24 Küsse bis Weihnachten - Donna Ashcroft - E-Book
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24 Küsse bis Weihnachten E-Book

Donna Ashcroft

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Beschreibung

Wenn die Schneeflocken fallen, ist es Zeit, das erste Türchen zu öffnen und dich zu verlieben

Holly Devines Herz wurde gebrochen und das ausgerechnet von ihrer Zwillingsschwester und ihrem Freund. Völlig aufgelöst flieht sie zu ihrer Tante, die in einem gemütlichen Cottage auf einer kleinen Kanalinsel lebt. Der perfekte Ort, um sich vor der Welt zu verkriechen. Doch Tante Clara hat eine bessere Idee. Mit ihren Freundinnen bastelt sie für Holly einen ganz besonderen Adventskalender. Hinter jeder Tür verbirgt sich eine Aufgabe. Erstes Türchen: Holly muss sich ein Date suchen! Der attraktive Inhaber des Pubs, Finn Jackson, scheint genau der Richtige. Schon bald kann Holly wieder lachen. Doch wird es ihr auch gelingen, alle Aufgaben bis Weihnachten zu erfüllen und die Liebe wieder in ihr Leben zu lassen?

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Seitenzahl: 409

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Das Buch

Holly Devines Herz wurde gebrochen und das ausgerechnet kurz vor Weihnachten. Völlig aufgelöst flieht sie zu ihrer Tante, die in einem gemütlichen Cottage auf einer kleinen Kanalinsel lebt. Der perfekte Ort, um sich vor der Welt zu verkriechen. Doch Tante Clara hat eine bessere Idee und bastelt für Holly einen ganz besonderen Adventskalender. Jeden Tag muss Holly eine Aufgabe lösen. Als Erstes braucht sie ein Date. Der attraktive Inhaber des Pubs, Finn Jackson, scheint genau der Richtige. Schon bald kann Holly wieder lachen. Doch wird es ihr auch gelingen, alle Aufgaben bis Weihnachten zu erfüllen und die Liebe wieder in ihr Leben zu lassen?

Die Autorin

Donna Ashcroft wuchs in Buckinghamshire auf und arbeitete lange als Werbetexterin, bevor sie das Schreiben zum Beruf machte. 2017 gewann sie das Katie-Fforde-Stipendium. Donna liebt romantische Geschichten mit einer Prise Weihnachtszauber. Heute lebt sie in Hertfordshire mit ihrem Mann, ihren zwei Kindern und einer Bande sehr mürrischer Katzen. 24 Küsse bis Weihnachten ist ihr erster Roman bei Heyne.

DONNA ASHCROFT

ROMAN

Aus dem Englischen von Milena Schilasky

WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe The Christmas Countdown erschien erstmals 2019 bei Bookouture, London.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstausgabe 09/2021

Copyright © 2019 by Donna Ashcroft

Copyright © 2021 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Evelyn Ziegler

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

unter Verwendung von HUBER IMAGES / Tom Mackie;

Gettyimages / Kim Hudson; FinePic®, München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-26765-0V001

www.heyne.de

Für meine Mum und meinen Dad – Danke für alles

Kapitel 1

Holly Devine wischte sich eine Träne aus dem Gesicht, während sie den schneebedeckten Weg zum Haus ihrer Tante Clara entlangstapfte, wobei sie aufpassen musste, nicht auszurutschen. Der Schnee war so tief, dass ihr schwarzer Koffer – den sie wenige Stunden zuvor hastig gepackt hatte – stecken blieb und sie nach hinten riss. Sie versuchte noch, irgendwie das Gleichgewicht zu halten, doch ihre Füße rutschten weg, sie ließ den Griff des Koffers los und purzelte nach hinten. Die Beine vor sich ausgestreckt, landete sie mit einem lauten, dumpfen Rums im Schnee. »Autsch«, jammerte sie, als ihr Hintern aufkam, das eiskalte Nass durch ihren Mantel sickerte, und ihr sofort noch kälter wurde, als ihr sowieso schon war. »Das war ja klar! Der perfekte Abschluss für den perfekten Tag«, murmelte sie, wischte sich eine weitere Träne von der Wange und schaute zitternd zu den weißen Stufen vor dem Eingang des Beach Cottages. Im vorderen Zimmer brannte kein Licht, aber sie konnte einen Weihnachtsbaum darin ausmachen, der jede Menge Harmonie und Festtagsstimmung in dem gemütlichen Raum verbreitete. Als würde er sie verspotten.

In ihrer schwarzen Handtasche klingelte ihr Handy. Sie kramte es heraus und erkannte die Nummer sofort – Lucinda Devine, ihre Schwester. Sie lehnte den Anruf ab. Dann rappelte Holly sich wieder auf und brachte, leicht humpelnd, die letzten paar Schritte zum Haus hinter sich. Sie drückte die Klingel und trat etwas nach hinten, um die exzentrische lila Eingangstür, gerahmt von der weißen Steinfassade, zu bewundern. Die Eingangstür lag mittig, zu beiden Seiten Bleiglasfenster und darüber ein Reetdach, das noch über die Veranda ragte. Holly war früher oft hier zu Besuch gewesen, hatte ihre Tante allerdings schon seit ihrem vierundzwanzigsten Geburtstag vor drei Jahren nicht mehr gesehen. Komisch, dass es dennoch genau dieser Ort war, an den es sie heute gezogen hatte, als ihr gesamtes Leben zusammengebrochen war.

Sie drückte gerade ein zweites Mal die Klingel, als sie die schwarze Katze entdeckte, die sich den Weg heraufschlängelte und dabei winzige Abdrücke im glitzernden Schnee hinterließ.

»Cleopatra?«, Holly bückte sich, um das weiche Fell der Katze zu streicheln, bevor sie den Gürtel ihres dunkelblauen Mantels noch enger zog. Normalerweise hätte sie noch eine Mütze, einen Schal und Handschuhe übergezogen, aber sie war so überstürzt aus Guildford abgehauen, dass ihr keine Zeit geblieben war, richtig zu packen. Auf einmal schoss die Katze wieder davon, am Haus entlang, und huschte durch das Eisentor in den hinteren Garten. Nach einem letzten kurzen Blick auf die Haustür folgte Holly der Katze.

Im Sommer blühten im Garten von Tante Clara jede Menge Astern, Chrysanthemen, Gänseblümchen, Lavendel, Sonnenblumen und Maiglöckchen, die zusammen eine wunderschöne bunte Einfassung des grünen Rasens formten. Jetzt hatte sich allerdings über alles eine dicke Decke aus Schnee gelegt, wodurch der Garten beinahe etwas Magisches bekam. Winzige pinke, weiße und blaue Lichtreflexe funkelten in der Dunkelheit und wiesen den Weg über das Grundstück hin zu Claras riesiger Gartenhütte, alias dem Gin Palace. Von den Fenstern ging ein schwaches Leuchten aus, es war also jemand in der Hütte. Als sie näher kam und die Holzveranda vor der Hütte betrat, hörte sie sogar Musik und Gelächter. Einen Moment lang hielt sie inne, fragte sich, ob sie heute wirklich vor noch eine Gruppe Fremder treten wollte. Diese Entscheidung wurde ihr allerdings kurzerhand abgenommen, denn die Tür vom Gin Palace schwang plötzlich auf und vor ihr stand Clara Devine. Obwohl sie bereits neunundsechzig war, kleidete sich Hollys Tante ziemlich modern. Sie trug einen stilvollen aquamarinfarbenen Hosenanzug, die feinen weißen Haare lagen wie immer perfekt.

»Holly!«, auf Claras Gesicht breitete sich ein freundliches, einladendes Lächeln aus. Hinter der rot gerahmten Brille leuchteten ihre strahlend blauen Augen. »Im Gästezimmer steht schon alles für dich bereit, ich habe mich direkt nach deinem Anruf darum gekümmert. Ich bringe dich sofort hin, aber komm doch kurz rein und sage allen Hallo. An ein paar Leute erinnerst du dich sicher noch von früher. Es ist ja eiskalt hier draußen!« Sie machte einen Schritt zur Seite, um Holly vorbeizulassen, und schloss danach eilig die Tür.

Der Gin Palace wirkte ein wenig wie der TARDIS von Doctor Who. Von draußen sah die Gartenhütte allerhöchstens unscheinbar aus – Steinmauern, Schieferdach und Holzveranda –, aber von innen war sie beeindruckend. Wenn man reinkam, befand sich links eine gut ausgestattete Küchenzeile mit Schränken voller Lebensmittel. Schiebetüren aus Glas trennten die Küchenzeile vom Wohnbereich ab. Hier standen mehrere hohe und aufwendig verkleidete Regale mit runden Griffen. In der Mitte ein riesiger Esstisch aus Eichenholz, an dem vier Frauen auf weißen Holzstühlen mit den obligatorischen selbst gehäkelten Kissen saßen, alle etwa in Claras Alter. Vor jeder einzelnen stand ein recht großzügiges Glas mit Gin. Zwei von ihnen tranken gerade, während die anderen beiden strickten. Auf dem Teppichboden stand ein offener Plattenspieler, aus dem Tom Jones’ Sex Bomb ertönte, wozu Clara im Takt durch den Raum tänzelte.

»Das hier ist Holly, die Tochter meines Bruders. Sie ist meine absolute Lieblingsverwandte – wahrscheinlich, weil sie die einzige ist, die noch nicht gedroht hat, mich zu verstoßen.« Lachend hakte Clara sich bei Holly ein und zog sie mit zu den anderen. »Das, und weil sie eine geniale Designerin ist – die Beste aus ihrem Jahrgang.« Clara zeigte durch den Raum. »Die da, mit dem kurzen rotbraunen Bob, die gerade zur Bar geht, um dir einen Drink zu machen, das ist Dee Walker.« Die Frau – die übrigens wie Anfang fünfzig aussah und kaum über eins sechzig groß war, Holly also höchstens bis zum Kinn ging – kippte etwa eine halbe Flasche Gin in ein bauchiges Glas, bevor sie noch einen Schuss Tonic und ein paar Eiswürfel dazutat. »Dee vollbringt wahre Wunder in der Küche, sie arbeitet im Sunshine Hideaway, einer traumhaften kleinen Pension eineinhalb Kilometer von hier.«

»Nicht alles auf einmal trinken.« Dee reichte Holly das Glas und lächelte ihr zu, bevor sie sich wieder an den Tisch setzte. Sie nahm neben einer Frau Platz, die man genauso gut für einen Regenbogen hätte halten können, in ihrer pink, gelb und rot gestreiften Jacke in Kombination mit einer dunkelgrünen Leggings. Die Haare pechschwarz und die Wangen rosa.

»Das ist Madge Fernsby. An sie erinnerst du dich vielleicht noch, sie ist kurz vorbeigekommen, als du das letzte Mal zu Besuch warst«, erklärte Clara, während Madge winkte, ohne dabei das Stricken zu unterbrechen. »Madge und ich haben gleichzeitig bei der Sunflower Island Oberschule aufgehört. Sie hat Kunst unterrichtet, außerdem weiß sie alles über die Leute hier und liebt es, Sachen auszuplaudern. Neben ihr sitzt noch die wunderbare Sally Loughty, unsere Schottin in der Runde. Sie ist erst letztes Jahr nach Sunflower Island gekommen. Sally hat in der Number 10 Downing Street gearbeitet.« Clara tippte sich seitlich an die Nase. »Man munkelt, sie war mal eine Spionin.«

Die blasse Frau mit den feinen Gesichtszügen nahm noch einen Schluck von ihrem Getränk, bevor sie grinste. Sie trug einen Turban mit Leopardenmuster, unter dem krauses, graues Haar hervorguckte. Ihr Hals wurde beinahe komplett von einer dicken schwarzen Kette verdeckt. Sallys helles Lachen füllte den ganzen Raum mit seinem Singsang. »Ein Gerücht, das ich weder bestätigen noch leugnen werde. Schön, dich kennenzulernen, Holly. Ich bin schon gespannt, ob der Apfel in deinem Fall wohl weit vom Stamm gefallen ist, oder eher nicht.« Sie streckte Holly eine mit zig silbernen Ringen geschmückte Hand entgegen, die Holly schüttelte, während sich ihr der Magen zusammenzog.

»So wie sich das anhört, bin ich nicht ansatzweise so faszinierend wie Tante Clara – oder der Rest von euch«, gab Holly betrübt zu. Sie stellte ihren Koffer neben einem kleinen Heizlüfter ab, bevor sie einen Schluck von ihrem Gin nahm, bei dem ihr beinahe die Luft wegblieb, so stark war er.

»Das entscheiden immer noch wir. Setz dich, ich bin Jade Kirby. Wir kennen uns noch nicht.« Die elegante Frau mit dem wilden pinken Pixie-Haarschnitt legte ihr Strickzeug beiseite und wies auf den freien Stuhl neben sich. Sie hatte, was Lucinda einen »vorteilhaften« Knochenbau nannte, und Beine, um die sie jede Giraffe beneidet hätte. Diese präsentierte sie in einer lockeren blassblauen Yogahose. »Wir sind die Crew vom Women’s Institute, nur Beth Middleton fehlt heute. Sie ist vierundzwanzig und das Küken in unserer Runde. Ihre Tochter hat heute Geburtstag, deswegen ist sie schon den ganzen Tag von Vierjährigen umzingelt und konnte leider nicht kommen. Nächstes Mal lernst du sie dann kennen.« Als Holly sich setzte, klopfte Jade ihr sanft auf die Schulter. »Du siehst aus, als hättest du einen harten Tag hinter dir.«

Holly wischte sich über die Augen, die wahrscheinlich immer noch vom Weinen gerötet waren. Im Zug von Guildford zur Südküste hatte sie kurz ihr Make-up überprüft und feststellen müssen, dass ihr Mascara komplett verlaufen war. Nur jede Menge Schrubben hatte da noch geholfen. Kurz bevor sie auf die letzte Fähre über den Ärmelkanal nach Sunflower Island geschlittert war, hatte sie noch schnell Mascara nachgelegt, aber das meiste davon war inzwischen schon wieder verwischt. »Ich hatte schon bessere Tage.« Holly nahm noch einen Schluck Gin, der sie diesmal sanft von innen wärmte.

»Willst du darüber reden?«, Clara setzte sich dazu und schaute sie ernst an.

»Ich wüsste nicht mal, wo ich anfangen soll.« Holly trank noch einen großen Schluck Gin. Er war wirklich gut. Inzwischen aufgewärmt, löste sie den Gürtel ihres Mantels und schlüpfte heraus. Sie spürte, wie sie sich direkt ein wenig entspannte.

»Warst du auf einer Beerdigung?«, mutmaßte Clara mit Blick auf Hollys schwarzes Kleid. Sofort begann Holly unwohl auf ihrem Stuhl hin und her zu rutschen und fing an, ihren Zopf zu betasten. Vor ein paar Stunden noch hatte Holly das Kleid als perfektes Outfit für die Party ausgesucht. Es war schon alt, sie konnte gar nicht mehr genau sagen, wie viele Jahre sie das Kleid schon besaß, aber das Design war klassisch und das Material praktisch, es knitterte nie. Das Kleid reichte bis knapp über die Knie, sehr unschuldig, und der Ausschnitt nicht ganz bis zum Schlüsselbein zeigte vorteilhaft ihren zierlichen weißen Hals. Holly sah an sich hinab, zu den flachen schwarzen Pumps. Sie waren gemütlich. Selbst nach einem langen Abend taten ihre Füße nicht weh, aber sie waren auch nicht so schön wie die glitzernden roten High Heels, die ihre Schwester heute getragen hatte. Was war nur aus ihr geworden? Sie musste schlucken. Noch vor ein paar Jahren hätte sie irgendwas Farbenfrohes, Ausgefallenes angezogen.

»Wir hatten Weihnachtsfeier im Büro. Dad hält die gern etwas früher ab, weil in der Design Agentur im Dezember immer so viel zu tun ist.«

»Oh.« Clara nickte, presste dabei aber ihre Lippen leicht zusammen. »Und die Feier war nicht gut?«, sie nippte an ihrem Drink und lud Holly ein, das Gleiche zu tun.

Holly gehorchte. »Nicht wirklich. Ich …«, sie schloss ihre Augen, öffnete sie aber schnell wieder, als die Bilder, die sie schon den ganzen Abend versuchte zu vergessen, erneut hochkamen. Sie konnte es einfach nicht fassen. Selbst die lange Fahrt nach Sunflower Island hatte den Schock nicht gemindert. Oder besser gesagt: den unbeschreiblichen Schmerz und die Scham. Sie trank noch einen Schluck.

»Was ist passiert?«, fragte Jade vorsichtig.

Clara schüttelte den Kopf.

»Ich schätze, es hat mit Lucinda zu tun?« Anspannung klang in der Stimme ihrer Tante mit. Ihre Abneigung gegen Hollys Zwillingsschwester konnte Clara nicht besonders gut verbergen. »Und was ist mit deinem Freund, dem Italiener – Marcel Manero, oder? Was ist mit ihm?«

Holly schloss ihre Augen, während eine einzelne Träne über ihre Wange kullerte. »Der steht wahrscheinlich noch unter dem Mistelzweig und hat seine Zunge in Lucindas Hals.«

Darauf folgte ein kurzes Schweigen, bevor alle Frauen anfingen durcheinanderzureden und Holly sich müde tiefer in ihren Stuhl sinken ließ. Die Frauen wirkten alle entsetzt, und in ihren Blicken fehlte jegliche Art der Verurteilung oder gar Kritik, wie Holly sie heute in den Gesichtern ihrer Kollegen gesehen hatte.

»Deine Schwester hat deinen Freund geküsst?«, hakte Clara überrascht nach. »Und Marcel hat den Kuss erwidert?«

Holly zuckte mit den Schultern. »Anscheinend treffen sie sich schon seit Wochen.« Marcel hatte sofort alles gestanden, als Holly die beiden erwischt hatte. Holly musste schlagartig an die vielen Abende denken, an denen er sie angerufen hatte, um ihr abzusagen, weil er angeblich viel zu viel zu tun hätte. Und die ganze Zeit über traf er sich in Wahrheit mit Lucinda? Holly wohnte zwar mit ihrer Zwillingsschwester zusammen, doch sie waren nur selten beide gleichzeitig zu Hause.

»Ich wusste ja, dass deine Schwester recht egoistisch geworden ist, aber ich hätte nie gedacht, dass sie derart kaltherzig sein kann«, gab Clara zu, die ihre Wut nicht zurückhalten konnte.

Beinahe hätte Holly ihre Schwester in Schutz genommen. Eine Angewohnheit, die sich über siebenundzwanzig Jahre so gefestigt hatte, dass es schon reflexartig passierte. Diesmal konnte sie sich allerdings noch nicht ganz dazu durchringen, ihr alles zu verzeihen. Wieder klingelte ihr Handy in ihrer Tasche, und sie zog es heraus. Auf dem Display schrie Lucindas Name leuchtend nach Aufmerksamkeit, bevor Clara ihr das Handy aus der Hand riss und den Anruf ablehnte. »Ich würde sie ja blockieren, aber das ist deine Entscheidung.« Clara schaute sie eindringlich an. »Was auch immer du machst, ich denke, du solltest erst mal eine Nacht drüber schlafen.«

»Ich habe mich schon entschieden.« Das erste Mal an diesem Abend lebte Holly wieder etwas auf. »Ich würde gern für ein paar Wochen hierbleiben, wenn das geht.«

»Bei mir?«, Clara fing an zu strahlen.

Holly senkte den Blick. »Ich brauche einfach eine Auszeit. Alle Kollegen haben gesehen, was heute passiert ist, und ich kann ihnen ehrlich gesagt noch nicht wieder unter die Augen treten. Ich will einfach noch nicht zurück. Ich werde Dad um eine vorübergehende Freistellung bitten, ich hatte dieses Jahr sowieso kaum Urlaub. Ich will herausfinden, was ich überhaupt mit meinem Leben anfangen möchte.«

»Ich würde damit anfangen, den widerlichen und untreuen Italiener abzusägen«, schlug Sally mit ihrem breiten schottischen Akzent vor, ihre Verärgerung deutlich hörbar.

»Oh, das habe ich bereits.« Beim Gedanken an die Szene verzog Holly ihr Gesicht. Die Party hatte im Empfangsbereich der Agentur ihrer Familie stattgefunden. Auch wenn die Turteltauben wahrscheinlich dachten, sie wären besonders unauffällig – am Ende eines Korridors, der links vom Foyer abging –, hatten alle achtzig Gäste den Streit mitbekommen, als Holly die beiden erwischt hatte. Sie merkte, wie ihre Wangen sich röteten, als sie an Marcels Worte zurückdachte.

»Ich konnte einfach nicht anders, Dolcezza – sie ist …«, er hatte einen Moment gezögert, nach den richtigen Worten gesucht. »Anziehend, so schön.« Neben ihm war Lucinda rot geworden, was sie nur noch hübscher machte. Ihre blonden Haare fielen in glänzenden Wellen bis zu ihren Schultern, brachten ihre aufgesprühte Bräune und das funkelnde, rote Kleid perfekt zur Geltung. Marcels Blick war zwischen ihnen beiden hin und her gewandert. Holly hatte sofort gewusst, was er sich dachte.

Wie kann es sein, dass ihr verwandt seid? Und dann auch noch Zwillinge?

»Sie ist schön«, hatte Holly zugestimmt, die Stimme ruhig und gelassen, obwohl es ihr gerade das Herz zerbrach.

»Und aufregend, so impulsiv – eine Frau, die genau weiß, wer sie ist und was sie will.« Bestärkt durch ihre Zustimmung hatte Marcel Lucindas Vorzüge weiter aufgelistet, bis Holly ihre Emotionen doch nicht länger unter Kontrolle halten konnte. Sie war explodiert, hatte ihm eine geknallt, so heftig, dass ihm ein Abdruck als Erinnerung blieb.

Es hatte sie selbst überrascht, es passte gar nicht zu der Frau, die sonst eher das stille Mäuschen machte. Selbstverständlich war ihr Vater Lucinda zur Hilfe geeilt. Überrascht hatte sie das nicht. Seitdem ihre Mutter gestorben war, als sie erst einundzwanzig waren, und Lucinda damit nicht klargekommen war, verhielt sich ihr Vater überfürsorglich, was sie anging. Also war Holly geflohen. Tränenüberströmt hatte sie die Party verlassen. Sie rannte in ihren flachen Schuhen und dem langweiligen Kleid durch die Menge aus Kollegen und Kunden, die alle gekommen waren, um ihre Erniedrigung mit anzusehen.

»Und als ich weg war«, erzählte Holly Clara und ihren Freundinnen, »als ich meine Klamotten in meinen Koffer gestopft habe, bevor das Taxi kam oder Lucinda es nach Hause schaffen konnte, als ich nachgeguckt habe, welchen Zug und welche Fähre ich nehmen müsste, da ist mir etwas klar geworden. Darüber, was Marcel gesagt hatte.«

»Was ist dir klar geworden, Liebes?«, wollte Clara wissen und schüttete dabei noch einen großzügigen Schuss Gin und einen Spritzer Tonic in Hollys Glas.

Holly hob ihren Drink und stürzte ihn in einem Zug runter, ihr war völlig egal, ob sie davon betrunken werden würde. »Mir ist klar geworden, dass er recht hat«, gestand sie, wobei ihr das volle Ausmaß ihrer Worte erst beim Aussprechen bewusst wurde. Eine Tatsache, die sie schon viel zu lange ignoriert hatte. »Ich bin langweilig, und ich weiß weder, wer ich bin, noch, was ich mit meinem Leben anfangen möchte. Und es ist sogar noch schlimmer – ich habe keine Ahnung, wie ich das herausfinden soll.«

»Mach dir darüber mal keine Gedanken, Liebes«, meinte Clara und tätschelte Hollys Hand, während die anderen Frauen vom WI sich vielsagend anschauten. »Ich denke, da ist viel weniger dran, als du dir einredest. Aber das ist tatsächlich etwas, wobei wir dir helfen können.«

»Oh, oh«, murmelte Holly nur, die gerade zusah, wie Dee ihr einen weiteren enormen Gin Tonic einschenkte, und sich dabei fragte, was sie die nächsten Wochen wohl erwartete.

Kapitel 2

Georgie Grayson zwinkerte Finn Jackson kurz zu, bevor sie hinten von seiner Harley Davidson hüpfte. Es war noch dunkel, aber der Himmel färbte sich allmählich orange – bald würde die Sonne aufgehen. Georgies blonde Locken sprangen auf und ab, als sie die verschneite Auffahrt zum Haus ihres Bruders heraufging und dabei den Schlüssel aus ihrer winzigen schwarzen Handtasche kramte. »Danke für den Abend, Finn. Du schaffst es immer wieder, mich aufzumuntern.« An der Haustür angekommen, drehte sie sich abrupt um. Für die Heimfahrt hatte sie sich rosa Snowboots angezogen, in denen sie nun wieder zurückhopste, um Finn einen unverfänglichen Kuss auf die Wange zu geben.

»Gut zu wissen, dass ich meinem Ruf als Sunflower Island Womanizer immer noch gerecht werde. Um eine gute Bewertung auf TripAdvisor wird gebeten«, scherzte Finn, wobei ein Lächeln seine vollen Lippen umspielte.

»Ich werde dir fünf fantastische Sterne geben.« Georgie hatte wunderschöne blaue, leicht mandelförmige Augen und ein Lächeln, das ausreichte, um den meisten Männern den Verstand zu rauben. Für einen Moment wünschte Finn sich, das würde auch bei ihm funktionieren.

»Die armen, armen Frauen auf Sunflower Island, solltest du dich jemals fest binden«, murmelte Georgie und fuhr mit einem Finger über Finns permanent leicht stoppeliges Kinn, bevor sie zurück zur Haustür ging.

»Keine Chance. Dafür habe ich viel zu viel Spaß.« Finn wartete noch, bis sie im Haus war, dann ließ er den Motor der Harley wieder an.

Es war ein kalter Morgen, die Luft angenehm frisch. Über Nacht waren die Straßen gestreut worden, Finn fuhr mühelos an, wurde immer schneller und bog um die Kurve, vorbei an mit Schnee und Eis behangenen Bäumen und ein paar Häusern, die bereits weihnachtlich geschmückt waren. Vor der letzten Kurve reduzierte er die Geschwindigkeit wieder, unterdrückte einen plötzlichen waghalsigen Impuls und schlich stattdessen den letzten Kilometer, bevor er vor seinem Pub ankam. Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, noch eine letzte Runde zu drehen, entschied sich aber dagegen und stellte sein Motorrad vor dem Moon and Mermaid ab. Kurzfristig hatte er sich den gestrigen Abend freigenommen, als ihn plötzlich Melancholie überkommen hatte, in Kombination mit dem starken Drang, sich irgendwie abzulenken. Deswegen hatte er sich mit Georgie getroffen und seinem Stellvertreter, Tom Jones, den Laden überlassen. Heute musste er aber wieder normal weitermachen, die alten Gefühle ignorieren, die in dieser Jahreszeit immer wieder aufflammten. Er brauchte Beschäftigung.

»Boss.« Tom – der übrigens nicht ansatzweise so gut singen konnte wie sein Namensvetter – wartete bereits hinter der Bar, als Finn reinkam. Er schenkte eine Tasse schwarzen Kaffee ein und reichte sie Finn, noch bevor er eine Unterhaltung anfing. Finn trank einen großen Schluck und genoss die wärmende Flüssigkeit. Er schaute sich um – die gelben Wände des Pubs, der helle Holzfußboden –, Tom musste gestern noch durchgefegt haben. Die weiß lackierten Tische waren alle blitzblank sauber, und auch die lange Bar aus Granit, die über die gesamte hintere Wand reichte, glänzte.

»War viel los?«, fragte Finn nach, der langsam seine Stimme wiederfand, als der Kaffee in seinem System ankam und ihn munter machte.

Tom grinste. Seine blonden Haare wirkten nass, als käme er gerade erst aus der Dusche. Seine dunkelblauen Augen leuchteten warm, ein Funken Humor in seinem Blick. »Ich könnte dich das Gleiche fragen. Wie geht’s Georgie?«

»So aufgedreht wie immer. Bis vier Uhr haben wir getanzt, dann bestand sie noch darauf, dass wir eine Tour über die gesamte Insel machen, weil sie ein paar Monate nicht mehr hier war. Ich bin vielleicht erst achtundzwanzig, aber das ist viel zu alt, um die Nacht durchzumachen.« Finn rieb sich die Augen, kämpfte gegen die Müdigkeit an. Jetzt ins Bett zu gehen wäre sinnlos. Er würde sowieso nicht schlafen, und der Gedanke, allein mit seinen Erinnerungen zu sein, schien ihm auch nicht besonders reizvoll. »Ich dachte, ich schaue heute mal oben in der Kammer nach, hol ein bisschen Weihnachtsdeko runter. Heute ist der erste Dezember, da sollten wir langsam mal schmücken, sonst beschweren sich die Gäste noch.«

»Wir müssen auch noch einen Baum besorgen, es haben schon ein paar Leute gefragt, ob wir dieses Jahr denn gar keinen haben. Ach, und gestern hat noch jemand für dich angerufen, eine Frau – große Überraschung.« Tom drehte sich weg und suchte etwas hinter der Bar, kramte zwischen den Messbechern herum und hielt schließlich ein abgerissenes Stück Papier hoch, auf dem in roter Schrift ein Name und eine Nummer standen. »Eine Mrs. Russo, ihren Vornamen hat sie nicht genannt. Irgendwas mit der Halskette ihrer Tochter. Sie meinte, du wüsstest, worum es geht? Na ja, hier ist ihre Nummer.«

Finn erstarrte, in ihm zog sich alles zusammen. Im Pub war es warm – Tom hatte die Heizung offensichtlich schon früh angestellt –, aber von der Wärme drang nichts zu ihm durch. »Danke«, brachte Finn heraus und schnappte sich das Stück Papier, um es dann hastig in die Tasche seiner Jeans zu stopfen und es später ins Feuer zu werfen. »Lust auf ein Bacon Sandwich?«, schob er noch hinterher, um schnell das Thema zu wechseln.

»Ich kann welche machen, wenn du noch die Deko runterholen willst, bevor wir öffnen. Okay?«, schlug Tom vor, der aus Finns Körpersprache vermutlich deutlich rauslesen konnte, dass der gerade allein sein wollte.

»Guter Plan«, stimmte Finn leise zu, bevor er an der Bar vorbei nach hinten durch ging. Dort gelangte man zu der Küche, dem Flur, der Toilette und zu einem Vorratsraum, der den Rest des Erdgeschosses ausmachte. Rechts lag noch eine Treppe, die zu dem Stockwerk ganz oben führte, in dem Finn wohnte. Seit zwei Monaten mietete auch Tom eines der Zimmer darunter.

Finn stieg die Treppe hoch. Die Farbe hatte er vor ein paar Jahren selbst abgekratzt, bis nur noch Holz übrig blieb, das hatte er dann abgeschliffen und versiegelt. Darüber lag jetzt ein blau-weiß gestreifter Läufer, der bis nach oben zum großen Treppenabsatz führte. Die Treppe endete in einem breiten, langen Korridor. Rechts davon kam man in eine großzügige Wohnküche, und geradeaus befand sich ein Wohnzimmer, das Finn kaum benutzte. Links waren ein großes Badezimmer sowie Toms Zimmer. Dazwischen lag noch ein kleines Zimmer, das manchmal für Besucher oder die Familie genutzt wurde. Eine weitere Treppe zwischen Toms Zimmer und dem Gästezimmer führte in das oberste Stockwerk, in dem Finn wohnte.

Seine Wohnung umfasste beinahe die gesamte Grundfläche, ein großer offener Raum, in dem sich sein Bett und ein Wohnbereich befanden, sowie eine durch Türen abgetrennte kleine Küche und ein Badezimmer. Der Raum war riesig, mit hoher Decke, in der zwei Dachfenster für viel Helligkeit sorgten. Ein offener Kamin, das Bett, ein Kleiderschrank, ein enormes rotes Sofa und ein Fernseher machten den Großteil der Einrichtung aus. Finn ging durch den Raum rüber zum Esstisch, den er besorgt hatte, damit er nicht im Stehen essen musste. Er legte seine Schlüssel auf dem Tisch ab.

Am anderen Ende des Raumes führte eine weitere Tür zur Abstellkammer, in der auch die Weihnachtsdeko aufbewahrt wurde. Finn ging rüber, hielt aber, mit der Hand schon am Türknauf, einen Moment lang inne, bevor er die Tür öffnete. In der Kammer war es dunkel, und mit seinen knapp ein Meter neunzig musste er sich ducken, um überhaupt reinzukommen.

Finn wusste zwar genau, wo sich die Deko befand, doch die Kammer war klein und zugestellt, weshalb es einiges an ausgefeilter Akrobatik brauchte, um sie zu erreichen. Er packte die Box mit der langen rot und grün leuchtenden Lichterkette, mit der er jedes Jahr den Pub von außen dekorierte, und stellte sie vor der Tür ab. In der nächsten Kiste waren Christbaumkugeln, noch mehr Lichterketten und weitere Anhänger für den Weihnachtsbaum, den er später noch kaufen wollte. Die letzte Box, die er noch suchte – mit Kleinkram, den Tom überall im Pub verteilen sollte –, war allerdings nicht, wo sie sein sollte. Dann fiel es Finn wieder ein. Letztes Jahr hatte er einen Mitarbeiter gebeten, sie wegzuräumen.

»Verdammt.« Finn bückte sich weiter runter, um tiefer in den kleinen Raum zu gelangen. Er schaute um sich, suchte die anderen Kisten ab, dazwischen Möbel, die noch zu gut waren, um sie wegzuwerfen. Sein Blick fiel auf einen großen braunen Koffer in der rechten hinteren Ecke der Kammer. Den Koffer erkannte er sofort, und obwohl er ihn seit über fünf Jahren nicht mehr geöffnet hatte, wusste er genau, was sich darin befand. Unter anderem ein kleines Schmuckkästchen, bei dem er es nicht übers Herz brachte, es zu öffnen. Die Kiste, die er suchte, stand direkt daneben. Finn griff sie sich hastig und wollte rückwärts wieder aus dem engen Raum hinaus, wobei er sich den Kopf an der Decke stieß. Er fluchte leise.

Wieder draußen schloss er die Tür und drehte den Schlüssel einmal um. Er würde schnell duschen und sich umziehen, sein Bacon Sandwich essen und dann erst mal einen Spaziergang am Strand machen, bevor er mit Tom einen Baum aussuchen und dekorieren würde. Vielleicht später noch ein Date? Auf jeden Fall wollte er sich beschäftigen. Er durfte sich keine Zeit zum Nachdenken lassen. Auf diese Weise schien das Leben deutlich erträglicher.

Kapitel 3

Als Holly aufwachte, war es um sie herum dunkel. Einen Augenblick lang lag sie verwirrt in dem fremden Bett unter der weichen Daunendecke, bis ihr wieder einfiel, wo sie überhaupt war. Ihr Kopf schmerzte – wie viel Gin hatte sie gestern getrunken? Sie wusste es nicht mehr. Sie konnte sich nur noch daran erinnern, wie Tante Clara sie gegen ein Uhr nachts zu ihrem Zimmer gebracht hatte, während die Frauen vom WI ein Album von Queen auflegten und ihren Abend wohl noch lange nicht beenden wollten.

Langsam gewöhnten Hollys Augen sich an die Dunkelheit. Durch einen Spalt zwischen den geblümten Vorhängen drang sanftes Licht in den Raum, vermutlich von einer Straßenlaterne. Holly konnte eine Nachttischlampe erkennen, sowie den großen Kleiderschrank aus weiß lackiertem Holz, an den sie sich noch von früher erinnerte. Ihr Blick wanderte über den Boden aus Eichenholz, auf dem mehrere plüschige rosa Teppiche lagen. Das Kingsize-Bett schmückten ein graues Kopfteil und etwa eine Million weicher, geblümter Kissen. Sie griff eines davon und steckte es unter ihren Kopf, drehte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Bevor sie sich dagegen wehren konnte, wanderten ihre Gedanken zu Marcel und Lucinda.

Genervt schob Holly die Decke zurück und setzte sich auf, strich sich ihre langen braunen Haare aus dem Gesicht und schaltete die Nachttischlampe ein. Sofort fiel ihr die weiße Holzkommode unter dem Fenster ins Auge, auf der eine DIN-A3-Karte stand, die gestern noch nicht da gewesen war.

Die Karte war pink und über und über mit unterschiedlich großen quadratischen und rechteckigen Umschlägen beklebt. Einige davon waren auch pink, andere rot oder lila-weiß gestreift. Um die meisten war eine grüne Schleife gebunden und auf allen klebten runde Sticker mit schwarzen Ziffern drauf. Neugierig stand Holly auf, um es sich genauer anzusehen. Die Nummern schienen völlig wirr angeordnet und reichten von eins bis fünfundzwanzig. Der Umschlag von Nummer vier schien nicht richtig verschlossen, Holly war kurz davor, einen Blick darauf zu erhaschen, als die Tür aufschwang und Clara mit einer Teekanne und zwei Bechern ins Zimmer marschiert kam. Bernard, ihr sehr originell benannter braun-weißer Bernhardiner, dackelte ihr treu hinterher.

»Finger weg!«, schrie Clara, woraufhin Holly ihre Hand zurückriss, die schon am Umschlag war. »Entschuldigung, Liebes, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du so früh schon wach bist.« Clara hatte einen rosa Seidenpyjama an, Haare und Make-up makellos. Holly hingegen hatte sich gestern nicht einmal abgeschminkt, weil sie so müde war. Ihr graute jetzt schon vor dem Blick in den Spiegel. »Ich habe uns Lapsang Souchong gemacht.« Clara stellte das Tablett auf dem Nachttisch ab und schenkte ihnen beiden von dem Tee ein.

»Ich weiß ja nicht … schmeckt das?«, Holly inspizierte die dampfende Flüssigkeit und verzog das Gesicht, als Clara noch einen Schuss Milch hinzugab. »Hast du auch einfachen schwarzen Tee?«

»Nein.« Clara reichte ihr einen Becher. »Probiere doch mal, vielleicht magst du ihn ja.«

Holly nahm den Becher und roch an dem Getränk, rümpfte kurz die Nase, bevor sie einen Schluck wagte. Der Tee war heiß und hatte einen ungewohnt rauchigen Beigeschmack. »Danke.« Sie stellte den Becher auf dem Nachttisch ab, um ihn später wegzukippen.

»Trink aus, dann erkläre ich dir alles.« Clara nippte an ihrem Tee und setzte sich auf die Bettkante. »Wir hatten eine Idee – Dee, Madge, Sally, Jade und ich.«

»Ach ja?«, fragte Holly höflich nach. Die Kopfschmerzen, mit denen sie heute eigentlich fest gerechnet hatte, zeigten sich glücklicherweise nur als dumpfes Pochen.

»Es geht darum, dass du nicht weißt, wer du bist.« Auf Hollys fragenden Blick hin fügte Clara noch hinzu: »Wir haben dir einen Adventskalender gemacht.« Sie zeigte zu der Kommode. »Madge ist ein Genie, wenn es ums Basteln geht – muss an den vielen Jahren als Lehrerin liegen. Dee hat die Schleifen gebunden, und wir haben alle zusammen unsere Ideen gesammelt. Ein Umschlag pro Tag, du musst sie der Reihe nach öffnen.«

»Ein Adventskalender? Mit Bildern?«, hakte Holly verwirrt nach, die sich einen Becher mit normalem Tee wünschte, in dem sie ihr Gesicht vergraben könnte.

»Eher mit Aufgaben … für dich.« Clara grinste. »Wir hatten eine Menge Spaß beim Ausdenken. Heute ist der Erste, also kannst du direkt Umschlag Nummer eins öffnen.« Als Holly sie weiter regungslos anstarrte, wies Clara mit dem Kopf in Richtung Kalender. »Ich bin gespannt, was du dazu sagst.«

»Das ist wirklich lieb von euch …«, Holly nahm den Kalender, langsam dämmerte es ihr. »Das ist aber nicht wie damals, als du Dad einen Fallschirmsprung zu seinem fünfzigsten Geburtstag geschenkt hast, oder? Höhe kann ich nämlich wirklich nicht leiden.«

»Das war ein tolles Geschenk für meinen Bruder«, Clara lächelte. »Aber nein, kein Fallschirmsprung – jedenfalls für heute nicht. Aber du musst dich darauf einlassen, offen für Neues sein. Na los, mach schon auf.«

Holly suchte die bunten Umschläge nach dem mit der großen schwarzen Eins ab. Dann entdeckte sie ihn. Es war ein roter, rechteckiger Umschlag, zwischen Nummer zweiundzwanzig und Nummer fünf. »Und jetzt? Einfach direkt aufmachen?« Aus irgendeinem Grund hatte sie Angst.

»Worauf wartest du?«, Clara lachte. Holly öffnete die grüne Schleife und pulte den Umschlag langsam auf. Darin lag ein Stück gefaltetes rotes Papier, das sie aufschlug und dann vorlas.

»Frag einen Fremden nach einem Date.« Frag einen Fremden nach einem Date? »Ernsthaft?«

»Brillant, oder?«, Clara streichelte Bernard, der seinen riesigen Kopf auf ihr Knie gelegt hatte. »Das war Jades Idee, auch wenn sie zugegebenermaßen schon ein paar Gins intus hatte. Aber wir dachten, direkt wieder aufs Pferd zu steigen ist der beste Weg, um über einen Italiener hinwegzukommen – rein metaphorisch natürlich. Außerdem: Wenn du herausfinden willst, wer du bist – was du kannst und was du magst –, dann musst du auch ein paar neue Dinge ausprobieren.«

»Ich weiß ja nicht …«, Holly merkte, wie sie rot anlief. »Das wird so unangenehm, wenn ich dann einen Korb bekomme.«

»Wieso sollte das passieren?«, Clara musterte Holly. »Wenn du dich erst mal herausgeputzt hast und rüber zum Pub gehst – dem Moon and Mermaid, gleich die Straße runter –, da triffst du sicher jemanden, der dir gefällt. Und wenn nicht, dann wirf mal einen Blick auf Finn, den Besitzer. Er ist zwar ein ziemlicher Frauenheld, aber er hat das Herz am rechten Fleck.«

»Ich weiß nicht, ob das gerade wirklich das Richtige für mich ist.« Bei dem Gedanken daran, einen Fremden anzusprechen, schnitt Holly unbewusst eine Grimasse. Lucinda machte so was ständig, aber Holly fehlte die Selbstsicherheit, sich in den Mittelpunkt zu stellen. Allerdings versuchte sie inzwischen auch gar nicht mehr, über ihren Schatten zu springen.

»Holly, meintest du es gestern ernst? Dass du Veränderung willst und dich selbst finden?«, plötzlich wirkte Clara sehr ernst.

»Schon …«, antwortete Holly. »Ich bin nur nicht sicher, ob ich schon bereit dafür bin.«

»Abzuwarten, bis du es bist, ist sinnlos.« Clara stellte ihren Becher wieder ab. »Vielleicht fängst du damit an, gleich mal mit Bernard spazieren zu gehen, noch vor dem Duschen? Mal tief durchatmen, bevor du den nächsten Schritt machst. Oh, und lass Cleopatra nicht raus. Sie muss heute Nachmittag zum Tierarzt. Vor dem letzten Termin ist sie für zwei Tage verschwunden. Diese Katze kann Gedanken lesen, das sage ich dir.« Damit verschwand Clara wieder aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

Holly saß auf dem Bett und starrte auf das Stück Papier, ließ ihren Kopf in ihre Hände sinken. Wie bitte sollte sie einen Fremden um ein Date bitten? Auf einmal wünschte sie sich, sie wäre doch in Guildford geblieben – sich selbst zu finden drohte deutlich schwieriger zu werden, als sie ursprünglich gedacht hatte.

Holly spazierte am Strand entlang, kleine Schneeflocken fielen ihr immer wieder ins Gesicht, aber das störte sie nicht. Die Luft war klirrend kalt und frisch, in ihrem dicken blauen Mantel in Kombination mit der roten Bommelmütze und dem Schal, die sie sich von Clara geliehen hatte, machte ihr das aber glücklicherweise nichts aus.

Bernard stapfte direkt am Wasser entlang und schaute immer mal wieder zu ihr rüber, als wollte er fragen: »Drehen wir bald um?«

»Noch nicht«, flüsterte Holly. »Clara hat darauf bestanden, dass wir mindestens eine Stunde weg sind. Ach, und ich soll mit einem Date zurückkommen – zwei, wenn ich angeben will.« Eine Schneeflocke traf sie im Auge, sie blinzelte. Als sie wieder klar sehen konnte, entdeckte sie einen Mann, der ein Stück weiter vorn am Wasser stand. Selbst aus der Entfernung konnte sie ausmachen, dass er groß und schlank war, aber breite Schultern hatte. Er warf irgendetwas ins Wasser, seine Bewegungen locker und flüssig, als hätte er alle Zeit der Welt. Zum ersten Mal während des Spaziergangs rannte Bernard plötzlich los und bellte einmal laut und fröhlich, bevor er auf den Mann zutrottete, um an dessen Schuhen zu schnuppern. Sie mussten sich kennen, denn der Mann begann sofort Bernards Fell durchzuwuscheln. Holly ging langsamer, auf einmal schüchtern, biss aber die Zähne zusammen und gesellte sich zu den beiden.

»Hi. Ich bin Finn Jackson. Was machst du denn mit dem Kerl hier?« Der Mann hatte hellbraune Haare, mit ein paar helleren Strähnen, die unter der grauen Mütze herausschauten. Bei anderen hätte die Mütze vermutlich dämlich ausgesehen, aber an ihm betonte sie seine markanten Gesichtszüge und die warmen grünen Augen. Als Holly näher kam, fing er an zu lächeln, wobei tiefe Grübchen zum Vorschein kamen, die beinahe durch seinen Bartschatten verdeckt wurden. Mitten darin Lippen, bei denen selbst Holly versucht war, mit dem Finger drüberzustreichen. Diese Lippen hatten sicher jede Menge Action.

»Holly Devine. Du meinst Bernard?«, fragte sie nach, woraufhin Finn nickte. »Er gehört meiner Tante. Ich besuche sie für eine Weile. Ich bin gestern Abend angekommen.«

»Clara – sie ist öfter im Pub. Du siehst ihr nicht wirklich ähnlich.« Widerwillig löste Holly ihren Blick von seinen Lippen, da er gerade einen Stein aufhob, ihn ins Wasser schleuderte, um dann zu jubeln, als der Stein dreimal aufkam. »Das versuche ich schon den ganzen Morgen. Komische Dinger, diese Steine.« Er warf noch einen, woraufhin Bernard ein paarmal bellte, bevor er freudig hinterhersprang und Hollys Rufe komplett ignorierte. Binnen Sekunden war der Hund ganz im Wasser, erst dann schien er seine Meinung zu ändern. Aber anstatt umzudrehen, kletterte Bernard auf einen schwarzen Felsen, der aus dem Wasser ragte, und schaute sie von dort aus an.

»Bernard, hierher!«, rief Holly ihm zu und zeigte immer wieder auf den Strand, um ihn dazu zu bringen zurückzukommen. Er bewegte sich kein Stück.

»Clara wird sich aber nicht freuen, wenn du ihren Hund auf dem Meer aussetzt«, murmelte Finn, der das Ganze lustig zu finden schien. Er schaute zu Bernard, der anfing zu winseln und versuchte den Wellen auszuweichen, die ihn mit weißem Schaum besprühten. Unter anderen Umständen wäre es ein schöner Anblick gewesen.

»Er ist deinem Stein hinterhergelaufen.« Hollys Kopf dröhnte immer noch etwas, und Finn nervte sie langsam. »Also solltest du ihn auch zurückholen.«

»Und wie das?«

»Du könntest ihn raustragen?«, schlug Holly vor.

Finn lachte schallend los. »Meine Schwimmflossen habe ich leider zu Hause vergessen – frag doch mal bei der Küstenwache nach?«

»Ernsthaft?«

»Oder treib ein Boot auf.«

Holly schaute den leeren Strand auf und ab. »Wo denn bitte?«

Finn zuckte mit den Schultern. »Vielleicht, na ja, kommt er ja auch allein zurück? Ruf ihn doch noch mal.«

»Bernard, hier!«, rief sie, doch der Hund schaute sie nur weiter flehend an.

»Er ist anscheinend völlig glücklich dort, wo er ist«, meinte Finn, der einen Schritt zurück machte, als eine Welle seinen schwarzen Schuhen etwas zu nahe kam.

»Na schön, ich gehe schon.« Anstatt weiter zu diskutieren – der Typ schien ganz offensichtlich nicht der Hunderetter-Typ zu sein –, fing Holly an, einen Schuh auszuziehen, gleich mitsamt der flauschigen grauen Socke. Sie stellte alles ordentlich zur Seite und holte tief Luft, bevor sie den ersten Fuß auf den eiskalten Boden stellte und ihre Hose hochkrempelte.

»Soll ich deinen Mantel halten?«, neckte Finn sie, der alles beobachtete.

»Nicht nötig«, biss Holly zurück, die sich ihren anderen Schuh ebenfalls mitsamt Socke auszog und neben den ersten stellte. Jetzt versanken beide Füße im kalten Sand, und sie musste sich zusammenreißen, um nicht zu zittern. Sie warf noch einen Blick auf das Wasser und den festsitzenden Hund, dann auf ihren Mantel, der fast bis zu ihren Waden reichte. »Doch, bitte.« Sie löste den Gürtel, noch bevor Finn seine Hand ausstreckte.

»Warte, okay, stopp. Das war nur Spaß, ich gehe. Du wirst ihn doch sowieso nicht tragen können. Außerdem hast du recht, es ist meine Schuld, dass er ins Wasser gelaufen ist. Erste Barkeeper-Regel: Haustiere um jeden Preis vermeiden. Darauf hätte ich wohl besser hören sollen.« Er sah gleichzeitig genervt und belustigt aus, während er nach seinen Stiefeln griff, um sie zu öffnen. »Das war wirklich nicht Teil meines Plans für heute Morgen. Du solltest wissen, dass ich einen Ruf zu wahren habe – sorglos, leichtsinnig, unheimlich gutaussehend und mit einem pathologischen Zwang, jegliche Heldentaten zu vermeiden.« Er warf einen Schuh achtlos in den Sand, dann den anderen und schließlich die Socken dazu.

»Also, wenn du dir solche Sorgen um deinen Ruf machst, dann gehe ich lieber selbst.« Sie war es sowieso schon gewohnt, Probleme selbst zu lösen.

»Jetzt habe ich schon meine Socken ausgezogen.« Finn schnappte kurz nach Luft und machte sich auf den Weg zum Wasser. Dabei murmelte er noch irgendwas darüber, dass er doch lieber ins Bett hätte gehen sollen. »Du schuldest mir was, Bernard«, grummelte er, als er den ersten Fuß in das eisige Wasser tauchte. »Scheiße, ist das kalt. Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, Hund?« Er arbeitete sich weiter vor, während Holly ihre Socken und Schuhe wieder anzog und nervös ihre Hände in den Manteltaschen vergrub. In der einen Tasche raschelte etwas, leicht beschämt zog Holly die Packung Vollkornkekse raus, die sie gestern auf der Zugfahrt fast vollständig aufgegessen hatte.

Sie nahm sich einen und beobachtete, wie Finn sich Bernard näherte, dessen Ohren sich plötzlich aufstellten. Völlig unerwartet sprang der Hund von dem Stein, spritzte dabei jede Menge eiskaltes Wasser über Finns Jeans und paddelte an ihm vorbei, um dann schnell wie eine Rakete den Strand hochzurennen und sich vor Holly plumpsen zu lassen. »Ich wusste nicht mal, dass du so schnell laufen kannst.« Holly lachte, weil der Blick des Hundes starr auf die Kekse gerichtet blieb. Sie gab ihm einen, den Bernard sofort herunterschlang, während Holly kurz wieder hochsah, als Finn gerade aus dem Wasser marschiert kam – eine Szene wie aus einem Bond-Film. Mal abgesehen davon, dass seine Hose an seinen Beinen klebte und er nicht gerade glücklich aussah.

»Du hattest die ganze Zeit Kekse?«, fragte er ruhig nach und griff nach einer seiner Socken. »Vielleicht wäre es hilfreich gewesen, das vorher zu wissen. Der Hund ist derart verfressen.«

»Ich habe sie gerade erst wiedergefunden«, gab Holly zu und bot Finn den letzten Keks an. Er nahm ihn, ignorierte dabei Bernards Winseln. »Es tut mir leid«, schob sie noch hinterher, den Blick auf seine bläulichen Füße gerichtet.

»Kein Problem.« Finn warf ihr ein kurzes Lächeln zu, mit dem sie wirklich nicht gerechnet hätte. »Du hast mir den Tag verschönert, der schon drohte, echt deprimierend zu werden.« Ohne seine Füße abzutrocknen, streifte er sich seine Socken über und schlüpfte leicht zitternd in seine Schuhe. »Hast du heute Abend Zeit?«

»Wieso?«, Hollys Wangen wurden rot. Er fragte sie doch nicht etwa nach einem Date? Nachdem sie ihn mehr oder weniger in eine Eissäule verwandelt hatte?

»Ein Date. Eine Frau, die mich im Dezember dazu bringen kann, ins Wasser zu gehen, sollte man auf jeden Fall besser kennenlernen. Außerdem hänge ich gerade etwas durch, ich brauche Aufmunterung. Sieh es doch als Gefallen. Oder vielleicht als Wiedergutmachung?« Jetzt kamen seine Grübchen wieder zum Vorschein – und Holly war plötzlich voller Achtung für die Wirkung eines schönen Lächelns.

»Ich habe dir schon den letzten Keks gegeben«, nörgelte sie und versuchte das Kribbeln in ihrem Bauch zu unterdrücken.

»Dafür werde ich dir auch auf ewig dankbar sein, aber das ist nicht ganz das Gleiche.«

»Okay.« Langsam atmete Holly aus. »Aber tust du mir einen Gefallen?«

Finn schaute runter auf seine triefende Jeans und runzelte die Stirn. »Noch einen?«

»Ich weiß, das klingt dumm, aber willst du ein Date mit mir?«

Verwirrt sah er sie an. »Habe ich das nicht gerade vorgeschlagen?«

Holly schaute kurz über den Strand zu Bernard, der inzwischen weggelatscht war, gelangweilt von ihrer Unterhaltung und dem Mangel an Keksen. »Nicht wirklich, es ist …« Wie sollte sie das nur erklären, ohne dabei im Boden zu versinken? »Ich würde gerne dich fragen, das ist alles. Also, was zusammen trinken gehen, wie wäre das?«

Finn grinste. »Klar, wieso nicht? Ich gehe mit dir aus, Holly Devine. Bis acht arbeite ich im Moon and Mermaid, danach kann ich dich abholen, oder du kommst zum Pub. Wenn du bei deiner Tante wohnst, ist das nur die Straße runter. Zieh dich warm an. Wir trinken was, aber ich habe noch was Spannenderes geplant, wenn das für dich in Ordnung ist.«

Holly versuchte den riesigen Kloß runterzuschlucken, der sich vor Aufregung in ihrem Hals geformt hatte. »Spannend – natürlich, klingt super«, brachte sie quietschend heraus.

Während sie Bernards Fußspuren im eisigen Sand nachlief, fragte sie sich, worauf sie sich da eigentlich eingelassen hatte.

Kapitel 4

Gerade als Holly aus der Dusche in ihrem eigenen kleinen Bad stieg, klingelte ihr Handy. Geistesabwesend lief sie ins Schlafzimmer und nahm ab, ohne vorher die Nummer zu überprüfen – sehr dumm, es hätte immerhin Lucinda sein können, die ihr heute schon drei Nachrichten geschickt hatte.

»Holly, Gott sei Dank. Ich versuche schon seit gestern Abend dich zu erreichen.« Rob Devine, Hollys Vater, klang aufrichtig besorgt. Mit leichten Schuldgefühlen setzte sie sich auf ihr Bett und zog das weiße Handtuch etwas enger um sich. »Lucinda hat erzählt, dass du nach der Feier eine Tasche gepackt hast und abgehauen bist. Bist du allein? Bist du noch in Guildford? Wann kommst du wieder zur Arbeit?«

»Ich bin bei Tante Clara, ich bin gestern Abend noch nach Sunflower Island gefahren«, erklärte sie. »Ich habe einen Zug genommen und gerade so die letzte Fähre erwischt – ich musste einfach raus. Tut mir leid, dass du dir Sorgen gemacht hast, Dad, ich wollte heute noch anrufen. Aber bitte verrate Lucinda nicht, wo ich bin. Ich brauche etwas Zeit, um einen klaren Kopf zu kriegen.«

Sie hörte, wie ihr Vater langsam ausatmete. »Es tut ihr leid, was passiert ist. Marcel auch. Sie sind gleich heute Morgen in mein Büro gekommen. Ich weiß nicht, ob ich das Ganze richtig verstanden habe, aber die beiden treffen sich schon länger?«

»Hinter meinem Rücken«, gestand Holly. »Und ich weiß, dass du sie in Schutz nehmen wirst, aber bitte, mach das dieses Mal nicht.« Sie schloss ihre Augen, der Anblick von Marcel und Lucinda – sich küssend – kam wieder hoch. Ein kurzer Schmerz schoss durch ihre Brust.

»Du weißt, dass deine Schwester immer das will, was andere haben«, meinte er nachsichtig.

»Sie will immer das, was ich habe.« Holly bereute die Worte, aber sie konnte sie nicht zurücknehmen, also ließ sie sie erst mal kurz wirken. »Marcel war mein Freund, Dad. Wir waren sechs Monate zusammen, ich dachte, es wäre was Ernstes.« Holly lief eine Träne über die Wange, bevor sie sie schnell wegwischte. »Ich habe schon bemerkt, wie Lucinda mit ihm flirtet, aber das macht sie mit allen, deswegen habe ich es nicht ernst genommen. Ich hätte nie damit gerechnet …« Den Satz zu beenden war sinnlos, beide wussten, dass sie genau damit hätte rechnen müssen.

»Lucinda hat auch gute Seiten.« Ihr Vater zögerte, als Holly aufstöhnte. »Hat sie«, schob er leise hinterher. »Aber sie war am Boden zerstört, als eure Mutter gestorben ist … die beiden standen sich so nahe.« Er machte noch eine Pause. »Ich habe mich dir immer viel näher gefühlt. Die Trauer hat in ihr irgendetwas ausgelöst, und sie hat sich verändert. Sie brauchte Aufmerksamkeit, und ich habe ihr viel zu viel durchgehen lassen.« Er klang reumütig.

Den kurzen Stich bei dem Gedanken an ihre Mutter ignorierte Holly. »Ich weiß. Ich habe auch versucht, ihr zu helfen. Sie zu unterstützen, ihr zu geben, was sie braucht. Bis jetzt hatte ich auch kein Problem damit.« Holly pulte einen Fussel von der weichen rosa Decke auf ihrem Bett und strich sie wieder glatt. »Ich war immer froh, sie im Rampenlicht zu sehen – es ist ja nicht so, als wäre ich gern an ihrer Stelle gewesen. Aber in letzter Zeit …« In Wahrheit hatte es schon länger angefangen, sie zu stören.

»Du warst immer eine wundervolle Schwester, und bis eure Mutter krank wurde, wart ihr euch auch so ähnlich. Das fehlt mir.« Ihr Vater klang traurig. »Erinnerst du dich noch, wie ihr selbst als Teenager noch die gleichen Klamotten getragen habt, eure Zimmer gegenseitig eingerichtet habt, ständig zusammen gebacken habt …«, er seufzte bedrückt.