Unverhofft kommt oft - Eden Finley - E-Book

Unverhofft kommt oft E-Book

Eden Finley

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Beschreibung

Seth Grant hat eine Identitätskrise. Alle Welt scheint davon auszugehen, dass er schwul ist, und so stürzt er sich ins Online-Dating, um herauszufinden, ob da was dran sein könnte. Niemals hätte er jedoch damit gerechnet, dass er ausgerechnet per App einen Seelenfreund findet. Doch es gibt einen Haken: Sein Flirt ist Eishockeyspieler, und Seth hasst alles, was mit dem Sport zu tun hat. Schlimmer noch, wenn sein Match erfährt, dass Seths Zwilling Foster für die NHL spielt, droht er einmal mehr im Schatten seines Bruders zu stehen. Ein Treffen kommt daher auf keinen Fall infrage. Außerdem: Kann eine App-Beziehung im realen Leben überhaupt Bestand haben? Kann man im Dschungel des Online-Datings die wahre Liebe finden? Seths Zweifel verstärken sich noch, als er herausfindet, dass er seinen Chatpartner längst kennt – und dass es ausgerechnet Richard Cohen ist, Fosters Mannschaftskamerad und guter Freund … »Unverhofft kommt oft« ist der dritte Band der fünfteiligen College-Eishockey-Reihe von Eden Finley und Saxon James. Jedes Buch ist in sich abgeschlossen und kann als Einzeltitel gelesen werden. Um alle Nebengeschichten zu verfolgen, empfiehlt es sich jedoch, die Bände in der richtigen Reihenfolge zu lesen.

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EDEN FINLEY

SAXON JAMES

 

 

 

UNVERHOFFT KOMMT OFT

 

 

 

EISKALT VERSCHOSSEN 3

 

 

Aus dem Englischen von Anne Sommerfeld

 

 

 

 

 

Über das Buch

Seth Grant hat eine Identitätskrise. Alle Welt scheint davon auszugehen, dass er schwul ist, und so stürzt er sich ins Online-Dating, um herauszufinden, ob da was dran sein könnte. Niemals hätte er jedoch damit gerechnet, dass er ausgerechnet per App einen Seelenfreund findet.

Doch es gibt einen Haken: Sein Flirt ist Eishockeyspieler, und Seth hasst alles, was mit dem Sport zu tun hat. Schlimmer noch, wenn sein Match erfährt, dass Seths Zwilling Foster für die NHL spielt, droht er einmal mehr im Schatten seines Bruders zu stehen. Ein Treffen kommt daher auf keinen Fall infrage.

Außerdem: Kann eine App-Beziehung im realen Leben überhaupt Bestand haben? Kann man im Dschungel des Online-Datings die wahre Liebe finden?

Seths Zweifel verstärken sich noch, als er herausfindet, dass er seinen Chatpartner längst kennt – und dass es ausgerechnet Richard Cohen ist, Fosters ehemaliger Teamkollege und guter Freund …

Über die Autorinnen

Eden Finley schreibt heitere Liebesromane voller Herz, die sich wunderbar für kleine Fluchten aus dem Alltag eignen. Ihre Bücher entstehen meist aus einer schrägen Idee. Ursprünglich schrieb Eden auch in vielen anderen Genres, doch seit 2018 hat sie in der Gay Romance ihr Zuhause gefunden.

Eden lebt mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn in Australien.

 

Saxon James ist eine australische Autorin, die voller Begeisterung über queere Charaktere schreibt. Ihre Bücher umfassen eine breite Spanne – von Young Adult bis zu Unterhaltungsliteratur für Erwachsene ist alles dabei. Eins haben ihre Bücher jedoch gemeinsam: Immer geht es um die Liebe in all ihren wunderbaren Facetten.

Wenn sie nicht gerade schreibt, gönnt sich Saxon jede Menge Kaffee und Schokolade bei ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Lesen.

Die englische Ausgabe erschien 2021 unter dem Titel »Goal Lines & First Times«.

Deutsche Erstausgabe März 2023

 

© der Originalausgabe 2021: Eden Finley, Saxon James

© für die deutschsprachige Ausgabe 2023:

Second Chances Verlag

Inh. Jeannette Bauroth, Hammergasse 7–9, 98587 Steinbach-Hallenberg

 

Alle Rechte, einschließlich des Rechts zur vollständigen oder auszugsweisen Wiedergabe in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Alle handelnden Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

Umschlaggestaltung: Ronja Forleo

Lektorat: Annika Bührmann

Korrektorat: Anabelle Stehl

Satz & Layout: Second Chances Verlag

 

www.second-chances-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Titel

Über die Autorinnen

Impressum

Anmerkung der Autorinnen

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

AUGUST

Kapitel 4

SEPTEMBER

Kapitel 5

OKTOBER

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

NOVEMBER

Kapitel 9

Kapitel 10

DEZEMBER

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Du möchtest weiterlesen?

Anmerkung der Autorinnen

 

Seth identifiziert sich als demisexuell, was auf dem asexuellen Spektrum liegt. Seine Erfahrungen können anders sein als die einer Person, die sich als ace oder ebenfalls als demisexuell identifiziert. Unter dem Oberbegriff »ace« finden sich viele Identitäten, und das hier ist nur eine davon.

Asexuell: Asexualität bezeichnet die fehlende sexuelle Anziehung zu anderen Personen oder ein geringes oder mangelndes Bedürfnis nach sexuellen Aktivitäten.

Graysexuell: Menschen, die wenig sexuelle Anziehung verspüren. Sie empfinden sie nur sehr selten oder nur in sehr geringem Maße.

Demisexuell: Personen, die sich nur dann zu jemandem sexuell hingezogen fühlen, wenn sie eine emotionale Verbindung zu diesem Menschen haben.

 

Der Trainingsplan eines College-Eishockeyspielers ist mörderisch, und im wahren Leben trainieren diese Athleten selbst während der Ferien pausenlos. Die Jungs der CU dürfen ihre Auszeiten genießen, weil … wir das so festgelegt haben. Wenn wir sie schon dem Trauma aussetzen, sich zu verlieben, können wir ihnen wenigstens die Winter- und Frühlingsferien gönnen.

KAPITEL 1

COHEN

Das Freizeichen ertönt an meinem Ohr.

Geh ran, geh ran.

Im Vergleich zur klimatisierten Eisbahn, wo ich gerade mein Team zurückgelassen habe, ist es außerhalb der Eishockeyanlage an diesem Sommerabend schwül. Heute sollte es sich eigentlich um die albernen Herausforderungen drehen, die ich für meine Teamkollegen aufgestellt habe, doch das hat sich schnell geändert, als ich etwas herausposaunt habe, was offensichtlich mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet hat. Das werde ich so schnell sicher nicht wieder los.

Dabei wollte ich doch nur Unterstützung demonstrieren.

Ich wische mir mit dem Saum meines Shirts den Schweiß von der Stirn, während das Handy weiter klingelt.

Komm schon, Logan, es ist echt wichtig.

Endlich ertönt das leise Klicken und die Stimme, mit der ich aufgewachsen bin, meldet sich, tiefer und rauchiger als jemals zuvor. »Richard Cohen, ich werd nicht mehr. Es ist lange her. Wie geht’s dir in Vermont?«

»Bist du schwul?«, platze ich heraus.

»Äh …«

»Scheiße«, zische ich. »Das war echt unhöflich, entschuldige.«

»Wo kommt das denn her?«

Ich schnaube. »Das ist eine komische Geschichte. Meine Teamkollegen sollten sich als Mutprobe küssen …«

Ein lautes Lachen ertönt in meinem Ohr. »Verdammt, ich hab ja wirklich was verpasst, indem ich nicht aufs College gegangen bin, was?«

Das beantwortet wohl meine Frage, aber ich rede trotzdem weiter. Ich muss es ganz sicher wissen, bevor ich wieder in die Umkleide gehe. »Also, ja, sie haben sich total angestellt, und da hab ich gesagt: ›Hey, keine große Sache, es ist nur ein Kuss. Das macht jeder.‹ Wie sich herausstellt, tut das niemand.«

Logan schnaubt. »Oh, Mann. Du hast ihnen doch nicht von uns früher erzählt, oder?«

»Dass wir rumgemacht haben? Oft? Doch, hab ich. Weil ich der Meinung war, dass das vollkommen normales Hetero-Verhalten ist. Man lernt das Küssen, indem man seinen besten Freund küsst!« Meine Stimme wird ganz schrill und seltsam, aber ich kann nichts dagegen tun.

»Hey, hey, hey, ist schon okay. Ich gehe mal davon aus, dass du seit mir keinen anderen Kerl geküsst hast, und angesichts dieser Tatsache kann man mit Sicherheit sagen, dass du hetero bist.«

Mit angehaltenem Atem warte ich auf eine Klarstellung, die nicht kommt. »Aber du bist es nicht.«

»Nein. Bin ich nicht. Und ja, vielleicht haben mir unsere Küsse dabei geholfen, es herauszufinden, aber ich war nicht in dich verliebt oder etwas ähnlich Erbärmliches.«

Ich lache laut auf. »Wow, danke, jetzt fühle ich mich besser, Lo. Es ist also erbärmlich, wenn jemand in mich verliebt ist?«

»Das meine ich nicht, und das weißt du. Wir standen uns so nah und haben alles zusammen gemacht. Ich will nicht, dass du denkst, dass ich dir nur an die Wäsche wollte. Was übrigens nicht der Fall war. Ich meine, ich hätte dich in unserem Abschlussjahr auf jeden Fall flachgelegt, wenn du es angeboten hättest, aber das lag an den fehlenden Möglichkeiten.«

»Das wird ja immer besser.«

»Ich … eigentlich kann ich nicht glauben, dass es so lange gedauert hat, bis du es ansprichst.«

»Was soll ich sagen, ich bin das Musterbeispiel eines begriffsstutzigen Sportlers.«

»Lass das«, knurrt Logan. »Du weißt, dass ich es gehasst habe, wenn du das gemacht hast.«

»Es hat …« Ich zähle nach. »… sechs, sieben, acht. Acht Jahre gedauert, bis ich geschnallt habe, dass der Typ, mit dem ich rumgemacht habe, schwul sein könnte. Ich bin nicht klug.«

»Bist du … bist du sauer?«

»Nicht sauer. Aber warum hast du es mir nie erzählt?«

Ich kann praktisch hören, wie er mit den Schultern zuckt. »Keine Ahnung. Ich hatte Angst, dass du denken könntest, ich wäre in dich verliebt oder hätte dich mit einem Trick dazu gebracht, mich zu küssen? Dann bist du weggezogen, um in der Junior League zu spielen und … es hatte wohl nicht wirklich Sinn.«

»Haben wir uns deshalb auseinandergelebt?«

Als Kinder waren wir unzertrennlich gewesen. Er hat in Bar Harbor in meiner Straße gewohnt. Äußerlich sind wir in fast jeder Hinsicht absolute Gegensätze – er ist kräftig und muskulös, ich bin schlank und wendig. Er ist der gut aussehende Blonde mit den blauen Augen, und ich war der ungeschickte Kerl mit mausbraunen Haaren und einer riesigen Nase. Was ich damit sagen will, ist, dass ich einem Gott, von dessen Existenz ich nicht vollständig überzeugt bin, gedankt habe, dass ich irgendwann proportional zu meinem Gesicht gewachsen bin. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen uns könnte der Vollbart sein, da ich mir mittlerweile auch einen habe stehen lassen. Es sei denn, er hat sich rasiert. Das würde ich nicht wissen. Es ist viel zu lange her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.

So gegensätzlich wir äußerlich auch waren, schienen wir uns eine Seele geteilt zu haben. Wir haben uns nur in einer Sache unterschieden – Eishockey. Er hat es gehasst. Ich habe es schon immer geliebt. Doch obwohl ich dachte, dass wir diese großartige Verbindung hatten, ist es für mich nie über Freundschaft hinausgegangen – auch wenn wir miteinander rumgemacht haben. Zumindest hatte ich es immer so gesehen.

Vielleicht war es mehr als Freundschaft gewesen und ich war nur zu begriffsstutzig gewesen, es zu erkennen. Es ist nicht so, dass ich viele Freundinnen gehabt hatte. Größtenteils hatte ich One-Night-Stands. College-Eishockeyspieler sind eine gefragte Ware. Himmel, als ich noch in der Junior League gespielt habe, gab es eine Reihe von Puck-Bunnys, die gehofft hatten, sich schon früh einen zukünftigen NHL-Star zu schnappen.

Pech gehabt, Ladys, ich hab es nie so weit geschafft.

»Wir haben uns auseinandergelebt, weil du weggezogen bist. Dein Fokus lag auf Eishockey, und als es mit dem NHL-Draft und der Profi-Karriere nicht funktioniert hat, bist du bis nach Vermont gezogen. Du kommst wegen des Eishockey-Camps über den Sommer nicht nach Hause, und der jährliche Urlaub meiner Familie findet immer über Weihnachten statt. Du bist nach wie vor mein bester Freund, aber wir haben jetzt beide unser eigenes Leben.«

Ich nicke, obwohl er mich nicht sehen kann.

»Ich sag dir was, wenn du das nächste Mal nach Hause kommst, sag Bescheid. Dann plane ich was für uns. Und du kannst meinen Partner kennenlernen.«

»D-du hast einen Partner? Sollte ein bester Freund das nicht wissen?«

»Ja, aber dadurch hätte ich mich dir gegenüber geoutet, und ich bin dem wohl ausgewichen, weil wir geknutscht und miteinander rumgemacht haben.«

Eine Erinnerung an die Couch in unserem Keller schießt mir in den Kopf. Logan auf mir. Wie wir uns küssen.

Hm. Den Teil mit dem Rummachen habe ich wohl vergessen.

Ich meine, wir sind ja nicht gekommen oder so.

Oh, Mist.

Ich erinnere mich daran, mir einen runtergeholt zu haben, nachdem Logan nach Hause gerannt ist. Wahrscheinlich, um dasselbe zu tun.

Ich hab es einfach für Reibung gehalten. Ich war ein Teenager, und etwas hat sich an meinem Schwanz gerieben. Um Himmels willen, ich hätte mir damals auch nach einer starken Brise einen runtergeholt.

»Rich?« Logans erwachsene Stimme dringt durch den Nebel der Erinnerungen.

»Äh, ich muss los. Aber, nun, ich bin froh, dass wir das geklärt haben. Und ja, ich möchte deinen Partner kennenlernen.«

»Kommst du diesen Sommer überhaupt nach Hause?«

»Wahrscheinlich am Ende für zwei Wochen.«

»Dann sehen wir uns.«

»Ja. Bis dann.« Ich lege auf und starre mein Handy an.

Ich muss wieder reingehen, weiß aber nicht, ob ich das jetzt kann. Es fühlt sich wirklich an, als hätte mir jemand mit einem Verwirrungsstab eins übergezogen, und plötzlich frage ich mich, ob mein gesamtes Erwachsenenleben eine Lüge war.

Nein, keine Lüge. Ich weiß, dass ich Frauen mag.

Vielleicht ist es eher so, dass ich diesen Teil von mir unterdrückt und stattdessen der Einfachheit halber das getan habe, was ich kenne. Und nun, da er wieder an die Oberfläche kommt, kann ich nicht glauben, wie blind ich war.

Aber das kann nicht stimmen.

Es ist acht Jahre her.

Acht.

Ich bin vierundzwanzig und habe mit einundzwanzig angefangen zu studieren, nachdem ich für die Junior-Eishockey-Liga zu alt geworden war. Ich bin zu alt für neue Selbsterkenntnisse, oder?

Vielleicht bin ich aber auch wirklich ein Knallkopf. Logan hasst es, wenn ich mich selbst so bezeichne, aber wem der Schlittschuh passt, der sollte ihn sich wohl anziehen.

Schließlich sammle ich mich wieder und kehre in die Umkleide zurück, stolpere aber beinahe über meine eigenen Füße, als ich sehe, wie sich meine Teamkollegen Jacobs und Beck küssen und aneinanderpressen.

Was hab ich gesagt? Keine große Sache.

Die beiden sind hetero und küssen sich.

Ja, wegen einer Mutprobe und nicht, weil ihnen langweilig ist.

Oh. Stimmt. Da war ja was.

Beck öffnet die Lippen und schiebt seine Zunge in Jacobs’ Mund. Ich könnte schwören, dass ich Jacobs stöhnen höre, und wow, das ist heiß.

Nein, nicht heiß. Das ist … Das ist …

Ach, verflucht.

KAPITEL 2

SETH

Sie kommt zwanzig Minuten zu spät.

Sie hat das Café ausgesucht. Sie hat die Uhrzeit festgelegt. Und ich weiß, dass sie mir wieder vorwerfen wird, dass ich sie erdrücke, wenn ich ihr jetzt schreibe, um herauszufinden, ob alles in Ordnung ist.

Egal, was ich tue, es ist falsch.

Eine Freundin zu haben, ist ein ständiger Kampf, und mit jeder neuen Frau, die ich treffe, wird es immer schwieriger, diese … Verbindung zu finden.

Ich trommle mit den Fingern auf die hölzerne Tischplatte und werfe einen Blick zur Tür, als Emma hereinkommt. Wie immer trägt sie ihre roten Haare zerzaust, und ihre Wangen sind gerötet – vermutlich, weil sie sich beeilt hat. Obwohl ich genervt bin, dass sie schon wieder zu spät ist, erwidere ich ihr Lächeln.

Meine Schultern entspannen sich, und ich erinnere mich daran, tief durchzuatmen und es auf sich beruhen zu lassen. Emma ist bei Weitem nicht die erste Freundin, die weniger daran interessiert ist, Zeit mit mir zu verbringen als ich mit ihr.

»Hey, Seth.« Ohne mir einen Kuss zu geben, setzt sie sich mir gegenüber. »Hast du schon bestellt?«

»Noch nicht. Ich hab auf dich gewartet. Möchtest du das Übliche?«

»Bitte.«

Ich habe schnell gelernt, dass Emma grundsätzlich fünfzehn oder zwanzig Minuten zu spät kommt. Deshalb bestelle ich vor ihrer Ankunft nichts mehr.

So ist sie eben.

Und in Beziehungen soll man sich ja nicht an den Kleinigkeiten hochziehen.

Während unsere Kaffeebestellung in Bearbeitung ist, gehe ich zurück zum Tisch.

»Also, viel zu tun?«, hake ich nach.

»Nicht wirklich. Ich musste ins Labor, um nach ein paar Pilzproben zu sehen, dann habe ich mich mit Freunden getroffen und bin zum Roller Derby gegangen.«

Wahrscheinlich werde ich das auf ewig als das willkürlichste Hobby für jemanden betrachten, der dazu bestimmt ist, eines Tages lebensrettende Medikamente zu entwickeln. »Klingt weitaus interessanter als mein Tag. Ich hab mit der Hilfe meiner Eltern endlich alle Sachen in meine Wohnung gebracht.«

Sie betrachtet mich über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg und trinkt langsam einen Schluck.

»Was ist los?«

»Seth …«

Oh-oh. Mir rutscht der Magen in die Kniekehlen, während sich hilflose Verzweiflung in mir breit macht. Ihr Tonfall sagt alles.

Emma legt ihre Hand auf meine. Ihre Haut ist weich, und in ihren Rehaugen schimmert Mitleid.

Nein.

Nein, nein.

»Du machst mit mir Schluss, nicht wahr?« Meine Stimme bricht ein wenig. Mein Zwillingsbruder macht gern Witze darüber, dass ich notorisch monogam bin. Aber das ist nicht mehr niedlich, wenn man bedenkt, was notorisch bedeutet und wie wörtlich ich mich an diese Definition halte.

Einem charakteristischen, vorhersehbaren Verhaltensmuster folgen.

Man könnte das Wort auch mit dem Namen »Seth Grant« ersetzen.

Emma atmet tief ein, und ich reiße meine Hand aus ihrem Griff. Dass sie mich unvorbereitet erwischt, ist ganz allein meine Schuld. In jeder Beziehung scheinen meine Freundinnen nicht schnell genug verschwinden zu können, wenn wir erstmal zwei bis drei Monate zusammen sind. Jedes Mal.

Allein die Vorstellung, mit jemand anderem wieder von vorn anzufangen, ist ermüdend.

»Hast du es wirklich nicht kommen sehen?«

Ich schnaube abfällig, bevor ich mich zurückhalten kann. »Na ja, du hast mich nicht wirklich auf dem Laufenden gehalten.«

»Soll das ein Witz sein?« Ihr gelassener Tonfall macht die ganze Situation noch verkorkster.

»Hört es sich wie ein Witz an?«

Sie verzieht die Lippen. Das tut sie immer, wenn sie darauf wartet, dass ich nicht mehr unvernünftig bin. Und ja, wahrscheinlich ist es ein Warnhinweis, dass ich ganz genau weiß, was dieser Ausdruck bedeutet.

Jegliche Streitsucht verlässt mich, und ich sacke auf meinem Stuhl zusammen. »Was zum Teufel stimmt nicht mit mir?«

»Willst du das wirklich wissen, oder ist es eine rhetorische Frage?«

Sie war rhetorisch, weil ich kein Masochist bin, aber … argh. Vielleicht musst ich es wirklich wissen. »Meine Gefühle sagen, dass es rhetorisch ist, aber der Wissenschaftler in mir ist neugierig.«

»Gefühle sind dein größtes Problem.«

»Was?«

»Du bist fordernd, Seth.«

Meine Brust zieht sich zusammen. Emma und ich waren vielleicht nur zwei Monate zusammen, aber es tut trotzdem weh, das zu hören. Wahrscheinlich, weil es nicht zum ersten Mal passiert.

Emma, Sarah, Gabby … Himmel, selbst mein bester Freund hat mir letztes Jahr gesagt, dass er die Uni gewechselt hat, um von mir wegzukommen. Wenn das nicht das eigene Selbstbewusstsein aufbaut, weiß ich auch nicht, was es täte.

Verstandesmäßig weiß ich, dass sie mit fordernd jemanden meinen, der jeden Tag schreibt und viel Zeit zusammen verbringen will, aber jedes Mal, wenn ich es höre, fühlt es sich an, als würden sie mir sagen, dass ich auf der Gruselskala das Stalker-Level erreicht habe und irgendwo auf eine Beobachtungsliste gesetzt werden müsste. Oh Gott, bin ich wirklich so gruselig? Das kann nicht sein … oder? Ich schreibe ja nicht, um sie im Auge zu behalten. Ich möchte wirklich Zeit mit ihr verbringen.

»Du wolltest es wissen«, erinnert sie mich.

»Was genau meinst du mit fordernd?« Bitte sag nicht gruselig. Bitte sag nicht gruselig.

Emma sieht mich an, als wäre mir ein zweiter Kopf gewachsen. »Ich bin mit einem riesigen Forschungsprojekt beschäftigt, und ich könnte schwören, dass ich jeden Tag hundert Nachrichten von dir bekomme. Du willst immer abhängen oder reden …«

»Mit meiner Freundin? Ich bin ein Monster!«

»Aber wenn wir zusammen sind …« Sie senkt die Stimme. »… willst du so gut wie nie Sex haben.«

Meine Wangen werden so heiß, dass ich fast ohnmächtig werde. »Sex ist nicht alles.«

»Nein, aber etwas. Ich meine, welcher Kerl will nicht vögeln?«

Scham wallt heiß in meinem Bauch auf, als sie mir das an den Kopf wirft, was ich mir selbst schon hundertmal gesagt habe. Ich schlucke den Kloß in meiner Kehle hinunter und sehe ihr in die Augen.

Emmas Gesichtsausdruck wird weicher. »Hey …« Igitt, Mitleid. »Entschuldige, das ging zu weit. Ich verstehe es nur nicht. Ich meine … Bist du sicher, dass du nicht schwul bist?«

Was? »Was?«

»Na ja … dein Bruder ist bi, dein bester Freund ist schwul, und viele deiner Freunde gehören in irgendeiner Form zur LGBTQ-Community.«

»Und?«

»Und es ist eine Tatsache, dass sich queere Menschen voneinander angezogen fühlen, schon bevor sie sich über sich selbst klar werden. Das ist wie ein eingebauter Selbstschutzmodus. Ihr gebt euch gegenseitig ein Gefühl von Sicherheit. Dazu gibt es sicher Studien, die du dir ansehen kannst.«

»Ich. Bin. Nicht. Schwul«, presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Keine Ahnung, ob ich darüber wütender bin oder weil sie mich fordernd genannt hat. Denn obwohl es mir ganz egal ist, wer schwul ist, habe ich es satt, für schwul gehalten zu werden. Ex-Freundinnen, zu denen ich mich sexuell nicht hingezogen gefühlt habe – wie Emma –, Leute, die ich zufällig getroffen habe, und selbst meine Eltern haben Vermutungen über meine Sexualität angestellt.

Und es ist schwer. Es ist wirklich schwer, zu definieren, wer ich bin, wenn es kein einziges Etikett zu geben scheint, das zu mir passt.

Ich habe dazu recherchiert. Ausgiebig. Das tue ich, seit sich mein Bruder unseren Eltern gegenüber geoutet hat und sich das Gespräch plötzlich um mich statt um Foster gedreht hat, weil sie den Eindruck hatten, dass ich der schwule Zwilling bin.

Nur weil ich nicht durch die Betten turne und meine Partnerinnen eher Freundinnen als Geliebte waren, heißt das nicht, dass ich mich automatisch zu Männern hingezogen fühle. Die meiste Zeit glaube ich, dass ich mich zu niemandem hingezogen fühle. Aber gelegentlich, hin und wieder, lerne ich jemanden kennen, und wir verstehen uns toll. Wir fangen als Freunde an, und irgendwann entzündet sich ein Funke.

Ich muss mich um diesen Funken bemühen, auch wenn es scheinbar niemandem sonst so geht.

Das leere Gefühl, dass irgendwas mit mir nicht stimmt, liegt schwer auf meiner Brust, und ich beuge mich vor. Ich will die Bezeichnung raushauen, mit der ich seit einiger Zeit gedanklich spiele, obwohl ich immer noch nicht ganz sicher bin, ob sie wirklich passt.

»Ich …« Die Worte bleiben mir im Halse stecken. »Ich glaube, ich bin demi.«

Überraschung breitet sich auf ihren Zügen aus, und obwohl die meisten Menschen nicht wissen, was demisexuell bedeutet, scheint sie nicht dazuzugehören. »Seth, ich …« Sie kann ihren Satz nicht beenden.

»Es tut mir wirklich leid, dass mein Bedürfnis nach einer emotionalen Verbindung und mangelnder Sex für dich unpraktisch waren. Aber weißt du was? Für mich ist es auch nicht so toll.« Ich warte darauf, dass sie geht, sodass ich meinen Kaffee trinken und in Ruhe schmollen kann.

Leider versteht sie den Wink nicht. Sie wirkt auch nicht sonderlich verlegen. Stattdessen verengt sie die Augen, als würde sie angestrengt über etwas nachdenken. »Ich habe eine Frage.«

Natürlich. »Ich will nicht über die Details diskutieren.« Hauptsächlich, weil ich sie selbst noch nicht ganz begriffen habe.

»Nein, darum geht es nicht.« Sie winkt meine Bemerkung ab. »Aber hast du schon mal versucht, eine emotionale Verbindung aufzubauen, bevor du eine Beziehung eingehst?«

»Wir waren zuerst Freunde«, stelle ich klar.

»Wa… nein. Ich meine damit, dass Online-Dating ein wirksamer und ehrlicher Weg ist, um Verbindungen zu schaffen, ohne Druck, sexuell aktiv werden zu müssen. Außerdem muss man dort nicht den herkömmlichen Vorgaben folgen.«

»Vorgaben?«

»Ja, du weißt schon. Ein drittes Date bedeutet Sex. Man muss drei Tage warten, bevor man anruft. Online kannst du so oft daten und chatten, wie du möchtest, bevor du auch nur zustimmst, dich mit der Person zu treffen.«

Ich sehe sie rein aus Prinzip finster an, aber sie hat mich neugierig gemacht. Über Online-Dating habe ich nicht groß nachgedacht, weil ich nie lange genug Single war, um es zu müssen.

»Ich sehe dir an, dass du interessiert bist.«

»Schwer zu sagen.«

Schließlich steht Emma auf und nimmt ihre Tasche. »Ich will nur sagen, dass du darüber nachdenken solltest.« Sie wendet sich zum Gehen, bleibt aber direkt neben mir stehen. »Und, Seth? Wenn du es ausprobierst, tu dir selbst einen Gefallen, und beschränk deine Unterhaltungen nicht nur auf Frauen.« Ihr süßes, durchdringendes Parfum steigt mir in die Nase, als sie sich nach unten beugt. »Denk nicht, dass mir nicht aufgefallen ist, wie sehr es dich erregt hat, wenn wir eine bestimmte Serie mit diesem Superman-Schauspieler angesehen haben.«

Mit offenem Mund sehe ich ihr nach. Für eine Trennung, die genau wie alle anderen begonnen hat, hat Emma sie definitiv mit einer überraschenden Wendung beendet.

Ich will sie zurückrufen und widersprechen, all die Gründe aufzählen, warum sie falsch liegt, aber …

Mir fallen nicht wirklich Gründe ein.

Abgesehen davon, dass ich der Hetero-Bruder bin. Oder rede ich mir das nur seit Jahren ein? Mein bisexueller Zwilling ist sexbesessen, seit wir fünfzehn sind. Damals wurde mir allein bei dem Gedanken unwohl, ein Mädchen zu küssen. Ich bin das komplette Gegenteil von Foster, deshalb kann ich nicht wie er bi sein … richtig?

Als ich mein Handy nehme und das kleine Icon des App-Stores ansehe, setzt mein wissenschaftlicher Verstand ein.

Wenn ich wirklich demi bin und eine Person erst kennenlernen muss, um mich sexuell zu ihr hingezogen zu fühlen … wäre mir das Geschlecht dann überhaupt wichtig? Schwänze machen mir keine Angst, sie geben mir nur einfach nichts. Allerdings tun das Brüste auch nicht.

Ich stelle mir vor, einen Mann zu küssen, und das ist genauso enttäuschend wie die Vorstellung mit einer Frau.

Aber alle unterstellen es mir immer.

Die Hypothese mit einem Experiment zu testen, ist der einzige Weg, ihnen das Gegenteil zu beweisen und es mit Sicherheit zu wissen.

Wissenschaft für Anfänger: die Online-Edition.

Ich meine, was kann es schon schaden?

KAPITEL 3

COHEN

Der Grund, warum ich nicht oft nach Hause komme, ist, dass die CU eine sechsstündige Fahrt von Bar Harbor in Maine, wo ich aufgewachsen bin, entfernt ist. Direktflüge gibt es nur selten, und sie sind auch noch verdammt teuer. Der Sprit für eine Autofahrt ist immer noch billiger.

Der Sommer ist in ein paar Wochen vorbei, also habe ich mir überlegt, die Reise lieber jetzt anzutreten, da ich während des Semesters nur selten Zeit dafür habe. Als ich in die Einfahrt meines Elternhauses biege, bin ich sowohl erleichtert als auch nervös.

Mom und Dad werden mich nach meinen Plänen fragen. Ich habe noch ein Jahr an der CU und keine Ahnung, was ich machen will, wenn ich erwachsen bin.

Mit dem Eishockey hat es nicht für mich geklappt, obwohl ich mich wirklich angestrengt habe. Ich habe alles hineingesteckt, aber ich war nicht gut genug, um zu den Besten zu gehören. Himmel, ich war nicht mal gut genug für den Durchschnitt. Offensichtlich ist College-Eishockey die Obergrenze meines Talents.

Deshalb dachte ich, dass ein Abschluss in Kommunikationswissenschaften ein paar Türen in verschiedenen Bereichen öffnen würde. Denn ein Abschluss in Kommunikationswissenschaften wird echt nützlich sein, wenn ich wieder nach Maine ziehe und den Angelladen meiner Eltern übernehme.

Will ich in eine Großstadt ziehen, will ich nach Hause kommen, will ich versuchen, in ein ECHL-Team aufgenommen zu werden und in der untersten professionellen Liga Kleingeld verdienen, aber trotzdem den Sport ausüben, den ich liebe?

Ich habe absolut keine Ahnung.

Mom muss auf mich gewartet haben, denn sie rennt aus dem Haus, bevor ich den Motor ausgeschaltet habe. Sobald ich mich aus dem Sitz quäle, schmerzt mein Körper. Wahrscheinlich hätte ich unterwegs mehr Pausen machen müssen.

Mom umarmt mich fest und versucht, mich ins Haus zu führen. »Oh, Richie, ich hab dich vermisst.«

Zu Hause höre ich meinen Vornamen öfter als an der Uni. »Meine Taschen.«

»Hol sie später. Wir haben dich seit Weihnachten nicht gesehen.«

Ich fühle mich ein wenig schuldig, vor allem, da ich Einzelkind bin, aber es ist ja nicht so, dass ich nicht nach Hause kommen will. Wenn es Teleportation geben würde, wäre ich jedes Wochenende zu Hause.

Meine Eltern sind gute Menschen. Sie wollten mehr Kinder, konnten aber keine weiteren bekommen, also haben sie mich nach Strich und Faden verwöhnt und mir alles gegeben, was sie sich leisten konnten. Neue Schlittschuhe, Trainer, Studiengebühren, alles, obwohl sie nicht in Geld schwimmen.

Der Plan war es, ihnen alles zurückzuzahlen, wenn ich es in die NHL geschafft hatte. Ja, das wird nicht passieren. Ich weiß nicht, wie ich ihnen jemals zurückgeben kann, was sie für mich getan haben.

Es ist später Nachmittag, also führt Mom mich zum Kaffee in die Küche.

»Ich nehme an, Dad ist im Laden?« Ich gehe zum Fenster, ziehe die Spitzengardine zurück und blicke über Hull’s Cove und zu der winzigen Hütte hinaus, die neben einer Anlegestelle für Boote steht, damit sich die Leute ihre Angelausrüstung holen können.

»Richtig. Wir hatten den besten Sommerseit Jahren. Er hatte viel zu tun.«

»Das ist wirklich toll.«

Sie reicht mir zwei Tassen. »Bring ihm eine, ja? Und dann kommst du sofort zurück, weil ich von deinem Jahr und dem Sieg bei den Frozen Four hören will.«

Sie konnten nicht zum Spiel kommen, weil einer von ihnen im Laden bleiben musste und sie nicht gern allein verreisen.

»Ich bin ein paar Wochen hier. Wir haben genug Zeit.«

»Die wird im Flug vergehen, du wirst schon sehen.«

Ich gehe nach draußen, um Dad seinen Kaffee zu bringen. Er beendet gerade ein Kundengespräch, als ich reinkomme.

Er begrüßt mich mit einem Handschlag und einem herzlichen Lächeln, weil er nie der Typ für Umarmungen war. Das ist für mich in Ordnung. Mom macht das wieder wett.

»Mom hat gesagt, dass du viel zu tun hast.«

»Das Geschäft boomt. Es war eine gute Angelsaison.«

»Das freut mich.«

»Hast du schon entschieden, was du nach dem Abschluss machen willst?«

Da ist es.

»Noch nicht.«

Dad nickt und wieder wallen Schuldgefühle in mir auf. Die Sache ist, dass ich immer nur gut in Eishockey war. Ich bin nicht klug. Das College könnte ein Fehler gewesen sein. Aber das kann ich meinen Eltern, die mich jahrelang unterstützt und Geld in jemanden gesteckt haben, der nicht mal weiß, was seine Berufung ist, nicht sagen.

Ich dachte, es wäre Eishockey.

Vielleicht ist es Angeln.

Wenn ich nach all dem letztendlich nach Hause zurückkehre, um Fischer zu werden, enterbe ich mich selbst.

»Was mit diesem Foto-Account im Internet, wo du Statistiken der NHL-Spiele postest? Wie heißt das noch gleich?«

Ich versuche, nicht zu lächeln. »Instagram?«

»Ja, könntest du damit was machen? Ein was auch immer werden.«

»Wovon redest du?«

»Du weißt schon, diese Influencer-Sache. Nennt man die so?«

Das Lächeln gewinnt. »Ja. Influencer-Sache ist die offizielle Bezeichnung, aber mein Account ist nicht so. Ich habe keine Sponsoren oder Werbung oder sowas. Ich poste nur die Highlights und die Statistiken, wenn ich in meiner Freizeit ein Spiel sehe.«

»Aber du hast ein paar tausend Follower, oder nicht?«

»Ja, aber ich denke, dass ich gut hunderttausend mehr bräuchte, bevor ich damit Geld verdienen kann.«

»Oh.«

Es ist süß, dass Dad mir helfen will, etwas zu finden, was ich machen möchte, aber Influencer ist es nicht. Auf keinen Fall.

Vom Wasser hallt der laute Ruf eines Kuckucks.

Dad seufzt. »Ich weiß, was das heißt. Sehen wir uns zum Abendessen?«

Ich stelle meine halbleere Tasse ab. »Darauf kannst du wetten.«

Schneller als meine Beine mich tragen, sprinte ich zur Tür hinaus und die Anlegestelle hinunter.

Da ist er! Mein allerbester Freund auf der Welt steigt aus seinem Flachbodenboot.

Die Sonne schimmert in seinen kurzen blonden Haaren. Er war schon immer ein winziges bisschen größer als ich, aber ist seit unserem letzten Treffen noch muskulöser geworden. Im Gegensatz zu mir ist er in der Stadt geblieben und Fischer geworden. Er verdient gutes Geld, aber der Beruf kann gefährlich sein. Wie bei »Der gefährlichste Job Alaskas«.

Er hat das Boot kaum am Dock vertäut, als ich ihn schon von hinten umarme.

Logan lacht tief und warm. »Warum begrüßt du mich nicht so?«

Ich weiß nicht, mit wem er redet, aber dann entdecke ich einen zweiten Mann im Boot. In meiner Begeisterung über das Wiedersehen mit Logan habe ich ihn nicht bemerkt. Er ist ungefähr in unserem Alter, aber definitiv nicht mit uns zur Schule gegangen.

»Richie, das ist Joe.«

Joe steigt aus dem Boot. Er ist schmaler als Logan und ich, hat aber ein nettes Gesicht. Äh, für einen Kerl.

Wie schon den ganzen Sommer über schießen mir Bilder von Logan und mir aus unserer Jugend in den Kopf, und genau wie jedes Mal zuvor reagiert mein Schwanz darauf.

Mist. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

Ich versuche, meinen Schwanz zu ignorieren und drehe mich zu meinem besten Freund um. »Lo und Joe?«

»Das wird mit Sicherheit auf unseren Hochzeitseinladungen stehen.«

»Hochzeit … Ernsthaft?«

»Ist noch eine Weile hin, aber ja. Wir sind verlobt.«

Ich umarme ihn erneut. »Glückwunsch, Mann. Das ist großartig.«

Ich bin nicht sicher, ob die leichte Enttäuschung Logan selbst oder der Tatsache geschuldet ist, dass er sein Leben irgendwie geregelt hat und ich nicht.

Auch Joe spreche ich meine Glückwünsche aus.

»Du spielst für die CU, nicht wahr?«, fragt er im Gegenzug.

»Ja, warum?«

»Kennst du Foster Grant? Er hat doch bei Montreal unterschrieben.«

Unwillkürlich sehe ich Logan mit großen Augen an. »Alter. Du heiratest einen Eishockey-Fan. Hätte nie gedacht, dass der Tag mal kommt.«

»Ja, nun, ich hasse diesen Sport immer noch, ihr könnt euch also gern darüber austauschen.«

»Ich mag ihn jetzt schon mehr als dich.« Ich lächle süßlich und wende mich Joe zu. Wir unterhalten uns geschlagene fünf Minuten über Eishockey, bis Logan so gelangweilt ist, dass er es nicht mehr ertragen kann.

»Okay, Eishockey-Zeit ist jetzt vorbei. Ich will alles über Vermont wissen.«

»Keine Ahnung. Es ist Vermont. Das Laub ist toll.«

»Ja, weil ich auch nach dem Laub gefragt habe. Bist du mit jemandem zusammen?«

»Nee. Ich war an der Schwester meines Teamkollegen interessiert, die über den Sommer auf dem Campus zu Besuch war, aber mir wurde unmissverständlich klar gemacht, dass mir der Schwanz abgeschnitten werden würde, falls ich sie berühre, und irgendwie mag ich ihn.«

Die beiden lachen.

»Was ist mit anderen Schwänzen?«, frag Logan mit tiefer, rauchiger Stimme.

Verdammt.

Als hätte die Erkenntnis, dass ich nicht durch und durch hetero bin, meinem Schwanz die Erlaubnis gegeben, auf alles zu reagieren, was auch nur annähernd schwul klingt. Frei nach dem Motto: »Tut mir leid, Kumpel, du hast die Verzichterklärung unterschrieben. Ich darf mich jetzt über alles freuen.«

»Als du angerufen hast, hast du etwas … verwirrt geklungen«, fährt Logan fort.

Es ist peinlich, diese Unterhaltung vor seinem Verlobten zu führen, und mein Blick huscht zu Joe.

Er hebt die Hände. »Ich weiß alles, aber wenn ihr diese Unterhaltung lieber allein führen wollt …«

»Macht es dir etwas aus?«, fragt Logan ihn.

»Ganz und gar nicht. Ruf mich an, wenn ihr fertig seid.« Joe küsst Logan auf die Wange und fährt mit dem Boot raus, und dann sind wir allein.

Logan schlingt einen Arm um mich und führt mich über das Dock zum Haus. »Ich werde mich wie immer bei euch zum Abendessen einladen.«

»Mom wird sich freuen.«

Wir haben eine Feuerstelle im Garten, die von Steinbänken umgeben ist. Dort führt Logan mich hin und bedeutet mir, mich zu setzen. »Okay, was geht ab?«

Definitiv nicht mein Schwanz. Sieh nicht nach unten.

»Keine Ahnung. Seit ich darauf hingewiesen wurde, dass Hetero-Jungs keine anderen Typen küssen, denke ich …«

»Oh Gott. Richard Cohen denkt. Ich dachte nicht, dass diese Worte zusammenpassen. Es sei denn, da würde noch ein nicht dahinter stehen.«

Ich schubse ihn. »Wieso darf ich so was nicht über mich sagen, du aber schon?«

»Weil es bei mir ein Witz ist. Bei dir nicht.«

Der Punkt geht an ihn.

»Also, ich bin ziemlich sicher, dass zwei meiner Teammitglieder was miteinander haben. Sie halten sich für so diskret, aber das sind sie nicht. Vor allem, wenn es mir auffällt. Die Vorstellung, dass die beiden zusammen sind … macht mich wirklich an. Genau wie andere schwule Dinge, an die ich vorher nie gedacht habe. Es ist, als hätte sich ein Schalter umgelegt. Aber der Gedanke, auszugehen und mit einem Typen zu schlafen?« Ich verziehe das Gesicht. »Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.«

»Und niemand sagt, dass du das musst.«

»Aber irgendwie will ich Antworten.«

»Dann finde sie auf andere Weise.«

»Andere Weise?«

»Es gibt da diese Sache. Vielleicht hast du noch nicht davon gehört, weil sie so neu ist. Man nennt sie Internet.«

»Haha. Du bist ja so lustig.«

»Aber mal im Ernst. Probier ein paar schwule Dating-Apps aus. Rede mit den Typen. Erkunde es auf diese Weise.«

Meine Lippen verziehen sich zu einer schmalen Linie. »Ich werde darüber nachdenken.«

»Wenn du es vor ein paar Sommern hättest herausfinden wollen, wäre ich dir gern zur Hand gegangen, aber ich glaube nicht, dass das jetzt meinem Verlobten gefallen würde.«

Ich schnaube. »Wahrscheinlich nicht.«

Stille breitet sich zwischen uns aus, allerdings so wie immer. Das Schweigen ist nicht peinlich, sondern friedlich.

Die Geräusche von Singvögeln und Blauhähern am Spätnachmittag, der Geruch des Salzwassers und alles, was sonst typisch für Maine ist, begrüßen mich zu Hause.

»Also, was hast du vor, wenn du nächstes Jahr deinen Abschluss hast?«, fragt Logan.

Ich stöhne. »Nicht du auch noch.«

 

***

 

Eines nervt wirklich, wenn man regelmäßig seine Intelligenz anzweifelt. Denn wenn ich denke, dass ich gute Entscheidungen treffe, ist eigentlich das absolute Gegenteil der Fall. Und als ein Bild eines erigierten Schwanzes auf meinem Handybildschirm erscheint, wird mir klar, dass dies einer dieser Momente ist.

Dating-Apps sind der Horror.

Ich würde gern Logan die Schuld an dieser Idee geben, aber es war meine Entscheidung, es durchzuziehen.

Ich werfe mein Handy aufs Bett und starre an die Decke meines beengten Kinderzimmers.

Ich dachte, ich benehme mich mal wie ein Erwachsener, und habe mir eingeredet, es allein anzugehen. Denn wenn ich es meinen Freunden an der Uni gegenüber erwähne, ziehen sie mich nur weiter auf. Noch mehr als sie es jetzt schon tun, weil ich einer Umkleide herausposaunt habe, dass ich einen Typen geküsst habe.

Ihre Sticheleien sind von Zuneigung und nicht von Hass motiviert, das ist ja schon mal was. Sie machen sich nicht über mich lustig, weil ich einem anderen Mann die Zunge in den Hals geschoben habe. Nein, sie finden es urkomisch, dass mir die Normalität davon entgangen ist. Oder Nicht-Normalität. Das kann ich ihnen nicht vorwerfen.

Aber vielleicht sollte es normalisiert werden. Es sollte keine große Sache sein, wenn sich zwei Typen als Freunde küssen. Weil es das wirklich nicht ist.

Aber … das hier. Erneut nehme ich mein Handy und betrachte das Schwanz-Bild, das mir ein angeblich netter Typ geschickt hat. Ja, das könnte eine große Sache sein.

In seinem Profil steht wortwörtlich: Ich behandle dich nett. Ich habe ihm ein einfaches Hi geschickt und schwupp, schon war es da. Wir haben wohl unterschiedliche Definitionen von nett.

Ich neige gleichzeitig das Handy und meinen Kopf, um die Proportionen beurteilen zu können. Ist die Hand darum klein, oder ist er wirklich so groß?

Ich kann nicht behaupten, dass es mir etwas gibt, und ich habe keine Ahnung, wie ich darauf reagieren soll.

Vor ein paar Tagen habe ich mir ChatUp heruntergeladen und die App immer noch nicht verstanden. Antworten habe ich auch nicht bekommen.

Scheinbar bin ich immun gegen Schwanzbilder, aber gestern hat ein Typ, mit dem ich gechattet habe, ein Gespräch über Sex angefangen, und das Ganze hat sich so natürlich entwickelt, dass mir das Sexting gar nicht aufgefallen ist, bis ich mich berührt habe und zu all den versauten, dreckigen Worten auf meinem Display gekommen bin. Seine Schilderung, wie er mich auf sich zieht, unsere Schwänze streichelt und mich grob küsst, hat mich wohl angemacht.

Anschließend wusste ich auch da nicht so wirklich, was ich darauf antworten sollte. Klingt heiß war alles, was mir einfiel.

Dann hat er angeboten, sich mit mir zu treffen und es persönlich zu tun, und ich hab Angst bekommen und ihn blockiert. Es lag nicht daran, dass er ein Kerl ist, sondern weil ich keine Ahnung habe, was ich tue. Es war zu viel und zu früh.

Bevor ich diese Nicht-Hetero-Sache wirklich ausprobiere, muss ich mich erst mit der Vorstellung anfreunden. Und im Moment fühle ich mich damit wohl, das erst einmal nur online zu tun.

Ich tippe mir ans Kinn, um mir eine lustige Antwort einfallen zu lassen. Okay, alles oder nichts.

@confused96:Du musst sehr stolz sein. Herzlichen Glückwunsch zu einem wunderschönen Schwanz.

Ja, das hätte ich wahrscheinlich nicht sagen sollen.

@scottiethehottie:Ich wette, dass ich dein Loch damit zerreißen könnte. Du gehst auf die Colchester, richtig? Ich könnte in zwanzig Minuten da sein.

Bitte was?

Ich meine … bitte was?

In meinem Profil habe ich geschrieben, dass ich aus Vermont komme, und die Standortbestimmung ausgeschaltet, weil ich immer noch in Maine bin, habe aber die wichtigen persönlichen Details weggelassen.

@confused96:Wie kommst du darauf, dass ich auf die CU gehe?

@scottiethehottie:Dein Tattoo.

Oh, verdammt. Ich betrachte das Tattoo auf meiner Hüfte, direkt neben meiner Leiste. Im ersten Jahr haben die Studenten der Abschlussklasse im Team gesagt, dass wir uns alle passende Tattoos stechen lassen sollten. Wegen, na ja, des Schulstolzes. Los, Mountain Lions! Allerdings haben sie alle entschieden, es nicht durchzuziehen. Deshalb werde ich jetzt auf ewig das Tattoo eines Berglöwen haben. Und niemand sonst.

Wieder einmal zu naiv gewesen. Ich hätte mit jemandem aus dem Team gehen sollen, um sicherzustellen, dass sie die Wahrheit sagen.

Ich klicke mein Profil auf der Dating-App an. Es ist von oben aufgenommen, sodass mein Gesicht und meine Bauchmuskeln zu sehen sind. Der Fokus liegt auf meinem Gesicht. Meine braunen Haare sind zerzaust, als wäre ich gerade erst aus dem Bett gefallen. Mein Bart müsste mal getrimmt werden. Offensichtlich hat der Typ all das übersehen. Um mein Tattoo zu erkennen, muss man das Foto so sehr vergrößern, dass es fast schon verpixelt ist.

Das ist echt gruselig.

@confused96:Das ist ein Puma. Ich gehe auf die UVM.

Igitt, ich fühle mich schmutzig, das zu behaupten. Zwischen der University of Vermont und der Colchester gibt es eine Fehde, die bis zur Gründung unserer Uni zurückreicht. Ich sollte mir den Mund mit Seife auswaschen. Oder mir die Finger abhacken. Auch nur so zu tun, etwas mit dieser Uni zu tun zu haben … Nein, einfach nein.

@scottiethehottie:Noch besser. An der UVM bin ich in fünf Minuten. Ich wohne in der Nähe des Campus.

Und … blockiert.

Das Profilbild schneide ich nun so zusammen, dass weder mein Gesicht noch mein Tattoo zu sehen sind und schreibe dann, dass ich auf die UVM gehe, damit keiner dieser Typen an meiner Uni auftaucht und mich sucht. Niemand von der CU würde je behaupten, er würde auf die UVM gehen. Na ja, außer mir.

Nicht wirklich eine schockierende Enthüllung.

Mir ist klar, dass diese Apps hauptsächlich dafür genutzt werden, One-Night-Stands zu organisieren, aber anscheinend wollen alle direkt zur Sache kommen.

Vielleicht sollte ich in den LGBTQ-Club auf dem Campus eintreten, in dem auch Foster war. Obwohl ich damit an die große Glocke hängen würde, dass es stimmt – Ich bin nicht so hetero, wie ich dachte –, und dazu bin ich noch nicht bereit.

Ich wische durch die verschiedenen Optionen, als mir ein Profil ins Auge fällt. Oder eher die Beschreibung: Ich bin nur zum Reden hier. Keine unverbindlichen One-Night-Stands.

@scientistguy hat nicht viele Einzelheiten in seinem Profil, und sein einziges Foto ist von ihm im Halloween-Kostüm. Ich versuche es mal mit ihm und hoffe, dass die Beschreibung kein Schwachsinn ist. Die gruseligen Typen geben sich meistens recht schnell zu erkennen.

@confused96:Hey.

Er antwortet nicht, obwohl der grüne Punkt anzeigt, dass er online ist. Nachdem fünf Minuten lang nichts passiert, schicke ich eine weitere Nachricht.

@confused96:Für jemanden, der reden will, sagst du nicht viel.

Die kleine Blase auf dem Display verrät mir, dass er tippt.

@scientistguy:Ich habe auf das unvermeidliche Schwanzbild gewartet, das normalerweise auf ein HEY folgt.

Ich lache. Scientist Guy könnte genauso wechselhaften Erfolg haben wie ich.

@confused96:Vielleicht sehen sie deine Bitte um eine Unterhaltung als Herausforderung.

@scientistguy:Ich dachte mir, dass sie nicht lesen können.

Erneut lache ich auf.

@confused96:Das auch. Also, was ist deine Geschichte?

@scientistguy:Was meinst du mit Geschichte? Es war einmal, vor 22 Jahren, da gab es einen Mann und eine Frau, die sich seeeehr liebten …

@confused96:Haha. Eigentlich meinte ich damit, warum du zum Reden auf einer Dating-App bist? Kein Glück im echten Leben?

@scientiestguy:Ich bin potthässlich.

@confused96:Eine Papiertüte über dem Kopf könnte helfen.

@scientistguy:Es ist immer gut, Optionen zu haben.

@confused96:Hält einen Hässlichkeit in der Welt der Schwulen wirklich zurück? Ich dachte immer, die meisten Typen sehen dir nicht ins Gesicht, wenn sie dich vornüberbeugen und vögeln.

@scientistguy:*seufz* So nah dran. Bis später.

Moment, was hab ich getan? Oh, scheiße. Hastig tippe ich eine Antwort, bevor er mich blockiert.

@confused96:Nein! Das war kein Angebot oder eine Anmache oder ein Versuch zum Sexting. Ich bin wirklich neugierig, ob Hässlichkeit ein Problem ist, wenn alle, mit denen ich rede, nur an Schwänzen und Polöchern interessiert sind.

@scientistguy:lol. Hat wirklich jemand darum gebeten, dein Poloch zu sehen? Wie fotografiert man das überhaupt?

@confused96:Hey, ich bin nur zum Reden hier. Ich kann nicht glauben, dass du mich gebeten hast, ein Foto von meinem Poloch zu machen.

@scientistguy:Hab ich nicht!

@confused96:Mmhmm. Sicher.

@scientistguy:Was ist DEINE Geschichte?

@confused96:Gerissen, wenn du denkst, ich würde nicht merken, dass du die Aufmerksamkeit von dir ablenkst, aber ich lasse es durchgehen. Ich bin Richie. Ich bin 24. Und das alles ist für mich wirklich neu.

@scientistguy:Ah, deshalb der Name? Oder bist du verwirrt, wie die 69 funktioniert und hast es umgedreht?

@confused96:Genau das ist mein Problem. Ich verwandle 69er in 96er. Aber mal im Ernst, vermutlich geht es um Identitäten. Sie sind verwirrend. Vor langer Zeit habe ich einen Typen geküsst, war aber dann nur mit Frauen zusammen. Erst kürzlich hat mich jemand darauf hingewiesen, dass ich vielleicht nicht hetero bin.

@scientistguy:Die meisten Menschen würden sagen, Herzlichen Glückwunsch, du bist bisexuell, aber ich weiß, dass es nicht so einfach ist. Vielleicht fühlst du dich dadurch besser: Meine Ex-Freundin musste mich auch darauf hinweisen, dass ich vielleicht nicht hetero bin. Was ist denn nur mit den Leuten los, dass sie anderen verkünden, welche Sexualität sie haben?

@confused96:Fairerweise muss man sagen, dass ich tatsächlich einen Kerl geküsst habe. Du?

@scientistguy:Nein. Ich versuche schon den ganzen Sommer über, hier Männer kennenzulernen. Weißt du, um gründlich zu recherchieren. Ich war überrascht, als ich tatsächlich Verbindungen zu einigen aufgebaut habe. Online haben sie toll gewirkt, und da war dieses … Interesse, aber sobald wir uns zum Kaffeetrinken oder sonst was getroffen haben, war es ganz anders, und sie wirkten wie ein anderer Mensch. Als wäre alles nur Show gewesen. Oder vielleicht bin ich das Problem und spüre … es bei persönlichen Begegnungen einfach nicht. Ehrlich gesagt bin ich kurz davor, aufzugeben. Die Sache mit den Identitäten ist schwer. Ich weiß auch nicht, was ich bin.

@confused96:Hoffentlich menschlich. Das ist meine einzige harte Grenze. Ich will mich wirklich nicht in dich verlieben und dann herausfinden, dass du ein Stachelschwein bist.

Vielleicht bleibt er nach einem Witz etwas länger. Hört sich nämlich an, als wäre er zwei Sekunden davor, die App vollständig zu löschen.

@scientistguy:Ich kann stachlig sein. Nur so als Warnung.

@confused96:… Bist du ein Stachelschwein? Ich bin sicher, dass du antworten musst, wenn ich frage. Nein, warte, das gilt für die Polizei.

@scientistguy:Auch nicht bei der Polizei. So was denken nur kriminelle Vollpfosten.

@confused96:Hast du mich gerade kriminell genannt?

@scientistguy:Ich hab dich auch einen Vollpfosten genannt.

@confused96:Dagegen kann ich nichts sagen. Hast du nicht den Teil gelesen, wo mich jemand anderes darauf hinweisen musste, dass ich vielleicht nicht hetero bin, wenn ich einen anderen Mann küsse?

Die Blase blitzt kurz auf und verschwindet wieder. Dann taucht sie wieder auf. Ich erwarte eine riesige Nachricht, vielleicht eine Erklärung, dass sich Sexualitäten auf einem Spektrum befinden, mit Worten, die ich nach einer endlosen Google-Suche gelesen habe, wie fließend und pansexuell und all diese tollen Bezeichnungen, die sich gut anfühlen, aber nicht richtig … passen. Noch nicht. Ich hoffe, dass ich mit etwas mehr Erfahrung dahinterkomme.

Allerdings bekomme ich diese Nachricht nicht.

@scientistguy:Bist du ein Krimineller? Wurdest du mal verhaftet?

Vermutlich will er im ersten Chat nicht zu tiefgründig werden, und das kann ich respektieren.

@confused96:Schon oft. Ich bin gerade im Knast.

@scientistguy:Weswegen?

@confused96:Weil ich zu sexy bin.

@scientistguy:Das war eine Steilvorlage, nicht wahr?

@confused96:Jap. Aber um ehrlich zu sein, habe ich nicht mal einen Strafzettel für zu schnelles Fahren bekommen. Ich bin ein guter Junge.

@scientistguy:Gerade, als ich mir vorgestellt habe, wie wir beide auf einem Motorrad davonbrausen, musst du mir sagen, dass du ein guter Junge bist. Schade.

@confused96:Aha. Du willst einen Bad Boy bekehren, was?

@scientistguy:Nee, ich lasse mich lieber verderben.

Mein Schwanz zuckt. Verdammt, die Vorstellung gefällt mir. Es gibt nur ein Problem.

@confused96:Ich glaube nicht, dass ich erfahren genug bin, um dich zu verderben.

@scientistguy:Unsere Beziehung ist zum Scheitern verurteilt. Wir können genauso gut jetzt aufgeben.

@confused96:Am Ende, bevor sie begonnen hat.

@scientistguy:Ich sollte wohl schlafen gehen. Ich bin nur online, weil ich nachsehen wollte, wie viele widerliche Typen sich heute gemeldet haben.

@confused96:Wie viele?

@scientistguy:Zwei nicht angeforderte Schwanzbilder, einer, der gefragt hat, ob ich Femme bin und er meine Pussy ficken kann, und ein Typ, der bis jetzt cool wirkt. Obwohl meine Ansprüche nach den anderen etwas gesunken sein könnten.

@confused96:Bin ich der Coole? Ich kann so richtig cool sein. Das sagt meine Mutter immer.

@scientistguy:Und das war’s mit den Punkten fürs Coolsein.

@confused96:Verdammt. Aber darf ich dir wieder schreiben? Vielleicht kann ich sie zurückverdienen.

@scientistguy:Du kannst es gern versuchen.

@confused96:Verrätst du mir deinen Namen?

@scientistguy:Den musst du dir verdienen. Gute Nacht, Richie.

Mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht und dem Gefühl, nicht so allein zu sein, schlafe ich ein. Scientist Guy macht dasselbe durch wie ich, und das tröstet mich.

 

AUGUST

 

@confused96:Erzähl mir mehr über dich. Was ist deine Lieblingsfarbe?

@scientistguy:Wie alt bist du, sieben? Ich hab keine Lieblingsfarbe. Denn, noch mal, ich bin nicht sieben Jahre alt.

@confused96:Erzähl mir etwas Überraschendes über dich.

@scientistguy:Ich habe drei Hoden.

@confused96:Wirklich?

@scientistguy:Nein.