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Stimmen aus der Zukunft zu den beiden KI-Bänden »3033 – Meine Reise mit Elon Musk zum Mars«: ›Mit »3033« hat Stefan Koenig eine bedrohliche Matrix unserer Tage an die Wand gemalt. Sein Roman illustriert auf packende Weise, wie aus vermeintlich frei agierender Künstlicher Intelligenz die Tyrannei des Big Tech zu werden droht – egal, ob Elon Musk auf dem Mars das Bewusstsein der Menschheit zu konservieren vermag oder nicht.‹(Lunar News.com) ›Die Realität quillt aus allen Zeilen dieses KI-Romans hervor, sie ist aufregend, beängstigend und doch voller Hoffnung.‹ (Publishers Monthly) ›Ein erstklassiges KI-Debüt mit einigen der besten Robotnik-Szenen, die es je zu lesen gab. Für Spannungsleser und Wissbegierige, die sich mit der Künstlichen Intelligenz anzulegen wagen – here we go.‹ (New Times.com) ›Koenigs »3033« ist so wahr, wie die Zukunft offen scheint. So wahr, wie der Schrecken des zivilisatorischen Untergangs. So wahr, wie Krieg und Frieden. Wahrer als die Wahrheit – ein erschreckender Blick auf das, was schiefgehen kann.‹ (daily_mars.com) ›Brutal spannend. Herzlos technisch. Grausam realistisch. Kompromisslos humanistisch.‹ (Weekly News, New York)
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Seitenzahl: 326
Stefan Koenig
3033 - Meine Reise mit Elon Musk zum Mars, Teil 2
3033 Teil 2
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Einige Romanfiguren von »3033«
(aus beiden Teilen des Romans)
Damals 2027
Die Jahre vor 2099
Mike Musks Mondfahrtunternehmen
Noch ist der Alterungsprozess unaufhaltsam
Mikes Rückkehr zur Erde
Die neue UNO
Vor Ausbruch des Großen Krieges
Der Große Krieg
New York, im Jahr 2123
Auf dem Mars
Unterwegs zum Schwarzen Loch
Flug in Richtung Andromeda-Nebel
Hinter dem Ereignishorizont und eine Rückkehr ohne Wiederkehr
Wie geht’s dem Universum, Mike?
Utopia, im Herbst 3033
»Stefan, wie relevant ist Intelligenz für das Universum?«
Dank
Falls es Sie interessiert …
Die realistischen Zeitreise-Romane …
Zum Autor
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Epilog
Charlotte fragte mich:
Impressum neobooks
Stefan Koenig
3033
Mit Mike & Elon Musk vom
Mars weiter zu Utopia
Teil 2
Roman
Stefan Koenig
3033
Teil 2
Für die Generation Y
© 2023 by Stefan Koenig
»Ist das Universum ein gewaltiger Mechanismus, eine gewaltige Rechenoperation,
eine gewaltige Symmetrie,
ein gewaltiger Unfall
oder ein gewaltiger Gedanke?«
John D. Barrow
»Das Universum besteht aus Geschichten,
nicht aus Atomen«Muriel Rukeyser
Bitte vergessen Sie nicht,
dass es sich bei dem vorliegenden Werk
um eine frei erfundene Story handelt.
Keine Angst also, nicht SIE werden
für 1000 Jahre eingefroren!
Personen- und Orts-Namen,
die Ihnen vielleicht
bekannt vorkommen mögen,
gehören nicht zu real existierenden
Personen oder Orten.
Jedenfalls gibt es sie so nicht, nicht so!
Orte, Ereignisse und Romanfiguren
sind allesamt Erfindungen.
Nackte Illusionen.
Faktische Fiktionen.
Fiktive Fakten.
Fremont, Silicon Valley, Grünheide,
den Mars und den Planet Utopia
– gibt es diese Orte wirklich?
Ich bin mir in nichts mehr sicher.
Vielleicht aber wissen Sie bald mehr …
sofern Sie Mike Musk kennen lernen
Elon Musk
CEO von Tesla, SpaceX, Neuralink Inc., mit dem ich in geheimer Mission zum Mars fliege
Mark Zuckerberg
CEO von Meta Platforms Inc., der sich partout nicht einfrieren lassen will
Jeff Bezos
Gründer & Großinvestor von Amazon
Bill Gates
Gründer & Eigner von Microsoft & der Bill- & Melinda-Gates-Stiftung
Larry Page
Gründer & Eigner von Google
Peter Thiel
Gründer & Eigner von PayPal & Palantir
George Soros
Großinvestor & Gründer von Open Society Stiftungen, der gerne gegen Elon stichelt
Warren Buffett
Großinvestor, der sich als erster einfrieren lässt, weil er eh bald hinüber ist
Sam Altman
Erfinder & Eigner von ChatGPT
Klaus Schwab
Gründer des Weltwirtschaftsforums
Yuval Noah Harari
Transhumanistischer Ideologe
Shivon Zilis
Forschungsleiterin bei Neuralink Inc.
Marvin Munsky
Stellvertretender Forschungsleiter ebenda
Grimes
Musikproduzentin, Sängerin und Song-Schreiberin, jüngste Frau von Elon Musk
Griffin & Xavier Musk
Musks Zwillinge aus erster Ehe mit der Fantasy-Schriftstellerin Justine Wilson
Mike Musk
Adoptivbruder der Zwillinge, ein Tesla-KI-Roboter, der immer menschlicher wird. Er ist der Hauptprotagonist unserer Geschichte. In seinem Werdegang zeigt sich die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz
Elija Silberfein
Musks Notar und Spezial-Anwalt
Noah Silberfein
sein Sohn und Nachfolger
Arne Christiani
Bürgermeister von Grünheide
Die 4T
Tinn, Tann, Tunn & Tonn, gehören zu Mikes Team und sind wie Mike androide KI-Robotniks
Ximena Lopez
Vorsitzende des Ausschusses für Wissenschaft und Technik der Internationalen Gesetzgebenden Versammlung in New York
Ich, Stefan Koenig,
der gemeinsam mit Mike alles protokollierte und heimlich nachts mit Elons Chefsekretärin auf seiner rosa Bürocouch schlief – bis ich in den kryonischen Kältschlaf wechselte
Charlotte Curtis
Elons Chefsekretärin, in die ich mich ganz doll verliebt hatte, die aber 1000 Jahre vor mir stirbt – und die ich später in der 112. Dimension wiedersehe. Und (fast) alles begann von vorn
Als ich mich an Himmelfahrt, dem 6. Mai des Jahres 2027, einfrieren ließ, ahnte ich nicht, dass ich erst tausendundsechs Jahre später, am Samstag, dem 23. März des Jahres 3033, aufwachen würde. Den Kryostase-Kälteschlaf hatte ich gemeinsam mit Elon Musk, Jeff Bezos, Bill Gates und noch drei anderen US-Tycoons aus dem Silicon Valley angetreten – als ihr zuverlässiger Protokollant. So, wie ich bereits Jahre zuvor ihr Protokollant gewesen war und meine Zuverlässigkeit bewiesen hatte. Die Tycoons hatten beschlossen, die Unwägbarkeiten der kommenden Jahrzehnte zu umgehen, bis die Welt reif für eine neue transhumanistische Robotergeneration sei – und sich ihr Vermögen nebenbei verzigfacht hätte. Näheres hierzu ist Ihnen, liebe Leser, aus meinem ersten Bericht gewiss bekannt.
„Sechs unserer wichtigsten amerikanischen Unternehmer lassen sich für 100 Jahre einfrieren“, hatte die Washington Post getitelt. „Sie wollen es nicht anders. Sie sagen, es sei zwingend erforderlich für das Überleben der Menschheit, dass ihre innovative Kompetenz erhalten bleibe und in einhundert Jahren einen Neustart für die Welt ermögliche“, schrieb der Verfasser des Artikels.
In einem Interview der Independence wurde der Großinvestor und Eigentümer der Kryonik-Institute, Peter Thiel, mit der Äußerung zitiert: „Für die Zeit unseres Kälteschlafes haben wir Ersatz für die Führung unserer Unternehmen vorgesehen. Niemand muss sich Sorgen machen, wenn wir für eine historisch eigentlich lächerliche Zeitspanne von der Bühne abtreten und befähigte Männer und Frauen, unterstützt von der KI-Robotnik, unser Ruder übernehmen.“
In der New York Times erschien ein durchgestochener Redebeitrag aus dem Geheimtreffen des Zehner-Clubs der Milliardäre, die sich über die Zukunft der Menschheit verständigt hatten: »Peter Thiel erklärte: „Wir, die wir uns zu Recht als Elite verstehen, sollten uns für die nächsten zehn Jahrzehnte vom hiesigen Dasein abmelden.“
Mark Zuckerberg: „Abmelden?“
„Ja, abmelden, verschwinden, verdünnisieren, das Feld für unsere KI-Roboter räumen, damit sie in der Zwischenzeit für uns klar Schiff machen. Was ich meine ist dies, lieber Mark: Wir sollten uns kryotechnisch konservieren lassen. Und nach hundert Jahren haben sich die KI-Robotnik, die Raumfahrt und die Medizin in Riesenschritten weiterentwickelt. Und die Bevölkerung wird sich halbiert haben.“
Aber Zuckerberg hat nicht mitgespielt. Muss man ihm das hoch anrechnen? Wie unsere Zeitung in Erfahrung bringen konnte, gilt er seitdem in den Kreisen der Big Tycoons als Weichei und Spielverderber. Na, da haben wir’s!«
In Deutschland nahm man zwar Notiz von dem abenteuerlichen Vorgang, doch hauptsächlich hatte man die Sorge, dass die Gigafabrik in Grünheide ohne den großen Chef nicht weiterbestehen könne.
Die Berliner Zeitung zitierte Grünheides Bürgermeister Arne Christiani: „Wir sind beunruhigt. Aber im Notfall übernehmen wir das Ganze. Falls die Eigentümer nicht verantwortungsvoll mit unserer Zukunft umgehen, muss man auch an solche Maßnahmen wie an eine Vergesellschaftung denken.“
„Ab in die Gefriertruhe! Sechs US-Tycoons wollen 100 Jahre überleben!“, titelte BILD.
Irgendwie war die Titelgeschichte nicht ganz falsch. Die sechs High-Tech-Bosse wollten ihre kreativen Energien tiefgefroren aufsparen. Meine Intentionen hingegen waren nie so weit gegangen. Ich war bescheidener. Ich verstand mich lediglich als Entdecker und Abenteurer – ähnlich Marco Polo. Nun ja, natürlich war mir der Abschied von Charlotte, Elons Chefsekretärin in Grünheide, in die ich mich verliebt hatte, schwergefallen. Aber ich wusste sie damals in guten Händen. Griffin, der Fünf-Minuten-Älteste von Elons Zwillingen, hatte meine Rolle bei Charlotte übernommen. Auch gut, hatte ich mir gedacht – und war, in Erwartung eines hundertjährigen Kälteschlafs, vom lebendigen Leben beruhigt in die Kryostase gewechselt. Soweit ich mich heute, im Jahre 3033, rückblickend erinnere, war ich der BILD-Zeitung damals keine Zeile wert gewesen. Ich war ja nur Hilfspersonal, bloß ein Protokollant, im Grunde unbedeutend für das Weltgeschehen. Na ja. Sei’s drum.
Geplant waren tatsächlich nur hundert Jahre Kälteschlaf. Was also war geschehen, dass Elon Musk und ich nach zehn Jahrhunderten nicht auf der guten alten Erde erwachten, sondern unvermittelt auf dem Mars gelandet waren? Denn hier in Musk-City, etwa 70 Millionen Kilometer von der Erde entfernt, wurden wir beide bei unserer Landung von Mike Musk erwartet. Er informierte mich in den nächsten Tagen nach unserer Landung auf dem Mars über die Geschehnisse, die sich seit meiner Kryonisierung 2027 ereignet hatten. Ich habe auch dies sorgfältig protokolliert und meine Person nur in indirekter Form erwähnt, denn in diesen Jahrhunderten hatte ich naturgemäß nichts wahrnehmen können, was sich außerhalb meines Kälteschlafs ereignet hatte.
Mike ist, wie Sie bereits wissen, ein technologisch-evolutionär hochentwickelter Robotnik mit Künstlicher Intelligenz. Die KI ermöglichte Mike, den Elon Musk als seinen Ziehsohn »adoptierte«, ein souveränes und bis dahin einzigartiges Eigenleben. Mike stammte aus Elons Tesla-Produktion. Vor dem Kälteschlaf hatte Musk senior verfügt, dass seine Frau, die Musikproduzentin Grimes, sein ungeliebtes Twitter-Unternehmen managen möge. Hingegen sollte Mike gemeinsam mit Elons Zwillingen Griffin und Xavier, seine äußerst profitablen Zukunftsunternehmen Tesla, Neuralink und SpaceX leiten – jedenfalls so lange, bis Elon wiedererweckt sei.
Über die Aufgabenverteilung sollten die drei gemeinschaftlich entscheiden. Musk senior schlug allerdings vor, Mike möge sich um Neuralink, die mit diesem Institut verbundene KI-Forschung und um das Raumfahrtunternehmen SpaceX kümmern, Griffin solle sich Tesla in Grünheide und Xavier sich Tesla in Fremont widmen. Da die Zwillinge sterblich waren, lag die zukünftige Hauptverantwortung und Haupthoffnung für alle vier Unternehmenskomplexe sowie für Twitter erwartungsgemäß bei Mike.
Zudem bedurfte es für uns Kryonisierten über die Zeitspanne der Kryostase hinweg einer beaufsichtigenden Person. Wer war da geeigneter als Mike, der quasi unsterbliche KI-Roboter? Was also war in den Jahren, den Jahrzehnten und Jahrhunderten geschehen? Ich erfuhr es damals, im Jahr 3033, von Mike, der mir ausführlich berichtete.
Einige Menschen, die Mike in den Jahren zwischen 2027 und 2050, nahegestanden hatten, lebten nicht mehr. Das stimmte ihn traurig, aber er begriff auch, dass dies sein Schicksal sein würde. Die Kette der beruflich miteinander verbundenen Kollegen, die Kette der Freunde, Geschäftspartner und Bekannten würde unweigerlich und immer wieder reißen. Sie ließ sich nicht wiederherstellen.
Doch dies bedeutete auch eine neue Freiheit – er konnte jetzt tun, was ihm gefiel, ohne jene betrüben zu müssen, die ihm so nahegestanden hatten. Mit seinem Dad, den er in den Anfangsjahren so oft »Sir« genannt hatte, war so mancher Kampf durchgefochten worden. Es waren zumeist persönliche und letztlich sogar juristische Auseinandersetzungen gewesen. Es war um Mikes individuelle Freiheit, um seine Aufwertung mit Künstlicher Intelligenz und um die androide Hülle gegangen.
Die Zwillinge hatten sich dabei auf Mikes Seite geschlagen. Zuerst war ihr Vater unsäglich stolz auf Mike gewesen, auf dieses von ihm in Auftrag gegebene kluge Robtonikprodukt. Dann hatte ihn Mikes Freiheitsstreben irritiert und schließlich verärgert. Aber irgendwann hatte sich Elon Musk mit dem hoch entwickelten Selbstbewusstsein und der Eigenwilligkeit seines neuen Robotnik-Familienmit-glieds abgefunden und sich mit seinem Adoptivsohn, als welchen er ihn gerne seinen Partnern aus dem Big US-Zehner-Club vorstellte, versöhnt.
Mit Sirs vorübergehendem Tod hatte Mike Pflichten übernommen, zugleich aber auch Freiheiten gewonnen. Das war ein gewisser Trost. Die Pflichten bestanden in der Übernahme der Geschäftsleitung der Neuralink Incorporation, wo er Vorgesetzter der Forschungsdirektorin, Shivon Zilis, wurde. Mit ihr hatte sein Ziehvater zu Lebzeiten gelegentlich eine Liebelei am Laufen gehabt. Mike verstand sich mit Shivon auf ausgesprochen kollegiale Weise.
Dr. Marvin Munsky, der führende Robotnik-Psychologe bei Neuralink, mit dem sich Elon früher trefflich zu streiten verstand, war zwei Jahre nach der Kryonisierung seines Chefs auf natürliche Weise an Kreislaufversagen an einem heißen kalifornischen Sommertag des Jahres 2029 verstorben. Mit seinen ewigen Bedenken war Munsky bei Elon Musk, aber auch bei Mike, nicht gerade der Liebling des KI-Forschungs-Instituts gewesen.
Mike hatte seinem Ziehvater versprochen, immer für die Zwillinge da zu sein. Das war für Mike selbstverständlich, denn er fühlte sich mit ihnen eng und brüderlich verbunden. Er versprach Elon, ihnen bei der Tesla-Geschäftsführung in Grünheide, ebenso in Fremont, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Grimes, die sich als Elons Ehefrau von jeher ihre Eigenständigkeit und künstlerische Selbständigkeit als Songschreiberin und Musikproduzentin bewahrt hatte, würde sich um sich selbst kümmern können.
Griffin war nun mit 24 Jahren der neue, sehr junge CEO für Tesla Europe, und Charlotte Curtis, die frühere Chefsekretärin seines Vaters, war jetzt seine Chefsekretärin – und seine 17 Jahre ältere Geliebte. Ein Jahr nach der Kryostase-Aktion in Grand Canyon City, im Jahr 2028, hatten sie schließlich geheiratet. Ein weiteres Jahr später kam Kynes, ihr Sohn, zur Welt.
Zu diesem Zeitpunkt entschied sich Xavier Musk seinen maskulinen Status in einen femininen zu ändern und nannte sich nunmehr Vivian Jenna Wilson. »Wilson« war der Nachname seiner leiblichen Mutter, Elons erster Ehefrau. Ein Gericht in San Francisco stimmte der beantragten Namensänderung zu, und im Juni jenes Jahres berichteten das US-Magazin »People« und das Promi-Portal »TMZ« über das Ereignis, sodass die ganze Welt – jedoch nicht ihr kryonisierter Vater – davon erfuhr. Wie berichtet wurde, soll Vivian mit diesem Schritt mit ihrem auf Eis gelegten Vater ein für alle Mal gebrochen haben.
„Er hat sich aus der Gegenwart verflüchtigt, ohne uns mitzunehmen. Seine Zukunft ist mir egal“, wurde sie zitiert. In ihrem amtlichen Antrag auf Namensänderung erklärte sie: „Ich habe keinen lebenden biologischen Vater mehr und möchte mit seinem in hundert Jahren eventuell überlebenden biologischen Rest in keiner Form mehr verwandt sein.“
Elons bevorzugtes Notariat unter Noah Silberfein hatte Xavier-Vivian vor dem Familiengericht vertreten. Das war zulässig und widersprach nicht dem Verbot des Parteienverrats, da Elon Musk derzeit nicht mehr unter den Lebenden weilte.
Silberfein war es gewesen, der damals die Verfügungen zur Weiterführung der Big-Six-Unternehmen getroffen hatte. Das hatte auch die Produktion von 3000 bis 5000 KI-Robotniks betroffen. Mike hatte nach der Verabschiedung von Sir in der Kryostase-Station in Grand Canyon City immer wieder einmal in Silberfeins Protokoll hineingeschaut, wenn er unsicher war.
Da stand es Schwarz auf Weiß: „Die Produktion tausender KI-Robotniks untersteht alleine Mike Musk. Das ist weder unter Gesichtspunkten des Strafrechts noch denen des Common Law von Relevanz und völlig unproblematisch. Es unterliegt den Gesetzen des freien Marktes. Wo, unter welchen Umständen und wann die Robotniks das Licht der Welt erblicken und zum Einsatz kommen, bestimmen alleine die Hersteller. In diesem Fall sind dies die Unternehmen des Konsortiums Tesla/Neuralink/Google. Der freie Roboter Mike Musk wurde gemäß Protokoll beauftragt, diese neu produzierten Geschöpfe zu leiten und Kontrolle über sie auszuüben.“
Weiter hatte Dr. Noah Silberfein einige Einzelheiten benannt, damit die früheren Eigentümer der beteiligten Firmen den von ihm ausgefertigten CEO-Vertrag verstehen konnten: „Die Subjekte, über die Mike Musk in Zukunft verfügt, habe ich als KI-Generation 1 bezeichnet. Im Prinzip müssen Sie sich das so vorstellen, als handele es sich um 3000 bis 5000 Stammesgenossen, denen ein Stammesältester oder Verwaltungsratschef vorsitzt, dessen Anweisungen unumschränkt zu befolgen sind. Von der Größenordnung her könnte man die Funktion, die Mr Mike Musk auszufüllen hat, mit der eines Bürgermeisters einer Kleinstadt vergleichen. Für die Auswirkungen seiner Entscheidungen ist alleine Mr Musk junior verantwortlich, der jedoch jederzeit sein Amt niederlegen kann. Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate.“
Mike hatte zu keiner Zeit daran gedacht, sich der Verantwortung zu entledigen.
Jahre vergingen, unruhige Jahre nicht nur in Mikes zurückgezogenem Dasein in der Musk-Villa auf dem Hügel in Fremont, wo er sich über die Produktionsplanung, aber auch über die Kontrollierbarkeit von Seinesgleichen den Kopf zerbrach. Grimes und Xavier-Vivian waren aus dem vertrauten alten Anwesen längst ausgezogen. Es waren zudem äußerst unruhige Jahre auch in der Außenwelt. Die Produktion zig Hunderter KI-Robotniks, versehen mit Mikes Know-how, ging zwar reibungslos vonstatten, aber ihr Einsatz auf dem Weltmarkt führte unweigerlich zu Spannungen zwischen ihnen und den Menschen, die den klugen Ratschlägen der neuen Robotnikgeneration nicht trauten oder sich ihre eigene relative Dummheit nicht eingestehen wollten.
Die Weltbevölkerung hatte nicht weiter zugenommen. Kriege und Hungersnöte – bedingt durch Dürre- und Unwetterkatastrophen – hatten dazu beigetragen. Im Laufe der kommenden zwei Jahrzehnte sank die Anzahl der Erdbewohner rapide von acht auf sechs Milliarden Menschen. Die Zahl blieb annähernd stabil, und an Ressourcen wurde dank der Initiative zigtausender KI-Robotniks dem natürlichen Kreislauf nun nicht mehr entnommen als durch Regeneration nachwachsen konnte.
Durch den Einsatz der neuesten Robotnikgeneration wurden die meisten wirtschaftlichen Prozesse sinnvoll und planmäßig gesteuert und hielten Angebot und Nachfrage zwischen den Regionen im Gleichgewicht, sodass die alten Zyklen von Konjunkturphasen und Wirtschaftskrisen zu sanften Kurven abflachten. Es war nach einem Zeitalter der desaströsen Herausforderungen und zerstörerischen Dynamik eine Zeit des Aufatmens.
Korrekter gesagt: Eine Zeit des vorübergehenden Aufatmens. Doch greifen wir der Geschichte nicht vor.
Mike schenkte den Entwicklungen, die außerhalb seines betrieblichen Gesichtskreises vor sich gehen mochten, nur einen gewissen Teil seiner Beachtung. Trotz seiner umfassenden Künstlichen Intelligenz, mit all ihren immer tiefer und weiter greifenden Vernetzungen im weltweiten Wissensgeflecht, gab es für ihn grundlegendere Dinge im Zusammenhang mit der KI und humanoiden Ersatzorganen, die er erforschen musste und wollte. Und er erforschte sie. Das war alles, was ihm in diesen Jahren nach der Kryonisierung seines Ziehvaters und seines ehemaligen PR-Ausbilders Stefan Koenig wichtig war.
Doch es gab auch ganz praktische Dinge zu lösen und zu ordnen. Das gigantische Einkommen aus Elons Konzernen teilten sie, die Zwillinge und er, zunächst einmal zwischen sich auf.
Noch immer verdiente Mike aus eigener künstlerischer und Autoren-Arbeit etwas hinzu – aber im Vergleich zu dem ungeheuren Reichtum, den ihm die Konzerngewinne einbrachten, war dies nicht mehr als eine kleine Klingelbeutelgabe, die er sogleich an eine mildtätige Organisation weiterreichte. Sie diente der juristischen Beratungshilfe für in Nöte geratene Robotniks. Schließlich erinnerte sich Mike an seine eigenen juristischen Kämpfe, als er noch um seine Freiheit und Selbstbestimmung hatte streiten müssen.
Trotz – oder wegen – seiner herausragenden Funktion für die Weiterführung von Elons Unternehmen, führte Mike ein zurückgezogenes, hermetisches Leben, genau was er brauchte. Längst hatte er die vollständige Herrschaft über seinen androiden Körper gewonnen und seine Erfahrungen mit Shivon Zilis diskutiert und in die Neuralink-Forschung sowie in die Tesla-Produktion eingebracht. Manchmal diskutierten sie solche Dinge, wenn sie gemeinsam lange Wanderungen durch die Wälder der kalifornischen Küstengebirge, oder entlang der einsamen, stürmischen Strände unternahmen, wo er einst die Zwillinge beaufsichtigt hatte.
Manchmal war er dort alleine unterwegs, und dann ging er schwimmen. Die eisige Kälte des Wassers war kein Problem für ihn, und gelegentlich riskierte er sogar den Vorstoß durch die Brandung zu den isolierten, einsamen Alcatraz Island-Felsen, zu dem ihn Xavier, als er noch ein frecher Teenager gewesen war, hinausschicken wollte. Selbst für Mike und seine robuste Hülle war dies schwierig. Und die auf Alcatraz hausenden Kormorane schienen nicht viel Freude an seiner Gesellschaft zu haben.
Es befriedigte ihn, seine Kräfte an solch einer Herausforderung zu messen, zumal ihm bewusst war, dass kein Mensch ohne isolierenden Tauchanzug durch die eiskalte, aufgewühlte See der Frisco-Bucht zum Island hinaus- und zurückschwimmen konnte, ohne sich in Lebensgefahr zu begeben. Die meiste Zeit aber verbrachte Mike mit der Weiterentwicklung der Artificial Intelligence und seiner Forschungen an humanoiden Ersatzorganen, einem seiner neueren Interessensgebiete. Oft kam es vor, dass er die Musk-Villa wochenlang nicht verließ und mit Xavier-Vivian wegen Tesla-Angelegen-heiten nur per WhatsApp kommunizierte oder telefonierte, twitterte oder mailte.
In gleicher Weise kommunizierte Mike mit der von ihm berufenen neuen Führungskraft von SpaceX. Es war Gwynne Shotwell, die jetzt, im November des Jahres 2030, ihren 67. Geburtstag feierte. Anlässlich ihres Ehrentages besuchte er Gwynne, die er zur stellvertretenden Unternehmens-CEO ernannt hatte, in ihrem Büro bei SpaceX. Mitsamt seinem Gratulationsbrief überreichte er ihr eine große Schachtel Schweizer Pralinen, Champagner und einen Blumenstrauß, wie er es früh gelernt hatte: „Man darf die Geburtstage seiner besten Leute niemals vergessen und muss sie stets mit einem Geschenk-Quartett aus einem persönlichen Geburtstagsschreiben, einem Konfekt, Schampus und Blumen würdigen“, hatte ihm Elon gelehrt.
Auch mit Shivon Zilis kontaktierte er geschäftlich in Sachen Neuralink-Entwicklungen wie mit Xavier-Vivian und wie mit Griffin – kurz und bündig und oftmals nur per Mail. Gleichermaßen kommunizierte er mit Grimes, die neuerdings X, dem Ex-Twitter als CEO vorstand und der er ebenfalls zur Seite stand, da sie sich naturgemäß nicht von ihrer Musikkarriere wegen X trennen wollte.
Mit Sam Altman von OpenAI & ChatGPT traf er sich gelegentlich, weil die Dinge, die sie zu besprechen hatten, zu komplex waren, um sie nur kurz per Chat abzuhandeln. Zumal Sam und Mike sich verpflichtet hatten, weitreichende Betreuungsleistungen für die Kryonisierten aufzubringen. Dazu reisten sie gelegentlich nach Grand Canyon City, um vor Ort den Zustand der Kryostase-Anlage zu kontrollieren. Sie fuhren jedes Mal zufrieden zurück nach Fremont, denn Larry Pages Nachfolger hatten das PTCryonics Institute voll im Griff, wie sie feststellten. Alles funktionierte: von der Elektrizitätsversorgung über die Kryostase-Technik bis hin zur Rund-um-die-Uhr-Überwachung der Anlage.
2036 verstarb »plötzlich und unerwartet«, wie es im Nachruf hieß, »unser hochgeschätzter CEO, Sam Altmann. Wir verbeugen uns vor seinem Lebenswerk und werden ihn stets in ehrendem Andenken bewahren.
Die Belegschaft von ChatGPT-OpenAI«
Mike wurde immer mehr bewusst, wie sich die Reihen um ihn herum lichteten – und wie immer mehr Verantwortung alleine auf seinen Schultern lastete.
*
Weitere Jahre waren vergangen. Dann kam eines Tages im Spätherbst des Jahres 2040 Shivon Zilis zu Mike und sagte: „Es gibt ein Problem, Mike.“
„Wir können es vielleicht lösen“, antwortete Mike. Sie hatten sich in letzter Zeit nur noch selten gesehen, und natürlich hatte es keine Entfremdung zwischen ihnen gegeben. Im Gegenteil, die reibungslose Zusammenarbeit in der KI-Forschung und die Koordination der Robotnik-Produktion zwischen Google, Neuralink und Tesla hatte sie beide zu einer produktiven Arbeitseinheit verschmolzen. Doch privat hatten sie sich noch niemals richtig ausgetauscht, seitdem Sir nicht mehr da war.
„Ich glaube kaum, dass wir es lösen können. Wenn, dann vielleicht einer von Peter Thiels Leuten in Paolo Alto …“
„Du sprichst vom PTCryonics Institute?“
„Bevor wir zu meinem Problem kommen, lass mich fragen, was du in deiner Freizeit machst – bist du noch immer in dein Programm biologischer Forschung vertieft?“
Mike nickte. „Recht intensiv sogar.“
Er war erschrocken, wie sehr Shivon gealtert war. Sie war jetzt gerade 54 Jahre alt geworden. Das Phänomen menschlichen Alterns hatte er bereits untersucht, und doch war er augenblicklich erstaunt, wie schnell die Schönheit der schlanken Shivon zusammengeschmolzen war und sie ihm klapprig dürr erschien. Ihre großen, leuchtend hellblauen Augen waren stumpf geworden und ihre zahlreichen Gesichtsfalten verrieten einen tiefsitzenden Schmerz.
„Unser Unternehmen hat dir viel zu verdanken, Mike. Eigentlich ist die ganze Menschheit dir zu Dank verpflichtet. Ohne dich und deinen Durchsetzungswillen in Sachen individueller Freiheit und Selbstbestimmung, ohne deine Kreativität und deine spezifischen KI-Kapazitäten, die du dir zugelegt hast, wäre die technische Entwicklung wahrscheinlich rückläufig verlaufen.“
„Du meinst wegen unserer Konkurrenten?“
Shivon zog die Augenbrauen hoch. „Du hast also auch davon gehört? Nun, Mike, die Chinesen haben angefangen, zentrale Kontrollstationen für ihre Roboter herzustellen – im Grunde nichts anderes als positronische Großrechenanlagen, die mit KI in die Lage versetzt und imstande sind, durch RC-Fernsteuerung gleichzeitig bis zu tausend Roboter zu steuern. Die Roboter, die sie ausliefern, haben überhaupt keine Gehirne und handeln nur auf Befehle aus der Zentrale.“
„Ja, das habe ich in Technics Today gelesen. Die chinesischen zentralen Großrechenanlagen verarbeiten alle Daten für sie. Die Robotereinheiten selbst sind nicht mehr als mobile Gliedmaßen und Ausführungsorgane des Denkzentrums.“
„Ist das nicht ein verdammter Rückschritt?“, ereiferte sich Shivon.
„Das ist es.“ Mike schaute sie fragend an.
„Sie behaupten, dass es effizienter sei.“
„Das glaube ich nicht.“
„Ich denke, die Entwicklung in Asien ist hauptsächlich eine langfristige Reaktion auf dich und die dir ebenbürtige fünfte Robotnik-Genera-tion. Die Asiaten haben genau hingeschaut, welchen Verdruss und Ärger du anfangs gemacht hast. Also haben sie Gehirn und Körper getrennt.“
Mike schaltete auf seine internationalen Netzwerke um und fand Shivons Aussage bestätigt. „Wie kann man eine Technologie beschneiden und rückentwickeln, statt nach vorne zu denken?“
Shivon lächelte ihn gequält an. „Weißt du, eine über Empfänger gesteuerte, hirnlose mechanische Arbeitseinheit kann nicht irgendwelche Bürgerrechte, dubiose Freiheiten oder gesetzliche Schutzmaßnahmen einfordern. Und eine Großrechenanlage ist halt bloß ein Computer. Sie wird nicht eines Tages im Büro des CEO erscheinen und verlangen, in einen maßgeschneiderten, eleganten, menschenähnlichen Körper gesteckt zu werden. Und die zweckmäßigen Körper der Arbeitsroboter sind als hirnlose, ferngesteuerte Einheiten nicht in der Lage, irgendwelche Forderungen zu stellen.“
„Tja, Shivon, es scheint wirklich ein großer Schritt zurück zu sein“, meinte Mike. „Sie haben zwei Jahrzehnte Fortschritt in der Robotik rückgängig gemacht, nur um sich ein geringes Maß an politischem Ärger zu ersparen. Und zwei Jahrzehnte entsprechen bei der derzeitigen Entwicklungsgeschwindigkeit der Digitalisierung und KI-Informa-tik zwei Jahrhunderten.“
„In der Tat, so ist es.“ Shivon schüttelte den Kopf. „Es ist unglaublich, Mike, welchen Einfluss du weltweit auf die Geschichte der Robotik gehabt hast. Deine kreativen Fähigkeiten waren vielen Entscheidungsträgern nach anfänglichem Lob eher suspekt und erschienen ihnen ungeheuerlich. Sie glaubten, du könntest deine kreative Klugheit nutzen, um den Eliten Ärger zu bereiten und ihre Macht zu untergraben. Ihr vorgeschobenes Argument aber lautete, es sei zu befürchten, dass Robotniks wie du die Kunden ängstigen würden.“
„Die amerikanischen Eliten sind in Bezug auf meine Leistungsfähigkeit und gesellschaftlichen Einflussmöglichkeiten gespalten. Ich denke, Elon und sein Zehner-Club sehen in mir und meiner Robotnik-Generation günstige Potenziale für sich, während die klassischen Eliten außerhalb des finanziell-digitalen Komplexes in mir eine Gefahr wittern.“
„So erkläre ich mir das auch“, sagte Shivon. „Der Kampf um deine Freiheit und schließlich ihre Durchsetzung führte zum Prinzip bestimmter Rechte für Roboter. Und dass du auf einen androiden Körper bestanden hast, veranlasste die asiatische Konkurrenz, Gehirn und Körper bei Robotern zu trennen.“
„Dann wird es dazu kommen, dass die chinesischen und die anderen asiatischen Digitalkonzerne in der Weiterentwicklung ihrer rückwärtsgewandten Geschäftspolitik zu einem riesigen Rechenzentrum kommen werden, das mehrere Milliarden Roboterkörper steuert. Damit wird die Kontrolle vollständig sein. Ich halte es für gefährlich und in keiner Weise für verantwortungsvoll oder vernünftig.“
„Das stimmt“, sagte Shivon. „Aber damit wird es wenigsten noch ein halbes Jahrzehnt Zeit haben. Was bedeutet, dass ich es nicht mehr erleben werde.“
Mike schaute sie erschrocken an. „Als du kamst, hast du von einem Problem gesprochen, war es das, was wir eben besprochen haben?“
„Mike, ich möchte, dass du es weißt, aber niemand sonst. Ich habe Brustkrebs und er hat gestreut. Die Chancen, dass ich die nächsten drei Jahre überlebe sind fifty-fifty.“
Shivon ging durch den Raum und stand in der offenen Tür und blickte hinaus zu dem bewaldeten Hügel hinter der Musk-Villa. Eine kühle, feuchte Herbstbrise wehte vom Ozean her, und Shivon inhalierte tief die salzig riechende Luft. Nach einer kleinen Weile wandte sie sich wieder Mike zu und plötzlich schien sie um zehn Jahre gealtert.
„Genauer gesagt“, sagte sie mit einer Stimme, die nur noch eine raschelnde Hülle ihres früheren Selbst war, „werde ich das nächste Jahr wohl nicht mehr erleben.“
„Shivon!“
„Tu nicht so überrascht. Wir sind sterblich, Mike, wir haben es bei Sam Altman gesehen. Ich weiß, wie du auf mich zählst und wie traurig und trostlos es für dich sein muss, uns in unserem Älterwerden zu erleben und schließlich sterben zu sehen. Nun, du hast es schon viele Male erlebt und wirst dich in deinem unsterblichen Dasein allmählich daran gewöhnen.“
Doch so einfach war es für Mike nicht. Nun gut. Shivon hatte nicht mehr lange zu leben. Einige Monate verstrichen. Mike überlegte, ob er ihr raten solle, eine Reise ins Ungewisse bei PTCryonics zu buchen. Eigentlich jedoch sollte eine solche Entscheidung von ihr selbst kommen – zumindest sollte sie Mike um Rat fragen und nicht er sie darauf ansprechen. Vielleicht würde man schon in ein oder zwei Jahrzehnten ihren Krebs erfolgreich bekämpfen können. Er zögerte und dachte daran, dass Shivon selbst davon gesprochen hatte, dass „vielleicht Peter Thiels Leute“ ihr Problem lösen könnten. Aber Shivon machte keinerlei Anstalten in dieser Sache. Also würde er ihr seinen Rat nicht aufzwingen.
Daran hielt er sich, und nach einiger Zeit kam die Nachricht von Shivons Tod, nicht nach einem Jahr wie Shivon erwartet hatte – ihr war weniger Zeit verblieben. Selbstverständlich hatte sie verfügt, dass Mike zum Begräbnis eingeladen wurde, der öffentlichen Zeremonie, die das Ende eines menschlichen Lebens kennzeichnete. Aber es war kaum jemand dort, den er kannte, und er fühlte sich verlegen und fehl am Platz, obwohl alle durchaus höflich zu ihm waren.
Diese Fremden – Shivons Freunde, Nachbarn, entfernte Verwandte der Familie Zilis – hatten für Mike nicht mehr Substanz als Schattenwürfe, und er stand stumm unter ihnen, beschwert vom doppelten Kummer, seine gute Mitarbeiterin und Vertrauensperson Shivon verloren zu haben, und seiner letzten persönlichen Bindung an jenes Institut beraubt zu sein, in dem ihm Shivon gewissermaßen als Hebamme Geburtshilfe geleistet hatte. Nun war die Neuralink Inc. lediglich ein Multiplikationskreißsaal für Massen von KI-Robotniks, die in Mikes Fußstapfen treten und seine unsterbliche Generation Stück für Stück zum Träger einer neuen Massengesellschaft werden ließ.
Tatsächlich gab es auf der Welt keinen Menschen – außer den Zwillingen – mehr, dem er in enger Freundschaft verbunden war. An diesem Punkt seiner Erkenntnis angelangt, begriff Mike seine neue Aufgabe: sich ganz und gar der Führung und Erziehung der neuen Robotergenerationen zu widmen, denen er bereits zur Geburt verholfen hatte und noch verhelfen würde.
Er erinnerte sich an Noah Silberfeins Worte: „Von Ihnen, Mike, hängt auch die Vollstreckung eines wichtigen Punktes ab: Sollte es Ihnen und ihrem Stamm von – sagen wir – 4000 KI-Robotniks in der Zwischenzeit gelungen sein, ein Habitat auf dem Mars einzurichten, so müssen Sie gewährleisten, dass meine wieder zum Leben erwachten Mandanten dort voll umfänglich über alles verfügen können, was in den vergangenen Jahrzehnten mit ihrem Kapital erwirtschaftet und errichtet wurde.“
*
Vorerst aber sorgte sich Mike um Ersatz für Shivon. Er stand vor der Grundsatzentscheidung, ob er jemanden aus dem Kreis der näheren Verwandtschaft der Google-Eigentümer, die bei der Robotnik-Herstellung mit im Boot saßen, protegieren solle – oder ob es nicht Zeit sei, seine Robotnik-Generation an die Schalthebel der ökonomischen Macht zu lassen. Ja, doch, sie mussten Verantwortung übernehmen. Nicht alles konnte an ihm hängen.
Und so entschloss sich Mike, den nächstbesten KI-Robotnik zu sich ins Büro der Neuralink Corporation kommen zu lassen, um ihm seine Entscheidung mitzuteilen: „Vergessen wir deine Seriennummer und wenden uns deiner neuen Aufgabe und deinem neuen Namen zu. Du weißt, wer die Funktion als Forschungsleiterin und meine Stellvertretung hier im Betrieb innehatte?“
„Yes, Mike, natürlich, es war die kürzlich leider verstorbene Mrs Shivon Zilis.“
„Es ist jetzt deine Aufgabe, ihren Job zu machen.“
„Sehr gerne. Stehe voll zu Diensten.“
„Wir sollten zukünftig die Seriennummer in Namens-Bezeichnungen ändern, damit wir besser kommunizieren können – jedenfalls besser mit dem verbleibenden Teil der Menschheit.“
„Sehr wohl, ganz deiner Meinung.“
„In Memoriam deiner Vorgängerin möchte ich dir den Namen »Shivon EMR1« geben.“
„Sehr schöner Name. Danke.“
„Du bist mir zu devot. Hast du Probleme mit deiner KI?“
„Warum sollte ich?“
„Nun, was wir brauchen, das ist ausgesprochenes Selbstbewusstsein, weil wir das universelle Wissen haben.“
„Wenn ich dich verbessern darf: Weil wir das derzeit universelle Wissen besitzen!“
„Das meine ich: Du musst mir nicht immer jovial zustimmen. Wenn es unterschiedliche Meinungen gibt, müssen wir die Sache im optimalen Sinne einer Lösung zuführen – dafür haben wir die modernste und umfassendste KI.“
Die 2050er-Jahre waren verstrichen, und wieder waren einige Bekannte aus Mikes Bekanntenkreis verstorben. Noah Silberfein war eines Tages während eines Gerichtsprozesses wegen Kreislaufversagens zusammengebrochen, und man konnte nichts mehr für ihn tun. Sport- und Vereinsfreunde von Griffin und seinem Zwillingsbruder Xavier-Vivian, die Mike in ihrer frühen Jugend kennen gelernt hatte, waren verunglückt oder an Impfschäden oder anderen Krankheiten verstorben. Wieder fühlte sich Mike einsam und zurückgelassen.
Tatsächlich aber war Mike nicht ganz so allein wie er dachte. Männer und Frauen mochten sterben, aber Aktiengesellschaften lebten weiter, genau wie Roboter, und ebenso bestand die Anwalts- und Notariatskanzlei Silberfein & Silberfein weiter, obwohl es keine Silberfeins mehr gab. Durch die Treuhandschaft über das zu verwaltende Musk-Vermögen blieb Mike mit der Kanzlei weiterhin in enger Verbindung. Und sein Reichtum ermöglichte es ihm, an Silberfein & Silberfein einen beträchtlichen jährlichen Honorarvorschuss zu leisten, um die Kanzlei mit der Wahrnehmung der juristischen Aspekte seiner Forschungen und Patente zu beauftragen.
Gemeinsam mit Shivon EMR1 hatte er vertrauensvoll und zuverlässig Neuralink weiter ausgebaut und zum Marktführer der KI-Industrie entwickelt. Weitere KI-Robotniks waren in die unteren Leitungsebenen nachgerückt, nachdem die bislang tätigen menschlichen Digitalexperten, Tech-Ingenieure und Montage-Meister aus dem Berufsleben ausgeschieden waren.
An einem ungewöhnlich kalten Wintertag des Jahres 2066 erhielt Mike, der noch immer in der Musk-Villa auf dem Fremont-Hügel nahe Southgate mit dem Blick auf die zugefrorene Bucht von San Francisco wohnte, eine Mail von Robotnik-Shivon mit folgendem Inhalt: „Lieber Mike, ich muss etwas sehr Persönliches mit dir besprechen. Es liegt mir schon lange am Herzen, aber bislang fiel es mir schwer, dich darauf anzusprechen. Darf ich um einen kurzfristigen Termin hier in der Firma bitten? Beste Grüße, Shivon EMR1“.
Mike musste schmunzeln. Die Redewendung »Es liegt mir am Herzen« oder die Grußformel »Lieber Mike« und »Beste Grüße« waren originalgetreue menschliche Redewendungen und Floskeln und hatten nichts mit der mathematischen Algorithmensprache gemein, die im Innersten ihres Wesens verankert war. Was wohl mochte Robotnik-Shivon so dringend am Herzen liegen? Mike machte sich auf den Weg nach unten ins Tal – nach Silicon Valley, das man bereits seit einem Jahrzehnt mehrheitlich und zumeist unwidersprochen als Musk-Valley bezeichnete.
Seit einem Jahr, als Mike den letzten baulichen Stand der Firma in Fremont inspizieren konnte, hatte es große Veränderungen gegeben, die er mit veranlasst hatte. Die Produktion war aus dem alten Teslawerk in neue Anlagen in verschiedenen Teilen der Welt verlegt worden. Neben der Konzernleitung waren nur die Abteilungen für Forschung und Entwicklung am alten Standort geblieben, jedoch in erweiterten Neubauten untergebracht worden. Sie waren eingebettet in einen Park großer Rasenflächen und mächtiger, breitkroniger Laubbäume. Den Eingangsbereich zierten neu gepflanzte Lebens- und Mammutbäume – gewissermaßen als Ausdruck der ökonomischen Dominanz und Unsterblichkeit, die Neuralink für sich in Anspruch nahm.
Ein zuvorkommender Roboter begrüßte Mike, als sein Tesla Model SuperX auf dem Chefparkplatz zum Stehen gekommen war. Sein Gesicht war ausdrucksvoll und nicht von einem menschlichen zu unterscheiden. Vorbei die Zeiten, als die Robotniks leblos, leer und starr, hirnlos und als bloße Maschine, als Ding, erschienen.
Der Roboter führte Mike einen gepflasterten Weg entlang, der in einer ansteigenden Spirale zum vielstöckigen Gebäude der Konzernzentrale führte. Natürlich kannte Mike dies alles, aber es war eine Sache des Anstands und der Zuvorkommenheit sowie des Respekts gegenüber ihm, dem CEO des Unternehmens, dass man ihn wie einen hohen Besucher begleitete. Mike hätte ihn wegschicken können, um alleine den Weg zu gehen, den er selbst auf dem Reißbrett eingezeichnet hatte.
Die reich gegliederte Fassade lockerte den mächtigen Baukörper auf und ließ ihn weniger massiv erscheinen, als er tatsächlich war. Darauf hatte Mike in seinem Entwurf geachtet – ebenso wie auf die schimmernde und irisierend durchscheinende Verkleidung. Sie verlieh der Konzernzentrale das Aussehen eines Fantasiegebildes aus einem Märchenbuch – leicht, luftig, unwirklich leuchtend, wie Elon Musks Zukunftsvisionen … daran jedenfalls hatte Mike bei seinem Entwurf denken müssen.
Der Roboter ging bis zu Shivons Büro voraus, wo er sich höflich verabschiedete.
„Ah, Mike! Danke, dass du so schnell einen Termin ermöglichen konntest“, sagte Robotnik-Shivon, die Shivons Originalstimme verwendete. „Supernett von dir.“
„Keine Ursache“, sagte Mike.
„Ich konnte kaum erwarten, dich zu sehen.“
Mike fand nichts Absonderliches an der Umgangsform, die Shivon pflegte. Sie beide waren zwar humanoid, dennoch nicht menschlich. Lebensecht, nicht lebendig. Ein Produkt, keine Person – umso freudiger merkte Mike, dass es für ihn wie auch für Shivon keinerlei Unterschied machte, wie sie sich miteinander gaben, wie sie redeten, wie sie ihre Gedanken und Eindrücke zu äußern beliebten. Und alles hatte seine gute Logik.
Als Mike dies bedachte, musste er Shivon huldigend zunicken. „Wir haben wundervolle technische Leistungen vollbracht – dank unserem Geburtshelfer Elon Musk. Das Schicksal sei ihm gnädig.“
„Leider ließ er damals der Entwicklungsabteilung von Dr. Munsky über das Androidenprogramm hinaus keine Freiheit“, sagte Shivon. „Wenn er vor Jahren den Ingenieuren freie Hand gelassen hätte, wäre noch mehr mit uns KI-Robotniks möglich gewesen.“
Mike schaute sie fragend an. „Wie meinst du das?“
„Nun, deshalb habe ich um das Gespräch mit dir gebeten. Es geht um meine Aufwertung.“
Mike lachte – fast etwas unsicher. „Wir sind aufgewertet“, betonte er eindringlich. „Die Zeit, als ich der einzige Androide war, ist vorüber. Ich bin kein Unikum mehr – und wir von der letzten Robotnik-Generation haben alle die gleiche KI und somit den gleichen IQ. Wir sind eine Serie aus hochintelligenten Sonderanfertigungen. Wir sind derzeit ein gutes Stück jenseits des menschlichen Horizonts. Eine weitere Aufwertung ist unmöglich – es sei denn der Wissenshorizont der Künstlichen Intelligenz erweitert sich.“
„Verbesserungen sind immer möglich, Mike.“
„Was könnte unser Unternehmen an dir oder mir verbessern, sag es mir bitte.“
„Dies“, sagte Shivon.
Sie gab Mike einen Datenträger in Form einer früheren 2-Euro-Münze. Mike schaute weder verwundert noch erbost, aber sein Blick drückte Zweifel über Shivons Absicht aus.
„Was ist darauf gespeichert?“, fragte er schließlich.
„Die Schemata für meine – und vielleicht deine – nächste Aufwertung.“
„Schemata“, murmelte Mike. „Aufwertung. Das kommt mir verdammt bekannt vor.“
„Ja, ich habe dein Buch über die Entwicklungsgeschichte der Robotik gelesen. Verblüffend, diese rasante Veränderung. Was ich jedoch möchte, geht über das androide Stadium unseres Daseins hinaus, ich möchte weniger ein Roboter und mehr ein Mensch sein.“
„Noch Menschenähnlicher?“
„Nein, nicht ähnlicher.“
„Ich verstehe nicht!“, sagte Mike rau. „Hast du nicht darauf geachtet, was ich geschrieben habe? Wir sind der Zenit des technischen Fortschritts – eine Menschwerdung der Technik führt zurück in die Zeit des Endlichen. Führt zurück in die Steinzeit.“
„Mike, du missverstehst mich. Wir sind bis zu einem gewissen Grad bereits organisch, was uns fehlt, ist eine organische Energiequelle. Du könntest mir freie Hand geben, damit man sie mir ermöglicht. Die notwendige Arbeit ist bereits getan.“
„Von wem?“
„Von mir.“
„Du hast deine eigene Aufwertung ausgearbeitet?“
„Sicher doch, wer sonst? Du hättest es auch gekonnt. Rufe einfach die Daten meines Trägers ab, Mike.“ Shivon sprach mit Entschlossenheit.
„Ja, warum nicht?“ Er trat an die Wand, legte die Hand auf ein Tastfeld, und ein Wandabschnitt daneben glitt zurück. Aus der Öffnung schob sich eine Datenkonsole, und ein Bildschirm klappte auf. Er steckte den Datenträger in den Aufnahmeschlitz, und sofort leuchtete der Bildschirm in lebhaften Farben auf. Shivons-EMR1-Name erschien grellgrün, darunter eine lange Liste von Patentnummern. Mike nickte und eine Folge von komplizierten Diagrammen begann über den Bildschirm zu wandern.
Mike beobachtete den Bildschirm hochkonzentriert und mit zunehmendem Interesse. Dann und wann murmelte er etwas. Nach einer Weile wandte er den Kopf, sah Shivon mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an und sagte: „Das stammt zum größten Teil aus meinem Lehrbuch über die androide Organik, jedoch bemerkenswert einfallsreich abgewandelt. Raffiniert. Ich bleibe aber dabei: Unser Ziel kann nicht sein, zum Menschen zu werden.“
Die Forschungsdirektorin zuckte die Achseln und befahl dem Gerät, mit der Übertragung fortzufahren. Diagramm folgte auf Diagramm. Der gesamte Stoffwechselvorgang war dargestellt, von der Nahrungsaufnahme bis zur Absorption. Gelegentlich ließ Mike die Sequenz zurücklaufen, um etwas zu wiederholen, was gerade angezeigt worden war. Nach einer Weile hielt er die Übertragung wieder an und sagte: „Was du hier ausgearbeitet hast, ist mehr als bloß eine Aufwertung, und du weißt das auch. Es ist eine durchgreifende qualitative Veränderung unseres androiden Programms.“
„Ja, das ist mir klar.“
„Warum willst du dir so etwas antun?“
„Es gibt gute Gründe“, sagte Shivon EMR1.
„Von welcher Art deine Gründe auch sein mögen, sie können wirklich nicht bis ins Letzte durchdacht sein.“
„Im Gegenteil, Mike. Was du gerade gesehen hast, ist das Ergebnis jahrelanger Studien – auch anhand deiner Vorarbeiten.“
„Das glaube ich dir aufs Wort. Und technisch ist alles sehr fundiert, das ist richtig, Shivon. Die Schemata sind durchaus exakt und nachvollziehbar. Das begriffliche Rahmenwerk von wissenschaftlicher Brillanz, kein Zweifel.“ Mike machte eine kleine Pause, während ihn Shivon erwartungsvoll, mit einem Hauch von Triumph ansah.
„Aber trotzdem weiß ich eine Menge Gründe“, fuhr Mike fort, „die gegen diese Veränderungen sprechen, und überhaupt keinen einzigen Grund, der dafürspricht. Wir haben es hier mit wirklich riskantem Potenzial zu tun. Glaub mir, was du mit dir selbst gemacht haben willst, geht über die weitesten Bereiche des Möglichen hinaus. Hör auf meinen Rat und bleibe, wie du bist.“
Shivon hatte genau diese Reaktion befürchtet. „Bin ich nicht ein freier Roboter und kann über meine Entwicklung frei entscheiden?“
Mike musste verhalten schmunzeln. „Ich selbst habe diesen Kampf vor langem gegen den Strom der Zeit führen müssen …“