2 Heaven - Simon Rhys Beck - E-Book

2 Heaven E-Book

Simon Rhys Beck

4,0

Beschreibung

Seltsame Dinge geschehen in den Genlabors von Heaven Industries. Damon Heaven, der draufgängerische und ungemein attraktive Erbe des Firmenimperiums und sein melancholischer und blinder Zwillingsbruder Crispin müssen den geheimnisvollen Vorgängen auf den Grund gehen. Denn die Zeit wird knapp, und ihre Feinde lauern überall.Was führen der unsymphatische Dr. Glasten und sein Kollege Dr. Larkin im Schilde? Welche Rolle spielt Charlotte, die sich in Crispin verliebt und dann mit Damon im Bett landet? Oder Justin, Damons halbwüchsiger Pflegesohn, den er auf dem Strich aufgelesen hat und der ihn heiß und innig liebt? Für wen empfindet Crispin wirklich etwas? Und wer schickt Damon die verschlüsselten Warnungen?Ein flott geschriebener Roman, voller Überraschungen und sexueller Wirrungen.

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Simon Rhys Beck

„Geboren im Oktober 1975, wohne ich im Grenzgebiet zwischen NRW und Niedersachsen und bin auch sonst ein Grenzgänger. Idealist, Gutmensch, Träumer aber auch Zyniker, Realist und Musikfanatiker ... mit einem guten Schuss Rotwein. Nach meinen Uniabschluss arbeite ich im sozialpädagogischen Bereich. Mein Privatleben ist mir heilig, ich scheue die Öffentlichkeit. Ich musste schon oft die Erfahrung machen, dass man Menschen nur vor die Stirn sehen kann.

Meinen ersten Roman ‚Ewiges Blut’ habe ich 1999 veröffentlicht; es folgten vier weitere Romane im düster-phantastischen Bereich und Kurzgeschichten in Magazinen und Anthologien.

‚I want the style of a woman and the kiss of a man’ ... (suede)

Mehr von mir, nicht über mich, unterwww.deadsoft.de“

Himmelstürmer Verlag, part of Production House GmbH, 20099 Hamburg

Kirchenweg12

www.himmelstuermer.de

E-mail: [email protected] Originalausgabe, September 2003

Digitale Ausgabe Juni 2012

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages

Foto: Black & White Fotodesign, www.blackwhite.de

Umschlaggestaltung: h plus p, Hamburg

ISBN print    978-3-934825-27-3 ISBN E-pub: 978-3-86361-243-6

ISBN pdf:     978-3-86361-244-3

Simon Rhys Beck

2Heaven

Für Micha.

Danke

Prolog

Manchmal hielt er sich die Nase zu und stellte sich vor, nicht mehr riechen zu können. Oder er presste die kleinen Hände auf die Ohren – nur weil er wissen wollte, wie es war, nichts mehr zu hören. Natürlich konnte er noch immer Geräusche wahrnehmen; sie wurden nur gedämpft. Aber heute tat er etwas, das er sehr ungern machte. Er kniff die Augen fest zusammen und ließ sich auf die Dunkelheit ein. Er fürchtete sich vor dem Gedanken, nicht mehr sehen zu können. Wollte aber unbedingt wissen, wie sich das anfühlte. Denn es war ihm merkwürdig vertraut.

Normalerweise war er sehr ausdauernd in seinen Spielen. Manchmal brachte er damit die Mitarbeiter der Station auf die Palme. Aber nur – und das fühlte er – weil sie Angst vor ihm hatten.

Doch wenn er „blind“ spielte, schaffte er höchstens eine halbe Stunde. Danach raste sein kleines Herz und auf seinen Handflächen hatte sich eine dünne Schweißschicht gebildet. Es musste aber noch etwas geben, etwasSchönes– etwasBeruhigendesin der Dunkelheit. Etwas, das er noch nicht kannte. Eine Verbindung zu einem Leben, das ihm völlig fremd war.

Und vielleicht war Nicht-Sehen eine Flucht, eine Rettung? – Der Gedanke war ihm schon öfter durch den Kopf gegangen. Wenn man nichts sah, sah man auch nichts, was einen erschreckte.

Und wieder grübelte er darüber, ob Blinde träumten undwiesie träumten. Und wie es war, keine Bilder im Kopf zu haben. Aber Menschen, die nicht von Geburt an blind waren, hatten Bilder und sie träumten ... in Bildern. Auch wenn diese grausam waren ...

1

Der attraktive junge Mann stand an eine Säule gelehnt, um einen Moment zur Ruhe zu kommen. Er war umgeben von Stimmengewirr und Menschen, die ihm nichts bedeuteten. Doch er – und sein Bruder – hatten es als ihre Pflicht angesehen, all diese Leute zur Beerdigung ihres Vaters einzuladen. Sie waren gut erzogen, sie wussten, was sich gehörte.

Damon Heaven war – wie sein Bruder Crispin – 26 Jahre alt. Er hatte schwarzes Haar und war sehr schlank. Damon und Crispin waren eineiige Zwillinge, und sie glichen einander fast aufs Haar, doch Crispin war zarter; er machte oft einen fast fragilen Eindruck.

Es hatte angefangen zu regnen, in dem Durcheinander von Stimmen – Damon hatte nicht den Eindruck, dass die Leute tatsächlich trauerten – konnte man nicht einmal die Regentropfen auf den großen Scheiben hören.

Er sah sich ein wenig um, da fiel ihm auf, dass er beobachtet wurde. Eine junge hübsche Frau musterte ihn mit interessiertem Blick. Sie mochte vielleicht so alt sein wie er. Damon war überrascht, denn er hatte sie zuvor noch nicht bemerkt, obwohl sie mit ihren herrlich roten Haaren und dem langen schwarzen Kleid eine auffallende Erscheinung war. Sie schenkte ihm ein offenes Lächeln, und der Blick, den sie ihm zuwarf, war unmissverständlich.

Niemand hatte Notiz von ihrer kleinen, stillschweigenden Vereinbarung genommen. Die meisten Gäste unterhielten sich angeregt. Er würde nicht vermisst werden. Außerdem war Crispin ja da ...

Lächelnd verließ er die Trauergesellschaft und erklomm die Treppe, die zu den Gäste- und Schlafzimmern führte. Seine Schritte klangen gedämpft auf dem dunkelroten Teppich, mit dem die Stufen ausgelegt waren. Ohne sich umzusehen, wusste er, dass sie ihm folgte.

Er öffnete die Tür seines Zimmers und lehnte sie hinter sich nur an. Dann wartete er gespannt. Nach kurzer Zeit wurde die Tür zögerlich aufgeschoben. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlüpfte sie hinein.

Damon betrachtete sie einen Moment lang stumm. Sie war sehr hübsch, mit ihrem Puppengesicht, den roten hochgesteckten Haaren und den Sommersprossen. Ihre hellblauen Augen sahen ihn erwartungsvoll an. – Damon überlegte angestrengt, woher er sie kannte.

„Hallo, Damon“, sage sie vertraut und trat näher auf ihn zu. „Soll ich dich nicht vielleicht ein bisschen trösten?“

Damon stutzte. Er kannte das Mädchen, und sie kannte ihn.

Sie sah ihn aufmerksam an. „Bist du böse, dass ich ...“

„Nein“, sagte er schnell. Seine Stimme klang rau. Sie stand so dicht vor ihm, dass er ihr süßes Parfum riechen konnte. Sanft berührte er ihr weiches Gesicht.

Sie lächelte ihn an. „Du bist ein sehr attraktiver Mann geworden, Damon.“

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte einen unschuldigen Kuss auf seine Wange. Und jetzt fiel es ihm wie Schuppen von den Augen – sie war seine Cousine Jenna. Mein Gott, er hatte sie seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Dieser Kuss ... So hatte sie den halbwüchsigen Jungen immer fast um den Verstand gebracht. Aber das war lange her.

Er lächelte.

„Zieh dich aus, Jenna“, sagte er leise.

Und Jenna erschauderte beim Klang seiner verführerisch dunklen Stimme. Langsam streifte sie ihr langes schwarzes Kleid von den Schultern. Sein Blick ruhte auf ihr. Sie wusste, wie schön sie war. Sie trug zarte schwarze Seidendessous, bei denen Damon der Atem stockte.

Jenna half ihm aus dem schwarzen Jackett und knöpfte sein Hemd auf. Und während sie ihn auszog, sagte sie: „Eigentlich wollte ich gar nicht herkommen. Aber wenn ich gewusst hätte, wie hübsch du geworden bist, hätte ich keinen Moment gezögert.“

Damon grinste jungenhaft. Seine Augen wanderten zu ihren wohlgeformten Brüsten. Er hatte nicht damit gerechnet, dass diese Beerdigungsfeier sich so angenehm entwickeln würde. Rasch entkleidete er sich ganz und zog sie mit sich auf das große altmodische Doppelbett. Jenna war überrascht, als sie seine Erregung spürte. Das Feuer, das er ausstrahlte, sprang auf sie über, und sie erwiderte seinen wilden Kuss atemlos. Seine Hand wanderte zu ihren Brüsten und streichelte sie durch die seidige Hülle des BHs, bis er spürte, wie ihre Brustwarzen sich aufrichteten.

Jenna stöhnte lustvoll und biss ihm zärtlich in den Hals. Der süße Schmerz erregte ihn noch mehr, und er verschloss ihre Lippen mit seinem Mund, während er ihr mit einer Hand das Höschen auszog.

Sie schlang die Arme um ihn und zog ihn hinunter. „Hast du es vielleicht eilig?“, flüsterte sie an seinem Ohr.

„Nicht eiliger als du“, antwortete er und drang vorsichtig mit den Fingern in sie ein. Sie grub ihre Fingernägel in seinen muskulösen Rücken.

„Bitte, Damon, ich brauche mehr von dir“, stöhnte sie, als er sie langsam in Fahrt brachte. Doch Damon wartete noch. Sanft saugte er durch den Seidenstoff hindurch an ihren Brustwarzen. Sie drängte ihren heißen Körper an ihn. Berührte ihn überall mit ihren kleinen, schlanken Händen.

„Ich will dich jetzt“, flüsterte sie heiser.

Und endlich gab er ihrem Drängen nach. Sie war wie eine Flamme, als sie ihn fest umschloss. Damon keuchte leise. Es war ein wundervolles Gefühl, sich in ihr zu bewegen.

Ihre Hände lagen an seiner Hüfte, und wenn er zu sanft war, schob sie ihn mit erstaunlicher Kraft weiter in sich hinein.

Crispin wusste, wo er suchen musste – und er ärgerte sich darüber. Langsam ging er die Treppe hinauf. Es war so typisch für Damon. Es war so verdammt typisch, dass sein Bruder ihn in so einer Situation allein ließ.

Leise öffnete er Damons Tür – sie hatten nicht einmal abgeschlossen. Er trat ein und schloss die Tür hinter sich. Die Geräusche, die er hörte, sprachen für sich. Kleine spitze Schreie bohrten sich in sein Bewusstsein. Damon war sehr ruhig, wie fast immer, wenn er Sex hatte. Nur sein angestrengtes Keuchen war zu hören. Manchmal hatte Crispin den Eindruck, als wäre Sex Arbeit für seinen Bruder.

Er lehnte sich von innen gegen die Tür und wartete, bis sie ihn bemerkten. Und es dauerte auch nicht lange, da hörte er eine weiche weibliche Stimme: „Damon ... Crispin ist da.“

Crispin erkannte die Stimme. Aha, dachte er, Jenna also.

„Reg dich ab, du weißt doch, dass er dich nicht sehen kann“, stöhnte Damon.

Crispin schwieg. Er hörte, dass sein Bruder nicht gewillt war, jetzt aufzuhören.

„Cris, bitte hau ab, oder warte einen Moment.“

Crispin grinste. Was Jenna wohl jetzt dachte? Vermutlich war es Damon egal. Er wusste, dass er unwiderstehlich war. Die Frauen flogen einfach auf ihn. Da würde es Jenna wohl nichts ausmachen, wenn sein blinder Bruder anwesend war, wenn sie kam.

„Beeil dich, Dee. Verdammt. Ich kann nicht die ganze Zeit denAlleinunterhalter machen.“ Crispins Stimme war sehr sanft, auch wenn er sich ärgerte. Sie passte zu seinem Charakter. Denn obwohl es äußerlich zwischen den beiden Brüdern kaum Unterschiede gab, konnten sie charakterlich kaum gegensätzlicher sein. Damon war draufgängerisch und wild. Er zog die Frauen an, wie das Licht die Motten – und er genoss es.

Crispin war schon immer der Ruhigere, der Nachdenklichere der beiden gewesen, trotz seiner geplanten Karriere als Gitarrist in einer Rockband. Und seit seinem Unfall, bei dem er das Augenlicht verlor, hatte sich diese Eigenschaft noch verstärkt. Trotzdem kamen sie gut miteinander aus – und Damon war immer für Crispin da gewesen. Vor allem in der Zeit nach Crispins Unfall.

„Ja, ja, Cris ... ich komme gleich.“

„Das glaube ich sofort“, lachte Crispin leise und verließ das Zimmer. Etwas widerwillig kehrte er ins Erdgeschoss zurück und mischte sich wieder unter die Gäste. Er mochte das alles nicht, die falschen Beileidsbekundungen, denSmalltalk. Damon dagegen war ein Naturtalent in solchen Dingen. Er war bei allen beliebt und hatte keinerlei Schwierigkeiten, mit Menschen umzugehen. Im Gegensatz zu seinem Bruder – und Crispin wusste das nur zu gut.

Dazu kam, dass immer noch viele gehemmt waren, nicht wussten, wie sie mit Crispins Blindheit umgehen sollten. Er fühlte ihre Anspannung, wenn er mit ihnen sprach, und das belastete ihn sehr.

Es dauerte nicht besonders lange, da tauchte Damon bei ihm auf. Crispin fühlte die Hitze seines Körpers dicht neben sich. Er brauchte nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen wie Damons Gesicht leuchtete.

„Wie konntest du das tun?“, fragte er leise, vorwurfsvoll. „Es ist schließlich die Beerdigung unseres Vaters.“

Damon stupste ihm in die Seite. „Gerade das ist doch ein hervorragender Grund, findest du nicht?“

Crispin runzelte die Stirn. „Ein hervorragender Grund, mit unserer Cousine zu schlafen?“

„Wow, du hast sie an der Stimme erkannt. Ich habe sie nicht einmal an ihrem Äußeren wieder erkannt. Und – sie sieht blendend aus. Sie war es wirklich wert.“

Crispin schnaubte verächtlich. „Wahrscheinlich ist sie verheiratet.“

Damon lachte. „Damit habe ich keine Probleme, denn heiraten möchteichsie nicht.“

Er griff nach Crispins Arm und drückte ihn fest. „Achtung, Haltung bewahren. Da kommt eine Gruppe von Dads Geschäftspartnern auf uns zu. – Die wollen was von uns.“

Crispin unterdrückte ein boshaftes Grinsen. „Nicht von mir. Ich verzieh mich.“

Doch Damon hielt ihn fest. „Du bleibst hier. Lass mich bloß nicht mit denen allein.“

Am nächsten Morgen wurde Crispin von Spooky geweckt. Er mochte es nicht, wenn Spooky seine warme, feuchte Nase in sein Gesicht drückte, während er schlief. Aber er wollte ihn trotz dieser morgendlichen Begrüßung unbedingt in seinem Zimmer haben.

„Spooky ...“, aus seiner Stimme war eindeutig der Widerwille zu hören. Aber jetzt war er wenigstens wach.

Langsam stand er auf. Morgens fühlte er sich meist elend und uralt. Solange er sich erinnern konnte, war es ihm ein Graus morgens aufzustehen, im Gegensatz zu Damon, der es liebte morgens früh zu joggen. Crispin konnte dem Frühaufstehen nichts Positives abgewinnen. Außerdem fror er grundsätzlich so früh. Daher beeilte er sich, unter die heiße Dusche zu kommen.

Von draußen hörte er seinen Bruder „Warmduscher“ brüllen – er lachte leise.

Nachdem er geduscht hatte, zog Crispin sich eine Jeans und einen warmen Pullover an und verließ mit Spooky sein Zimmer.

Damon saß schon im Frühstückszimmer, der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee hing in der Luft. Crispin setzte sich.

„Guten Morgen, Bruderherz. Du siehst aus, als hättest du schlecht geschlafen“, zog Damon ihn auf.

„Wohingegen deine Laune wieder einmal unerträglich gut zu sein scheint – und das, einen Tag nach der Beerdigung unseres Vaters.“ Crispin tastete nach der Kaffeekanne und goss sich eine Tasse ein. Er sog das unverwechselbare Aroma des Kaffees in die Nase.

Vorsichtig nippte er an seiner Tasse. „Blue Mountain“, stellte er lächelnd fest. „Wo hast du denn den aufgetrieben?“

Damon grinste. „Ich habe so meine jamaikanischen Freunde, das weißt du doch.“ Dann wurde er sofort wieder ernst. „Crispin – ich bin froh, dass wir das jetzt alles hinter uns haben.“ Damon sah ihn nachdenklich an. „Du weißt schon, was ich meine.“

Crispin nickte knapp. Sie brauchten nicht mehr darüber zu sprechen, dass sie beide ihren Vater gehasst hatten.

„Wird Jenna uns heute wieder mit ihrem Besuch beehren?“ fragte Crispin.

Damon stöhnte. „Keine Ahnung. – Vielleicht sollte ich dann lieber verschwinden? Ich möchte nicht, dass sie sich da irgendwelche Hoffnungen macht.“

Crispin schüttelte den Kopf. „Du bist unverbesserlich. – Nein, wirklich. Wenn du nicht willst, dass die Frauen so auf dich abfahren, solltest du im Bett schlechter sein.“

Damon lachte vergnügt. „Das hätte keinen Vorteil für mich.“

Er reichte seinem Bruder die Butter und sah ihn dann erwartungsvoll an. Doch Crispin zögerte.

„Du beobachtest mich. – Hast du was Ekelhaftes in die Butter getan?“

„Cris, so was würde ich nie tun. Du weißt doch, dass ich dich liebe“, protestierte Damon.

„Aber du bist ein Charakterschwein“, stellte Crispin ungerührt fest und stellte die Butter beiseite. Dann biss er in sein trockenes Brötchen.

„Du gönnst einem aber auch keinen Spaß“, maulte Damon.

„Deine Späße sind mir manchmal ein bisschen zu derb“, kommentierte Crispin. Er erinnerte sich mit Grausen, was Damon ihm schon alles in sein Essen gemixt hatte, um sich dann köstlich über seinen Gesichtsausdruck zu amüsieren. Aber wahrscheinlich war das für Damon die einzige Möglichkeit mit Crispins Blindheit umzugehen.

2

Crispin ritt in der Reithalle, als Charlotte Dowell eintrat. Er sah sehr schmal, sehr zerbrechlich aus auf dem großen Rappen. Aber sie bewegten sich in vollkommener Harmonie. Er ritt im Galopp auf die Länge der Bahn und machte einige fliegende Wechsel. Er schien völlig eins zu sein mit seinem Pferd.

Charlotte lächelte. Hier ritt dieser zierliche Mann in einer unglaublich luxuriösen Reithalle auf einem hinreißenden Pferd fliegende Wechsel, und er trug nicht einmal Reitstiefel. Er hatte eine alte dunkelblaue Reithose an, ein weites Sweatshirt und hohe Turnschuhe. Welch ein Gegensatz!

Sie trat an die Bande heran. „Hallo.“

Crispin parierte zum Schritt durch. „Hallo, entschuldigen Sie. Ich kann Sie nicht sehen. Sind Sie schon lange hier?“

Charlotte schüttelte verwirrt den Kopf. Wieso konnte er sie nicht sehen? Er sah doch genau zu ihr herüber.

„Zu wem wollen Sie?“

„Ich komme im Auftrag von Arthur Wallady. Er hat Interesse an einem Ihrer Pferde bekundet.“

Crispin runzelte die Stirn. „Wir haben zur Zeit keines zum Verkauf.“

„Er hat es in der letzten Woche gesehen, bei der Beerdigung Ihres Vaters.“

Ihre Stimme war weich und weiblich, doch gleichzeitig energisch. Crispin bog auf die Zirkellinie ab, um in ihrer Nähe zu bleiben. Er hatte ein Gespür dafür, wo er sich gerade befand – den Rest erledigten die Pferde.

„Ach“, sagte er. „Ich erinnere mich. Mein Bruder hat einige Geschäftspartner unseres verstorbenen Vaters durch die Stallungen geführt. Sie können ja noch mit Damon sprechen, aber ich wüsste nicht, dass wir ein Pferd zu verkaufen hätten.“

„Wo finde ich Ihren Bruder?“

„Ich weiß nicht, im Haus vielleicht.“ Dann trabte er an. Das Gespräch schien für ihn beendet.

Charlotte ärgerte sich ein wenig, als sie die Reithalle verließ und über den langen gepflasterten Weg in Richtung Haus ging. Sie war es nicht gewöhnt, so abgefertigt zu werden. Noch dazu von einem Mann, der sofort ihr Interesse geweckt hatte.

Damon und Crispin hatten einen wunderschönen alten Gutshof geerbt, der so groß war, dass er schon fast den Namen „Schloss“ verdiente. Vor den Stufen, die zum Eingang hinaufführten, befand sich ein herrliches Blumenrondell, mit einem Springbrunnen in der Mitte.

Charly erklomm die alten Steinstufen und läutete. Bereits nach kurzer Zeit wurde die Tür von einer kleinen, molligen Frau geöffnet.

„Ja, bitte?“

Charlotte überlegte einen Moment, dann sagte sie: „Ich habe gerade mit Crispin Heaven gesprochen wegen einer geschäftlichen Sache. Er hat mich an seinen Bruder weiterverwiesen. Ist er hier?“

Die mollige Frau musterte sie kurz, dann lächelte sie freundlich. „Ja, treten Sie bitte ein. Es ist ja eisig kalt draußen.“

Charlotte wurde in eine reich ausgestattete Bibliothek geführt, die offensichtlich auch jemandem als Arbeitszimmer diente. Sie nahm auf einem dunkelgrünen Ledersofa Platz und sah sich um. Sie sah viele wertvolle Bücher in den Regalen und entdeckte schließlich ein Buch, auf dessen Rücken Crispin Heaven stand. Sie hatte nicht gewusst, dass er schrieb. Allzu gern hätte sie das Buch in die Hand genommen und darin gelesen, aber die Tür öffnete sich und herein trat – mit energischen Schritten – Crispin!

Erstaunt erhob sie sich von ihrem Platz. Sie war verdattert, über den festen Händedruck. Aber noch mehr erstaunte sie, dass der junge Mann sich mit einem: „Hallo, ich bin Damon Heaven. Was kann ich für Sie tun?“ vorstellte.

Charlotte starrte ihn an. Warum hatte ihr niemand gesagt, dass die Heaven Brüder eineiige Zwillinge waren? Sie würde sich bei Arthur beschweren, dass er sie nicht darüber informiert hatte. Erst jetzt sah sie die winzigen Unterschiede. Damon schien etwas muskulöser zu sein als sein Bruder. Sein Lächeln war sehr offen, sein Auftreten männlich. Er trug eine schwarze Stoffhose und ein weites dunkelblaues Hemd darüber.

Sie mochte ihn auf Anhieb.

„Mein Name ist Charlotte Dowell. Ihr Bruder hat mich an Sie verwiesen. Ich komme von Arthur Wallady – er hat Interesse an einem Ihrer Pferde bekundet.“ Langsam wurde sich Charlotte ihrer Sache wieder sicherer.

Damon sah sie nachdenklich an. Sie sah umwerfend aus; lange blonde Haare und strahlend blaue Augen, die ihn lebhaft anblitzten. Die helle Hose, die sie trug, betonte vorteilhaft ihre langen Beine.

Sie war genau sein Typ, obwohl er nicht kleinlich war und fast an jeder Frau etwas Besonderes entdecken konnte.

„Mrs Dowell“, sagte er höflich.

„Miss“, verbesserte sie eilig.

„Okay, Miss Dowell.Ich habe keine Ahnung, warum Crispin Sie zur mir geschickt hat. Es sind seine Pferde.“

„Er sagte mir, es sei kein Pferd zu verkaufen, aber ich sollte noch einmal mit Ihnen sprechen.“

„Es tut mir Leid. Wenn Crispin kein Pferd verkaufen möchte, dann kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.“ Damon dachte darüber nach, warum Cris Charlotte Dowell zu ihm geschickt hatte. Hatte er ihre Stimme gemocht und sich plötzlich vor einem weiteren Gespräch gefürchtet? Seit seinem Unfall hatte er jeglichen weiblichen Annäherungsversuch abgeblockt. Er hat seit drei verdammten Jahren keinen Sex mehr gehabt, dachte Damon unkonzentriert.

„Entschuldigung, ich war mit meinen Gedanken woanders.“ Sein jungenhaftes Lächeln war einnehmend.

„Ich denke, das ist alles eine Frage des Preises“, wiederholte Charlotte und lächelte.

Damon sah sich um. „Meinen Sie? – Wir haben von unserem Vater dieses Haus, das Grundstück und Heaven Industries geerbt. Glauben Sie, wir sind nochgieriger?“

Charlotte erschrak leicht. „Nein, so habe ich das nicht gemeint.“

„Was Crispins Pferde betrifft – Geld spielt da überhaupt keine Rolle. Er liebt sie. – Aber, wenn Sie nicht locker lassen wollen, dann kommen Sie morgen noch einmal und sprechen mit ihm.“

„Ja, natürlich. Wenn Sie meinen ...“. Charlotte war verunsichert. Damon Heavens Ausstrahlung zog sie zunehmend in seinen Bann. Sie hatte gehört, dass er ein Weiberheld war. Jetzt wusste sie, warum die Frauen sich ihm hingaben.

Damon stand auf. „Vielleicht sollten Sie zum Dinner vorbeikommen. Dann kann er sich Ihnen nicht so leicht entziehen. Allerdings sollten Sie nicht versuchen, ihn zu überreden. – Crispin ist sehr empfindlich, er würde es Ihnen übel nehmen, wenn Sie sein Nein nicht akzeptieren.“

Charlotte gab Damon die Hand. Sie war schmal, warm und kräftig. „Es ist mein Job, Mr Heaven. Dabei kommt es nicht darauf an, ob jemand mir etwas übelnimmt oder nicht.“  

Er lächelte und hielt ihre Hand einen Moment zu lang. Sie hatte Mühe sich auf seine Worte zu konzentrieren.

„Wenn das so ist ...“

Damon begleitete Charlotte Dowell zur Tür. Als sie langsam die großen Steinstufen herabstieg, kam Crispin Heaven um die Ecke. Dicht an seiner Seite – ein großer schwarzer Schäferhund.

Damon, der noch immer in der offenen Tür stand, sagte: „Crispin, Charlotte Dowell, die Dame von Wallady möchte mit dir sprechen. Noch steht sie auf den Stufen.“

Crispin kam auf sie zu. Seine Bewegungen erinnerten Charlotte auf unheimliche Weise an eine Raubkatze vor dem Sprung auf ihre Beute.

„Ich weiß“, sagte er langsam.

Charlotte verstand die eigenartige Unterhaltung nicht, bis sie das dunkle Kunststoffgestell am Geschirr des Hundes bemerkte. Dieser Hund war ein Blindenhund – und folglich war Crispin Heaven blind!

Deswegen hatte er in der Reithalle gesagt, dass er sie nicht sehen konnte. Wie konnte ihr das entgehen? Er hatte sich so sicher auf seinem Pferd durch die Halle bewegt.

Crispin erklomm mit leichten Schritten die Treppe. Den Hund an seiner Seite. Oben drehte er sich um.

„Leben Sie wohl, Miss ...“

„Dowell“, half sie ihm. Dann verschwand er im Haus.

Damon grinste verstohlen und zuckte mit den Schultern. Er trat an das Treppengeländer und fragte sich, wie er „Miss“ Dowell wohl in sein Bett bekäme.

„Manchmal ist er einfach schlecht gelaunt“, entschuldigte er sich.

„Ich ... ich wusste nicht, dass Ihr Bruder blind ist“, sagte sie vorsichtig.

„Er kommt erstaunlich gut klar – er ist ein ungewöhnlicher Mensch, Miss Dowell.“

„Ja, das glaube ich Ihnen. – Auf Wiedersehen, Mr Heaven. Ich werde morgen zum Dinner hier sein.“

„Das hoffe ich.“ Damon schenkte ihr sein charmantestes Lächeln. Dann starrte er ihr nach, bis sie mit ihrem Wagen außer Sichtweite war. Sie hatte wirklich Eindruck auf ihn gemacht. Warum nur arbeitete so ein hübsches Mädchen für einen Langweiler wie Arthur Wallady?

Mit einem Schulterzucken kehrte Damon ins Haus zurück.

Charlotte Dowell wohnte noch nicht sehr lange in ihrer Wohnung in dem kleinen Vorort von London. Sie hatte gerade ihr Psychologie-Studium beendet und sich bei Wallady Consulting als Unternehmens- und Personalberaterin beworben.

Arthur Wallady, der Juniorchef des Unternehmens, war von Charlottes Erscheinung sehr beeindruckt gewesen und hatte sie sofort eingestellt. Mittlerweile gingen sie auch miteinander aus, und es schien Charlotte, als hätte Arthur durchaus ernste Absichten. Er war sehr höflich und kultiviert, und ihre private Beziehung half ihr etwas über den Eindruck hinweg, dass sie bei Wallady Consulting keinen ausfüllenden Job bekleidete. Sie wollte sich nichthochschlafen– doch sie wusste genau, dass ihre Beziehung zu Arthur ihr auch berufliche Vorteile verschaffen konnte.

Arthur hatte sie zu diesem kleinen Auftrag überredet, denn er wusste, dass Damon Heaven schönen Frauen nicht widerstehen konnte – und Charlotte Dowell war eine wirkliche Schönheit. Aber weder er noch Charlotte hatten damit gerechnet, dass die Heavens den Dickschädel ihres Vaters geerbt hatten.

Nun ärgerte sich Charlotte außerdem, dass Arthur ihr so wichtige Informationen vorenthalten hatte. Sie hätte sich eine ganz andere Strategie überlegen können. Zudem hätte Arthur ihr sagen müssen, dass die Heaven Brüder unglaublich attraktiv waren. Das musste selbst einem Mann auffallen.

An diesem Abend stand sie lange und sehr nachdenklich vor dem Spiegel. Sie konnte sich einfach nicht entscheiden, ob sie das dunkelblaue, streng wirkende Kostüm oder eine legere schwarze Hose tragen sollte. Eigentlich mochte sie solch förmliche Kleidung überhaupt nicht. Am wohlsten fühlte sie sich in Jeans und Pullover. Aber sie hatte sich schnell der Kleiderordnung von Wallady Consulting angepasst.

Sie bürstete ihr langes hellblondes Haar und lächelte. Im Endeffekt ging es nur darum, Damon Heaven zu beeindrucken; und sie hatte ein gutes Gefühl, was ihn betraf. Er mochte sie – vielleicht sogar ein bisschen zu sehr?

Doch ihr Geschäftspartner war Crispin Heaven, und den konnte sie nicht mit weiblichen Reizen locken. Er hatte einen sehr abweisenden Eindruck gemacht, als er hörte, warum sie da war.

Charlotte entschied sich für die Hose und zog dazu eine helle Seidenbluse an. Zu der Hose würden am besten flache schwarze Schuhe passen. Sie mochte nicht noch größer erscheinen, als sie ohnehin schon war.

Gegen sieben Uhr setzte sie sich schließlich in ihren roten Vauxhall und fuhr los. Eine unbestimmte Nervosität befiel sie etwa auf der Hälfte der Strecke. Warum um alles in der Welt war sie nur so aufgeregt? Sie bemerkte, dass ihre Hände kalt wurden.

Als sie auf den Hof der Heavens abbog, ärgerte sie sich bereits über ihr klopfendes Herz. Hatte Damon sie so beeindruckt? Er hatte faszinierende dunkelblaue Augen und sah phantastisch aus. Aber sie kannte seinen Ruf – sie musste auf jeden Fall auf der Hut sein.

Charlotte wusste nicht, ob er derzeit liiert war. Verdammt, sie wusste so gut wie nichts über die Heavens. Wenn sie den nächsten Auftrag dieser Art übernahm, würde sie darauf bestehen, besser informiert zu werden.

Sie parkte am Rande des Blumenrondells, das von einigen verborgenen Scheinwerfern angestrahlt wurde. Das sanfte Plätschern des Springbrunnens beruhigte sie ein wenig. Sie atmete tief durch, ehe sie die mächtigen Steinstufen erklomm. Noch bevor sie oben angekommen war, öffnete sich die Tür.

Mrs Donaldson, die mollige Haushälterin, bat sie lächelnd einzutreten und nahm ihr den dicken, warmen Mantel ab.

Charlotte wurde in einen der gemütlichen Wohnräume geführt, wo Damon sie empfing.

Er hielt ihre Hand wieder ein wenig zu lange, als er sagte: „Wie schön, dass Sie gekommen sind.“

Charlotte bemerkte ihr Herzklopfen und versuchte, mit einem offenen Lächeln dagegen anzugehen.

„Dachten Sie, ich käme nicht mehr?“

Damon sah ihr direkt in die Augen und zuckte mit den Schultern. „Mein Bruder Crispin hat schon viele ... zum Aufgeben gebracht.“

„Aha.“ Charlotte versuchte, sich einen Reim auf Damons Worte zu machen. Crispin Heaven musste ein unglaublich schwieriger Mensch sein. Ob er das schon immer gewesen war?

Die Tür öffnete sich fast lautlos, und Crispin trat ein, an seiner Seite der riesige schwarze Hund. Zielstrebig ging er auf Charlotte zu und gab ihr die Hand. Es war ihm offensichtlich gleichgültig, ob sie sich vielleicht vor dem Hund fürchtete. Wer mit Crispin Heaven Geschäfte machen wollte, hatte dieses Ungetüm von einem Hund zu akzeptieren.

„Guten Abend, Miss Dowell. Möchten Sie einen Drink?“

Seine Stimme war wie Damons, einen Hauch leiser und sanfter. Seine Hände ein wenig schmaler.

„Guten Abend, Mr Heaven. Ja, ich hätte gern einen Sherry.“

Damon ging lächelnd zu einem der Schränke und öffnete eine Klappe. Kostbare Gläser standen auf einem gläsernen Podest. Der Schrank war von innen mit schwarzem Samt ausgelegt, und darauf standen einige Flaschen mit wertvollen Spirituosen.

Damon zog eine Flasche Sherry aus der kleinen Bar, goss jeweils einen guten Schluck in die filigranen Gläser und reichte Charlotte und Crispin eines.

„Auf diesen Abend“, sagte er leise.

Crispin verkniff sich ein Grinsen, als er den leicht rauen Unterton in der Stimme seines Bruders hörte. Er konnte sich nur allzu gut vorstellen, worauf Damon aus war.

„Auf einen erfolgreichen Abend“, sagte Charlotte.

Nach einem kurzen, oberflächlich verlaufenden Gespräch teilte Mrs Donaldson den Anwesenden mit, dass das Essen aufgetragen war. Charlotte wunderte sich über die Förmlichkeit ihrer Gastgeber. Sie kam aus einer einfachen Familie, deren Mitglieder sehr herzlich miteinander umgingen. Die Künstlichkeit der Situation war ihr deutlich bewusst, aber auch, dass diese Situation für Crispin und Damon völlig normal war.

Ein reichhaltiges Essen wurde serviert, Köstlichkeiten aus verschiedenen Ländern, wobei die Vielzahl der Gänge und das zu jeder Mahlzeit gereichte Baguette Charlotte eher an das Essen in Frankreich erinnerte, denn an England.

Aber sie genoss es, denn es rief Bilder des Auslandssemesters in ihr wach, das sie in Frankreich absolviert hatte.

„Miss Dowell – warum sind Sie noch einmal gekommen?“, fragte Crispin schließlich langsam, als das Dessert aufgetragen wurde. Bisher hatte Charlotte sich ausschließlich mit Damon Heaven unterhalten. Crispin hatte schweigend daneben gesessen. Und so erschrak sie förmlich, als er sie ansprach.

Sie räusperte sich. „Ich bin noch einmal wegen der Schimmelstute gekommen, die Mr Wallady so beeindruckt hat. Er ...“

„Sind Sie seine – Stallmeisterin?“ unterbrach er sie amüsiert.

Charlotte errötete leicht. „Nein, das bin ich nicht.“

„Warum sind Sie hier?“ Crispin griff nach dem schlanken Weinkelch. Er hatte offensichtlich keine Schwierigkeiten, sich in seiner nächsten Umwelt zu orientieren.

Wütend runzelte Charlotte die Stirn. „Ich habe den Auftrag bekommen, Mr Heaven.“ Sie versuchte ihre Stimme ruhig und sachlich klingen zu lassen. „Für wie viel würden Sie die Stute verkaufen?“

Crispin lachte auf. „Glauben Sie, ich würde ein Pferd an einen Menschen verkaufen, dem ich nicht vertraue?“

„Was wollen Sie damit andeuten?“, fragte Charlotte ärgerlich. Crispin Heaven brachte sie langsam zur Weißglut.

Damon versuchte die Situation etwas zu beruhigen. „Ich sagte Ihnen doch schon, mein Bruder liebt seine Pferde, Miss Dowell.“

Doch Charlotte ging nicht auf ihn ein. „Ich kann Ihnen versichern, dass die Pferde von Mr Wallady bestens versorgt sind. Sie haben helle Boxen und Bewegung.“

Crispin stützte sich mit den Ellenbogen auf die Tischplatte und drehte den Kopf in ihre Richtung. Für einen Moment hatte sie den Eindruck, er starre sie an – was natürlich nicht sein konnte.

„Das heißt überhaupt nichts“, sagte er schlicht. „Es kommt doch darauf an, was jemand für eine innere Einstellung hat. Ich glaube, Arthur Wallady will lediglich besitzen. Geld, Macht, schöne Pferde ... schöne Frauen. Er ist kein Geschäftspartner für mich.“

Charlotte schnappte nach Luft. „Sie täuschen sich, Mr Heaven.“ Ein spöttisches Grinsen umspielte seinen fein geschnittenen Mund.„Mag sein, Miss Dowell.IhreErfahrung mit Wallady habe ich sicher nicht.“

Wütend starrte Charlotte ihn an. Sie war sprachlos, ob dieser unverschämten Andeutung. Mit blitzenden Augen sah sie zu Damon hinüber, der nur hilflos mit den Schultern zuckte.

Was war dieser Crispin Heaven für ein ungehobelter Klotz! Soviel Arroganz hatte sie ihm nicht zugetraut. Und obwohl ihre psychologische Seite ihr riet, sich wieder zu beruhigen und herauszufinden, warum Crispin Heaven derartig unverschämt auftrat, bekam sie ihre Gefühle nicht wieder in den Griff.

Ruckartig stand sie vom Tisch auf. „Ich glaube, ich werde mich jetzt verabschieden.“ Ihre Stimme klang heftiger, als sie geplant hatte. Doch auch das schien jetzt egal.

Damon sprang nun ebenfalls von seinem Stuhl auf und begleitete sie nach draußen.

„Wollen Sie es sich nicht noch einmal überlegen?“ Seine Stimme war so verführerisch, dass Charlotte fast schwach geworden wäre. Lange sah sie in sein hübsches Gesicht, sah den vertrauenswürdigen Ausdruck in seinen Augen – doch sie schüttelte energisch den Kopf.

„Ich danke Ihnen für Ihre freundliche Einladung. Doch mein Auftrag ist mit der Ablehnung Ihres Bruders beendet.“

„Ich muss mich wirklich entschuldigen, Miss Dowell. Gestatten Sie mir, Sie vielleicht noch einmal privat einzuladen? Ich werde mich bestimmt nicht so unhöflich verhalten – ich verspreche es.“ Damon grinste sie an wie ein Schuljunge, und schließlich konnte Charlotte nicht mehr ablehnen. Er hatte sie völlig in seinen Bann gezogen.

„Okay, Mr Heaven.Ich überlege es mir. Sie können mich unter dieser Nummer im Büro erreichen.“ Sie zog ein kleines Kärtchen aus ihrer Manteltasche.

Damon nahm es ihr aus der Hand. Er begleitete sie bis zu ihrem Wagen.

„Kommen Sie gut nach Hause, Miss Dowell.“

Sie nickte irritiert. Hatte sich das Lächeln in Damon Heavens Gesicht verändert?

Damon kehrte ins Haus zurück, als er Charlottes Wagen nicht mehr sehen konnte. Er baute sich dicht vor Crispin auf und starrte ihn an. Dieser sog seinen Geruch in sich auf.

„Du riechst anders als ich“, stellte Crispin fest.

Damon lachte leise. „Noch ein Unterschied.“ Seit ihrer Kindheit hatten er und Crispin es als Spiel betrachtet, ihre Unterschiede herauszufinden. Er sah Crispin einen Moment lang abschätzend an, dann schüttelte er den Kopf.

„Crispin – darf ich dich mal was fragen?“

„Ja?“

„Warum lässt du jede Frau derart abblitzen? Du machst damit nichts ungeschehen.“

Crispin zuckte zusammen, als hätte Damon ihn geschlagen.

„Es war meine verdammte Schuld“, sagte er tonlos.

Damon wusste natürlich sofort, was er meinte. „Aber es ist schon drei Jahre her!“, rief er aufgebracht.

„Wenn ich nicht so verrückt gewesen wäre, würde sie noch leben, Damon.“

„Mein Gott, Cris – du kannst dich nicht dein ganzes Leben lang dafür bestrafen. Es ist doch wirklich Buße genug, dass du nicht mehr sehen kannst.“

„Ich habe sie umgebracht.“ Crispin schluckte hörbar.

Damon nahm ihn fest in den Arm. „Nein, Crispy, tu’ mir das nicht an. Du weißt, dass ich sofort mitheule, wenn du anfängst zu weinen. – Es tut mir so Leid. Ich möchte dir nicht wehtun.“

Crispin schluckte noch einmal und holte tief Luft. Dann ließ er seinen Kopf an Damons feste Schulter sinken.

„Nein, du hast Recht, Damon. Natürlich hast du Recht, aber ich kann einfach nicht. Verstehst du das?“

Zärtlich fuhr Damon ihm durch das dichte schwarze Haar. „Nein, das kann ich nicht verstehen. Ich ... ich möchte dir doch nur helfen.“

„Ich weiß. – Mein Gott, ich bin so froh, dass ich dich habe“, sagte Crispin leise.

Damon drückte ihm einen festen Kuss auf die Stirn. „Ich bin auch froh, dass ich dich habe.“

Sie schwiegen eine Zeitlang. Dann sagte Damon: „Und – wirst du ihr noch eine Chance geben?“

Crispin zögerte einen Moment. „Ja“, sagte er schließlich leise. „Und wenn ich es nur für dich tue. Aber – ich werde ihr kein Pferd verkaufen.“

 3

Der Himmel hatte sich verändert, von einem schmutzigen Grau zu einem gräulichen Weiß, einem richtigen Winterweiß. Die ersten Schneeflocken tanzten vor ihrer Fensterscheibe. Die, die es nicht bis zum Boden schafften, schmolzen auf der von der Heizungsluft angewärmten Scheibe. Im Vorgarten auf dem Rasen bildete sich bereits ein dünner weißer Film.

Charlotte wärmte ihre kalten Hände an einer heißen Tasse Tee. Ihre Gedanken tanzten draußen gemeinsam mit den Schneeflocken, suchten Antworten auf Fragen, die sie noch nicht einmal formuliert hatte.

In ihrem Innern rumorte es, irgendetwas lag wie ein Stein in ihrem Magen. Arthur hatte sie heute morgen angerufen und zum Essen eingeladen. Natürlich hatte sie zugesagt, aber irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas schien nicht richtig, und das beunruhigte Charlotte.

Ihre Begegnung mit den Heaven Brüdern lag nun schon fünf Tage zurück, aber sie wusste, dass es genau diese Begegnung war, die sie zunehmend in Verwirrung stürzte. Sie versuchte etwas Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Warum nur fühlte sie sich so stark zu ihnen hingezogen? Crispin Heaven hatte sich unmöglich benommen, doch Damon war außerordentlich charmant gewesen. Sie wusste, dass er sie mochte – auch wenn er sich bisher nicht wieder gemeldet hatte.

Charlotte starrte aus dem Fenster. Mittlerweile hatte sich eine dichte Schneedecke auf dem Rasen gebildet. Würde es so weiterschneien, käme sie sicher in ein paar Stunden nicht mehr mit dem Wagen in die Stadt. Diese Vorstellung versetzte sie in eine heitere Stimmung. Denn wenn kein Auto mehr fahren konnte, dann lag ein gemütlicher Tag und vor allem ein gemütlicher Abend mit einem guten Buch vor ihr.

Ihre Gedanken wanderten zurück zu den Heaven Brüdern. Und – was Charlotte sich nicht eingestehen wollte, sie sah Crispin, nicht den charmanten Damon vor ihrem inneren Auge. Es war Crispin, der ungehobelte Kerl, der sie faszinierte, und das machte sie nicht gerade glücklich. Sie versuchte, ihr Interesse als „Berufskrankheit“ auszulegen. Schließlich war Crispin ein extrem schwieriger Mensch, der sicherlich große Probleme mit seiner Behinderung hatte. Und es war immerhin ihr Job, die Probleme anderer Menschen aufzudecken und mit ihnen gemeinsam zu lösen. Vielleicht sollte sie noch einmal mit Damon Heaven sprechen? Vielleicht brauchte Crispin wirklich professionelle Hilfe? Und das wäre außerdem eine gute Gelegenheit, bei Damon anzurufen. Vielleicht ...

Das Läuten des Telefons unterbrach ihre Gedanken.

„Ja?“

„Charlotte? Ich bin es, Arthur.“

Sie seufzte innerlich.

„Es fängt gerade an, zu schneien. Daher dachte ich, wir sollten uns jetzt schon treffen, bevor nachher kein Auto mehr fahren kann. Macht es dir was aus, etwa in einer Stunde fertig zu sein? Ich hole dich dann ab.“

Sein Vorschlag klang – wie üblich – wie eine Anweisung. Aber Charlotte fand Arthur nicht unsympathisch; auch seine autoritäre Seite nicht. Und außerdem war er ihr Chef.

„Das ist gar kein Problem. Ich bin in einer Stunde fertig.“

Vor ihrem inneren Auge sah sie Arthurs zufriedenen Gesichtsausdruck. „Freut mich. Bis gleich dann.“

4

Crispin tippte mit den Fingerkuppen auf seine Schreibtischplatte. Er hatte ihre Nummer bereits im Kopf. Damon hatte sie ihm oft genug gesagt. Er hatte ihn richtig gehend genervt damit. Schließlich gab er sich einen Ruck. Das Wählen bereitete ihm keine Schwierigkeiten, die einzelnen Tasten waren mit verschiedenen Tönen unterlegt.

„Charlotte Dowell, Wallady Consulting – was kann ich für Sie tun?“

Ihre Stimme klang energisch und weiblich am Telefon. Sie rief Erinnerungen in ihm wach, die er lieber vergessen wollte. Er musste einmal tief durchatmen, ehe er sich meldete.

„Crispin Heaven.“

„Oh“, sagte Charlotte kühl. „Was verschafft mir die Ehre?“

„Ich ... ich wollte mich eigentlich nur entschuldigen.“ Es fiel ihm schwer, das auszusprechen. Er war niemand, der sich gern entschuldigte.

Erstaunt zog Charlotte die Augenbrauen hoch. Woher kam nun dieser Sinneswandel?

„Ich habe mich neulich nicht besonders gut benommen. Vielleicht geben Sie mir noch eine Chance?“

Charlotte räusperte sich. Sie war völlig durcheinander. „Wollen Sie die Stute jetzt doch verkaufen?“

„Nein!“ Die Antwort kam heftig, aber Crispin hatte sich sofort wieder unter Kontrolle. „Aber vielleicht ...“ Er überlegte kurz. Er wollte auf keinen Fall, dass es wie eine Einladung zu einemDateklang, „ ... kann ich Ihnen mit irgendetwas eine Freude machen. – Mögen Sie Pferde? Und können Sie reiten?“

„Ja“, sagte Charlotte erstaunt.

„Haben Sie Lust, eines meiner Pferde zu reiten? – Wir könnten uns mal treffen, wenn es Ihnen passt.“

Charlotte zögerte. Das Angebot war verlockend, aber ihre innere Stimme warnte sie.

„Sind Sie noch dran?“

„Ja, ja natürlich. – Ich nehme Ihr Angebot an. Es ist bestimmt schon ein oder zwei Jahre her, dass ich auf einem Pferd gesessen habe. Also – erwarten Sie keine Meisterleistungen von mir.“

Crispin lächelte. „Keine Angst. – Was halten Sie von morgen Nachmittag?“

„Ja, gegen vier Uhr könnte ich da sein.“ Charlotte versuchte, ihre Begeisterung zurückzuhalten. Er musste nicht wissen, wie sehr sie sich über seine Einladung freute.

Als sie aufgelegt hatte, atmete Cris tief durch. Auf was hatte er sich da bloß eingelassen? War es wirklich klug gewesen, auf Damons Drängen zu reagieren? Wollte er Charlotte treffen? Und –konnteer das wirklich?

Auch Charlotte atmete tief durch. Crispin Heaven hatte tatsächlich angerufen, um sich zu entschuldigen. Sie hatte nicht damit gerechnet, noch einmal von ihm zu hören. Und er hatte sie eingeladen!

Sie lehnte sich gedankenverloren in ihrem Schreibtischsessel zurück. Vielleicht würde sie auch Damon sehen. Die Aussicht, die Heaven Brüder wieder zu treffen, erfüllte sie mit einer seltsamen Vorfreude.

Plötzlich öffnete sich ihre Bürotür, und Arthur Wallady marschierte herein. Da er nicht angeklopft hatte, erschrak Charlotte heftig, als er vor ihr stand.

„Arthur – du hast mich vielleicht erschreckt“, stammelte sie und versuchte, sich wieder zu sammeln.

Arthur Wallady lächelte entschuldigend, doch sein Lächeln wirkte eher, als fletsche er die Zähne.

„Das tut mir Leid, meine liebe Charlotte. Wo warst du bloß wieder mit deinen Gedanken?“

„Bei der Arbeit natürlich“, sagte sie und wandte sich wieder ihren Unterlagen zu. Sie wusste, dass er sie nur aufzog.

Wallady trat näher. Er war so groß und massig, dass er mühelos ihr Büro ausfüllte.

„Ich habe mich gefragt, ob du morgen Nachmittag vielleicht Lust hättest, mit mir in den Golfclub zu kommen.“

Charlotte spürte wie ihr Herz einen Aussetzer hatte. Ausgerechnet morgen! Sie schenkte Wallady ein strahlendes Lächeln. „Lust schon – nur leider keine Zeit. Ich habe bereits einen anderen Termin.“

Walladys Miene verdüsterte sich kaum merklich. „Und dieser Termin kann nicht verschoben werden?“

Charlottes Herz raste. „Nein, leider nicht. Es tut mir wirklich Leid.“

Aus irgendeinem Grund wollte sie ihm nicht sagen, mit wem sie sich verabredet hatte. Und sie fühlte sich dabei, als würde sie ihn betrügen.   

 Pünktlich um vier Uhr betrat Charlotte den hellen, luxuriösen Pferdestall mit einem Kribbeln im Bauch. Und sie wusste genau, dass es nicht die Befürchtung vor einer Blamage war, die sie so empfinden ließ. Sie blickte die Stallgasse hinauf und sah einen sehr schlanken, femininen Mann eine kleine braune Stute putzen. Er bemerkte sie und sagte: „Hallo – Sie sind Charlotte Dowell?“

Sie lächelte ihn an. „Ja.“ Sie trat näher.

„Ich bin Justin. Hier – dieseHübschehat Crispin für Sie auserkoren. Sie hat wundervolle Gänge.“ Liebevoll tätschelte er den Hals der Stute.

Charlotte sah das Pferd an und dann wieder Justin. Wie alt mochte er sein – 17 oder 18? Er war ungewöhnlich hübsch und zierlich, kleiner als sie.

„Arbeiten Sie hier?“

Justin nickte lächelnd. „Könnte man so sagen. Es ist ein Traumjob – das können Sie mir glauben.“

Er verschwand in der Sattelkammer und kehrte mit Sattel und Trense zurück.

„Ist Mr Heaven schon in der Reithalle?“

Justin nickte. Dass sieMr Heavensagte, irritierte ihn. Aber er war sowieso verwundert, dass Crispin einer fremden Frau sein Pferd zur Verfügung stellte.

Er nahm die Stute am Zügel und begleitete Charlotte in die Reithalle.

„Bleiben Sie hier? Ich meine, falls ich Ihre Hilfe benötigen sollte?“, fragte Charlotte und lächelte ein wenig unsicher.

Justin zuckte mit den Schultern. „Wenn Sie möchten ...“

Kameradschaftlich half er Charlotte in den Sattel. Sie lachte über ihre kleine Unbeholfenheit.

Crispin trabte zu ihr hinüber. Sie hatte ihn noch gar nicht richtig bemerkt, so beschäftigt war sie mit sich selbst gewesen.

„Wie schön, Ihr Lachen zu hören, Miss Dowell.“

Charlotte errötete. Bewundernd starrte sie zunächst den großen Rappen, dann seinen Reiter an. Crispin sah unverschämt gut aus, wenn ihn auch nicht die ansteckende Heiterkeit seines Bruders umgab. Und er hatte offensichtlich auch eine charmante Seite.

Justin beobachtete die Szene stirnrunzelnd und verließ dann die Reitbahn, um sich auf die Tribüne zu setzen. Er konnte sich keinen Reim auf diese Situation machen.

„Es ist so schön, wieder auf einem Pferd zu sitzen“, sagte Charlotte. Und Crispin hörte an ihrer Stimme, dass sie es ernst meinte.

„Darf ich Sie fragen, was Sie zu diesem Meinungsumschwung veranlasst hat?“

„Meinungsumschwung?“

Sie versuchte, neben Crispin herzureiten. „Ja, ich habe nicht damit gerechnet, wieder von Ihnen zu hören.“

Er zuckte mit den Schultern und schwieg.

„Ich finde es wirklich faszinierend, dass sie, trotz Ihrer Erblindung, so gut reiten können.“

Crispin spannte sich leicht an. „Ich konnte schon vorher reiten. Und – die Pferde sehen für mich. Sie haben ein ungewöhnliches Gespür für solche Dinge.“ Er lächelte schmal. „Zumindest meine Pferde. Ich behalte nur die, die sich als sensibel genug erweisen.“

Charlotte sah ihn interessiert von der Seite an. Ob er die gleichen Ansprüche an Menschen stellte? Sie trabte an, die Stute war wirklich sehr leicht zu sitzen. Sie atmete innerlich auf. Vor Crispin hätte sie sich nicht blamieren können, aber immerhin saß Justin noch auf der Tribüne und beobachtete sie aufmerksam. Und irgendetwas an dem Jungen beunruhigte sie zutiefst.

Als Charlotte schließlich abstieg, spürte sie den heranziehenden Muskelkater in ihren Oberschenkeln. Justin nahm ihr das Pferd ab.

„Kaputt?“, fragte er grinsend. Sein Lächeln war seltsam anzüglich.

Sie nickte vorsichtig.

Crispin betrat hinter ihnen die Stallgasse, seinen Schwarzen locker am Zügel führend.

„Ich hoffe, damit habe ich Sie für mein Benehmen entschädigt“, sagte er kühl.

Charlotte trat auf ihn zu. „Es hat mir wirklich viel Spaß gemacht, mal wieder auf einem Pferd zu sitzen. – Ich frage mich allerdings noch immer, warum Sie mich dazu eingeladen haben.“

Crispin zuckte nichtssagend mit den Schultern. Was hätte er auch sagen sollen? Dass Damon ihn fast dazu gezwungen hatte? – Aber das wäre auch nicht die volle Wahrheit gewesen. Vielleicht mochte er Charlotte – und in ihrer Gegenwart fühlte er sich nicht so unwohl wie in der Gesellschaft anderer Menschen. Er konnte sie sich sogar vorstellen, erwussteaus irgendeinem Grund, wie sie aussah!

Leise pfiff er durch die Zähne und im nächsten Augenblick erschien der riesige schwarze Schäferhund an seiner Seite. Zärtlich kraulte Crispin ihn im Nacken.

„Na, Spooky?“

Justin kam und nahm Crispin die Zügel aus der Hand, um den Rappen abzutrensen und abzusatteln.

„Spooky?“, fragte Charlotte und starrte fasziniert auf den großen Hund mit dem dichten, kohlrabenschwarzen Fell.

„Es hört sich merkwürdig an, wie Sie das sagen“, stellte Crispin stirnrunzelnd fest. „Haben Sie Angst vor Hunden?

Sie zögerte. „Nicht direkt. Aber vor Ihrem Hund ist schon. Respekt einflößend“, gab sie zu. „Der Name passt wirklich sehr gut zu ihm.“

„Ich wusste nicht, dass er auf andere Menschen so einen Eindruck macht. Ich habe ihn nie gesehen.“ Crispin lächelte wieder, es wirkte allerdings nicht besonders freundlich. „Sein Name ...“ Er nickte nachdenklich. „Seine Ausbilder erzählten mir, dass sie von seiner Lernfähigkeit so überrascht waren, dass sie es geradezu unheimlich fanden. Kurzerhand tauften sie ihn um. Und – er reagierte sofort auf seinen neuen Namen.“

Charlotte runzelte die Stirn. „Ein außergewöhnlicher Mann braucht auch einen außergewöhnlichen Hund“, sagte sie schließlich.

Crispin wandte sich ihr zu. „Finden Sie mich außergewöhnlich ... oder – unheimlich?“