Was Liebe will - Eric-Emmanuel Schmitt - E-Book

Was Liebe will E-Book

Eric-Emmanuel Schmitt

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Beschreibung

Die Liebe ist kein harmloses Gefühl. Sie kann vereinnahmen, verletzten, eifersüchtig machen, zu Intrigen anstacheln. Eric-Emmanuel Schmitt, französischer Lieblingsautor deutscher Leser seit seinem Bestseller ›Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran‹, geht in ›Was Liebe will‹ dieser Leidenschaft auf den Grund: ihren Verlockungen, ihren Untiefen und ihrer geheimnisvollen Macht. In zwei Romanen. ›Der Liebestrank‹ erzählt von einer Wette, die gefährlich und reizvoll ist: Adam und Louise, zwei ehemals Liebende, wollen es wissen: Kann man einen anderen Menschen in sich verliebt »machen«, oder nicht? Doch während Adam seine erloschene Leidenschaft für Louise in eine wunderbare Freundschaft verwandeln möchte, hat die romantisch Liebende Louise ganz andere Absichten. Sie schickt ihrem alten Liebhaber eine attraktive junge Kollegin ins Haus, die keineswegs zufällig dasselbe Parfüm wie Louise benutzt. Und Adam, der selbstgefällig Liebende, wird ein ahnungsloses Opfer weiblicher Hinterlist. In ›Das Liebesgift‹ dreht sich alles um die ersten großen Gefühle von vier 16-jährigen Mädchen, die einander ewige Freundschaft geschworen haben. Sie schicken einander kleine Botschaften über ihre Intrigen, Erfolge, ihre intimsten Wünsche. Noch ganz unerfahren, sitzen sie schon in der Falle der Liebe. Eine Schulaufführung von ›Romeo und Julia‹ offenbart unvorhersehbar und fatal eine grausame Wahrheit.

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Seitenzahl: 201

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Eric-Emmanuel Schmitt

Was Liebe will

Zwei Romane über ein widersprüchliches Gefühl

Aus dem Französischen von Marlene Frucht

FISCHER E-Books

Inhalt

Das LiebesgiftMottoJulias TagebuchAnouchkas TagebuchColombes TagebuchRaphaëlles TagebuchAnouchkas TagebuchColombes TagebuchAnouchkas TagebuchRaphaëlles TagebuchAnouchkas TagebuchColombes TagebuchAnouchkas TagebuchJulias TagebuchColombes TagebuchNachrichten, die Anouchka, Colombe, Julia und Raphaëlle um Mitternacht miteinander austauschen.Anouchkas TagebuchColombes TagebuchRaphaëlles TagebuchJulias TagebuchRaphaëlles TagebuchColombes TagebuchJulias TagebuchColombes TagebuchAnouchkas TagebuchRaphaëlles TagebuchColombes TagebuchRaphaëlles TagebuchJulias TagebuchAnouchkas TagebuchNachrichten, die Colombe, Julia und Raphaëlle sich untereinander schreibenRaphaëlles TagebuchNachrichten, die sich Anouchka, Colombe und Raphaëlle untereinander schreibenColombes TagebuchAnouchkas TagebuchColombes TagebuchRaphaëlles TagebuchJulias TagebuchAnouchkas TagebuchRaphaëlles TagebuchColombes TagebuchRaphaëlles TagebuchColombes TagebuchAnouchkas TagebuchNachrichten, die sich Colombe, Raphaëlle, Julia und Anouchka untereinander schreibenColombes TagebuchJulias TagebuchRaphaëlles TagebuchNachrichten, die sich Colombe, Julia, Raphaëlle, Anouchka untereinander schreibenAnouchkas TagebuchRaphaëlles TagebuchColombes TagebuchJulias TagebuchAnouchkas TagebuchColombes TagebuchJulias TagebuchRaphaëlles TagebuchAnouchkas TagebuchRaphaëlles TagebuchColombes TagebuchRaphaëlles TagebuchAnouchkas TagebuchColombes TagebuchRaphaëlles TagebuchJulias TagebuchAnouchkas TagebuchColombes TagebuchRaphaëlles TagebuchJulias TagebuchRaphaëlles TagebuchNachrichten, die sich Raphaëlle, Colombe, Julia und Anouchka untereinander schreibenColombes TagebuchRaphaëlles TagebuchColombes TagebuchJulias TagebuchRaphaëlles TagebuchNachrichten, die sich Julia, Colombe und Anouchka untereinander schreibenRaphaëlles TagebuchNachrichten, die sich Colombe, Julia und Anouchka untereinander schreibenLe ParisienAnouchkas TagebuchColombes TagebuchAnouchkas TagebuchColombes TagebuchAnouchkas TagebuchColombes TagebuchAnouchkas TagebuchColombes TagebuchAnouchkas TagebuchColombes TagebuchAnouchkas TagebuchColombes TagebuchAnouchkas TagebuchColombes TagebuchDer LiebestrankLouise,Adam,Meine liebe Louise,Das kommt Dir dünn [...]Louise,Adam,Louise, Louise, Louise …Louise,Louise,Lieber Adam,Meine liebe Louise,Adam,Er ist schuldig, weil [...]Adam,Nicht eine Frau, mehrere.Mehrere Frauen …Die Jagd reizt mich [...]Nennt man so was [...]Das nennt man eine [...]Niemand.Liebe Louise,Lieber Adam,Adam,Meine liebe Louise,Adam,Meine liebe Louise,Louise,Lieber Adam,Louise,Adam,Liebe Louise,Louise,Sie soll mehrere Affären [...]Kann ich sie zum [...]Lass die Finger davon, [...]Und wenn schon! Ist [...]Verstehe …Liebe Louise,Lieber Adam,Louise,Adam,Meine arme Louise,Adam,Zu spät, Louise.Adam,Liebe Louise,Lieber Adam,Liebe Louise,Adam,Louise,Adam,Louise,Brice und ich? Es [...]Ein Flirt ist keine [...]Da Du Dir herausnimmst, [...]Ich erlaube Dir nicht, [...]Ekel ist auch eine [...]Da jede Rechtfertigung einem [...]Adam,Liebe Louise,Lieber Adam,Liebe Louise,Lieber Adam,Meine liebe Louise,Lieber Adam,Nur mit Lily.Oh, was für eine [...]Vorher habe ich Frauen [...]Lieber Adam,Meine liebe Louise, Du [...]O.k., verstanden: Du hast [...]Wer außer Dir weiß [...]Adam,Wir können die Liebe [...]Lieber Adam,Liebe Louise,Apropos hineinziehen lassen, hast [...]Wer würde freiwillig ins [...]Louise,Mein lieber Adam,Ich bin am Boden.Dann unternimm was!Ich gebe Lily nicht [...]Mein lieber Adam,Was Du mir sagst [...]Louise,Mein lieber Adam,Liebe Louise,Lieber Adam,Wie bitte?Ich habe gelogen.Liebe Lily,

Das Liebesgift

»Liebe, gib Kraft! Denn Kraft wird Hilfe sein.«

Shakespeare, Romeo und Julia

Julias Tagebuch

Ich ziehe mich um und schminke mich, ich bin das allerglücklichste Mädchen, weil ich mich gleich mit meiner Clique treffe, ich ziehe mich noch mal um, besprühe mich mit Parfum, ziehe mich wieder um, und wieder, schminke mich erneut, gehe raus, laufe zurück in mein Zimmer, ziehe mich um, kämme mich, ziehe mich noch mal um und noch mal und breche in Tränen aus: zu hässlich, ich bleibe zu Hause! Niemand hat jemals so sehr gelitten wie ich …

Tränenüberströmt blicke ich auf mein Telefon, um zu sehen, ob meine Freundinnen sich Sorgen machen. Nichts. Keine einzige Nachricht. Niemand vermisst mich.

Also beschließe ich, eine Schachtel Schlaftabletten zu schlucken. Im Zimmer meiner Mutter brauche ich keine fünf Sekunden, um sie zu finden – ich habe das Haus heute Abend ganz für mich allein, weil die ganze Familie bei Großmama zum Essen ist. In dem Moment, als ich den tödlichen Cocktail hinunterschlucken will, fällt mir wieder ein, was für eine schreckliche Woche ich letzten Winter im Krankenhaus verbracht habe, und ich lasse es bleiben. Mein früherer Selbstmordversuch bewahrt mich vor erneuten Selbstmordgedanken: Ich hatte solche Schmerzen damals.

Anstatt mich umzubringen, esse ich die Packung Maroneneis im Kühlschrank auf. Dann das Vanilleeis. Und dann das mit Erdbeergeschmack.

Um einundzwanzig Uhr vibriert mein Telefon, weil die Mädels anrufen und sich Sorgen machen. Sie haben mich nicht im Balmoral angetroffen, unserem Stammlokal, und da wird mir klar, dass dies die eigentlich verabredete Uhrzeit war, und nicht neunzehn Uhr, wie ich geglaubt habe.

Raphaëlle, Anouchka und Colombe haben mich nicht verraten, ich bin nicht mehr allein auf dieser Welt.

Allerdings kann ich mich jetzt in meinem Zustand nicht mehr sehen lassen, vor allem nicht nach den Ferien. Was für ein gelungener Abend! Mein Gesicht ist vor lauter Kummer ganz verquollen, und morgen werde ich eine fette Kuh sein.

Anouchkas Tagebuch

Heute Morgen habe ich die drei Stunden, in denen ich allein zu Hause war, genutzt, um mich im Schlafzimmer meiner Eltern einzuschließen und mich in dem einzigen großen Spiegel unserer Wohnung einmal von Kopf bis Fuß zu betrachten.

Obwohl es nicht kalt war, habe ich gefröstelt, als ich mich dort, wo ich sonst immer nur angezogen herumlaufe, ausgezogen habe.

Ich schwöre, dass ich es wirklich versucht habe, mich ohne Vorurteile anzuschauen! Aber ganz ehrlich, ich sehe nicht so aus, wie es mir lieb wäre …

Zuerst habe ich eine Fremde gesehen. Das krebsrote Mädchen mit den leichten X-Beinen, den zu langen Armen, den ungleichen Brüsten, die ihre mageren Finger vor ihre Scham hielt, um sie zu verbergen, hatte nichts zu tun mit Anouchka, der Anouchka, die ich bin, oder die ich zumindest einmal war, wie ich sie immer schon kenne.

Außerdem sah das Spiegelbild vor mir nicht aus wie eine erwachsene Person. Ich habe ja gar nichts dagegen, die Kindheit hinter mir zu lassen, aber nur, wenn aus mir dann auch eine Frau wird. Aber nicht so! Ich sehe aus wie irgendeine unfertige Zwischenform. Man wächst einfach in alle Richtungen, ohne Symmetrie und Harmonie, fängt an zu riechen, die Haut nimmt eine komische Farbe an, und man wird von parasitären Elementen besiedelt. Kurz: Ich sondere Haare, Pickel, Talg und Gerüche ab.

Das ist kein guter Start ins Leben. Mit einem solchen Körper könnte ich niemanden verführen, selbst wenn alles sich noch ein wenig zurechtrückt! Da hilft bloß noch das Sprichwort, wonach »jeder Topf irgendwann seinen Deckel findet«. Ja, eines Tages wird vielleicht irgendein bescheuerter Typ auftauchen, der mich annehmbar findet … Aber wird ausgerechnet dieser Idiot mir dann auch gefallen?

Die Konfrontation mit meinem Aussehen hat mich total fertiggemacht. Nachdem ich mich von vorne betrachtet hatte, habe ich noch alle möglichen anderen Blickwinkel ausprobiert – von hinten, von der Seite, von oben, von unten –, indem ich alle Spiegel aus der Wohnung zusammengetragen und überall dort aufgehängt habe, wo es möglich war. Ich habe mich noch krasser verrenkt als eine chinesische Kunstturnerin, und am Ende habe ich so getan, als ob ich mein Spiegelbild nur zufällig erblicke, während ich eilig an den vielen Spiegeln vorbeihusche.

Gestern hat mein Vater, stets zu Scherzen aufgelegt, die Pubertät als die »Revolte des Körpers« bezeichnet. Sobald diese Haare überall auftauchen, gerät alles aus dem Gleichgewicht. Man erkennt sich nicht wieder, weder körperlich noch mental. Die Fragen prasseln auf einen ein. Wer bin ich? Warum lebe ich? Wo gehe ich hin? Wie wirke ich auf die anderen? Dad vertritt die Ansicht, dass es der wichtigste Umsturz in der Entwicklung des Menschen ist, der zwar jeden betrifft, über den aber kaum gesprochen wird. Er hat nicht unrecht, obwohl ich nicht weiß, was daran lustig sein soll.

Gut, das kleine braune Dreieck unterhalb des Bauches, meinetwegen, aber die Haare unter den Achseln, nein, überflüssig! Und dieser Flaum auf der Oberlippe, wo soll das noch hinführen?

Schlechtgelaunt habe ich das Chaos beseitigt, das ich im Zimmer meiner Eltern angerichtet hatte, und anschließend geduscht, weil ich durchgeschwitzt war wie ein Mozzarella. Beim Abtrocknen habe ich nach der Enthaarungscreme meiner Mutter gegriffen und mir was davon unter die Arme und unter die Nase geschmiert. Unter den Achseln hat es auch funktioniert. Dafür ist meine Oberlippe sofort dunkelrot geworden, doppelt so dick angeschwollen, und es juckt! Ich sehe aus wie eine Ente mit brennendem Schnabel.

Ich hatte gehofft, dass sie abschwillt, bevor meine Mutter und mein Bruder zurückkommen. Träum weiter! Als ich gehört habe, wie die Tür aufging, habe ich schnell das Licht in meinem Zimmer gedimmt und so getan, als ob ich mir einen Film ansehen würde, aber Mama konnte es natürlich nicht lassen, mich zu stören, und hat gleich gemerkt, was mit mir los war.

Ich habe behauptet, ich hätte Orangenviertel ausgelutscht, und dass meine Lippen auf die Schale reagiert hätten – ich weiß noch, dass mir das einmal passiert ist, als ich elf war.

Mama hat mich nur angeschaut und nichts gesagt. In letzter Zeit fällt mir öfter auf, dass ein betrübter, schwer zu deutender Ausdruck über ihr Gesicht huscht, wenn ich sie anlüge, um etwas, wofür ich mich schäme, vor ihr zu verbergen. Nimmt sie es mir nicht ab? Oder hält sie mich für verrückt?

Colombes Tagebuch

Jedes Mal, wenn ich mich verliebe, erwischt es mich kalt. Ein Junge kommt ins Balmoral, und ich fühle mich ins Herz getroffen. Mir wird heiß, ich glühe, bekomme wacklige Knie, ich bin das Opfer eines Attentats, wurde aus dem Hinterhalt angeschossen, Kollateralschaden. Ich hatte keinerlei Mitspracherecht! Manchmal sieht der Junge mich überhaupt nicht, er blickt woanders hin, geht lässig vorbei, streicht sich übers Haar, lächelt eine Kellnerin an oder ruft einem Kumpel am anderen Ende des Raumes etwas zu, und ich breche zusammen, spüre, wie ich Risse bekomme, stehe mitten im Kugelhagel.

Ich bin die Erschießungsmauer, eine Fassade in Damaskus, die Mauer von Ramallah.

Ich hasse die Liebe. Ich möchte mich dagegen zur Wehr setzen. Wenn Lieben bedeutet, dass man erträgt, sich selbst verliert, zum Sklaven wird, dann will ich nicht lieben.

Dann besser selber zuschlagen, provozieren.

Ich möchte Frieden, keinen Krieg. Aber wenn der Krieg sich als unvermeidlich herausstellt, werde ich ihn führen.

Die Männer werden mich nicht zu ihrer Beute machen, sondern ich sie zu meiner.

Raphaëlles Tagebuch

Jungs interessieren sich nicht für mich. Umso besser, denn ich interessiere mich auch nicht für sie.

Alles, was ich von ihnen will, ist, dass man mit ihnen Spaß hat, dass sie witzig und gut drauf sind und dass sie dafür sorgen, dass was los ist, wenn wir ausgehen und uns betrinken.

»Raphaëlle ist mein bester Kumpel!«, das höre ich ständig von ihnen …

»Raphaëlle ist einfach topp: Klassenbeste und das feierwütigste Mädchen von allen.« Sie wundern sich darüber … Es stimmt allerdings, dass am Lycée Marivaux die Jungs, die ständig die Nächte durchtanzen und rauchen und trinken, meistens auch die sind, die in der Schule nicht viel hinbekommen und denen ihr Schreibtisch vor allem dazu dient, ihren Kopf darauf abzulegen, um zu schlafen. Ach ja, viel kriegen die echt nicht auf die Reihe, diese Kerle …

»Mit Raphaëlle will jeder befreundet sein. Mit der kann man sich gar nicht nicht verstehen.« Das höre ich schon seit Jahren. Warum fühle ich mich dann so allein, wenn ich doch angeblich so beliebt bin?

Ich übertreibe! Ich habe das Glück, echte Freundinnen zu haben, Julia, Anouchka und Colombe, andernfalls würden meine Gespräche mit meinesgleichen über den Austausch von rein schulischen Informationen nicht hinausgehen oder sich auf »Willst du was trinken?« und »Kommst du mit auf die Tanzfläche?« beschränken. Aber selbst in den Augen meiner Freundinnen bin ich ein seltsamer Vogel, weil ich in Übersetzen gut bin und mich gerne amüsiere. In meiner Familie ist das aber nichts Ungewöhnliches, dass man ins Café oder abends in den Club geht, ohne dass der Beruf darunter leidet.

Bin ich normal?

»Raphaëlle ist mein bester Kumpel!«

Oder stimmt mit mir was nicht?

»Raphaëlle ist mein bester Kumpel!« Wie oft ich das schon gehört habe …

Anouchkas Tagebuch

»Was ist eine beste Freundin?«, fragt mich Thibault.

»Für mir sind das Colombe, Julia und Raphaëlle.«

»Nein, du hast mich nicht verstanden: Was ist für dich eine beste Freundin? Was bedeutet das für dich?«

Manchmal macht mein Bruder mich sprachlos: Obwohl er erst zwölf ist, stellt er mir solche Lehrerfragen. Ziemlich verblüfft antworte ich:

»Meine beste Freundin, das bin ich, aber in einer besseren Version.«

»Danke.«

Er dreht sich um und geht zurück zu seiner Freundin, Zoé, zwölf Jahre alt, mit der er zusammenklebt, seit sie aufs Collège gehen.

Nicht schlecht, meine Definition, oder? Ich sehe Raphaëlle, Julia und Colombe als meine Doppelgängerinnen an, meine idealen Doppelgängerinnen, ohne meine Fehler. Dafür liebe ich sie.

Und morgen sehen wir uns alle wieder!

Dad würde sagen: Ist das Leben etwa nicht schön?

Colombes Tagebuch

Was für ein toller Tag! Wir wollten noch einmal unsere Freiheit genießen, bevor die Schule wieder anfängt, und haben uns im Balmoral getroffen, Julia, Raphaëlle, Anouchka und ich, und als da keiner war – keiner von unseren Freunden, mit denen wir sonst immer rumhängen –, sind wir zur Pont des Arts gegangen.

Ich hatte im letzten Jahr schon mal vorgeschlagen, dass wir dort ein Schloss mit unseren Initialen anbringen, aber damals sind die anderen nicht darauf eingegangen; es wollte zwar keine laut sagen, aber jede von uns wollte sich dieses Projekt für den Zeitpunkt aufsparen, an dem sie mit einem Jungen zusammen ist. Kein Wunder, schließlich sind es meist Paare, die von der Brücke angezogen werden, sie ist ein Symbol für die Besiegelung der Gefühle! Aber wenn man sich auf diese Aussicht versteift, läuft man Gefahr zu verschimmeln … Auf dem Weg dorthin habe noch mal für unsere Sache geworben:

»Und was ist mit uns, Mädels? Wir haben das Glück, die besten Freundinnen der Welt zu sein. Ist die Freundschaft nicht genauso wunderbar wie die Liebe? Genauso lebendig? Genauso langlebig?«

Raphaëlle hat noch einen draufgesetzt:

»Viel langlebiger als die Liebe, Colombe, wenn du meine Meinung hören willst! Meine Eltern haben sich kurz nach meiner Geburt getrennt, und mittlerweile habe ich schon eine ganz ansehnliche Sammlung von Stiefvätern und Stiefmüttern vorzuweisen.«

Wir haben ihr recht gegeben. Auch in meiner Familie lebt niemand mehr, weder mein Vater noch meine Mutter noch meine Onkels und Tanten, mit der Person unter einem Dach, mit der er oder sie Kinder in die Welt gesetzt hat. Das gleiche Spiel bei all unseren Freunden. Außerdem hat unser Sozialkundelehrer auf dem Collège, Monsieur Burgos, uns verkündet: Statistisch gesehen werden wir mehrere Berufe ausüben und in unserem Leben mehrere Paarbeziehungen haben. Willkommen in der modernen Welt! Mir ist das ganz recht, zum einen, weil ich keine Vorstellung davon habe, was für einen Beruf ich ergreifen, und zum anderen, weil ich keine Ahnung habe, welcher Junge mir gefallen könnte; also würde ich ganz gerne ein paar ausprobieren.

(Obwohl ich mich, während ich das schreibe, am liebsten ohrfeigen würde, weil ich Lucas nicht erwähne, meinen Lucas, nach dem ich verrückt bin, seit ich ihn das erste Mal gesehen habe, meinen Lucas, an den ich Tag und Nacht denke. Aber ganz ruhig, auch wenn ich überzeugt bin, dass Lucas der Mann meines Lebens ist, ist er immer noch mit dieser blöden Vanessa zusammen und geht nach Brüssel, um dort seinen Abschluss zu machen.)

Anouchka war auch unserer Meinung, was die Kurzlebigkeit von Schwärmereien angeht; ihre Eltern sind zwar noch zusammen, berühren sich aber nicht mehr und küssen sich nie, so dass sie und ihr Bruder sich ganz sicher sind, Retortenbabys zu sein. Julia hatte jedoch noch eine Frage:

»Dass die Liebe schnell wieder vorbei ist, dafür haben wir Beweise. Aber kennen wir Freundschaften, die schon sehr lange bestehen?«

Auf diese Frage hatten wir unzählige Antworten parat: Jeder von uns sind auf Anhieb mehrere Beispiele eingefallen, von Erwachsenen, die schon seit Jahrzehnten miteinander befreundet sind. Damit war der Prozess entschieden: Wir haben die Freundschaft freigesprochen und die Liebe wegen Untreue hinter Gitter gebracht! Dann haben wir festgestellt, dass die französische Sprache im Irrtum ist, weil sich in ihr amour, Liebe, auf toujours, immer, reimt, dass sie dafür aber richtig klingt, wenn sie amitié, Freundschaft, sich auf éternité, Ewigkeit, reimen lässt.

Von dieser Feststellung ermutigt, haben wir uns von einem Straßenverkäufer, der Angst hatte, von der Polizei erwischt zu werden, ein Schloss gekauft. Dann sind wir stolz und triumphierend auf das über und über mit Metall behängte Geländer geklettert, und es kam uns nun gar nicht mehr so altmodisch vor, dass wir als reine Mädchengruppe dort mitgemacht haben. Wir fühlten uns als Freundinnen jetzt so stark, dass die Paare uns auf einmal völlig verrückt vorkamen.

»Wie lange gehen die wohl schon miteinander ins Bett, der Japaner und die Japanerin?«, hat Raphaëlle mich gefragt und mich mit dem Ellenbogen angestoßen. Einen Monat? Ein Jahr? Und wie lange noch? Ach, was für ein Elend …

Julia hat, wie es für sie typisch ist, gleich mal wieder ein Shakespeare-Zitat vom Stapel gelassen, das zum Thema passte: »Wer lang vermählt lebt, der ist schlecht vermählt. Gut ist vermählt, wer jung vermählt gleich stirbt.« Wir mussten lachen, erstens, weil das Quatsch war, und zweitens, weil wir es ziemlich beachtlich finden, eine Freundin zu haben, die Shakespeare zitiert wie normale Jugendliche Songs vor sich hin summen. Das hat doch Klasse, oder etwa nicht?

Solange wir damit beschäftigt waren, unsere Initialen mit einem Taschenmesser in das Schloss zu ritzen, haben wir uns über die Liebespaare lustig gemacht, egal ob alt oder jung, weil wir sie für ungefestigt, instabil, unbeständig hielten. Aber dann ist ein italienisches Ehepaar aufgetaucht, bei dem uns plötzlich keine spöttischen Bemerkungen mehr eingefallen sind: Sie sah einfach zu bezaubernd aus in ihrem Spitzenkleidchen, und er hatte Ähnlichkeit mit einem Prinzen, und die beiden haben gestrahlt wie die Sonne, die das Wasser der Seine glitzern ließ.

Sie und wir waren die Einzigen, die das Recht hatten, unsere unerschütterlichen Gefühle zu besiegeln. Als wir uns dann auf die Bretter gekniet haben, um das Schloss einrasten zu lassen, haben wir uns gegenseitig feierlich versprochen, dass wir für immer die vier besten Freundinnen der Welt sein würden.

Einen Moment lang herrschte eine bedeutungsschwere, perfekte Stille, in die hinein Julia leise etwas sagte, das uns kalt erwischt hat:

»Ich hab’s getan.«

Da wir nicht sofort verstanden haben, wovon sie redet, musste sie nochmal von vorne anfangen:

»Ich hab’s diesen Sommer getan. Zum ersten Mal.«

Ein Trupp Jungs lief grölend an uns vorbei; sie rannten so schnell, dass die Balken der Brücke gezittert haben.

Wir waren wie gelähmt. Die Sonne wärmte unsere Gesichter. Die Iris unserer Augen leuchtete so hell wie nie zuvor. Niemand hat etwas gesagt, bis das Pfeifen eines Ausflugsschiffs die Stille unterbrach.

»Mit wem?«

»Terence.«

Der englische Vorname hat uns nicht weniger verwirrt als das, was passiert ist. Wir konnten uns weder das eine noch das andere vorstellen. Mit einem Jungen schlafen … und dann auch noch mit einem Terence … das kam uns gleich doppelt exotisch vor. Und doppelt erotisch. Sofort habe ich mir Terence als eine britische Version von Lucas vorgestellt, einen Lucas mit längerem Pony und Lederschuhen.

Als Julia gemerkt hat, wie aufgeregt wir waren, ist sie vom Hals bis zu den Ohren rot angelaufen. Da bin ich aus Sympathie auch gleich mit rot geworden.

»War’s gut?«, flüsterte Anouchka.

Julia senkte die Lider. Dieser anmutige, schamhafte Wimpernschlag, der sich wie ein seidener Vorhang vor einer vertraulichen Szene schließt, hat mich total aus der Fassung gebracht: Natürlich war es gut, das sollte uns diese subtile Zurückhaltung sagen, natürlich war es wunderschön.

Danach wussten wir lange nicht, was wir sagen sollten.

Auf dem Rückweg hat Julia ihr verzücktes Schweigen nur noch einmal unterbrochen, um wieder Shakespeare zu zitieren: »Schweigen ist Gold. Wenn ich sagen könnte, wie glücklich ich bin, wär’s damit nicht weit her.«

Julia, meine Julia, meine so enge Freundin, deren Wangen immer noch ein bisschen pausbäckig sind, Julia, die manchmal wie ein Engelchen aussieht, wenn sie mit einem Stirnband in den braven, blonden Haaren auftaucht, Julia ist durch die geheime Tür gegangen, durch die man zur Frau wird.

Es hat mich umgehauen.

Ich muss mich daran gewöhnen, sie mit anderen Augen zu sehen.

Anouchkas Tagebuch

Ich bin ein Trampel, und jetzt habe ich den Beweis dafür.

Julia hat’s getan. Jawohl. Und ich, ich habe noch nicht mal geküsst.

Was für ein Fiasko … Nicht genug, dass ich keine männlichen Freunde habe, bald werden auch die Mädchen nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Kein Wunder: Irgendwann werden sie merken, dass ich in mentaler Hinsicht eigentlich erst zwölf bin.

Nein, nicht mental, körperlich.

Oder beides vielleicht …

»Man soll Äpfel nicht mit Birnen vergleichen«, sagt Dad, mein armer Papa, immer zu mir, und meint damit, dass mit mir doch alles in Ordnung sei. Wie falsch er damit liegt! Mit mir stimmt was nicht. Kein Körper, kein Kopf, kein Herz. Anstatt mich für Julia zu freuen, denke ich nur an mich, ich verkrieche mich und bade in meiner Scham. Ein Ozean aus Egoismus.

Anouchka findet Anouchka zum Kotzen.

Raphaëlles Tagebuch

Was ist los mit mir?

Heute Abend bin ich total mies gelaunt. Obwohl ich den ganzen Tag mit meinen Freundinnen verbracht habe und wir – für immer – unsere Spur auf der Pont des Arts zurückgelassen haben, fühle ich mich leer, schlapp, nutzlos, als hätte ich Wasser in den Adern.

Völlig unverständlich …

Ich schaffe es kaum, mich vom Bett an den Schreibtisch zu schleppen. Als ich eben meine Ballerinas ausgezogen habe, ist mir schwindelig geworden. Wahrscheinlich ist mein Blutdruck total im Keller.

Und morgen komme ich in die elfte Klasse. Noch zwei Jahre, dann bin ich mit der Schule fertig! Ich! …

Was habe ich bloß?

Obwohl ich den ganzen Nachmittag nur Grenadine getrunken habe, um auf dem gleichen Niveau zu bleiben wie die Mädels, kriegte ich bei meiner Rückkehr solche Kopfschmerzen, als hätte ich ein paar Flaschen Wodka und diverse Mischungen in mich reingekippt. Als ich schlaff auf dem Sofa lag, kam meine Mutter rein. Ich habe ihr gesagt, dass es mir schlecht geht, aber anstatt weiter nachzufragen, hat sie gelacht und gesagt, das sei ja nichts Neues.

In meinem Alter scheint alles, was mir anormal erscheint, den Erwachsenen völlig normal vorzukommen. Es ist anstrengend, sechzehn Jahre alt zu sein … Vor allem, wenn man sich fühlt wie achtzig.

Was habe ich nur gemacht?

Oder was habe ich nicht gemacht?

Anouchkas Tagebuch

Zwei Uhr morgens. Ich habe nachgedacht.

Es wäre logisch, wenn nach Julia Colombe dran wäre, dann ich, dann Raphaëlle.

Ja, Julia, Colombe, ich, Raphaëlle. In dieser Reihenfolge.

Colombe kommt bei den Jungs super an. Ich finde sie übrigens auch klasse, auch wenn ich sagen muss, dass ich froh bin, nicht ihre breiten Hüften oder ihre großen Brüste zu haben – ich käme mir vor, als würde ich mit lauter vollen Vorratstüten behängt auf Tour gehen. Es ist mir ein Rätsel, wie Colombe damit klarkommt, aber es sieht gut aus, wie sie sich bewegt.