine Spur Hallo, du großer starker Mann, kannst du mir armer Frau helfen-Hilflosigkeit. Meistens funktionierte das, aber er sah immer noch grimmig drein. Stahlgraue Augen, wie ein wolkenverhangener Tag im November oder wie irgendein steinhartes Metall, aus dem man stahlharte Sachen herstellte.

»Ich hatte einen Termin bei Noah, aber …« Sie beendete den Satz nicht und neigte ihren Kopf zur Seite. Mach schon, lass dich ein bisschen bezirzen, dachte sie, während sich auf ihrer Kopfhaut Schweißperlen bildeten.

»Noah ist offenbar krank.« Seine tiefe Stimme drückte Missbilligung aus, als sei Krankheit nun wahrhaftig kein hinreichender Grund, um der Arbeit fernzubleiben. Dann schwieg er wieder.

»Vielleicht könnten Sie das übernehmen? Es dauert auch nicht lange.« Kate biss sich auf die Lippe. Keiner ihrer Tricks wirkte bei ihm. Sein Unmut schien sogar eher noch zuzunehmen. War es möglich, dass er sie durchschaute? Aber sie weigerte sich aufzugeben. Also blieb sie dort stehen, mit Grübchen im Gesicht und Atemlosigkeit, und versuchte ihn dazu zu zwingen, sich ihrer anzunehmen. Sein Kiefer bewegte sich. Er war glatt rasiert, kein Barthaar war ihm entkommen, und er hatte kurz geschnittenes braunes Haar. Nicht ein einziges Härchen tanzte aus der Reihe.

»Kommen Sie«, sagte er schließlich, und sein Widerstreben schwang in jeder Silbe mit. Normalerweise hätte sie das belustigt und herausgefordert. Aber nicht heute. Denn wenn ihre Tricks nicht funktionierten, wie zum Teufel sollte sie das hier dann hinkriegen? Sie hatte keine Zeit herauszufinden, wie dieser graue, förmliche, misstrauische Bankmanager tickte, worauf er ansprang. Keine Zeit, ihr ganzes Arsenal an Kniffen auszureizen. Sie brauchte das Geld jetzt.

Er wies auf ein Büro, ging voraus und ließ sie hinter sich herhasten. Ihr Rock war eng, die blanken Stiefel hatten hohe Absätze, und er war so unhöflich, so lange Schritte zu machen, dass sie ihm auf ziemlich unwürdige Weise hinterherlaufen musste, um mitzukommen.

Als sie sich endlich setzen konnte, schlug sie die Beine übereinander und richtete ihr Haar, sodass es sanft ihre Schulter berührte. Mit dem Zeigefinger fuhr sie an dem Ausschnitt ihrer Strickjacke entlang, scheinbar unbewusst, und doch spielte sie mit ihrem Gegenüber. Die stahlgrauen Augen würdigten sie jedoch kaum eines Blickes. War sie etwa aus der Übung? Vor einer Viertelstunde, unmittelbar bevor sie die Bank betrat, hatte ihr Date für heute Abend abgesagt. Ein gepflegter Finanzmann mit kurz rasierten Haaren, mit dem sie geflirtet hatte und der für heute Abend der perfekte Mann an ihrer Seite gewesen wäre. Ein paar der Leute, deren Bekanntschaft sie machen wollte, gerieten bei einer allein auftretenden Frau so in Stress, dass sie einen männlichen Begleiter dabeihaben wollte, damit sie als ungefährlich und »normal« rüberkam und nicht wie eine harte Geschäftsfrau. Doch er hatte sie abserviert. Und jetzt auch noch das hier.

Sie lächelte, so liebreizend sie konnte, obwohl sie vor lauter Frust am liebsten mit dem Fuß aufgestampft hätte. Sie war nicht mit einem goldenen Löffel im Mund zur Welt gekommen. Alles, was sie besaß, hatte sie sich selbst erarbeitet. Bis heute kämpfte sie gegen das Gefühl an, eine Außenseiterin zu sein, die sie ja war, doch dieser verdammte Bankmanager vermittelte ihr haargenau dieses Gefühl, und das war für sie das Schlimmste.

Auf dem Schreibtisch, der zwischen ihnen stand, hatte jeder einzelne Gegenstand seinen Platz. Im Bücherregal standen fein sortiert nebeneinander nur Bücher und Ordner, keine Deko. Nirgendwo ein Foto. Und er hatte noch kein einziges Mal auf ihren Ausschnitt geschaut. War er schwul? Unwahrscheinlich. Sie wollte zwar nicht prahlen, aber sogar homosexuelle Männer standen auf sie. Doch dieser hier? Fehlanzeige.

Jacob Grim, las sie auf dem überdimensionierten Messingschild auf seinem Schreibtisch. Der Nachname kam ihr vage bekannt vor. Er klang wie der irgendeines toten Königs, dessen Namen sie in der Schule gelernt und gleich nach der Prüfung, in der sie zu allem Überfluss auch noch durchgefallen war, wieder vergessen hatte. Aber schließlich war sie auch keine Musterschülerin gewesen. Sie hatte sozusagen vollauf damit zu tun gehabt, den Alltag durchzustehen. Und dafür haufenweise Fehlstunden und Eintragungen ins Zeugnis kassiert.

Kate legte sich ihre Lieblingshandtasche von Chanel auf den Schoß, setzte sich aufrecht hin und beobachtete ihn unter gesenkten Lidern. Streng, steif und korrekt wäre noch untertrieben. Ihr kam der Gedanke, dass sich dieser Jacob Grim auf der Veranstaltung heute Abend eigentlich perfekt machen würde. Denn sie hatte ihr Gehirn durchforstet und wusste nun, wer er war. Er war reich. Elite. Privilegiert, bestimmt hoch anerkannt bei denen, von denen sie in erster Linie abhängig war: Männer mit Geld, Macht und Kontakten. Mit seiner makellosen Kleidung und den perfekt geschnittenen Haaren war er der Prototyp des reichen weißen Mannes, und sie hätte wetten können, dass er jeden, wirklich jeden in der Finanzbranche kannte, dass er über viele wichtige Beziehungen verfügte sowie Zutritt zu einer Welt hatte, in der Männlichkeit die härteste Währung war. Was würde der strenge Jacob Grim sagen, wenn er ihren Club besuchte? An einem der eher frivolen Abende, wenn ihre männlichen Barkeeper mit nacktem Oberkörper arbeiteten und die weiblichen in Lackleder. Oder wenn er um vier Uhr früh aufkreuzte, wenn die Geräuschkulisse ohrenbetäubend war, der Alkohol in Strömen floss und die Gäste auf dem Tresen tanzten. Kate musste lächeln. Sie liebte diese Nächte. Aber er hasste sicher alles, was laut oder lebensfroh war.

Wieder warf er ihr einen unterkühlten Blick zu, den wievielten, wusste sie nicht. Ganz offensichtlich ließen ihre Grübchen und klimpernden Wimpern ihn völlig kalt. Himmel, sie würde ihn nur zu gerne schockieren. Ihn aus der Fassung bringen. Kindisch, aber so war es.

»Ich heiße Kate Ekberg«, begann sie.

»Mhm.«

»Und ich brauche einen Kredit.«

Er richtete einen Block auf dem Tisch gerade aus. »Welch eine Überraschung«, bemerkte er trocken.

Aha. Vermutlich wusste er, wer sie war und dass Noah ihr mehrere Kredite zu sagenhaft niedrigen Zinsen bewilligt hatte. Sie vermisste Noah.

Wieder legte sie den Kopf schräg. Sie spürte ein Ziehen im Nacken und würde womöglich noch eine Zerrung bekommen. Jetzt mach schon, du förmlicher Jacob-fucking-Grim.

»An welche Summe hatten Sie gedacht?«, fragte er widerstrebend.

Sie sah ihn an und musste sich zusammenreißen, um zu lächeln und süß auszusehen, denn eigentlich war sie das nicht, nicht wirklich. Er hatte ihr Lächeln und ihr frisch frisiertes Haar und ihre wiegenden Hüften nicht verdient. Am liebsten würde sie ihm mit der Stiefelspitze ans Schienbein treten, ihren Kram nehmen und gehen. Aber sie musste das große Ganze im Auge behalten. Hier ging es ums Überleben. Wenn Kate Ekberg eines wusste, dann, dass man ziemlich oft seine Würde opfern musste, wenn man überleben wollte. Irgendwie würde sie diesen Mann dazu bringen, ihr das zu geben, was sie brauchte.

Kate atmete tief durch und sagte mit klarer Stimme, als wäre der Gedanke, ihr den Wunsch abzuschlagen, schon von vornherein ausgeschlossen:

»Ich brauche eine Viertelmillion Kronen.«

Und du musst sie mir geben, dachte sie.

Du musst.

~ 2 ~

Jacob Grim hatte sich zwingen müssen, seine Augen nicht abzuwenden, als Kate Ekberg in seine Richtung schaute. Er hatte sich aufrecht hingesetzt, seine Schultern gestrafft, sie kühl angeblickt und gehofft, dass sie den Wink verstehen und die Bank und seine hübsche, wohlgeordnete Welt verlassen würde. Doch jetzt saß sie hier. Kate Ekberg, siebenundzwanzig Jahre alt, wenn er sich richtig erinnerte, kurz vor Weihnachten geboren, also bald achtundzwanzig. Seltsam, wie manche Dinge sich ins Hirn einbrannten. Kate war Unternehmerin, aber sie war auch eine bekannte Persönlichkeit, und zwar eine von der glamouröseren Sorte. Manche der Promis, die die Bank betraten, konnte man kaum wiedererkennen, denn im echten Leben fehlte ihnen jede Ausstrahlung. Aber Kate strahlte wie ein ganzes Feuerwerk mit ihrem glänzenden dunklen Haar, ihrer auffälligen Kleidung und ihrer hellen Haut. Außerdem stand sie für all die Dinge, die Jacob Unbehagen bereiteten: extravaganter Lebensstil, Partys, Maßlosigkeit und Unzuverlässigkeit. Das Letzte wusste er genau genommen nicht. Jedenfalls wirkte sie so unzuverlässig wie ein Sofortkredit. Vielleicht war er aber auch ungerecht. Die Frau, die ihm gegenübersaß und von einer sexuellen Aura umgeben war, war womöglich die Normalere von ihnen beiden. Sogar sehr wahrscheinlich, wenn er ehrlich war. Es war nämlich schon einige Zeit her, dass er sich normal gefühlt hatte. Dass er normal gewesen war. Eine lange Zeit, bevor das aus ihm geworden war: eine leere Hülle.

Kate sah ihn direkt an, weder verängstigt noch unterwürfig. Ihre Mundwinkel wiesen ein wenig nach oben, weshalb es aussah, als lächele sie unaufhörlich. Vielleicht war sie aber auch einfach stets gut gelaunt. Es gab solche Menschen. Sie lachten sich durchs Leben und waren es gewohnt, alles zu bekommen, was sie wollten. Irgendetwas an dieser Situation führte dazu, dass er seinen Rücken noch mehr straffte, um sich so zu verhalten, als wäre er bedeutend älter als neununddreißig. Du bist doch noch nicht alt, Jacob, pflegte seine Schwester zu sagen, wenn sie ihn zu überreden versuchte, sich neue Kleidung zu kaufen, mal wieder unter Menschen zu gehen, zu leben. Aber sie täuschte sich. Er fühlte sich, als wäre er hundert.

Kate hatte sich auf einen der Besucherstühle gesetzt, ein Möbelstück aus dickem, glänzendem Leder, das bei jeder ihrer Bewegungen knarzte. Der enge Rock war ihr ein Stück die Oberschenkel hochgerutscht. Darunter trug sie dünne glänzende Strümpfe, die er sah, ehe er rasch aufblickte und ihrem belustigten Blick begegnete.

Die elektrisierende, exotische, sinnliche Kate Ekberg, die so … Jacob fand nicht die richtigen Worte. War Kate herablassend? Verächtlich? Oder verspürte sie bei seinem Anblick Mitleid? So wie seine Familie, obwohl sie es allesamt abstritten.

»Eine Viertelmillion«, hörte er sie sagen.

Fast hätte er aufgelacht. Deswegen war sie also hergekommen, anstatt den Kredit online zu beantragen. Das war eine stattliche Summe. Sie lächelte und lächelte und lächelte. Fräulein Ekberg war sicher daran gewöhnt, dass Männer ihr alles gaben, was sie haben wollte, wenn sie ihren Kopf auf die Seite legte, so wie jetzt. Er hatte bemerkt, dass Noah ihr einen Kredit nach dem anderen zu lächerlich niedrigen Zinsen bewilligt hatte. Als wäre die vor einhundertfünfzig Jahren von hart arbeitenden Geschäftsmännern gegründete Bank, für die Jacob die Verantwortung hatte und die Ordnung und Stabilität verkörperte, nichts weiter als ihr Geldautomat, wann immer ihr der Sinn danach stand.

Sie bewegte sich, wobei ihr Rock noch etwas weiter hochrutschte und weiche Oberschenkel enthüllte. War das Absicht? Wahrscheinlich.

Große flehende Augen bohrten sich in seine. Sie biss sich auf die Unterlippe, als ob sie sie daran hindern wollte zu zittern. Er schämte sich, weil er sich davon beeindrucken ließ. Er war an Situationen wie diese, die ganz offensichtlich ein Spiel war, nicht gewöhnt, und fürchtete, er könne wie ein Trottel wirken.

»Ich brauche wirklich einen Kredit«, sagte sie leise und heiser. »Und möglichst heute noch. Das ist doch sicher möglich? Bitte.«

Warum sollte seine gut geführte Bank dieser Frau auch nur noch einen einzigen weiteren Kredit bewilligen, dachte er, während er zugleich mit Erschrecken erkannte, dass er drauf und dran war einzuknicken.

»Was wollen Sie mit so viel Geld?«, fragte er mit einer Stimme, die vor lauter unterdrückter Gefühle angespannt klang.

Sie blinzelte langsam, wobei sie verloren und sehr jung wirkte. Sie befeuchtete ihre Lippen und sah ihn direkt an. Wie ein unterwürfiges Reh. Er hätte am liebsten laut gelacht. Diese Verführerin hatte wirklich so gar nichts Unterwürfiges an sich.

»Ich hatte auf einen Blankokredit gehofft. Als meine Hausbank können Sie mir doch sicher besonders niedrige Zinsen anbieten? Das ist bestimmt eine bessere Lösung als, ich weiß nicht, irgendein Kredit bei einer anderen Bank?«

»Wozu brauchen Sie das Geld?«, wiederholte er.

Jetzt sah sie ihn flehend an. Eine winzige Pause. Dann: »Ich will renovieren. Das Badezimmer. Und die Küche. Es ist dringend notwendig. Ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn Sie mir nicht helfen«, sagte sie, während sie ihm in dem riesigen Ledersessel gegenübersaß und völlig hilflos aussah. Sie hatte etwas an sich, gegen das man sich nur schwer verwehren konnte.

Jacob berührte die Stifte auf dem Tisch, er war von widersprüchlichen Gefühlen erfüllt. Einerseits war sie eine glamouröse Geschäftsfrau und sicher daran gewöhnt, alles zu bekommen, was sie wollte. Andererseits … Sie wirkte beinahe verletzlich. Als ob sie die Starke spielte, aber in Wirklichkeit kurz vor dem Zusammenbruch stand. Unbegreiflicherweise erkannte Jacob sich selbst in diesem Gefühl wieder, und das brachte ihn aus der Fassung. Er konnte allem widerstehen und alles ignorieren, außer diese Verletzlichkeit. Er öffnete eine Übersicht ihres Bankkontos auf seinen Bildschirm. Ihre Einkünfte machten einen soliden Eindruck. Und auf alle seine Kontrollfragen antwortete sie prompt und ohne zu zögern.

»Ich werde schauen, was ich tun kann«, hörte er sich sagen. Es kam ihm vor, als ob ein anderer seinen Mund und sein Herz gekapert hätte, jemand, der einer zerbrechlichen und verängstigten Frau helfen wollte. Er sah sich die Kundendaten zu ihrem Unternehmen genauer an. Um Zeit zu gewinnen. Denn eigentlich war er befugt, den Kredit sofort zu bewilligen. Und dass ihre Finanzen in Ordnung waren, war leicht zu erkennen. Reihenweise hübsche schwarze Zahlen. Und eine Renovierung war ein triftiger Grund.

»Wirklich?«, sagte sie und sah ihn an, als hätte er soeben die Welt vom Krebs befreit. Ihre Bewunderung war gefährlich. Sie gab einem Mann das Gefühl, fantastisch zu sein, sogar einem Mann, der wusste, dass er alles andere war als das. »Kann ich den Kredit jetzt sofort bekommen?«

»Für die Renovierung?«

Sie sah ihm direkt in die Augen und antwortete ohne zu zögern. »Mein Handwerker hat darum gebeten.«

»Sie haben das Geld auf Ihrem Konto, sobald Sie hier, und hier, unterschrieben haben«, sagte er reserviert und legte die noch warmen Papiere vor sie hin, die der Drucker ausgespuckt hatte.

Sie fasste den Stift mit ihren schmalen Fingern und unterschrieb rasch und schwungvoll. Ihre Handschrift war seltsam ordentlich. Er sah sie an. Objektiv betrachtet, war sie sehr schön. Aber Schönheit bedeutete nichts. Hinter einem schönen Äußeren konnten sich Geheimnisse verbergen, von denen man sich nie wieder erholte. Das Äußere war ohne Bedeutung. Sein Blick streifte flüchtig ihr Dekolleté.

Sie lächelte, alles Verletzliche an ihr war verflogen, und sie sah wieder aus wie eine Femme fatale in einem Film noir. Als hätte sie tausend verschiedene Gesichter.

»Ja?«, fragte er und ärgerte sich, weil sie ihn dabei ertappt hatte, wie er ihre Brüste ansah.

Wieder lächelte sie, holte einen rosa Lippenstift aus ihrer Handtasche, schraubte ihn auf und zog ihre Lippen nach. »Ich frage mich bloß …« Sie hob eine sanft gerundete Schulter und ließ sie wieder fallen.

»Was?« Er hasste solche Spielchen. Sie hatte ihr Geld bekommen und damit gut.

Sie steckte den Lippenstift wieder in die Tasche. »Ob Sie schon jemals etwas Unerwartetes getan, Ihre Komfortzone verlassen haben.«

Jacob hätte am liebsten mit den Augen gerollt. Gab es etwas Deprimierenderes als Menschen, die glaubten, im Leben komme es bloß darauf an, loszulassen und in den Tag hineinzuleben? Hatte er etwa nicht gerade eben einen Kredit bewilligt? Er zwang sich, seinen Griff um den vergoldeten Füllfederhalter zu lockern, den er viel zu fest umklammert hatte, und legte ihn auf den Tisch. Schob ihn auf der Tischplatte zurecht. Er war kein Ordnungsfanatiker, aber er mochte es, wenn die Dinge gerade ausgerichtet waren. Wenn die Situation und seine Umgebung geordnet waren.

»Ich habe beschlossen, mein Leben innerhalb des üblichen Rahmens zu leben, und damit fühle ich mich wohl.« Schließlich war nicht er derjenige, der hier saß und versuchte, sich mit manipulativen Mitteln Geld und Vorteile zu verschaffen, wie er gern hinzugefügt hätte.

»Aha.« Kate sah ihn forschend an.

»Was?«, fragte er noch einmal. Dieser Blick, er bohrte sich quasi in ihn hinein.

Sie lächelte. Schon wieder. Diese Frau lächelte viel. Und immer, wenn sie das tat, bekam sie Grübchen. Zwei Stück.

»Ich würde Sie gern etwas fragen.«

Sein Misstrauen gegen sie ließ Jacobs Herz heftig schlagen. Wenn sie noch mehr Geld wollte, würde er aufstehen und sie persönlich zum Ausgang geleiten.

»Was?«, fragte er zum dritten Mal. Kate Ekberg schaffte es, dass er wie ein Idiot klang.

»Ach, vergessen Sie es.« Sie biss sich auf die Unterlippe.

»Nichts lieber als das, glauben Sie mir«, sagte er. Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Gegen seinen Willen war er anscheinend neugierig und kurz davor, den offensichtlichen Köder zu schlucken.

Er sah sie an, sie sah ihn an, und die Luft verdichtete sich, als wäre sie aufgeladen. Wie diese Elektroden, die man für Herzpatienten benutzte.

Schließlich sagte sie: »Ich habe mich gefragt, wie ich Sie dazu überreden könnte, mich heute Abend zu einem Event zu begleiten.« Sie lachte ein atemloses feminines Lachen. »Entschuldigen Sie. Ich bin wohl durch all das hier ein bisschen aufgewühlt.« Sie machte eine Geste, als wolle sie auf das Büro, die Dokumente und ihn weisen. Als wäre sie eine kleine, schier überwältigte Frau. Er kaufte ihr das nicht ab. Er hatte die Härte in ihrem Blick gesehen, auch wenn sie diese gut zu verbergen wusste.

Trotzdem fragte er. »Event?«

»Ich könnte einen Begleiter wie Sie gebrauchen.«

»Wie mich?«

»Sie wissen schon, einen Mann mit Credibility.«

Er saß ganz still da. Hatte er richtig gehört, wollte sie ihn auf den Arm nehmen? Ihre Wangen hatten jetzt rosa Flecken. »Vergessen Sie es. Verzeihung«, sagte sie.

»Ich könnte Sie unter Umständen überraschen«, hörte Jacob sich sagen, obwohl er sich nicht erinnern konnte, wann er zuletzt jemanden überrascht hatte. Er hätte auch nichts gesagt, wenn sie nicht wirklich verlegen ausgesehen hätte, so als käme sie sich dumm vor. Er wollte sie nicht in Verlegenheit bringen.

»Wie meinen Sie das?«

Was würde diese grübchenlächelnde Frau wohl sagen, wenn sie wüsste, wie lange sein letztes Date her war? Hätte sie Mitleid? Würde sie schallend lachen? Wäre sie entsetzt? Vermutlich alles auf einmal.

Nächstes Jahr würde er vierzig werden. Sein Leben verging, ein Tag nach dem anderen, und er konnte nichts dagegen tun. Nur arbeiten und schlafen. Nur in seinem Büro sitzen und einer in Weinrot gekleideten Frau Blankokredite bewilligen.

»Jacob?« Kate berührte das Messingschild mit einem grazilen Finger. Sie hatte lange, lackierte Fingernägel, spitz, rot und feminin. Wie auch alles andere an ihr. Feminin. Verlockend. Gefährlich. Weit außerhalb seiner Komfortzone. Er wollte das Messingschild wegziehen und sie auffordern, die Finger davon zu lassen. Sie zum Gehen bewegen.

»Sie sagten, dass Sie mich überraschen wollen«, erinnerte sie ihn.

»Vielleicht, sagte ich.« Zumindest war seine Stimme fest.

»Mhm.« Sie hob das Messingschild hoch und studierte eingehend seinen Namen darauf. Er riss sich zusammen, um ihr nicht zu sagen, sie solle es wieder hinstellen.

»Jacob Grim«, sagte sie langsam.

»Ja?«

»Wollen Sie heute Abend mit mir ausgehen? Auf ein Event. Als mein Date.«

Die Frage hing zwischen ihnen in der Luft. Kate ruderte nicht zurück. Jacob ebenfalls nicht. Die Situation war ein klein wenig unpassend. Sie war Kundin der Bank. Doch zugleich regte sich auch etwas in ihm, etwas, das mit einsamen Abenden und einer herannahenden Midlife-Crisis zu tun hatte.

Sie hob eine Augenbraue. Ihre Augen waren dunkelblau, wie er jetzt bemerkte, obwohl sie aus anderen Winkeln beinahe violett wirkten. So etwas hatte er noch nie gesehen. Vielleicht war es eine optische Täuschung. Alles an ihr war wie ein Frontalangriff auf seine Sinne.

Jacob räusperte sich, zum wievielten Mal während dieser surrealen Begegnung hätte er nicht sagen können. Er wollte die Sache jetzt zu Ende bringen und zu seinem gewöhnlichen, normalen Leben zurückkehren. Zu deinem langweiligen Leben, flüsterte ihm eine innere Stimme leise zu. Ein Leben, das nur allzu oft aus gar nichts bestand.

Kate schenkte ihm noch ein herausforderndes Lächeln, und er wollte sagen, danke, aber lieber nicht. Doch das ging nicht. Reiß dich zusammen, flüsterte die innere Stimme, so eine Chance bekommst du nicht noch einmal.

»Zu einem Event? Warum nicht?«, sagte er mit einer Stimme, die er selbst kaum wiedererkannte, die aber offensichtlich seine eigene war. Möglicherweise eine Stimme mit Credibility.

Kate blinzelte langsam. Sie wirkte verblüfft. Das war allerdings nichts dagegen, was er selbst empfand. Am liebsten wäre er aufgestanden und hätte gesagt, ich habe es mir anders überlegt, und jetzt gehen Sie bitte.

»Meinen Sie das ernst? Wollen Sie mit mir ausgehen?« Schwer zu sagen, ob sie sich freute oder erschrocken war. Ein bisschen von beidem, vermutete er. Er selbst war bloß erschrocken. Was hatte er getan?

»Ich meine immer, was ich sage«, entgegnete er.

Jetzt hatten sie ein Date. Kate Ekberg und er. Er hatte sie erschüttert, sie aus der Fassung gebracht. Das sollte ihm nichts bedeuten, doch das tat es. Denn irgendetwas sagte ihm, dass dies das erste und letzte Mal war, dass er die Nachtclubkönigin Kate Ekberg aus dem Gleichgewicht brachte. Er sah zu, wie sie mit wiegenden Hüften und hohen Absätzen aus seinem Büro stolzierte. Zu spät wurde ihm bewusst, dass er vergessen hatte zu fragen, wohin sie gehen würden.

~ 3 ~

»Die Lichttechniker sind jetzt da«, sagte Nanna Amundsen, die Bookerin und Vizechefin im Nachtclub Kate’s. Sie ließ sich neben Kate auf das blaue Samtsofa sinken. Die hatte sich mitten im Club niedergelassen, um einen Haufen Papierkram zu erledigen, etwas, womit sie immer hinterherhinkte. Nanna fischte ihr Handy aus der Tasche. Sie war der Mensch, mit dem Kate mit Abstand die meiste Zeit verbrachte, ein Fels, den Kate gern an ihrer Seite hatte. Der Nachtclub hatte soeben in eine ganz neue Lichtanlage investiert. Kaum jemandem war es bewusst, wie wichtig Licht und Ton für die richtige Partystimmung waren. Im letzten Jahr hatten sie eine neue Beschallungsanlage gekauft, in diesem Jahr Laser und Lichteffekte für eine Viertelmillion. Geld, das Kate eigentlich nicht mehr hatte. Herrgott, sie musste dringend mehr Geld einnehmen. Und zwar schnell. Wenn sie ihre Rechnungen nicht mehr beglich, war sie innerhalb der Branche erledigt, und dann ging sie in Konkurs, und alle wurden arbeitslos und und … Aufhören. Stopp.

»Hoffentlich geht es schnell«, sagte sie, ohne ihr inneres Chaos durchscheinen zu lassen.

Nanna warf Kate einen langen Blick zu. »Ja, schließlich sind Lichttechniker ja für ihre Effektivität bekannt.« Ihre Stimme triefte nur so vor Nanna-Sarkasmus.

Kate schmunzelte. »Sei nicht so Lichttechniker-feindlich.« Sie überlegte. »Aber gib ihnen kein Bier. Beim letzten Mal haben sie sich über das IPA-Bier hergemacht und sich die Kante gegeben.«

»Betrunkene Elektriker kann niemand gebrauchen«, stimmte Nanna ihr zu.

Der Brauereivertrag lief demnächst aus. Kate’s wurde seit drei Jahren von einer kleinen, aber hippen schwedischen Brauerei gesponsert. Der Deal war, dass der Club die Getränke geliefert bekam, sie verkaufte und erst zum Schluss die Rechnung erhielt, die jetzt zum Jahreswechsel fällig wurde. Doch Kate war gezwungen gewesen, ihr Geschäftskonto panikartig leer zu machen – aus bestimmten Gründen –, und jetzt musste sie die Quadrat-Atmung anwenden, um nicht zu hyperventilieren. Vielleicht konnte sie die Jungs von der Brauerei überreden, ihr noch einen Aufschub zu gewähren? Dann musste sie allerdings beten, dass es nicht herauskam, dass Kate Ekberg in Geldnöten war. Anderenfalls: Konkurs, Panik etc.

»Ich gelobe: keine alkoholhaltigen Getränke für die Leute, die unsere Lasershow installieren«, sagte Nanna und ging, um die Arbeiten zu überwachen. Sie war so groß wie ein Model und drahtig wie eine Leichtathletin, mit muskulösen Armen, Beinen und Bauch. Sie war eine der besten Bookerinnen Schwedens, vielleicht sogar Skandinaviens, und hatte mindestens genauso viele nützliche Kontakte in ihrem Handy wie Kate. Ein gutes Netzwerk war das Wichtigste in dieser Branche, und Kate, die aus der Vorstadt kam und niemanden gekannt hatte, hatte zielstrebig darauf hingearbeitet, sich das bestmögliche Netzwerk aufzubauen. Heute konnte sie ohne zu übertreiben behaupten, dass sie jeden kannte, der in der Veranstaltungsbranche Rang und Namen hatte.

Kate fuhr fort, Rechnungen und Lieferscheine zu kontrollieren. Das war der am wenigsten glamouröse Teil ihres Daseins als Leiterin und Besitzerin eines Nachtclubs. Heute hatten sie geschlossen, aber im Hintergrund lief leise Musik und die Kronleuchter funkelten. Kate strich mit der Hand über den Samt und lächelte, wie immer, wenn ihre Liebe zu dem, was sie geschaffen hatte, sie überwältigte. Kate’s hatte donnerstags, freitags und samstags geöffnet. Manchmal auch am Sonntag, wenn ein besonderer Künstler in der Stadt war oder sie einen Themenabend veranstalteten. Sie öffneten um 22 oder 23 Uhr und schlossen zu unterschiedlichen Zeiten, je nachdem, wie die Geschäfte liefen. Wenn der Laden brummte, hatten sie auch einmal bis fünf Uhr früh geöffnet, aber die letzten Stunden waren anstrengend, darum war das immer eine Frage der Abwägung. Zu allen anderen Zeiten standen die Räumlichkeiten leer, so wie heute, oder waren für private Feierlichkeiten, Events oder Auftritte vermietet.

Der Nachtclub belegte drei Etagen in der Mitte der Biblioteksgatan. Auf der Ebene, auf der sich der Eingang befand, lag die Garderobe, dahinter die große Tanzfläche, die Personalküche und ganz hinten die Restaurantküche. Sie boten einfache Gerichte an, aber ihr eigentliches Kerngeschäft waren Tanz und Musik. Auf der zweiten Ebene gab es einen Balkon, wo Kate gern stand und die Tanzfläche überblickte. Dort oben lag auch der kleine, ein wenig versteckte Club im Club: Bar Noir, der exklusive Bereich, der VIPs vorbehalten war. Der Einlass hierhin lief nur über eine streng reglementierte Gästeliste. Hier hinein kamen nur die reichsten, bekanntesten und angesagtesten Gäste. Das war nicht gerade das, was Kate an diesem Business am besten gefiel. Sie wusste, wie es sich anfühlte, außen vor zu sein, nicht dazuzugehören. Manchmal war sie vielleicht nicht streng genug und ließ ein Vorstadtmädchen zu viel hinein oder vergaß, sich hart und kühl zu geben. Aber Stockholm war nicht immer eine freundliche Stadt, und sie wollte es besser machen, wollte Grausamkeit und Angst nicht noch verstärken. Auf der dritten Etage lagen die Personalräume, Lager und Kates kleines, vollgestopftes Büro. Allerdings fühlte sie sich am wohlsten, wenn sie hier im Club arbeitete. Der Musik aus den großen Lautsprechern zu lauschen, sich mit den Angestellten zu unterhalten, die blank geputzten Tresen und schimmernden Flaschen anzuschauen, im Kopf weitere Abende zu planen und sich an besonders gelungene Nächte zu erinnern. Wie damals, als das Kronprinzessinpaar einen Abend mit ein paar ausgewählten Freunden in der Bar Noir verbracht hatte. Oder als eine der bekanntesten DJs der Welt das Mischpult übernommen und spontan zwei Stunden lang aufgelegt hatte, sodass die Tanzfläche in schwitzender Ekstase explodiert war. Sie liebte auch all die Dinge, die Beweise dafür waren, was sie erreicht hatte. Zum Beispiel das Logo mit dem Namen und der kleinen Königinnen-Krone, das überall abgebildet war – auf den Servietten, auf dem teuren, dunkelblauen maßgefertigten Teppich im Eingangsbereich und auf allen Speisekarten. Als Kate noch völlig mittellos gewesen war, hatte sie mehrere Monate lang daran gezeichnet, und das Warenzeichen eintragen zu lassen hatte sie eine Summe gekostet, die für eine Einundzwanzigjährige ohne soziales und ökonomisches Kapital ein Vermögen war. Jetzt stand das Logo für ihren Erfolg. In einem harten Umfeld hatte sie das Unmögliche geschafft. Als gewöhnliche junge Frau hatte sie einen exklusiven, eleganten Nachtclub eröffnet, den mittlerweile jeder, der einen Namen hatte, besuchen wollte. Einen Club, in dem Weltklasse-Künstler, junge Mitglieder der Königsfamilie und Milliardäre aus aller Welt zusammenkamen. Die Nächte waren intensiv, zuweilen glamourös, zuweilen an der Grenze zum Wahnsinn, aber immer fantastisch. Kate blieb stets, bis der letzte Gast gegangen war, und ging selten vor dem Morgengrauen ins Bett. Sie bewegte sich wie eine Spinne in ihrem Netz, verteilte Wangenküsschen, Umarmungen und Schmeicheleien. Sie sprach mit den wichtigsten Gästen, stand immer in Kontakt mit dem anwesenden DJ und sorgte dafür, dass genau die richtigen Vibes die Stimmung zum Kochen brachten. Sie hatte auch ein Auge auf die jungen Mädchen, damit niemandem etwas zustieß, hörte sich Geheimnisse an, die betrunkene Gäste ihr anvertrauten, verschickte pausenlos SMS, lotste den einen am Türsteher vorbei und schrieb anderen, sie sollten unbedingt kommen, denn dieser Abend sei absolut magisch. Sie liebte das alles: ihren Gästen Realitätsflucht und Unterhaltung auf einer bebenden Tanzfläche zu bieten, die richtigen Personen einander vorzustellen, NHL-Spieler, Mega­influencer und Schlagersternchen willkommen zu heißen. Danach verbrachte sie ihre Tage damit, Künstler zu buchen, den Club zu repräsentieren und Besprechungen abzuhalten. Dieses Leben, in dem Geld, Alkohol und Drogen flossen, hatte zeitweise etwas Zynisches, aber es gab nichts, das sie mehr liebte. Seit sie zum ersten Mal in einer Schuldisco gewesen war, an einem aufregenden Abend, den die neunten Klassen veranstaltet hatten, brannte in ihr eine heftige Liebe zu der Magie, die entstand, wenn Musik, Tanz und Dunkelheit die Menschen zusammenbrachte, um ein paar Stunden lang nur im Hier und Jetzt zu leben. Dort, auf der Tanzfläche in der Schulkantine, hatte sie alles vergessen können, was jenseits des hämmernden Rhythmus lag, der aus den Lautsprechern tönte. Sie gab sich vollkommen dem hypnotischen Pulsieren im Körper und der alles umfassenden Freude hin, die sie in jeder einzelnen Zelle spürte.

Nanna kam mit einem Glas dampfend heißem Wasser wieder, in dem eine Zitronenscheibe schwamm. Sie war vor vier Jahren in Kates Leben getreten und hatte großen Anteil an dem Ruf, den der Club in der Hauptstadt genoss. Sie stellte das Wasser vor Kate ab.

»Danke. Wie läuft es?« Kate wärmte ihre Hände an dem Glas und trank in kleinen Schlucken. An den Wochenenden war es heiß im Club. Die Gäste tanzten und feierten, als gäbe es kein Morgen. Doch tagsüber merkte man, wie zugig es hier eigentlich war. Kate winkte den Reinigungskräften zu, die kamen, um den Fußboden zu bohnern, und Emil, ihrem tätowierten Barkeeper, der hier war, um den Getränkevorrat für das kommende Wochenende zu kontrollieren. Sie kannte all ihre Angestellten gut, und die meisten arbeiteten schon seit mehreren Jahren für sie. Das war eins ihrer Erfolgsgeheimnisse: erstklassiges Personal zu haben und die Leute gut zu behandeln, sodass sie bleiben wollten.

Nanna steckte die Hände in die Gesäßtaschen ihrer schwarzen Jeans. »Gut. Wenn nichts explodiert, haben wir eine neue Lightshow.«

»Daumen drücken, dass nichts explodiert. Was steht als Nächstes an?«

Nanna griff nach ihrem Telefon und stopfte ihr schwarzes Seidenhemd in die Hose. Dann begannen sie die übliche Diskussion darüber, wer gerade hip war, wen sie kontaktieren und welche DJs sie verpflichten wollten.

Nach einer Stunde stieß auch Parvin Galli zu ihnen, die sich um die PR und Social Media des Clubs kümmerte. Sie holte sich Kaffee, warf sich auf eines der Sofas und gähnte herzhaft.

»Müde?«, fragte Nanna.

»Ich war bis heute früh um sechs in einem illegalen Club am Globen.«

»Schläfst du eigentlich nie?«, fragte Kate. Parvin war nur vier Jahre jünger als sie selbst, aber sie hatte Energie wie ein Teenager auf Red Bull. Kate musste zumindest hin und wieder einmal schlafen, während Parvin es liebte, die Nächte durchzumachen.

»Schlaf ist was für Weicheier«, sagte Parvin und fuhr sich mit der Hand über den rasierten Schädel. Sie hatte buschige Augenbrauen, ein Nasenpiercing und den hübschesten Mund, den Kate je gesehen hatte. Parvins iranische Mutter unterrichtete Gender Studies, ihr italienischer Vater besaß ein Restaurant, und ihre Geschwister schienen ausnahmslos Genies zu sein. Parvin selbst hatte Astrophysik studiert, eine Fachrichtung, von der Kate bis dahin noch nie gehört hatte. Sie hatte das Studium jedoch hingeschmissen und sich auf Social Media konzentriert. Mittlerweile war sie genauso unverzichtbar für das Kate’s wie Nanna. Zusammen bildeten sie ein unschlagbares Trio.

»Hast du den Zeitungsartikel gesehen?« Parvin schüttete den Kaffee in sich hinein und fixierte sich auf ihr Smartphone. Ihre Daumen bewegten sich ohne Pause.

Kate nickte zufrieden. Am letzten Wochenende hatte sie Besuch von einem schwedischen Hollywoodstar gehabt, der gerade in der Heimat war, um eine Weihnachtskomödie zu drehen. Er war mehrere Stunden geblieben. Einige Prominente wollten nicht fotografiert werden, und im Kate’s wurde ihre Integrität stets respektiert. Mitglieder des Königshauses, Politiker und Künstler wussten, dass sie auf Diskretion zählen konnten. Aber dieser Schauspieler ließ sich gerne fotografieren und wusste, wie viel das Kate bedeutete. Parvin hatte die Bilder an die Presse »geleakt«, und es war eine ganze Doppelseite erschienen. Kostenlose Werbung.

»Gute Arbeit«, lobte Kate.

»Gibt es was zu essen?«, fragte Parvin, ohne von ihrem Smartphone hochzuschauen. Sie musste wohl ihre Energiespeicher auffüllen.

Kate nickte in Richtung der Tüte mit veganen Zimtschnecken, die sie für ihr PR-Genie gekauft hatte, während sie weiter darüber sprachen, welche Prominenten, Künstler, Diven und Filmstars sie gerne im Club sähen und welche lieber nicht. Das Ziel war wie immer die perfekte Mischung. Kate liebte kreative Persönlichkeiten aus den Bereichen Mode, Film, Architektur und Fotografie, Nanna sorgte dafür, dass die Reichen und Schönen kamen, und Parvin kümmerte sich darum, dass Fotos und Hashtags in die sozialen Medien und an die Presse gelangten. Sie waren sich einig, dass sie eine gute Mischung aller Altersstufen haben wollten, und Kate’s war der einzige Nachtclub in Schweden, der ein cooles, gemischtes Publikum anzog und gleichzeitig Gewinn machte. Wenn man mal davon absah, dass sie jetzt pleite war, dachte Kate. Sie erhielt eine Mail von ihrem Steuerberater und wusste, dass es darin um die Rechnung für die Lichtanlage ging, die bald fällig war. Ruhig, ganz ruhig. Atmen.

Parvin nahm sich noch eine Zimtschnecke, Nanna holte eine Nagelfeile und eine kleine Flasche mit korallenrotem Nagellack aus ihrer Tasche, und Kate trank von ihrem Zitronenwasser, während sie sich unterhielten.

Kate hatte ihr Smartphone auf lautlos gestellt. Jetzt vibrierte es vor ihr auf dem Tisch. Mama, stand auf dem Display. Was wollte sie, verdammt? War sie wieder einmal betrunken?

»Sie hat mich auch schon angerufen«, sagte Nanna mit einem Blick auf das Display, das Kate zu ignorieren versuchte.

»Hast du mit ihr gesprochen?«, fragte Kate, die nicht wollte, dass ihre Kollegin in ihren Ärger mit hineingezogen wurde.

Nanna nickte unbeschwert. »Jep.«

Warum um Himmels willen? Kate sprach jedenfalls niemals freiwillig mit ihrer Mutter. »Und was hat sie gesagt?«

Nanna kratzte sich mit einem frisch lackierten roten Nagel vorsichtig an der Wange. Sie war in Äthiopien geboren und adoptiert worden, hatte Wangenknochen, an denen man sich verletzen konnte, sowie die längsten natürlichen Augenwimpern der Welt. Als sie sich über ihren Afro strich, klirrten die vielen Silberreifen an ihren Handgelenken. Nanna war in diesem Jahr vierzig geworden – da hatten sie es im Club so richtig krachen lassen –, sah aber aus wie neunundzwanzig. Sie war wirklich cool, und es gab keinen bedeutenden Club in New York, Berlin oder Madrid, in dem sie noch nicht gewesen war, und das Letzte, was Kate wollte, war, dass Nanna zu viel über ihre schäbige und peinliche Herkunft erfuhr.

»Wir haben uns nur ein bisschen unterhalten«, sagte Nanna und spiegelte sich in ihrem Smartphone. »Sie hat gefragt, wie es dir geht. Wie Mütter das so machen.« Soweit Kate wusste, hatte Nanna, anders als gewisse Leute, eine ganz normale Mutter.

»Willst du nicht drangehen?« Nanna nickte ermunternd in Richtung des klingelnden Telefons. Kate nahm es widerstrebend in die Hand.

»Hallo, Mama«, sagte sie und tat so, als bemerke sie nicht, wie Nanna und Parvin wortlos miteinander kommunizierten. Keine der beiden wusste, woher sie stammte, was sie durchgemacht und was sie getan hatte. In Parvins Familie liebte und unterstützte man sich. Und Nanna hatte Mutter, Vater, zwei Brüder und die Geborgenheit der ganzen Familie im Rücken. Sie hatten ganz einfach nicht dasselbe erlebt wie Kate.

»Ich habe mir Sorgen gemacht. Wie geht es dir?«

»Mir geht es gut«, sagte Kate. Ihre Mutter schien nüchtern zu sein, und das war sicher gut so, aber in Kates Augen gab es dadurch noch weniger Anlass, miteinander zu sprechen. »Ich bin bei der Arbeit«, fügte sie ein wenig spitz hinzu und schämte sich sofort. Sobald sie die Stimme ihrer Mutter hörte, schien sie in alte Verhaltensmuster zurückzufallen.

»Ich wollte nur hören, ob du daran denkst, dass du mich besuchen wolltest?«

Shit. Daran hatte sie natürlich in dem ganzen Chaos nicht gedacht. »Ja. Ich schicke dir eine SMS, wenn ich mich auf den Weg mache, okay?«

Kate legte auf, wich Nannas und Parvins Blicken aus und fühlte sich von ihren zahlreichen schmutzigen Geheimnissen niedergedrückt. Was war sie nur für eine Blenderin. Niemand wusste, was sie heute getan hatte und in welche Situation sie sich idiotischerweise und aus eigener Schuld gebracht hatte. Was würden Nanna und Parvin sagen, wenn sie davon wüssten – sie vertrauten ihr, respektierten sie und mochten sie wahrscheinlich sogar. Was für einen Eindruck hätten sie von ihr? Dieser Gedanke war fast das Schlimmste: Dass der Respekt und die Zuneigung der beiden in Verachtung oder vielleicht sogar Mitleid umschlagen könnten. Man könnte meinen, dass sie, die mit so viel Schmutz und so viel Scham aufgewachsen war, daran gewöhnt sein müsste. Aber so funktionierte das nicht. Je besser es für sie lief, umso mehr stand auf dem Spiel und umso mehr schämte sie sich.

Kate dachte daran, wie Jacob Grim die Augenbrauen hochgezogen hatte, als sie ihn um den Kredit bat. Sie atmete aus, langsam und betont. Die Schlinge zog sich zu, das spürte sie. Wie konnte sie bloß so dumm sein, das einfach geschehen zu lassen? Sie beschloss, eine Liste mit möglichen Maßnahmen zu erstellen. Polizei, natürlich. Oder lieber zum Anwalt? Irgendwelche Kriminellen um Hilfe bitten? Oder noch etwas anderes? Aber was?

Sie beobachtete Nanna und Parvin, die gerade lautstark miteinander diskutierten. Bestimmt wegen eines neuen Influencers, über den sie nicht derselben Meinung waren. Über solchen Kram würde sie später nachdenken, beschloss sie. Das war eine gute Strategie: Das, was sie nicht lösen konnte, auf später zu verschieben, denn sonst würde sie in ihren Sorgen ertrinken. Manchmal lösten sich die Probleme auch ganz von allein, also warum sollte man sich Gedanken über ungelegte Eier machen? Auch wenn etwas in ihr deutlich sagte, dass dieses Problem nicht ohne Kampf verschwinden würde.

»Mit wem gehst du hin?«, fragte Nanna nach einer Weile.

»Wohin?«, wollte Kate wissen.

»Zum Empfang heute Abend. Hast du nicht gesagt, dass dieser Finanzmann, der Idiot, abgesagt hat? Gehst du nicht hin? Es wäre sicher gut, wenn du hingehen würdest.« Nanna rieb vielsagend Daumen und Zeigefinger gegeneinander.

»Ich gehe mit meinem Bankberater hin.« Kate griff rasch nach ihrem Glas und trank in kleinen Schlucken, ohne Nanna anzusehen. So viel zum Thema, die Kontrolle über die Dinge zu verlieren.

Nanna hörte auf, ihre Nägel zu feilen, und warf ihr einen skeptischen Blick zu. »Noah? Ist der nicht erst so zwölf Jahre alt?«

Kate tat so, als sei sie von einem Text auf ihrem Laptop völlig in Anspruch genommen. Ehe sie log, antwortete sie lieber gar nicht. Das gehörte ebenfalls zu den Strategien, die sie in Perfektion beherrschte.

Nach einer Weile stand Nanna auf, um sich anderer Probleme anzunehmen, Parvin telefonierte laut mit einem Journalisten der skandinavischen Ausgabe der Vogue, der eine Reportage machen und dafür auf die VIP-Gästeliste gesetzt werden wollte, und Kate entspannte sich ein wenig.

Ja. Offensichtlich würde sie heute Abend mit Jacob Grim ausgehen. Wie auch immer das möglich war. Der süße Noah wäre tatsächlich eine weniger seltsame Wahl gewesen. Sie hatte sich immer noch nicht von dem Erstaunen darüber erholt, dass Jacob Grim Ja gesagt hatte. Zugegeben, sie hatte dringend ein Date wie ihn gebraucht, einen respektablen und langweiligen Finanzmann, aber in erster Linie hatte sie ihn gefragt, um in einer für sie unbehaglichen Situation wieder die Oberhand zu gewinnen. Denn sie fand das Machtgefälle zwischen ihnen unerträglich, und wenn sie ängstlich oder verunsichert war, reagierte sie wie ein Tier in der Falle: Sie ging zum Angriff über. Und dann hatte er Ja gesagt. Obwohl nur zu offensichtlich war, was er von ihr hielt. Kate war es nicht gewohnt, dass Männer sie nicht mochten. Jedenfalls bevor sie sie kennengelernt hatten. Bevor sie gemerkt hatten, dass die Kate, die sie nach außen hin zeigte, größtenteils eine Kunstfigur war, eine glitzernde Fassade. Und wenn es so weit war, hatte sie sie sowieso schon längst verlassen.

Gegen fünf Uhr ging Kate nach Hause, um sich fertig zu machen. Sie nahm Kleider und Accessoires aus dem Schrank und hielt sie sich vor dem Spiegel an. Sie war nicht besonders erpicht auf diesen Empfang, dachte sie, als sie das Glitzerkleid eines angesagten schwedischen Designers auf einen Hocker warf und stattdessen nach einem dunkelblauen Kleid griff. Aber sie musste hingehen, also blieb ihr nur, die Zähne zusammenzubeißen und ihr Allerbestes zu geben. Zum Schluss entschied sie sich für eine sichere Wahl, ein graues Kleid mit dünnen Silberfäden, das sie in einem Secondhandladen gekauft hatte. Häufig bekam sie Kleider, Accessoires, Make-up und Schuhe von Designern, Handelsvertretern oder Modehäusern geschenkt, die ihre Produkte auf einem Foto mit Kate Ekberg sehen wollten. Nach außen lebte sie ein beneidenswertes Leben, mit teuren Partys, coolen Events und vielen schicken Kleidern. Aber das meiste war nur geliehen, Fassade und schöner Schein – eine Art gegenseitiger Ausnutzung. Die gleichen Leute, die ihr heute gratis Kleider schickten, würden Kate nicht einmal mehr grüßen, wenn sie in Konkurs ging. Sie zog sich ein eng anliegendes Unterkleid an und darüber das graue. Es saß gut und schmeichelte ihrer Figur.

Heute Abend würde es von potenziellen Finanziers nur so wimmeln – Geschäftsführer, die locker eine Viertelmillion springen lassen konnten, damit ihr Lieblings-DJ im Club spielte, oder Repräsentanten von Spirituosenherstellern, die einen Abend lang die Drinks sponsern konnten. Oder eine Lichtanlage. Das waren Menschen, die niemals erfahren durften, was sie verheimlichte. Wie verzweifelt sie war. Sie unterdrückte ihre Unruhe mit derselben Hartnäckigkeit, demselben eisernen Willen und Kampfgeist, mit denen sie es so weit gebracht hatte, heute eine wichtige und gefragte Person zu sein. Sie schob die Erinnerung an jenen Abend beiseite, den sie verdrängt hatte, bis sich ihre Vergangenheit plötzlich an einem kalten und rauen Novembertag in Gestalt von Ubbe Widerström materialisiert hatte. Wenn die Wahrheit ans Licht kam, würde das ihr Leben zerstören. Das war keine melodramatische Übertreibung, sondern Tatsache. Was sie sich aufgebaut hatte, würde ihr genommen, und das würde so sein wie in einem ihrer immer wiederkehrenden Albträume, in denen sie alles verlor, was sie besaß, all ihre Würde und Menschlichkeit, während Leute um sie herumstanden und sie auslachten, ohne auch nur einen Finger zu rühren, um ihr zu helfen.

Kate wählte eine graue Clutch, tat Smartphone, Kreditkarte, Lippenstift und Schlüsselbund hinein, begegnete ihrem Blick im Spiegel und rief sich zur Ordnung. Denk nicht mehr daran, Kate. Stell dich nicht so an. Finde eine Lösung. Seit ihrer Kindheit hatte sie ihre Probleme selbst gelöst. Dass sie keine Hilfe bekam, wusste sie schon, solange sie denken konnte. Sie war daran gewöhnt. Und auch dieses Mal würde sie es hinbiegen.

Fuck them all, dachte sie trotzig. Das war ein guter Ausdruck. Irgendwann würde sie ihre Nachbarin Betty bitten, das für sie auf einen Wandbehang zu sticken.

Fuck them all.

~ 4 ~

Jacob traf frühzeitig zum Empfang in der amerikanischen Botschaft ein, weil er immer pünktlich war. Ein Mann tat seine Pflicht, hielt seine Versprechungen, kam pünktlich und so weiter und so weiter. Das war für ihn ganz selbstverständlich. Wenn er gesagt hatte, er komme irgendwohin, dann tat er das auch. Egal, wie impulsiv sein Beschluss, Ja zu sagen, auch gewesen sein mochte. Kate Ekberg hatte seinen Assistenten bei der Bank angerufen und ihm mitgeteilt, wo die Veranstaltung – eine Vernissage moderner amerikanischer Fotokunst – stattfand, sodass er keinen Vorwand hatte, sein Versprechen nicht einzuhalten.

Und jetzt war er also hier, ein paar Minuten vor der vereinbarten Zeit, fror im bitterkalten Wind und fühlte sich unbehaglich. Die Botschaft war schön gelegen, nah am Wasser, aber die Luft war eisig kalt. Grüppchenweise trafen die in Mäntel gehüllten Gäste ein, Männer mit dicken Schals, Frauen in Winterstiefeln mit klappernden Absätzen und einige mit Mütze. Es versprach, voll zu werden. Er konnte sich nicht genau erinnern, wann er zuletzt auf einer ähnlichen Veranstaltung gewesen war. Tagsüber war er natürlich von Angestellten, Kunden und Kollegen umgeben, aber es war Ewigkeiten her, dass er außerhalb der Bürozeiten zu einem gesellschaftlichen Anlass gegangen war.

Er beschloss, drinnen zu warten, hielt ein paar jungen Frauen die Tür auf und folgte ihnen ins Gebäude. Früher war er bei Pärchendinners und Grillpartys gewesen oder auch einmal ausgegangen. Aber die Abendeinladungen, Bierabende und Partys waren mit den Jahren immer seltener geworden, als sich die Leute an seine Absagen gewöhnten und aufhörten, ihn weiterhin einzuladen. Er hatte nichts vermisst, im Gegenteil, er hatte die Einsamkeit vorgezogen. Doch darum war er nicht mehr daran gewöhnt, Konversation zu machen. Wusste er überhaupt noch, wie das ging?

Er gab seinen Mantel an der Garderobe ab, postierte sich in der Nähe des Eingangs und versuchte so auszusehen, als fühle er sich vollkommen wohl in der Situation, und nicht, als ob es ihn vor Unbehagen am ganzen Körper kribbelte. Es waren mehr Männer als Frauen gekommen, die meisten waren in seinem Alter, vielleicht auch ein bisschen jünger, lebhafter und irgendwie lebendiger. Er sah niemanden aus seinem Bekanntenkreis, aber mehrere Gesichter kamen ihm vage bekannt vor, teils aus seinem Arbeitsumfeld, teils aus der Öffentlichkeit. Er war der Einzige mit Schlips. Und auch der Einzige in Weste und weißem Hemd. Die anderen Männer im Raum waren legerer und definitiv moderner gekleidet. Sie trugen Hemden in Hellblau, in glänzendem Grau, sogar in Lila, und einige wenige trugen Rosa. Nirgends ein Schlips. Irgendwann im Laufe des letzten Jahrzehnts hatte sich die Mode offenbar geändert, ohne dass er es mitbekommen hatte. Er zog seinen Krawattenknoten zurecht. Eine Finanzfrau, die er von seiner Arbeit kannte, nickte ihm zu, machte aber keine Anstalten, herüberzukommen und ihn zu begrüßen. Er erwiderte ihr Nicken und atmete langsam aus. Hoffentlich überlebte er den Abend. Er ließ den Blick über die Fotografien schweifen, Porträts von Filmstars, Persönlichkeiten des Kulturlebens und Politiker. Nicht unbedingt sein Stil, aber trotzdem ganz interessant.

Dann betrat Kate den Raum, und Jacob hörte, wie ein Raunen durch die Gästeschar ging. Es schien, als ob sich alle gleichzeitig nach ihr umdrehten. Einige starrten sie offen an, andere begannen zu flüstern, eine Frau machte sogar schnell ein Foto mit ihrem Smartphone. Kate schien das überhaupt nicht zu stören. Sie erblickte ihn und schenkte ihm ein Lächeln, das die Leute dazu brachte, sich nun zu ihm umzudrehen. Jacob erwiderte ihr Nicken steif.

»Du hast dich umgezogen«, sagte er.

Sogar er selbst konnte hören, wie hölzern das klang. Früher ging ihm Konversation leichter von der Hand, auch wenn er nie ein Freund von Small Talk gewesen war, doch jetzt war er von ihrer Erscheinung wie geblendet. Ihr glänzendes Haar, die geschwungenen, verwegenen Augenbrauen und dann ihr Kleid, das ihren Kurven folgte wie ein enthusiastischer Liebhaber, verwirrten ihn. Was erwartete Kate von ihm? Warum hatte sie ausgerechnet ihn gebeten, sie zu begleiten?

Sie legte den Kopf schief und schenkte ihm eins von ihren Kate-Lächeln.

»Danke, du siehst auch ziemlich gut aus.« Ihre Stimme war leise und ein bisschen heiser, und in der Tiefe ihrer dunkelblauen Augen lag ein Glitzern.

»Verzeihung«, sagte Jacob, »ich wollte sagen, dass du fantastisch aussiehst.« Jetzt klang er wenigstens wie ein normaler Mensch.

»Danke.« Kate nahm zwei Gläser Champagner vom Tablett eines herbeieilenden Kellners und gab eins davon Jacob.

Wieder fiel ihm auf, was für schöne Hände sie hatte. Heute Abend trug sie schmale Goldringe an mehreren Fingern und am Zeigefinger einen Ring, der aussah wie ein glitzerndes V. In ihren Ohren funkelten Ohrringe in verschiedenen Größen und Designs. Er fand das ein bisschen gewagt, aber er war auch noch nie einer Frau wie Kate begegnet. Vielleicht erklärte das sein Interesse an ihr? Sie war anders als die Frauen, die er kannte. Anders als die Frau, die …

»Du siehst auch fantastisch aus«, sagte sie und durchbrach seine rasch düster werdende Stimmung. Sie hob ihr Glas und schenkte ihm wieder dieses Lächeln. Das mit den Grübchen und einem Subtext, den er nicht richtig deuten konnte, außer dass sie sich wahrscheinlich auf seine Kosten amüsierte.

»Du machst dich über mich lustig«, konstatierte er, allerdings ohne ihr böse zu sein und vielleicht sogar mit einem Augenzwinkern. Sie war schön, und er war immer noch Mann genug, um sich davon bezaubern zu lassen.

»Ein bisschen, aber du siehst gar nicht so übel aus, Jacob Grim.«

»Du solltest vielleicht mit deinen Komplimenten etwas sparsamer umgehen, sonst steigen sie mir noch zu Kopf«, sagte er.

Sie lachte, nippte an ihrem Champagner und sah sich um, wobei ihr Blick suchend über die Gäste streifte.

»Suchst du jemanden?«

»Ich schaue mich nur um«, sagte sie. Aber er sah ja, dass sie den Raum absuchte.

»Warum wolltest du herkommen?«

»Weil hier das Geld ist«, sagte sie.

Hier musste sich Jacob fast auf die Zunge beißen. Hatte er ihr nicht erst heute Morgen eine Viertelmillion Kronen gegeben? Brauchte sie noch mehr Geld? War sie so etwas wie eine Glücksspielerin? Aber wozu brauchte sie dann ihn? Hielt sie ihn für eine leichte Beute? Er warf ihr einen raschen Blick zu, wie sie dastand und ihren Champagner trank und ganz präsent zu sein schien, als würde sie sich von der auf sie gerichteten Aufmerksamkeit ernähren und diese in Sauerstoff und Energie umwandeln, wie eine private Version der Fotosynthese: Aufmerksamkeit rein, Energie raus.

Eine Frau wie Kate Ekberg könnte einen Mann wie ihn bloßstellen, ihn vermutlich sogar zerstören, ohne sich anzustrengen, vielleicht sogar ohne es zu merken. Er versuchte, diese Erkenntnis von sich abzuschütteln. Er wollte nicht daran erinnert werden, dass er früher einmal ein ganz gewöhnlicher Mann gewesen war, dass auch er Liebe erfahren hatte. Diese Erfahrung hatte ihn um ein Haar zugrunde gerichtet, und er war erleichtert gewesen, als er schließlich so abgestumpft war, dass er keine Trauer mehr spürte. Manchmal hörte er, dass jemand sich darüber beklagte, zu wenig zu fühlen. Die Zeitungen schrieben darüber, und es wurde in Radiointerviews diskutiert. Das konnte er überhaupt nicht nachvollziehen. Er selbst war froh darüber, dass er endlich nichts mehr fühlte. Er registrierte, dass Kate supersexy war, ohne dass diese Tatsache weitere Reaktionen bei ihm hervorrief. Das redete er sich zumindest ein. Zwar bemerkte er den Duft ihres Parfüms, der von ihrer warmen Haut aufstieg, aber mehr auch nicht. Und er ahnte, wie ihr dickes, dunkles Haar ihn dann und wann streifte, wenn sie den Kopf bewegte oder ihm im Gedränge nahe kam, aber das bedeutete nicht, dass das eine Wirkung auf ihn hätte, kein bisschen. Innerlich war er vollkommen tot, das rief er sich ins Gedächtnis. Außer, wenn Kate einen Schritt nach vorn machte, der Schlitz ihres grauen Kleides sich öffnete und Jacobs Blick einen gerundeten Oberschenkel und eine weiche Wade streifte, und auf einmal war er nicht mehr zu einhundert Prozent unbeeindruckt. Sie warf ihm einen Seitenblick zu, als lese sie seine Gedanken. Als er jung war, hatte in seinem Zimmer ein Foto von einer Sängerin gehangen. Einer jungen Frau mit heiserer Stimme und sanften Kurven und wohlgeformten Beinen. Als er daran dachte, musste er beinahe lächeln. Herrgott, er war noch so jung und außerstande gewesen, sich die Katastrophe auszumalen, die auf ihn zukam.

»Kennst du hier jemanden?«, fragte sie.

»Ein paar bin ich schon begegnet. Und du?«

Sie zuckte die Schultern. Er hatte keine Ahnung, was das bedeutete.

»Bist du verheiratet?«, fragte sie statt einer Antwort.

Jacob stutzte, aber dann schüttelte er den Kopf. Die Frage störte ihn fast gar nicht mehr. Fast.

»Und du?«, fragte er und versuchte, genauso ungezwungen zu klingen wie sie. »Ich meine, ich weiß ja, dass du nicht verheiratet bist«, erinnerte er sich. »Aber …« Verlegen verstummte er.

»Aber was, Jacob?«, fragte sie, wobei sie den Kopf schräg hielt. Flirtete sie mit ihm?

»Du weißt schon. Ist da jemand?«, fragte er und hustete.

»Nein, Jacob, ich bin mit niemandem zusammen.«

Einen Augenblick lang schwiegen sie.

»Wo wohnst du?«, fragte er, als das Schweigen unangenehm wurde. Er hatte ihre Adresse in ihren Unterlagen gelesen, sie sich aber nicht gemerkt.

Sie kicherte.

»Habe ich etwas Lustiges gesagt?«

»Warum macht ihr das?« Sie sah ihn neugierig an.

Er wusste nicht, was sie meinte. »Was denn?«

»Menschen aus der Oberschicht stellen immer diese Frage. ›Wo wohnst du?‹ Das habe ich noch nie begriffen.«

»Wirklich?« Darüber hatte er noch nie nachgedacht, die Frage war ihm ganz automatisch entschlüpft. Wo wohnst du? Wohnst du gern dort? Kennst du den und den?