Abgefahren - Stephan Panther - E-Book

Abgefahren E-Book

Stephan Panther

4,8

Beschreibung

Wenn der Beruf im wahrsten Sinne des Wortes zur Berufung wird, dann ist man angekommen. Diesen Beruf als Dienstleistung anzuerkennen, also hinfahren, klingeln, Leute befördern, kassieren, guten Umgang zu pflegen ist eine Sache. Taxifahren als Berufung zu erleben bedeutet allerdings, Geld als Nebenprodukt zu erachten, da eh nicht viel hängenbleibt, Spaß am Helfen zu haben und erlebnishungrig zu sein. Freude und Zufriedenheit folgen immer prompt.

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Dies sind Taxigeschichten.

Figuren und Handlungen haben einen nicht unerheblichen Wahrheitsgehalt.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und Geschehnissen sind allerdings rein zufällig.

Inhaltsverzeichnis

Schneller als Schatten

Verständlich unverstanden

Unwägbarkeiten mit einer Bombe

Sonne, solche und andere

Parken auf russisch

Vorsicht, wer kommt da?

Hoffnung auf Le(h)ere und Zufriedenheit

Danksagung

1. Schneller als Schatten

Wir hatten an der Ecke `ne Kneipe, die hieß wie ein alter abgetauchter Passagierdampfer Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Was heißt wir hatten. In der Straße, in der die Eckkneipe beheimatet war, verbrachte ich unzählige Stunden, Tage oder waren es gar Jahre? Jedenfalls dort hatten Freunde von mir eine Wohnung. Die Hausnummer war, glaube ich 37, 3. Stock Schützenstraße. Unten im Vorbau war rechts eine Schlachterei, auf der anderen Seite ein Blumengeschäft. Überall in der Gegend roch es nach Essig. Das lag daran, dass die drüben in der Gurkenfabrik nicht schnell genug die Gläser zuschraubten. Sonst war die Szene rundherum ganz heimelig. Ein Ziesengeschäft, in dem es zu unserer besonderen Freude auch Süßwaren in großer Auswahl zu kaufen gab, befand sich ebenfalls in der Straße. Der Schlachter hatte Brötchen, im Blumengeschäft sah es schön aus. Ich weiß noch, wie wir manchmal wie verwurzelt fasziniert vor den Schaufenstern standen und die Pracht und Vielfalt der blühenden Pflanzen in uns aufsogen oder in dem anderen Geschäft die unglaubliche Zahl aneinander gereihter Wurst- und Aufschnittbelege bestaunten.Wahrscheinlich lag der Grund für derart eigentümliches Verhalten darin, dass wir damals die Zeit überwiegend damit verbrachten, den ganzen Tag einen nach dem anderen zu drehen, von allen Seiten zu betrachten und auszuprobieren, wie high wir mit guten Aufhellern noch werden konnten. Beim Schlachter waren wir wie gesagt für ein unbedingt nötiges Katerfrühstück immer an der richtigen Adresse. Er verfügte über ein gigantisches Vorstellungsvermögen bezüglich ausgehungerter Kifferseelen und deren Befriedigung. Der Ziesenladen hatte durch uns Hochkonjunktur. Morgens brauchten wir zur allgemeinen Belustigung mindestens eine Mopo und eine Blödzeitung und natürlich „Ziesen“ oder „Zippen“, wie wir sie damals nannten. Die waren in der vergangenen Nacht nämlich in Luft aufgegangen, klar, was sonst.

Zwei bis drei Stunden später, so früher Nachmittag, wenn das ein oder andere Ding weggepafft war, präsentierte er uns ein Wohlgemisch an Gaumenfreuden. Sie waren weich, süß, sehr süß oder hart, mit und ohne Stiel, aber immer klebrig. Abends hielt er dann noch gekühlte Getränke und die vielgeliebten Magazine, wie z.B. Alfred E. Neumanns Mad oder das Magazin Titanic bereit. Das war übrigens auch der Name der Eckkneipe.

Meine Freunde Wolf und Spats waren eigentlich ständig dabei zu renovieren. Na klar, bei soviel Gepaffe bewegt sich der Pinsel auch viel langsamer, außerdem überlegt man sich häufiger, ob es denn nun wirklich so geworden ist, wie man es sich vorgestellt hat oder ob eine andere Farbe nicht vielleicht viel schöner gewesen wäre. Das ein oder andere Malheur kam hinzu: angebohrte Wasserleitungen oder übermalte Lichtschalter etc. Es entstand das damals berühmte Vakuum, genannt „Permanent Reno“ - trotz viel getaner Arbeit verändert sich der Gesamtzustand nicht und die Luft ist raus. Bis die totale Bewegungslosigkeit einsetzte war noch ein letztes Quäntchen Energie eingesetzt worden, eines der drei Zimmer schwarz zu streichen und es mit einer Schwarzlichtbirne auszustatten. Die Einrichtung folgte der Linie minimaler Ausstattung und bestand aus einem Teppich und einer Matratze. Nicht, dass wir besonders dunkel drauf waren. Das konnte man eigentlich nicht sagen, auch wenn das Tibetanische Totenbuch zum festen Bestandteil der literarischen Ausstattung gehörte, welches inhaltlich eher mit Selbstfindungs- und Erleuchtungsritualen befasst war, als mit dunklen Machenschaften.

Nein, es war einfach cool mit einem „Greatful Dead“-T-Shirt, die besonders gut unter Schwarzlicht wirkten, völlig zugedröhnt in diesem Raum zu sitzen und die Musik eben dieser Band „Greatful Dead“ zu hören, eine sowohl in den USA als auch in bestimmten Kreisen Europas voll angesagte Band. Wir schwärmten und belustigten uns gleichermaßen über die Fans, genannt „Dead Heads“, die auf jedes Konzert gingen, ihrer Band in die ganze Welt folgten und durch die Bank weg alle sonderbar kostümiert waren mit Fellen, Totenköpfen, Federn und ungewöhnlichen Klamotten. Von unseren Freunden brachten es einige mal auf 4 Konzerte in Nordeuropa, aber wir waren ja auch keine richtigen „Dead Heads“, mehr Hörfans, die nichts an Fröhlichmachern ausließen, damit die Musik im Großhirn richtig ankam. Na klar hatte jeder von uns auch mal was Ernsthaftes zu tun, Ernsthaftes insofern, als sich jeder auch mal ab und zu um was kümmern musste. Mein Freund Spats war freier Mitarbeiter in einer Art Callcenter für Informationsaustausch. Wolf studierte, ich glaube, Religionswissenschaften und ich verdiente, wenn mein Geldbeutel nach kräftigem Schütteln nicht mal mehr eine Münze freigeben wollte, mit Taxifahren mein Geld. Darauf wollte ich eigentlich hinaus.

Das nächtliche Taxifahren war für so einen Jungspund wie mich natürlich Abenteuer pur und dabei wuchs auch noch `ne Menge Schotter rüber. Die Hauptursachen unbändiger Freude waren allerdings mehr die manchmal absurden Erlebnisse, in die ich hineinrutschte, nicht der schnöde Mammon, als Nebenerfolg aber mehr als willkommen.

Im Allgemeinen halte ich mich mit der Taxe überwiegend in Gegenden auf, die ich mag und gut kenne. So führte es mich oft in den Bereich Altona/Bornkampsweg. Dort hatte unser damaliger Funk eine große Stammkundschaft, die überwiegend aus Kneipen bzw. Kneipenbesuchern bestand. Die meisten waren Säufer- und Schnarchvolkkneipen. Sie hießen Astra Eck, Rathsherrnklause, Zur Grotte oder Endstation, um nur einige Namen zu nennen. Das waren aber auch wirklich Endstationen. Die Gardinen in den Schaufenstern waren klebrig, grau bis kackbraun. Drinnen wurde soviel gequarzt und vor sich hingestunken, dass man die Luft schneiden konnte. Der an den Scheiben runterlaufende Teer und Schmock machte die freie Sicht nach drinnen gänzlich zunichte, rausgucken wollte eh niemand. Andererseits gab es einige wenige Kneipen wie die Titanic, in der auch ich hin und wieder meine Zeit verbrachte. Hier war die Szene eher rockermäßig und „gemischtenglisch“ angehaucht und immer wieder recht lustig mitzuerleben. Aus all diesen Kneipen fuhren natürlich auch immer bestimmte Stammgäste zu immer den gleichen Uhrzeiten ab, überwiegend nach Hause. Den alkoholischen Grenzwert hatten diese Leute lange erreicht, wenn nicht schon längst überschritten, so dass ich sie dann, hilfsbereit wie ich nun mal bin, die paar Schritte untergehakt zu ihrer Haustür geleitete. Wenn ich sie vorher aus dem Laden holte, waren ihre Sinne derartig aus dem Gleichgewicht geraten, dass ohne meine Hilfe offene Knie - und Schürfwunden am ganzen Körper vorprogrammiert gewesen wären.

Nach einiger Zeit stellte ich fest, dass es mir die Situation oft vereinfachte, wenn ich mir vor Antritt der Fahrt gleich am Tresen die Zieladresse mitteilen ließ, weil ich später dann mit dem Breitling im Taxi nicht in der Lage war aus seinem Kauderwelsch oder, wenn er sich gar nur mit Handbewegungen zu verständigen versuchte, nach dem Motto.......fah loooos, heraus zu hören, wo denn wohl sein Zuhause sei. Um dann bei erahnter Zieladresse angekommen festzustellen, dass der Fahrgast wohl was ganz anderes gesagt oder gemeint haben musste, da er an dieser Adresse nicht zu bewegen war auszusteigen - „Fahrn mal weg“ musste nicht zwangsläufig Fahrnhornweg bedeuten. Es passierten die wahnwitzigsten Geschichten. Na gut, mit wachsender Routine wurde alles irgendwie einfacher.

Einer dieser Fahrgäste war ein eher schmächtiger aber drahtiger Typ, der immer gut gelaunt, spaßig und mitteilungsbedürftig bei mir einstieg. Auch, wenn ich sonst sein Gelalle meist nicht verstand, was ihn herzlich wenig interessierte, war er heute mal nicht so stramm wie tausend Schotten. In der Titanic wurde meist Guinness und englisches Labberbier getrunken, daher das Gelaber. Es begann damit, dass er seinen Mund beim Sprechen endlich mal richtig öffnete und ich das gesprochene Wort erstmalig überhaupt verstand. Auf dem Bahnhof Altona, der sich ganz in der Nähe befindet, war mal wieder irgendeine Scheiße passiert und ein sesselpupsender Klappskalli, wie er sich ausdrückte, also einer aus der Verwaltung, hatte ihn völlig zusammenscheißen wollen, nicht wissend, dass ihm sozusagen --praktisch --- der Bahnhof gehörte. Ohne ihn würde hier aber auch gar nichts laufen. Er sei der Oberchief vom Stellwerk – und um das noch mal zu unterstreichen – er hätte jeden Schlüssel. Allerdings kam man nicht umhin zu bemerken, dass er auch ein recht untypisches Äußeres spazieren führte, was seine besondere berufliche Qualifikation nicht gerade in den Vordergrund stellte, ganz im Gegenteil. Er sabbelte und sabbelte unaufhörlich. Das kam, für einen eher ruhigen und bedächtigen Menschen wie mich einer Bedrohung von Leib und Leben, wie man es in der Taxe gern mal nennt, bedenklich nahe.

„Daaaaaa.... mensch.... Alter“. Völlig unerwartet haute er mir mit seiner linken Hand auf mein rechtes Knie und ließ sie draufliegen. Es war keineswegs böse oder unfreundlich gemeint, nein, ganz im Gegenteil, es fühlte sich richtig freundschaftlich an, nur, so gut kannten wir uns nun auch wieder nicht.

„Eh man Alter“ prustete er los: „Ich hab im Suff `ne Wette verloren, du glaubst es nich“. Ich dachte bei mir: wieso ist denn der auch mal nüchtern???

„Wer schießt schneller als sein eigener Schatten? Na klar, du weißt das. Na wer, wer schießt schneller als sein Schatten, eh Alter“. Währenddessen war er dabei, sich mit der Rechten den Gürtel und Reißverschluss seiner Hose zu öffnen.

Oh nein, bitte nicht, jetzt nicht so eine Action. Darauf steh ich gerade mal überhaupt nicht.

Sein überzogenes, fast hysterisches Lachen und sein bedrängender Ausdruck wurden stärker und in gleichem Maße auch lästig. Ich versuchte ihn von seinem Film etwas runter zu bringen, weil er völlig außer Rand und Band zu geraten schien. Er ließ sich allerdings keineswegs davon abbringen, seinen Hintern anzuliften, die Füße auf den Boden, den Rücken fest gegen die Sitzlehne zu pressen, um sich nun die Hose runterziehen zu können. Er schrie dabei immer wieder:

„Alter, du weißt es nich................ echt, du weißt es nich??? Schau her!“

Ich dachte, jetzt holt er seinen Schwanz raus, will mich verunsichern und nervt irgendwie rum. Zu der Zeit war mir das Grinsen auch restlos aus dem Gesicht gefallen und ich fühlte mich regelrecht überfahren.

„Na los Alter... jetzt... wer? Wer schießt schneller als sein Schatten?“

Grade in dem Moment, als er seine Boxershorts ein Stückchen hochzog und sagte :

„Weiß doch jedes Kind“, schoss mir die Antwort in den Kopf wie die Kante eines zu niedrigen Türsturzes beim hektischen Eintreten in ein zweihundert Jahre altes Bauernhaus.

„LUCKY LUKE“. Nicht zu fassen, er hatte sich Lucky Luke unterhalb der Leiste auf den Oberschenkel tätowieren lassen. Worin die Wette im Einzelnen bestand, erzählte er mir nicht, aber sie verloren zu haben, bedeutete Lucky Luke für immer bei sich tragen zu müssen. Na danke dachte ich, sehr luschtig, gell!

Mit der Zeit wurde ich immer routinierter und selbstsicherer im Umgang mit merkwürdigen Leuten und unvorhersehbaren Situationen. Im Schattenboxen bin ich mittlerweile auch gut geworden, vor allem aber sehr schnell. Ich habe die Schatten häufig schneller erkannt und hinter mich gebracht, als sie brauchten, sich selbst bewusst zu werden.

So manch ein Fahrgast steigt übelgelaunt in mein Taxi ein, um Minuten später nach Beendigung der Fahrt wohlgelaunt und entspannt wieder auszusteigen.

Taxifahren ist schon ein geiler Job. Ihn jedoch als Traumberuf annehmen zu können, bedurfte es noch einiger Prüfungen.

2. Verständlich unverstanden

Schöner Feierabend! Den Tag hatte ich mit Taxifahren verbracht, meinem Broterwerb. Durch die Gegend fahren, Leute kutschieren, Kurierdienste leisten! Wenn man den Job allerdings ernst nimmt und er zur Berufung wird, man die Messlatte etwas höher hängt und auch sonst eher ganzheitliche Systeme anstrebt, ist er natürlich vielmehr als das. Ich bin Fahrer, Entertainer, Stadtführer, Politologe, ich muß erklären, beschützen, helfen, Probleme wälzen, mit Fahrgästen einkaufen gehen, die eine oder andere handwerkliche Arbeit ausführen und außerdem die Oma über die Straße bringen – natürlich erst nachdem ich mich bei ihr vergewissert habe, ob sie überhaupt rüber will und nicht nur auf den Bus wartet. Und es kann sogar bedeuten, dass ich Leute ins Bett bringen muss. Bezahlt werde ich allerdings nicht mit einem zusätzlichen Sozialarbeitergehalt, was von Staats wegen eigentlich Ehrensache sein sollte, da ich aufgrund meiner hochgesetzten Messlatte jedem einen nicht unerheblichen Zeitaufwand einräume. Allerdings muss ich sagen, dass der dadurch oft erhaltene Zuspruch, die Freude und Dankbarkeit, die ich erfahre, mit schnödem Mammon sicherlich kaum aufzurechnen wäre. Da durch diese Betrachtungen die eigentliche Erzählung noch nicht ins Rollen gekommen ist und ich beim „ins Bett bringen“ gelandet bin, muss ich doch mal kurz in die Geschichte einsteigen, die die unendliche Vielfalt und Weite meiner Tätigkeit allerdings hier in nur einer Facette beschreibt.

Es ereignete sich folgendes, als ich eines Abends am Taxistand Hofweg in Winterhude auf Fahrgäste wartete.

Ich bekam eine Tour von der Zentrale, piep... piep... piep, das Display des Funkgerätes zeigte mir an: „3 M“, das steht für, innerhalb von drei Minuten dort sein: „bitte reingehen“ heißt schon mal nichts Gutes, also irgendeine Art von Komplikation: “Fahrgast ist angetrunken“, ist klar. Genau so lautete mein Auftrag.

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