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Der vorliegende Band umfasst eine Auswahl der mehr als 200 Vorträge, die das Europa Institut Zürich EIZ seit 1992 organisiert hat. Wir möchten sie damit einem breiteren Publikum zugänglich machen und viele, auch heute noch bedeutsame Gedanken in Erinnerung rufen. Auch ist der Band Teil unseres 30-jährigen Jubiläums, mit dessen Feier wir den vielen Wegbegleitern, Unterstützern und der interessierten Öffentlichkeit danken möchten.
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30 Jahre Europa Institut an der Universität Zürich von Andreas Kellerhals wird unter Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell-Keine Bearbeitung 4.0 International lizenziert, sofern nichts anderes angegeben ist.
© 2022 – CC BY-NC-ND (Book), CC-BY-SA (Text)
Herausgeber: Andreas Kellerhals – Europa Institut an der Universität ZürichVerlag: EIZ Publishing (https://eizpublishing.ch)Satz & Produktion: buch & netz (https://buchundnetz.com)ISBN:978-3-03805-503-7 (Print – Softcover)978-3-03805-504-4 (PDF)978-3-03805-505-1 (ePub)DOI: https://doi.org/10.36862/eiz-503Version: 1.01-20220811
Dieses Werk ist gedrucktes Buch und als Open-Access-Publikation in verschiedenen digitalen Formaten verfügbar: https://eizpublishing.ch/publikationen/30-jahre-europa-institut-an-der-universitaet-zuerich/.
1
Im Frühjahr 1992, im Vorfeld des erwarteten Beitritts der Schweiz zum EWR, wurde das Europa Institut an der Universität Zürich (EIZ) gegründet. Nicht nur Mitglieder der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich, sondern weite Kreise gingen damals davon aus, dass Kenntnisse des Europarechts künftig auch in der Schweiz eine grosse Bedeutung erlangen würden, weshalb die Gründung eines entsprechenden Kompetenzzentrums sinnvoll und notwendig sei.
Nachdem der damalige Erziehungsdirektor keine Unterstützung für ein Europainstitut innerhalb der Universität gewähren wollte, beschlossen die Gründer – Professoren der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, der Zürcher Anwaltsverband VZR, die Stiftung für juristische Weiterbildung und die Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Zürich – ein Institut auf privatrechtlicher Basis in Form eines Vereins zu gründen, welchem der damalige Rektor Hans-Heinrich Schmid die Assoziierung mit der Universität gewährte, inklusive dem Recht, das Siegel der Universität zu verwenden, ja noch mehr, der Rektor entwarf das Logo des EIZ gleich selbst!
Trotz der Ablehnung eines Beitritts der Schweiz zum EWR per Volksabstimmung vom 6. Dezember 1992 ergab sich in den Folgejahren zunehmender Bedarf für Beratungs- und Informationsdienstleistungen des EIZ, nicht zuletzt im Hinblick auf den Abschluss der bilateralen Abkommen Schweiz-EU und den damit aufkommenden Umsetzungsfragen. Auch entwickelte sich die Seminartätigkeit als zunehmend florierender Sektor; unterdessen ist das EIZ der grösste Anbieter juristischer Weiterbildung in der Schweiz.
Einen Kernbereich des EIZ bildete stets die Organisation öffentlicher Vortragsveranstaltungen, mit denen das Institut eine Plattform für wirtschafts- und gesellschaftsrelevante Fragen im europäischen und internationalen Kontext bietet. An bis zu 25 Veranstaltungen jährlich lädt das EIZ renommierte Persönlichkeiten aus der nationalen und internationalen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik ein, um aktuelle Fragen zu beleuchten und zu diskutieren. Hinzu treten die jährlichen Anlässe im Eingedenk an die Rede Churchills in Zürich, an welcher zahlreiche Staats- und Regierungschefs referierten. Das EIZ schätzt sich glücklich, einerseits auf grosses Interesse der Öffentlichkeit zählen zu dürfen und andererseits auch auf finanzielle Unterstützung aus Wirtschaft und Verwaltung. Besonders gedankt sei u.a. Schellenberg Widmer, der Bank Bär, der Zurich Insurance Group, dem Kanton Zürich und der Universität Zürich.
Der vorliegende Band umfasst eine Auswahl der mehr als 200 Vorträge, die das EIZ seit 1992 organisiert hat. Wir möchten sie damit einem breiteren Publikum verfügbar machen und viele, auch heute noch bedeutsame Statements in Erinnerung rufen. Auch ist der Band Teil unseres 30-jährigen Jubiläums, mit dessen Feier wir den vielen Wegbegleitern, Unterstützern und der interessierten Öffentlichkeit danken möchten. Auf weitere 30 Jahre!
Prof. Dr. Andreas KellerhalsDr. Tobias Baumgartnerlic. phil. Carrie JodaDr. Markus NotterDirektorStv. DirektorVize-DirektorinPräsident2
Dr. Helmut KohlBundeskanzler a. D.
Europa – Vision und WirklichkeitReferat anlässlich des Churchill Europe Symposiums am Europa Institut an der Universität Zürich vom 19. Oktober 2001
Zoran DjindjicMinisterpräsident der Republik Serbien
Europa braucht eine SeeleReferat anlässlich des Churchill Europe Symposiums am Europa Institut an der Universität Zürich vom 10. Oktober 2002
Dr. Hans-Dietrich GenscherDeutscher Aussenminister a.D.
Europa in einer neuen WeltordnungReferat anlässlich des Churchill Europe Symposiums am Europa Institut an der Universität Zürich vom 20. September 2006
Dr. Richard Freiherr von WeizsäckerDeutscher Bundespräsident a.D.
60 Jahre nach dem Aufruf von Churchill in ZürichReferat anlässlich des Churchill Europe Symposiums am Europa Institut an der Universität Zürich vom 26. September 2006
Jean-Claude TrichetPresident of the European Central Bank, Frankfurt/Main
The Future of EuropeSpeech given at the Churchill Europe Symposium at the Europa Institut at the University of Zurich on 26 November 2010
Prof. Dr. Andreas VoßkuhlePräsident des deutschen Bundesverfassungsgerichts
Menschenrechte im europäischen VerfassungsgerichtsverbundReferat anlässlich seines Besuches am Europa Institut an der Universität Zürich vom 5. Mai 2011
The Rt Hon Tony BlairFormer Prime Minister of the United Kingdom
Europe at the CrossroadsSpeech given at the Churchill Europe Symposium at the Europa Institut at the University of Zurich on 20 Oktober 2011
Herman Van RompuyPresident of the European Council
Europe’s political and economic challenges in a changing worldSpeech given at the Churchill Europe Symposium at the Europa Institut at the University of Zurich on 9 November 2011
Prof. Dr. Romano ProdiFormer President of the European Commission and former Prime Minister of Italy
Quo Vadis EuropeSpeech given at the Churchill Europe Symposium at the Europa Institut at the University of Zurich on 4 October 2012
Anders Fogh RasmussenNATO Secretary General
Switzerland and NATO – Partners in SecuritySpeech given at the Churchill Europe Symposium at the Europa Institut at the University of Zurich on 22 November 2012
Adolf MuschgSchriftsteller
Europakrise – Kulturkrise?Referat anlässlich seines Besuches am Europa Institut an der Universität Zürich im Rahmen der Vortragsreihe Schweiz – Kultur – Europa vom 3. Oktober 2013
Lord Christopher Patten of BarnesFormer European Commissioner for External Relations and Former Member of Parliament, Chancellor of the University of Oxford, Chairman of the BBC Trust
Democracy and the national interest. The challenge for EuropeSpeech given at the Churchill Europe Symposium at the Europa Institut at the University of Zurich on 26 November 2013
Hon. Jed S. RakoffUnited States District Judge, U.S. District Court, Southern District of New York
International Jurisdiction of US CourtsSpeech given at the occaasion of his visit at the Europa Institut at the University of Zurich on 12 December 2013
Hon. Antonin ScaliaAssociate Justice of the Supreme Court of the United States
Globalization and the LawSpeech given at the occasion of his visit at the Europa Institut at the University of Zurich on 22 May 2014
Prof. Dr. Norbert LammertPräsident des Deutschen Bundestages
1914-2014 – Zur inneren und äusseren Verfassung EuropasReferat anlässlich seines Besuches am Europa Institut an der Universität Zürich vom 27. Mai 2014
Fürst Hans-Adam II. von und zu LiechtensteinRegierender Fürst und Staatsoberhaupt Liechtensteins
Der Staat im dritten JahrtausendReferat anlässlich der Special Churchill Lecture am Europa Institut an der Universität Zürich vom 21. Oktober 2014
Hon. Ruth Bader GinsburgAssociate Justice of the Supreme Court of the United States
Justice Ginsburg face to faceA conversation at the occasion of her visit at the Europe Institute at the University of Zurich on 15 September 2015
Valéry Giscard d’EstaingEhemaliger Staatspräsident Frankreichs (1974-1981)
Europa – la dernière chance de l’EuropeReferat anlässlich seines Besuches am Churchill Symposium des Europa Instituts an der Universität Zürich vom 25. Oktober 2016
Dr. Gregor GysiRechtsanwalt, Mitglied und ehem. Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, MdB
Die Gefährdung der Zukunft EuropasReferat anlässlich seines Besuches am Europa Institut an der Universität Zürich vom 21. März 2016
Jean-Claude JunckerPräsident der Europäischen Kommission
Rede anlässlich der 70. Jubiläumsfeier der Zürich-Rede von Winston ChurchillReferat zum 70. Jahrestag der Zürich-Rede von Winston Churchill anlässlich seines Besuches am Europa Institut an der Universität Zürich vom 19. September 2016
Friedrich MerzEhem. Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Vorsitzender der Atlantik-Brücke e.V.
Europa und Amerika – eine Partnerschaft auf dem PrüfstandReferat anlässlich seines Besuches am Europa Institut an der Universität Zürich vom 4. April 2016
Enrico LettaFormer Prime Minister of Italy, Dean of the Paris School of International Affairs (PSIA) of Sciences Po Paris, President of Jacques Delors Institute
Which Europe after the 60th anniversary of the Treaties of RomeSpeech given at the Churchill Europe Symposium at the Europa Institut at the University of Zurich on 2 May 2017
Lord Paddy AshdownFormer Leader of the Liberal Democrats (UK) and international High Representative and European Special Representative for Bosnia and Herzegovina
Why the world will never be the same again and what we should do about itSpeech given at the occasion of his visit at the Europa Institut at the University of Zurich on 9 May 2017
Joachim GauckBundespräsident a.D. der Bundesrepublik Deutschland
Europa – einst Verheissung – heute StreitfallReferat anlässlich des Churchill Europe Symposiums am Europa Institut an der Universität Zürich vom 4. Dezember 2017
Hon. Samuel A. AlitoAssociate Justice of the Supreme Court of the United States
Globalization and the Enforcement of Human RightsSpeech given at the University of Zurich on the occasion of the 5th Zurich lecture on 18 December 2018
Dr. Andrzej DudaPresident of the Republic of Poland
The Future of Europe – The Foundations of Unity of the States of EuropeSpeech given at the Churchill Europe Symposium at the Europa Institut at the University of Zurich on 9 October 2018
The Rt Hon John Bercow MPSpeaker of the House of Commons, Great Britain
Process of Discovery: What Brexit has taught us (so far) about Parliament, Politics and the UK ConstitutionSpeech given at the Churchill Europe Symposium at the Europa Institut at the University of Zurich on 19 September 2019
Dr. Peter GauweilerBayerischer Staatsminister a.D.
Europa als die Schweiz der WeltReferat anlässlich des Churchill Europe Symposiums am Europa Institut an der Universität Zürich vom 23. Mai 2019
Mark RuttePrime Minister of the Netherlands
A Strong Europe in a changing worldSpeech given at the occasion of his visit at the Europa Institut at the University of Zurich on 13 February 2019
Michel M. LièsChairman of the Board of Directors of Zurich Insurance Group Ltd and Zurich Insurance Company Ltd
Insurance: Protect, Prevent, Provoke?Speech given on the occasion of his visit at the Europa Institut at the University of Zurich on 8 October 2020
Helmut Kohl
Es ist mir eine grosse Freude, heute an diesem denkwürdigen Ort zu sein. Dieses Zunfthaus strahlt bis zum heutigen Tag Würde und Glanz aus.
Ich kann mir gut vorstellen, wie es gewesen sein muss, als Winston Churchill am 19. September 1946, also vor 55 Jahren, zu Gast in diesem Hause war, wo der Zürcher Regierungsrat ihm zu Ehren ein Essen gab.
Dieser 19. September 1946 nimmt in der Chronik der Stadt Zürich einen besonderen Platz ein:
Die Bevölkerung hatte sich vom Besuch des einstigen Premierministers Grossbritanniens ganz in seinen Bann nehmen lassen.
Als Churchill von der Universität, in deren Aula er gesprochen hatte, durch die Stadt fuhr, jubelte ihm überall eine begeisterte Menschenmenge zu. Auf dem Münsterplatz vor dem Zunfthaus, wo er sich der Menge zeigte, war der Beifall schier grenzenlos.
Winston Churchill – er war den Menschen Sinnbild für den Sieg über Hitler. Er stand für Frieden und Freiheit und für ein neues Europa. Die „Rede an die akademische Jugend der Welt“, wie sie offiziell hiess, ist eine der berühmtesten Reden des letzten Jahrhunderts.
Churchill wusste um die Wirkung, die sie haben würde. Während seines Urlaubs hatte er oft an seinem Manuskript gearbeitet. Die ganze Nacht vor seinem Auftritt feilte er noch an den Formulierungen.
Die Ansprache hatte eine enorme visionäre Kraft. Ihre Wirkungen gingen weit über ihre Zeit hinaus. Ihr Inhalt hat bis heute nichts von seiner Gültigkeit verloren.
Deshalb begrüsse ich es, dass seit 1996 jährlich mit einer besonderen Veranstaltung an Churchills Rede in Zürich erinnert wird.
I.
Was Winston Churchill den Vertretern von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft sowie den 150 Studenten in der Aula der Universität zurief, war für die damalige Zeit eine Sensation. Die Kernaussagen der Rede lauteten – ich formuliere sie mit meinen eigenen Worten:
Der Schrecken des vergangenen Krieges darf nicht das weitere Miteinander der Menschen bestimmen. Es gilt, den Blick nach vorne zu richten und die Zukunft zu gestalten.Die Antwort auf den Nationalismus, der Europa so viel Unheil brachte, muss die Einigung Europas sein. Die Rückbesinnung auf das gemeinsame Erbe, die europäische Kultur und die christlichen Werte verschafft den Menschen ein Leben in Freiheit, Wohlstand und Glück.Zu Herstellung einer Ordnung, in der die Menschen in Freiheit, Sicherheit und Frieden leben, müssen eine Art von „Vereinigte Staaten von Europa“ geschaffen werden, und zwar unverzüglich.Auf dem Weg zur Neubildung der europäischen Familie müssen zuerst Deutschland und Frankreich zusammen gehen. Wörtlich sagte er: „Es gibt kein Wiedererstehen Europas ohne ein geistig grosses Frankreich und ein geistig grosses Deutschland“.Wir müssen uns vergegenwärtigen: Diese Sätze wurden 16 Monate nach Ende des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkrieges gesprochen!
Das Trauma der Nazi-Barbarei mit der Schande des Holocausts lag noch über Europa. Die Alliierten hielten Deutschland und Österreich besetzt. Die Urteile in Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen waren noch nicht gesprochen. Eine deutsch-französische Verständigung war noch nicht in Sicht.
Vor diesem Hintergrund musste Churchills Zukunftsentwurf wie eine Utopie klingen.
Kaum jemand glaubte an eine Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland. Fast vergessen ist, dass Charles de Gaulle zu diesem Zeitpunkt das linke Rheinufer als die natürliche Grenze Frankreichs sah.
Aber Churchill hielt schon damals eine Verständigung zwischen beiden Ländern für möglich.
In dieser Frage wusste sich Churchill mit Konrad Adenauer eins, der ebenfalls schon früh für eine Aussöhnung zwischen beiden Ländern eintrat.
Beide waren Visionäre. Sie behielten Recht, wie die Geschichte bewiesen hat. Churchills und auch Adenauers Denken war von dem Wunsch bestimmt: „Nie wieder Krieg!“
Beide Politiker wie auch andere führende Persönlichkeiten der europäischen Nachkriegspolitik – Alcide de Gasperi, Robert Schuman, Jean Monnet und Paul Henri Spaak -waren fest davon überzeugt:
Frieden und Freiheit liess sich auf dem europäischen Kontinent nur durch einen engeren Zusammenschluss erreichen.
Diese Visionäre haben sich heute als die wahren Realisten erwiesen.
Woran sie glaubten und wofür sie eintraten, ist in der Europäischen Union Wirklichkeit geworden.
II.
Churchills Vorstellung von einer deutsch-französischen Zusammenarbeit wurde bereits 1950 Realität:
Der französische Aussenminister Robert Schuman erreichte zusammen mit Konrad Adenauer die gemeinsame Kontrolle der Kohle- und Stahlproduktion Deutschlands und Frankreichs.
Dieser Schuman-Plan, auch Montanunion genannt, war der Anfang vom Ende der Jahrhunderte alten Feindschaft zwischen beiden Ländern. Adenauer und Charles de Gaulle besiegelten dies 1963 mit dem deutsch-französischen Freundschaftsvertrag.
Die Montanunion zwischen Deutschland und Frankreich wurde schon 1951 um vier Länder zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl erweitert. Sie war der Vorläufer der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die sich 1957 in Rom formierte.
Bis 1986 verdoppelte sich die Zahl von anfänglich 6 Mitgliedsländer auf zwölf. Damals lebten in ihnen insgesamt 250 Millionen Menschen. Heute gehören zur Europäischen Union 15 Mitgliedsländer mit insgesamt 375 Millionen Einwohnern.
Mit den weiteren Beitrittskandidaten kann die EU einmal über eine halbe Milliarde Menschen zählen.
Ganz entscheidende Etappen im Prozess der europäischen Integration waren dann der „Vertrag über die Europäische Union“ (1992) und der Beginn der „Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion“ am 1. Januar 1999.
Wenn wir uns diese Entwicklung des letzten halben Jahrhundert einmal vor Augen halten, so müssen wir feststellen:
Churchills Vision von einem geeinten Europa ist Wirklichkeit geworden! Wir haben erreicht, wovon Churchill vor einem halben Jahrhundert träumte!
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der ehemalige Premierminister in seiner Vision von „einer Art der Vereinigten Staaten von Europa“ sprach.
Ob er dabei genau das amerikanische Modell vor Augen hatte, ist nicht ganz klar.
Ich gebe zu, dass ich früher, in Anlehnung an Churchills Zürcher Rede, auch den Begriff „Vereinigte Staaten von Europa“ gebrauchte. Doch sage ich heute ganz offen:
Diese Bezeichnung war und ist irreführend. Der Vergleich ist falsch.
Denn der Begriff von den „Vereinigten Staaten“ ruft bei Teilen der Öffentlichkeit die Vorstellung hervor, wir wollten auf europäischem Boden so etwas wie die USA schaffen. Genau das wollen wir nicht!
Europa hat eine andere Geschichte als die USA. Wir wollen ein vereintes Europa – wirtschaftlich und monetär, politisch und kulturell!
Bis zur Europäischen Union mit den Verträgen von Maastricht war es dann ein langer, teils auch von Enttäuschungen begleiteter Weg. Oftmals mussten sich die Verhandlungspartner gegen Kleinmut und Ängstlichkeit wehren.
Wenn ich an meinen ersten EG-Gipfel als Bundeskanzler 1982 in Kopenhagen denke, so war das damals meistgebrauchte Wort für Europa „Eurosklerose“. Kein Mensch glaubte an die Zukunft eines vereinten Europas; man wurde schlicht ausgelacht.
Doch was haben wir heute alles im Vergleich zu damals. erreicht!
Oder nehmen Sie den Amsterdamer Vertrag (1997) mit dem Beschluss zur Einführung einer gemeinsamen Währung. Von ihr wurde behauptet, sie käme nie.
Sicher, es war ein ausgesprochen schwieriges Unterfangen. Doch heute trennen uns nur noch 74 Tage von der Einführung des neuen Geldes.
Damit beginnt ein neuer Abschnitt in der Geschichte der Europäischen Union.
III.
Für mich war die Entscheidung für den Euro von grösster Wichtigkeit. Denn durch die gemeinsame Währung wird die europäische Einigung unumkehrbar gemacht. Deshalb bin ich überzeugt:
Der Euro wird mehr sein als ein reines Zahlungsmittel. Der Euro wird zu einem Identifikationsmerkmal Europas werden.
Er wird zu einem sichtbare Zeichen der Zusammengehörigkeit werden. Ja, er wird massgeblich dazu beitragen, dass ein europäisches Bewusstsein entsteht. Für die Kinder von heute wird es einmal selbstverständlich sein, in weiten Teilen Europas mit einer Währung einkaufen zu können:
In Frankfurt wie in Paris, in Madrid wie in Rom – und in ein paar Jahren auch in London.
Und ich prognostiziere: Es wird die Zeit kommen, da in Zürich und in Bern und überall in der Schweiz mit dem Euro gezahlt werden wird.
Schon in wenigen Monaten werden Sie als Schweizer die Allgegenwart des Euros erleben, wenn Geschäftsleute und Urlauber mit dem Euro in Ihr schönes Land kommen.
Die Vorteile der Euro-Bargeld-Einführung in der ja bereits bestehenden Währungsunion werden eindeutig sein:
Preise und Märkte werden transparenter, Umtauschgebühren entfallen, Wechselkursrisiken werden ausgeschaltet.
Der Euro erleichtert insgesamt den Handel und verbessert die Kalkulations- und Planungssicherheit für Investoren.
Schon in den ersten 2 Jahren der Währungsunion zeigte sich: Die wirtschaftliche Entwicklung im Euro-Gebiet – z. B. das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigungsrate – sind eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen.
Erwartungsgemäss gab und gibt es im Zusammenhang mit der Einführung des Euros nicht wenige Kritiker. Doch ich bin überzeugt: Der Euro wird ein Erfolg werden!
Vergegenwärtigen wir uns das Jahr 1948: Bevor die Bundesbank entstand, gab es die Bank Deutscher Länder. Deren erster Chef war der Finanzrat Wilhelm Vocke. Als er 1950 zum damaligen Chef der amerikanischen Notenbank reiste, wurde ihm die D-Mark schlechtgeredet. Doch was ist aus ihr geworden!
Lassen wir uns unsere Haltung zur neuen Währung nicht von aktuellen Wechselkursen bestimmen. Auch die D-Mark war gegenüber dem Dollar nicht immer gleich stabil!
Wir müssen in langfristigen Perspektiven denken! Und da bin ich mir, was den Euro angeht, zusammen mit vielen Währungsexperten absolut sicher: Der Euro wird neben dem Dollar und vor dem Yen zur wichtigsten Währung der Welt werden.
IV.
Damit die europäische Einigung ein Erfolg wird, müssen wir für die Erweiterung der Europäischen Union eintreten. Die Europäische Union bliebe ein Torso, wenn allein Westeuropa dazugehörte.
Die Länder Mittel und Osteuropas sind Teil unserer Kultur. Denn ob Sie über die Plätze Prags oder Krakaus gehen – Sie befinden sich, mitten in Europa! Winston Churchill hatte sehr richtig erkannt: Die christlich-abendländische Kultur vereint das gesamte Europa. Das gilt über die Oder hinaus.
Deswegen wollen wir jetzt alles tun, damit diese Länder in Europa ihre Chance bekommen. Sie müssen selbst und zum Teil unter erheblichen Opfern die notwendigen Voraussetzungen schaffen, um den Standard des Beitritts zu erreichen, nicht zuletzt die ökonomischen Voraussetzungen.
Aber wir wollen ihnen Hilfe geben, Hilfe zur Selbsthilfe.
Die aktuelle Diskussion im Hinblick auf die Erweiterung finde ich unerträglich.
Es ist eine schlimme Heuchelei, wenn jetzt gesagt wird, man müsse sich bei der Aufnahme weiterer Länder Zeit lassen. Das Gegenteil ist zu tun: Es darf keine Zeit verloren werden!
Winston Churchill hatte in seiner ebenso berühmten Rede in Fulton/Missouri am 5. März 1946 die Errichtung eines Eisernen Vorhanges durch die Sowjetunion quer durch Mittel- und Osteuropa beklagt.
Wenn wir uns seine Worte heute vergegenwärtigen, so muss nach dem Verschwinden von Mauer und Stacheldraht umso mehr gelten:
Die Länder des ehemaligen Ostblocks dürfen nicht dafür bestraft werden, dass sie sich früher unverschuldet jenseits des Eisernen Vorhangs befanden!
Die Erweiterung der Europäischen Union ist nicht nur eine historische und moralische Verpflichtung; sie liegt auch in unserem ureigensten Interesse. Den Vorteil davon hätte ganz Europa.
Denn es liegt in unserem Interesse, dass das Wohlstandgefälle zwischen den Ländern der Europäischen Union und den Staaten Mittel- und Osteuropas beseitigt wird.
Die Ost-Erweiterung wird neue Wachstums- und Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen. Das gilt für die Beitritts- wie für die Mitgliedsstaaten.
Mir scheinen die Ängste, die derzeit in diesem Zusammenhang geschürt werden, übertrieben. Ich bin überzeugt, dass sich die Frage der Zuwanderung lösen lassen wird. Auch die Süd-Erweiterung hat die Europäische Union gut überstanden.
V.
Auch und gerade in einem erweiterten Europa muss es ein gleichberechtigtes Miteinander von grossen und kleinen Staaten geben. Ein Gegeneinander schadet der Europäischen Einigung. Die Grossen sollten sich nicht überlegen und die Kleinen nicht unterlegen fühlen. Beide sind aufeinander angewiesen. Sie ergänzen sich in ihrer Vielfalt, die Europa so faszinierend macht.
Winston Churchill blickte in seiner Zürcher Rede auch in diesem Punkt weit voraus. Er stellte nämlich klar, dass die Bedeutung der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nicht allein nach materiellen Gesichtspunkten beurteilt werden darf.
Wörtlich formulierte er: „Kleine Nationen werden so viel wie grosse gelten und sich durch ihren Beitrag für die gemeinsame Sache Ruhm erringen können“.
Diese Erkenntnis ist leider beim EU-Gipfel in Lissabon im Jahr 2000 vergessen worden. Damals hatten die meisten EU-Mitglieder keine Hemmungen, Österreich politisch zu isolieren, als dort die Wahlen nicht in ihrem Sinne ausgingen.
Mitterand und ich waren immer der Auffassung: Mehr als das Kriterium der Quantität muss das der Qualität gelten.
Österreich gehört zu den kleineren Staaten in der Europäischen Union. Aber im Bereich der Kultur ist Österreich eine der führenden Nationen der Welt.
VI.
Angesichts der schrecklich barbarischen Terrorakte in Amerika stehen die zivilisierten Staaten jetzt vor einer grossen Herausforderung: Es gilt zu verhindern, das so etwas nicht wieder passiert.
Die Europapolitische Antwort auf diesen Terror kann meines Erachtens nur lauten: Europa muss bei der Aussen- und Sicherheitspolitik sowie bei der Inneren Sicherheit noch enger zusammenarbeiten.
Denn eine europäische Aussen- und Sicherheitspolitik bleibt kraftlos, wenn sie nicht geschlossen vertreten wird.
Meine Position ist schon seit zwei Jahrzehnten die: „Europa muss lernen, mit einer Stimme zu sprechen“. Erst dann agiert die EU effektiv und wird in der Welt ernst genommen, wenn sie angesichts der vielfältigen Herausforderungen einmütig handelt.
Gerade bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus ist dies zwingend notwendig. Das Verbrechertum und der Terrorismus machen an den Landesgrenzen nicht halt.
Vielmehr machen sie sich die unterschiedlichen Zuständigkeiten zwischen den einzelnen Ländern zu nutze. Diese Reibungsverluste erschweren die Verbrechensbekämpfung.
Die Bürger erwarten aber, dass sie geschützt werden und die europäischen Institutionen effizient gegen die internationale Kriminalität vorgehen. Deshalb sind zwei Dinge zu tun:
Zum einen müssen die Zuständigkeiten von EUROPOL ausgebaut werden.
Zum anderen braucht Europa gerade in Sicherheitsfragen klare Entscheidungen.
Deshalb ist es wichtiger den je, das Prinzip der Mehrheitsentscheidung im Rat auszubauen. Die Verbesserung der Entscheidungsprozesse des Rates bleiben eine grosse Aufgabe.
Die Regierungskonferenz von Nizza hat sich im Dezember letzten Jahres in dieser Frage noch schwer getan. Die Quoten für das Erreichen qualifizierter Mehrheiten wurden unnötig heraufgesetzt und das Verfahren komplizierter gemacht. Das hat die Entscheidungsfähigkeit des Rates geschwächt.
Deshalb müssen die nötigen Nachbesserungen am Vertrag von Nizza bald angegangen werden. Dieser Prozess sollte bis Ende 2003, also noch vor der nächsten Europawahl abgeschlossen sein.
Nach wie vor muss aber das Prinzip der Subsidiarität erhalten bleiben. Das heisst:
Die Probleme müssen auf der Ebene gelöst werden, auf der sie am besten gelöst werden können, nämlich nahe bei den Menschen.
In diesem Sinne möchte ich auch die „Kompetenzordnung“ verstanden wissen, von der heute in der EU oft die Rede ist:
Einerseits ist es wichtig, dass die EU mit genügend Kompetenzen ausgestattet ist. Andererseits kann es erforderlich sein, dass bestimmte Zuständigkeiten von der Gemeinschaft an die EU-Staaten oder in die Regionen zurückgegeben werden.
Auch ein erweitertes Europa wird ein Kontinent der Vielfalt, ein Europa der Vaterländer sein.
Es wird nach meiner festen Überzeugung überschaubar bleiben. Europa ist kein Leviathan, der sich von Brüssel oder Strassburg aus über Europa wölbt.
Sicher – Europa muss eine Sache des Verstandes sein, bezogen auf die politische Zweckmässigkeit und die ökonomische Vernunft. Sie muss aber auch eine Sache des Herzens sein!
Europa wird dann zur Herzenssache, wenn die. Menschen spüren, dass dieses Europa für sie gebaut wird. Es geht um ein Europa, das nach dem Prinzip „Einheit in Vielfalt“ gestaltet ist.
Regionale und nationale Besonderheiten gehen darin nicht verloren. Für die Menschen in Europa gilt: Sie bleiben Schweizer, Italiener oder Deutsche – und sind gleichzeitig alle Europäer.
Heimat, Vaterland, Europa – das ist der Dreiklang der Zukunft!
VII.
Winston Churchill war bei all seinem Tun und Handeln von einem Leitmotiv bestimmt: Es war das Eintreten für die Freiheit. Dafür stand er während seines ganzen Lebens, bei allen Veränderungen.
Im Rückblick auf das vergangene Jahrhundert können wir sagen: Wir haben heute in weiten Teilen Europas ein Mass an Freiheit erlangt, von dem wir vor 50 Jahren nicht zu träumen gewagt hätten. Zur Politik der europäischen Integration gibt es deshalb keine verantwortbare Alternative.
Diese Politik hat – in Verbindung mit der transatlantischen Partnerschaft – entscheidend dazu beigetragen, dass wir in der Mitte Europas heute in der längsten Friedensperiode unserer Geschichte überhaupt leben.
Für mich steht fest: Ohne die Politik der europäischen Integration, ohne die Aussöhnung mit unseren Nachbarn und ohne die Abkehr von nationalstaatlicher Machtpolitik des 19. Und 20. Jahrhunderts hätte es keine Deutsche Einheit gegeben.
Die Deutsche Einheit und die europäische Einigung sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Die europäische Einigung hat uns Deutschen die Chance ermöglicht, als gleichberechtigtes Mitglied der europäischen Staatenfamilie die Einigung unseres Kontinents mitzugestalten.
Ein Blick auf die vergangenen Jahrzehnte lässt ermessen, welch gewaltige Weg strecke wir in Europa gemeinsam zurückgelegt haben.
Meine Vision vom Europa des 21. Jahrhunderts ist die einer starken solidarischen Gemeinschaft,
die über die ehemaligen Gräben des Kalten Krieges weiter zusammenwächst,in der die Menschen in Frieden und Freiheit, in einem hohen Masse an Wohlstand und sozialer Sicherheit leben können, undin der die Grenzen offen stehen, so das die Menschen sie überschreiten und Freundschaften schliessen können.Es lohnt sich, für diese Vision zu arbeiten – für die Jüngeren wie für die Älteren, im Osten wie im Westen unseres Kontinents.
Wenn wir das tun, erfüllen wir das grosse Vermächtnis Winston Churchills.
Zoran Djindjic
Danke für die Einladung und es ist auch eine grosse Ehre und auch gleichzeitig ein Vergnügen für mich, dass ich heute hier mit Ihnen sprechen kann und die Zeit verbringen kann und ich danke auch für das grosse Interesse, das Sie an diesen Themen haben. Und ich bedanke mich auch für die – da ich der letzte Sprecher bin in dieser Reihe – die grosse Verantwortung, die mir gegeben wurde, weil eigentlich ich entscheide jetzt, wann Sie mit dem Essen weitermachen. Und Herr Juncker hat über die Kleinen und ich würde sagen auch über die Armen gesagt, dass sie manchmal die Hand am Hebel haben und ich verspreche, ich werde das nicht missbrauchen, ich werde kurz reden und versuchen, dass Sie auch diese Fortsetzung geniessen. Und ich muss noch eine Bemerkung machen, die ich vielleicht auch auslassen sollte: Dass natürlich kein Essen umsonst, auch in der Schweiz nicht und dass meine Rede jetzt als eine Bezahlung dessen zu verstehen ist, was Sie heute geniessen. Und ich werde mich bemühen, dass der Preis nicht zu hoch wird, obwohl ich natürlich in der Schweiz rede und das ist etwas leichter, weil ich habe vor, ein bisschen auch die Europäische Union zu kritisieren und es wäre schwieriger vielleicht in England und noch schwieriger in Frankreich, aber in der Schweiz können wir uns solidarisieren und sagen, diese Europäische Union soll sich noch anstrengen, um uns anzuziehen.
Und natürlich ist dieser Anlass für den heutigen Abend auch sehr wichtig, nicht nur aus formellen Gründen. Es ist nicht nur so, dass Winston Churchill einmal etwas gesagt hätte und dass wir auch heute zu dieser Gelegenheit ein gutes Abendessen haben und uns einfach erinnern, dass er da war, sondern es geht auch um die Substanz. Sonst hätten wir alle diese Leute hier nicht zusammen gehabt, weil es gibt eine Kontinuität einer grossen Idee, einer Idee über den ewigen Frieden wie Emmanuel Kant einmal das gesagt hat in Europa, und es gibt ein Problem, diese grosse Idee zu verwirklichen. Es gibt viele vernünftige Leute in Europa, aber es gab wenig Vernunft in Europa in diesen letzten zwei, drei Jahrhunderten. Und natürlich zwischen einer grossen Idee und einer Realität gibt es eine Kluft und jede Generation hat die Aufgabe, diese Kluft irgendwie vernünftig auszufüllen und von dieser Idee zu dieser Realität zu kommen. Und die Realität ’46, als Churchill diese Rede hielt, war nicht sehr schön. Und er sprach dann von einer „Tragedy of Europe“. Der Krieg war vorbei, aber Europa war in einem sehr schlechten Zustand. Aber es ist interessant, dass ein grosser Stratege, ein sehr realistischer Politiker, im gleichen Absatz, wo er über eine europäische Tragödie sprach, auch die Worte benutzt hat, die nicht gewöhnlich sind für einen Politiker. Er sagte: „Es ist möglich, ein Europa ohne „limits“, ohne Grenzen, wo Leute glücklich sind, wo Prosperität gegeben ist und wo Freiheit grenzenlos existiert. „Und das sind richtig utopische Ideen, die europäische Geschichte als ein Parallelgleis verfolgen, gleichzeitig mit einem Gleis der Realität, wo die Bürgerkriege, die religiösen Kriege und alle möglichen Kriege geschehen sind.
Heute wissen wir, dass das keine Utopie war. Heute wissen wir, dass eine Flucht nach vorne manchmal notwendig ist, damit man eine schlechte Realität überhaupt akzeptieren kann. Manchmal bedeutet das, realistisch zu denken, einfach die Realität nicht in der gegebenen Form zu akzeptieren, sondern in die Realität etwas Besseres zu projizieren. Und manchmal ist das der einzige Ausweg aus einer Misere. Würden wir nur Realitätssinn beibehalten, dann würden wir ein Management des Elends betreiben und das durch die ganze Geschichte. Heute wissen wir, dass diese Vision von einer europäischen Einheit, einer europäischen Familie, einer „United States of Europe“, dass es ziemlich nahe zu der Realität geworden ist und dass die Europäer, diese kerneuropäischen Völker, 50 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zufrieden sich an einen Tisch hinsetzen können und sagen können: „Wir haben eine grosse Arbeit geleistet.“ Nur die Frage ist: Ist das das ganze Europa? Und ist das so, wenn sie zum Beispiel ein schönes Haus gebaut haben, mit Problemen in einer Familie, Geschwistern gekämpft, sich gegenseitig geschlagen haben, und dann doch ein Haus zustande gebracht haben, ein schönes Haus und dann sich da hingesetzt haben und sagen: „Wir haben ein tolles Haus gebaut.“ Die Frage ist, ist das tatsächlich so oder sollten Sie sich Gedanken darüber machen, ob Sie vielleicht in der Nähe einen Sumpf haben, ob Sie in der Nähe eine – ich will nicht brutal sein, aber die Journalisten sind auch nicht da, und diese Vergleiche sollen Sie nicht wörtlich nehmen – ob Sie vielleicht eine Mülldeponie haben, ob Sie eine Quelle der Viren haben, die durch organisierte Kriminalität, Drogenschmuggel, alle möglichen Übel ihre heile Welt doch stören. Und wenn Sie das haben, und wenn Sie das in der Nachbarschaft haben, dann ist Ihr Haus nicht so toll. Dann, das heisst Ihr Haus endet nicht, wenn Sie aus Ihrem Hof rausgehen, Sie müssen versuchen, die ganze Gegend zu kultivieren, damit Sie richtig eine Stabilität und den Frieden geniessen können.
Und wenn wir über die Turbulenzen reden – und ’46 war Europa turbulent – wenn wir heute über die Turbulenzen reden, dann reden wir nicht mehr über Deutschland und Frankreich, über den deutschen Kaiser und den russischen Zaren und was weiss ich, was da alles geschehen war in der Geschichte, sondern wir reden über den Balkan. Und auf dem Balkan sind die Zustände jetzt ähnlich wie die Zustände in Europa ’46/’47 und das ist mit dem Wort „Tragedy“ zu beschreiben. Die Infrastruktur ist zerstört, wir hatten vier, fünf, sechs Kriege, mehrere von denen waren bürgerkriegsähnliche Kriege, d.h. mit Hass, mit häuslichen Ereignissen begleitet und die Frage ist: Was dann? Wie kann diese Region mit ungefähr 30, 40, 50 Millionen Einwohnern, Menschen, zu einem ewigen Frieden kommen, in Anführungszeichen, d.h. zu einer Stabilität, Prosperität und Freiheit? Und sind die Bedingungen gegeben dafür und wird es ein natürlicher Prozess sein, wie man sich erhofft im Zentrum von Europa, dass man sagt, wir haben gewisse Kriterien gestellt, die sind vorwiegend wirtschaftlich/finanziell und dann haben wir einen Plan auf 10, 20 Jahre gelegt, vielleicht 30, 40, und diejenigen, die diese Kriterien erfüllen, können sich anschliessen wie die Waggons an einen Zug und so läuft das und das ist mehr oder weniger harmonisch.
Ich würde diesen Optimismus anzweifeln. Ich glaube nicht, dass das so einfach ist. Ich stimme zu, dass die Normalität in die Balkanregion gekehrt ist, dass wir jetzt reisen können, dass wir Geschäfte machen können, dass die Reformen im Gange sind, dass alle Regierungen, die da gewählt sind in den letzten drei, vier Jahren demokratisch gewählt worden sind. Manche sind nicht ganz pro-europäisch, aber die sind demokratisch gewählt und das ist etwas ganz Neues in der Geschichte dieser Staaten. Aber wenn man über die strukturelle Stabilität redet, über die Stabilität auf Dauer, das ist weit entfernt davon. Und ich werde nur zwei Anmerkungen machen dazu. Einmal geht es über die Natur der Staaten und der Staatengebilde, die da entstanden sind. Und wenn man das nur oberflächlich anschaut, auch ohne Absicht, da politische Botschaften zu senden, einfach ein Bild der jetzigen Situation, dann wird man mehrere nicht konventionelle Staaten gleich sehen. Das ist keine negative Bezeichnung, es heisst nur, dass es nicht ganz übliche Staaten sind. Serbien und Montenegro, es entsteht gerade und wird bis zum Jahresende hoffentlich entstehen, und es gibt keinen Staat auf der Welt, der ähnlich ist wie dieser Staat, der entstehen soll. Das heisst, man kann nicht einfach davon ausgehen, dass das gut für die Normalität ist, dass man etwas hat, was einmalig ist und das ein Experiment ist. Wenn das nur das eine wäre, wäre OK, aber wir haben auch Bosnien. Und wenn Sie in den letzten zwei, drei Tagen die Zeitung lesen, Sie sehen viele besorgte Kommentatoren, die sich die Frage stellen: „Was hält diesen Staat zusammen? Kann dieser Staat ohne Einfluss von aussen auch weiterhin bestehen?“ Das ist auch eine Frage der Stabilität der Region. Am Ende Kosovo. Frage des Dreiecks Albanien-Kosovo-Mazedonien: Was geschieht wenn in zwei, drei Jahren durch eine Veränderung Kosovo möglicherweise unabhängig wird? Wird das eine Kettenreaktion in Gang setzen, wo dann natürlich ein Drittel Mazedoniens in Frage käme. Wird dann dieser Prozess wie ein Funke auf Bosnien springen? Was wird dann in dieser Region entstehen? Und welche Kosten wird Europa dann zu zahlen haben? Das ist keine Drohung, ich sage nicht: „Kümmert euch um den Balkan, damit Sie später nicht noch mehr bezahlen.“ Nein, ich sage nur, wenn wir strategisch denken, und Churchill hat uns das nahe gebracht, dann müssen wir unterschiedliche Optionen, auch diejenigen, die nicht positiv sind, einfach in Kauf nehmen und versuchen, die Antworten zu finden, für die Entwicklungen, die vielleicht nicht positiv werden. Und eine Destabilisierung Balkans kann nicht ohne Folgen für die europäische Stabilität bleiben.
Die Frage ist – und darin sehe ich eine Ähnlichkeit – wie kann man diese Zersplittertheit, diesen Mangel an Kohäsion, diesen Mangel an Integration in dieser wichtigen Region überwinden? Die Antwort ist ähnlich wie mit Europa ’45. Wir brauchen eine starke Idee und eine starke Vision, brauchen etwas, das uns nach vorne treibt, brauchen etwas, das mehr ist als „business as usual“, mehr ist als Rechnungen, mehr ist als Wirtschaft, die für mich das Wichtigste ist. Aber für die meisten Menschen geht es um Identität. Geht es um die Seele, nicht nur um das Materielle. Und ich sehe eine grosse Idee in der europäischen Integration. Ich sehe keine andere, würde das scheitern. Ich sehe schwarze Tage kommen für diese Region. Wenn die Leute, diese 30, 40, 50 Millionen Leute, die Hoffnung aufgeben, dass sie ein Mitglied der europäischen Familie sind, dann weiss ich nicht, was dann als eine grosse Idee übrigbleibt.
Wir hatten zwei grosse Träume gehabt in den zwei Jahrhunderten, im 19. und 20., und beide waren sehr kostspielig und am Ende doch falsch. Das war Kommunismus und Nationalismus. Es waren zwei Antworten auf die Fragen der Zerstrittenheit der Nationen, der Staaten, der Regionen. Das waren zwei grosse mobilisierende Ideologien, die natürlich das Negative im Menschen mobilisiert haben. Die Frage ist: Was soll eine grosse mobilisierende Idee sein, die stark genug ist, das Positive im Menschen zu bewegen? Die Frage ist nicht, dass man die Idee aufgibt, eine solche Kraft zu haben. Man kann diese Leute nicht bewegen mit ein bisschen Hilfe, mit ein bisschen Entwicklungsassistenz, mit ein bisschen Hin und Her, das ist zu wenig. Diese Menschen brauchen auch einen Sinn im Leben, und zwar nicht nur im Einzelnen, sondern auch im kollektiven Leben. Und europäische Integration kann diese Rolle spielen, wenn sie als eine grosse Vision entwickelt wird, und nicht nur als ein bürokratisches Konzept. Wenn eine fähige, visionäre Führung in Europa existiert, die es versteht, dass auch europäische Zukunft davon abhängig ist, wie man den ganzen europäischen Kontinent gestaltet und nicht nur einige Länder, und wenn wir bald mit der Verwirklichung dieser Vision beginnen. Weil jede Liebe, oder fast jede Liebe, hat gewisse Zeit, danach kühlt es ab. Ich weiss nicht, wie Ihre Erfahrung ist, aber durchschnittlich ist es so, dass – ich habe das in einem Buch gelesen – dass nur im Mittelalter die Liebe ewig war, diese unglückliche Liebe, die bis zum Tode gedauert hat. Im 21. Jahrhundert wenn die Liebe keine Antwort findet, dann findet man eine andere Liebe. Und Gefahr ist, dass die Leute, wenn Europa so bürokratisch bleibt, wie es in den letzten Jahren von Zeit zu Zeit auch geworden ist, dass viele Leute auf eine Liebe, die nicht mit genug emotionaler Wärme beantwortet wurde, dass man einen Ersatz findet. Und die erste Second-Best-Solution oder Second-Worst-Solution ist Nationalismus natürlich. Es gibt nicht so viele grosse Lieben. Und die Gefahr ist gross, dass, wenn europäische Idee nicht mit genug Energie promoviert wird, dass dann eine stärkere, obwohl eine falsche, grosse Idee sie ersetzt und dass wir dann wieder auf den Anfang kommen und dass dann die europäische Geschichte eigentlich in dieser hässlichen Phase nicht beendet wird.
Ohne Europa zu vervollständigen wird Europa nicht stabil und kann Europa die Rolle in der Weltgeschichte nicht spielen, die es spielen soll. Meine Botschaft ist: Natürlich brauchen wir Kräfte in diesen Ländern selbst, aber wir brauchen auch eine positive Energie von seitens Europa. Und diese Energie soll nicht auf die materiellen Sachen reduziert werden, es soll auch etwas Ideelles, Emotionales in sich beinhalten. Vielleicht sehe ich das nicht so ganz genau, weil ich lebe nicht im zentralen Europa, aber ich sehe, dass Europa selbst und die europäische Idee selbst in Europa mehr und mehr auf das Protokollare, auf das Bürokratische, auf das Prozessuale reduziert wird. Es herrscht ein Defizit an der europäischen Identität in Europa selbst. Und um uns ein bisschen Energie zu geben, muss Europa diese Energie erzeugen. Man muss in Europa wissen, warum ein europäisches Modell besser ist als alle anderen Modelle. Warum diese Kombination von Solidarität, Freiheit, Marktwirtschaft, die in Europa geboren ist, warum das besser ist als alle anderen Konkurrenzmodelle in der Welt. Ich sehe nicht so viele Aktionen um dieses Projekt und ich sehe nicht so viele Leute in Europa, die daran arbeiten, die ganze Welt zu überzeugen, dass das europäische Modell gut ist, und dass es nicht nur Wirtschaft ist und dass es nicht nur Städte sind und dass es nicht nur das Essen ist, sondern dass es auch eine Seele hat. Wir brauchen eine europäische Seele und wir sind als noch immer nicht ein Mitglied der EU bereit, uns anzuschliessen. Wir und die Schweiz, wenn Europa eine Seele hat, wenn diese Seele stark genug ist, dann kommen wir auch mit.
Hans-Dietrich Genscher
Mit grosser Freude habe ich die Einladung angenommen, heute vor Ihnen über das Thema „Europa in einer neuen Weltordnung“ zu sprechen.
Ich betrachte es als grosse Ehre, dass ich dazu aus Anlass des gestrigen 60. Jahrestages der Rede Winston Churchills vom 19. September 1946 hier in Zürich das Wort ergreifen darf.
Churchill hatte damals die Einigung Europas als die Zukunftschance für unseren Kontinent erkannt.
Sein Appell an die Franzosen und Deutschen, in die Zukunft zu blicken und eine Partnerschaft für Europa zu begründen, zeigte den Weg.
Es gab zwei bedeutende Reden, die Churchills Züricher Zukunftskonzept vorausgegangen waren.
Schon im Sommer 1945, wenige Wochen nachdem die Waffen in Europa schwiegen, hatte der französische Schriftsteller und Diplomat, Paul Claudel, an die Deutschen appelliert:
„Deutschland ist nicht dazu da, die Völker zu spalten, sondern um sie um sich zu versammeln – alle die unterschiedlichen Nationen, die es umgeben, spüren zu lassen, dass sie ohne einander nicht leben können.“
Es war der Appell an die Deutschen, sich ihrer Verantwortung in und für Europa endlich bewusst zu werden, sich also als Europäer unter Europäern zu verstehen.
Das war übrigens ganz im Sinne von Thomas Mann, der wenige Jahre später der deutschen Jugend zurief: „Es geht nicht um ein deutsches Europa, aber es geht um ein europäisches Deutschland.“
Das war die Forderung nach der Europäisierung Deutschlands. Es war die Alternative zu einem von Grössenwahn und Rassenwahn bestimmten Ziel der Germanisierung des Kontinents.
Wenige Tage, bevor Winston Churchill hier in Zürich seine Stimme erhob, sprach in den Trümmern der Stadt Stuttgart, in dem einzigen noch erhaltenen grösseren Versammlungsraum, dem Staatstheater – es war am 6. September 1946 –, der amerikanische Aussenminister Byrnes. Er sagte, Amerika werde den Völkern Europas beim Aufbau helfen.
Er bezog in dieses Programm das besiegte Deutschland ein. So wie es ja auf seine Art, auch Churchill tat.
Weitsichtig erklärte Byrnes, ohne Deutschland sei eine Gesundung Europas nicht möglich.
Mit dem Marshall-Plan löste Amerika sein Hilfsversprechen in überzeugender Weise ein.
War Churchill einer der eindringlichsten Mahner zur Einheit des Kontinents, so wurden die USA zu den Paten der europäischen Einigung.
Es ist notwendig, daran zu erinnern und zwar beide – nämlich jene Europäer, die ihre Identität im Gegensatz zu Amerika suchen und dann jene Amerikaner, die das vitale, auf die Zukunft ausgerichtete Europa in ein altes und ein neues Europa spalten möchten.
Churchills Forderung nach dem Bau einer Art Vereinigten Staaten von Europa war ein ebenso historisches, wie weitsichtiges Konzept. Er war vorsichtig mit dem Namen Vereinigte Staaten von Europa und sagte, wie immer man es am Ende nennen wird, man müsse auf jeden Fall anfangen.
Robert Schuman, Jean Monnet, Alcide de Gasperi und Konrad Adenauer dachten und wirkten in die gleiche Richtung.
Aus den sechs Gründerstaaten der Europäischen Gemeinschaft durch die Römischen Verträge im Jahre 1957 ist inzwischen die Europäische Union mit 25 Mitgliedstaaten geworden.
Das ist eine eindeutige Bestätigung des Appells von Winston Churchill hier in Zürich vor 60 Jahren.
Es war ein langer Atem notwendig, er wird auch in Zukunft nötig sein.
Wichtig war, immer wieder trotz aller Schwierigkeiten Schritte nach vorn zu tun.
Die bedeutsamsten sind die verschiedenen Erweiterungen der Europäischen Union, die Herstellung des gemeinsamen europäischen Binnenmarktes, die Hinwendung zur politischen Union sowie die Wirtschafts- und Währungsunion durch die Verträge von Maastricht.
Die Verständigung über eine gemeinsame Aussenpolitik machte immer wieder bedeutende Fortschritte.
Beispiele dafür sind die gemeinsame europäische Entspannungspolitik nach Osten – mit dem KSZE-Prozess als europäische Freiheits- und Kooperationsinitiative, die Mittelmeerpolitik nach Süden, das europäische Konzept für die Lösung des Nahostkonflikts mit der Erklärung von Venedig, die Afrikapolitik, die Zentralamerikapolitik und Kooperationen mit anderen regionalen Zusammenschlüssen, wie etwa mit den ASEAN Staaten in Südostasien oder mit dem Golf-Kooperationsrat.
Europa ist heute die Stabilitätszone in einer eher instabilen Welt.
Woraus hat Europa seine Kraft für dieses einzigartige Zukunftskonzept genommen?
Für die Gründergeneration war die Europäische Gemeinschaft die Antwort auf jahrhundertelange europäische Bruderkriege, auf die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts und mit der Festlegung auf die Grundwerte von Menschenwürde, Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung auch die Antwort auf das Verbrechen des deutschen Faschismus.
Nicht weniger bedeutend aber war die Einsicht, dass die EG nur dann Bestand haben würde, wenn sie sich gründet auf die Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit ihrer Mitgliedstaaten – unabhängig von der Grösse dieser Staaten.
Es war ein Glücksfall, dass drei der sechs Gründerstaaten zu den kleineren europäischen Staaten gehörten und drei zu den grösseren.
Das Bekenntnis zu Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit bedeutete eine Absage an jahrhundertealte Macht- und Rivalitätspolitik in Europa.
Diese Politik war bestimmt von dem Vorherrschaftsstreben der grösseren miteinander rivalisierenden europäischen Mächte, die über Jahrhunderte die kleineren Staaten zu Objekten ihrer Politik machten.
Die kleineren Staaten hatten damals allenfalls die Option, sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen.
Der Verzicht der grösseren Staaten auf das Streben nach Vorherrschaft war ihre Bringschuld – gleichsam einer Morgengabe der Grösseren für die Einigung des Kontinents.
Diese Morgengabe wird auch global von den grösseren Staaten, von regionalen Organisationen wie der EU und von den Wohlhabenderen dieser Welt verlangt werden, wenn wir jetzt den langen Marsch in eine gerechte Weltordnung antreten.
Dazu gehört auch ein weiteres Prinzip, das den Erfolg der europäischen Einigung ermöglichte, nämlich das der auf den gemeinsamen Vorteil zielenden Solidarität.
Die Gemeinschaft der europäischen Staaten konnte gedeihen, weil jeder von ihnen den Erfolg der anderen Mitgliedstaaten auch als eigene Chance verstand und entsprechend handelt.
Hier wird in einem frühen Stadium das Verständnis europäischer, das heisst regionaler Interdependenz deutlich.
Dieses Interdependenzverständnis hat sich bei jeder Erweiterungsrunde als richtig erwiesen.
Die Aufnahme neuer Mitglieder hat stets zu einem Win-Win-Ergebnis geführt. Dies für diejenigen, die schon Mitglied waren und für die, die hinzukamen
Gleichwohl stiessen alle Erweiterungsschritte auf Kleinmut und auf das Argument vermeintlicher nationaler Interessenwahrung.
Diese in Europa immer wieder gemachte Erfahrung wiederholt sich heute, wenn es global darum geht, auch im eigenen Interesse die Konsequenzen aus der Realität globaler Interdependenz zu ziehen.
Die Einigung Europas wird heute in vielen Teilen der Welt als beispielhaft angesehen.
Sie wurde zum Modell für die Zusammenarbeit von mittleren und kleineren Staaten in verschiedenen Regionen der Welt.
Europa ist zur Zukunftswerkstatt für eine neue Weltordnung geworden.
Europa hat wirklich keinen Anlass zum Kleinmut.
Die europäische Identität ist gegründet auf Freiheit, Menschenwürde und Selbstbestimmung.
Das machte die friedliche Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas möglich.
Erlauben Sie mir als ehemaligem Aussenminister der Bundesrepublik Deutschland eine persönliche Bemerkung: Wir Deutschen haben die Lehren aus unserer Geschichte gezogen.
Innenpolitisch haben wir eine stabile Demokratie geschaffen.
Aussenpolitisch sind wir entschlossene Verfechter der Einigung Europas.
In der Zeit des Kalten Krieges haben wir mit der Bundeswehr in der NATO den grössten Beitrag aller Europäer für die Sicherung von Frieden und Freiheit auf unserem Kontinent geleistet.
Mit unseren Ostverträgen haben wir den Weg zur KSZE und damit zur friedlichen Überwindung der Teilung Europas und Deutschlands geöffnet.
Aus historischer und moralischer Verantwortung ist die Aussöhnung mit Israel konstitutiv für unsere Politik.
Die Freiheits- und Einheitschance von 1989 kam nicht von selbst!
Auch nicht als Laune der Geschichte!
Gefordert war vielmehr – und das über Jahrzehnte – politischer Gestaltungswille und die Besinnung auf unsere Grundwerte.
Dazu gehörte im Westen das Vertrauen in die emanzipatorische Wirkung der Freiheitsidee in den sowjetischen Machtbereich hinein, denn es waren ja die Menschen im Osten, die die Mauer vom Osten her zum Einsturz brachten.
Auch damals erlebten wir im Westen bei Vielen das geringe Vertrauen in die Leucht- und Anziehungskraft dieser Freiheitsidee.
Ihre Wirkungen wurden durch den Eintritt in die Informationsgesellschaft noch verstärkt.
Die Besinnung auf das e i n e Europa, auf das Beispiel der Europäischen Gemeinschaft, auf die europäischen Grundwerte und auf die europäische Identität machte den KSZE-Prozess zu einer kraftvollen Initiative, die letztlich die friedliche Überwindung der Spaltung des Kontinents ermöglichte.
Es entstanden Bürgerrechtsbewegungen wie die Charta 77, Solidarnosc, es entstanden immer mehr kirchliche und Umweltgruppen; es meldeten sich Persönlichkeiten wie Andrej Sacharow, Lech Walesa und Vaclàv Havel zu Wort; es handelten mutige Reformer wie Gorbatschow und Schewardnadse in Moskau und Horn in Budapest.
Die Schlussakte von Helsinki von 1975 erwies sich als die grösste und wirkungsvollste Freiheitsinitiative der Geschichte. Die damalige schweizerische Aussenpolitik hat zum Erfolg dieser Konferenz Entscheidendes beigetragen.
So können wir im Rückblick auf das 20. Jahrhundert sagen: Die erste Hälfte war gekennzeichnet durch die Menschheitskatastrophen der beiden Weltkriege und durch die Nacht des Faschismus, die von Deutschland ausging, die fast über das ganze Europa hereinbrach, und die im Holocaust ihren schrecklichen Höhepunkt fand.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebten wir die glückliche Besinnung auf die europäischen Grundwerte und auf unsere europäische Identität, auch wenn daran für Jahrzehnte Ostmitteleuropa, Südosteuropa und Osteuropa nicht teilnehmen konnten.
Heute stehen wir vor der Frage nach der Entwicklung der Welt im 21. Jahrhundert.
Was Verantwortung, was klare wertbezogene Vorstellungen bewirken können, das hat Europa in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bewiesen.
Wohin es führen kann, wenn nationaler Egoismus, Überheblichkeit, aber auch eine Politik des Alles-Treiben-Lassens sich durchsetzen, hat die Entwicklung hin zum Ersten Weltkrieg gezeigt.
Die europäische Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg, so wie von Churchill gefordert, war der Weg der Verantwortung.
Diesen Weg gilt es jetzt für Europa in einer grundlegend veränderten Welt fortzusetzen.
Das stellt neue Fragen, die neue Antworten verlangen.
Mit Recht hat der damalige amerikanische Präsident George Bush am Ende des kalten Krieges von einer neuen Weltordnung gesprochen.
Michail Gorbatschow war es, der in einer Rede vor den Vereinten Nationen im Jahre 1988 auf die globalen Herausforderungen hinwies, denen wir uns gegenübersehen.
Als er das sagte, gab es noch die Mauer in Berlin, die Zweiteilung Europas und Deutschlands.
Nun ist wieder Europa gefordert.
Es geht jetzt darum,
sich über die Zukunft des Verfassungsprojekts zu verständigen – man darf das nicht liegen lassen;die Politik der Erweiterung in dem festgelegten Rahmen bruchlos fortzusetzen;dass Europa seinen Standpunkt und seinen Standort in der neu entstehenden Weltordnung bestimmen muss; das wird uns niemand abnehmen und es kann uns auch niemand abnehmen;die Stabilität und die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarregionen zu fördern.Europa und die Europäische Union brauchen Stabilität über ihre Grenzen hinaus.
Neue Anstrengungen sind nötig für den Ausbau umfassender Zusammenarbeit mit Russland – wir sind einander komplementär, wir leben in dem einen geographischen und wirtschaftlichen Raum, wir haben viele gemeinsame Interessen und wir können uns gegenseitig viel geben.
Das Gleiche gilt für die anderen Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion, das schliesst die zentralasiatischen ein.
Die deutsche Bundesregierung widmet sich diesen Fragen zu Recht mit grosser Aufmerksamkeit.
Eine durch enge politische Zusammenarbeit geförderte ökonomische Zusammenarbeit mit Russland und den anderen Nachfolgestaaten kann auch ein wichtiger Beitrag zur Energiesicherheit für den EU-Raum sein.
Auf der anderen Seite können die EU-Staaten ihren östlichen Nachbarn und Partnern Abnahmesicherheit für Energie und Rohstoffe bieten.
Hinzu kommt, dass immer engere Zusammenarbeit auch schnellere technologische und wirtschaftliche Entwicklung möglich macht.
Nicht weniger wichtig ist der Beitrag, den die Europäische Union im Mittelmeerraum leisten kann.
Das Mittelmeer trennt nicht, es verbindet seine Anlieger.
Dieser Grundgedanke führte vor mehr als einem Vierteljahrhundert zu der Mittelmeerpolitik der EG.
Die war damals ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung des Mittelmeerraumes und sie ist es heute noch.
Die Lösung des Kernproblems im Nahen und Mittleren Osten, nämlich der israelisch-palästinensische Konflikt, könnte die Lage in diesem Raum dramatisch verbessern.
Hier sind besondere Anstrengungen der Europäischen Union für eine umfassende Friedensregelung unter Einbeziehung Syriens und des Libanons gefordert.
Auch hier ist ein besonderes Engagement der deutschen Regierung erkennbar und verdient Unterstützung.
Die sogenannte road-map ist die Grundorientierung für den Weg, der jetzt beschritten werden muss.
Dazu gehört die Anerkennung des Existenzrechts Israels durch alle.
Für uns Deutsche ist das konstitutiv für alle Dimensionen unserer Politik.
Wir werden das niemals ausser Acht lassen.
Die Anerkennung des Existenzrechts Israels ist aber auch verpflichtend für alle Staaten der Region.
Zur Stabilität im Nahen Osten gehört auch die Schaffung eines unabhängigen Palästinenser-Staates in den international anerkannten Grenzen.
In Europa ist es gelungen, mit der KSZE den Weg zur Zusammenarbeit und Vertrauensbildung zu beschreiten und so mehr Sicherheit zu schaffen.
Warum sollte so etwas nicht auch im Nahen Osten möglich sein?
Wie alle anderen Weltregionen stehen auch wir vor der Frage: Welchen Weg wird die Welt im 21. Jahrhundert nehmen?
Das ist nicht naturgesetzlich vorgeben, das hängt davon ab wie die Menschheit handeln wird, auch wir hier in Europa.
Der Gegensatz der westlichen Werte einerseits und des von Moskau bestimmten sozialistischen Systems andererseits, die Bipolarität Washington und Moskau also, ist mit dem Ende des Kalten Krieges überwunden – symbolisiert damals durch den Fall der Mauer.
Was aber tritt an die Stelle dieser bipolaren Weltordnung?
Wird es eine multipolare sein, mit mehreren Kraftzentren in verschiedenen Teilen der Welt?
Ich denke ja.
Deshalb sind multilaterales Denken und Handeln gefordert.
In der Diskussion über die neue Weltordnung scheint es kaum eine Rolle zu spielen, dass sich erst jetzt alle politischen und ökonomischen Wirkungen des Eintritts in die Informationsgesellschaft und die neuen Möglichkeiten der Überwindung von Zeit und Raum durch Menschen und für Güter voll auszuwirken beginnen.
Viele sehen den Prozess der Globalisierung als etwas völlig Neues, noch nie da Gewesenes an.
Doch er bestimmte die ganze Menschheitsgeschichte.
Das bedeutete Überwindung von Raum und Zeit, gegenseitige Beeinflussung, steigendes Wissen von einander, gegenseitige geistige Durchdringung – eine Art gegenseitige Entdeckung – die Überwindung von Grenzen und aus alledem folgend fortschreitende Kooperation.
Auf der anderen Seite bedeutete es auch immer wieder Konfrontation, Streben nach Vorherrschaft des einen über des anderen und damit Krieg.
Wir Europäer waren an allen diesen Prozessen beteiligt.
Wir haben das alles erlebt und es auch erlitten.
Früher wandten sich die Europäer anderen Teilen der Welt zu.
Das setzte Entwicklungen in Gang, die im europäischen Kolonialismus vor allem im 18. und 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt fanden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Entkolonialisierung.
In der Blockfreien-Bewegung fand sie ihren politischen Rahmen.
Ging es im 20. Jahrhundert um Selbstbestimmung und Unabhängigkeit, so geht es heute um Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit, um eine Weltordnung, die überall als gerecht empfunden werden kann.
Zugleich entstehen neue politische und wirtschaftliche Kraftzentren mit ihren eigenen Identitäten, mit grossem menschlichem Potenzial, mit ihrer Wissenschaft, ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten und in manchen Fällen auch mit ihren Rohstoff- und Energievorräten.
Diese Entwicklungen liegen in der Perspektive unserer Vorstellung von Freiheit und Wettbewerb.
Aber die in diesem Prozess liegenden Chancen sind kein Privileg westlicher Gesellschaften.
Sie müssen allen Weltregionen offen stehen, damit ein gerechter Interessenausgleich möglich wird.
Aufgabe der Staatskunst ist es jetzt, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich diese Entwicklungen organisch, das heisst friedlich, vollziehen können.
Eine von Besitzstandsdenken bestimmte westliche Politik würde im Zeichen globaler Interdependenz erfolglos bleiben; ja sie würde uns letztlich zu Verlierern der Globalisierung machen.
Und sie könnte zu dramatischen Konfrontationen und Verwerfungen bis hin zu Kriegen und Stellvertreterkriegen führen.
Die unbestreitbare Herausforderung, die in dem Entstehen neuer dynamischer Kraftzentren liegt, kann deshalb nur in den westlichen Staaten selbst mit neuem Denken bestanden werden.
Das verlangt vor allem grössere und auch schnellere Reformbereitschaft in den westlichen Staaten.
Hier gibt es Nachholbedarf – vor allem in Europa.
In einer sich immer schneller verändernden Welt wird die Reformbereitschaft immer stärker gefordert sein.
Besonders wichtig ist die Einstellung auf die Anforderungen der globalen Wissensgesellschaft, das bedeutet weitaus grössere Anstrengungen für Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung.
Wie schon die Vergangenheit durch eine Tendenz hin zur Globalisierung bestimmt war, so ist in der Gegenwart neu die Geschwindigkeit des Globalisierungsprozesses.
Das ist das Ergebnis neuer technologischer Entwicklungen, die einerseits die Überwindung der Ost-West-Teilung Europas und der Welt mitbewirkten, sich andererseits in vollem Umfange erst jetzt nach der Überwindung dieser Zweiteilung auswirken konnten.
Dieser Hochgeschwindigkeitsglobalisierungsprozess macht mit grosser Dramatik die globale Interdependenz sichtbar.
Das wird die Zukunft bestimmen.
Es gibt keine entfernten Gebiete mehr!
Das Menschheitsschicksal wird immer mehr zu einem gemeinsamen.
In Zukunft wird Jeder Jedes Nachbarn sein.
Das verlangt eine globale Politik der guten Nachbarschaft – auch über die unmittelbare geographische Nachbarschaft hinaus.
Jede Entwicklung in einem Land hat Auswirkungen auf alle anderen Länder.
Das gilt für die Politik im Allgemeinen, für die Wirtschaft, für die Ökologie, für die Gesundheit, für die Überwindung von Hunger, Armut und Unwissenheit und für die Sicherheit im weitesten Sinne des Wortes.
Es gilt für die innere und für die äussere Sicherheit, für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und – eng damit verbunden – eines gewalttätigen Terrorismus, der sich politisch oder religiös zu verbrämen sucht.
Es gilt also für alle Lebensbereiche.
In einer solchen interdependenten Welt müssen sich alle bewusst sein, dass jedes staatliche und gesellschaftliche Handeln Auswirkungen auf alle anderen Gesellschaften und Staaten hat.
Je grösser ein Land oder je grösser eine regionale Zusammenarbeit wie die EU ist, umso grösser sind diese Auswirkungen und umso grösser ist deshalb auch die Verantwortung, die wir tragen.
Grösse bedeutet heute nicht mehr grössere Macht und schon gar nicht grössere Rechte.
Die neue Weltordnung wird nur dann überall als gerecht empfunden werden, wenn sie bestimmt wird von der Stärke des Rechts und nicht vom Recht des Stärkeren.
Das gilt regional und global.
Verantwortungsversagen kann zu einer gemeinsamen Gefahr für die Menschheit werden.
Wer das Signal der Klimaveränderungen nicht versteht, versteht unsere Welt nicht mehr.
Das ist nur ein Aspekt, aber ein wichtiger.
Massenmigration ist das Ergebnis von fundamentalen Unterschieden in den Lebensbedingungen der verschiedenen Weltregionen – letztlich also von Hoffnungslosigkeit.
Das ist gewiss nicht neu.
Neu im Zeitalter der Informationsgesellschaft ist das Wissen der Benachteiligten von den Lebensbedingungen der Privilegierten.
In den westlichen Gesellschaften wiederum lassen Horrorgemälde und Untergangsszenarien den Übergang zu einer immer enger verflochtenen Weltwirtschaft als Bedrohung erscheinen.
Solches rückwärts gewandtes altes Denken lähmt die Fähigkeit, die eigenen Chancen zu erkennen und zu nutzen.
Es verschliesst die Augen für die Möglichkeiten der Zusammenarbeit, um den Fortschritt für alle zu erreichen.
Es sind die alten beharrenden Kräfte, die in der Ost-West-Auseinandersetzung im Westen nicht an die Kraft der Freiheit glaubten, und die heute wiederum im Begriff sind, die Chancen zu verkennen, die in einer globalen Öffnung der Gesellschaften liegen.
Kleinmut ist stets ein schlechter Ratgeber.
Die Vernetzung in Wissenschaft und Wirtschaft, die Vernetzung unserer Gesellschaften ist viel weiter fortgeschritten als das vielen bewusst ist.
Ein Blick auf die Entwicklung in der Europäischen Union sollte die Verantwortlichen weltweit eines Besseren belehren.
Die Grundsätze von Gleichberechtigung, Ebenbürtigkeit, Zusammenarbeit und erfolgsgerichteter Solidarität sollten die zögernden Besitzstandsverteidiger davon überzeugen, wie sich, in welche Richtung sich eine moderne Weltgesellschaft entwickeln muss.
Die Europäische Union als die am weitesten entwickelte regionale Zusammenarbeit ist mit den Prinzipien ihrer Erfolgsgeschichte längst zum Zukunftsentwurf für eine neue Weltordnung geworden.
Allerdings sind sich die Europäer, angesichts der Mühen des politischen Alltagsgeschäfts in der EU, dieser Tatsache nicht immer bewusst.
Dennoch sollten sie die Anwendbarkeit ihrer eigenen guten Erfahrungen auf die Gestaltung der neuen Weltordnung zumindest prüfen.
Das heisst, Europa braucht eine globale politische Strategie, die alle Lebensbereiche umfasst.
Wirtschaft, Energieversorgung, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, Überwindung von Armut, Krankheit und Unwissenheit, politische Stabilität und Sicherheit in der umfassenden Bedeutung des Wortes, sowohl äussere wie innere Sicherheit.
Europa muss sich bewusst sein, dass für den Verlauf des 21. Jahrhunderts die enge Partnerschaft Europas mit den USA von ebenso grosser Bedeutung sein wird wie sie es für den Schutz von Freiheit und Demokratie im 20. Jahrhundert und für die friedliche Überwindung des Ost-West-Konflikts notwendig war.
Dieses Partnerschaftsbewusstsein ist die Alternative zu dem Versuch, die Rolle Europas als globales Gegengewicht oder gar Gegengewicht zu den USA zu definieren und damit zu verkennen.
Die USA ihrerseits müssen erkennen, dass kein Land der Welt so stark ist, dass es auf die Dauer auf verlässliche Partner verzichten könnte.
Kennedy hatte schon Recht als er die Nordamerikaner einerseits und die Europäer andererseits als die Pfeiler der transatlantischen Brücke verstand.
Das transatlantische Bündnis war eben nie eine Militärallianz alten Stiles.
Es bezieht bis auf den heutigen Tag seine Vitalität aus dem Bewusstsein gemeinsamer unveräusserlicher Werte.
Europa hat aus seiner Geschichte des 18., 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelernt, dass kein Land je europäische Hegemonie erreichen konnte.
Das gilt in einer interdependenten Welt weltweit und für alle.