1917 und 1789: Aspekte der politischen Geographie - Martin Seelos - E-Book

1917 und 1789: Aspekte der politischen Geographie E-Book

Martin Seelos

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Beschreibung

Die politische Geographie im angelsächsischen Raum ist mit dem Namen David W. Harvey verknüpft, zumindest deren kritischer Zweig ab den 1970er Jahren. Sie fragt nach, welche soziale Stellung und Chancen der Menschen durch den Raum geprägt sind. Einerseits geht es in diesem Buch um Raum als Differenz zwischen Stadt und Land. Andererseits ist der Raum nicht bloß ein Ort, sondern ein soziales Spielfeld. Jemand kann einen weitgespannten sozialen Raum innehaben, aber immer zuhause bleiben - wie etwa Immanuel Kant in Königsberg. Jemand kann unter einem aufs Minimum reduzierten sozialen Raum leiden, und dennoch um den halben Erdball reisen - als Flüchtling und Emigrant. Zu Beginn der Französischen Revolution ist der Bauer als Hauptproduzent der Gesellschaft in der lokalen Herrschaft eingeschlossen: Kirchbezirk, Gerichtsbezirk und Herrensitz. Für jede seiner geographischen und ökonomischen Bewegungen muss er eine Bewilligung einholen. Am Ende der Französischen Revolution ist der Lebensstandard nur gering höher, aber der Bauern als Hauptproduzet der Gesellschaft steht in Napoleonischer Uniform in ganz Europa, und verbreitet mit dem Code civil den Fortschritt. Sein Raumgefängnis ist gesprengt. Auch der Ausbruch der Russischen Revolution, der sich 2017 zum hundertsten Mal jährt, ist der Dialektik aus Lokalem und Globalem zu verdanken. Auch hier ist der Blick zuerst nach vorne, nach außen, in die Ferne gerichtet. Doch bald finden sich die Produzenten der Gesellschaft unverhofft in einem dunklen Raumgefängnis wieder, das durch Polizei, Militär, Geheimdienst und tatsächliche Mauern bewacht wird. Der sowjetische Biedermeier regiert. Was das theoretische Erbe dieser Episode der Geschichte ist - vor allem auf dem Gebiet der Wirtschaftstheorie - bleibt nach wie vor zu erhellen.

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„Der englische Arbeiter aß nicht nur besser, er gab auch einen geringeren Teil seines Einkommens als sein kontinentaleuropäischer Kollege für Nahrungsmittel aus.“

— David S. Landes, Der entfesselte Prometheus, 1968.

Martin Seelos

1917 und 1789

Aspekte der politischen Geographie

2017

1917 und 1789: Aspekte der politischen Geographie

© 2017 Martin Seelos

Beiträge zur Kulturgeschichte, Teil 3

Cover-Illustration: Bildbearbeitung: Martin Seelos 2017, unter

Verwendung von: Wenzel Jamnitzer, Perspectiva Corporum

Regularium, Nürnberg 1568 (dokumentiert von der Sächsischen

Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, vgl.:

http://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/12830/).

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 42, 22359 Hamburg

ISBN

978-3-7345-7355-2 (Paperback)

978-3-7345-7356-9 (Hardcover)

978-3-7345-7357-6 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis

VORWORT

1. KAPITEL: DER ARCHIMEDISCHE PUNKT

2. KAPITEL: RURALE VS. URBANE REVOLTE

3. KAPITEL: DER KAMPF UMS BROT

4. KAPITEL: DAS „GROSSE THEATER“

5. KAPITEL: BONAPARTE UND DIE BAUERNBEFREIUNG

6. KAPITEL: AUF DEM WEG VON 1789 ZU 1917

7. KAPITEL: AUF DEM WEG VOM FEBRUAR ZUM OKTOBER

8. KAPITEL: MYTHOS UND WIRKLICHKEIT

ANMERKUNGEN

Für Maria H.

VORWORT

2017 jährt sich das Ereignis „Russische Revolution“ zum hundertsten Mal. Gefühlt sind es sicher weit mehr als hundert Jahre – hat sich unsere Welt nicht grundlegend gewandelt? Vor noch drei Jahrzehnten teilte sich das Publikum definitiv in Freunde und Feinde der Oktoberrevolution. Heute sind beide zusammen die Minderheit gegenüber der Indifferenz. 1917: Das ist so wie 1848, 1830 und 1789 – Prüfungsstoff im Geschichtsunterricht und jedenfalls lange her. In diesem Buch soll es weniger um die Argumente gehen, die sich ehemals Freund und Feind der Revolution publizistisch ausrichten ließen. Stattdessen soll der Frage nachgegangen werden, wie Massenbewegungen wie die Revolutionen von 1789 und 1917 aus einer langgestreckten historischen Perspektive verstanden werden können.

Nicht alles, was geschichtlich wichtig ist, wird durch Revolutionen ins Leben gerufen. Andere Entwicklungen, etwa in der Ökonomie und in der Technik, verlaufen eher evolutionär. Aber selbst die Digitalisierung ist, wenn wir im Faktor Zeit „herauszoomen“, revolutionär. Und in dem etablierten Begriff „Industrielle Revolution“ (1750–1850) steckt diese Erkenntnis hübsch plakativ drin. Revolution und Evolution sind indes auch in der politischen Entwicklung keine Gegensätze: Diese bereiten jene quasi „unter der Oberfläche“ vor. Kräfte bauen sich auf, die mit der herrschenden Ordnung inkompatibel sind. Nur durch die Evolution kann es zur Revolution kommen. Wie in der Plattentektonik der Erdkruste muss sich die soziale und politische Spannung irgendwann und irgendwo entladen – die Analogie zur Geologie ist geradezu greifbar. In jedem Fall kann die Spannung auch ganz schön lange gehalten werden, bis es zu einer Entladung kommt. Das Ereignis 1789 etwa baute sich mehrere hundert Jahre lang auf und man kann die Sache auch so sehen, dass die Bourbonen-Monarchie, die mit Heinrich IV. 1594 gar nicht so desaströs begann, erstaunlich lange die Fähigkeit bewies, soziale Konflikte auszuhalten. Dafür war dann aber auch die Entladung der aufgestauten Energie umso heftiger.

Dabei begann die Karriere des Begriffs „Revolution“ ganz anders. Hinter dem wording der englischen „Glorious Revolution“ von 1688 . . .

„(. . . ) stand der Anspruch der Umstürzler, daß dies (. . . ) eine rühmliche, legitime Wiederherstellung des echten und richtigen Staatszustandes sei.“1

Heute würde wir diesen Bedeutungsinhalt eher mit dem Begriff „Restauration“, wie etwa jener von 1815, einfangen. Offensichtlich spiegelt die gewählte Semantik auch das Bewusstsein der Akteure wider – ein Umstand, dem sich keine Geschichtsschreibung entziehen kann. Das Qualitätskriterium derselben besteht ja nicht darin, es jedem unterschiedlichen politischen Standpunkt recht zu machen. Und Revolutionen – nun in unserem gebräuchlichen Sinne – provozieren geradezu unterschiedliche politische Standpunkte. Das besagte Kriterium besteht eher darin, Entwicklungen möglichst plausibel erklären, eine möglichst umfassende Theorie anbieten oder zumindest den berühmten „roten Faden“ in dem Wust der Ereignisse auffinden zu können.

Was ist der rote Faden dieses Buches?

Eine politische Geographie der Revolution betrachtete den Widerspruch zwischen Stadt und Land, zwischen städtischen Klassen und Bauern, zwischen urbanem Aufstand und ruraler Revolte, zwischen dem politisch dispersen Land und der politisch konzentrierten Stadt, zwischen dem Kampf um billiges Brot einerseits und dem Kampf um eine Bodenreform andererseits, zwischen demokratischer und sozialer Revolution, zwischen kapitalarmen und kapitalreichen Gebieten und ähnlichem mehr. Aus all diesen Widersprüchen besteht der Plot von 1789 und von 1917. Dieser Plot hat offensichtlich seine geographische Dimension: Gegensätze, die Widersprüche bilden und auch verortbar sind.

Die politische Geographie im angelsächsischen Raum ist zurecht mit dem Namen David Harvey verknüpft, zumindest deren kritischer Zweig ab den 1970er Jahren. Sie fragt nach, welche soziale Stellung und Chancen der Menschen durch den Raum geprägt sind. Freilich geht es in diesem Bändchen nicht um Menschen als an sich gleiche Individuen, die in unterschiedliche Räume „geworfen“ sind und dann ihre so gewonnene Unterschiedlichkeit an der antizipierten Gleichheit messen können. Stattdessen geht es um ganze Menschenklassen, die eine bestimmte Stellung zueinander in historisch entstandenen Produktionsverhältnissen haben. Aus dem Zufälligen wird etwas Kausales, ja Notwendiges. Und der Raum? Einerseits geht es um Raum als Differenz zwischen Stadt und Land, eine Differenz, die hier gleichbedeutend ist mit Bauer / Aristokrat und Arbeiter / Bürger. Andererseits ist der Raum nicht ein Ort, sondern ein soziales Spielfeld. Jemand kann einen weitgespannten sozialen Raum innehaben, einen Ort aber nie verlassen – wie etwa Immanuel Kant aus Königsberg in Ostpreußen nicht herauskam. Jemand kann einen auf ein Minimum reduzierten sozialen Raum haben, und dennoch um den halben Erdball reisen – wie Flüchtlinge und Emigranten.

Der Wandel könnte nicht größer sein: Zu Beginn der Französischen Revolution ist der Bauer als Hauptproduzent der Gesellschaft eingeschlossen in die lokale Herrschaft: Acker, Gemeindeanger, Kirchbezirk, Herrensitz. Für jede seiner geographischen und ökonomischen Bewegungen muss er eine Bewilligung einholen oder diese bezahlen. Das sind seine Bezugspunkte, aus denen es kein Entkommen gibt. Es gibt auch keine Zeit für etwas anderes: Die Abgabenlasten und die Frondienste lassen kaum die Möglichkeit, das eigene Überleben zu sichern. Am Ende der Französischen Revolution ist der Lebensstandard nur gering höher, aber der Bauer als Hauptproduzent der Gesellschaft steht in napoleonischer Uniform in ganz Europa, und verbreitet so den Code civil, das bürgerliche Gesetz. Sein Raumgefängnis ist gesprengt. Der Begriff „Gefängnis“ ist sozial und nicht geographisch gemeint, indes ist fast immer eine soziale Beschränkung auch eine des tatsächlichen Raums.

Auch der Ausbruch der Russischen Revolution, der sich 2017 zum hundertsten Mal jährt, ist der Dialektik aus Lokalem und Globalem zu verdanken. Die beiden russischen Marxisten Alexander Parvus (Helphand) und Leo Trotzki (Bronstein) entwickelten 1905 die Theorie der kombinierten und ungleichzeitigen Entwicklung, die erklären kann, weshalb in einem aus der Sicht des Kapitalismus spät entwickelten Lande die Widersprüche größer sind als in einem traditionell kapitalreichen oder als in einem völlig kapitalarmen Land. Mit der Russischen Revolution ist wie mit der Französischen von 1789 der Blick zuerst nach vorne, nach außen, in die Ferne gerichtet, in die Ausweitung des sozialen Raums. Ja, von „Weltrevolution“ ist die Rede. Doch bald finden sich die Produzenten der Gesellschaft unverhofft in einem dunklen Raumgefängnis wieder, das durch Polizei, Militär, Geheimdienst und tatsächliche Mauern bewacht wird. Der Blick ist nicht mehr nach außen, sondern nach innen gerichtet. Das Biedermeier regiert.

1789 übrigens: Was hat die Französische Revolution mit der Russischen zu tun? Gar nicht so wenig – jedenfalls handelt dieses Buch zuerst einmal davon, wie aus der Perspektive von 1917 1789 und aus der Perspektive von 1789 1917 besser verstanden werden kann. Auch die Französische Revolution hat etwas von einer permanenten Revolution an sich – nicht ganz so, wie Leo Trotzki (1879–1940) diesen Begriff verwendete . . . aber immerhin!

Wenn es stimmt, dass jede demokratische Revolution, die erfolgreich sein will, ihre eigene Umwandlung in eine soziale benötigt und geradezu auf die Tagesordnung setzt – so hat´s Trotzki gemeint –, dann müsste dies nach allen Regeln der Dialektik auch bedeuten, dass die soziale bzw. sozialistische Revolution auf den Topics der demokratischen Revolution basiert: Das positiv Gesetzte bleibt Bestandteil seiner Negation. So hat´s Trotzki jedenfalls nicht gemeint. Aber genau so lässt sich die weitere Geschichte Sowjetrusslands durchaus gliedern: in die gelungene Umsetzung der demokratischen Revolution durch die Bolschewiki mit den Mitteln der sozialen Revolution und dem grandiosen Scheitern der russischen Kommunisten auf geradezu allen Feldern der Politik, Ökonomie und Kultur, genau dort, wo sie aus dieser Dialektik ausscherten.

Auch wenn Sie weder Freund noch Feind der Russischen Revolution von 1917 sind: Gleichwie – nach der Lektüre dieses Buches sind Sie zumindest ein Stückchen klüger.

DER ARCHIMEDISCHE PUNKT

Wir beginnen mit 1789. Aber mit dem Hintergedanken, die Erkenntnisse zur Französischen Revolution für die Analyse zumindest eines nicht unwesentlichen Aspektes der Russischen Revolution von 1917 zu verwenden. Manche kehrten eher die fundamentalen Unterschiede zwischen beiden großen Revolutionen heraus. Die erste sei bürgerlich, die zweite sozialistisch – könnte es einen größeren Unterschied im Klassencharakter geben? Aber die Bolschewiki vor 1905 und vor allem vor 1917 studierten die Französische Revolution.2 Es war ihr zentraler Bezugspunkt, da die Insurrektion von 1871 in Paris zwar einen sozialistischen Charakter, aber auf Grund der kurzen Dauer und raschen militärischen Niederlage nicht das Auf und Ab der Revolution und den damit verbundenen dynamischen Charakter kannte.3 Wenn Leo Trotzki bei der Analyse der Sowjetunion und des Stalinismus den Begriff des „Thermidors“ verwendete und mit diesem Begriff auf den Sturz der Revolutionsregierung Robespierres im Herbst 1794 Bezug nahm, war diese Bezugnahme ganz selbstverständlich und wurde vom Publikum auch richtig verstanden.4

Der Begriff „Thermidor“ ist – wenngleich mit einem anderen Bedeutungsinhalt – auch in der bürgerlichen Geschichtsschreibung seit Langem verankert und steht in Zusammenhang mit der sogenannten „Kurve der Revolution“.5 In diesem Modell wird davon ausgegangen, dass sich die Revolution vom Sturm auf die Bastille im Sommer 1789 – spätere Historiker haben noch die Adelsrevolte von 1787–1788 vorne dran gehängt – bis zu La Terreur des Jahres 1794 sukzessive immer mehr radikalisierte bzw. von rechts nach links verschob und dass die Diktatur Robespierres der mathematische Scheitelpunkt einer Kurve sei, ab dem die gegenläufige Entwicklung eintrat, etwa bis zum Empire 1804. Bei Egon Friedell ist diese Kurve eine mathematische Parabel. Sie beginnt mit der Bourbonenmonarchie und endet mit der Monarchie Bonapartes wieder am Ausgangspunkt. Der Scheitelpunkt ist hier ein Ereignis, nämlich der Sturz der Gruppe um Georges Danton. Die Kurve der Revolution ist ein attraktives Modell und das Schöne an der Französischen Revolution – zumindest für den distanzierten Betrachter – ist ja gerade, dass in kurzer Abfolge eine Strömung der anderen, eine Fraktion der nächsten, ein Redner auf den vorhergehenden folgte. Sie steigen auf und, kaum dass sie an der Macht sind, werden sie bereits wieder gestürzt. Das hat etwas Theatralisches. Dazu kam, dass die verschiedenen Clubs, Vereinigungen und Tageszeitungen ihre Ansichten offen, wenngleich in der blumigen Sprache des späten 18. Jahrhunderts, kundtaten. Eine bessere Vorlage für ein Theaterstück gibt es ja kaum und so nimmt es nicht wunder, dass gemeinhin „Dantons Tod“ (1835) von Georg Büchner sich nicht nur als Drama, sondern als Historienbild in den Köpfen verfing.6

Dennoch ist die „Kurve der Revolution“ ganz falsch. Dieses Modell verstellt den Blick auf die wirkliche, die objektive Dynamik der Revolution. Die Kurve der Revolution beinhaltet die „Haupt- und Staatsaktionen“ in der Stadt, also dort, wo sich das Herz der Staatsmacht befindet. Aber die Kurve der Revolution ist nur ein Teil des Geschehens und nicht einmal ein souveräner. Das Geschehen in Paris – also, wenn man dies aus dem Gesichtswinkel der politischen Geographie sehen möchte: der urbane Faktor – ist Instrument des Klassenkampfes auf dem Lande, wo eine gewaltige ökonomische Umverteilung stattfindet, die in ihrem Ausmaß und der Auswirkung der zuvor stattgefundenen bürgerlichen Revolutionen in England und in den Niederlanden gleichkommt und auch mit der ökonomischen Umverteilung im revolutionären Russland vergleichbar ist. Wir werden auf diesen ökonomischen Aspekt gleich eingehen. Vorerst soll noch ergänzt werden, dass ein dritter Faktor eine Rolle spielt: die Plebs von Paris, die zwischen 1789 und 1794 mehrmals gewaltsam in das urbane Geschehen eingreift, der Kurve der Revolution jeweils ihren drive gibt und damit die soziale Revolution auf dem Lande verteidigt und vor einer Konterrevolution der Aristokratie schützt.7 Die Plebs hat aber selbst ganz andere soziale Anliegen als jene der Bauern und der Bourgeoisie, die sie objektiv verteidigt. Als im Frühjahr 1794 die der Plebs zugewandten Hébertisten durch den Wohlfahrtausschuss entmachtet werden, wird der Spalt zwischen Plebs und Revolutionsregierung unüberbrückbar und Erstere verzichtet auf die militärische Verteidigung Letzterer im Spätsommer 1794. Nur deswegen können Robespierre und St. Just gestürzt werden. Genau genommen wäre somit der Sturz Héberts der Scheitelpunkt der Kurve der Revolution und nicht der Dantons.8 Und wenn wir noch genauer hinsehen, dann vielleicht bereits die Verhaftung der Enragés 1793.9 Wie auch immer, binnen der dem Sturz Robespierres folgenden fünf Jahren droht immer wieder ein sozialer backlash – also eine Rücknahme der Umverteilung auf dem Lande –, indem die Staatsmacht die Reintegration der alten Aristokratie zuließe. Das wird durch die Intervention des Generals Bonaparte verhindert, der zuerst 1795 mit dem Einsatz von Kanonen mitten in den Straßen von Paris den ersten Umsturzversuch von Royalisten zerschlägt. Wenn Napoleon später behauptet ...

„Citoyens, die Revolution ist fest den Prinzipien verbunden, von denen sie ihren Ausgang genommen hat. Sie ist beendet.“10

. . . so drückt dieser vorderhand widersprüchliche Doppelsatz dialektisch präzise den tatsächlichen Sachverhalt aus: Indem Napoleon die politische Revolution durch eine Militärdiktatur ersetzt, sichert er den sozialen Bestand der Revolution auf dem Lande. Er verwandelt die politische Instabilität im Inneren in eine militärische der äußeren Verteidigung. Die Verteidigung fand nun außerhalb der Grenzen Frankreichs statt, in Europa und auf den Weltmeeren. Aber verteidigt wird nach wie vor die soziale Umwälzung auf dem Lande. Napoleon bedeutet Kontinuität durch Wandel – um eine moderne Phrase zu verwenden.

Bereits jetzt dürfte das Modell klar sein: Es gibt den ruralen und den urbanen Faktor und letzterer teilt sich wiederum in den des offiziellen Frankreichs mit seinen staatlichen Strukturen wie Verfassungsgebende Versammlung, Nationalversammlung, Konvent, Sicherheitsausschuss und Wohlfahrtsausschuss einerseits und die Sektionen und Volksversammlungen von Paris andererseits. Napoleon ersetzt den korrigierenden Einfluss der Sektionen auf das offizielle Frankreich, um die rurale Revolution im Endeffekt bis 1815 zu verteidigen. Und 1824, als der Comte d´Artois als Charles X. seinem Bruder Louis XVIII. auf den Thron nachfolgt und einige Versuche unternimmt, die alten Privilegien der Aristokratie wiederherzustellen, ist es bereits zu spät. Der während der Revolution der Aristokratie abgenommene Grund und Boden ist längst zur Ware geworden: aufgeteilt, wiederverkauft, neu zusammengesetzt, auch immer wieder zu Kapital der Bourgeoisie verwandelt. Und zwei Generationen von Bauern, die selbst keinerlei Erfahrungen mehr mit den alten Zehnt- und Feudalabgaben gemacht hatten, sind mittlerweile nachgerückt. Schlichterdings unmöglich, dieser Klasse die Pflichten der Großeltern aufzudrücken – zumal für diesen Versuch bloß der restaurierte Staatsapparat des Bourbonen zur Verfügung steht, der vor der Revolution zwar die Vorrechte der Aristokratie verteidigen konnte, aber diese ja nicht selbst ins Leben geschaffen hatte.

Kurzum: Die soziale Restauration war 1824 nicht mehr möglich und als bedurfte es noch einer „amtlichen“ Feststellung dessen, wurde Charles X. durch die Julirevolution 1830 gestürzt. Vom Standpunkt der sozialen Revolution auf dem Lande ist die Periode 1789 bis 1830 eine politische Kontinuität. Wenn man so will: eine Gerade und die Revolution darin keine Kurve, die zu einem Ausgangspunkt zurückführen sollte.

Dieses Erklärungsmodell ist hier auf wenige Absätze zusammengefasst und auf den Punkt gebracht. Es lassen sich von diesem Ausgangspunkt nun aber viele Details aufrollen, wie z.B. die sich wandelnde Klassenlage der Gironde, der Vendée, der Montagne und der Montagnards, der Revolutionsregierung von 1794, der Charakter des Thermidors, des Directoires, des Konsulats und des Kaiserreichs, die Rolle Pitts und Alexanders sowie der Ablauf der politischen Restauration. Vor allem die mitunter noch immer rätselhafte Rolle Napoleons in Europa lässt sich mit diesem Modell stimmig entschlüsseln.11

Gehen wir nun ein wenig mehr ins Detail. Die ökonomische Umverteilung im Agrarsektor und auf dem Lande war deshalb so umfangreich und folgenreich, weil im Ancien Régime die ökonomischen Beziehungen zwischen Agrarproduzenten und Aristokratie so vielfältig und vielgestaltig waren. Zum Teil waren diese Beziehungen auch indirekt bzw. als negative Logik gesetzt: Indem sich die Aristokratie die Befreiung von allen Steuern und Abgaben gegenüber der Monarchie zusicherte, lastete die Taille, die Kopfsteuer, vor allem auf den Bauern. Gerade erst in der Adelsrevolte von 1786 suchte die Aristokratie ihre „mittelalterlichen Rechte“ noch einmal zu kodifizieren. Vor allem das von den Bauern abgepresste Mehrprodukt finanzierte die Kriege der Monarchie, die Verwaltung und die Hofhaltung in Versailles. Dieses Mehrprodukt wäre aber auch nicht kleiner gewesen, wenn die Aristokratie einen „gerechten“ Anteil an den Staatsausgaben leisten hätte müssen. Denn diese Klasse war im Wesentlichen unproduktiv und ihr Einkommen bestand ja gerade darin, sich den größten Teil des Mehrprodukts ihrer Bauern anzueignen. In diesem Fall hätte der Bauernstand das, was er dem Staat weniger an Steuern zu bezahlen hätte, zusätzlich der Aristokratie abliefern müssen. Eine Reform der Staatsfinanzen, wie sie die Reformminister Turgot und Necker anvisierten, hätte ohne ein Ende der Feudal-Abgaben keine Lösung der Widersprüche zwischen feudalen Produktionsverhältnissen und bürgerlicher Produktionsweise bedeutet und die Massen nicht entlastet. Ganz bezeichnend ist für diesen Zusammenhang eine Episode zwischen Mai und Juli 1789: Der König stellte in Aussicht, den Forderungen des Dritten Standes nach Steuergleichheit der Stände entgegenkommen zu wollen. Betonte aber, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, dass der Zehnt und alle anderen Feudalrechte selbstverständlich weiter bestehen bleiben müssten. Es ist fast so, als hätte der König die politische Ökonomie weit klarer durchblickt, als die Bauern selbst, aus deren Perspektive eine Verminderung der Steuerlast genauso gut war wie die Milderung der von ihnen abgepressten Feudal-Leistungen. In den Beschwerdebriefen von 1789, die anlässlich der Einberufung der Generalstände in ganz Frankreich in jedem Wahlkreis Frankreichs verfasst werden durften, findet sich beides, die Forderung nach Steuergerechtigkeit wie auch nach staatlicher Intervention gegen besonders empörende Auswüchse der Feudalrechte. Selten wurde darin die Forderung nach der Abschaffung aller Feudallasten aufgestellt – vielleicht klang dies gänzlich utopisch, vielleicht vertrauten zumindest die Bauern eher auf eigene Taten statt auf Worte. In dem Moment jedenfalls, als die Abschaffung der Feudalausbeutung Wirklichkeit wurde, entstand eine panische Angst, dass sich die früheren Herren rächen könnten. Der französischen Historiker Georges Lefèbvre machte in den 1930er Jahren Grande Peur zu einem anerkannten Fachbegriff.

Was steht nun etwa in den Beschwerdebriefen?

„Der König wird demütig gebeten, allen Eigentümern zu verbieten, mehrere Pachten an denselben Pächter zu verpachten (. . . ) Diese Großbauern, die so viele Pachten haben, selbst ganze Pfarrgemeinden, haben alle Weiden der Pfarrgemeinden und selbst der Gemeinden. Schließlich werden sie auch Herren der Lebensmittelpreise und des Schicksals der Allgemeinheit und verkaufen ihr Getreide erst, nachdem sie es mehrere Jahre aufbewahrt haben, und sie halten es sogar zurück, wenn sie können, was zu dem Preis führt, wie er ist (. . . ) Die drei Stände mögen dem König im Verhältnis zu ihren Einkünften zahlen.“12

Manche Forderungen sind für uns heute schwer zu verstehen, da sie auf feudalen Strukturen beruhen:

„Alle Arten von Bannrechten zu verbieten, weil es Schikane ist und oft zu ruinösen Prozessen führt, die die Müller den Vasallen, die den Bannrechten unterworfen sind, machen und sie sogar soweit bringen, daß sie ihre Möbel verkaufen. Für diese Schikane möge der gütige König eine Reform finden, die geeignet ist, diesen großen Mißstand abzuschaffen.“13

In Folgendem finden sich beide Seiten, die Steuerfrage und die Feudallasten:

„Als wünschenswert erscheint es, daß von nun an die Sondersteuern, die Straßen- und Brückengelder und der Zwanzigste auf eine einzige Steuer beschränkt werden, ohne Berücksichtigung des Standes und der Privilegien gemäß den Kräften und Fähigkeiten. (...) Das Wild und die Tauben, die es in diesen Gebieten im Überfluß gibt, verzehren unsere Felder und verursachen den Besitzern beträchtliche Schäden; um dem abzuhelfen, müßte man es den Besitzern oder Pächtern gestatten, das Wild, das ihr Land betritt, zu töten und ihm Fallen zu stellen.“14

Hier ebenso – aber ausnahmsweise sehr rigoros – gegen die Feudallasten:

„1. Daß alle Steuern von den drei Ständen ohne irgendwelche Ausnahme gezahlt werden, von jedem Stand gemäß seinen Kräften 2. Das gleiche Gesetz und Recht im ganzen Königreich 3. Die völlige Aufhebung der Sondersteuern und der Salzsteuer 4. Die Abgabenfreiheit aller Messen und Märkte und die Abschaffung aller Wegegelder 5. Die völlige Beseitigung jeglicher Art von Zehnten in Naturalien 8. Daß die Eigentumsrechte heilig und unverletzlich sind 9. Daß rascher und mit weniger Parteilichkeit Recht gesprochen wird 10. Daß alle Frondienste, welcher Art sie auch sein mögen, beseitigt werden 11. Daß die Einziehung zum Heeresdienst nur in den dringenden Fällen erfolgt und daß in diesem Fall alle Städte ohne irgendwelche Ausnahme oder Befreiung hierzu beitragen (...)“15

Das sind nur wenige Beispiele der 60.000 Cahiers de Doléances – eine unermesslich reichhaltige und wertvolle Quelle, die ein hochauflösliches Bild der Geographie der sozialen Beziehungen ergeben kann. Die Vorbehalte gegenüber dieser Quelle . . .

„Ihr Wert als Quelle in der Geschichtswissenschaft ist umstritten. (. . . ) mussten alle Aussagen der meist analphabetischen Bauern von Schreibkundigen erst aufgeschrieben werden, und man kann schlecht abschätzen, wie sehr diese auch redaktionelle oder sogar inhaltliche Änderungen vornahmen.“.“16

. . . sind wenig überzeugend. Die Beschwerdebriefe haben nicht den Charakter einer quantitativ repräsentativen Umfrage im Sinne der Soziologie des 20. Jahrhunderts. Sie haben mehr Ähnlichkeiten mit qualitativen Tiefeninterviews, die aber wiederum wegen ihrer großen Menge Unstimmigkeiten und „Ausreißer“ austarieren. Dass sie in einem Prozess der Kollaboration zwischen Schriftkundigen sowie Wahlmännern zu den Generalständen und deren Basis entstanden sind, schmälert ihren Wert nicht. Es wurde vielleicht nicht alles zur Sprache gebracht, was Sache war; aber das, was zur Sprache gebracht wurde, war Sache, die unter den Nägeln brannte. Die Beschwerdebriefe sind eine Quelle für die sozialen Verhältnisse in allen Details und Facetten. Aber als Quelle für die politische Geschichte haben sie andererseits ihre Limits und zwar einfach deswegen, weil die „mit ihnen“ beginnende Revolution ihre eigene politische Dynamik entfaltete.

Das Verhältnis zwischen den verschiedenen Ebenen, die in den Cahiers de Doléances zum Ausdruck kommt, drehte sich im Laufe des Jahres 1789 um: Die Auflösung der Feudalverhältnisse bekam die entscheidende Rolle, die Frage der Steuerverteilung nahm ein ganz anderes Schicksal als geplant und verknüpfte sich nach der Erfindung der Assignaten mit der Frage der Auflösung des Feudaleigentums. Und die in den Beschwerdebriefen des Öfteren auftauchende Frage der Marktregulation (Preise, Berufsordnung, Verbot der Spinnmaschinen und des Freihandels) blieb zwar bis 1794 ein prominentes Thema – real wurde in dieser Hinsicht außer der Auflösung des Zunftzwanges 1791 aber kaum etwas ökonomisch Relevantes umgesetzt. So kam es, dass der politische Gehalt der Beschwerdebriefe Geschichte wurde, wenige Monate nachdem sie verfasst wurden. Das ging auch deswegen so schnell, weil das imperative Mandat, das die Wahlmänner an ihr Elektorat binden sollte, der Dynamik der Auseinandersetzung – respektive der Umwandlung der Generalstände in eine Nationalversammlung bzw. in eine verfassungsgebende Versammlung im Juni 1789 – nicht standhielt.

Mit dem Sturm auf die Bastille im Juli 1789 ging auch eine Veränderung des Bewusstseins der Bauern einher. Bauernaufstände, ausgehend von zumindest vier Zentren, brachen fast zeitgleich aus und fassten in großen Teilen des Landes Fuß. Bauernaufstände bedeuteten zu dieser Zeit zumindest: Bewaffnung der Bauern, Bildung einer Dorfmiliz und Vernichtung aller Unterlagen, die in den Schlössern über die Feudalpflichten der Dörfer aufzutreiben waren. Manche Autoren wie Kropotkin betonen, dass dieser wilde Krieg der Bauern 1789 bereits einige Jahre am Schwelen war.17 Ja, seit den Unruhen der 1770er Jahren eigentlich nie aufgehört hatten und 1788 und im ersten Halbjahr 1789 eskalierte. Kropotkin, der um die Wende zum 20. Jahrhundert einige Archive – allerdings nicht die französischen – durcharbeitete, um die Geschichte der Bauernrevolten zu schreiben, meint, die Bauern hätten bereits im Frühjahr 1789 die Feudal-Leistungen an ihre Herren einfach eingestellt.

„Andererseits war Frankreich schon sehr lange vor 1789 in eine Periode der Aufstände eingetreten. Die Thronbesteigung Ludwigs XVI. im Jahre 1774 war das Signal zu einer ganzen Reihe von Hungerrevolten gewesen. Sie dauerten bis 1783. Dann kam eine Periode verhältnismäßiger Beruhigung. Aber von 1786 und besonders von 1788 an begannen die Bauernaufstände mit neuer Energie. Die Hungersnot war der Hauptgrund zu den erstgenannten Revolten gewesen. Jetzt blieb der Mangel an Brot immer eine der Hauptursachen der Revolten; aber vor allem war es die Verweigerung der Feudalabgaben, was die Bauern in den Aufstand trieb. Bis 1789 wurde die Zahl dieser Revolten immer größer, und 1789 endlich wurden sie im ganzen Osten, Nord- und Südosten Frankreichs allgemein.“18

Der deutsche Historiker Hans-Ulrich Thamer zu diesem Punkt:

„Seit Dezember 1788 hatten Bauern in der Provence, im Franche-Comté, aber auch im Norden und im Pariser Becken sich geweigert, Steuern zu zahlen, Abgaben an die Grundherren zu leisten.“19

Und wieder Kropotkin:

„Von Januar an hörte man auch in diesen Aufständen den Ruf ‚Vive la Liberté – Es lebe die Freiheit‘ und von da an – und noch entschiedener seit dem März kam es vor, daß die Bauern bald da, bald dort sich weigerten, die Zehnten und die Feudalabgaben oder sogar die Steuern zu zahlen.“20

Die traditionelle Geschichtsschreibung vor Georges Lefebvre legte – mit einigen Ausnahmen – den Schwerpunkt eher auf die Ereignisse in Paris und in das Zentrum der Staatsgewalt und sieht die Umgestaltung auf dem Lande als Folge des Sturms auf die Bastille. Vermutlich kommt man dem wahren Verlauf am nächsten, indem man beide Seiten zueinander in ihr Verhältnis setzt. Genau genommen wankte mit der urbanen Revolte nicht die Gesellschaftsordnung, sondern bloß die Staatsgewalt, die für Erstere bislang gebürgt hatte. Die soziale Gesellschaftsordnung wankte, als die Bauern selbst zur Tat griffen. Durch die wilden Landbesetzungen, Vertreibung der feudalen Grundherren und den kollektiven Ungehorsam auf dem Lande drehte sich die Sache um: Erst jetzt zersetzten sich die „Produktionsverhältnisse“ (Karl Marx). Die andere Seite dieses Verhältnisses besteht freilich darin, dass die rurale Revolution wie so oft in der Geschichte seit dem Spätmittelalter – vgl. den deutschen Bauernkrieg – militärisch niedergeschlagen worden wäre, wenn nicht 1789 ein urbaner Aufstand die alte Staatsmacht zerschlagen hätte.

Die Agrarfrage, die Bauernfrage, die Feudalfrage – wie auch immer wir die Sache in Worte fassen wollen – war keine Frage, die sich geographisch auf den ländlichen Raum beschränken ließ. Sie hatte indirekt den entscheidenden Impetus sowohl auf die politische Geschichte bis in die 1830er Jahre als auch auf die Ökonomie, indem ihre Lösung die kapitalistische Akkumulation vorantrieb. So formte die rurale Revolution indirekt die gesamte Nation mit und stärkte die produktiven urbanen Klassen. Um die Tiefe der Umgestaltung ausloten zu können, müssen wir uns noch einmal die politische Ökonomie des Ancien Régime vor Augen führen. Der Raum dieses Staates war durchzogen von unzähligen Grenzen und übereinander und durcheinander geschichteten Zuständigkeiten. Für die klassische Feudalgesellschaft ein normaler Zustand, für die bürgerliche Produktionsweise ein gewaltiges Hindernis. Es gab nicht nur echte Binnengrenzen, die Franzosen zu „Ausländern im eignen Land“ (Albert Soboul) machten, sondern auch soziale und juridische Grenzlinien.21