Vanara: Aufstieg der Bahedor - Mark Wamsler - E-Book

Vanara: Aufstieg der Bahedor E-Book

Mark Wamsler

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Beschreibung

Ritter, Zwerge und schwarze Drachen. Eine mitreißende Mittelalter-Saga voller Action, Humor und Magie von Schwertkämpfer Mark Wamsler. Ein uraltes Übel kommt in die Welt zurück und ruft die Kirche kurz nach den Kreuzzügen erneut zu den Waffen. Auch die 17 Lenze zählende Vanara hungert nach Abenteuern, denn sie sehnt sich nach mehr als dem tristen Leben in einem Gasthof in Ammerlingen. Niemand weiß davon, dass sie schon lange heimlich bei den aussätzigen Zwergen die Schwertkunst erlernt. Sie ist bereit, riesige Drachen und schreckliche Dämonen zu besiegen. Denkt sie zumindest. Doch das Ritterhandwerk ist nur Männern vorbestimmt. Aber was, wenn sie eine Chance bekäme? Kann sie alle überlisten und beim Arma-Sanctorum-Wettbewerb teilnehmen? Wie sind Drachen wirklich und warum hilft ihr dieser geheimnisvolle schwarze Ritter? Ohne es zu wollen, beginnt für Vanara eine abenteuerliche Geschichte von Mut, Verrat, Gefahr und Liebe.

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Drachenfeuer Chroniken

Band 1

Vanara: Aufstieg der Bahedor

Copyright © Wunderhaus Verlag, Dresden

Lektorat: Johanna Furch, Marianna Korsh

Co-Lektorat: Bjela Schwenk

Korrekturlesen: Justina Schindler

Coverdesign, Satz & Layout: Marianna Korsh

Illustrationen im Buch von Ketrin Rey

Grafiken von Mandy Zasadzki

ISBN 978-3-96372-056-7

www.wunderhaus-verlag.de

ES WAR EINMAL VOR LANGER ZEIT,

ALS DIE GESCHICHTE UNSERER WELT

NOCH VON DRACHEN UND HELDEN

GESCHRIEBEN WURDE ...

Prolog

Lukas öffnete den Vorratsschuppen und holte ein großes Stück Räucherschinken hervor. Am Ende eines langen Tages als kommandierender Ritter der Stadtwache wartete er schon bereits auf den deftigen Eintopf, den Jasmin eben in der Küche zubereitete. Nach den Entbehrungen des Krieges konnte er sich jeden Tag auf das bescheidene, aber köstliche Essen seiner Frau freuen. Und noch auf so vieles mehr: Jasmin und er planten Nachwuchs. Dazu musste er mehr Sold verdienen, vielleicht würde er sich für diesen neuen Ritterorden bewerben, den die kirche derzeit ins Leben rief. Von ihr hatte er für seine Dienste im heiligen Krieg immerhin auch dieses kleine Stück Land samt Hof im Leandertal geschenkt bekommen. Eingebettet zwischen sanften Hügeln, kaum einen Tagesritt von Ammerlingen entfernt.

Plötzlich hörte Lukas ein Knurren. Er hob den Kopf leicht und lauschte. Er trat aus dem Schuppen heraus, der sich an eine große Eiche schmiegte. Kalte Abendluft schlug ihm entgegen und er fröstelte kurz. Das Geräusch kam von da hinten, hinter dem Vorratsschuppen.

„Jasmin, ich dachte, Remo ist in der Stube?“, rief er in Richtung der Wohnhütte. Er schüttelte kurz den Kopf. Er mochte es nicht, wenn sich der Hund am Vorratsschuppen herumtrieb und bei jeder Gelegenheit versuchte, einen Happen Fleisch zu stibitzen. „Na los, Remo, wir gehen rein. Los!“ Lukas schulterte das Fleisch und machte sich auf, in die Hütte zurückzukehren. Es wurde langsam kalt und er freute sich auf eine warme Stube und sein Abendessen.

„Liebster, hast du mich gerufen? Was ist mit dem Hund? Remo liegt im Schlafgemach.“ Die Stimme seiner Frau war gerade verstummt, als Lukas erneut ein tiefes Grollen hinter sich hörte.

„Wenn Remo in der Hütte ist ... was zum Teufel ist dann ...“ Er warf das fleisch ins Gras, zog seinen Dolch und dachte an sein Schwert, das in der Stube an der Wand hing. Vorsichtig ging er um den Schuppen herum und blickte angestrengt in die Dunkelheit. „Wer ist da? Kommt heraus!“ Doch er wusste, dass es sich hier niemals um einen Menschen handeln konnte. Ein Bär vielleicht? Aber Bären trauten sich für gewöhnlich nicht aus ihren Wäldern so tief ins Leandertal.

Schon wieder ein Knurren. Es kam ihm beinahe schon wie eine Sprache vor. Er hatte im Heiligen Land so manche fremde Sprache gehört, aber so etwas noch nie.

Lukas holte tief Luft, hob einen Stein auf und warf ihn in den Schatten der großen Eiche. Es gab ein dumpfes Geräusch gefolgt von einem tiefen, wütenden Grollen. Egal, was es war, Lukas wusste instinktiv, dass er sich schnell zur Hütte zurückziehen musste.

Er wollte sich gerade umdrehen, als ihn zwei gelbe Augen aus dem Dunkel anstierten.

Lukas schluckte und ein Schauer überlief ihn. Diese Augen lagen viel zu weit auseinander, um irgendeinem Tier zu gehören, das ihm bekannt war. Die Laute erklangen erneut und es hörte sich nun an, als würde in einer tiefen, kehligen fremden Sprache zu ihm gesprochen. Dabei wanderte das Augenpaar höher und höher und ragte schließlich mehrere Ellen über ihm aus der riesigen Eiche.

Dann trat es heraus. Holz knirschte und knackte und in Lukas zogen sich die Eingeweide zusammen. „Allmächtiger Es konnte nicht sein. Er hatte von ihnen gelesen. Hatte die Gerüchte gehört. Hatte sich mit anderen Rittern und Soldaten darüber lustig gemacht.

Dann rannte Lukas. Rannte so schnell er konnte. Zurück zur Hütte. Zurück zu Jasmin. „Liebste ... komm ja nicht heraus ... Jasmin .... Bitte ... bleib ...“ Hinter ihm dumpfe Schritte und das tiefe Grollen. Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass er verfolgt wurde. Er stolperte vorbei am Räucherfleisch, war nun beinahe an der Hütte angelangt. Von drinnen hörte er Remo kläffen.

Plötzlich erstarben die Geräusche hinter ihm und Lukas wagte einen kurzen Blick über seine Schulter. Ein kreischendes Zischen. Ein Glühen in der Nacht. Dann Hitze und ein kurzer brennender Schmerz, tausendmal heißer als die unbarmherzige Sonne über Akkon, gefolgt von ewiger Ruhe.

Die Tür ging auf, Jasmin übertönte Remos Bellen: „Liebster, was brüllst du denn hier draußen her-“ Weiter kam sie nicht. Fassungslos musste sie mit ansehen, wie ihr Gemahl in einem gleißenden Flammensturm verglühte.

Sie schrie, taumelte ins Haus und schaffte es mit zitternden Fingern, die Tür zu verriegeln. Remo bellte. Mit verschwommenem Blick rannte Jasmin zum hinteren Teil der Hütte. Lukas hatte dort, vorsichtig wie er war, eine Geheimtür eingebaut und hinter einem Regal versteckt. Jasmin schob es mit einem Ruck zur Seite und gelangte ins Freie.

Hinter ihr krachte und polterte es, der Boden bebte und Remos Bellen ging in ein kurzes Winseln über, ehe es für immer erstarb.

Jasmin rannte so schnell ihre Füße sie trugen. Tränen brannten in ihren Augen beinahe ebenso schmerzhaft wie die Hitze, die durch die näherkommenden Flammen auf sie einströmte. Ein lautes Krachen hinter ihr und sie warf beim Rennen einen Blick zurück. Die Hütte, die kleinen Geräte- und Vorratsschuppen - alles verging in einem tosenden Feuersturm. Innerhalb weniger Augenblicke wurde ihr ganzes Leben zerstört.

Jasmin schluchzte und rannte erfüllt von Grauen und Todesangst weiter in Richtung der kleinen Landstraße. Da, endlich, erblickte sie Reiter. Sie standen auf einer kleinen anhöhe und einer musste auf jeden Fall ein Ritter sein, denn seine Rüstung und sein Helm glänzten matt im Feuerschein.

„Dem Schöpfer sei Dank ... edle Herren ... so helft mir doch ... bitte ...“ Schon völlig außer Atem rannte Jasmin auf die drei Reiter zu, die regungslos auf der kleinen anhöhe standen. Nur das Schnauben ihrer Pferde und das Brausen des feuers klang durch die nacht.

Bei den Reitern angelangt, fiel sie auf die Knie und blickte zu ihnen hoch. „So helft mir doch! Mein Gemahl ... unser Heim ... ich bitte euch!“ Während der mittlere Reiter tatsächlich die Rüstung und den Helm eines Ritters trug, waren die beiden, die ihn flankierten, in dunkle Waffenröcke samt Mäntel mit langen Kapuzen gehüllt. Der Ritter hatte das Visier leicht geöffnet und Jasmin sah nun ein leichtes aber bösartiges Lächeln. Er nickte kurz und Jasmin wurde mit grausiger Bestimmtheit bewusst, dass sie hier keine Hilfe zu erwarten hatte.

Eine der verhüllten Reiter gab ein zischendes Geräusch von sich und mit einer unglaublichen Schnelligkeit schoss ein Arm auf Jasmin zu. Eine ledrige Klauenhand, grausam und nicht von dieser Welt, umschloss ihren Hals.

Jasmin versuchte noch schwach, die Klauen auseinanderzuziehen, aber sie konnte es nicht. Sie spürte, wie das Leben langsam aus ihr wich. „Lukas ... Liebster ...“

Der Ritter nickte erneut. Der verhüllte Reiter drehte mit einer blitzschnellen Bewegung und einem knackenden Laut sein Handgelenk und öffnete dann seine Klauenhand. Mit einem dumpfen Geräusch sackte der tote Körper der jungen Frau ins Gras und der Ritter blickte kurz in die wässrigen Augen, die nun stumpf und klagend in den Nachthimmel blickten. Dann schloss er sein Visier, drehte sein Pferd und galoppierte mit den anderen Reitern davon, während ein großer schwarzer Schatten über sie hinwegflog und sie in die dunkle Nacht begleitete.

Ein Jahr später

KAPITEL I

Das Tor öffnet sich

„Mist, ich bin mal wieder viel zu spät dran.“ Vana hielt kurz inne, um zu verschnaufen. Ein Schweißtropfen perlte von einer ihrer blonden Haarsträhnen auf den staubigen Boden. Sie blickte kurz hinauf in den azurblauen wolkenlosen Himmel. Die Sonne stand freudig strahlend am Firmament und schien wie eine Schutzherrin der guten Laune über die Stadt Ammerlingen zu wachen.

Wäre die alte Gunda Trochtenstein nicht gewesen, wäre Vana jetzt gut in der Zeit. Aber wie es das Schicksal nun so wollte, musste die alte Frau natürlich ausgerechnet dann mit ihrem Handkarren Vanas Weg kreuzen und im Morast steckenbleiben, als diese es sowieso schon eilig hatte. Gemäß des Ritterkodexes war es natürlich ihre Pflicht, der alten Frau zu helfen - auch wenn sie noch lange kein Ritter war und es wahrscheinlich auch niemals werden würde. Doch Vana half gern und somit hatte sie bei ihrer guten Tat neben einem großen Zeitverlust auch ein bisschen Ruhm erlangt.

„Eines Tages werde ich ebenfalls ein Gladior Panzerritter!“ Kurz dachte sie an ihre Worte, welche mal wieder völlig unbedarft aus ihr hervorgesprudelt waren, als sie der alten Gunda hochgeholfen hatte. Und wie so oft rief das auch bei Gunda die entsprechende reaktion hervor.

„Ooooh Kind, bitte vergib mir. Meine Ohren sind nicht mehr die besten. Jetzt habe ich doch tatsächlich verstanden, dass du auch ein Gladior werden willst. Siehst du, Vanara, solche absurden Späße treibt das Alter mit einem.“

Vana hatte die alte Gunda nur angeschaut und traurig gelä- chelt. „Ja ... absurd, nicht wahr?“

Vana seufzte kurz und rannte weiter, denn sie musste sich beeilen. Sie hatte ja noch für Tante Milda auf dem Markt Besorgungen zu machen und wollte trotzdem unbedingt den Einzug der Gladioren erleben. Sicher, die vielen Ritter samt ihrem Gefolge waren an diesem Wochenende auch spannend anzusehen, aber die Gladioren - sie waren doch etwas ganz Besonderes.

Vana hielt sich am Straßenrand und betrachtete beim Laufen kurz die riesige Konstruktion, die im Zentrum der Stadt hoch in den Himmel aufragte. Schon seit Monaten arbeiteten dort die Handwerker, um den berühmten Drachenlauf-Parcours für das Arma Sanctorum zu schaffen. Nach außen hin war die mächtige Konstruktion aus Holz und Metall mit Fahnen und Tüchern abgedeckt. Nur wer später Einlass in die Arena hatte, würde den Drachenlauf in seiner ganzen Pracht erblicken können.

Sie hastete weiter. Zum Glück hatte sie aufgrund ihrer täglichen körperlichen Arbeit eine gute Kondition.

Am Markt herrschte regeres Treiben als sonst, da sich neben den Menschen aus Ammerlingen nun auch viele Besucher um die Stände drängten. Es war schließlich das Arma-Sanctorum-Wochenen- de, die Marktleute boten ihre besten Waren feil und jeder wollte sich damit eindecken, ehe sie ausverkauft waren.

Ein buntes Lärmgemisch aus Marktschreiern, Pferdewiehern, Schafgeblöke und Stimmengewirr lag über dem Platz, der sich mit seinen vielen Verkaufsständen an das ehrwürdige Ammerlin- ger Münster schmiegte.

Vana atmete kurz durch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sie blinzelte hoch in die Sonne, dann eilte sie weiter. In Gedanken ging sie durch, was Tante Milda geordert hatte. „Als erstes schnell zum Carnifex, bevor das beste Fleisch weg ist, dann aber nichts wie zur Tribüne am Stadttor. Ich habe nur noch eine Stunde bis zum Gladioren-Einmarsch“, ermahnte sie sich laut und quetschte sich durch das bunte Treiben.

Sie sog genussvoll die vielen Gerüche ein. Gegrillte Fleischspieße, exotische Gewürze aus den Sarazenenländern - und alles vermischt mit Schweißgeruch.

„Hey, pass doch auf. Nicht träumen, weitergehen!“ Ein hektisch dreinblickender Knecht schubste Vana unsanft zur Seite und drängte sich an den Stand. Hektik und Lärm bestimmten den Markt - heute mehr als sonst. Sie setze ihren Weg fort zum Metzgerstand von carnifex klöppel.

Zwischen dem Gedränge und dem Schieben der Menschenmassen spürte Vana plötzlich kaltes Metall. Sie schaute hoch und blickte in das Gesicht eines Ritters. Sein Visier war hochgeklappt und der Schweiß rann ihm in die Augen.

Gerade wollte sie weiter, sich nicht wieder in ihren Gedanken und Träumereien verlieren, da packte der Ritter sie unsanft am Handgelenk. „Siehst du, Peter? Der klassische Taschendieb-Trick. Das Gedränge im Markt ausnutzen, um dann das Opfer seiner Geldbörse zu entledigen.“ Er lachte kurz grimmig auf und sein junger Knappe kicherte ebenfalls und entblößte dabei eine Zahnlücke.

Vana ließ sich nicht einschüchtern: „Nein, Herr Ritter, ich bin sicherlich KEINE Taschendiebin. Ich bin hier mit guten Absichten unterwegs und verbitte mir solche Unterstellungen.“

Der lachte wieder. Dann drehte er sich zu seinem Knappen. „Siehst du, Peter, in diesem gar seltenen Fall hat der Abschaum sogar Manieren und weiß, sich auszudrücken.“

Vana wollte sich losreißen, aber der Ritter hielt sie mit festem Griff.

„Du wirst heute ganz bestimmt keine unschuldigen Bürger mehr bestehlen. Ich übergebe dich den Stadtwachen und du verbringst das Arma Sanctorum dann mit Sicherheit im Faulturm!“

Während sein Knappe hämisch feixte, zog der Ritter Vana mit sich und stieß dabei unsanft so manchen Marktbesucher zur Seite.

Vana versuchte erneut, sich zu befreien. Sie hatte sich so auf diesen Tag gefreut. Auf Ammerlingen. Auf den Einmarsch der Gladioren. und jetzt sollte sie zu unrecht der Stadtwache vorgeführt werden? Was würde Tante Milda nur sagen?

Sie trat dem Ritter mit voller Wucht gegen das Schienbein und ein helles metallisches Geräusch war zu hören. Schmerz durchfuhr ihren Fuß und sie fluchte.

„Wie so oft sind deinesgleichen nicht gerade mit Weisheit gesegnet. Tritt nie einen Mann gegen das Bein, der eine Kerbostahl- Beinpanzerung trägt.“

Während der Ritter die zappelnde Vana weiterzog, ging das Marktgeschehen mitsamt seiner hektischen Betriebsamkeit um sie herum unbeirrt weiter. Taschendiebe, die wütend schreiend von Soldaten oder Rittern abgeführt wurden, kamen hier täglich vor und so nahm niemand von ihrer Situation ernsthaft Notiz.

Plötzlich stoppte der Wtter. Vana war gerade dabei, sich in seinen Unterarm zu verbeißen, als sie aus dem Augenwinkel mehrere Personen sah, die sich von den übrigen Menschen auf dem Markt abhoben.

„Sagt, Graf von Nau, was habt ihr denn hier für ein seltsames Früchtchen erstanden?“ Die Stimme klang ruhig und strahlte dennoch Autorität aus.

Vana wand sich unter dem Griff des Ritters und erblickte nun ei - nen prunkvoll gekleideten Mann samt mehreren gepanzerten Wachen, die ihn flankierten und vom Marktgeschehen abschirmten.

„Kardinal Harbinger? Welch eine Ehre. Was führt Euch hierher in diese Jauchegrube?“ Graf von Nau beugte kurz sein Haupt aber ließ Vana nicht los. Sein Knappe verbeugte sich ebenfalls, während er Vana - mit deutlich geringerer Kraft - am anderen Arm festhielt.

Kardinal Harbinger. Vana hatte schon viel über den hohen Kleriker, das oberhaupt des Gladior-ordens gehört.

Er rieb sich nachdenklich sein langgezogenes kinn.

„Nun, gerade Männer meines Standes haben die Pflicht, sich ab und an unter das gewöhnliche Volk zu mischen, um so greifbar und glaubhaft die Menschen zu ermutigen, Hoffnung zu spenden und zu zeigen, dass die Kirche sich ihrer Nöte bewusst ist.“

Auf einen erneuten Versuch von Vana, sich zu befreien, gab ihr Graf von Nau einen Stoß in den Magen.

„Aber, aber, werter Graf. Was hat dieses Mädchen denn gemacht, dass es eine derartige Behandlung verdient?“

Vana spuckte aus und blickte keuchend zu dem fürstlich gekleideten Kardinal und seinen Soldaten auf. Ehe sie antworten konnte, fiel ihr der Graf ins Wort. „Eure Exzellenz, ich habe den Verdacht, dass diese Metze eine Taschendiebin ist. Ich war gerade dabei, sie der Stadtwache zu übergeben.“

Der Kardinal blickte Vana ernst an. Diese brüllte dem Grafen wutentbrannt entgegen: „Ihr lügt! Ich wollte Besorgungen für meine Tante machen und mir dann die Gladioren anschauen. Das ist alles.“

Graf von Nau und sein Knappe drückten sie nach unten. „Wie kannst du es wagen in diesem Ton vor seiner Exzellenz mit mir zu reden? Dich werde ich Vernunft lehren. Bevor du in den Faulturm kommst, kriegst du eine ordentliche Tracht ...“

„Genug!“ Die Stimme des Kardinals zerschnitt den Lärm des Marktes und der Graf hielt inne. Schweiß tropfte aus seinem Visier auf Vana herab. „Konntet Ihr genau mitansehen, wie das Mädchen etwas entwendete? Hat sie Euch oder Euren Knappen bestohlen?“ Noch ehe der Graf antworten konnte, fügte der Kardinal mit einem drohenden Unterton hinzu: „Denkt daran, Graf, falsches Zeugnis abzulegen ist eine Sünde und Lügen sollten niemals über die Lippen eines Ritters dringen.“

Der Graf kniff die Augen zusammen und schien kurz zu überlegen. Dann blickte er zu Vana und funkelte sie wütend an. „Nein, eure Exzellenz. Ich habe keinen Beweis. Es war nur meine Intuition. Wie sie sich bewegte, wie sie zielstrebig durch das Gedränge eilte.“

Der Kardinal hob seine Hand und blickte gütig auf den Ritter von Nau und auf Vana. „In diesen schweren Zeiten sollten wir uns nicht immer von Vermutungen und Vorurteilen leiten lassen. Ein großes Fest steht an, ein Fest der Hoffnung und der Freude.“ Er blickte Vana tief in die Augen und obwohl sie sich dabei unwohl fühlte, erwiderte sie den Blick. „Lasst das Mädchen gehen. Selbst wenn sie eine Diebin ist, so ist es der Wille des Herrn, dass sie zur gegebenen Zeit ertappt und ihr gerechte Strafe zugefügt wird. Bis dahin soll sie sich wie der Rest des Pöbels an ein paar vergnüglichen Stunden erfreuen.“ Der Kardinal nickte auffordernd und Ritter von Nau und sein Knappe gaben Vana frei.

Diese verbeugte sich kurz vor dem Kardinal und warf dem Ritter und seinem Knappen einen wütenden Blick zu.

„Nun geh. Mach deine Besorgungen, damit du rechtzeitig den Einmarsch der Gladioren erlebst.“ Der Kardinal lächelte Vana mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an.

Bevor sie ging, zeigte sie dem Knappen einen unflätigen Fingergruß und verschwand daraufhin hastig in der Menschenmenge. Im Weggehen glaubte sie noch von dem Kardinal zu hören: „Solche Menschen suchen überall nach Krieg und Hinterhalt.“

Seine Worte wurden aber von ihren Gedanken übertönt: „Dieser verlogene Scheißkerl! Und so einer nennt sich Ritter!“ Vana war noch immer wütend über den Vorfall, nicht zuletzt, da er sie erneut wertvolle Zeit gekostet hatte. Wahrscheinlich gab dieser Graf von Nau auch noch vor, ein edler und beliebter Ritter zu sein.

Leichte Schwermut verdrängte nun die Wut in ihrem Gemüt. Sie seufzte. Wie gern wäre sie ein Gladior. Edel, stark, mitfühlend. Ganz bestimmt nicht so wie dieser Möchtegern-Ritter von eben.

Doch sie war ein Mädchen. Es war ihr nicht bestimmt, eine Rüstung zu tragen und den Schwachen zu helfen. Traurig schob sie ein Maultier zur Seite und drängte sich an einem dicken Bauern und einer alten Kräuterfrau vorbei.

Sie hielt kurz die Luft an, als sie unter der muffigen Achselhöhle eines Schmiedegesellen mit nacktem Oberkörper durchtauchte und erreichte endlich den Stand von Metzgermeister Klöppel. Natürlich herrschte auch hier viel Umtrieb, lautstark wurden Waren angepriesen und Preise geboten. Es wurde gebrüllt, gelacht, geflucht, eingepackt, verstaut und aufgeladen.

Vana drängte sich durch die Menschen und erntete so manchen Stoß. Doch sie ließ sich nicht abhalten, denn die Zeit arbeitete gegen sie und so schob sie sich solange nach vorne, bis sie endlich am Stand angelangt war.

Sie wollte gerade Ausschau nach Karl, dem Metzgergesellen, halten, als sie plötzlich unsanft gegen die Kante der großen Auslagenholzplatte gedrückt wurde. Eine finster dreinblickende Magd mit buschigen Augenbrauen und schiefer Nase hatte sie von hinten gestoßen und presste sie nun gegen die Kante. „Was drängelst du dich hier so vor, Metze?“ Die Stimme der Magd war mit ihrem unfreundlichen Gesicht in bester Gesellschaft.

„Ein bisschen langsamer, verehrte Herrschaften. Es sind hier auch zarte Geschöpfe wie Weibsvolk anwesend!“ Karl, der Metzgergeselle, machte dann eine übertriebene Verbeugung in Richtung der mürrischen Bauernmagd. „Gute Frau, eine von Gott dermaßen mit Schönheit gesegnete Dame sollte ihr tadelloses Antlitz nicht durch Groll verunstalten lassen.“ Der Metzgergeselle strahlte die Magd an und zwinkerte ihr zu. Der Groll in ihrem Gesicht wich einer leichten Röte und fast kleinlaut gab sie ihre Bestellung auf.

„Zwei Pfund Rinderleber, kommt sofort. Die Dame ist nicht nur eine Augenweide, sondern hat offensichtlich auch Geschmack an guter deftiger Hausmannskost.“ Strahlend übernahm die Magd die Fleischwaren, warf Vana nochmals einen bösen Blick zu und drängte sich dann wieder nach hinten.

„Vana, verrückte hübsche Vana. Und ich dachte, ich hätte heute schon genug Grazien hier an diesem Ort der Schönheit wandeln sehen.“

Vana schüttelte lächelnd den Kopf. Ihre Wut im Bauch auf Graf Nau und die unfreundliche Magd war verflogen, als sie den stets Sprüche klopfenden Metzgergesellen erblickt hatte. „Karl du alter Schleimer. Kannst es nicht lassen, was?“

Beide lachten und Karl öffnete ein Gatter am Stand.

„Na komm Vana, bist wirklich spät dran. Meister Klöppel erwartet dich bereits. Hast dir ja mal wieder ganz schön Zeit gelassen. Wieder Frau Ritter gespielt?“

Vana schob sich an den murrenden und maulenden Besuchern durch und wurde von Karl durchs Gatter gezogen, der mit einer drehenden Fingerbewegung am Kopf die schimpfenden Kunden besänftigte. „So gewahrt doch Ruhe, edle Herrschaften. Die blonde Metze hier ist leicht von Sinnen und wie man sehen kann, hält sie sich doch tatsächlich für einen Kerl. Eine wahrlich traurige Angelegenheit. Bitte seht es uns als gute Christen nach, wenn wir dieser armen Seele Vorrang gewähren.“

Das Maulen verstummte größtenteils und Vana sah nun auch mitleidige Blicke. Sie boxte Karl leicht in die Seite. „Na danke. Ich hatte heute schon genug Aufregung und du stellst mich hier jetzt noch als Schwachsinnige dar.“

Karl wuschelte ihr durchs Haar. „Lass mich mal überlegen: Latscht dauernd in Jungenklamotten herum, flucht wie ein Zwerg und will dazu noch ein Gladior werden? So richtig normal und damenhaft ist das allerdings nicht, Vana.“ Er zwinkerte ihr zu.

Er kannte sie wirklich zu gut - sie kannten sich aber immerhin auch schon seit ihrer Kindheit. Vana mochte Karl, obwohl er ein Windhund und Wendehals war. Er war hübsch anzusehen und hatte muskulöse Arme. Sein freundliches Gesicht wurde von wilden dunklen Locken eingerahmt und er liebte die Frauen wie sie ihn liebten.

„Wenn hier eines Tages mal ein wütender Ehemann oder gar Ritter auftaucht, um dich in Stücke zu schlagen, erwarte keine große Hilfe von mir, du süßholzraspelnder Gockel!“ Die bekannte Stimme von Meister Klöppel drang durch den Lärm. Der alte Klöppel schob sich durch ausgehangene Rinderhälften zu den beiden und schaute gespielt grimmig. Meister Klöppel war ein großer gut genährter Mann und wie es sich für seine Zunft gehörte von kräftiger Statur. Er hatte kaum Haare auf dem Kopf, aber dafür einen wilden dunklen Bart, der aus seinem Gesicht schoss.

Bei Vana angekommen lachte er laut auf und nahm sie kurz in den Arm. „Bist mal wieder spät dran, was? Na los, erzähl, was soll ich denn alles anliefern. Gehts Milda gut?“ Die Metzgerei belieferte Tante Mildas Gasthof schon seit Vanara denken konnte. Zwischen Tante Milda und Meister Klöppel bestand ein festes Band der Freundschaft. Nach dem Tod von Onkel Walbert hatte er ihr viel geholfen und auch das ein oder andere Fleischstück billiger oder gar umsonst zukommen lassen.

Vana gab die Bestellung auf und hoffte, bei der Aufzählung nichts vergessen zu haben.

„Schau nicht so dämlich, geh wieder nach vorne zur Kundschaft, Karl!“, herrschte Meister Klöppel den lässig an einer Rinderhälfte lehnenden Karl an. „Und lass mir die Frauen in Ruhe. Preis’ ihnen nur die Würste aus der Auslage und nicht deine Wurst an, verstanden?“ Weil er Vana erröten sah, sagte er: „Oh, Entschuldigung, Kleine. Aber du kennst ja meinen Karl.“

Seinen Karl. Meister Klöppel hatte seinen richtigen Sohn vor Jahren in den Kreuzzügen verloren und schien nun in dem Gesellen eine Art Sohn-Ersatz zu sehen.

„Uuuund vier Pfund Räucherschinken. Das wäre dann alles, ja?“

„Ja, Meister Klöppel. Es wird eine Menge los sein im ,Keiler‘ und die Mahlzeiten dürfen nicht ausgehen.“ Vana legte ihm das Geld hin und kratzte sich am Hinterkopf. Hatte sie wirklich an alles gedacht?

Der Metzgermeister reichte ihr mehrere Taler und begann die Waren auf einen Karren zu laden. „Steck das Restgeld gleich in deinen Beutel und verlier es nicht wieder, ja?“ Er schaute sie mahnend an, denn auch der alte Metzgermeister wusste, wie kopflos Vana manchmal sein konnte. „Nun gut, Vana. Ich packe ein bisschen mehr mit drauf und werde dann am frühen Abend Karl mit dem Karren vorbeisenden, ja?“

Vana nickte und als plötzlich Glockengeläut erklang, erstarrte sie. Sämtliches Nachdenken über mögliche weitere Aufträge von Tante Milda wurde von Gebimmel hinweggeläutet.

Meister Klöppel schaute kurz in Richtung Münster. „Die Gladio- ren kommen. Na los, Vana, beeil dich. Ich habe ja deine Bestellung.“

„Vielen Dank, Meister Klöppel. Und grüßen sie den Gockel Karl nochmals von mir!“ Vana umarmte den alten Carnifex nochmal, schob hastig das restgeld in ihren Beutel, rannte durch das Lager und verließ den Stand durch eine Öffnung hinten am Zelt.

Wieder das Bimmeln der Glocken. War es wirklich schon so spät? Sie hatte nicht mehr an die Zeit gedacht. Vana fluchte. Das passierte ihr so oft. Konnte sie nicht einmal pünktlich bei einer Sache sein? aber wie sollte sie auch, wenn ihr das Schicksal dauernd solche Begegnungen wie mit dem arroganten Graf Nau in den Weg warf?

Vana rannte wie der Wind und sprang mit der Leichtfüßigkeit eines Rehs lässig über ein grunzendes Schwein, um dann gleich mit einer Drehung einem fluchenden Soldaten der Stadtwache auszuweichen. Nur beiläufig nahm sie die Gerüche und die Geräusche einer Stadt wahr, die trotz harten Zeiten in freudiger Erwartung auf ein paar unbeschwerte Tage harrte.

Das Gedränge am Tor war dicht und neben den Bewohnern von Ammerlingen scharten sich auch Besucher anderer Städte und Gemeinden um die Holzgeländer und drängten sich hinter den Stadtwachen. War schon die große Drachenlauf-Konstruktion in der Stadtmitte eine Sehenswürdigkeit, wollte doch jeder die Gelegenheit nutzen, einen Gladioren aus nächster Nähe zu sehen. Der Einzug dieser berühmten und edlen Krieger war ein ganz besonderes Ereignis. Es herrschte große Aufregung.

Vana sprang lässig über die Absperrung und ein ebenso nutzloser wie langsamer Versuch eines rundlichen Soldaten, sie daran zu hindern, scheiterte kläglich. Anstatt ihr hinterher zu hechten, drehte sich der Mann fluchend wieder zu der Menschenmenge um. Vanas Puls raste, ihr Herz schlug schneller und schneller. Sie steuerte einen ganz bestimmten Punkt an der großen Tribüne neben der Stadtmauer an.

Die Tribüne war für die wohlhabenden und adeligen Bürger Ammerlingens aufgebaut worden und randvoll. Vana schlängelte sich unter den Sitzreihen durch und musste sich mehrere Male in den Schlamm drücken, um unter den Holzverstrebungen durchzukriechen.

„Na endlich. Wir dachten schon du schaffst es nicht!“ Alinas helle Stimme schrie feixend gegen den Lärm an.

Gemeinsam mit ihren Freunden Egon und Olaf kauerte sie weiter oben in den Verstrebungen und hielt Vana die Hände hin. „Komm schon, Goldi, gleich geht’s los!“ Alina grinste. Sie war ein Jahr älter als Vana und ihre beste Freundin. Ihren Spitznamen aufgrund der goldfarbenen Haare konnte Vana aber noch immer nicht so recht leiden.

Sie ließ sich hochziehen, drückte ihre Freunde zur Begrüßung und wischte sich mit dem Halstuch den Schweiß vom Gesicht. „Wir dachten schon, die alte Milda lässt dich heut nicht raus!“ „Hab ich was verpasst?“

Es war dunkel und stickig unter der Tribüne. Es roch nach gebratenem Essen und Pferdemist. Aber dennoch hatten sie in den Verstrebungen einen guten Platz und auch wenn manchmal Wein aus den Schlitzen über ihnen nach unten tropfte, hatten sie eine fast so tolle Sicht wie die hohen Herrschaften.

Egon biss herzhaft von seinem Stockbrot ab und reichte es Vana. Kauend zeigte er Richtung Haupttor. „Bisher kommen nur die normalen Ritterleute und der Adel. Aber die Turmwachen haben vorhin herabgeschrien, dass die Gladioren schon über der Ammer- linger Heide sind, und es müsste eigentlich jeden Moment so weit sein. Anscheinend wurde Kardinal Harbinger schon gesehen.“

Vana hatte Egon nur undeutlich verstanden, da er schmatzend und aufgeregt mit dem Finger wedelnd auf den Holzbalken herumturnte. Sie nickte und fixierte mit ihrem Blick nun das große Stadttor. „Yep, Kardinal Harbinger ist definitiv in der Stadt.“

Olaf und Egon waren in Vanas Alter. Die Freunde kannten sich schon seit sie als Kleinkinder auf den Straßen von Ammerlingen gespielt hatten und aufpassen mussten, nicht überfahren oder totgetrampelt zu werden.

„Hah, Gregor der Trottel muss seinem Vater helfen und die Fremdenzimmer herrichten. Der kotzt bestimmt voll ab.“

Die Gruppe lachte und Vana musste kurz schlucken. Sie war immerhin eigentlich auch in einer offiziellen Mission für Tante Milda unterwegs. aber die Bestellung hatte sie erledigt und sonst war da nichts mehr, oder?

„Heeeey, lass mir auch noch was übrig, Brecher!“ Olaf nagte wohl zu forsch am herumgereichten Stockbrot, was dem hageren Egon so gar nicht gefiel. Gerade als sich die zwei Jungs um den letzten Rest Stockbrot streiten wollten, dröhnten erneut die Stadtglocken.

Dieses Mal läuteten sie genau viermal. Jeweils einmal für die Grundsätze der Panzerritter:

Für Gott zur Ehr

Der Kirche zur Wehr

Den Drachen zum Trutz

Den Schwachen zum Schutz,

„Sie sind da!“ Es war eher ein Hauchen, das aus Alinas Mund kam, und sie nestelte gebannt mit beiden Händen in ihren langen braunen Haaren herum.

Auch Vana hielt nun kurz den Atem an und schaute durch die verwinkelten Holzverstrebungen in Richtung Tor. Sie musste sich strecken und dabei an den Balken heben, da die Menschen weiter vorne noch näher zusammenrückten, um besser sehen zu können. Wenn sich diesmal das Stadttor öffnete, würde es keinen nttertross entlassen, keine fahrenden Händler oder Fuhrwerke von Bauern.

Eine laute Stimme erklang und der offizielle Herold für das Arma Sanctorum kündigte die neuen Besucher an. „Edle Herren und Damen von Ammerlingen. Verehrter Hochadel und verehrte Vertreter der Kirche aus Neu Isendornstadt. Aber auch ihr Bürger von Ammerlingen und ihr Besucher aus allen Teilen des Landes: Heute ist es soweit!“

Jubel brandete auf und auch die vier Jugendlichen unter der Tribüne schrien und pfiffen ihre Begeisterung hinaus.

„Die obersten Führer der Kirche und unser geschätzter Kardinal Harbinger aus Neu Isendornstadt haben dieses Jahr neben Karbenar, Hela und Tornstadt auch die wunderschöne Stadt Ammerlingen für das Arma Sanctorum ausgewählt!“

Wieder frenetischer Jubel.

„Yeah, Ammerlingeeeeeen!“, brüllte Egon und Olaf reckte den Kopf nach oben und streckte die Zunge raus, um ein paar Tropfen Wein mit dem Mund aufzufangen.

Vana war wie gebannt. Gleich würde sie ihren ersten Gladi- or sehen. Wie sie wohl aus der Nähe aussahen? Wie viele wohl kommen würden? Voller Vorfreude und Nervosität kaute sie auf ihrer unterlippe.

Der Herold rannte mit seinen bunten Gewändern wie ein Derwisch über den Platz und heizte die Menge weiter an. „Viele Ritter kommen dieses Jahr nach Ammerlingen und für manchen jungen Mann wird sich in diesen Tagen das Leben neu ordnen. Die Kirche braucht mutige Krieger, nur die besten Männer werden sich als würdig erweisen, eine Gladiorrüstung zu tragen und als Novize dem Panzerritter-Orden beizutreten.“

Vana musste an die alte Trochtenstein denken. Eine Frau als Ritter. Wie absurd. Vana schüttelte den Anflug von Schwermut hinweg.

„Der Teufel selbst lässt seine Horden nun auf Erden wandeln, aber Gott lässt uns nicht im Stich. Denn wen schickt er uns?“

„DIE GLADIOREN!“, skandierte die Menge lauthals.

„Ein Krieger Gottes zu werden und als Waffe der Kirche die heilige Rüstung zu tragen, ist nicht nur eine Ehre - es ist Bestimmung, Aufopferung und absoluter Glaube. Seid ihr bereit, liebe Menschen von Ammerlingen?“

„JAAAAAAA!“, riefen die Menge und die vier heimlichen Tribünenzuschauer wie aus einem Mund.

„Dann heißt sie willkommen: Die Exekutive unserer Kirche. Die Rächer von Neu Isendornstadt. Die Beschützer der Schwachen und der Gläubigen. Die Drachenschlitzer. Die Echsar- Schlächter. Die Dämonenjäger. Die Gladioren!“

Glockengeläut paarte sich mit ohrenbetäubendem Jubel. Vana hielt sich die Ohren zu und grinste zu Alina hinüber, die das Gleiche tat. Egon ließ voller Spannung sein Stockbrot fallen und Olaf krallte sich in einen Holzbalken, um sich noch weiter nach vorne zu lehnen.

Dann Stille, leises Husten, Räuspern, Raunen. Das große Stadttor öffnete sich rumpelnd und knarzend. Ein gleichmäßiges Stampfen war zu hören.

Thump... Thump... Thump... Thump...

Vana hielt den Atem an und ganz Ammerlingen tat es ihr gleich. Alles Gejohle und Gejubel erstarb.

Und dann konnte sie sie sehen.

Gleißend helle Rüstungen in Weiß und Silber. Gott persönlich schien nun das Licht auf die Gladioren zu werfen. Sie stapften durch das Tor. Die Panzerritter. Ihre Gladiorrüstungen waren größer und bulliger als eine normale Ritterrüstung. Dicke Panzerplatten am Brust- und Schulterbereich schützten vor Klauen und Feuer und die Helme wirkten inmitten der Körperpanzerung fast schon klein. Die Gladioren maßen gut über drei Ellen und obwohl ihre Bestimmung und Aufgabe das Töten von Ungeheuern war, wirkten sie selbst wie Dämonen aus einer anderen Welt.

Nacheinander kamen die Gladioren durch das Tor und wurden von Knappen und den Waffenträgern begleitet. Vana wusste natürlich, dass jeder Gladior eine bevorzugte und auserwählte Waffe führte, aber für diesen Aufmarsch trugen die Panzerritter die Standardausrüstung und somit eine riesige Lindwurmlanze in der rechten Hand. Ritter auf Pferden und Fahnenträger begleiteten die imposante Prozession und Vana war sich sicher, seit der Geburt ihres Fohlens Hikki nichts Schöneres erlebt zu haben.

Ihr Mund stand offen und sie streckte sich, warf sich nach links und rechts, um noch besser sehen zu können. Es war noch aufregender, als sie es sich in ihren kühnsten Träumen ausgemalt hatte.

Die Gladioren nahmen in einer Reihe Aufstellung ein und Vana zählte sechs. Die fahnenträger und Knappen stellten sich vor und neben die Gladioren, bunte Fahnen und Wimpel spiegelten sich in den blitzenden Rüstungen. Ein Reiter galoppierte vor sie und brüllte einen Befehl. Dann hoben die Gladioren ihre rechten Arme und Lanzen in die Höhe.

Die ehrfürchtige Stille wich einem tosenden Applaus und Jubel. Auch die vier Jugendlichen klatschten und johlten und Vana konnte Olaf gerade noch am Hosenbund zurückziehen, als dieser drohte, von dem Holzbalken zu stürzen.

Die Gladioren setzten nun ihre Helme ab und Knappen eilten herbei, um Helme und Lanzen abzunehmen.

Vana blinzelte und versuchte, die Gesichter zu erkennen. Zwischen den hohen Schulterpanzerungen waren die köpfe oder gar Gesichter nur schwer auszumachen, aber sie konnte nun einen Blick auf den ersten Gladiorritter werfen. Der Mann hatte dunkles, kurz geschorenes haar und grinste gutgelaunt in die Menge. Seine Stirn glänzte vor Schweiß.

„Scheiße, ich möchte nicht wissen, wie heiß es in diesen Dingern ist“, raunte Olaf.

„Ich habe mal gehört, dass die Rüstungen magisch modifiziert sind und eine Kühlung und Kraftverstärker haben und es deshalb nur ausgewählte Knappen schaffen, die Rüstung zu tragen.“ Egon musterte die Gladioren mit gespielt fachmännischem Blick. Er hatte sich schon immer für Handwerk und technische Errungenschaften interessiert.

„Ist doch egaaaaaaal. Sind die nicht einfach nur verdammt cool, Goldi?“ Alina giggelte und stupste Vana am Arm.

Vana nickte nur langsam und schaute weiterhin den ersten Gladior der Reihe an. Sie bildete sich ein, dass der Ritter zu ihr herüberschaute. Ein warmes Gefühl und heftiges Pochen durchdrang ihre Brust.

„Diese verzogenen kleinen adeligen Scheißer!“, fluchte Olaf, als den Kindern der oberen Herren gewährt wurde, zu den Gladioren zu gehen und sie aus nächster Nähe zu betrachten.

„Reg dich nicht auf, Brecher. Wir haben hier doch auch gute Plätze. Ich kann sogar das Wappen auf dem Schulterpanzer des vorderen Gladiors sehen. Ist doch cool hier, oder Vana? Vana?“ Alina hielt inne und auch Egon und olaf schauten nun verwirrt. Doch Vana saß längst nicht mehr neben ihnen auf den Holzbalken. alinas Worte hörte sie nur noch in der Ferne, denn sie schlängelte sich nach vorne, schürfte sich kurz den Unterarm an einem Balken auf und drückte sich unter der vordersten Absperrung der Tribüne durch.

Das Pochen ihres Herzens in der Brust hämmerte so stark, dass sie es nun im Hals spüren konnte. Die Soldaten hatten alle Mühe, die begeisterten Bürger, aber auch die herbeiströmenden Kinder der hohen Herrschaften zu beruhigen, und so schaffte es Vana tatsächlich bis nach vorne zu den Gladioren. „Ich muss nach vorne. Ich muss sie einmal aus nächster Nähe sehen“, hämmerten ihre Gedanken gegen ihren Kopf. Keuchend blieb sie stehen, blickte nach oben. Vana hielt sich eine Hand an die Stirn um gegen die Sonne zu schauen.

„Na du bist ja eine ganz Eifrige. Wie heißt du denn, Mädchen?“

Vana konnte es nicht fassen. Der Gladior ... Er sprach tatsächlich. Er sprach zu ihr!

„Ich ... ich heiße Vanara. Vanara Esperschild.“

Der Gladior beugte sich leicht nach unten. Es knirschte und ächzte. Die Rüstung musste wirklich schwer sein. „Freut mich, Vanara. Ich heiße Tamedias.“ Er streckte seine große gepanzerte Hand aus und Vana ergriff sie. Sie war kalt, stählern, und doch schoss eine hitze wie von tausend Drachenfeuern in ihr hoch.

„Ich möchte auch wie Ihr ein ...“ Weiter kam sie nicht.

„Freche Metze. Was bildest du dir ein dich vorzudrängeln und die kleinen Herrschaften wegzustoßen?“ Zwei junge Soldaten der Stadtwache packten Vana hart an ihren Armen.

Dicke kleine Jungs mit edlen Gewändern standen in der Nähe und zeigten Rotz und Wasser heulend auf sie. einer davon war durch und durch mit Matsch besudelt und man konnte den teuren bunten Stoff nur noch erahnen. „Die Blonde da kam unter der Tribüne rausgerannt und hat mich einfach in den Dreck gestoßen!“, flennte er.

Vana tat erstaunt und blickte einen der Soldaten mit gespielter Erschütterung und großen, unschuldigen Augen an. „Ich? Ups?“ Sie grinste verlegen. Vor lauter Aufregung hatte sie wohl die strahlende Zukunft von Ammerlingen beim Vorbeirennen in den Matsch geschubst.

Die Soldaten schleiften sie grob weg. Ihr Blick blieb am Panzerritter Tamedias hängen, der sie nun mit einer seltsamen Mischung aus Neugier und erheiterung zu betrachten schien.

„ICH WILL AUCH EIN GLADIOR WERDEN!“

Sie schrie es hinaus, alles, ihre Wut, ihre Sehnsucht, sollten sie es doch alle hören. Sie schrie gegen Glocken, gegen Jubel, gegen sämtlichen Lärm der Welt.

Schroff und zum Spott der anwesenden Adelskinder wurde sie dennoch von den Soldaten abgeführt und hörte wie durch einen Nebel das hämische Gelächter der Soldaten und mancher umstehenden Bürger. Nur noch ein letzter Blick auf Tamedias, bevor sie zum Rand des Torplatzes geschleift wurde. Er nickte ihr zu und lächelte. Dann wurde sie unsanft hinter die Absperrung gestoßen, wo bereits mehrere Soldaten auf sie warteten.

„Wen haben wir denn da? Wenn das nicht unsere eloquente Ta - schendiebin ist?“ Graf Nau baute sich mit einem bösartigen Grinsen vor Vana auf. „So schnell sieht man sich wieder. Dieses Mal ist hier kein Kardinal, der dir deinen vorlauten Hintern rettet.“

„Ich habe nichts getan. Lasst mich sofort frei!“ Vana zappelte und konnte im Schatten der Tribüne die ängstlichen Gesichter ihrer Freunde sehen.

Graf Nau trat näher an sie heran und blickte voller Boshaftigkeit auf sie herab. Er packte Vana mit der einen Hand fest am Hals, während er mit der anderen ihr den Lederbeutel vom Gürtel riss und diesen mit einem kurzen prüfenden Blick öffnete. „Was haben wir denn da? Wie kommt eine Göre wie du zu diesen Talern?“

Er ließ von ihr ab, stieß sie unsanft zurück und Vana musste kurz nach Luft ringen, ehe sie den Grafen anschrie: „Das gehört mir. Ich habe nicht gestohlen. Fragen sie doch den Carnifex!“

Der Graf steckte den Beutel in seinen Waffenrock. „Beschlagnahmt. Deine Geschichten mögen vielleicht beim Kardinal auf offene Ohren stoßen, aber mir machst du nichts vor!“ Während Vana wild schimpfte und fluchte, gab Graf Nau den Soldaten ein Zeichen. „Ab in den Faulturm mit ihr. Uns ist diese Metze bereits einmal entkommen, ein zweites Mal wird ihr das Glück nicht so hold sein.“

Vana wurde vom Torplatz und dem Grafen weggeführt und obwohl sie die Soldaten nach vorne drückten, erhaschte sie einen letzten Blick auf die Gladioren. Die zwei Soldaten bahnten sich mit Vana einen Weg durch die Menschen und hielten sie dabei in einem festen Griff.

Vana war ebenso wütend wie verzweifelt. Ihre aufbrausende Art hatte sie wieder einmal in Schwierigkeiten gebracht und nun hatte sie nicht nur den Verlust von Tante Mildas Restgeld zu beklagen, sondern würde das Festwochenende auch noch im Faulturm verbringen. Tante Milda erneut zu enttäuschen, war für Vana noch bitterer als das Versäumnis des Arma-Sanc- torum-Festwochenendes. Sie ließ den Kopf hängen.

Plötzlich erklang eine bekannte Stimme: „Vana, da bist du ja. Meister Turin lässt dich bereits in der halben Stadt ausrufen. Was hast du dir bloß wieder dabei gedacht, dich einfach von der Gruppe zu entfernen?“

Alina stand vor den zwei jungen Soldaten. Mit finsterem Blick schaute sie Vana an und verschränkte die Arme vor der Brust. Hinter ihr standen ein paar andere Jugendliche mit kleinen Hanfsäcken über die Köpfe gezogen und gaben seltsame Geräusche und Zuckungen von sich.

„Meine edlen Herren, vielen Dank, dass ihr sie gefunden habt. Meister Turin wird sehr dankbar sein und eurer Garnison mit Sicherheit ein Fass Met spendieren!“

Die Soldaten schauten Alina misstrauisch an. „Was soll das? Diese Metze hat gestohlen und hat sich unerlaubt vor die Gladioren gedrängt. Sie kommt in den Faulturm!“

Alina war nicht nur älter, sondern auch ein bisschen größer als Vana und wirkte dank der braunen langen Haare und ihrem ernsten Gesicht nicht wie die Jugendfreundin, die Vana schon so lange kannte und schätzte. „Oh, das kommt uns aber ungelegen. Wisset, diese unglückliche junge Frau hier hat genau wie die armen jungen Seelen hinter mir einen seltenen Fall von Lepra und neigt dazu, sich unerlaubt von unserer Gruppe von Aussätzigen zu entfernen.“

Die beiden Soldaten schauten erst Vana und dann einander an.

Alina fuhr fort: „Eine seltene Ah; von Krankheit, die das Gehirn angreift. Diese junge Frau hier hält sich offensichtlich für einen Ritter und wenn ihr genau hinschaut, seht ihr bereits äußerliche Anzeichen. Schaut euch nur diese Flecken im Gesicht dieser armen Kreatur an.“

Die Soldaten zogen Vana unsanft hoch und beäugten sie misstrauisch. „Das sind nur Sommersprossen.“

Alina lächelte kurz, dann fand die ernste Miene zurück auf ihr Gesicht. „Jaaa, Sommersprossen ... Das dachte ihr ehemaliger Vormund auch, ehe die Krankheit ihn samt seinem ganzen Dorf auslöschte. Man darf wahrlich nicht lange Körperkontakt halten, sonst greift der Wahnsinn über! Meister Turin war mit unserer Gruppe gerade auf dem Weg, die Stadt zu verlassen, damit diese armen Kreaturen keine Besucher des Arma Sanctorums anstecken können.“

Die Soldaten ließen Vana angewidert los. Sie spielte mit und gab wildzuckend gurgelnde und glucksende Geräusche von sich.

„Oje, sie hat einen Anfall. Man muss sie schnell mit dem Mund beatmen, könntet ihr mir dabei helfen? Ihr edlen Soldaten der Stadtwache seid doch bestimmt für derartige Fälle ausgebildet, ja? Ich selbst will lieber nicht so nahe an sie heran.“

Die Soldaten fluchten und stießen Vana unsanft zu Alina und machten sich kopfschüttelnd auf zum Stadttor, nicht ohne ihnen zuzurufen: „Nimm die kranke Metze mit, zieht ihr einen Sack über den Kopf und bringt euch und die anderen Spinner zu eurem Meister. Wehe, wir sehen euch hier nochmal in der Stadt, dann packen wir euch in das tiefste Loch im Kerker.“

Erst als die Soldaten außer Sicht waren, zogen die Jugendlichen, darunter auch olaf und Egon, ihre Hanfsäcke von den Köpfen.

„Wieso stellt mich eigentlich heute jeder als Irre hin?“ Vana zog zuerst einen Schmollmund, lächelte dann aber dankbar und fügte hinzu: „Danke. Das war echt knapp!“ Sie klopfte sich den Staub ab und umarmte ihre Freunde.

„Sag mal hast du sie noch alle? Willst du in den Faulturm, oder was?“ Alina schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. „Du weißt schon, dass die dich auch als getarnte Echsar-Terroristin festnehmen oder - schlimmer noch - hätten töten können! Sei froh, dass die Soldaten nicht nur leichtgläubige Trottel waren, sondern auch wegen der Gladioren wieder zum Tor wollten. Bei erfahreneren Soldaten hätte diese Augenwischerei bestimmt nicht funktioniert.“

Auch der sonst so vergnügte Olaf schaut nun ernst.

Vana hob abwehrend die Hände. „Alles gut, beruhigt euch mal wieder. Ist ja nix passiert.“ Ein breites Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. „Außer dass ich mit einem echten Gladior reden konnte!“ Der Schrecken von Vanas unbedachter Aktion war schnell verflogen und dem Stolz und der Aufregung gewichen, die sie zuvor gespürt hatte. Sie war noch immer wie berauscht. Tamedias hatte mit ihr geredet. Ein echter Gladior! Und nun musste sie natürlich alle Fragen ihrer Freunde ausführlich beantworten.

Ein Stampfen unterbrach das Jungvolk. Die Gladioren begaben sich samt ihrem Tross in Richtung der Arena zu ihren abgesperrten Bereichen.

Vana merkte, wie etwas an ihrem Hemd zerrte. Sie blickte sich um, sah aber nur eine heitere Menschenmenge.

„Hier unten, du verrückte Nudel!“ Erst jetzt kam sie auf die Idee, gen Boden zu blicken, und da sah sie Sappo. Auch ihre Freunde bemerkten ihn erst jetzt.

„Hey Stump, was geht ab?“, grüßte Olaf den kleinen Neuankömmling beiläufig und Alina und Egon schirmten den Zwerg vor den drängenden Zuschauern ab.

„Nenn ihn nicht so!“, blaffte Vana Olaf verärgert an.

„Ist schon ok. Würde dich ja auch gern Schlaks nennen, aber für einen Schlaks hast du wohl zu viel Stockbrot und Räucherschinken gemampft!“, grinste Sappo und Olaf quittierte den Kommentar mit einem versöhnenden Lächeln und klopfte dem Zwerg freundschaftlich auf die kleinen Schultern.

Vana war immer noch wie berauscht und dachte an die unglaubliche Begegnung mit dem Gladior.

„Tante Milda schickt mich, ich soll dich unverzüglich nach Hause bringen!“, erklärte er und blinzelte mit seinen kleinen Zwergenaugen. Die Helligkeit machte ihm sichtlich zu schaffen. „Sie ist sehr wütend auf dich.“

Vana schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen. „Was soll der Stress? Ich habe doch die Bestellung bei Meister Klöppel aufgeben. Wo liegt denn das Problem?“

Der Zwerg zerrte Vana nun mit sich - er war ganz schön stark für seine Größe - und führte sie zur hinteren Stadtmauer. „Und was ist mit der Bestellung bei Bäckermeisterin Hägline und dem Beutel Gewürze? Daran hast du wohl nicht gedacht, oder?“

Vana überlegte kurz, dann dämmerte es ihr. Vor lauter Ritterlichkeit, der armen Frau Trochtenstein, den Gladioren und der ganzen Sache mit diesem blöden Grafen Nau hatte sie wohl einen Teil der Besorgungen vergessen. Mal wieder.

Sie schlüpften durch den von Gestrüpp verdeckten Zugang. Ein kleiner Fuhrwagen samt Esel Delby wartete angebunden draußen an der Mauer.

„War ja klar. Na los, lass uns von dem Restgeld schnell die fehlenden Dinge kaufen und dann aber schleunigst zurück. Milda ist stinksauer und im Gasthof kommen gerade viele Besucher an. Wir müssen uns beeilen.“

Vana hielt inne und kratzte sich betroffen am Hinterkopf. „Ääähm, Sappo, wegen des Restgeldes. Da gibt es ein kleines Problem.“

Der Zwerg schaute zu ihr hoch und schüttelte den Kopf. „Im Ernst? Du hast das Geld vertrödelt?“

Sie blickte kurz beschämt zu Boden. „Es war dieses Mal wirklich nicht meine Schuld. Da war dieser fiese Graf und seine -“

Sappo winkte ab und hüpfte auf den Karren während Delby Vana wiehernd und an einem Grasbüschel kauend begrüßte. „Lass es. Man sollte dich einfach nicht alleine nach Ammerlingen schicken. Vor allem nicht, wenn Gladioren in der Stadt sind.“ Er schaute sie kurz ernst an und als Vana ebenfalls auf dem Wagen Platz nahm, gab er ihr lachend eine Kopfnuss. „Ich schicke noch einen der Jungs in die Stadt. Du solltest besser beten, dass die Backwaren und Gewürze noch nicht ausverkauft sind.“

Sie rieb sich den schmerzenden Kopf. „Und was ist mit dem fehlenden Geld?“

Sappo grinste frech. „Das darfst du Milda dann selber erzählen. Mir ist nur wichtig, dass sie keinen Schaden hat. Vielleicht ist es dir ja mal eine Lehre.“

Dann rumpelte der Wagen den kleinen Weg entlang von der Stadtmauer und entfernte sich von einem gutgelaunten Ammerlingen.

Vana blickte zurück. Noch immer konnte man den Lärm, den Jubel und die Musik hören. Sie schloss die Augen und sog die warme Luft ein. Es war nun längst früher Abend und die Insekten flitzten in der nun leicht orangefarbenen Landschaft umher. Vergessen waren nun der Ärger mit dem arroganten Ritter Graf von Nau und ihr Beinahe-Aufenthalt im Faulturm.

„Ich habe heute tatsächlich meinen ersten Gladior gesehen, Sappo. Und er hat sogar mit mir gesprochen!“, unterbrach Vana schwärmend die Stille.

„So, was wusste denn der edle Herr Drachentöter so von sich zu geben?“, brummte Sappo und lenkte den Karren Richtung Landstraße.

„Er wollte meinen Namen wissen und ich habe ihm gesagt, dass ich auch ein Gladior werden möchte.“

Sappo seufzte. „Ach Vana. Dumme kleine forsche Vana. Das hatten wir doch alles schon. Diese Flausen im Kopf handeln dir nur Probleme ein.“

Vana lehnte sich zurück. Sie würde wegen der fehlenden Taler bald einen mächtigen Tadel und womöglich mal wieder Hausarrest von Tante Milda bekommen. Aber das war kein Gedanke, mit dem sie ihren Kopf jetzt besudeln wollte. Stattdessen dachte sie an den glänzenden, riesigen und vor allem beeindruckenden Gladior, den Panzerritter. An Tamedias und sein ebenso freches wie gütiges Lächeln, was sie wiederum zum Lächeln brachte. „Das war’s wert!“

KAPITEL II

Zum Hinkenden Keiler

Obwohl Zwerge durchaus den Hang hatten, gerne mal zu übertreiben, fiel das Donnerwetter tatsächlich noch heftiger aus, als Sappo angekündigt hatte. Tante Milda war außer sich und hielt Vana eine Standpauke, die sich gewaschen hatte. „Es ist ja nicht nur so, dass du die hart verdienten Taler verbummelst, nein, um ein Haar hätte ich dich auch noch aus dem Faulturm auslösen müssen. Hast du eigentlich eine Ahnung, was mich das an Gefallen und Talern gekostet hätte?“

Sie befanden sich in der Küche des Gasthofes und während Vana den Zwergen beim Kartoffelschälen helfen musste, ließ eine aufgebrachte Tante Milda ihrer Wut und Enttäuschung freien Lauf. „Es wird wirklich immer schlimmer mit dir. Sollte man nicht meinen, dass in deinem jetzigen Alter so langsam die Vernunft einzieht? Stattdessen eiferst du einem Traum nach, spielst Ritter und vergisst dabei deine Pflichten. Ich brauche dich hier bei der Arbeit, denn ich kann und will nicht alles den vier Herren Zwergen aufbürden.“

Der Gasthof „Zum Hinkenden Keiler“ war beliebt im Leandertal und gehörte Tante Milda, die wie eine Mutter für Vana sorgte, schon lange. Vanas Mutter war bald nach ihrer Geburt gestorben. Und ihr Vater war einer der unzähligen Ritter vom Land, der dem Ruf der Kirche gefolgt und in den heiligen Krieg gezogen war, um nie mehr wiederzukehren. Onkel Walbert war vor zwei Jahren zum Herrn gerufen worden und nun war es an Tante Milda und Vana, den Betrieb der im ganzen Umfeld beliebten Schenke aufrechtzuerhalten.

Unterstützt wurden die zwei Frauen dabei von vier Zwergen, die eine Lebensschuld bei Tante Milda hatten und trotz der zwerggegebenen Launenhaftigkeit und anderen verhaltensauffälligen Eigenschaften gerne mit in der Schenke arbeiteten, wofür sie Kost und Logis erhielten.

Aldo watschelte frohgemut in die Küche und hatte einen weiteren Sack Kartoffeln geschultert. „Ach Tante Milda, grämt Euch doch nicht wegen uns. Wir helfen doch gerne.“ Er stellte den Sack vor Vana ab. „Hier, edles Ritterfräulein Vana, damit Ihr nicht der Langeweile anheimfallt!“

Vana grinste gequält und zuckte gleichwohl zusammen, als Tante Milda sich zu Aldo drehte. „Zu euch Herren Zwerge komme ich auch noch. Denkt ihr, ich weiß nicht, dass ihr Vana trotz meiner wiederholten Verbote draußen am Strümpfelbach heimlich trainiert? Man spricht Zwergen eine hohe Intelligenz zu, aber bei euch vier Gesellen muss ich mich doch sehr wundern!“

Aldo zog eine Grimasse und verließ schleunigst die Küche, um mit den anderen draußen den Schankraum vorzubereiten.

„Wieso kannst du nicht so sein wie die anderen Mädchen in deinem Alter? Klara vom Hufschmied hat jetzt in den Dehmer Hof hineingeheiratet und bewirtschaftet ihn zusammen mit ihrem Matthäus.“

Vana blies verächtlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Tsss, Klara. Jetzt hat sie den fetten Schwachkopf Matthäus zum Gemahl, einen eigenen Hof und wird mit Sicherheit bald das erste Kind erwarten. Aaaalles richtiggemacht.“

Milda schnitt nun so hektisch Gemüse, dass Vana sich kurz sorgte, sie würde sich in die Finger hacken. „Und was soll daran jetzt verkehrt sein? Du bist jetzt in dem Alter, Vana. Anstatt dem Ritterstand nachzueifern, was sowieso ein hoffnungsloses Unterfangen ist, solltest du dich eher von einem Ritter zur Frau nehmen lassen.“

Vana knallte wütend eine Kartoffel in den Eimer, sodass Sappo neben ihr kurz zusammenzuckte. „Ja, schon verstanden. Einen reichen Kerl ehelichen, ihm und der Kirche am besten ein paar Kinder schenken, dann artig kochen und den Haushalt machen, während mein Gemahl draußen in der Welt Abenteuer erlebt und von allen verehrt wird.“

Die Spannung zwischen den beiden Frauen lud sich immer mehr auf. Milda hielt beim Gemüseschneiden inne und blickte Vana auffordernd an. „So läuft das nun mal. Die Männer spielen ihre Rollen und wir die unseren. Das muss doch kein schlechtes Leben sein.“

Vana hörte nun auch auf zu Schälen und erwiderte den Blick ihrer Tante. „Schlecht vielleicht nicht. Aber langweilig und vorhersehbar. Während mein Gemahl sich dann genau an den Dingen ergötzen darf, die eigentlich ich mir zu erleben wünsche, bleibt mir dann nur zwischen den Möglichkeiten zu wählen, wie Mutter einst vor Gram zu sterben oder wie du hier ein ganzes Leben lang für andere zu buckeln.“ Sie stieß Luft aus und während sie die weiteren Worte sprach, bereute sie diese augenblicklich. „Vater und onkel Walbert waren Ritter und beide haben nicht nur Mutter und dich im Stich gelassen, sondern auch mich. Aber hey, war doch bisher kein schlechtes Leben für uns, oder?“

Milda nickte langsam und schnitt dann wieder Gemüse. „Dein Vater Balin und mein Gemahl waren angesehene Ritter und ich werde nicht dulden, dass du so über sie sprichst.“ Dann ließ sie das Messer auf das Schneidebrett gleiten, wischte sich kurz über die Augen und verließ den Schankraum.

Sappo atmete auf und blinzelte Vana aus seinen kleinen Maulwurfsaugen aus an. „Also, ich hätte ja gedacht, dass es schlimmer für dich läuft.“

Ehe Vana etwas erwidern konnte, streckte Milda nochmals kurz den Kopf in die Küche. „Du hast das ganze Wochenende über Hausarrest. Du wirst weder mit Hikki ausreiten, noch mit deinen Freunden aus Ammerlingen das Arma Sanctorum besuchen. Du wirst im Schankraum Dienst tun und dich um die Stallungen kümmern.“

Vana schaute mit offenem Mund in Richtung Küchentür.

„Ich war offensichtlich bisher zu nachlässig mit dir, Vana. Es wird Zeit, dass du lernst, wo dein Platz im Leben ist. Die Herren Zwerge draußen wissen Bescheid und werden dich mit Arbeit versorgen. Vielleicht bringt dich das ja mal auf andere Gedanken.“

Dann verschwand Milda wieder im Schankraum und hinterließ einen Kartoffeln schälenden und naschenden Zwerg sowie eine maulende Vana.

* * *

Ein paar Stunden später hatte sich der Schankraum bereits gefüllt und es herrschte reges Treiben im „Hinkenden Keiler“. Vana hatte es so satt! Es war offensichtlich wieder einer dieser Tage. Ihr Rücken schmerzte und ihre Beine und Arme brannten wie Feuer. Noch immer saß der Groll tief und sie konnte es nicht fassen, von Tante Milda das komplette Wochenende Hausarrest bekommen zu haben und nicht nach Ammerlingen zu dürfen.

Weil Vana im Gasthof arbeiten musste, übernahmen die Zwerge die übrigen Besorgungen. Sie gehörten zwar mittlerweile fest zum Stadtbild, mochten aber ungern in die großen Menschenstädte. Vana musste den Großteil der Bewirtung übernehmen. Das war angesichts des völlig überfüllten Gasthauses keine leichte Aufgabe.

Erschöpft lehnte sie sich kurz an den von unzähligen Messern vernarbten Holzträger und atmete tief durch. Um sie herum lärmte das Chaos. Ritter aus dem ganzen Umfeld waren mit ihren Knappen gekommen, um am Drachenlauf-Wettbewerb teilzunehmen. Ein bunter und lauter Lärmteppich von grölenden Männern, scheppernden Krügen, Lachen und Gesang wob sich um Vana.

Sehnsüchtig dachte sie zurück an das Erlebnis mit den Gla- dior-Rittern auf dem Torplatz. Sie schloss kurz die Augen und blendete den Lärm und den Geruch von Met, gebratenem Fleisch und Fladenbrot aus.

„Vana!“ Eine dumpfe und doch vertraute Stimme kämpfte sich durch den Lärm. „Vana! Hör auf zu träumen. Herr Graf von friedberg und seine Recken warten auf die nächste Runde. Na los, beweg dich!“

Vana blies eine Strähne ihres goldblonden Haares weg und ein feiner Nebel aus Schweißtropfen floh von ihrem glühenden Gesicht. „Ist ja schon gut, Tante Milda, ich mach ja schon. Wollte nur kurz ausruhen.“

Obwohl sie gerade erst siebzehn Lenze zählte, fühlte sich Vana im Moment ziemlich alt. Ächzend und fluchend drückte sie sich vom Holzträger weg und nahm das große Tablett wieder vom Tisch auf. Sie drehte sich kurz um und schaute hinüber zu Tante Milda, die ernst zu ihr blickte und nebenbei einen betrunkenen Ritter vom Tresen stieß. Milda war immer noch sauer, um das zu erkennen musste Vana nicht Gedankenlesen können. Zum Glück hatten die Zwerge zusammen mit den Knechten und Lehrlingen der befreundeten Händler immerhin doch noch alle Bestellungen und Besorgungen machen können.

„Besoffenes Ritterpack!“, fluchte Vana und bahnte sich einen Weg zu Graf von Friedbergs Tisch. Der Weg durch den Schankraum war ein gewöhnlicher Spießrutenlauf samt grapschender Hände, spritzendem Met und anzüglichen Bemerkungen. Vana quittierte ebenso gewohnt mit Ellbogenstößen, Flüchen und dem einen oder anderen Tritt.

Endlich angekommen, knallte sie das schwere Tablett mit mehreren Krügen Met auf den furchigen Eichentisch und ein paar Spritzer schwappten über so manch edles Wams.

„Pass doch auf, blonde Metze!“ Einer der Knappen funkelte Vana mit zusammengezogenen Augenbrauen an und wischte sich den Met von seinem Waffenrock. Offensichtlich war er einer der Knappen, die am Arma Sanctorum teilnahmen. Er gehörte zu Graf von Friedbergs Tross und somit stand dem Jungen die Arroganz schon ins Gesicht geschrieben.

Vana blickte in die Runde und sah erfahrene Rittergesichter, schlecht geschminkte Mätressen und pausbäckige Knappen. Graf von Friedberg war nicht am Tisch und schien wohl gerade den Abort aufzusuchen.

„Oh, werter junger Herr. Bitte entschuldigt meine Unachtsamkeit!“, knurrte Vana und karikierte einen Hofknicks.

Mit einem nicht kleinen Maß an Überheblichkeit grinste der Knappe in die Runde. „Es sei dir verziehen, Metze. Vielleicht gesellst du dich ja morgen vor dem Wettstreit zu mir ins Zelt, um mir meine Muskeln zu lockern.“

Johlendes Gelächter brandete auf und Vanas Knöchel stießen weiß hervor, als sie die Finger fester um das Tablett schloss. Tief einatmend machte sie die Augen zu.

Tante Milda hasste es, wenn Vana sich prügelte und vor allem, wenn es wie vergangenen Monat in einem Massenspektakel voller prügelnder Ritter, kreischender Frauen und irrer Zwerge endete.

Vana öffnete die Augen wieder. „Vielen Dank für die Nachsicht und das großherzige Angebot, junger Herr.“

Der knappe blickte nun stolz in die runde und grinste selbstzufrieden und gönnerhaft.

„Aber vielleicht entwickelt der junge Herr erst einmal Muskeln, die es wert sind, massiert zu werden!“

Der Tisch von Graf von Friedbergs Recken war nun eine stille Insel im Meer des Lärms und Vana drehte sich triumphierend lächelnd weg. Als sie lautes Gelächter hinter sich wahrnahm, konnte sie sich gut vorstellen, wie der junge Mann nun selbst der Häme ausgeliefert war. Fast schon lässig schlenderte sie zurück zur Theke.