Zirbenholz und Alpenmord - Sven Kellerhoff - E-Book

Zirbenholz und Alpenmord E-Book

Sven Kellerhoff

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  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Seilbahnmord und Leberkässucht: Ein Fall für Kommissar Geiger Auf der Baustelle der Nebelhornbahn im Allgäu wird die Leiche eines bekannten Seilbahnunternehmers gefunden. Der Kemptner Kommissar Leopold Geiger und seine schicke Kollegin Anna Zähler werden gerufen, um den Mord aufzuklären. Schnell führt eine erste Spur ins Zillertal zum Hintertuxer Gletscher, wo ihnen die Lokalpolizisten Paul und Vitus an die Seite gestellt werden. Bloß interessieren sich die hilfsbereiten Kollegen aus dem Zillertal mehr für Leberkässemmeln und die neuen FKK-Camper als für den Toten aus dem Allgäu. Doch dann tauchen auch im Zillertal die ersten Leichen auf …

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Zirbenholz und Alpenmord

Der Autor

SVEN KELLERHOFF, 1975 in Bad Ems geboren, lebt heute mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Grevenbroich bei Düsseldorf. Seit vielen Jahren bei einer Sparkasse tätig, veröffentlicht er nun neben seinem Beruf seinen ersten Regionalkrimi ("Zirbenholz"), der endlich den Weg aus seinem Kopf auf das Papier gefunden hat. Zur Zeit schreibt er am zweiten Teil der Reihe rund um die beiden Kemptner Kommissare Anna Zähler und Leopold Geiger. Alle Schauplätze sind keine Fiktion und befinden sich in Oberstdorf im Oberallgäu und im Tiroler Zillertal, eine Hommage an seine Lieblings-Urlaubsregionen, die er schon seit der Kindheit bereist.

Sven Kellerhoff

Zirbenholz und Alpenmord

Ein Allgäu-Krimi

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

Originalausgabe bei Midnight Midnight ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Mai 2021 (1) © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat E-Book powered by pepyrus.com ISBN 978-3-95819-310-9

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

Zirbenholz und Alpenmord

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Cover

Titelseite

Inhalt

Zirbenholz und Alpenmord

 

»Heute reißt es nicht mehr auf«, meinte der Gondelführer zu Thomas und seinem Kollegen Markus, als er die Tür der altehrwürdigen Kabine Eins der Nebelhornbahn verschloss. Langsam fuhr er mit seinen zwei Fahrgästen aus der Talstation heraus.

»Das macht nichts, wir haben Arbeit satt und können die Aussicht heute sowieso nicht genießen«, sagte Thomas, der mit Seilen und Karabinern umhangen aus dem Fenster schaute.

Es war früh am Morgen, als die erste Bahn des Tages durch den diesigen Morgennebel bergwärts fuhr. Sie glitt fast lautlos vom Tal in Oberstdorf zur 1280 m hoch gelegenen Seealpe, der ersten Sektion der Nebelhornbahn. Dies war das Ziel von Thomas und Markus, die hier schon einige Zeit für die Firma Luggi an der neuen Nebelhornbahn arbeiteten. Der Zeitplan für den Bau der neuen Bahn war ambitioniert. Gearbeitet wurde bei jedem Wetter, um den ersten Bauabschnitt von der Station Seealpe zur Station Höfatsblick auf 1900 m pünktlich fertigzustellen.

»Wie lange fährst du schon aufs Nebelhorn?«, wollte Thomas vom Bergbahnführer wissen.

»Ich fahre die Gäste schon über zwanzig Jahre, und die Bahn fährt schon seit 1930 zum Nebelhorn, bisher immer ohne Unfälle oder größere Reparaturen. Mit der neuen Bahn braucht es mich demnächst hier nicht mehr. Da fahren die Gäste in kleinen 10er-Gondeln allein.« Der Gondelführer wirkte auf Thomas etwas wehmütig.

»Aber du hast dann andere Aufgaben hier, oder?«, fragte Markus.

»Ja, schon. Hier am Berg gibt’s immer genug zu tun. Ich war allerdings immer gerne mit den Gästen zusammen in der Kabine unterwegs.«

Die Nebelhornbahn war in die Jahre gekommen und wich nun einer modernen Zweiseilumlaufbahn, die ihre Gäste in die alpine Bergregion der Allgäuer Alpen brachte.

»Mir liegt die Schmankerlplatte von gestern Abend im Magen«, sagte Thomas und fuhr mit der Hand über seinen nicht ganz so schlanken Bauch.

»Du hast sie einfach mit zu wenig Bier runtergespült«, antwortete Markus, der an die frisch gezapften Halben in der Dampfbierbrauerei zurückdachte. Beide wohnten und arbeiteten unter der Woche in Oberstdorf und genossen die heimischen Allgäuer Spezialitäten nach getaner Arbeit in den Gasthäusern der Marktgemeinde Oberstdorf.

Sie passierten die dritte Stütze und fuhren langsam in die Station ein. Die Seealpe lag auf einem Talboden, der im weiteren Verlauf sehr steil anstieg. Hier wurden bis zur Station Höfatsblick noch mal rund 700 Höhenmeter überwunden. Der Nebel legte sich wie eine dünne Decke über die saftigen Wiesen. Morgentau bedeckte die Grashalme, Zäune und Bäume. Feinste Wassertropfen überzogen die Stützen und Seile des Schleppliftes, der im Winter für die Anfänger und Familien mit kleinem Skinachwuchs in Betrieb war. Kuhglocken läuteten dumpf in der Ferne und ließen ein Gefühl von »Heimat« und »Hier ist die Welt noch in Ordnung« entstehen. Thomas beobachtete aus der Gondel, wie die Wirtin der Berggaststätte Seealpe ihre Bierzeltgarnituren mit einem Abzieher trocknete und sie mit karierten Tischdecken bedeckte. Darauf platzierte sie einen Aschenbecher und einen mit Messern, Gabeln und Löffeln bestückten Steinkrug sowie die Speisekarte. Die großen roten Sonnenschirme wurden bei dem Wetter nicht gebraucht. Durch das aufgeschobene Kabinenfenster konnte Thomas die stille, würzige und nach Heu und Kuhscheiße duftende Morgenluft genießen. Die Ruhe würde bald vorbei sein, wenn die ersten Touristen ihren Frühstückstisch im Hotel verließen und wie die Kühe vor dem abendlichen Melken an der Talstation anstanden. Dann bevölkerten sie wie jeden Tag und trotz des schlechten Wetters das Nebelhorn mit Kinderwagen, Trekkingstöcken, Bergstiefeln und leider auch Flipflops und fielen wie die Heuschrecken in die Gastronomie am Berg ein.

Nach einem kleinen Fußmarsch entlang des neu erbauten Speicherteichs, der für die künstliche Beschneiung hier an der Seealpe angelegt war, erreichten die Monteure ihren Arbeitsplatz. Neben den bereits betonierten und verschraubten unteren beiden Teilen der neuen Stütze Drei lagen das letzte Stützenrohr und die Rollenbatterien.

»Das sollten wir heute trotz des Wetters schaffen. Den Heli brauchen wir nicht, da reicht unser Kran«, meinte Thomas und goss sich aus seiner neu erworbenen Überlebens-Thermoskanne einen dampfenden Kaffee ein.

»Da kommen die anderen, dann können wir ja endlich loslegen.« Markus identifizierte die schemenhaft aus dem Nebel heraustretenden Gestalten als ihre vier Kollegen, die von ihrer Unterkunft oben am Höfatsblick mit dem Geländewagen runter zur Baustelle gefahren kamen. Nach einer kurzen Morgenbesprechung, die sie neuerdings »Daily« nannten, stiegen Thomas und Markus die Stützenleiter hinauf. Ihr Projektleiter Andreas Gruber war ganz versessen auf diese neuen agilen Projektmethoden wie das »Daily«. Thomas und Markus waren eher der Meinung, dass man die Zeit nach dem Projektabschluss nicht mit umfangreichen Retrospektiven verbringen musste. Statt sich mit dem x-ten Feedback zu beschäftigen, sollte man ohne Umschweife wieder zur Tat schreiten. Ihr Motto war: »Einfach machen«. Thomas kletterte die Leiter hinauf und bemerkte, dass die Sprossen des unteren Teils sich beim Besteigen anders anhörten als sonst.

»Wir sollten gleich noch mal nach der Verschraubung schauen«, sagte er und schaute zu Markus, der zustimmend nickte. Nach weiteren zwanzig Sprossen kamen beide am oberen Ende der Stütze an.

»Hey, was hast du da?«, rief Thomas seinem Kollegen zu und zeigte auf die roten Abdrücke auf seinen ansonsten strahlend weißen Handschuhen. »Hast du dich verletzt?«

Markus zog die Handschuhe aus, um sich seine Hände genauer anzusehen.

»Organisiert schon mal den Verbandskasten aus dem Jeep, hier oben besteht gerade Gefahr für Leib und Leben«, rief Thomas grinsend seinen Kollegen zu, die unten den Kran und die zu montierenden Teile vorbereiteten.

Markus betrachtete seine Handschuhe: »Das könnte Blut sein, aber an meinen Händen ist alles o. k. Hat da jemand Blut auf die Sprossen geschmiert?«

»Hier, da kommt es her!«, meinte Thomas und zeigte auf den Rand der kreisrunden hohlen Stahlstützen. »Rundherum eingetrocknetes Blut, der komplette Rand ist voll damit.«

»Was ist denn los?«, rief ein Kollege von unten und wedelte mit dem Verbandskasten.

»Markus ist nicht verletzt! War ein Spaß! Wir schauen uns das hier genauer an«, rief Thomas zu seinen Kollegen hinunter. Das eingetrocknete Blut zog sich wie ein Schmierfilm ins Innere der Röhre, bis die Dunkelheit es verschluckte. Thomas zog eine Taschenlampe aus seiner Multifunktions-Handwerkerhose und leuchtete in das Innere der Röhre. Tief unten war nur etwas Fellartiges zu sehen. Schnell war den beiden klar, dass sich ein Tier an der Röhre verletzt haben und hineingefallen sein musste. Doch wie sollten Sie da nun herankommen? Der Haken ihres Krans konnte dabei nicht helfen. Wenn sie das Tier bergen wollten, musste die obere der beiden Stahlröhren noch mal abmontiert werden.

»Da wird Andreas nicht begeistert sein«, rief einer der Kollegen von unten. Er hatte den Projektleiter schon vor seinem inneren Auge, wie er hektisch zur Baustelle kam, um sich zu erkundigen, wie es zu einer solchen Verzögerung kam. »Es hilft ja nix, wir können so nicht weitermachen. Vielleicht lebt das Tier ja noch«, rief Thomas hinunter, stieg einige Sprossen hinab und begann die Muttern zwischen der ersten und zweiten Röhre zu lösen. Die zweite Röhre wurde an den Haken des Krans gehängt. Nachdem die Muttern gelöst waren, löste sich die stabile Verbindung zwischen den beiden Stützen. Langsam wurde die obere Röhre von der unteren entkoppelt und nach oben gezogen. Plötzlich wurde es still. Selbst die Kuhglocken hörten die beiden nicht mehr. Markus und Thomas standen regungslos auf den Sprossen der unteren Stütze und blickten auf das, was die meterhohe hohle obere Stütze freigegeben hatte. Es war kein Fell. Es war kein Tier. Es war …

»Verdammt, das ist ein Kopf. Das ist der Kopf eines Menschen«, flüsterte Markus kaum hörbar in den Morgennebel.

»Das war ein Kopf«, antwortete Thomas, der sich wieder fasste und die Entdeckung genauer betrachtete. Es war nicht nur ein Kopf, der in der Röhre steckte, es war eine ganze Leiche. Sie blickten in ein blasses blutleeres Gesicht eines Mannes, dessen Augen ins Nirgendwo schauten. Mit dem getrockneten Blut im Gesicht des Toten bot sich ein grausiger Anblick, der schlimmer zu ertragen war als die Klausenmasken, die jedes Jahr zum Klausentreiben auf den Straßen des Allgäus zu sehen waren.

Mittlerweile hatte die Nebelhornbahn einige Ladungen Touristen an der Station Seealpe ausgespuckt. Die Ströme verteilten sich nach dem Stationsausgang wie folgt: Ein Viertel stieg von der Seealpe ab ins Tal, um sich beim örtlichen Metzger die Leberkäsesemmel zur Mittagsjause zu sichern. Ein weiteres Viertel machte einen kurzen Spaziergang über die Wiesen. Einige wenige wagten sich an den Aufstieg in Richtung Höfatsblick und zum Gipfel, und fast die Hälfte aller Bergauffahrer bevölkerte sofort die Gaststube der Seealpe, um sich nach der anstrengenden Auffahrt mit der Seilbahn zu erholen und sich mit dem ersten Hopfengetränk des Tages zu erfrischen.

Die ersten Wiesenspaziergänger erreichten die Baustelle mit den schockierten Monteuren der Firma Luggi. Notdürftig hatten sie den Kopf der Leiche mit einer Plane bedeckt und den Bereich mit Flatterband mit der Aufschrift »Mit uns geht es bergauf, wir bauen für Sie« abgesperrt. Ein beigefarben angezogener Tourist mit seiner beigefarben angezogenen Frau und mit umgehängter in Plastik eingepackter Wanderkarte und ebenso beigefarben-karierter Flatcap erkundigte sich, was denn hier los sei. Bevor die Monteure dem Ehepaar eine Antwort geben konnten, legte jemand von hinten eine Hand auf die beigefarbene Überlebensweste des Touristen. »Hier gibt es nichts zu sehen. Bitte gehen Sie einfach weiter«, sagte der Mann, der mit dem Geländewagen der Polizeiinspektion Oberstdorf am Tatort angekommen war. Mürrisch setzten die beigefarbenen Touristen ihren Weg fort, und bald waren die Geräusche ihrer klickenden Trekkingstöcke hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden. Der Polizist wandte sich an die Monteure: »Grüß Gott, mein Name ist Leopold Geiger, Kripo Kempten. Ich warte auf meine Kollegin Anna Zähler und auf die Spurensicherung, und dann legen wir los. Vielen Dank, dass Sie den Tatort, so gut es ging, abgesperrt haben.«

Plötzlich hörte er ein reibendes, quietschendes Geräusch, verbunden mit einem vulgären Wortausbruch. Kurz darauf hielt ein Mini-Cabrio im schicken Braun-Metallic hinter ihnen.

»Dass so eine hübsche junge Dame solche bösen Worte kennt!« Leopold ging auf Anna zu, die aus ihrem Cabrio ausstieg und wütend die Türe zuschlug.

»Kreuzkruzifix, diese elenden Wanderwege«, schimpfte Anna und warf ihre blonden langen Haare nach hinten.

» … die nicht für deinen Mini gemacht sind«, entgegnete Leopold und grinste.

Beide Kommissare arbeiteten schon seit einiger Zeit zusammen bei der Kripo in Kempten und waren dienstlich ein gutes Team. Privat gingen die Interessen doch sehr weit auseinander. Während Leopold ständig mit seinem Wohnmobil in der Natur unterwegs war, um mit seinem Mountainbike neue Täler und Gipfel zu entdecken, parkte Anna ihren Mini am Wochenende lieber in der Nähe von angesagten schicken Boutiquen in der bayerischen Landeshauptstadt. Man konnte auch sagen: Schlamm trifft Schick. Jeden Montagmorgen im Präsidium hörten sie sich gegenseitig die Wochenenderlebnisse des anderen mit gerümpfter Nase an.

»Was haben wir hier?«, fragte Lukas Müller von der Spurensicherung in Kempten, der soeben am Tatort eingetroffen war. Er lief mit seinen zwei großen Koffern und seinen Assistenten unter dem Absperrband durch direkt zum Tatort.

»Hallo, Lukas, schön, dass du so schnell gekommen bist. Hatte dein fahrbarer Untersatz auch zu wenig Bodenfreiheit?«

»Ich verstehe nicht, was du meinst.«

»Anna ist mit ihrem Mini hier hoch, das hat nicht so gut geklappt. Keine so optimalen Straßenverhältnisse.«

»Kein Problem damit«, entgegnete Lukas. »Ich geh ja auch nicht in Shorts zum Skifahren. Immer das passende Equipment dabei«, sagte er und zeigte auf seinen neongrünen Geländewagen.

»Aber nun Spaß beiseite«, entgegnete Leopold und wechselte von einem auf den anderen Moment vom Spaßvogel in den Ermittlungsmodus. Eine Fähigkeit, um die er von seinen Kollegen immer bewundert wurde.

»Wann haben Sie die Leiche entdeckt?«

»Vor etwa einer Stunde, wir dachten zuerst, es wäre ein Tier.«

»Dafür sieht es aber sehr menschlich aus«, entgegnete Lukas, der mit Überziehschuhen auf den Sprossen stand und die Plastikplane zur Seite zog.

Thomas und Markus berichteten, wie es zum Leichenfund gekommen war.

»Haben Sie sonst irgendetwas Auffälliges bemerkt?«, wollte Anna wissen, die mit ihren schicken weißen Sneakers direkt neben einem frischen Kuhfladen stand.

»Nein, wir sind in aller Früh hier hoch. Neben den Angestellten der Bergbahn und der Wirtin der Gaststätte dort unten haben wir bis eben keine Menschenseele gesehen.«

Nachdem Lukas Müller und sein Team die ersten Spuren sichergestellt hatten, wurde der leblose Körper des Mannes aus seinem Gefängnis befreit und auf die nasse Wiese gebettet. Der Anblick war schlimmer als vermutet. Die Leiche hatte ein breites, gurtähnliches Band um den Hals. In der Körpermitte klaffte ein Loch in der Größe eines Zweieurostückes. Um diesen Krater war die Kleidung des Mannes blutrot verschmiert.

»Geht diese Stich- oder Schussverletzung durch den ganzen Körper?«, fragte Leopold und fing leicht an zu würgen.

»Jap«, antwortete Lukas, der den Mann mittlerweile in die Bauchlage gedreht hatte.

»Ist das die Todesursache?«, fragte Anna mit abgeklärtem und festem Blick.

»Wenn man daran nicht stirbt, woran dann?«, witzelte Lukas. »Aber Spaß beiseite, ich denke schon. Genau lässt sich das allerdings erst nach der pathologischen Untersuchung sagen.«

»Wie schätzt du den Todeszeitpunkt ein?«, fragte Leopold.

»Ich schätze, vor circa 48 Stunden, Genaueres kann ich auch hier noch nicht sagen. Packen wir ihn ein. Der Tatort bleibt bis auf Weiteres abgesperrt.«

»Der Mann hatte keine Papiere dabei. In den letzten Tagen ist in Deutschland kein Mann in diesem Alter als vermisst gemeldet worden«, stellte Anna fest, nachdem sie mit dem Kommissariat in Kempten über ihre Bluetooth-Verbindung des unterbodenverbeulten Mini telefoniert hatte.

»Lass uns mit der Wirtin der Seealpe und dem Bahnpersonal sprechen, danach fahren wir erst mal zurück ins Büro. Willst du den Mini mit dem Heli abholen lassen, oder wagst du den Ritt zurück ins Tal?«, fragte Leopold und erntete einen bösen Blick. Seine Scherzmunition war wohl für heute verschossen.

Wenig später betraten sie die Gaststube der Seealpe, wo die Wirtin das Allgäuer Hell aus einem großen Messingzapfhahn in die bereitstehenden Gläser füllte.

»Leopold Geiger, Kripo Kempten. Das ist meine Kollegin Anna Zähler. Wir haben ein paar Fragen an Sie.«

»Solange Sie hier keine Strahlenmessung vornehmen wollen.«

»Wie bitte?«, fragten Leopold und Anna im Chor.

»Ja, mit Ihren Nachnamen. Geiger und Zähler, also Geigerzähler«, witzelte die Wirtin und zapfte in Ruhe weiter.

So hatte die Nachnamen der beiden bisher keiner kombiniert, dachte sich Leopold. Eigentlich eine schöne Verbindung.

Die Wirtin rief eine Kollegin zu Hilfe und setzte sich mit ihnen an einen der massiven Tische, wo die lokalen Bauern in früherer Zeit ihr gemeinsames Feierabendbier genossen hatten, sobald das Vieh in den Ställen versorgt war.

»Ist Ihnen in den vergangenen Tagen hier auf der Seealpe etwas Verdächtiges aufgefallen?«, fragte Anna und spielte mit den Bierdeckeln, die in Stapeln auf den Tischen lagen.

»Ja, dass die Touristen in den letzten Tagen immer mehr werden und dass dies für meinen Umsatz sehr gut ist. Nur für die Natur und die Tiere ist das eher schlecht. Die Kühe sind nervös und geben weniger Milch.«

»Das meinte ich jetzt nicht«, entgegnete Anna und präzisierte ihre Frage. »Gab es etwas, was Ihnen verdächtig vorkam? Also: fremde Autos? Fremde Menschen, die nicht nach Touristen aussehen? Besondere Geräusche oder Ähnliches?«

»Ja, die Monteure, die die neue Bahn bauen. Die sind mit fremden Autos da, und Krach machen sie den ganzen Tag.«

Anna wurde etwas ungehalten und formulierte mit scharfem Ton: »Liebe gute Frau. Wir haben hier oben auf der Seealpe eine Leiche gefunden, und es wäre sehr nett, wenn Sie konkret überlegten, ob Sie uns aufgrund dieser neuen Information etwas mitteilen können, was auf Sie verdächtig gewirkt hat.«

Das hatte gesessen. Die Wirtin saß kerzengrade auf ihrem Stuhl, und ihre Augen bewegten sich schnell nach links und rechts.

»Was, eine Leiche? Auf der Seealpe?«, flüsterte sie. »Lassen Sie mich überlegen. Nein, da war wirklich nichts Außergewöhnliches.«

»Ist nachts jemand hier oben?«

»Nein, sobald die Gäste ins Tal aufbrechen und die Bahn Betriebsschluss hat, ist es auf der Alpe menschenleer. Auch wir fahren dann mit den Autos ins Tal.«

»Man kann sich also nachts unbemerkt hier aufhalten, ohne dass es jemand mitbekommt?«

»Ja, es sei denn, ein Jäger ist unterwegs. Doch in der Hauptwandersaison ist das Wild eher scheu, und der Jäger bekommt sowieso nichts vor die Flinte.«

»Gibt es eine Überwachungskamera, die den Bereich hier oben erfasst?«

»Die Nebelhornbahn hat Kameras an den Stationen und an den Stützen angebracht, ich weiß allerdings nicht, welchen Bereich sie abdecken.«

»In Ordnung, das fragen wir bei der Bahn nach. Vielen Dank für die Auskünfte und einen schönen Tag.«

»Gerne. Servus!«, sagte die Wirtin und verschwand wieder hinter dem Tresen.

Die beiden Strahlenmesser gingen die paar Meter in Richtung Bergbahnstation Seealpe, wo sie am Zugang zur Berg- und Talfahrt auf einen Mitarbeiter trafen, der gerade leere Bierfässer auf einer Palette stapelte.

»Fahrt ihr das ganze Zeug mit der Bahn hin und her?«, fragte Leopold.

»Es ist die einzige Möglichkeit. Die Fahrstraße zum Höfatsblick ist so steil, da kommt ein geländegängiger LKW kaum hoch. Das ist im Winter eine der schwersten Abfahrten hier im Skigebiet. Das sagt schon alles, oder?«, entgegnete der Bergbahnführer und arbeitete unbeirrt weiter.

»Mein Name ist Leopold Geiger, Kripo Kempten, das ist meine Kollegin Anna Zähler. Wir hätten ein paar Fragen an Sie.«

»Aha, ja dann mal los.«

»Hier auf der Seealpe gab es einen Todesfall, und wir möchten wissen, ob Sie in den letzten Tagen etwas Auffälliges beobachten konnten.«

»Das ist ein Scherz, oder? Wissen Sie, wie viele Menschen hier am Tag unterwegs sind? Die laufen hier herum wie wild gewordene Hühner, um den besten Platz in der Bahn zu bekommen. Auf diese Menschen müssen wir aufpassen, da kriegen wir sonst kaum was mit.«

»Und bei denen, auf die Sie ›aufgepasst‹ haben, gab es dort etwas Ungewöhnliches, woran Sie sich erinnern können?«

»Ja, da war so ein depperter Japaner mit einem Gewehr. Das war eine Geschichte. Der hatte tatsächlich in einem Blog über das Nebelhorn gelesen, dass man hier heroben Gämsen jagen kann, und das ohne Erlaubnis und Waffenschein. Ein total durchgeknallter Typ war das. Er hat dann seine Waffe im Tal in einem Spind gelassen und wollte sie später wieder abholen. Hat sich dann für das Wandern entschieden.«

»Haben Sie die Personalien des Mannes registriert?«

»Ja, das machen wir in solchen Fällen immer, falls dann doch mal was passiert.«

»Prima. Bevor Sie uns die Daten geben: Gibt es hier auf der Station Überwachungskameras?«

»Ja, eine hängt am letzten Mast vor dem Stationsgebäude.«

»Was zeigt Sie genau?«

»Kommen Sie mit, ich zeig es Ihnen direkt«, antwortete der Bergbahnführer und führte sie in den Leitstand der Bahn. »Hier, schauen Sie selbst.«

Das Bild zeigte die Station Seealpe vom Tal aus. Auf der linken Seite des Bildausschnitts konnte man den Schlepplift erkennen und am rechten Rand die Seealpe mit ihrer großen Terrasse. Direkt hinter der Terrasse führte der Fahrweg in Richtung Höfatsblick, auf dem Weg dorthin lag die Baustelle mit dem Stützenbewohner.

»Wie lange zeichnet die Cam auf?«, wollte Anna wissen und tippelte mit ihren Schuhen auf dem Riffelblechboden.

»Achtundvierzig Stunden«, entgegnete der Bergbahnführer, »wegen Vandalismus und Diebstahl.«

»So etwas passiert hier oben am Berg? Können Sie uns die Aufnahmen mitgeben?«

»Klar, ich kann sie auf einen USB-Stick ziehen und Ihnen mitgeben, habe zufällig einen dabei. Da sind wohl Bilder von unserem letzten Urlaub drauf, hätte ich also gerne wieder.«

Da bin ich aber gespannt, dachte Anna und lächelte innerlich. Ein wenig Stalking brachte Freude in den Polizeialltag.

Die Befragung rund um die Seealpe brachte zunächst keine weiteren Erkenntnisse, und so fuhren der Polizei-Touareg, der neongrüne Geländewagen und der Mini im Konvoi zurück ins Tal. Anna bemerkte nicht, dass ihr Auto auf der Rückfahrt über den Forstweg Kühlwasser verlor. Der Ausflug ins Gebirge hatte bei dem tief liegenden Mini deutliche Spuren hinterlassen.

»Manfred, meinst du, wir tun das Richtige?«, fragte Bruno seinen Tischnachbarn in der urigen kleinen Bar in Vorderlanersbach, dem ersten Ort des Tuxertals, einem Seitental im hinteren Zillertal. Der Gefragte erwiderte nur ein fast lautloses, in Zillertaler Weizenbier hineingebrummtes »mmh« und nahm einen großen Schluck aus seinem fast vollen Glas.

»Das war die beste Entscheidung, die wir für unser Tal seit langer Zeit getroffen haben«, antwortete er und trank erneut von dem naturtrüben, aus Gebirgsquellwasser gebrauten Hopfengetränk.

»Der Gletscher geht immer weiter zurück. Bis zum Tuxer Fernerhaus geht der Gletscher in den nächsten Jahren nicht mehr runter. Das Eis hält nur bis auf 3 000 m. Da spielt sich dann der ganze Skizirkus ab. Mit dieser Investition machen wir das Skigebiet Hintertuxer Gletscher zukunftssicher und bringen eine weitere tolle Attraktion für den Sommertourismus.«

»Das wird vielen aus dem Tal nicht gefallen«, entgegnete Bruno, der sich eine neue Flasche Schwarzbier bestellte. »Die Bergsteiger und Bergführer, die im Sommer auf den Olperer wollen, werden das nicht gut finden.«

»Wegen den paar Wahnsinnigen lassen wir uns doch nicht unsere Visionen kaputt machen. Sollen sie doch meckern. Die werden schon sehr staunen, was sie demnächst mit den Touristen verdienen können, die den Bergführer dann für die letzten Meter bis zum Gipfel buchen«, gestikulierte Manfred.

»Hoffentlich gibt es keinen Stress mit dem Vergabeverfahren. Langsam wird es unglaubwürdig, dass immer die Firma Luggi den Zuschlag bekommt.«

»Nur nicht nervös werden. Deine Frau wird sich freuen, wenn sie endlich die Bäder der Gästezimmer renovieren kann, damit die Buchungen nicht ausbleiben.«

Die beiden tranken ihr Bier aus und verließen die Bar. Sie knöpften ihre Trachtenjacken zu und gingen durch die kalte klare Nacht in Richtung der kleinen Kirche, die direkt an der Hauptstraße lag, die unten vom Zillertal in Mayrhofen bis zum Ende des Hochtales am Hintertuxer Gletscher führte. Die Temperaturen waren für diese Jahreszeit nicht ungewöhnlich. In diesem Hochtal auf 1400 m Seehöhe wurde es auch nachts sehr kalt, obwohl es Sommer war.

In dieser klaren Vollmondnacht hätten sie eine Gestalt wahrnehmen können, die sich vor der Gaststätte versteckte und ihnen im Schatten der vielen alten Bauernhäuser und Hotels in Richtung des kleinen Bachs folgte, der sich, von Gletscherwasser gespeist, durch das ganze Tuxertal schlängelte.

Anna Zähler trat mit ihren Sneakers gegen die prallen Mini-Reifen. Nahe der Nebelhorn-Talstation schlug das Fahrzeug Alarm, weil es zu heiß wurde. Die zur Kühlung benötigte Flüssigkeit war auf der gesamten Strecke von der Seealpe zurück ins Tal vom Forstweg absorbiert worden. Die Kollegen der Oberstdorfer Polizei schleppten den Mini mit ihrem Geländewagen zu einer Werkstatt, die sich um die Reparatur des Unterbodenschadens kümmern sollte.

»Fährst du nun mit mir zurück?«, fragte Leopold und zeigte auf seinen verrosteten Fiat Panda.

Mit gerümpfter Nase zog Anna an der Tür, die sich quietschend öffnete. Bevor sie einsteigen konnte, flogen ihr einige leere Dosen und Flaschen entgegen. Nachdem der Fiat diese ausgespuckt hatte, war der Beifahrersitz noch immer nicht komplett zu sehen, doch Anna fand mit ihrer schlanken Figur ausreichend Platz in Leopolds Rostlaube.

»Ich habe halt wenig Zeit und Bock, die Karre aufzuräumen. Du solltest mein Wohnmobil sehen, da kann man vom Boden essen.«

»Wer´s glaubt«, entgegnete Anna und zog angewidert an dem Gurt, der eingetrockneten Ketchup vom letzten Besuch bei der Systemgastronomie zu bieten hatte. Das Auto kannte wohl weder Außenwäsche noch Innenreinigung.

Diese Zuwendung bekam nur Leopolds Wohnmobil, welches er über alles liebte. Wenn er an den Wochenenden in den Bergen unterwegs war, genoss er die Freiheit, die Einsamkeit und die Natur. Mit dabei war immer sein Hardtrail-Mountainbike, natürlich ohne E-Antrieb, mit dem er über Stock und Stein die Welt erkundete. Nach dem Ausritt stand es dann meistens matschverschmiert neben dem kleinen Gasgrill, auf dem ein feines Stück Fleisch auf seinen Garpunkt wartete, um dann gemeinsam mit einem guten Allgäuer Bier den Weg in seinen Magen zu finden. Das war seine Leidenschaft. Autoputzen eher nicht. Das Kontrastprogramm brauchte er zum Runterkommen. Die Polizeiarbeit erledigte er sehr gewissenhaft und konzentriert, aber am Wochenende brauchte er einen Ausgleich. Anna Zähler und die Kollegen des K9 in Kempten beneideten ihn oft um seine Aufklärungsquote und um die Geschwindigkeit, mit der er die Fälle löste. Leopold ahnte nicht, dass der gute Lauf mit diesem Fall vorerst beendet war.

Gegen Mittag waren Anna und Leopold zurück im Kommissariat in Kempten. Sie parkten das Auto auf dem Hof.

»Hast du Lust auf eine Leberkäsesemmel und einen kurzen Spaziergang?«, fragte Leopold und schloss das Auto ab.

»Klauen wird dein Auto keiner, Leopold, das Abschließen kannst du dir sparen.« Anna klopfte sich demonstrativ den nicht vorhandenen Dreck von ihren Jeans. »Nee, also Leberkäsesemmel geht gar nicht. Weißt du, wie fettig das ist? Ich komme gerne mit und hole mir einen Salat.«

Sie gingen bei der Metzgerei Ludwig neben dem Kommissariat vorbei, wo sich Leopold eine doppelte Leberkäsesemmel mit Senf einpacken ließ. Danach hielten sie an einem Laden namens »Green Food«, wo Anna sich begeistert einen Salat aus verschiedensten Zutaten aus rein biologischem Anbau bestellte und stolz mit einer Pappschachtel und einer Holzgabel auf die Straße trat. Leopold fragte sich, wie man so einen Salat unfallfrei essen sollte. Diese großen grünen Salatblätter bekam man doch gar nicht gebändigt. Er verkniff sich jedoch jeden Kommentar. Die beiden nahmen eine der letzten Bänke am Ufer der Iller und breiteten ihr Mittagessen auf dem Schoß aus.

»Wer kommt wohl auf die Idee, einen Mann in eine Seilbahnstütze zu verfrachten? Es gibt doch weiß Gott andere Möglichkeiten, um eine Leiche loszuwerden.« Anna zerlegte das erste Riesen-Salatblatt mit ihrer ökologischen Holzgabel.

»Irgendeinen Zweck wird es für den Mörder gehabt haben. Vielleicht hängt der Mord irgendwie mit dem Neubau der Bahn zusammen«, antwortete Leopold und biss ein großes Stück seiner lauwarmen Leberkäsesemmel ab. »Wir versuchen gleich erst mal, die Identität des Opfers herauszufinden. Vielleicht kommen aus der Gerichtsmedizin noch ein paar Ansatzpunkte, die uns dabei helfen.«

»Kampft du mir mol hölfen!«

Es war mehr als komisch. Anna hielt die rutschige Salat-Pappschachtel mit beiden Händen fest, und aus ihrem Mund hing ein gewaltiges Salatblatt mit weißer Salatsoße, die nach und nach auf ihr dunkelblaues Shirt tropfte und dort hässliche Flecken hinterließ. Leopold nahm die Holzgabel und schob das Riesen-Salatblatt nach und nach in ihren Mund. Dabei betrachtete er ihre Lippen, zwischen denen das Salatblatt schließlich verschwand. Er nahm eine seiner Servietten und tupfte ihre Lippen damit ab. Anna war eine sehr attraktive Kollegin, die regelmäßig die Blicke der Männer im K9 auf sich zog. Er hatte sich jedoch nie für sie interessiert. Sein Motto war immer: »Bloß nichts mit Kollegen anfangen.«

»Danke für die Rettung«, sagte sie und versuchte, weitere Salatblätter auf ihre Gabel zu bringen.

Der Uferweg an der Iller führte sie zurück zum Polizeipräsidium, wo Kollege Lukas Müller schon auf sie wartete. »Wo wart ihr denn?«, fragte er und deutete auf die Flecken auf Annas Shirt. Ihr Kopf wurde ähnlich rot wie die biologischen Tomaten, die sie eben mit dem Salat verspeist hatte.

»Green Food«, eilte Leopold ihr zu Hilfe und schaute in das verdutzte Gesicht von Lukas Müller.

»Aha«, entgegnete dieser und zog die Augenbrauen hoch. »Ich habe erste Ergebnisse aus der Gerichtsmedizin für euch.«

»Lass hören«, sagte Anna und setzte sich mit den beiden Männern vor den großen E-Flipchart, der gerade vom Leiter des K9 angeschafft worden war. Hierauf konnte man Bilder und Videos zeigen, aber auch darauf malen und zeichnen, um die Verflechtungen und Querverbindungen in einem Kriminalfall nachzuvollziehen. Lukas Müller zeigte Detailaufnahmen der Leiche aus der Seilbahnstütze.

»Der Tod muss vor etwa zwei bis drei Tagen eingetreten sein, der Verwesungsprozess war schon sehr weit fortgeschritten.«

»Ist er so lange auch schon in dieser Stütze gewesen?«, fragte Leopold und betrachtete die Fotos von Nahem.

»Nein, die Druckstellen deuten darauf hin, dass er vermutlich erst vor sechs bis zwölf Stunden dort hineingelegt wurde.«

»Was war die Todesursache?«

»Auf jeden Fall die Stichverletzung. Ein Gegenstand mit roter Farbe hat seinen Brustkorb durchstochen. Ich habe rote Farbpigmente an der Einstichstelle gefunden. Und noch etwas Interessantes.«

»Seinen Personalausweis?«, fragte Leopold und blickte hoffnungsvoll zu Lukas Müller.

»Zirbelkiefernadeln, ein paar wenige Zirbelkiefernadeln in der rechten Hosentasche.«

»Zirbelkiefernadeln? Von der Zirbelkiefer? Die wachsen bei uns gar nicht.«

»Stimmt, schlaues Kerlchen«, entgegnete Lukas Müller, »sie wachsen am liebsten in einer Höhe von 1500 m bis 2500 m. Es gibt sie auch schon ab 1300 m und bis maximal 2850 m Höhe. Aber auf keinen Fall im Allgäu.«

»Na, das ist ja zumindest schon mal ein Hinweis. Allerdings gibt es im Alpenraum viele Gebiete, wo diese Kiefer wächst, und auch in der Hohen Tatra findet man diese Baumart.«

»Was du alles weißt«, entgegnete Anna.