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Der böseste und amüsanteste Reiseführer für Deutschland, vom Autor des Bestsellers «Alle Orte, die man knicken kann». Sparen Sie sich das Geld für den Urlaub – lesen Sie lieber dieses Buch! Deutschland ist voller überflüssiger Sehenswürdigkeiten. Ausländische Touristen werden gezwungen, sie abzuklappern. Müssen wir das etwa auch? Mitnichten. Hier ist das zeitsparende Schonprogramm. Dietmar Bittrich hat sich die 99 berühmtesten Highlights angetan und beschreibt mit Witz und Bosheit, warum man sie alle knicken kann: Neuschwanstein, Heidelberg, den Kölner Dom, die Dresdner Frauenkirche, das Brandenburger Tor, Rothenburg, Würzburg, Tier, den Königssee, das Rheintal, die Wartburg, Trier, Aachen, Sylt, die Wies, die Drosselgasse, die Zeche Zollverein, Rügen, Harz, den Spreewald, den Bayerischen Wald, Hamburg, München, Köln, Berlin, die vielen öden Schlösser, die düsteren Dome, die einschläfernden Museen, Wattenmeere, Fachwerkstädte, Erzbergwerke ... An jedem dieser Orte kann man sich wohl fühlen. Klar. Aber noch schöner ist das Leben, wenn man sie auslässt. "Was?", fragen entgeisterte Oberlehrer nach unserer Rückkehr. "Da warst du und hast dir das nicht angesehen?" – "Nöö." Ein gewisses freches Selbstbewusstsein gehört dazu. Dieses Buch stützt so ein Selbstbewusstsein. Dieses Buch ist frech bis unverschämt. Es richtet sich nach den Listen der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten, nach den Castings der Unesco und den Rankings der Medien. "Das meiste ist sowieso zum Gähnen, und was tatterige Kulturkommissionen zum Welterbe ausrufen, ist hundertprozentig verzichtbar." Eine grandiose Satire auf den Muss-man-gesehen-haben-Wahn vom Meister des bösen Humors: Dietmar Bittrich.
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Seitenzahl: 192
Dietmar Bittrich
99 deutsche Orte, die man knicken kann
Ihr Verlagsname
Deutschland ist voller scheußlicher Sehenswürdigkeiten. Ausländische Touristen werden gezwungen, sie abzuklappern. Müssen wir das etwa auch? Mitnichten. Hier ist das zeitsparende Schonprogramm. Dietmar Bittrich hat sich die 99 berühmtesten Highlights angetan und beschreibt mit Witz und Bosheit, warum man sie alle knicken kann:
Heidelberg, Dresden, Rothenburg ob der Tauber, der Schwarzwald, das Rheintal, die Nordsee, Rügen, Sylt, der Harz, der Spreewald, die vielen öden Schlösser, die düsteren Dome, die einschläfernden Museen, all die sogenannten Welterbestätten …
Dietmar Bittrich lebt in Hamburg. Er gewann den Hamburger Satirikerpreis und den Preis des Hamburger Senats. Im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen von ihm u.a. der Bestseller «Alle Orte, die man knicken kann», «Urlaub mit der buckligen Verwandtschaft» sowie diverse Weihnachtsbücher, zuletzt «Diesmal bleiben wir bis Silvester!».
www.dietmar-bittrich.de
Wichtiger Hinweis
Obwohl alles getan wurde, um die Korrektheit der Informationen in diesem Buch zu gewährleisten, können sich die Umstände aufgrund vielfältiger Ursachen ändern. In den porträtierten Orten und Landschaften sind Umzüge, Geldverlust und menschliches Versagen an der Tagesordnung. In fast allen behandelten Regionen kommt es häufig zu nächtlichen Erschütterungen, überfluteten Nasszellen und unvorhergesehenen Totalausfällen. Weder Autor noch Verlag können für das Ausbleiben solcher Überraschungen haftbar gemacht werden. Wenn Sie veraltete oder allzu rosige Informationen in diesem Buch entdecken, würden wir uns über eine Nachricht freuen.
Auf Reisen ist das die meistgestellte Frage vom dritten Tag an. Nein, müssen wir nicht. Die Besichtigungspflicht ist aufgehoben. Wir müssen keine eingerüsteten Kirchtürme anstaunen oder in Filzpantoffeln durch schwülstige Schlösser schlurfen. Wir brauchen keine modernden Landschaftsparks abzuwandern oder Industriedenkmale toll zu finden. Wir können uns all das sparen. All das, was Reiseführer und Tourismusbüros uns als Highlight oder Kleinod unterjubeln wollen. Das Brandenburger Tor, die Dresdner Frauenkirche, die Altstadt von Bamberg, das Kloster Maulbronn. Geschenkt. Dass sich das lange Anstehen in Neuschwanstein nicht lohnt, ist längst bekannt. Dass Rüdesheim nichts anderes ist als ein dreihundert Meter langer Besäufnistresen unter bemoosten Plastikdächern, hat sich ebenfalls herumgesprochen. Aber auch Wattenmeere, Fachwerkstädte, Erzbergwerke – das meiste ist zum Gähnen. Und was tatterige Kulturkommissionen zum Welterbe ausrufen, ist erst recht hundertprozentig verzichtbar. Dieses Buch verrät, warum man sie alle knicken kann, diese hochgerühmten Stätten und angeblichen Sehenswürdigkeiten. An jedem dieser Orte kann man sich wohlfühlen. Klar. Aber noch schöner ist das Leben, wenn man sie auslässt. «Was?», fragen entgeisterte Oberlehrer nach unserer Rückkehr. «Da warst du und hast dir das nicht angesehen?» – «Nöö.» Ein gewisses freches Selbstbewusstsein gehört dazu. Dieses Buch stützt so ein Selbstbewusstsein. Dieses Buch ist frech bis unverschämt. Es richtet sich nach den Listen der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten, nach den Castings der Unesco und den Rankings der Medien. Es geht also nicht nach Regionen vor, sondern nach Ruhm. Alphabetisch sind die 99 Orte am Ende aufgelistet. Meiner ist natürlich auch dabei.
Über dieses Schloss kursieren so viele Klagen und Beschwerden, dass es hier nur gelobt werden soll. Denn es gibt so viel Positives! Zu Recht wird Neuschwanstein das Cinderella-Schloss genannt, manchmal auch Sleeping Beauty Castle. Schließlich ist es das wohl berühmteste Bauwerk Walt Disneys. Und dass es inzwischen vom Excalibur Hotel & Casino aus Las Vegas übernommen wurde, schmälert nicht seinen Charme.
Der ummauerte Schlosshof gilt immer noch als Deutschlands beste Gelegenheit zur Begegnung mit unbewaffneten Angehörigen asiatischer Völker. Obendrein ist dieses Schloss der erste Bau, der in Deutschland einen Energiepass erhalten hat. Sein energiesparender historischer Küchenofen (Rumford-Herd im Erdgeschoss) vermochte bereits 1886 den Bratspieß durch Eigenwärme in Bewegung zu setzen. Die warme Abluft wurde verlustfrei der Heizung zugeführt. Auf diese Weise reichte ein kleines Ferkel am Spieß zum Beheizen der königlichen Wohnung, allerdings musste das Ferkel bis auf den Aschenrest verbrannt werden. Heute genügen zwei Dönerspieße zum Beheizen des Thronsaals.
Und noch mehr Wunder: In allen Stockwerken stand von Beginn an fließendes Wasser zur Verfügung, nachhaltig angereichert mit den wertvollsten Bestandteilen von echtem Eisenerz (Rost) und biodynamischem Asselkot. Im Schlosscafé kann dieses Wasser noch heute genossen werden. Und vielleicht am wichtigsten: Nur in diesem denkmalgeschützten Bauwerk ist es erlaubt, für eine einzige Eintrittskarte (zwölf Euro) drei Führungen auf einmal zu genießen!
Die rasche Folge der Schlosstouren – Start alle fünf Minuten – ermöglicht dieses einzigartige Erlebnis. Während der Tour Guide in der Mitte eines Raumes das Mobiliar erläutert («Stuhl», «Bank», «Tisch»), werden die Zuhörer bewundernd Zeuge, wie der Guide der voranschreitenden Gruppe noch die Deckengemälde deutet, bevor er seine Leute aus der Tür schiebt, während auf der anderen Seite bereits die nachfolgende Gruppe hereindrängt und die Teppichfransen erklärt bekommt.
Diese simultane Belehrung – meist in verschiedenen Sprachen – ist europaweit einmalig. Leider kann sie in reiseunfreundlichen Monaten wie November und Februar zu selten genossen werden. Im Februar, wenn nicht mal mehr Busse die Steigung von den Parkplätzen hoch zum Schlosseingang schaffen, verweilt eine Gruppe im Schloss manchmal bis zu sechzig Sekunden lang allein in einem Raum, mit nur einem einzigen bis auf den Grund leergeleierten Guide.
Die Starts der Führungen erfolgen in solchen Monaten in höflichem Sicherheitsabstand, getaktet wie beim Zeitfahren eines Radrennens. Dafür kann in der Nebensaison etwas anderes und wohl noch Wichtigeres genossen werden: ein Geschwindigkeitsrekord.
Im Sommer werden die Gruppen in siebzehn Minuten durch die zugänglichen Räume bugsiert. Im Winter, bei unverstopften Gängen, ist eine viel höhere Geschwindigkeit möglich. Der beliebte Guide Bernhard Gudden brachte es Anfang März 2015 fertig, seine Gruppe in genau 7:42 Minuten durch die sogenannten Prunkräume zu jagen. «Es waren junge bis mittelalte Japaner, denen so ein Tempo nicht fremd war», erklärt Gudden. Dieser neue Rekord (der alte lag bei 8:23 Minuten, erzielt von Traudel Steiger und ihrer Gruppe Südkoreaner im Januar 2011) wird jetzt Aufnahme ins Guinness Buch der Rekorde finden.
Übrigens: Als Guides bewerben dürfen sich ausschließlich Personen, die den Satz «Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker» in weniger als zwei Sekunden aufsagen können. Denn auf blitzschnelles, monotones Sprechen kommt es an in Neuschwanstein. Diese Einstellungsbedingung erklärt auch, weshalb so viele Guides den bekannten Satz vom Arzt und Apotheker so häufig in die Vorträge einfließen lassen.
Eigentlich gehört er nicht zwingend zum Text. Vielmehr besteht der Vortrag, der möglichst tonlos und gleichförmig abgespult werden muss, aus zwei auswendig gelernten Seiten zu Geschichte und Einrichtung des Schlosses. Bedauerlicherweise kommt es immer wieder vor, dass renitente Besucher einen Vortrag durch Fragen zu stören versuchen. Auf solche Fragen einzugehen, würde einen Stau verursachen, auf den andere Gruppen auflaufen würden, mit der Gefahr von Hämatomen, Prellungen und Meinungsaustausch. Daher erteilen die Gruppenführer niemals Antworten, sondern nur patzige Zurechtweisungen.
Gleichwohl lassen sich besonders Fragen zum Privatleben von Deutschlands schwulstem König (Werbung) nicht vollständig übergehen. Um dieses Interessengebiet aus dem Schloss hinaus zu verlagern, sollen baldmöglichst die einst vielgerühmten Waldfestemit jüngeren Bediensteten und Stallleuten in maurischer Tracht wieder ins Leben gerufen werden, an Sommerabenden auch mit jenen beliebten Tänzen, «bei welchen gar kein Kostüm dem maurischen vorgezogen wird» (Dekret von König Ludwig).
Im Souvenirshop finden sich bereits etliche subtil frivole Andenken. In diesem Shop werden die Teilnehmer übrigens nach der Besichtigung für längere Zeit interniert, bis sie sich freiwillig dazu entschließen, für mindestens dreißig Euro Porzellanschwäne, Mokkatassen, Puzzles, Kissen, Sweater, Mousepads, Brillenputztücher und Kondome mit aufgedruckten Schloss- oder Königsporträts zu erwerben.
Erst danach kann die Entlassung erfolgen, manchmal übrigens bei voller Gesundheit. Lediglich bei elf Prozent der Besucher wird anschließend eine beginnende frontotemporale Demenz mit wahnhaften Schüben festgestellt, verbunden mit Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis. Diese Verhaltensauffälligkeiten gelten bei der Bayerischen Schlösserverwaltung als Beweis dafür, dass der irre König den Besuchern besonders nahe gebracht worden ist.
Empfohlene Besuchstage: Osterfeiertage, Pfingstfeiertage, bayerische Feiertage.
Beste Besuchszeiten: Ab zehn Uhr, wenn die asiatischen Busse kommen.
Ausdrücklich verboten: Heimliches Parken am Freischwimmbad Schwansee (kostenlos). Kontaktaufnahme mit Gästen, die das Schloss gerade verlassen. Sprechen und Atmen während der Führung.
Little Asia Award 2011
World’s Biggest Tourist Trap 2012
Verstopfteste Toiletten 2014
Zen Masters Patience Award (Härteste Geduldsprobe) 2015
Toughest Wheelchair Challenge 2016
Wichtigste Außenstation der Oberbayerischen Kreisirrenanstalt 1886 bis heute
Darf ich ein Foto machen? Wenigstens von Ihnen?
Leben die Schauspieler von Game of Thrones immer hier oder nur, wenn gedreht wird?
Meine Mutter schafft die Treppe nicht, können Sie bitte den Essensaufzug in Gang setzen?
Welches Kissen darf ich mir aus dem Schlafzimmer mitnehmen?
Würden Sie bitte den künstlichen Wasserfall einschalten und die Regenbogenmaschine?
Was bedeutete Bismarcks Satz «Der Bayernkönig ist ein Spinatstecher»?
Und wie kommen wir jetzt nach Altschwanstein?
Jahrelang stand der Kölner Dom auf der falschen Liste. Der internationalen Kommission für das Weltkulturerbe war ein Fehler unterlaufen. Die Experten hatten den Dom als Denkmal der Industriekultur eingestuft! Inzwischen ist das geändert worden.
Aber war es überhaupt ein Fehler? Der Dom ist ja tatsächlich im Zeitalter der Industrialisierung gebaut worden, im 19. Jahrhundert, mit denselben Fertigungsmethoden wie Stahlwerke und Fördertürme; lediglich Krypta, Rumpf und ein paar Grundmauern sind älter. Und wie so viele Fabrikgebäude jener Zeit besitzt auch er eine neogotische Fassade, die den düsteren Machtanspruch des Imperialismus ausstrahlt.
Und doch, eine Fabrik ist dieses Gebäude nicht. Zwar wurde in seinen Kellern sehr fleißig mit Ketten und Schrauben gearbeitet, jedoch nicht zur Herstellung von Gebrauchsgütern, sondern ausschließlich zur Bekehrung von Ungläubigen. Die Welterbe-Kommission hat deshalb – und in Würdigung des erfolgreichen Großinquisitors Jakob von Soest – den Dom als Denkmal für Folter und Inquisition auf die Liste des Weltkulturerbes gesetzt. Leider hat sich auch dagegen bald Widerstand geregt. Vorrangig das Domkapitel verlangte eine Umlistung.
Die Experten mussten schließlich abermals beraten. Und nun – und hoffentlich endgültig! – ist der Kölner Dom erneut eingestuft worden: als herausragendes Denkmal für Luftverschmutzung. «Damit wird vor allem die Außenansicht gewürdigt», teilt die Kommission mit. Das Innere ist jedoch gleichermaßen düster und deprimierend. Die bedrückt herumschlurfenden Besucher absolvieren ihre Pflichtrunde und streben dann so rasch wie möglich ins Freie.
Eine Studie hat kürzlich die frommen Gefühle und Gedanken der Dombesucher erforscht. Die Frage lautete: Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie sich in diesem heiligen Gebäude aufhalten? Die Antworten nach Häufigkeit: der Domschatz und ob man da «irgendwie rankommen» könne, die alten Foltermethoden und wo in der Nähe ein entsprechender Club sei, «ob ich noch auf den Turm steigen muss», wo die Klos seien, und «wie ich an den kostümierten Herren mit den Klingelbeuteln vorbeikomme». Der spirituelle Gehalt dieser Gedanken ist nicht auf Anhieb erkennbar. Doch das hat Tradition.
Denn die berühmte Sage vom Dombau nennt einen ganz besonderen Baumeister: Satan persönlich. Dieser Sage zufolge schlief der erwählte Baumeister, Gerhard von Ryle, unter dem Gewicht der Aufgabe vor Erschöpfung ein. Als er erwachte, stand ein eleganter Fremder vor ihm und zeichnete den perfekten Bauplan in den Sand. Als Gerhard ihn fragte, ob er den Plan nutzen dürfe und was er dafür geben müsse, forderte der Fremde nichts Geringeres als seine – Gerhards – Seele und «die Seelen aller, die einstmals in dem Bauwerk zu beten versuchten». Den Baumeister schauderte, doch er ging darauf ein – in der Hoffnung, den Teufel zu überlisten. Das gelang nicht. Im Gegenteil. Baumeister Gerhard stürzte sich verzweifelt vom Baugerüst des Kirchenschiffs. Das war um 1300. Gott selbst, so erzählt die Sage, hat dann jahrhundertelang die Ausführung des Teufelsplanes zu verhindern versucht. Bis ins 19. Jahrhundert konnte er den Bau verzögern. Dann, mit den Mitteln der Industrie in jenem gottfernen Zeitalter, wurde der Dombau dennoch fertiggestellt. Seither spüren alle empfindsamen Menschen die seelenzersetzenden Kräfte des Widersachers, die in seinem Inneren walten.
So die Sage. Ob nun wirklich psychisch schädliche Energien unter den Gewölben eine geheime Macht ausüben, ist schwer nachweisbar. Lediglich dass die Menschen bleicher und deprimierter herauskommen, als sie hineingehen, lässt sich an den Bildern der Überwachungskameras ablesen. Allerdings liegt das vielleicht nur an dem enttäuschenden Eindruck, den das Innere hinterlässt. Andererseits musste die Aussichtsplattform des Turmes eng umzäumt werden, damit nicht noch mehr Menschen dem Baumeister von einst nachfolgten und sich hinunterstürzten. Bis zur Eingitterung stand der Turm ganz oben auf der Liste der weltweit beliebtesten Freitodstätten. Der Sprung von einem Kirchturm gilt bekanntlich als einzige mit dem Glauben vereinbare Form, selbstbestimmt aus dem Leben zu scheiden. In diesem Fall drängten jedoch Tourismusbüro und Stadtreinigung darauf, die Flut der Springer einzudämmen.
Es gibt noch ein weiteres unglückseliges Erbe. Offiziell wurde der Dom dem Schutz des Gottesverleugners Petrus anbefohlen («ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verraten»). Inoffiziell ist er drei anderen legendären Figuren geweiht: denjenigen, die in der Bibel «Magoi» heißen – Magier – und die später umgetauft wurden zu den «Heiligen Drei Königen». Außer beim Evangeliums-Autor Matthäus werden sie nirgends erwähnt. Und der nennt sie zwar Magier, verrät aber nirgends, wie viele es waren, ob zwei, vier oder ein Dutzend.
Ziemlich sicher ist, dass sie aus Persien kamen. «Magoi» nannte man dort die Priester des Zarathustra-Kultes. Sie beteten das Feuer an, wohl nur zufällig das Lieblingselement Satans. Nach dem Besuch bei König Herodes, ihrem eigentlichen Ziel, kehrten die Magier nach Persien zurück. Niemand hat je wieder von ihnen gehört.
Doch drei Jahrhunderte später wurde das Christentum römische Staatsreligion. Im Zuge dieser Wende erfand die Mutter des Bekehrungskaisers etwas, das bis heute blüht: den Handel mit Reliquien. Reliquien sind Überreste. Reste von Leichen – möglichst von berühmten Leichen. Knochen, Fingernägel, Haare von Elvis Presley, Marilyn Monroe oder Michael Jackson sind etwas wert. Damals reiste Kaisermutter Helena nach Palästina, um Knochen von biblischen Leichen zu erwerben. Das sprach sich schnell herum. Bald wurden ihr zahllose, auffallend gut erhaltene Knochen angeboten, bei Bedarf mit Echtheitszertifikat des jeweiligen Straßenhändlers. «Haben Sie auch was von den Heiligen Drei Königen?» – «Aber sicher, Madame!»
Mit drei Skeletten männlicher Gestalten versorgt, kehrte die Mutter des Wendekaisers heim. In der damaligen Hauptstadt des Weströmischen Reiches, in Mailand, wurden die Skelette zusammengesetzt, zu den Gebeinen der Heiligen Drei Könige erklärt und mottensicher eingesargt. Wiederum Jahrhunderte später, als Mailand vom deutschen Kaiser Barbarossa zerstört wurde, konfiszierte sein Beichtvater die Knochen. Er ließ sie nach Köln bringen.
Inzwischen durften Forscher sie untersuchen. Es handelt sich um die Überreste von zwei Männern, dreißig und fünfzig Jahre alt, und einem Jungen, zwölf Jahre alt. Die Schwulenszene von Köln jubelte und grüßte die geheiligten Knabenliebhaber. Die Forscher mahnten jedoch zur Vorsicht: Es könnten auch ganz normale Heteros sein, zum Beispiel «Großvater, Vater und Sohn».
Jedenfalls liegt das, was von ihren Knochen übrig ist, jetzt in etwas, das zum Dreikönigsschrein ernannt worden ist. Er steht hinter dem Altar und soll zwar nicht berührt, jedoch bestaunt werden. Bei der Cologne Pride am Christopher Street Day und zu ähnlichen Festen wird der Schrein von vielen dankbaren Menschen besucht.
Der Dom liegt in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof. Seine an Nischen reiche Außenfassade gilt, besonders nach Einbruch der Dämmerung, als meistbesuchte öffentliche Toilette Kölns.
Der Legende nach spendete der Teufel einen gigantischen Stein als Basis, die jetzige Domplatte. Deshalb hat das Grundstück offiziell die Adresse Teufelsstein, Domkloster 4, 50667 Köln.
Neben Bamberg und Würzburg war Köln ein Hauptort der Inquisition. Sünderinnen wurden hier erfolgreich befragt, ob sie Priester verzaubert, Raupen gezeugt oder Hostien verhext hatten. Verstockte Delinquenten konnten zum Glück durch Streckbänke, Beinschrauben, Stricke und glühende Eisen zu konstruktiven Aussagen bewegt werden.
Insider-Tipp: Besichtigungen des Innenraumes während einer Messe gewähren einen authentischen Einblick in die tiefe Frömmigkeit des kölnischen Volkes.
Den besten Eindruck von Heidelberg bekommt man auf dem sogenannten Philosophenweg. Das ist ein hügelaufwärts führender Pfad jenseits der Stadt, auf dem gegenüberliegenden Ufer des Neckars. Zugegeben, man sieht die Altstadt von dort nicht oder nur manchmal, in raren kleinen Ausschnitten. Die Bäume sind zu hoch, besonders diejenigen hinter den Zäunen und Mauern der Privatgrundstücke. Doch gerade das ist authentisch und landestypisch. Die Einheimischen möchten ihre gute Lage und den Blick allein genießen und nicht mit dahergelaufenen Wanderern teilen.
Das gibt auch schon eine Vorstellung von der Stimmung in der Altstadt selbst. Dort wohnen ebenfalls echte Menschen, darunter einige Einheimische. Und die mögen Gäste nicht, vor allem nicht solche, die ungebeten durch die Gassen laufen. Gäste gaffen. Gäste lärmen. Gäste machen Schmutz. Übrigens vermittelt sogar davon der Philosophenweg einen lebendigen Eindruck. Erst im vergangenen Jahr wurde er zum dritten Mal in Folge vom Verein Saubere Kurpfalz als der «am stärksten zugemüllte Wanderweg der Region» ausgezeichnet (aber nicht gereinigt).
Wer sich die paar Kilometer durch Müll, Gestrüpp und Mauern aufwärts müht, wird jedoch belohnt. Nicht weil hier Philosophen anzutreffen wären; die hocken glücklicherweise unauffindbar in den Absturzkneipen der Vorstädte. Nein, am Ende des Weges öffnet sich der Blick auf das, was Heidelberg im In- und Ausland so berühmt gemacht hat: das Universitätsklinikum mit dem Zentrum für Organtransplantation. In jenen hohen Häusern geht es um Spenderorgane.
Wie elementar solche Organe in Heidelberg sind, machen auf diesem Pfad bereits die Mountainbiker deutlich, die den Philosophenweg als Parcours nutzen und störende Wanderer auch schon mal umnieten, nicht selten für immer. Tröstlich: Der Weg zur Transplantation ist nicht weit! Wer nicht mehr bei Bewusstsein ist, wird es nicht wiedererlangen. Dafür kann er jedoch sicher sein, dass seine Organe in gute Hände kommen und wenig später auch in gute Körper. Wer Heidelberg kennt, weiß: Für ein bisschen Extrageld macht ein Patient hier in der Organsucher-Tabelle einen Sprung nach oben, in den «High Urgency»-Bereich, auf die Champions-League-Plätze der Empfänger, unter die Fälle von besonderer Dringlichkeit.
Doch wer als gewöhnlicher Tourist nach Heidelberg kommt, soll gewöhnlich nicht etwas empfangen, sondern möglichst viel spenden. Das wird ihm leicht gemacht. Zum Beispiel in der wichtigsten Straße der Altstadt, der Hauptstraße. Sie ist eine einladende Fußgängerzone, in der es alles zu kaufen gibt, was es überall in allen Fußgängerzonen zu kaufen gibt. Die Filialen der Geschäfte gleichen denjenigen in anderen Städten zum Verwechseln, sogar die Souvenirs sind dieselben. Verzeihlich, dass ausländische Tagestouristen hier nicht mehr wissen, an welchem Ort sie sich befinden. Mancher Asiate glaubt angesichts etlicher Asialäden sogar, die Abreise aus der Heimat verpasst zu haben, und bemüht die Reiserücktrittsversicherung.
Fußmüde Wanderer lädt das Kurpfälzische Museum zum Schlummern ein (gepolsterte Bänke, wenige sehr betagte Aufseher), und ein historischer Studentenkarzer zeigt, was einst jenen Studierwilligen passierte, die sich den erotischen Avancen ihrer Prüfer widersetzten. Sie bekamen schlechte Noten, genau wie heute. Wer am Ende der Fußgängerzone zum Fluss abbiegt, trifft dort auf die beliebte B37, eine Bundesstraße, die recht hübsch die Uferpromenade ersetzt. Von hier aus ist auch die Alte Brücke zu sehen, mit den unablässig hinüberrollenden Segways und den Brückenspringern, die von der Brüstung aus ihre Saufwetten einlösen. Ehemalige, jetzt gelähmte Springstars warnen vor hartem Treibgut, geringer Wassertiefe und den Fundamenten der Pfeiler. Auch trainierte Polizisten kommen oft nicht zu den Opfern durch, aufgrund der Strömung oder weil sie damit beschäftigt sind, eindrucksvolle Youtube-Filme aufzunehmen.
Sehr schön von hier unten zu sehen: die Ruine am Hang, die vom Tourismusbüro beharrlich als Schloss ausgegeben wird. Sie sieht aus wie eine im letzten Weltkrieg ausgebombte Fabrik des 19. Jahrhunderts. Und möglicherweise ist sie das auch. Trotzdem werden immer noch Besuchermassen (eine Million pro Jahr) zum Aufstieg genötigt, alternativ auch zur Auffahrt mit einer reparaturbedürftigen Bergbahn, und zur Besichtigung verdonnert. Zu sehen sind vor allem Bauzäune und Gerüste und zerfallenes Mauerwerk. Und ein Brunnen, in den man sich aber wegen der Vergitterung nicht stürzen kann.
Wer richtig viel Pech hat, entgeht nicht mal der Führung durch die Innenräume, vorgenommen von einer leiernden Mindestlohnempfängerin. Zu sehen ist drinnen ein großes Weinfass nebst einem schnarchsäckigen Apothekenmuseum. Laut jüngsten Umfragen interessieren sich nicht einmal Apotheker für die «historischen» Mörser, Destillierkolben, Schränke und Schubladen. Tafeln informieren darüber, dass Fotografieren verboten sei; aber niemand käme auf die Idee, hier auch nur ein Handy zu zücken. Allenfalls den Selfiestick, um sich den Weg nach draußen freizuprügeln. Von dort, von einem terrassenartigen Balkon, kann man das Neckartal überblicken und sich die berühmte Frage stellen, die sich bereits der Reisende Mark Twain an dieser Stelle gestellt hat: Was mache ich nur hier?
Beliebteste Souvenirs: Kuckucksuhren, Plüschschweine, Kochtöpfe aus Cromargan.
Meistgehörter Satz: «Wann dürfen wir wieder nach Hause?»
Häufigste Events in der Altstadt: Knöchelbruch, Hörsturz, Schlaganfall.
Berühmtester Gast: Helmut Kohl (aber nur im Universitätsklinikum).
Berühmtester Einheimischer: der «Weihnachtswürger» (zur Zeit wieder hinter Gittern).
Wichtigster Nachhaltigkeitsbeitrag: Verwertung abgelaufener Lebensmittel in den Restaurants.
Das mittelalterliche Rothenburg ist zu Ruhm gekommen als Geburtsstadt des Komasaufens. In diesen alten Mauern wurde diese lieb gewordene Tradition vor fast vierhundert Jahren begründet. Trotzdem muss die Stadt immer noch auf einen Eintrag auf der Welterbeliste warten.
Sei’s drum – um den alten Brauch lebendig zu erhalten, streben jährlich über eine Million Menschen aus aller Welt in die Gassen. Sie stolpern über extra krumm verlegte Pflastersteine, stoßen sich an niedrigen Hauseingängen und nehmen ein Pflichtprogramm in Kauf, das aus dem Bestaunen brüchiger Türme, Tore und Wehrgänge besteht. Erst wenn die Gäste auch noch Museen mit Urkunden und Dokumenten absolviert haben und durchs überheizte Weihnachtskaufhaus geschleust worden sind, dürfen sie zum Humpen greifen, um – wie es in der Werbung heißt – «einen veränderten Bewusstseinszustand zu erreichen». Wissenschaftler sprechen weniger poetisch von «exzessivem Alkoholkonsum mit dem erklärten Ziel, betrunken zu werden».
Fast alle Touristen, die sich durch die Gassen geschleppt haben, wünschen sich nichts sehnlicher als genau das. Der Rothenburger Erfinder des Komasaufens, der einstige Bürgermeister Georg Nusch – liebevoll Nuschel genannt – driftete im Jahre 1631 mit sagenhaften 13 Schoppen Wein ins Delirium. Heutigen Nachahmern genügt oft schon die Hälfte. Die Betreiber der auf romantisch getrimmten Kneipen beobachten diese Genügsamkeit mit Verdruss. Die Asiaten vertrügen zu wenig, klagen die Wirte. Doch es sind nun mal vornehmlich Asiaten, die das Städtchen besuchen. Extra für sie mussten die Preise verdoppelt werden.
Nuschel rettete einst mit seinem Drei-Liter-Koma (13 Schoppen in einen Humpen gekippt und in einem Zug geleert) die Häuser vor den Kanonen des Eroberers Tilly, mit dem er um die Trinkfestigkeit gewettet hatte. Heute ist man zufrieden, wenn die in Bussen herangekarrten Säufer wenigstens die Erhaltung der Grundmauern finanzieren. Jedem wird zunächst die Fassade des Rathauses vorgestellt. Jeweils zur vollen Stunde öffnet sich dort links und rechts der Uhr ein Fenster, hinter dem geschnitzte Figuren mit knarrender Langsamkeit den Meistertrunk nachspielen: links Feldherr Tilly, rechts der Humpen hebende Nuschel. Sein Koma ist nach zwei Minuten erreicht, Fenster zu, das Publikum zerstreut sich ernüchtert.