1940. Die versunkene bürgerliche Welt. -  - E-Book

1940. Die versunkene bürgerliche Welt. E-Book

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Beschreibung

Der Professor für Öffentliches Recht, Hans Gmelin war bis zum Ende des Ersten Weltkriegs ein leidenschaftlicher liberaler Politiker. Er hätte 1919 gern an einer modernen Verfassung für die neue demokratische Ordnung mitgewirkt, aber seine Partei setzte einen Kaufmann in die verfassungsgebende Versammlung. - Hans Gmelin blickt 1940 - kurz vor seinem Tod zurück auf seine bildungsbürgerliche Jugendzeit, in der er die Kunst, Musik und das Recht europäischer Staaten auf langen Reisen studieren konnte. Als er über die Schönheit der Kunst, die Liebe zu seinem Land und die völkischen Vorurteile nachdenkt, hat der Zweite Weltkrieg begonnen und droht alles zu verschlingen, wofür er sich eingesetzt hat, von den Ideen bis zu den Menschen.

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Inhalt des ersten Quellenbandes:

Vorab

Editorischer Hinweis

I. Karlsruhe: Kindheit und Jugend

II. Von der Studienzeit zur Professur

III. Übersiedlung nach Freiburg

IV. Das Freiburger Studium 19001901

V. Freiburg und Umgebung

VI. Die erste juristische Prüfung

VII. Die Doktorprüfung, 1902

VIII. Reise nach Spanien, 1902

IX. Reise nach Rom, 1905

X. Habilitation

XI. Erste Reise nach Belgien

XII. Die Probevorlesung

XIII. Beginn der akademischen Tätigkeit

XIV. Reise nach der Schweiz und Belgien, 1907

XV. Privatdozent in Freiburg

XVI. Reisen und Berufsaussichten

XVII. Berufssorgen und Reisen 1909

XVIII. Vierte Reise nach Belgien

XIX. Das Wintersemester, 1909/10

XX. Arbeit und Reisen, 1910

XXL Die vierte Reise nach Paris

XXII. Winter in Freiburg, 1910

XXIII. Reise nach der Schweiz

XXIV. Buchabschluss in Freiburg, 1911

XXV. Das Eigenheim in Günterstal

XXVI. Ruf nach Basel

XXVII. Übersiedlung nach Günterstal

VORAB: EIN BIZARRES MANUSKRIPT

Wir haben diese Rückschau von Hans Gmelin auf sein Leben in den Jahren von 1900 bis etwa 1940 mit dem Vollendungsjahr 1940 benannt. Nach dem Tod seiner Mutter Johanna im Jahr 1934 hatte Hans zahlreiche Briefe zurückerhalten, die er ihr einstmals geschickt hatte, um Rechenschaft zu geben über seinen Alltag und seine Erlebnisse und die ihm nun nach eigenem Bekunden die wichtigste Quelle waren. Obwohl es sich hier nicht um ein Tagebuch handelt, das auch noch die frischen Gefühle kennt, die zeitnah geschildert werden, haben wir es doch mit einem originären Werk aus einer Hand zu tun: Der Verfasser der Manuskriptseiten verwendet fast ausschließlich Berichte, die er selber – meist für seine Mutter – verfasst hat. Damit entsteht ein mentalitätsgeschichtlich interessantes Werk: Der politisch engagierte Staatsrechtler verwandelt sich 1919 vom Citoyen zum Bourgeois, da er keinen Zugang zu den gestaltenden Ämtern in der Politik findet. Ab der Machtergreifung 1933 stellt er wegen der damit verbundenen Aufhebung der Meinungsfreiheit seine „schriftstellerische Arbeit“ ein. Die Zeit, die er sonst für juristische Fachbeiträge verwendet hätte, investiert er in das hier vorliegende gewaltige Manuskript. Der Ständestaat, in dem Hans Gmelin aufgewachsen war und der ihm vertraut war, war nach dem Ersten Weltkrieg untergegangen. In seinen Erinnerungen stoßen wir immer wieder darauf, dass Hans Gmelin die früheren Kategorien des gesellschaftlichen Lebens vertraut waren: Im Ständestaat gab es die niederen Schichten und das Bildungsbürgertum, zu dem er sich zugehörig fühlte, und schließlich die Führungsebene, die bis zum Ende mehrheitlich der Adel stellte. Man spielte keine Rolle, sondern war das, als das man geboren und wozu man erzogen worden war. An der politischen Macht partizipierte das Bürgertum nur insoweit, wenn es ihr mit überzeugender Leistung zugearbeitet hat. Wer die Lebensgeschichte von Hans Gmelin liest, als wäre sie heute entstanden, tut dem Autor Unrecht: Wenn er von den niederen Schichten spricht und sich von ihnen abgrenzt, beschreibt er allein die Welt, in der er großgeworden ist und die auch frei war von heutigen politischen Korrektheiten, die erst in einer Kommunikationsgesellschaft entstehen konnten, deren Komplexität sich in den zwanziger Jahren entwickelte und nach der vulgären Herrschaft der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei, die den niederen Stand bereits im Namen führte, alles dafür tat, die Erinnerung an die alte ständische Gesellschaft abzuschaffen. Hans Gmelin hat dieser Bewegung als Liberaler und Patriot heftig misstraut, aber er stirbt, als ein Ende des braunen Spuks noch lange nicht absehbar war. Er wird sich der nationalsozialistischen Revolution niemals anschließen, aber er wird auch nichts unternehmen, um sie ins Wanken zu bringen. Das gehört zu den verstörenden Eindrücken meiner mehrjährigen Arbeit an diesen Seiten: Hans Gmelin teilt mit den Nationalsozialisten eine rassistische Grundhaltung, auch wenn er den Antisemitismus als grotesk verurteilt. Ästhetisch pflegt er indessen die Vorurteile, dass man Abkömmlinge des Judentums an sichtbaren äußeren Stereotypen erkennen könne. Aber zwei Gesichtspunkte haben mich getröstet: Zum Einen geht er mit allen anderen Menschen auch so um, ob Niedersachse oder Mexikanerin, ob Bayer oder Preuße, sie tragen für ihn mit ihrer Herkunft auch typische Wesenszüge ihrer Herkunft mit sich herum. Das andere: Fast alle seine wirklich guten Freunde waren entweder Juden oder deren „Abkömmlinge“ und er weiß deren Qualitäten durchaus deutlich zu benennen und zu schätzen.

Der Professor für Öffentliches Recht mit besonderem Interesse für internationales Verfassungsrecht an der kleinen hessischen-darmstädtischen Landesuniversität in Gießen war ein gebildeter und vielsprachiger Bürger und seinem Enkel sind noch Erinnerungen an ihn von einem seiner ehemaligen Studenten zugetragen worden, die voller Ehrfurcht steckten. Der Herausgeber kennt seinen Großvater ausschließlich aus Erzählungen vorwiegend von seinem Vater Günter, dem Sohn von Hans, und von Großmutter Marta, die von 1920 bis zu seinemTod, 1941, mit ihm verheiratet gewesen war. An die vielen Manuskriptseiten von Hans Gmelin hat sich der Enkel nach vielen Jahrzehnten gesetzt, unsicher, ob ihre Auswertung die viele Arbeit wert sein würde oder ob es nur die Erinnerungsleistung eines historisch überaus gebildeten Menschen ist, der sein eigenes Leben zum Gegenstand historischer Sorgfalt hat werden lassen. Sehr eindrücklich zeigt sich der Weg vom politisch lehrenden, tätigen und engagierten Junggesellen über den etablierten Politikberater seiner Landesregierung zum völlig in die innere Emigration zurückgezogenen Bourgois, der den Mangel an Sympathien für das Nazi-Regime mit familiärer Nähe und ausgiebigen Urlaubsreisen kompensiert.

Das Manuskript ist nicht wirklich für eine bestimmte Zielgruppe geschrieben, sondern eine Art Selbstverortung. Ein Memorandum über die Nationalsozialistische Politik enthält allerdings die konkrete Adresse, er habe diese Position für seine Söhne aufgeschrieben. Auch sind einige wenige Briefe erhalten z.B. an den befreundeten Großonkel Adolf Mayer in Heidelberg und an den Cousin Otto Gmelin, dessen Bücher während des Dritten Reiches viel gelesen wurden und der als prominenter Schriftsteller galt.

Mein Vater, Günter, (1923 -2008) stand am 14. Februar 1941, als sein Vater starb, mit siebzehn Jahren kurz vor dem Abitur, um dann im darauffolgenden Jahr seinen Dienst bei der deutschen Wehrmacht anzutreten. Sein Bruder, Ulrich, war Sanitätssoldat geworden, nachdem er im Reichsarbeits-dienst gedient hatte, wo er sich die Tuberkulose holte, an der er 1944 starb.

Hans Gmelin war 1878 in Karlsruhe geboren, hatte ein Jahr später seinen Vater, Moriz Friedrich Gmelin (1839-1879) verloren, der als studierter Theologe zum Archivrat im großherzoglich badischen Archiv zu Karlsruhe berufen worden war. So wuchs er bei den Eltern seiner Mutter, Johanna Gmelin geborene Gmelin, auf: Deren Vater, Konrad Adolf Gmelin, (1818-1900) war studierter Philosoph, wirkte indessen als Geheimrat in der Leitung der badischen Eisenbahngesellschaft. Hans' Großmutter, Elisabeth Katharine geborene Hartmann, (1818-1890) stammte aus einem Weinhandelshaus im pfälzischen Dürkheim. Nach einer Kindheit, die von eigener Erkrankung und dem Tod seiner 15jährigen Schwester Elise an der Diphterie überschattet war und die Hans als etwas „freudlos“ bezeichnet hat, bezog er die Universitäten Tübingen, Heidelberg, München, Berlin, Bonn und Freiburg. In acht Semestern studierte er Rechtswissenschaft, aber betrieb zugleich auch historische, kunsthistorische, geographische, national-ökonomische und literaturwissenschaftliche Studien. Auch dem Sprachenstudium widmete er sich lebenslang: neben den romanischen Sprachen lernte er auch, flämisch, schwedisch, russisch und türkisch und Grundzüge des Arabischen.

J. & L. Allgeyer, Hofphotographen CARLSRUHE

Konrad Adolf und Elisabeth Katherine geb. Hartmann, die Großeltern von Hans.

In der Zeit nach 1901, machte er das erste juristische Staatsexamen. Er trat erst in das Referendariat ein, verließ es aber vorzeitig, um an der Universität Freiburg wissenschaftliche Studien zu betreiben. Neben der Arbeit in Bibliotheken und am Schreibtisch überzeugte er sich auf Reisen nach Spanien, Frankreich, Italien und Belgien von den staatsrechtlichen Fragen dort. Seine Studienreisen nach Spanien im Jahr 1902 und Italien 1905 dokumentiert er detailliert in diesem Manuskript.

Auch seine Habilitationsschrift behandelte ausländisches Staatsrecht, das königliche Verordnungsrecht und das Recht zur Verhängung des Belagerungszustandes in Italien. Mit dieser Arbeit wurde er im Wintersemester 1906/1907 im Fach Staatsrecht an der Universität Freiburg habilitiert. Nach weiteren staatsrechtlichen Veröffentlichungen zu Rechtsfragen anderer Länder folgte erst 1919 eine erste Schrift zum deutschen Staatsrecht. Allerdings überarbeitete er in diesem Jahr auch den Verfassungsentwurf des Volksstaates Hessen. Zehn Jahre später legt er eine Einführung in das Reichsverfassungsrecht vor. Sein letztes Werk galt dann wieder der spanischen Verfassungsgeschichte in den Jahren von 1913 bis 1932, das 1934 erschien.

Bis 1913 wirkt er an der Universität Freiburg. In diesem Jahr wird er zum „etatmäßigen außerordentlichen Professor“ in Kiel ernannt, aber wenige Monate später als Ordinarius für öffentliches Recht nach Gießen an die großherzoglich hessische Landesuniversität Ludoviciana berufen. Auf diesem Lehrstuhl blieb er bis zu seinem unerwarteten Tod, als er am 14. Februar 1941 in Folge von Erkrankungen seiner Gefäße und des Herzens verstarb. Zum Dekan seiner juristischen Fakultät war er in den Jahren 1917, 1920, 1924 und 1929 berufen worden.

Hans Gmelin gelingt es aufgrund seiner Sprachkompetenz sowohl in Flämisch als auch in Französisch, während des Ersten Weltkriegs nach Belgien berufen zu werden, wo er für die politische Abteilung des Außenministeriums im Rahmen des deutschen Generalgouvernements tätig wird. Die deutschen Besatzer nutzen die traditionelle Unterdrückung der Flamen durch die Wallonen, um für das Nachkriegsbelgien – freilich im Falle des Sieges – eine Kolonialverfassung vorzubereiten, in der eine Union eines flämischen und eines wallonischen Landesteils vorgesehen ist, die ähnlich wie Österreich-Ungarn funktionieren soll. Im Wesentlichen werden die beiden Landesteile, die möglichst an den Interessen der deutschen Nachbarn orientiert sein sollen, durch den König zusammengehalten. Im Brüssel der Kriegsjahre trifft sich die Crème de la Crème des deutschen Staatsrechts, um die Rechtsgrundlage für die folgende Friedenszeit zu zimmern. Ein spannender Sandhaufen für Staatsrechtler, auch wenn bei dem tatsächlichen Kriegsausgang alles umsonst war und der flämische Bevölkerungsteil – wohl auch wegen seiner Nähe zu den deutschen Besatzern – noch Jahrzehnte warten muss, bis seine Interessen in Belgien beachtet werden. Als Vorübung für seine Beratertätigkeit für die Erstellung einer Verfassung für Hessen-Darmstadt nach 1919 war die Arbeit sicherlich wertvoll.

In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg hat Hans Gmelin Anlauf genommen, in der politischen Welt Profil zu zeigen. Insbesondere das Kolonialrecht hat es ihm angetan: Er studiert bei den erfahreneren Kolonialstaaten Frankreich und Belgien, was dort rechtlich für deren Kolonien verfasst wurde und befasst sich im Hinblick auf Belgien auch mit den rechtlichen Grundlagen der Staatssprachen.

Zwei wissenschaftliche Werke hat er in Planung, als der Erste Weltkrieg ausbricht: Ein umfangreiches Werk zum Kolonialrecht und eine große Arbeit zur Geschichte europäischer Verfassungen. Weil Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg keine Kolonien mehr hat scheitert das erste, und das zweite daran, dass die Materialbeschaffung auf Reisen für den Angehörigen einer verhassten Kriegspartei, die verloren hat, nicht mehr darstellbar ist.

Im Rahmen seiner Professur spielte die Lehre eine sehr bedeutsame Rolle, da er lange als einziger Vertreter des öffentlichen Rechts an der Gießener Universität alle Lehrveranstaltungen dieses großen Faches selber anbieten musste. Daneben blieben ihm bis 1933 akademische Veröffentlichungen wichtig.

Sein politisches Engagement als Nationalliberaler, versuchte er in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg hinüberzuretten, obwohl die Parteien nach dem Ende der Monarchie untergegangen sind. Er schloß sich der Deutschen Volkspartei DVP an. Seine neugegründete Partei entsandte ihn nicht in die verfassungsgebende Versammlung, wo er mit seinen verfassungsrechtlichen Kompetenzen seinen Platz gesehen hat, um auf die Zukunft von Hessen oder Deutschland Einfluss zu nehmen.

Ein Jahr später 1920 heiratet der „alte Junggeselle“ und gründet mit Marta geborene Meili eine Familie mit zwei Kindern.

Innerfamiliär wurde der Narrativ gepflegt, dass seine Frau Marta ihm die politische Arbeit „verboten“ habe. Er lässt sich nach Lektüre der Memoiren von Hans Gmelin nur ins Reich der Legende verbannen. Zwei Jahrzehnte spielt sich das Leben im Familienkreis ab, von 1928 an im eigenen Einfamilienhaus in Gießen, am Nahrungsberg 51 zunächst noch mit dem Strassennamen „Schiffenberger Weg“. Hans Gmelin hat sich bemüht, Einfluss auf die Gestalt der Weimarer Reichsverfassung zu nehmen, indem er den ersten Entwurf des Berliner Staatsrechtlers Hugo Preuß, DDP, einer Kritik unterzog und eine süddeutsche Staatsrechtlertagung in Würzburg organisierte, ohne damit viel zu bewegen.

Bei der Beratung der hessischen Landesregierung, über die hessische Landesverfassung (1919), die aus anderen bereits vorher beschlossenen Verfassungen- besonders von Baden und Württemberg – kompiliert wurde, wird er seinen größten persönlichen Erfolg darin sehen, dass ein Einfluss der Arbeiter- und Soldatenräte auf das Landesparlament ausgeschlossen wird. Da er der einzige Staatsrechtler im Sold von Hessen-Darmstadt war, war er für einige Zeit ein wichtiger Faktor für die rechtliche Verfasstheit des demokratischen Volksstaats Hessen. Seine Partei speist ihn mit einem Stadtverordnetenmandat in Gießen ab, währen die regierende Sozialdemokratie ihn bei der Erarbeitung des Verfassungsentwurfes des Volksstaates Hessen kraft Amtes konsultiert. „Der Gießener Jurist erreichte, daß plebiszitäre Elemente in der Verfassung verankert wurden. Artikel vier bestimmte, daß sich die Gesetzgebung „teils durch das Volk im Wege des Volksbegehrens und der Volksabstimmung“ vollziehe, „teils durch die vom Volk gewählte Volksvertretung.“ – Der Verfassungsentwurf habe nur Notwendiges festgelegt. „Der endgültige Text trug dann die Handschrift des Juristen Gmelin. Die Politiker hörten auf seinen Rat, mit der Ausarbeitung zu warten, bis die Weimarer Reichsverfassung (am 11. August 1919) verabschiedet sei, um so unnötige Überschneidungen zu vermeiden. Die demokratischen Strukturen des Volksstaates Hessen hielten länger als in anderen Ländern Deutschlands der braunen Gefahr stand.“ Das vertritt Jörg Feuck1 in der Frankfurter Rundschau am 19.12. 1994. Die Tätigkeit als Regierungsberater wird in diesen Texten dokumentiert und im Biographieband beleuchtet. Nach der nationalsozialistischen Umwälzung 1933 geht es mit ihm, seinem politisch orientierten juristischen Fach und seiner Gesundheit langsam bergab.

Das Manuskript beginnt mit dem „zweiten Teil“, der erste fehlt. Kindheit und Jugend wird vom Autor im Biographieband skizziert, die auf die kargen Dokumente der Vita seines Großvaters beruht. Das Material, dem diese Arbeit zugrunde liegt, wurde bei der Auflösung unseres Elternhauses in Gießen durch meinen Schwager Manfred Braun und meine Schwester Barbara Gmelin-Braun aufgefunden und – zusammen mit Fotoalben seiner Familie – bis heute gesichert. Diese Arbeit und ihr Verfasser und Herausgeber dankt den beiden dafür sehr herzlich. Viele Manuskriptseiten fanden sich im Archiv der Justus-Liebig-Universität Gießen. Allerdings weisen diese etliche Lücken auf. Nicht alle Textanschlüsse konnten gefunden werden. Einzelne Seiten ließen sich nicht zuordnen. Ein erster Versuch des Quellenbandes ist bereits 2022 erschienen: Der Herausgeber dachte, die zu ihm gelangten Manuskriptseiten seien alles, was von der großangelegten Autobiographie übriggeblieben war. Er bedauerte zwar, viele offene Fragen nicht beantworten zu können, arbeitete aber bereits daran, diese Fragen durch sekundäre Quellen – notwendig spekulativ – zu beantworten. Nach dem Fund der Tausende von Seiten im Universitätsarchiv werden die meisten seiner Fragen mehr als erschöpfend durch die Quellentexte von Hans Gmelin beantwortet.

Wiesbaden, im April 2024,

Ralf-Andreas Gmelin

1 Jörg Feuck, Leiter Corporate Communications, Technische Universität Darmstadt.

Editorischer Hinweis:

Der Herausgeber, der Enkel des Autors ist, hat diesen nicht kennen gelernt und hält sich für unabhängig genug, ein klares Bild von ihm zu zeichnen. Dennoch hätte er sich manches anders gewünscht. Der Herausgeber verzichtet aber darauf, dieses Manuskript, das sein Autor im Erlebensfall nach 1945 ganz bestimmt im Sinne des geänderten Zeitgeistes verändert hätte, zu manipulieren. Leserinnen und Leser finden darum höchst verstörende Urteile von Hans Gmelin. Da er 1941 auf dem Höhepunkt des Nazi-Triumph-zugs gestorben ist, musste er damit rechnen, dass eine spätere Veröffentlichung nur möglich wäre, wenn er sich da und dort an die Usancen der rassistischen Terminologie hält. Ob der Zeitgeist oder eigenes Urteil manchen sprachlichen Ausfall Gmelins begründet hat, muss dem Urteil des Lesenden überlassen werden.

Die Orthographie folgt weitestgehend dem Original. Da und dort werden Worte in eckigen Klammern zugesetzt, die Wortstellung verbessert oder stillschweigend die Sätze vervollständigt. Oft wurden fehlende Hilfsverben zugesetzt, auf die man damals vielleicht verzichten konnte. Die Satzzeichen werden interpretiert. Hans Gmelin liebt Semikola, die der Herausgeber hasst, weil durch sie Sätze die Länge einer Seite übersteigen können. Sie werden i.d.R. durch Punkte ersetzt. Auch die sehr beliebten geklammerten Beifügungen – bei denen man nicht weiß ob man sie nun lesen soll oder nicht – wurden meist aufgelöst, indem ihr Inhalt in den Satz integriert wurde.

Zuletzt: Das Manuskript war nicht nur in zwei Teile geteilt, es war auch noch in vollendeter Unordnung. Offenbar schon länger, denn Bleistiftbezeichnungen am Blattrand zeigen, dass schon mancher frühere Nutzer (meist nur in kleinem Umfang) eine Paginierung versucht hat, die sich Hans Gmelin leider gespart hatte. Darum bestand ein Großteil der Arbeit darin, detektivisch die Stellung von Manuskriptblättern zu rekonstruieren und richtig einzufiigen. Das ist oft gelungen – aber ein Teil der Manuskriptseiten, der nicht zuzuordnen war, wird dem Leser nun vorenthalten. Angesichts des erheblichen Umfangs dieser Biographie wird das der Leser sicher gern verschmerzen. Bei der Suche nach inhaltlicher Zuordnung spielten natürlich Datumsangaben eine herausragende Rolle. Darum hat der Herausgeber oft bei einfachen Datumsangaben von Tag und Monat auch noch die Jahreszahl hinzugefugt, um spätere Zuordnungen zu erleichtern. Eine bewußte Entscheidung war, die „Reise nach Bosnien“ kurz vor dem Ersten Weltkrieg zu ignorieren. Dieses Reiseabenteuer ist sehr umfangreich dargestellt, und steht im Zusammenhang mit den Kolonialträumen vieler Deutscher, die in Europa mit landwirtschaftlichen Siedlern Einfluss auf manche Gebiete gewinnen wollten. Ihnen half der VDA, der „Deutsche Schulverein“ oder „Verein des Deutschtums im Ausland“ mit dem Bau deutscher Schulen. In diese Arbeit ist Hans involviert. Mich bewegt sie allerdings nicht. Daneben war der Ausflug nach Bosnien auch eine Urlaubsreise zu einem entfernten Verwandten, der in Bosnien als Pfarrer wirkte und bot Gelegenheit mit skurrilen Leuten zu sprechen. Jedenfalls: Diese Reise wurde von mir willkürlich ausgesondert. Da und dort wurde von mir auch etwas gekürzt, wenn die Beschreibungen von Gemäldesammlungen und von Theaterbesuchen samt Inhaltsangabe der geschauten Stücke oder auch Ergebnisse von Sightseeing Touren auf Reisen meinem Nervenkostüm zu sehr zugesetzt hatten. Es finden sich bei diesen Kürzungen keine – von mir erkannten - Stellen, die ein schlechtes Licht auf meinen Großvater werfen. Solche Stellen blieben zuverlässig im Manuskript erhalten.

Hans Gmelin hat seine Arbeit gegliedert. Zuerst tatsächlich in einem Gliederungsplan, dann anfänglich da und dort und schließlich überhaupt nicht mehr, da er offenbar nicht mehr in Erinnerung hatte, wie er die Gliederung hatte vornehmen wollen. Darum wurden vom Herausgeber viele thematische Überschriften eingebracht, die die Lektüre etwas erleichtern und ein Wiederfinden von ggf. gesuchten Fundstellen besser ermöglichen. Das sind im Wesentlichen die editorischen Kriterien.

I. Kindheit, Jugend und Studium

Das Karlsruher Kapitel im Leben von Hans Gmelin wird von seinen Quellen kaum erfasst: Ein Schwimmzeugnis, ein Abiturzeugnis und eine Abiturientenzeitung liegen uns vor. Wir führen im Textband einigen Überlegungen zum Kinder- und Jugendleben Gmelins zusammen.

Die letzte Seite der Abiturzeitung „Miles“ des Großherzoglichen Gymnasiums Karlsruhe, 1897.

2

Ernst Ludwig von Gottes Gnaden Großherzog von Hessen und bei Rhein pp. Wir haben uns gnädigst bewogen gefunden, den außerordentlichen Professor an der Universität Kiel Dr. Hans Gmelin unter Verleihung eines Gehalts von viertausenfünfhundert Mark jährlich zum ordentlichen Professor in der juristischen Fakultät Unserer Landesuniversität Gießen mit Wirkung vom 1. Oktober 1913, kraft dieses, zu ernennen und erteilen hierüber gegenwärtige Urkunde.

Darmstadt, den 16. August 1913. Ernst Ludwig z.V. W. Weber.

2 Der Vorliebe von H.G. für Katzen entsprechend, hat der Herausgeber da und dort diese Zeichnung H.G.s eingefügt.

II. Von der Studienzeit zur Professur3Abschluß der Berufsausbildung in Freiburg 1900-1906

Die Zeit meines Freiburger Aufenthalts von 1900 bis 1913 ist sehr viel schwerer darzustellen als die Studentenzeit 1897 bis 1900; da ich von 1900 bis 1913 mit meiner Mutter zusammen wohnte. So fehlen mir für diese Zeit meine brieflichen Berichte, für die in diesem Abschnitt von mir allein unternommenen Briefe.

Daraus ergibt sich eine große Ungleichheit: Absolutes Fehlen oder Dürftigkeit von Quellen für das normale Dasein, Überfülle von Nachrichten für die Reisen, was natürlich einer gleichmäßigen Behandlung im Wege steht. Als Quellen für den Aufenthalt in familiärem Raum kamen nur in Betracht: Vor allem die von meiner Mutter geführten Ausgabenbücher, dann Briefe, die ich ihr schrieb, wenn sie außerhalb weilte, ferner Briefe meiner Mutter an mich, in denen sie ihr auf das ihr Mitgeteilte eingeht, endlich seit 1900 noch eigene photographische Aufnahmen.

Es läge nahe, die beiden letzten in Freiburg verbrachten Studiensemester mit den vorangehenden sechs Semestern zu verknüpfen; die Freiburger Semester werden jedoch durch einen wesentlichen Unterschied von den anderen getrennt, daß ich nun bei Muttern wohnte und nicht mehr mit Kameraden ein freies Studentenleben führte. Ferner sind die Freiburger Semester mit der folgenden Zeit unlöslich verbunden, weil wir in Freiburg wohnen blieben, also Schauplatz und Bekanntenkreis in der Hauptsache derselbe blieben. Höchstens einen Einschnitt vermag ich in der Freiburger Zeit zu erkennen: meine Habilitation an der Universität im Wintersemester 1906/07.

Hans Gmelin, 1878-1941

3 Das Manuskript beginnt mit diesem „Zweiten Teil" da der Abschnitt über Kindheit, Jugend und Studium fehlt. – Datierung des Mauskripts: Seit 1934, dem Todesjahr der Mutter, bis ungefähr 1940, dem Jahr vor Hans' Tod.

III. Übersiedlung nach Freiburg

Gründe dafür

Die Übersiedlung von Karlsruhe nach Freiburg hatten meine Mutter und ich schon lange ins Auge gefaßt; wir sehnten uns beide heraus aus der bald heißen, bald windigen Stadt mit ihrer berglosen schattenreichen Umgebung, aus der engen, sonnenlosen Wohnung, heraus, auch aus den Aufregungen, die das Zusammenleben mit meinem immer mehr von Erregungszuständen und Bewußtseinsstörungen befallenen Großvater verursachte.4

Indes, solange für meinen Großvater häusliche Pflege ausreichte, harrte meine Mutter bei ihm aus. Als jedoch der leitende Arzt der Irrenanstalt Illenau5, wohin mein Großvater im Juli 1899 gebracht wurde, die Erkrankung einer geistigen Umnachtung für unheilbar erklärte, so entfiel seine Rückkehr nach Karlsruhe, fiel dieser Hinderungsgrund für einen Wegzug fort. Tatsächlich ist mein Großvater kurz nach unserer Übersiedlung am 23. November 1900, in Illenau im 83. Jahre einem Schlaganfall erlegen. – Meine Mutter fuhr nach Illenau und pflegte ihren Vater in seinen letzten Lebensstunden. Zur Beisetzung, die in Karlsruhe inmitten eines großen Kreises von Verwandten und Bekannten stattfand, begab ich mich ebenfalls. Nachher blieb meine Mutter noch zur Auflösung der großmütterlichen Einrichtung einige Wochen in Karlsruhe, während ich nach Freiburg zu meinen Studien zurückkehrte. 6

Aber kaum war meine Mutter der Pflichten gegen ihren Vater ledig geworden, tauchte sofort eine neue Hinderungsmöglichkeit auf: Da meine Tante in München, damals leidend geworden war, wurde der Plan erwogen, meine Mutter möge meinem Onkel Leopold7 den Haushalt fuhren. Da legte ich aber doch mein Veto ein, denn schließlich hatte meine Mutter so lange entbehrungsreiche Pflege meines Großvaters betrieben.

Ich schrieb meiner Mutter, es handele sich für sie darum, die Freiheit zu erlangen und für mich, eine Heimat zu bekommen. Auch ein wirtschaftlicher Gesichtspunkt spielte hinein, daß ich mein Studium bei meiner Mutter wohnend billiger fortsetzen konnte. Dazu kam ein letzter Grund, die schwankende Gesundheit meiner Mutter: Von der grippösen Erkrankung, die sie sich in Paris geholt hatte, war ein Lungenspitzenkatarrh zurückgeblieben. Um ihn auszuheilen, begab sich meine Mutter im Juni 1900 auf den Plattig8, wo sie ein Vierteljahr verbrachte. Sie unterbrach diesen Aufenthalt nur, um in Freiburg eine Wohnung für uns zu mieten (3. bis 5. Juli 1900).

Ihre Schwester, Tante Luise9, tat ihr den liebevollen Dienst, sie zu begleiten und ihr in Freiburg bei der Wohnungssuche behilflich zu sein. Auch Onkel Karl Döll und seine Frau zeigten verwandtschaftliche Hilfsbereitschaft, da sie Mutter und Tante als Wohngäste aufnahmen und sie bei der Wohnungssuche unterstützten. Nach langem Suchen, nachdem meine Mutter zunächst eine Wohnung gemietet hat, von der sie sich am folgenden Tag nach einer kleinen Entscheidung wieder lossagte, entschloß sich meine Mutter zu einer Wohnung in der Bismarckstraße10, in der wir von 1900 bis 1912 blieben.

Die Wohnung

Sie bestand aus 5 Zimmern, Badezimmer, Küche, nebst zwei Mansarden. Nach der Straßenseite zu reihten sich drei Zimmer, davon mir die beiden großen als Musikzimmer und Eßzimmer dienten.

Im unteren Stockwerk des Hauses wohnte das Ehepaar Rein. Er war als Referendar wie der damalige badische Titel lautete, d.h. als Assessor beim Bezirksamt beschäftigt; ein großer, hübscher Mann mit schwarzem Schnurrbart und dunklen Augen; ein gutes Gegenstück zu seiner blonden ebenfalls großgewachsenen und hübschen Frau, die niemand anders war, als die während meiner Gymnasialzeit viel umworbene Clara Joos. Reins haben oft mit meiner Mutter musiziert; daher haben wir es sehr bedauert, daß er bereits im folgenden Jahr, ich glaube nach Rastatt, versetzt wurde, Leider sollte ihr Glück nicht lange währen, denn er ist nicht lange nach Kriegsausbruch gefallen.

Auf Reins folgte in der Wohnung im Erdgeschoß das Ehepaar Fromm; er war Privatdozent, später a. o. Professor der Chemie11, ein kleines, etwas vorlautes Jüdchen mit munteren Äugchen, schwarzem Schnurrbärtchen und abstehenden Ohren.12 Seine Frau konnte erst recht nicht als Schönheit gelten, sie zeigte mit kleinen Schlitzaugen unverkennbar malayischen Typ.

In der Tat war ihre Mutter13, die Witwe des bekannten nationalliberalen Abgeordneten Brüning(?)14, Wiesbaden, malayischer Abstammung. Auch mit den Fromms freundeten wir uns an. Durch Fromms Frau kannte mich auch ihre Mutter, eine trotz ihres hohen Alters noch sehr lebenslustigen Dame; und seitdem wurde ich regelmäßig um ihren Geburtstag zum großen Ball eingeladen, auf dem namentlich das Offizierskorps stark vertreten war. Fromms zogen nach dem Tod ihrer Mutter in deren Haus in der Allmendstraße15, später folgte er einem Ruf nach Wien, wo er ... früh verstarb. Hier fehlt ein Teil

...umfänglich ablehnend gegenüberstanden, beauftragt sei, ihn vom ersten Vorhaben abzubringen. Mein Vetter Adolf Döll hatte schon Jahre zuvor, da er als Gehilfe in der Apotheke von Schelling gearbeitet hatte, die im gleichen Hause wohnende Familie des Bezirksarztes Ronca kennen lernte. Der Vater Ronca verwendete als erster Deutschsprachiger eine Pernige (?) Er hatte eine etwas robuste Art mit warmem Verständnis für das Volk, dem er sich in treuster Pflichterfüllung widmete. Seine Frau, eine französische Schweizerin, zeigte in Aussehen und Benehmen die feinen Formen der Französin. Aus der Ehe waren fünf Kinder hervorgegangen, zwei Söhne und drei Töchter: Charles, der später in Pontalia und in Lyon als Zahnarzt wirkte, Robert, der als Student beim Skilauf durch Absturz am Chassmon ein frühes Ende fand. Unter den drei Töchtern war die älteste Marguerite. Marguerite hatte wenig gewinnende Gesichtszüge, denen ein Zweites vollends den Stempel des Altjüngferlichen verlieh, war sie doch geistig sehr begabt. Sie wußte vorzüglich zu reden, nicht etwa nur französisch, sondern auch deutsch und englisch, da sie durch längeren Aufenthalt in Prag und in England sich die deutsche und die englische Sprache angeeignet hatte. Da sie der Politik wie alle möglichen anderen Wissensgebieten Interesse schenkte, so war eine Unterhaltung mit ihr oft ein Genuß. Nur freilich mußte man mit dem ihr eigenen noch in ihrer selbstständigen Denkweise ... oft grundlos scharfen Widerstandsgeist rechnen. Ihre Schwester, Betty, die spätere Frau meines Vetters, war ihr in Gestalt und Wesen sehr unähnlich: sie zeigte die trotz ihrer Kleinheit wohlproportionierte Gestalt der Französin, hatte hübsche regelmäßige Gesichtszüge, und wußte durch ihre Liebenswürdigkeit zu gewinnen; geistig weniger bedeutend als ihre Schwester, besaß sie doch den klaren praktischen Verstand der Französin. Die dritte Tochter, Jeanne, war noch hübscher und zierlicher; noch französischer in ihrer Erscheinung, aber bei ihr scheinen die äußeren Vorzüge die geistig-seelische Veranlagung benachteiligt zu haben; sie heiratete später einen Architekten aus der französischen Schweiz, der sich später in Soissons niederließ, ist aber auf keinen grünen Zweig gekommen.

Ausflüge

Während meines damaligen kurzen Aufenthalts in Flandern war ich nicht allzu viel mit meinem Vetter zusammen, einerseits weil er beruflich beschäftigt war, andererseits weil ich ihn bei seinen ... nicht stören wollte. Doch begleitete er mich auf den Chasseron am 10. Oktober des Jahres, es war eine kombinierte Tour, denn er fuhr mit Fräulein Ronca per Rad nach Buttes16, wohin ich mit der Bahn vorausfuhr, um von dort mit ihm den Chasseron zu besteigen; mit der Rückfahrt holte er wieder seine Angebetete ab, sodaß sein Bericht über die mit mir ausgeführte Chasseron-Tour von dritten mit ungläubigem Lächeln aufgenommen wurde. Auch einige Abende widmete mir mein Vetter in Gesellschaft eines anderen Apothekers, eines drolligen Rheinländers namens Bürken. Der wunderte sich, daß mein Vetter mit seiner Liebeserklärung noch nicht zu Rande gekommen war und frug daher gutmütig: „Haben Sie’s schon mal mit ‘m Kniefall versucht?“ Bei einem Besuch der Schlucht der Poeta Raisse17 ging ich im übrigen allein in der Umgebung herum und genoß umso mehr die landschaftlichen Eindrücke, die durch auffliegenden Nebel dringende Sonne und die herrliche Herbstfärbung der in einer Höhe von 700 bis 1000 Metern schon ziemlich kalten Tagen. Ich stieg zu dem über Fleurier steil aufragenden Chapeau Napoléon18 empor (11. Oktober), suchte den Weg von Buttes nach Saint Sulpice über die Alpe Les Banderets und wanderte, die Rückfahrt nach Neuchatel unterbrechend, durch die schauerlich enge Schlucht Gorges de 1‘Areuse19, am 13. Oktober, dessen Abend ich bei Rathouds in Neuchatel verbrachte. Anderen Nachmittag kehrte ich nach Freiburg zurück.

Die Hauskatzen

Da ich von Hausgenossen spreche20, dürfen auch die Katzen nicht übergangen werden.21 Wie bereits erzählt, haben wir unsere alte Karlsruher Hauskatze nach Freiburg mitgenommen, wo sie jedoch schon nach wenig Wochen einem Schlaganfall erlag.

Im November 1902 nahmen wir wieder eine Katze ins Haus; wir bekamen eine von einer Vorsteherin des Tierasyls, wo häufig Katzen abgegeben wurden, ungebeten, ein halbmageres Kätzchen. Als wir das Tierchen besichtigten, gefiel es uns gar nicht; aber es entwickelte sich zu einem wunderschönen Tier; Bauch und Pfoten waren weiß, die Oberseite des Katers, der Rücken und der Schwanz dagegen dunkel und schön gemustert. Die neue Müs, denn auch sie erhielt diesen überlieferten Namen, verdient jedes Lob; sie war von unübertrefflicher Reinlichkeit, was viel besagen will, da wir in einem Mietshaus im dritten Stock wohnten und somit die Katze nicht einfach in den Garten schlüpfen konnte. Für ihre Bedürfnisse genügte eine im Vorraum des Klosetts aufgestellte Blechpfanne. Die Müs zeigte sich immer gleich freundlich und anhänglich. Aber sie beanspruchte auch, voll genommen zu werden. Wenn man ihr, damit sie die Sofaecke nicht beschmutzte, ein Tüchlein unterschob, verlangte sie, ob solchem Mißtrauens zur Türe hinausgelassen zu werden. Als die Müs zum ersten Mal schwanger war, passierte ihr ein seltsames Mißgeschick. Die Hausleute im zweiten Stock hatten eine Gans auf dem Balkon aufgehängt; da guckte die Müs von unserem Balkon aus auf diesen unerreichbaren Braten herunter, bekam das Übergewicht und fiel in den Hof hinab. Sie nahm weiter keinen Schaden, aber die Wehen setzten ein, und die Jungen waren bis auf eins tot. Diese Hausgeburt wurde ein drolliges Kätzchen, wenn es auch nicht nach drei Wochen seine Äuglein öffnete, so zeigten diese doch eine wunderbare smaragdgrüne Farbe und blitzten ... schalkhaft in die Welt hinein. Die Imbs, wie wir sie nannten, besaß keinen solchen Prachtpelz (?), wie ihre Mutter, sondern nur ein graues, schwarzgestreiftes Röckchen. Aber sie war immer munter, witzig und schlau. Beide Katzen tranken gewöhnlich aus einem Tellerchen; wenn man ihnen Suppe mit Fleischbröckchen hinstellte, wartete die Imbs, bis die Müs die Suppe ausgeschleckt hatte, um ohne Mühe die Brocken fischen zu können. Da die Imbs die Erfahrung gemacht hatte, daß eine Mücke, die sie gefangen hatte, davonflog, wenn sie die Beute im Maul zurückzuwerfen suchte, hielt sie sich von da ab mit der Pfote ihr Mäulchen zu, bevor sie den Kopf zurückwarf. Die beiden Katzen vertrugen sich aus-gezeichnet mit einander, nur wenn eine schwanger war, fauchte sie die andre an. Köstlich betrugen sie sich, sobald sie Junge hatten. Einmal warfen sie zufällig in derselben Nacht und im selben Korbe ihre Jungen; da wußten wir natürlich nicht, welche der einen oder anderen gehörten; die Katzen wußten es wohl ebensowenig. Daher beließen wir die Jungen in dem Korbe und sie wurden bald von der einen, bald von der anderen oder von beiden zusammen gesäugt und betreut.

Einmal zeigten wir im Hofe Bekannten ein vielleicht sechs Wochen altes Junges der Müs; die Imbs war um dieses Schwesterchen besorgt, denn sie packte es und trug es die drei Treppen hinauf in sein Körbchen. Die Imbs wurde sechsjährig nierenleidend, sodaß wir sie töten lassen mußten, dagegen hat die Müs ein Alter von ca. 13 Jahren erreicht; sie überstand den Umzug nach Günterstal, und kam auch noch mehrmals nach Gießen; dort erkrankte sie an Brustkrebs, wurde noch von Professor Pfeiffer operiert, starb aber wenige Tage nach der Operation, kurz vor Kriegsausruf. Wir hatten noch einige Jahre hindurch Nachkommen der Müs als Hausgenossen; die dunkelhaarige, schön gemusterte Kinia, die mit ihrem langen Haaren, den großen grünen Augen am ehesten den Angoratyp bewahrt hatte; sowie zwei von deren Jungen, nämlich die löwenfarbene sehr anhänglichre Minka und der weiß und graue Kater Zizi. Kinia erlebte mit der Müs den Umzug nach

Günterstal und machte in Gesellschaft der Minka öfter die Reise zwischen Günterstal und Gießen. Mancher mag über meine Fürsorge für die Katzen gelächelt haben, aber sie haben auch eine Stelle in meinem Dasein ausgefüllt. Oft haben sie mich aufgeheitert, wenn ich verstimmt über meine geringen Berufsaussichten mich schwermütigen Betrachtungen hingab.

Zwei der unzähligen Katzenjungen, in diesem Falle aus dem Jahr 1937. Aus dem Familienalbum.

4 Dr. Konrad Adolf Gmelin, Geheimrat bei der Generaldirektion der Staatseisenbahn in Karlsruhe, 1818 – 1900. Er war der Vater von Johanna Katharine Gmelin (1851-1934), die Moriz Gmelin (1839-1879) geheiratet hatte.

5 Die großherzogliche Heil- und Pflegeanstalt Illenau lag in Achern (Ortenaukreis) in der Nähe von Offenburg. Heute das Rathaus der Stadt.

6 Dieser Passus befand sich auf einem Blatt, das von Hans Gmelin blau durchgestrichen war.

7 Eduard Leopold Gmelin (1847-1916) Professor für Keramik an der Kunstgewerbeschule München. Seine erste Frau Anna starb 1904.

8 Region im Nordschwarzwald um den Hohen Ochsenkopf (1054 m).

9 Luise Julie (1846-1930) verheiratet mit dem Apotheker Gustav Ludwig Döll in Karlsruhe.

10 Heute Stefan-Meier Straße im Ortsteil Neuburg.

11 Fromm Emil, Chemiker. * Kolmar bei Posen (Chodziež, Poznan), 15. 10. 1865; † Wien, 27. 5. 1928. Stud. an den Univ. Freiburg, Erlangen und Berlin, 1888 Dr. phil., 1888-1900 Assistent in Freiburg am chemischen Labor. der medizinischen Fakultät, 1893 Priv. Doz. an der Univ. Freiburg, 1900 ao. Prof. für Chemie. Im 1. Weltkrieg leitete F. die kgl. preuß. Heeresgasschule in Berlin. 1905-20 Abteilungsvorstand des Universitäts-Labor. der math.-naturwiss. Fakultät Freiburg, 1921 ordentlicher Professor der Chemie und Vorstand des Institutes für angewandte medizinische Chemie an der Universität Wien. (Österreichisches Biographisches Lexikon www.biographien.ac.at)

12 Als Gmelin das schreibt, wurden diese Stereotype im Stürmerstil überall in Deutschland propagiert. Die Pointe, auf die diese hässliche Beschreibung hin-ausläuft ist die Freundschaft zu diesem Menschen!

13 Maria Susanne Siebert deren Mutter eine geborene Jay war.

14 Gustav Adolf Wilhelm von Brüning, Dr. rer nat., Dr. Ing h.c., (1864-1913) als Nationalliberaler für Wiesbaden in den Kommunallandtag und Provinciallandtag Hessen-Nassau gewählt.

15 Lesart nicht ganz zuverlässig. In Freiburg gibt es diesen Straßennamen nicht, wohl aber im 10 Kilometer nördlichen Denzlingen.

16 Bis 2008 war Buttes ein selbständiger Ort im schweizerischen Kanton Neuenburg, heute Val-de-Travers. Ziel ist der Chasseron, 1607 m, der in der Umgebung landschaftlich wohl am attraktivsten gelegen ist. (Angaben nach Wikipedia, Art. Buttes, 17.10.2021.

17 Gmelin schreibt Ponetta Raisse.

18 Waldiger Buckel zwischen Fleurier und Saint-Sulpice, ca. 1000 Meter hoch.

19 Bis heute bizarrer Wanderweg von Noiraigue in ca. 730 Meter Höhe, etwa 11 Kilometer entlang der Areuse.

20 Das war unter dem Gliederungspunkt a.!

21 Zu den wenigen Familienferneren, die meinen Großvater aus alten Zeiten kannten, gehörte Großtante Lina aus Heilbronn. In ihrer Familie früher wurde von Hans Gmelin als dem „Katzenprofessor" gesprochen.

IV. Das Freiburger Studium 1900 -1901

Das Repetitoriumswesen

An pflichtmäßigen Vorlesungen blieben mir wenig mehr zu hören, nur noch Einleitung in die Rechtswissenschaft, Verwaltungsrecht, Finanzwissenschaft und gerichtliche Medizin. Allgemeine Staatslehre, die ich im Sommersemester hörte, bildete damals noch kein Pflichtfach. Mit Rücksicht auf badische Verhältnisse belegte ich im Wintersemester Grundzüge des französischen und badischen Zivilrechts und im Sommersemester Badisches Kirchenrecht. Im Übrigen suchte ich meine Kenntnisse durch Lesung von Übungen im Bürgerlichen Recht und vom Repetitorium zu prüfen und auszubauen. Um dem auch in Freiburg grassierenden Repetitorenunwesen zu steuern, richtete damals die juristische Fakultät Repetitorien in den einzelnen Fächern ein, die von den Ordinarien selbst und zwar ohne Entgelt abgehalten wurden. Ich machte natürlich von dieser trefflichen Gelegenheit gerne Gebrauch und beteiligte mich an Repetitorien über bürgerliches Recht (Rümelin), Strafrecht (v. Rohland) und Zivilprozeß (Richard Schmidt). Sie fanden aber nur mäßigen Zuspruch und so konnte Rohland seine kleine Teilnehmerschar in seine Wohnung versammeln, wo er persönlich Bier auffahren ließ. Die Einrichtung hielt sich übrigens nicht; die Hoffnung der Professoren, die berufsmäßigen Repetitoren aus dem Sattel zu heben, erfüllte sich nicht; mir fällt da ein Ausspruch meines nationalliberalen Parteifreundes, Landgerichtspräsident Gibel ein, der auf meine Frage, warum in den Dörfern nicht der Lehrer ein Gegengewicht gegen den dem Zentrum verschriebenen Pfarrer zu bilden vermöge, antwortete: „Der Lehrer bringt den Bauern nicht in den Himmel!“ Der seelischen Verfassung des Bauern ähnlich glaubt der Student an die alleinseligmachende Kraft des Repetitors, ihn durchs Examen zu bringen. Und so blieb auch in Freiburg die Position der Repetitoren vorerst unerschüttert, trotzdem sie den Studenten sehr hohe Honorare aus der Tasche locken.

Die Vorlesungen, die Dozenten

a. Von Rohland.22 Daß ich meine juristischen Vorlesungen nicht ganz in der vorschriftsmäßigen Reihenfolge gehört habe, ersieht man daraus, daß ich nicht in Freiburg dazu kam, „Einleitung in die Rechtswissenschaft“ zu hören (dreistündig). Sie war übrigens auch Spätsemestern genießbar, weil sie damals seltsamerweise mit Rechtsphilosophie verbunden war. Die Vorlesung hörte ich bei Professor v. Rohland, einem Balten aus Riga, der mit nicht zu hartem baltischen Akzent sprach und zwar ohne je abzusetzen, einem fließenden Brünnlein vergleichbar, immer im gleichen Tonfall daherredete an passenden oder nichtpassenden Stellen die Worte „als solcher“ oder „nachher“ einflechtend. Rohland war ein feiner Mann von großer Güte und bescheidenem Auftreten, zu dem ich später enge Beziehungen gewann. Als Auslandsdeutscher besaß er natürlich Verständnis für die Lage der Deutschen im Ausland, daher führte er den Vorsitz der Freiburger Ortsgruppe des deutschen Schulvereins (V.d.A.), in der ich lange Zeit als Schriftführer neben ihm wirkte. In seiner Familie war der baltische Akzent noch stärker, härter, namentlich bei seiner Tochter 23 , mein späterer Kollege Sinzler behauptete von ihr, sie spreche eine ihm völlig unbekannte Sprache. Mit ihrem robusten Äußeren und ihrer männlichen Vorliebe für Revolver und Pferde flößte sie mir förmlich Angst ein.

b. Rosin.24 Verwaltungsrecht (vierstündig) und Übungen BGB (zweistündig) hörte ich bei Professor Rosin. Seine verwaltungsrechtliche Vorlesung umfaßte damals noch ein Jahr weites Gebiet, nämlich nicht nur die allgemeinen Grundsätze, Polizei und Gewerberecht, sondern auch das Arbeiterversicherungsrecht. Man gewann aus der Vorlesung eine recht zuverlässige Arbeitsgrundlage, da Rosin gegen Schluß jeder Vorlesung das Wesentliche diktierte und für die Arbeiterversicherung sogar einen gedruckten Leitfaden verteilte. Seine Übungen im BGB fielen mir wesentlich leichter als die in früheren Semestern belegten Praktika. Ein großer Vorteil lag darin, daß die Übungen nicht so unsinnig viel Teilnehmer zählten wie in Bonn, sodaß sich Rosin mit jedem Schüler eingehend beschäftigte. Zufällig habe ich eine der mir von Rosin erteilten Zensuren „Die Arbeit zeigt Fleiß und Gesetzeskenntnis, doch fehlt es an der genügenden Tiefe der juristischen Auffassung bei schwierigeren Problemen.“ Ich glaube, ich bin nie zu der „nötigen Tiefe juristischer Auffassung“ durchgedrungen, mich hinderte daran meine Neigung zu historischer Forschung.

Rosin dagegen war ein ausgesprochener Dogmatiker; seine Hauptleistungen lagen im Bereich des Verwaltungsrechts, vor allem war er ein Kenner des preußischen Polizeiverordnungsrechts. Wer den sehr bescheidenen Gelehrten zum ersten Mal sah, dem kam kaum zum Bewußtsein, daß er es mit einem bedeutenden Mann zu hatte.

Rosin war Volljude, ein kleiner, untersetzter mit hängendem Schnurrbart und schiefsitzendem Zwicker. Ich erlebte es, daß ein Bekannter, den ich Rosin zeigte, ihn für einen Viehhändler hielt; aber dabei handelte es sich nur um einen ganz oberflächlichen Eindruck, denn wer ihn aufmerksamer betrachtete, dem konnte nicht verborgen bleiben, daß seine Züge durch Wissen und Verstehen veredelt waren. Rosin fühlte ich mich als Student gar nicht hingezogen, und das änderte sich auch nicht, als ich mich 1906 habilitiert hatte; seine ruhig kalte Art, die er gewöhnlich zeigte, legte ich ihm als Gleichgültigkeit, wenn nicht als Abneigung gegen mich aus. Erst später erkannte ich, daß sich hinter seiner Zurückhaltung ein warmempfindendes Herz verbarg; besonders in der Kriegszeit, als ich oft mit ihm zusammenkam, lernte ich diese Eigenschaft schätzen. Möglich auch, daß sich unter dem Eindruck des Krieges, der ihm hart mitspielte, sein Wesen wandelte, denn sein früher schonungsloser Scharfsinn wich immer mehr einer verzeihenden Milde. Aus seiner Ehe mit einer gescheiten resoluten Jüdin gingen vier Kinder hervor, mit denen es das Schicksal nicht gut meinte; ein Sohn, der das Studium der Rechtswissenschaft ergriff und eine bemerkenswerte Dissertation über das Verordnungsrecht in Baden lieferte, ist im Weltkrieg gefallen, ein zweiter Sohn als Arzt einem Hirnschlag erlegen; die eine Tochter Rosins, ebenfalls ausgebildete Medizinerin wurde von schwerem Lungenleiden befallen, sodaß sie immer wieder das milde Klima von Davos aufsuchen mußte. Die andere Tochter, die sich als Bildhauerin nicht ohne Geschick, aber begreiflicherweise nur bescheidenen finanziellen Ertrag betätigte, ging nach dem Tode des Vaters eine Ehe mit einem gänzlich mittel- und berufslosen russischen Fürsten ein. Und die aus dem Verkauf des einzigen Besitzes der Familie, eines hübschen Hauses in der Günterstalstraße25 erlöste Summe, durfte schon längst zur Linderung von gehäuftem Unglück beansprucht und zerronnen sein.

c. Beyerle. Die Grundzüge des französischen und badischen Zivilrechts, das heißt des Code Napoléon, der mit kleinen Abweichungen als Badisches Landrecht bis 1900 auch in Baden galt, hörte ich bei dem Privatdozenten, Konrad Beyerle26. Er war ein großer schöner Mann mit früh gelichtetem Haupthaar, hoher Stirn, schwärmerischen Augen und schwarzem kurzem Vollbart. Selber ein Schwarzwälder aus Waldshut, was er im Tonfall nie verleugnete, heiratete er eine hübsche Wirtstochter aus Konstanz. Nachdem er bereits Ende 1900 in Freiburg zum Extraordinarius ernannt worden war, wurde er 1902 nach Breslau und dann in rascher Folge nach Göttingen, Bonn und München berufen. Da er zum Schrifttum des deutschen Privatrechts manchen tüchtigen Beitrag geliefert hat, so hat er den raschen Aufstieg, der ihm zuteil wurde, sicherlich verdient; aber es mag ihm auch die mächtige Protektion des Zentrums förderlich gewesen sein. Denn als strenger Katholik schloß er sich dem Zentrum an; als Abgeordneter dieser Partei und später der Bayrischen Volkspartei gehörte er der Nationalversammlung und dem Reichstag an. Da er als Katholik manche Beziehungen zu den Vlamen 27 besaß, wurde er während des Krieges der politischen Abteilung des General Gouvernements von Belgien berufen; dort bin ich während meiner mehrfachen Verwendung in Brüssel oft mit ihm zusammengekommen und wir haben uns trotz des Umstands der Parteizugehörigkeit auch in politischen Dingen gut verstanden, sodaß Beyerle auch später noch öfter meine Meinung in politischen Fragen einholte. Die Schwenkung zum Nationalsozialismus hätte er als überzeugter Anhänger des politischen Katholizismus sicher nicht über sich bringen können; insofern war es ein Glück für ihn, daß er kurz nach Hitlers Machtübernahme gestorben ist.

d. Rümelin und Merkel28 .An Professor Rümelin, bei dem ich ein zweistündiges Repetitorium über bürgerliches Recht hörte, erinnere ich mich kaum, zumal er starb, ehe ich mich habilitierte; nur daß er in seiner Aussprache deutlich den Württemberger verriet – wir nannten ihn daher auch Professor Remmle - und daß er seinem Bruder, Professor in Tübingen, den ich später kennen lernte, lächerlich ähnlich sah.

Auch Professor Merkel29, bei dem ich ebenfalls im Repetitorium über BGB belegte, ist mir damals und noch lange fremd geblieben, obwohl ich 1907 bis 1913 sein Fakultätskollege war und ich Gelegenheit fand, mit ihm in der National-liberalen Partei (er war Stadtverordneter) zusammenzuarbei-ten. Bei den Studenten erfreute er sich keiner besonderen Beliebtheit, hauptsächlich wegen seiner oft spöttischen Art, aber auch wegen seines etwas eitlen Auftretens. Schwarzen Haares und regelmäßiger Gesichtszüge war er ein schöner Mann und sich dessen offenbar bewußt was aber damals besonders auffiel und als schauspielerhaft empfunden wurde. Es war nicht sein Monokel, sondern daß er keinen Schnurrbart trug. Er war ein Fils à papa, dem seine Professur – er stieg in Freiburg vom Privatdozenten zum außerordentlichen und ordentlichen Professur auf – verdankte er eigentlich seinem Vater, dem Straßburger Juristen, dessen Rechtsenzyklopädie er in neuer Auflage herausgab; er selbst hat seit seiner Habilitationsschrift nichts mehr geschrieben, und so nimmt es nicht wunder, daß er von Freiburg nicht weiter berufen wurde. Aber eines muß man ihm lassen; er hat – wie ich – eine unverdient schöne Frau gewonnen; eine schwarzhaarige und dunkeläugige Münchnerin, musikalisch und gesellschaftlich gewandt. Einem meiner Freunde, Student der Rechtswissenschaft, der sie kurz vor ihrer Verlobung in St. M. kennen lernte, frug sie über Professor Merkel; er antwortete arglos, daß er bei den Studenten nicht beliebt sei; wie groß war daher sein Schreck, als er wenige Tage später in Freiburg dieser dann am Arm von Professor Merkel begegnete; doch sie kam lächelnd auf ihn zu, um ihm ihren Bräutigam vorzustellen.

e. Richard Schmidt 30 . Dagegen fühlte ich mich von Anfang an zu Professor Richard Schmidt hingezogen, bei dem ich im Wintersemester 1900/1901 ein Repetitorium in Zivilprrozeß und im Sommersemester 1901 Allgemeine Rechtslehre (zweistün-dig) hörte. Er hatte ein feingeschnittenes Gesicht mit beinahe zu kleinem Mund, der immerzu zu pfeifen schien, ein Grübchen im Kinn, lebendige blaue Augen, blondes, zurückgekämmtes Haar, kleine Koteletten und kleines Schnurrbärtchen, das später wegfiel. Obwohl er 1862 in Leipzig geboren war, hörte man ihm die sächsische Mundart kaum an. Er besaß ein uns im Sprechen schwerfälligen Süddeutschen kaum faßbares Redetalent; seine Vorlesungen, die er vollständig frei sprach, stellten rhetorische Meisterleistungen dar. Seine Redewendungen flogen ihm zwar keineswegs so zu, wie es den Anschein hatte, denn er gestand mir eines Tages, daß er seine Vorlesungen memorieren müsse; aber seine Rede machte gleichwohl den Eindruck, daß sie aus dem Augenblick geboren wurde. Wie ein Feldherr seine Truppen, so lenkte er vom Rednerpult aus mit anschaulichen Gesten seine Gedanken, sie mit der bei ihm sehr beliebten Einteilung „einerseits -andrerseits“ gruppierend. Seine glänzende Rednergabe brachte ihn bei Studenten und Dozenten in den Ruf eines Blenders; zu Unrecht, denn er war auch ein sehr ernst zu nehmender Gelehrter. Und zwar zeichnete er sich durch eine beneidenswerte, wenn auch nicht ganz unbedenkliche Vielseitigkeit aus. In früherer Zeit beschäftigte er sich hauptsächlich mit Zivilprozeß, verfaßte er doch schon in jungen Jahren ein Lehrbuch über den Zivilprozeß. Später wandte er sich auch der Allgemeinen Staatslehre zu; er machte sie zum Gegenstand einer inhaltsreichen und geistvollen Vorlesung und er schrieb ein mehrbändiges Werk über allgemeine Staatslehre; weil er in diesem Buch die allgemeinen Grundlagen auf den einleitenden Band beschränkte, in den übrigen Bänden dagegen die ganze Weltgeschichte bis zur französischen Revolution vorüberziehen ließ, so eröffnete die Staatslehre Richard Schmidts mir, dem Historiker, einen viel gangbareren Weg, um in diesen Wissenschaftszweig einzudringen, als die mehr dogmatische Rechtslehre von Georg Jeilinek31. Wenn ich überhaupt jemandes Schüler genannt werden darf, dann kann ich als Schüler von Richard Schmidt gelten, trotzdem wir in Wesen und Arbeitsmethode von einander sehr verschieden sind. Er hat immer die großen Gesichtspunkte herauszustellen versucht, während ich bei schriftstellerischen Arbeiten durch allzu gründliche Forschung mich leicht in den Einzelheiten verlor. Von Schmidt habe ich manchen Rat, auch manche gutgemeinte Warnung und zwar nicht nur während der Zeit, da er meine Doktorarbeit und meine Habilitationsschrift begutachtete; vielmehr betreute er mich auch später, und wenn ich eine Professur erlangt habe, so verdanke ich dies zweifelsohne zum Teil der wohlwollenden Fürsprache Richard Schmidts. Aus dem Verhältnis der Überordnung zwischen Lehrer und Schüler ist mit der Zeit eine auf Gleichordnung beruhende Freundschaft geworden. Sie findet ihren Aus-druck in einem Jahrzehnte hindurch währenden Briefwechsel besonders, daß Richard Schmidt die Patenschaft für meinen älteren Sohn übernahm. Auch weltanschaulich standen wir uns nahe, er gehörte wie ich der nationalliberalen Partei an, wenn er auch einer mehr nach rechts neigenden, gemäßigten Richtung zuneigte, die ihn noch zu Helfen kam, als er nach dem Tode von Rümelin die Vertretung der Universität Freiburg in der badischen ersten Kammer übernahm. Namentlich während des Krieges kam uns in freudigem Austausch unserer Ansichten über die politische Lage und die Kriegsziele die Übereinstimmung unserer Grundanschauungen immer mehr zum Bewußtsein, daher entwickelte sich, da Richard Schmidt sich schon früh durch hervorragende Leistungen auszeichnete, ist er schon im Alter von 29 Jahren von Leipzig nach Freiburg auf ein Ordinariat berufen worden. Im Frühjahr 1913 erhielt er einen Ruf nach Leipzig, so sehr er an Freiburg hing, entschloß er sich, um des größeren Wirkungsbereiches willen anzunehmen. Schmidt heiratete die Tochter eines Straßburger32 Mediziners, Tilla Ziegler33, ein noch sehr jugendliches Mädchen, deren schwarze Haare, dunkle Augen und ein köstliches Gesichtsoval ihr großen Liebreiz verliehen; dazu war sie außerordentlich kunstbegabt, denn sie spielte glänzend Klavier, sie sang sehr rein, sie wußte graziös vorzutanzen und bei Aufführungen mit gutgeschulter wenn auch nicht gerade kräftiger Stimme, mit unbestreitbarer Bühnenbegabung mitzuwirken; auch schrieb sie später selbst Theaterstücke. Es ist daher kein Wunder, wenn Richard Schmidt, der sich selbst als stets gewandter Unterhalter zeigte, mit seiner Frau in Freiburger Gesellschaftskreisen eine Hauptrolle spielte, da er auch prächtig wohnte, erst zur Miete in einer Villa in der Schweighofstraße34, dann in einem selbstgebauten großen Einfamilienhaus in der Silberbachstrasse35, so schien nichts seinem Glück zu mangeln. Und doch fiel ein Schatten über sein Leben: seine Frau erkrankte an einem unheilbaren Darmleiden, das häufige Operationen nötig machte; daher blieb ihr auch der Kindersegen versagt.

f. Stutz36 . Mit einer anderen Berühmtheit der Freiburger Fakultät bin ich nur als Hörer in Berührung gekommen, da er von Freiburg wegberufen wurde, ehe ich mich habilitierte: Ulrich Stutz, bei dem ich im Sommersemester 1901 badisches Kirchenrecht (einstündig) hörte. Stutz hatte mit seinem dunklen Vollbart, seinem schon in jungen Jahren kahlen Kopf, den fanatischlebendige Augen belebten, etwas von einem Mönch an sich, was ja ganz gut zum Kirchenrecht paßte, dem er neben Rechtsgeschichte seine ganze Arbeitskraft widmete. Die nicht enden wollende Kette seiner Publikationen beweist eine seltene Leistungstüchtigkeit. Es fehlte ihm daher auch nicht an äußeren Erfolgen: Bereits mit 28 Jahren wurde er von Basel als Ordinarius nach Freiburg geholt; 1904 ging er von dort nach Bern und folgte schließlich einem Rufe an die Universität Berlin. Während sonst Schweizer sich häufig durch beinahe krampfhafte Bescheidenheit auszeichnen, war dies bei Stutz nicht der Fall. Im Gegenteil: Er war sich seiner Bedeutung voll bewußt. Man erzählt sich, daß, als eines Tages seine Frau bemängelte, daß er zwei Studierzimmer beanspruchte, während sein Kollege N. sich mit einem begnügte, er erwidert haben soll: Mein Kollege ist auch eine Null, ich aber bin ein Licht!

Und als er in dem oben erwähnten kirchenrechtlichen Kolleg erwähnte, daß der Erzbischof von Freiburg bei Hof den Rang eines Kommandierenden Generals habe, fugte er, um die Sinnlosigkeit solcher Parallelen zu bezeichnen hinzu, ein Ordinarius der Universität habe den Rang eines Oberstleutnants, jedoch spöttischen Tons andeutend, daß ihm eigentlich ein weit höherer Rang zukäme.

g. Fuchs, John und Schulze-Gaevernitz37 . Auch Finanzwissenschaft hörte ich (vierstündig) im Sommersemester 1901 bei Prof Fuchs. Äußerlich fiel er durch seinen wohlgepflegten schwarzen Vollbart auf. Er blieb an Selbstbewußtsein nicht hinter Stutz zurück, nur daß es bei ihm weniger berechtigt war. Seine Wohnung, Ecke der Goethestraße und Schauinslandstraße 38 stimmte ganz und gar nicht zu ihm, da die lang hinter einer das ganze Grundstück umgebenden hohen Mauer, eher zu einem einsiedlerischen Gelehrten gepaßt hätte. Professor Fuchs hatte ein Steckenpferd, das war die von ihm gegründete soziale Vereinigung, in der ohne parteimäßige Einstellung soziale Probleme durch Vorträge und Aussprachen erörtert wurden. Fuchs war nicht wenig stolz auf diesen Verein und glaubte fest an seine Lebenstüchtigkeit, denn als er im Jahre 1908 einem Rufe nach Tübingen folgte, betonte er auf dem Abschiedsessen in seiner Dankesrede, daß ein Verein nicht auf zwei Augen gestellt sein dürfe, daß man seine Lebenstüchtigkeit erst erkenne, wenn sein Gründer sich seiner nicht mehr annehmen könne. Aber kaum hatte Fuchs Freiburg den Rücken gekehrt, so schlief die soziale Vereinigung ein. Ich habe es bedauert, da ich in ihren Versammlungen viel Anregung und Belehrung empfangen und manche mir wertvolle Bekanntschaft angeknüpft habe. Ich erinnere mich, daß ich nach einer Versammlung, die, wie üblich, im Freiburger Hof stattfand, als die Teilnehmer nach Schluß der Diskussion noch beim Bier zusammensaßen, im Gespräch über die österreichische Nationalitätenfrage aufkam, die Juden wären national nicht zuverlässig; da widersprach mir ein Anderer, von dem ich nach seinem blonden Vollbart nicht vermutet hätte, daß er Jude sei. Es war Jonas Cohn, damals Privatdozent, später Extraordinarius für Philosophie. Dadurch, daß er sich später – wie wir – ein Haus in Günterstal erbaute, kamen wir uns näher und so lernte ich seine edle Gesinnungsart kennen und konnte mich auch überzeugen, daß er auch ein warmes Herz hatte für die Nöte des deutschen Volkes.

Auch mit dem Nationalökonomen v. Schulze-Gaevernitz kam ich durch die soziale Vereinigung in Verbindung. Da dieser in einem Vortrag die Alldeutschen angegriffen hatte, machte ich ihm einen Besuch, um die vom Alldeutschen Verband verfolgte Politik zu rechtfertigen. Er nahm meine Entgegnung sehr wohlwollend auf und lud mich alsbald und später noch öfter ein. Er trug keinen alten Adel, denn er war erst seinem Vater, einem Staatsrechtslehrer verliehen worden; und er hatte trotz seines germanischen Aussehens – stattliche Größe, Blondhaar, blondes Vollbärtchen, blaue Augen, einen tüchtigen Schuß jüdischen Blutes in sich. Auch heiratete er eine rassenreine Jüdin, namens Hirsch, die Tochter eines schwerreichen Bankiers aus Mannheim. Sie war unstreitig eine der schönsten Frauen in Freiburg, von schlanker Gestalt, feinen Gesichtszügen und schwarzem Haar. Und sie wußte diese Schönheit mehrere Jahrzehnte zu bewahren. Politisch schloß sich Schulze-Gaevernitz der Richtung Naumann39, mehr der fortschrittlichen Volkspartei an, die ihn 1912 als ihren Kandidaten in den Reichstag brachte, und 1919 wurde er als demokratischer Abgeordneter in die Nationalversammlung gewählt. Wenn ich trotz meiner alldeutschen Ziele mich mit Schulze-Gaevernitz auch politisch gut verstand, dann wohl deshalb, weil wir beide eine Verständigung mit England für dringend nötig hielten. Durch seiner Frau enge Beziehungen zu England, erschien er besonders dazu berufen, sich mit dem Verhältnis Deutschland und England auseinanderzusetzen – wie er es in seiner Rektoratsrede tat.

Von Dozenten außerhalb der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät hörte ich in den beiden letzten Semestern nur Kahlden40, der die Gerichtliche Medizin, mit den üblichen zweideutigen Witzen vortrug, und Professor Neumann41, bei dem ich ein Kolleg über geographische Tagesfragen belegte, das mich interessierte, weil es die damals noch selten beschrittene Brücke zwischen Geographie und Politik schlug. Prof Neumann hatte eine Schwester meines späteren Kollegen Mittermaier42 zur Frau.

Der aus einer badischen Gelehrtenfamilie stammende Wolfgang Mittermaier aus Heidelberg hier 1934 auf dem Dünsberg. Er gehörte in Gießen wie Gmelin zum „Rennklub“ und war ein langjähriger Fachkollege und Freund Gmelins.

22 Rohland, Woldemar Eduard von (1850 – 1936) Geburtsort: Riga, Sterbeort: Freiburg (Breisgau).

23 Rohland, Margarethe* Julie Eveline v. (1883-1975).

24 Heinrich Rosin (* 14. September 1855 in Breslau; † 31. März 1927 in Freiburg im Breisgau) war Staatsrechtler, Verwaltungsrechtler und Sozialrechtler. Wikipedia, 28.10.2021.

25 Straße im Süden Freiburgs, in der Wiehre.

26 Konrad Beyerle (* 14. September 1872 in Waldshut; + 26. April 1933 in München) war ein deutscher Rechtswissenschaftler und Politiker (Zentrum, BVP).Wikipedia, 28.10.2021.

27 Flamen. Nach jahrhundertelangen Verfolgungen bilden die Protestanten in Belgien eine kleine Minderheit.

28 Gustav Friedrich Eugen Rümelin (* 1. Mai 1848 in Nürtingen; + 11. Januar 1907 in Freiburg im Breisgau) war ein deutscher Rechtswissenschaftler und Mitglied der badischen Ständeversammlung. Wikipedia, 30.10.2021.

29 Adolf Merkel (* 11. Januar 1836 in Mainz; + 30. März 1896 in Straßburg) war ein deutscher Rechtswissenschaftler. Enzyklopädie 1885. Vgl. Wikipedia, 8.2.2022.

30 Richard Karl Bernhard Schmidt (* 19. Januar 1862 in Leipzig; + 13. März 1944 ebenda) war ein deutscher Politik- und Rechtswissenschaftler. Der Prozess- und Strafrechtler war von 1907 bis 1912 in Freiburg und gehörte auch der Badischen Ständeversammlung an. 1913 ging er wieder in seine Heimatstadt. Wandte sich wie dann auch Gmelin gegen den Rechtspositivismus. 1933 wechselte er zu der NS-Akademie für Deutsches Recht Hans Frank. Wikipedia, 30.10.2021.

31 Georg Jellinek (* 16. Juni 1851 in Leipzig; † 12. Januar 1911 in Heidelberg) war ein österreichischer Staatsrechtler. Er gehörte gemeinsam mit Hans Kelsen und dem Ungarn Félix Somló zur Gruppe der österreichischen Rechtspositivisten und galt seinerzeit „als der Vertreter des Staatsrechts aus Österreich". Wikipedia, 31.10.2021.

32 Ernst Ziegler war in Würzburg, Freiburg, Zürich und Tübingen als Pathologe tätig.

33 Tilla Rosalin Ziegler (* 29. April 1875 in Würzburg; † 14. Juli 1946), Tochter von Dr. Ernst Ziegler.

34 Gute Adresse in der Wiehre.

35 Nicht weit von der Schweighofstraße gelegene etwas längere Straße, ebenfalls im Stadtteil Wiehre.

36 Ulrich Stutz (* 5. Mai 1868 in Zürich; † 6. Juli 1938 in Berlin) war ein Schweizerisch-deutscher Rechtshistoriker und Kirchenrechtler. Prägte für das Verhältnis von Kirche und Staat in der Weimarer Verfassung das Bild von der „hinkenden Trennung". Wikipedia, 31.10.2021.

37 Schulze-Gaevernitz, Gerhart von (* 25. Juli 1864 in Breslau; † 10. Juli 1943 in Krainsdorf) war ein deutscher Nationalökonom und Politiker (Freisinnige Vereinigung, Fortschrittliche Volks Partei, Deutsche Demokratische Partei). Wikipedia, 31.10.2021.

38 Heute vermutlich Ecke Günterstalstraße, jedenfalls wieder in der Wiehre.

39 Friedrich Naumann gehörte mehreren linksliberalen Vereinen und Parteien an.

40 Clemens von Kahlden (* 29. Mai 1859 in Koblenz; t 31. Mai 1903 in Freiburg im Breisgau) war ein deutscher Pathologe. Ab 1899 lehrte er auch gerichtliche Medizin. Vgl. Wikipedia, 1.11.2021.

41 Ludwig Neumann (*19.5.1854 in Pfullendorf, † 2.6.1925 in Garmisch) nach Studium der Mathematik und Naturwissenschaften ab 1877 als Geograph in Freiburg, 1891, a.o. Prof, 1896 Professor für Geographie, 1906 Ordinarius.

42 Wolfgang Mittermaier (* 29. Mai 1867 in Heidelberg; † 28. Juli 1956 ebenda) war ein polyglotter deutscher Rechts- und Kriminalwissenschaftler. Ab 1903 in Gießen, auch als Wanderer. Setzte sich für die Abschaffung der Todesstrafe ein, worüber sich Gmelin in seinem satirischen Stadtbummel durch Gießen lustig machte... Vgl. Wikipedia, 1.11.2021.

V. Freiburg und Umgebung

Freiburg als zweite Heimat

In Freiburg habe ich eine zweite Heimat gefunden; wenn ich auch neunzehn Jahre in Karlsruhe gelebt habe (1878-1897), davon 45 Wochen, also noch nicht ein Jahr, für Reisen abzuziehen sind, in Freiburg dagegen nur 12 ½ Jahre(Oktober 1900 bis April 1913), davon 2 1/3 Jahre auf Reisen entfallen, so bin ich doch dadurch, daß meine Mutter bis Oktober 1934 in Freiburg und Umgebung lebte und wir noch bis 1936 ein Häuschen in Hinterzarten besaßen, in Freiburgheimisch geblieben, denn von 1913 bis April 1936 – bis wir unser Haus in Hinterzarten verkauften – habe ich noch 64 Monate oder 5 ¼ Jahre in Freiburg verbracht, also mehr als halbsoviel von in den vorangegangenen 12 ½ Jahren, sodaß ich innerhalb von beinahe 36 Jahren nicht ununterbrochen in Freiburg wohnte, aber doch innerhalb dieses Zeitraumes immer wieder dorthin zurückkehrte. So bin ich in Freiburg eine doppelt so lange Zeit heimisch geblieben als in Karlsruhe. Aber man darf die Verknüpfung mit einer Stadt nicht lediglich nach der Zeit der darin verbrachten Jahre bemessen. Entscheidend ist, welcher Lebensabschnitt sich darin abgespielt hat. In Karlsruhe habe ich meine Kindheit bis zum Abschluß der Schulzeit verbracht, eine Zeit, deren erster Teil mir wenig in Erinnerung geblieben ist; und für die Folgezeit wirkten verschiedene Momente zusammen, die verhinderten, mich fest mit meiner Geburtsstadt zusammenwachsen zu lassen: Die nüchterne Umgebung, der lästige Zwang der Schulzeit, Krankheit und Trauer in der Familie, die Tyrannei des Großvaters.

In Freiburg dagegen verlebte ich die für mein Leben wichtigsten Jahre: Den Abschluß der Berufsausbildung und den Eintritt in den Beruf, genoß die Freiheit des Studenten und trotz der trüben Erfahrungen die Ungebundenheit des Privatdozenten; holte in gemütlichem Zusammenleben mit meiner Mutter ein gut Stück versäumten Familienglücks nach und sog immer meine Lebensfreude aus dem landschaftlichen Reichtum der Umgegend. Dazu kommt noch, daß die ersten anderthalb Jahrzehnte meines Eheglücks und das Heranwachsen meiner Söhne sich zum guten Teil in Freiburg abspielten.43 Kein Wunder, daß ich mich mit Freiburg mehr verbunden fühle als mit meiner Geburtsstadt Karlsruhe. Da ich immer die Zurückgezogenheit dem gesellschaftlichen Treiben vorzog, waren für mein Gefühl der Verbundenheit mit einem Ort von jeher die Reize der Landschaft maßgebender als die Beziehungen zu Personen. Und so war es auch von entscheidender Bedeutung, daß Freiburg in seinem Stadtbild und in seiner mannigfaltigen Umgebung Vorzüge besaß, die mich in ihren Bann schlagen mußten.

Die Kinder Ulrich und Günter im vom Vater geliebten Freiburg, hier im Jahr 1935 vor dem Freiburger Münster.

Die Stadt Freiburg

Quellen für seine Geschichte und Zukunft

Freiburg kannte ich bereits, aber doch nur von ganz flüchtigen Besuchen (1890, 1894, 1898). Jetzt erst, nachdem wir unseren Wohnsitz dorthin verlegt hatten, lernte ich es wirklich kennen; durch Studium verschiedener Bücher arbeitete ich mich in die Entstehung der Stadt und ihrer Bauwerke ein. Für die Geschichte Freiburgs war ich leider auf das zweibändige Werk von Baader44 angewiesen, da das zuverlässigere Buch von Schreiber45 vergriffen war, dagegen fand ich für die Baugeschichte einen ausgezeichneten Führer in „Das alte Freiburg“46 (1895) von dem bekannten Baurat Karl Schäfer47