Wenn der Tod kommt, ist Sense - Johannes Bauer - E-Book + Hörbuch

Wenn der Tod kommt, ist Sense Hörbuch

Johannes Bauer

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Beschreibung

Zwischen Kühlhaus und Grabkammer, Feuerbestattung und Verwesungsgeruch –

Werden Wasserleichen getrocknet? Wird Toten der Mund zugenäht? Kann ich bei der Einäscherung meiner Oma zusehen? Dürfen Bestatter mit dem Leichenwagen zum Einkaufen fahren? Wie werden die Verstorbenen versorgt? Unterscheidet sich das nach einem Suizid? Was ist eine Baumbestattung? Und sehen Särge immer gleich aus? Fragen gibt es viele, sie zu stellen traut man sich oft nicht. Obwohl er uns alle betrifft, ist der Tod immer noch ein Tabuthema – dem Luis Bauer mit seinem Buch die Schwere nimmt. Denn Berührungsängste mit dem Tod kennt der 16-Jährige Jung-Bestatter nicht.Während andere Teenager in seinem Alter sich mit Zeitungen austragen ein paar Euro dazuverdienen, ist Luis Bauer jeden Tag nach der Schule im familieneigenen Bestattungsunternehmen von Toten umgeben. Nun haben er und sein Vater die skurrilsten Geschichten und spannendsten Fakten rund ums Sterben und den Bestatter-Alltag aufgeschrieben.

Der jüngste Bestatter Deutschlands teilt sein Wissen und die unglaublichsten Erlebnisse aus sechs Generationen Bestatter-Geschichte auf Tiktok mit über einer halben Million Follower – und endlich auch zwischen zwei Buchdeckeln.

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Zeit:3 Std. 15 min

Sprecher:Alexis Kara
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Über die Autoren

Johannes Bauer, geboren 1978, ist der Vater von Luis und Bestattungsunternehmer aus Leidenschaft. Er hat den Betrieb von seinem Großvater übernommen und leitet ihn in der fünften Generation. Die Familie Bauer lebt in Fürth.

Luis Bauer, geboren 2005, geht im Bestattungsunternehmen seines Papas ein und aus, seit er denken kann. Seine erste Leiche hat er gesehen, da war er in der Grundschule. Im Gegensatz zu den meisten Menschen kennt Luis also keine Berührungsängste, wenn’s um den Tod geht. Um gegen Tabus anzugehen, erzählt er auf TikTok unter @bestattungenburger vom Bestatter-Alltag – mittlerweile sehen ihm über eine halbe Million Menschen dabei zu.

Disclaimer

Die in diesem Buch erzählten Geschichten haben sich alle so oder so ähnlich abgespielt. Aus Gründen der Pietät und Diskretion haben wir jedoch alle Handlungen, Personen und Orte verändert und anonymisiert.

So könnt ihr mit uns Kontakt aufnehmen:

Bestattungen Burger

Nachfolger J. Bauer e.K.

Schwabacher Straße 95–97

90763 Fürth

Tel.: 0911/7230390

[email protected]

TikTok/Instagram/Facebook/YouTube: @bestattungenburgerecht

EMF ist eine Marke der Edition Michael Fischer

1. Auflage

Originalausgabe

© 2022 Edition Michael Fischer GmbH, Donnersbergstr. 7, 86859 Igling

Covergestaltung: Silvia Keller, unter Verwendung eines Motivs von

© Shutterstock/Snowboard School

Lektorat: Beate De Salve, Pulheim

Fotos auf den Innenseiten und der Buchrückseite: © privat und

© Nicolas Armer

Illustrationen im Innenteil: Pia von Miller

Layout/Satz: Zoe Mitterhuber

Herstellung: Amelie Schmiedel

ISBN 978-3-7459-1086-5

www.emf-verlag.de

Was nützt dir die schönste Beerdigung,

wenn‘st die Leich‘ spielen musst?

Maria Bauer

Inhalt

Über die Autoren

VORWORT VON LUIS

GESTORBEN WIRD IMMER

Abholung

Ab durch die Hecke

Ein totenstilles Örtchen

Q&A — schon gewusst?

Leichenwagen

Augen auf beim Autokauf

es klopft

Was nicht passt, wird passend gemacht

Q&A — schon gewusst?

Kühlhaus

Eine umwerfende Erfahrung

Q&A — schon gewusst?

BEI UNSLIEGEN SIE RICHTIG

Verstorbene

Der letzte Atemzug

Der Tote im Teppich

Q&A — schon gewusst?

Angehörige

Die Mumie im Klinikum

Wenn zwei sich streiten

Q&A — schon gewusst?

Bestatter

Übermut tut selten gut

Voll verplant

Abschied

Q&A — schon gewusst?

DEAD END

Versorgung der Toten

Hochkarätig

Q&A — schon gewusst?

EinbalsAmierung

Die Totenmaske

Achtung, Infektionsgefahr!

Q&A — schon gewusst?

Särge

Knappe Kiste

Vier Brüder

Q&A — schon gewusst?

SIX FEET UNDER

Bestattungen

Hinterlassenschaft

Aus die Maus

Q&A — schon gewusst?

Feuerbestattungen

Omas letzte Reise

Q&A — schon gewusst?

Seebestattungen

Q&A — schon gewusst?

Trauerfeier

Das letzte Lied

Q&A — schon gewusst?

NACHWORT VON JOHANNES

DANK

VORWORT VON LUIS

Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem ich den ersten toten Menschen sah. Ich war im Grundschulalter, vielleicht sieben oder acht Jahre alt, und lief durch den Raum, in dem die Angehörigen von ihren Verstorbenen Abschied nehmen können.

Und plötzlich stand er da: der offene Sarg, umgeben von einigen Kerzen und einem Blumengesteck, darin ein alter Mann. Es wirkte, als würde er schlafen, aber ich wusste, dass er tot war. Seine Haut sah anders aus, wächsern und bleich. Trotzdem wirkte er friedlich und irgendwie so, als ob ein Teil von ihm schon gar nicht mehr da wäre.

Die Toten gehörten für mich immer dazu, sie waren ja Papas Arbeit. Weil ich oft im Bestattungsinstitut war, fand ich auch den Beruf des Bestatters nicht merkwürdig. Im Gegenteil, er faszinierte mich, und je älter ich wurde, desto eher konnte ich mir vorstellen, eines Tages in das Familienunternehmen einzusteigen.

Viele Leute denken, dass Bestatter auf dem Friedhof Löcher buddeln, den Angehörigen die Hand halten und Särge im Leichenwagen durch die Gegend fahren. Dabei hat der Beruf viel mehr zu bieten. Bestatter sind nämlich richtige Allrounder. Wir müssen, oft unter Zeitdruck, gut planen und organisieren können, ein Auge für Ästhetik haben, wenn wir die Deko bei den Trauerfeiern arrangieren oder die Zeitungsanzeigen layouten, handwerklich begabt sein (weil eben doch manchmal ein Grab ausgehoben oder ein Sarg beschlagen werden muss) und dürfen keine Angst vor der Arbeit an fremden Körpern haben. Wir sollten einfühlsam sein, ohne die oft traurigen Geschichten zu sehr an uns heranzulassen. Vermitteln, wenn es zum Knatsch zwischen den Hinterbliebenen kommt. Selbstbewusst auftreten, wenn wir Vorträge und Workshops zu den Themen „Trauer“ und „Trauerbewältigung“ halten. Bestatter sind Eventmanager, Seelsorger, Kosmetiker, Bürohelden, Organisationsgenies und Mediatoren in einem. Und ja, auch gute Autofahrer, denn wir verbringen im Jahr Tausende von Kilometern auf der Straße, um Verstorbene zu überführen, Behördengänge zu erledigen und Trauerfeiern auf Friedhöfen zu betreuen.

Es ist die Vielseitigkeit, die mich von Anfang an an diesem Job faszinierte (im Gegensatz zu meinen Schwestern, die sich – zumindest aktuell – nicht so recht vorstellen können, jemals in die Fußstapfen unseres Vaters zu treten)1. Für einen Bestatter macht es keinen Unterschied, ob ein Verstorbener arm oder reich, politisch links oder rechts, beliebt oder unbeliebt, Vegetarier oder Fleischesser, jung oder alt war. Zumeist kenne ich die Menschen, mit denen ich zu tun habe, nur tot. Ich weiß nicht, ob sie liebende Väter, tolle Mütter, strenge Chefinnen, zickige Kollegen, Bayern-München- oder Greuther-Fürth-Fans waren. Im Tod sind alle gleich, und ich behandle sie mit Respekt.

Warum schreiben wir dann ein lustiges Buch über unsere Arbeit im Bestattungsinstitut? Wieso erzählen wir Geschichten von auf den Boden krachenden Särgen (wenigstens ohne Verstorbenen darin), in Teppiche eingerollte Tote oder Mumien aus dem Keller? Weshalb lassen wir uns so in die Karten schauen? Weil wir es als unsere Mission verstehen, die Gesellschaft über Tod, Trauer und unseren Beruf aufzuklären. Weil wir beinahe täglich merken, wie stark die Berührungsängste der allermeisten Menschen mit dem Tod sind, wie wenig sie darüber wissen und wie groß dann doch das Interesse ist. Wir wollen den Tod und dem Sterben ein wenig den Schrecken nehmen. Und weil wir glauben, dass Humor dafür das beste Mittel ist, versuchen wir es auf die spaßige Art. In den Geschichten, die wir euch in diesem Buch erzählen, machen wir uns deswegen nicht über die Toten, sondern vor allem über uns, die Lebenden, lustig und zeigen, dass unser Beruf unglaublich viele Facetten hat.

Wir wünschen euch viel Freude beim Lesen und hoffen, dass ihr euch nicht totlacht – und falls doch, helfen wir gern weiter.

1 Amelie besucht die achte Klasse eines musischen Gymnasiums in Fürth und betreut unseren Snapchat-Account, aber Bestatterin möchte sie nicht werden. Pauline, die Jüngste, geht ab und zu mit mir in die Firma und hat auch kein Problem damit, bei der Versorgung eines Toten dabei zu sein. Vor Kurzem meinte sie, sie wolle nach dem Schulabschluss auch bei Burger anfangen.

GESTORBEN WIRD IMMER

Jedes Jahr sterben in Deutschland etwa 950 000 Menschen, mehr als ein Drittel davon an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Da es deutschlandweit nur etwa 5 500 Bestattungsunternehmen gibt, haben wir alle Hände voll zu tun – sogar dann, wenn keine Pandemie die Welt in Atem hält.

Abholung

Ab durch die Hecke

Fürth, 27 Grad, 19 Uhr. Henrik und ich saßen schwitzend in unserem Oldtimer-Leichenwagen und näherten uns einem Wohnkomplex im Herzen der Stadt. Wir sollten Frau Müller, eine ältere Dame, aus ihrem Apartment abholen, die dort ein paar Stunden vorher ihren letzten Atemzug getan hatte. Klingt friedlich, doch der Arzt war sich bezüglich der Todesursache nicht sicher. Deshalb hatte er veranlasst, dass wir die Leiche zur polizeilichen Untersuchung bringen sollten.

Es roch nach Sommer und Würstchen – an so einem Abend konnte man nur Grillen –, doch wir standen ratlos mit unserem Kunststoffsarg, den wir für polizeiliche Abholungen immer verwenden, am Eingang des Hochhauses. So viele Namen und keine Stockwerkzuordnung … Während ich nach der richtigen Klingel fahndete, suchte Henrik nervös seine Latexhandschuhe in der Hosentasche. Es wäre nicht das erste Mal, dass er wieder zum Auto zurückmüsste, um sie zu holen. Vor dem Haus gab es keine freien Parkplätze, weshalb wir eben mit dem leeren Sarg um den ganzen Wohnkomplex gehen mussten. Nervig.

Ich drückte die Klingel neben dem Namen Müller. Nur wenige Augenblicke später tönte der Summer, die Tür ging auf.

„In welchen Stock müssen wir?“, rief ich in die Gegensprechanlage, doch niemand antwortete.

„Wir werden es schon finden, Cheffe“, meinte Henrik und schob unseren Sargwagen durch die Eingangstüre. Gut gelaunt arbeiteten wir uns mit dem sperrigen Ding durch das enge Treppenhaus in den ersten Stock. Keine Spur von „Müller“. Also weiter in den zweiten. Insgeheim graute mir ein wenig vor dem Rückweg, denn dann hätten wir mehr Gewicht zu tragen und würden den Sarg nicht mehr ganz so bequem von links nach rechts und von oben nach unten hieven können.

„Wieso nehmen wir eigentlich nicht den Aufzug?“, wollte Henrik wissen, als wir außer Atem, im vierten Stock ankamen.

„Der ist zu klein. Stell dich mal nicht so an. Die alte Dame ist nicht schwer und ein wenig Fitness tut dir auch ganz gut.“

Begeisterung sieht anders aus, konnte ich in Hendriks Gesicht lesen. Wir marschierten am fünften, sechsten und siebten Stock vorbei. Noch immer kein „Müller“ in Sicht. Inzwischen waren wir völlig durchnässt – vergessen Sie nicht, es war Hochsommer – und auch bei mir machte sich langsam Unmut breit. Im zehnten Stock angekommen kamen mir ernsthafte Zweifel, ob wir im richtigen Haus waren, weiter ging es nicht.

„Ja, wo ist denn jetzt die Tote?“, rief Henrik keuchend und so laut, dass seine Stimme von den Flurwänden widerhallte.

„Ich weiß es nicht.“ Stöhnend wischte ich mir den Schweiß von der Stirn.

„Immerhin wird der Abstieg weniger anstrengend.“

„Sollen wir mal irgendwo klopfen?“

„Und die Leute fragen: ‚Entschuldigung, haben Sie hier zufällig jemanden, den wir mitnehmen können?‘ Ne!“, sagte ich entschieden.

Neun ganze Stockwerke arbeiteten wir uns wieder nach unten. Ich war mir ziemlich sicher, dass wir im falschen Gebäude des Wohnkomplexes gelandet waren (Müllers gab es schließlich viele), als plötzlich eine Wohnungstür im ersten Stock aufgerissen wurde.

„Da sind Sie ja endlich! Wo bleiben Sie denn?“, rief ein feister Polizist, der im Türrahmen stand, und schüttelte den Kopf. „Ihr Leben will ich haben!“

Ich verkniff mir jeden Kommentar. Immerhin hatten wir die Wohnung der Verstorbenen – und damit auch die Tote – gefunden, auch wenn wir nass geschwitzt und immer noch außer Puste waren.

Weil wir so viel Zeit mit der Wohnungssuche verplempert hatten, beschloss ich nach dem Einbetten kurzerhand: „Bevor wir den Sarg jetzt wieder ums Gebäude herumtragen, gehen wir durch den Innenhof. Das ist eine Abkürzung.“

Henrik nickte dankbar, und so trugen wir den nunmehr schweren Sarg ins Erdgeschoss, wo wir durch eine gläserne Tür den Innenhof des fünfeckig angelegten Gebäudekomplexes betraten. Wenn ich mich richtig erinnerte, musste der Wagen genau auf der gegenüberliegenden Seite stehen. Über die Steinplatten liefen wir an den Balkonen im Erdgeschoss vorbei. Und hier war viel los. Wunderbares Wetter, Feierabendzeit: Die Bewohner bereiteten ihren Grill vor oder genossen es einfach, draußen zu sein. Umso überraschender der Anblick von zwei Bestattern mit Sarg. Ungläubig sahen sie uns hinterher.

„Guten Abend“, grüßte ich einen Mann mit Glatze, der gerade die Steaks auf seinem Elektrogrill wendete. Ihm fiel vor Schreck das Fleisch aus der Zange, und sein Mund klappte auf. Auf dem Balkon daneben machten sich zwei ältere Herrschaften die Mühe, aus ihren Gartenstühlen aufzustehen, als wir vorbeidefilierten. Der glatzköpfige Herr war bis auf eine knappe Badehose unbekleidet, die Dame neben ihm trug einen pinkfarbenen Bikini und hielt eine Boulevardzeitung in der Hand. „Guten Abend“, grüßte ich wieder und nickte ihnen freundlich zu.

„G-g-guten Abend“, stammelte der Mann in der Badehose und glotzte mich an, als wäre ich das achte Weltwunder. Ich konzentrierte mich auf den Weg vor mir und versuchte, die entsetzten Anwohner zu ignorieren, deren Blicke uns auf Schritt und Tritt verfolgten. Mittlerweile schienen uns auch die restlichen Nachbarn im Wohnblock bemerkt zu haben.

„Mama, guck mal!“, quiekte eine Kinderstimme von weiter oben, und eine ältere Frau rief vom Balkon ins Innere ihrer Wohnung: „Herbert! Komm, das musst du dir ansehen.“

Ich nickte weiter in alle Richtungen und wünschte einen guten Abend, als wären wir auf einer Cocktailparty. Die Situation war so skurril, dass ich spürte, wie aus der Tiefe meiner Kehle ein Glucksen nach oben drängte. Jetzt bloß nicht lachen!, rief ich mich zur Räson. Aber je mehr Balkone wir passierten, und je weiter wir uns der rettenden anderen Seite näherten, desto weniger konnte ich mich beherrschen. Und dann geschah es: Ich musste lachen. Das erste Glucksen rumpelte vollkommen unkontrolliert aus mir heraus, sehr zum Entsetzen einer jungen Frau ein paar Meter neben uns, die gerade dabei war, die Kräuter in ihren Balkonkästen zu gießen. Das zweite Glucksen tarnte ich mit einem Niesen.

„Alles okay, Chef?“, erkundigte sich Henrik von hinten. Ich nickte so heftig mit dem Kopf, dass ich beinahe schon wieder zu lachen angefangen hätte. Zum Glück hatten wir unseren Spießrutenlauf endlich hinter uns gebracht und waren am anderen Ende des Innenhofes angekommen. Doch die gläserne Tür, die zum Treppenhaus – und damit zum Ausgang – geführt hätte, war verschlossen.

„Und jetzt?“, fragte Henrik mit leichter Panik in der Stimme. Die Vorstellung, den ganzen Weg zurück- und erneut an den Balkonen vorbeizumarschieren, fand er offenbar genauso verlockend wie ich. Ich machte ein paar Schritte zur Seite. Neben der Glastür befand sich ein Durchgang, der allerdings durch eine breite Hecke versperrt war. Dahinter, auf der Straße, sah ich die Kühlerhaube unseres Wagens. Was tun?

„Chef?“, fragte Henrik.

Ich dachte an die Nachbarn in Feierabendstimmung. Gegrillte Steaks, kühles Bier, glänzende Halbglatzen, sonnenverbrannte Dekolletés … und wir mit dem Sarg.

„Ab durch die Hecke“, beschloss ich kurzerhand.

„Wo … durch?“, wollte Henrik ungläubig wissen, aber da war ich auch schon mit Schwung durch die Hecke und zog ihn samt Sarg einfach mit – beobachtet von den ungläubigen Anwohnern des Wohnblocks, die uns mit großer Wahrscheinlichkeit für vollkommen durchgeknallt hielten. Immerhin: Der Wagen stand so weit weg von den Balkonen, dass garantiert niemand den Firmennamen auf der Fahrertür erkennen konnte.

Selten war ich so froh, den Sarg im Auto verladen und endlich Gas geben zu können.

Ein totenstilles Örtchen

Wir hatten Polizei-Notdienst und warteten auf den nächsten Sterbefall. Manchmal war wirklich der Wurm drin: Überall wurde gestorben und beerdigt, nur wir drehten Däumchen.

„Du hättest mir den Urlaub ruhig genehmigen können. Ich könnte diese Woche am Strand liegen, anstatt mir hier den Hintern platt zu sitzen!“, maulte Tobi und biss in seinen Döner.

„So ist das eben als Bestatter: Du weißt nie, wann du ranmusst.“ Ich wollte mit meiner Aushilfe nicht schon wieder eine Diskussion darüber führen, wann er in die Ferien fahren konnte und wann nicht. Er hatte doch gewusst, worauf er sich bei der Arbeit in einem Bestattungsunternehmen einließ.

In diesem Moment riss mich das Klingeln des Telefons aus meinen Gedanken.

„Kriminalhauptkommissar Kellermann! Wir brauchen einen Notsarg, und wenn‘s geht, gestern.“

Jetzt wurde es spannend. Wenn Kellermann anrief, wurde es meistens außergewöhnlich. In ein paar Minuten würde Tobi die Strände von Ibiza vergessen haben, jede Wette.

„Was haben Sie denn diesmal, Kellermann?“

„Da hat einen der Blitz beim Scheißen getroffen!“

Beinahe wäre mir das Handy aus der Hand gefallen.

„Machen Sie Witze?“, fragte ich ungläubig.

„Nein“, erwiderte der Kriminalkommissar mit dröhnender Stimme. „Der Tote sitzt immer noch auf der Schüssel. Kommen Sie schnell, es ist überall Blut, und die Nerven der Familie liegen blank. Die Angehörigen sind vor Ort.“

Kellermann war vieles, aber kein Mann vieler Worte.

Wir packten unsere Sachen und fuhren vom Hof. Während wir mit siebzig Stundenkilometern durch den Ort brausten, dachte ich über das Sprichwort nach. Konnte einen wirklich beim Verrichten der Notdurft der Blitz treffen, sodass man das Zeitliche segnete? Sicher nicht. Aber woran war der Mann dann gestorben? Und wie kam das ganze Blut da hin?

Ich konzentrierte mich auf den Weg und bog in die nächste Hauseinfahrt ein. Als ich eine Gruppe ernst dreinblickender Leute rauchend vor der Haustür entdeckte, wusste ich, dass ich richtig war. Drei untrügliche Zeichen für Trauer: „versteinerte Mienen“, „Zigaretten“ und „vor der Haustür stehen“.

Wir verließen den Wagen, kondolierten und sprangen die Stufen zum Haus empor.

Der Kriminalkommissar erwartete uns bereits im Flur.

„Na endlich! War ja klar, dass es bei euch wieder dauert. Musstet ihr erst eure Urnen sortieren?“