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Die Literatur des Sturm und Drang im Jahrzehnt zwischen 1770 und 1780 ist der erste Versuch, die Aufklärung weiterzudenken: in der Entdeckung und literarischen Beschreibung des radikal Individuellen gegenüber gesellschaftlichen Zwängen.Diese repräsentative Auswahl von 50 Gedichten bietet einen guten Überblick über Autoren und poetische Themen dieser Periode, von Schubart und Bürger, Goethe, Schiller und Lenz bis hin zu Unbekannteren wie Stäudlin oder dem Maler und Schriftsteller Füssli. Ein Kommentar sowie ein informatives Nachwort erschließen die Texte. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.
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Seitenzahl: 107
50 Gedichte des Sturm und Drang
Mit einem Nachwort herausgegeben von Matthias Luserke-Jaqui
Reclam
2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2020
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961712-1
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019663-2
www.reclam.de
Erwache Friederike
Vertreib die Nacht
Die einer Deiner Blicke
zum Tage macht.
Der Vögel sanft Geflüster 5
Ruft liebevoll
Dass mein geliebt Geschwister
Erwachen soll
Ist Dir Dein Wort nicht heilig
Und meine Ruh? 10
Erwache! Unverzeihlich!
Noch schlummerst Du!
Horch Philomelens Kummer
Schweigt heute still
Weil Dich der böse Schlummer 15
Nicht meiden will.
Es zittert Morgenschimmer
Mit blödem Licht
Errötend durch Dein Zimmer
Und weckt Dich nicht. 20
Am Busen Deiner Schwester
Der für Dich schlagt
Entschläfst Du immer fester
Je mehr es tagt.
[10]Ich seh Dich schlummern, Schöne, 25
Vom Auge rinnt
Mir eine süße Träne
Und macht mich blind
Wer kann es fehllos sehen
Wer wird nicht heiß 30
Und wär er von den Zähen
Zum Kopf von Eis!
Vielleicht erscheint Dir träumend
O Glück mein Bild
Das halb im Schlaf und reimend 35
Die Musen schilt
Erröten und erblassen
Sieh sein Gesicht:
Der Schlaf hat ihn verlassen
Doch wacht er nicht. 40
Die Nachtigall, im Schlafe
Hast Du versäumt:
So höre nun zur Strafe
Was ich gereimt
Schwer lag auf meinem Busen 45
Des Reimes Joch.
Die schönste meiner Musen,
Du – schliefst ja noch.
Kleine Blumen, kleine Blätter
Streuen mir mit leichter Hand
Gute junge Frühlingsgötter
Tändlend auf ein lüftig Band.
Zephir nimm’s auf deine Flügel, 5
Schlinge um meiner Liebe Kleid!
Und sie eilet vor den Spiegel
All in ihrer Munterkeit.
Sieht mit Rosen sich umgeben
Sie, wie eine Rose jung. 10
Einen Kuss! geliebtes Leben,
Und ich bin belohnt genung.
Fühle was dies Herz empfindet,
Reiche frei mir deine Hand.
Und das Band, das uns verbindet, 15
Sei kein schwaches Rosenband.
Herz, mein Herz, was soll das geben,
Was bedränget dich so sehr?
Welch ein fremdes neues Leben!
Ich erkenne dich nicht mehr.
[12]Weg ist alles, was du liebtest, 5
Weg, warum du dich betrübtest,
Weg dein Fleiß und deine Ruh;
Ach! wie kamst du mir dazu?
Fesselt dich die Jugendblüte?
Diese liebliche Gestalt, 10
Dieser Blick voll Treu und Güte,
Mit unendlicher Gewalt?
Will ich rasch mich ihr entziehen,
Mich ermannen, ihr entfliehen;
Führet mich im Augenblick 15
Ach! mein Weg zu ihr zurück.
Und an diesem Zauberpfädchen,
Das sich nicht zerreißen lässt,
Hält das liebe-lose Mädchen
Mich so wider Willen fest; 20
Muss in ihrem Zauberkreise
Leben nun auf ihre Weise.
Die Verwandlung, ach! wie groß!
Liebe! Liebe lass mich los!
Mir schlug das Herz; geschwind zu Pferde, 25
Und fort, wild, wie ein Held zur Schlacht!
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht;
Schon stund im Nebelkleid die Eiche,
Ein aufgetürmter Riese, da, 30
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.
[13]Der Mond von seinem Wolkenhügel,
Schien kläglich aus dem Duft hervor;
Die Winde schwangen leise Flügel, 35
Umsausten schauerlich mein Ohr;
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer –
Doch tausendfacher war mein Mut;
Mein Geist war ein verzehrend Feuer,
Mein ganzes Herz zerfloss in Glut. 40
Ich sah dich, und die milde Freude
Floss aus dem süßen Blick auf mich.
Ganz war mein Herz an deiner Seite,
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbes Frühlingswetter 45
Lag auf dem lieblichen Gesicht,
Und Zärtlichkeit für mich, ihr Götter!
Ich hofft’ es, ich verdient’ es nicht.
Der Abschied, wie bedrängt, wie trübe!
Aus deinen Blicken sprach dein Herz. 50
In deinen Küssen, welche Liebe,
O welche Wonne, welcher Schmerz!
Du gingst, ich stund, und sah zur Erden,
Und sah dir nach mit nassem Blick;
Und doch, welch Glück! geliebt zu werden, 55
Und lieben, Götter, welch ein Glück!
Sah ein Knab ein Röslein stehn,
Röslein auf der Heiden,
War so jung und morgenschön,
Lief er schnell es nah zu sehn,
Sah’s mit vielen Freuden. 5
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.
Knabe sprach: ich breche dich,
Röslein auf der Heiden!
Röslein sprach: ich steche dich, 10
Dass du ewig denkst an mich,
Und ich will’s nicht leiden.
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.
Und der wilde Knabe brach 15
’s Röslein auf der Heiden;
Röslein wehrte sich und stach,
Half ihr doch kein Weh und Ach,
Musste es eben leiden.
Röslein, Röslein, Röslein rot, 20
Röslein auf der Heiden.
Wie herrlich leuchtet
Mir die Natur!
Wie glänzt die Sonne!
Wie lacht die Flur!
Es dringen Blüten 5
Aus jedem Zweig,
Und tausend Stimmen
Aus dem Gesträuch,
Und Freud und Wonne
Aus jeder Brust. 10
O Erd o Sonne
O Glück o Lust!
O Lieb o Liebe,
So golden schön,
Wie Morgenwolken 15
Auf jenen Höhn;
Du segnest herrlich
Das frische Feld,
Im Blütendampfe
Die volle Welt. 20
O Mädchen Mädchen,
Wie lieb ich dich!
Wie blinkt dein Auge!
Wie liebst du mich!
[16]So liebt die Lerche 25
Gesang und Luft,
Und Morgenblumen
Den Himmels Duft,
Wie ich dich liebe
Mit warmen Blut, 30
Die du mir Jugend
Und Freud und Mut
Zu neuen Liedern,
Und Tänzen gibst!
Sei ewig glücklich 35
Wie du mich liebst!
Ach wie sehn ich mich nach dir, [6.]
Kleiner Engel! nur im Traum,
Nur im Traum erscheine mir!
Ob ich da gleich viel erleide,
Bang um dich mit Geistern streite, 5
Und erwachend atme kaum.
Ach wie sehn ich mich nach dir,
Ach wie teuer bist du mir,
Selbst in einem schweren Traum. 10
Dem Himmel wachs entgegen
Der Baum, der Erde Stolz.
Ihr Wetter, Stürm und Regen,
Verschont das heilge Holz!
Und soll ein Name verderben, 5
So nehmt die obern in Acht!
Es mag der Dichter sterben,
Der diesen Reim gemacht.
Ob ich dich liebe, weiß ich nicht: [8.]
Seh ich nur einmal dein Gesicht,
Seh dir ins Auge nur einmal,
Frei wird mein Herz von aller Qual;
Gott weiß, wie mir so wohl geschicht! 5
Ob ich dich liebe, weiß ich nicht.
Wen du nicht verlässest Genius
Nicht der Regen nicht der Sturm
Haucht ihm Schauer übers Herz.
Wen du nicht verlässest Genius
Wird der Regenwolk 5
Wird dem Schloßensturm
Entgegensingen
Wie die Lerche
Du da droben
[18]Den du nicht verlässest Genius 10
Wirst ihn heben übern Schlammpfad
Mit den Feuerflügeln.
Wandeln wird er
Wie mit Blumenfüßen
Über Deukalions Flutschlamm 15
Python tötend, leicht, groß
Pythius Apollo.
Dem du nicht verlässest Genius
Wirst die wollnen Flügel unterspreiten
Wenn er auf dem Felsen schläft
Wirst mit Hüterfittigen ihn decken 20
In des Haines Mitternacht.
Wen du nicht verlässest Genius
Wirst im Schneegestöber
Wärmumhüllen 25
Nach der Wärme ziehn sich Musen
Nach der Wärme Charitinnen.
Umschwebt mich ihr Musen!
Ihr Charitinnen!
Das ist Wasser, das ist Erde 30
Und der Sohn des Wassers und der Erde
Über den ich wandle
Göttergleich.
Ihr seid rein wie das Herz der Wasser
Ihr seid rein wie das Mark der Erde 35
Ihr umschwebt mich und ich schwebe
Über Wasser über Erde
Göttergleich.
[19]— — —
Soll der zurückkehren,
Der kleine schwarze feurige Bauer 40
Soll der zurückkehren, erwartend
Nur deine Gaben Vater Bromius
Und hellleuchtend umwärmend Feuer,
Der kehren mutig.
Und ich den ihr begleitet 45
Musen und Charitinnen all
Den alles erwartet was ihr
Musen und Charitinnen
Umkränzende Seligkeit
Rings ums Leben verherrlicht habt, 50
Soll mutlos kehren?
Vater Bromius
Du bist Genius
Jahrhunderts Genius
Bist, was innre Glut 55
Pindarn war,
Was der Welt
Phöb Apoll ist.
Weh! Weh! innre Wärme
Seelen Wärme 60
Mittelpunkt!
Glüh entgegen
Phöb Apollen.
Kalt wird sonst
Sein Fürstenblick 65
Über dich vorübergleiten,
[20]Neidgetroffen
Auf der Zeder Kraft verweilen
Die zu grünen
Sein nicht harrt 70
— — —
Warum nennt mein Lied dich zuletzt
Dich von dem es begann,
Dich in dem es endet
Dich aus dem es quillt
Jupiter Pluvius! 75
Dich! dich strömt mein Lied,
Und Kastalischer Quell
Rinnt ein Nebenbach
Rinnet Müßigen
Sterblich Glücklichen 80
Abseits von dir
Der du mich fassend deckst
Jupiter Pluvius.
Nicht am Ulmenbaum
Hast du ihn besucht, 85
Mit dem Taubenpaar
In dem zärtlichen Arm
Mit der freundlichen Ros umkränzt
Tändlenden ihn blumenglücklichen
Anakreon, 90
Sturmatmende Gottheit.
[21]Nicht im Pappelwald
An des Sibaris Strand
An des Gebürges
Sonnebeglänzter Stirn nicht 95
Fasstest du ihn.
Den Bienensingenden
Honig lallenden
Freundlich winkenden
Theokrit. 100
Wenn die Räder rasselten
Rad an Rad, rasch ums Ziel weg
Hoch flog
Siegdurchglühter
Jünglinge Peitschenknall 105
Und sich Staub wälzt’
Wie vom Gebürg herab
Kieselwetter ins Tal,
Glühte deine Seel Gefahren Pindar
Mut – Glühte – 110
Armes Herz
Dort auf dem Hügel
Himmlische Macht
Nur so viel Glut
Dort meine Hütte 115
Dorthin zu waten.
Ich hab euch einen Tempel baut
Ihr hohen Musen all
Und hier in meinem Herzen ist
Das Allerheiligste.
Wenn morgens mich die Sonne weckt 5
Warm froh ich schau umher
Steht rings ihr ewig Lebenden
In heilgem Morgenglanz.
Ich bet hinan und Lobgesang
Ist lauter mein Gebet 10
Und Freudeklingend Saitenspiel
Begleitet mein Gebet.
Ich trete vor den Altar hier
Und lese wie sich’s ziemt
Andacht liturgscher Lektion 15
Im heiligen Homer.