Absolut Mittwoch - Pocahontas L. - E-Book

Absolut Mittwoch E-Book

Pocahontas L.

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Beschreibung

Lebst du dein Leben - oder existierst du nur noch? Ist dein Leben so vollgestopft wie das von Juna, die gefangen ist in einem Dasein voller Verpflichtungen? Und was müsste passieren, damit du ausbrichst? In Junas Leben schlägt die Nachricht eines Fremden ein. Und dann folgt ein Blind Date mit Ben... So entdeckt Juna das Mittwochsgefühl. Absolut Mittwoch - absolut lebendig! Juna erfährt, ob Ben halten kann, was er verspricht. Auf jeden Fall hat die Begegnung mit ihm etwas in Bewegung gebracht, das nun unaufhaltsam wird. Der Mittwoch hat eine absolut neue Bedeutung bekommen - und Juna findet die Kraft, aufzuräumen in ihrem Leben. Absolut Mittwoch. Nicht bloß ein Gefühl ...

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Allen Frauen und Männern – besonders dem Einen.

Seid einfach nur die Liebe.

Alles andere ist unwichtig.

Danke, dass du mich erinnert hast.

In Liebe, S.

Fühl doch mal ...

Kannst du die Musik fühlen, so wie ich? Spürst du auch den Beat in jeder Faser deines Körpers? Kannst du dich verlieren in den berührenden Klängen? Zerfließen in mal lauten und mal leisen Tönen, dich dem einen Rhythmus hingeben?

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Kapitel 2: Zwei wie Eins

Kapitel 3: Im Prozess

Kapitel 4: Oh, du Fröhliche …

Kapitel 5: Seelentanz

Kapitel 6: Mindfuck und andere Geister

Kapitel 7: Neues Spiel – neues Glück

Kapitel 8: Das Glück der Erde ...

Kapitel 9: Berührt

Kapitel 10: Halt mich noch ein bisschen

Kapitel 11: Der echte Anfang

Kapitel 12: Nach Sonne kommt Regen, kommt Sonne, kommt Regen …

Kapitel 13: Scheintot

Kapitel 14: Ene, mene, muh – und raus bist du

Kapitel 15: Selbstliebe und andere Sorgen

Kapitel 16: Von Hochverrat bis Freudentanz

Kapitel 17: Happy Birthday, Juna – ich beschenk mich selbst

Kapitel 18: Samadhi – der Sonnengruß macht‘s möglich

Kapitel 19: Alte Fesseln lösen

Kapitel 20: Bittersüße Küsse

Kapitel 21: Das Feuer in mir

Kapitel 22: Eine Reise mit mir, eine Reise zu dir

Kapitel 23: Kein Ich, kein Du – ein Wir

Kapitel 24: Traumfänger

Kapitel 25: Wozu sind Freunde da?

Kapitel 26: Liebe, liebe, liebe – mich selbst

Kapitel 27: Fortsetzung folgt

Kapitel 28: Wo bist du?

Kapitel 1

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Every Generation got its own disease schallt es aus meinem MacBook. Ich laufe im Hotelzimmer auf und ab.

Was wird heute passieren?

Es ist genau 20 Tage her, dass ich einen bestimmten Wunsch ans Universum geschickt habe. Ich hatte wieder einmal abends allein im Bett gelegen. Unglücklich, traurig, leer. Einsam in einer lieblosen Ehe, in der wir beide nur noch in einem gemeinsamen Unternehmen und dem allernötigsten Alltag als Eltern funktionieren. Auf eine unbestimmte Art meiner Weiblichkeit, meiner Lebendigkeit beraubt – und gleichzeitig entschlossen, das alles jetzt zu verändern.

Ich habe mir von ganzem Herzen diese Veränderung gewünscht: Eine Begegnung, die mich zu neuem Leben erweckt. Einen Menschen, der mir hilft, meine Weiblichkeit wieder zu leben. Jemanden, der meine Herzensenergie wieder fließen lässt.

Und hier bin ich: In einem Hamburger Hotel. Dabei, mich für ein Blind Date fertigzumachen. Ich hatte schon ewig kein Date mehr. Wird es diese eine Begegnung sein, nach der nichts mehr ist wie zuvor? Oder einfach ein netter Abend?

Hektisch zupfe ich an meinem schwarzen Kleid, das ich über einer engen Jeans trage. Es darf meine Silhouette betonen. Ich blicke in den Spiegel, lächle mir selbst zu: „Bleib positiv!“

Und schon bin ich aus dem Zimmer. Ben wird wahrscheinlich gleich am Eingang unten sein. Während ich in den Fahrstuhl steige, spüre ich, wie die Aufregung mich ausfüllt. Ben hat mich versehentlich vor 14 Tagen angeschrieben, er hatte sich bei der Telefonnummer vertippt. Was für ein Zufall? Eine Fügung? Antwort vom Universum?

Ich hab ihm geantwortet – und dann haben wir einfach weitergemacht: WhatsApp, Sprachnachrichten, Telefon … wir haben uns locker beschnuppert, sind neugierig aufeinander geworden. Seine Stimme klingt sympathisch und auch ein bisschen sexy. Ich kenne ein Profilfoto von Mister Unbekannt: vielversprechend. Doch heute werden wir einander zum ersten Mal wirklich begegnen.

Ich will Ben Fragen stellen. Ich möchte seine Geschichten hören. Ich will schauen, wie er das macht, mit sich und dem Leben …

Da steht er schon in der Lobby, ich erkenne ihn sofort. Seine Augen, sein Lächeln – so hatte ich ihn mir vorgestellt. Hatte schon mit geschlossenen Augen ein Bild von ihm gezeichnet. Ihn mitgenommen in meine Träume.

Wir umarmen uns kurz. Atemberaubend kurz. Dann sitzen wir schon im Taxi und gleiten durch Hamburg. Mein Hamburg.

„Früher habe ich hier gelebt. Eigentlich habe ich meine beste Zeit hier verbracht. Als ich noch jung und verrückt war.“ Ich muss über meine eigenen Worte schmunzeln. „Naja, so alt bin ich dann auch wieder nicht ..., ach, du weißt schon, was ich meine, oder?“

„Tja, das mit dem Alter ist so eine Sache. Letztens habe ich mich mit meinen Jungs von früher getroffen. Endlich mal wieder alle zusammen. Und da mussten wir feststellen, dass manche Geschichten einfach schon über zwanzig Jahre her sind. Und gleichzeitig fühle ich mich noch gar nicht sooo alt.“

Wir lachen beide.

„Ja! Aber zum Glück ist das Leben herrlich bunt, es gibt noch viel zu entdecken, zu erleben, da dürfen wir beide über Alter mal noch gar nicht nachdenken.“

„Absolut!“

Ja, es ist Smalltalk, aber ich spüre, da ist mehr unter der Oberfläche. Lass uns nur erst einmal ankommen …

Unser Ziel, das East, kenne ich noch aus meinem früheren Leben. Vor meiner Heirat. Vor den Kindern.

Eine Kerze flackert zum gedimmten Licht auf unserem Tisch. Wir bestellen Sushi und Rotwein.

Ben will wissen, wie ich lebe. Stellt Fragen. Hört zu.

Ich erzähle – alles, was ist. Aus dem Herzen. Bewerte mich nicht, fühle mich frei. Mein innerer Analytiker ist für den Moment verstummt. Ich möchte mich zeigen, in allen Facetten. Ich möchte nichts zurückhalten müssen, nur weil meine Idee vom Leben vielleicht nicht der Norm entspricht. Ich bin eine Suchende.

Und auch ich habe Fragen. Ich höre ihn gern sprechen. Mag das Spiel seiner Worte. Lausche seinen Geschichten. Und er hat viele davon. Sein Sohn ist Scheidungskind, so wie er selbst.

„Also, an sich ist er kein Scheidungskind. Seine Mutter und ich waren nie verheiratet. Ich dachte wohl, so kann ich es vermeiden, ihn zum Scheidungskind zu machen“, er lacht kurz und freudlos auf. „Nun ist er Trennungskind. Ich hab es nicht hinbekommen.“

Wieder einer dieser Augenblicke, in denen ich tiefer schauen kann.

„Wir verbringen so viel Zeit wie möglich zusammen.“ Er zeigt mir Bilder am Handy. „Aber es ist nicht dasselbe wie vorher, als wir noch miteinander gelebt haben.“

Ich spüre mit ihm, wie sich sein Scheitern anfühlt. In seinem Leben läuft also auch nicht alles glatt.

„War dein Sohn euer Wunschkind?“ Vielleicht bin ich zu neugierig und zu direkt, aber ich habe das Gefühl, mit Ben kann ich so reden.

„Ja. Wir waren schon ein paar Jahre zusammen und es fühlte sich richtig an. Sie hat die Pille weggelassen und dann war es auch recht schnell passiert. Ich weiß es noch genau. Wir waren unterwegs, haben damals oft versucht, meine Geschäftsreisen mit privater Zeit zu verbinden und haben gemeinsam Städte erkundet. Und bei diesem einen Mal war sie nur noch müde. Das war nicht typisch für sie. Auf der Autofahrt, im Hotel, andauernd. Sie hatte nicht mal Lust auf das Konzert, auf das wir dort unbedingt zusammen wollten. Naja, danach hat sich herausgestellt, dass sie schwanger war.“

Ich beobachte ihn, während er von seiner Exfreundin spricht, nehme Neutralität wahr, keine Regung, die mir eine besondere Verbundenheit zu ihr zeigt. Ich spüre eher seine Nähe zum Kind.

„Und warst du bei der Geburt dabei?“, will ich wissen.

„Ja, ja, ich war dabei. Es war heftig. Es gab Komplikationen und sie musste in Vollnarkose gelegt werden. Der Kleine ist nach der Geburt dann direkt zu mir gebracht worden. Er lag da auf meiner Brust. So klein, so zart, so verletzlich. Irgendwann hat er sogar versucht, bei mir zu trinken.“

Ben muss lachen. Dann schaut er mich an: „Und bei dir? Dass du jetzt hier mit mir sitzt, ist zu Hause okay?“

Ben ist mindestens genauso direkt wie ich. Und erwischt sofort den wunden Punkt.

„Was soll ich sagen? Wenn es zu Hause überhaupt jemanden interessieren würde, wäre ich wahrscheinlich gar nicht hier. Wir sind nur noch eine Zweckgemeinschaft. Ich arrangiere mich schon etwas länger, aber um ehrlich zu sein, hat mich unser Zufallskontakt dazu bewogen aus dem „Trauerland“ aufzutauchen. Ich bin ein Energiebündel und war vielleicht auch zu oft zu doll unterwegs. Zu umtriebig. Mit meiner Ehe habe ich versucht, mich zu erden. Ich dachte, so leben die, die es richtig machen. Das muss so …“ Ich suche seinen Blick. Er schaut mir in die Augen und ich fühle mich verstanden.

„Ein Grund, warum ich nicht verheiratet bin“, bestätigt er. „Wobei das nicht heißen soll, dass ich nicht an die Ehe glauben würde. Generell frage ich mich oft, warum sich Paare nicht einfach immer alles sagen können. Authentisch miteinander sein können. Auch wenn rechts oder links mal was passiert.“

„Für einen ehrlichen und dann auch tiefen Kontakt ist eine Menge Erwartungsfreiheit nötig. Ich sehe es genauso wie du. Ich finde es viel wichtiger, wenn Kontakt ist, wirklich dem Gegenüber hundert Prozent Aufmerksamkeit zu schenken. Lieber eine Stunde ganz als fünf Stunden zerfleddert. Und was auch immer rechts oder links passiert, wie du schön formuliert hast ..., gibt es doch Wichtigeres im Leben.“

Ben pflichtet mir bei: „Sprechen, die Wahrheit sprechen, und Handeln zwei wichtige Komponenten.“

Es ist klar. Wir sind auf einer Welle. Und das fühlt sich gut an.

Wir philosophieren noch lange weiter über das Sein, tauschen Ansichten, Gedanken, Ideen aus. Manchmal nehme ich einen der Songs aus den Radiolautsprechern wahr und schaue Ben dabei einfach nur an. Ich ankere mir Kompositionen aus dem Bild von ihm, dem wohligen Gefühl, jetzt und hier genau richtig zu sein und einer sanften Melodie im Hintergrund.

Leben kann so leicht sein.

Mit Blick über Hamburg und einem letzten Drink sitzen wir schließlich im „Clouds“. 25. Stock, das Lichtermeer weit unter uns. Ben fühlt sich vertraut an. Wir lachen miteinander. Und dann sind da noch unsere Blicke, die ihren eigenen Dialog führen. Ich spüre die Lust, weiter eintauchen zu wollen in das Gefühl, das diese Blicke erzeugen. Ich wünsche mir, mehr von ihm zu erfahren.

Und: Ich will noch mehr Abenteuer!

Und plötzlich ist da diese Idee für ein weiteres Experiment: Vielleicht können wir gemeinsam eine Geschichte schreiben, die wir später voller Freude anderen Menschen erzählen werden? Ben ist spontan begeistert. Wir werden gemeinsam eine Geschichte schreiben. Unsere Geschichte. An diesem Abend wird die Idee geboren.

Dann zarte Abschiedsküsse auf die Wangen. Ich atme seinen Duft, steige in mein Taxi und Ben verschwindet in der Nacht.

Nur wenige Stunden später lese ich seine Nachricht.

Seine Worte zu unserer Geschichte. Zum Beginn unserer Geschichte …

Etwas ist verdammt anders an diesem Tag. Egal, wo ich vorher war, aus welcher Stadt ich kam – München? Köln? –, jetzt bin ich hier bei ihr.

Manchmal frage ich mich, ob mir das gut tut, so rastlos, schnell und umtriebig zu leben. Doch der Gedanke scheint nur kurz auf. Denn was ich wirklich gut kann, ist Dinge auszublenden und den Fokus zu halten. Geradeaus, bestimmt. Zu bestimmt? Dinge und Menschen, die mein Tempo nicht mithalten können, langweilen mich schnell. Das ist nichts, worauf ich stolz bin.

Doch sie langweilt mich nicht. Alles an ihr interessiert mich, ist überraschend, unerwartet, pur. Allein schon, wie sich unsere Wege gekreuzt haben ... die besten Dinge passieren immer ungeplant – das bestätigt sich schon mein Leben lang.

Ich habe keine Zeit, mir lange Gedanken in Vorbereitung auf unser Treffen zu machen, da ich von einem Meeting zur nächsten Telko springe – aber dieses Gefühl und die Lust auf den Abend habe ich schon den ganzen Tag gespürt. Juna inspiriert mich. Es sind ihre Worte. Die Art, wie sie spricht. Von Anfang an habe ich das Gefühl, dass ich bei ihr mein Visier öffnen kann. Ich fühle mich zu Hause – was auch immer das sein kann.

Ich möchte Juna nicht erst im East treffen, ich will vorher ein paar Worte wechseln. Sehen, wie sie geht, spüren, wie es sich anfühlt, sie neben mir zu haben … – also hole ich sie mit dem Taxi ab. Ich muss nicht lange warten. Wir begrüßen uns, sitzen schnell im Taxi.

Der erste Moment an diesem Tag, in dem ich mich tatsächlich entspanne.

Leises Abklopfen und erste lebendige Momente miteinander. Zart. Sie versteht schnell, dass mir „große“ Geschichten nicht wichtig sind. Ich erfahre einige ihrer kleinen. Schnell bekomme ich das Gefühl, dass ihre Seele lange nicht gestreichelt wurde. Sie hat eine Menge dafür getan, glücklich zu sein – und eine Menge dafür, sich selbst ihr Leben schwer zu machen.

Ganz oft habe ich an diesem Abend das Gefühl, Dinge mit ihr schon einmal erlebt zu haben. Sie kommt mir so vertraut vor. Beinah lasse ich mich dazu hinreißen, sie zu küssen. Ich bin mir sicher, sie hätte nichts dagegen.

Sie hat diese Energie, die ich bei den meisten Menschen vermisse. Ich will mehr wissen von ihr.

Wir unterhalten uns angeregt und scheinen einander ähnlich zu sein. Gemeinsame Interessen, Vorlieben, Ideen … Und schnell ist klar: Wir wollen etwas gemeinsam machen!

Ich kann nicht mehr sagen, wer von uns beiden die Idee gehabt hat, unsere gemeinsame Geschichte festzuhalten. Aber ich kann sagen, dass sie die Frau ist, die mich dazu antreiben kann!

Die Neugier auf weitere Facetten, die Inspiration des bisherigen Abends und die Lust auf mehr lassen uns in einer Bar noch einen Drink nehmen.

Unsere Blicke sprechen eine eigene Sprache, und ich tauche weiter in sie ein. Ich bin glücklich in diesem Moment. Absolut.

Zum Abschied küsse ich sie zart auf die Wange. Ich schließe die Augen, atme ihren Duft. Wie gern möchte ich sie sanft auf die Lippen küssen und ihren Atem dabei spüren ... ich freue mich auf unseren nächsten Mittwoch!

Kapitel 2

Zwei wie Eins

Ich ziehe den Reißverschluss meiner Reitstiefel zu. Jacke an. Die Mütze auf den Kopf geschoben.

Heute ist kein Mittwoch. Heute ist einfach ein Tag. Nichts Besonderes. Ich bin noch nicht ganz wach. Acht Uhr morgens, sagt mir mein Handy und ich weiß, dass ich gleich auf dem ersten Pferd sitzen werde. Vorher noch schnell ein Pulver-Cappuccino, während mein treues Auto Hugo mich zum Job bringt. Beim Anfahren ein Blick in den Rückspiegel: Ich schaue mir in die Augen und frage mich, wie es mir geht. An diesem Nicht-Mittwoch.

Zu gern hätte ich die Zeit angehalten, vor drei Tagen in Hamburg. Ich möchte viel mehr von ihm erfahren! Normalerweise kann ich recht schnell desinteressiert sein, Menschen und Dinge aus meinem Fokus verschwinden lassen. Doch von Ben möchte ich noch viel, viel mehr hören, ihn erleben, ihn spüren. Ich möchte mit ihm tauchen, tief tauchen – in uns.

Leider funktioniert das nur bedingt über Kurznachrichten, auch wenn davon zurzeit sehr viele zwischen uns hin und her gehen.

Ich wünsche mir einen neuen Mittwoch und will endlich die ganze Welt um uns vergessen ... für ein paar kostbare Stunden ...

Manchmal male ich mir unsere nächste Begegnung aus: Ein zarter Kuss, der zu einem leidenschaftlichen wird. Ein Song. Ich: unvergessen berührt.

Ich fange meine Gedanken wieder ein und konzentriere mich: Wie geht es mir?

Ich fühle mich ganz okay. Bin zufrieden mit mir.

Denke ich an Ben, muss ich lächeln.

Da! Schon wieder ein Gedanke an ihn. Ich ermahne mich selbst, den Fokus auf meinen Job zu legen.

Angekommen. Ich stelle den Wagen vor dem Therapie- und Trainingszentrum ab.

Der Traktor dröhnt durch die Stallgasse. Boxenmisten ist laut. Unangenehm laut. Das kann mir morgens schon mal schlechte Laune machen. Ich atme tief und versuche, meine aufsteigende Aggression mit einem Lächeln zu entschärfen. Unsere Bereiterin ist noch mit der Heufütterung beschäftigt und Philip wartet auf ihre helfenden Hände, damit er sein Pferd gesattelt bekommt. Philip – mein Mann. Ich versuche ihm aus dem Weg zu gehen, damit wir nicht gleich wieder in einen Streit geraten.

Der Traktor verstummt und endlich höre ich die Musik auf dem Putzplatz. Ohne Radio geht hier nichts.

Als erstes Pferd werde ich Dr. Love reiten, meinen schwarzen Liebling. Er ist mein bester Freund und Zuhörer. Ja, ich teile meine Gefühle mit einem Pferd. Das ist hier über die Jahre so passiert. Aus meinem wilden Leben – Großstadt, modeln, Kamera-Action und keine Party zu lang – ist Landleben mit Pferden und Mutterdasein geworden.

Ich habe mich zurückgezogen. Nicht nur aufs Land, auch in mich selbst.

Vielleicht gab es zu viele Enttäuschungen, vielleicht habe ich die Hoffnung verloren, meine Sehnsucht je zu stillen. Ich war immer umtriebig, wollte mehr, habe mich ausprobiert und hatte große Träume. Ich wollte die Welt erobern.

Später habe mich in immer neue Ausbildungen gestürzt, Fernstudium hier, neues Seminar dort. Ständig auf der Suche. Kaum jemand kam mit meinem Flow mit. Ich war die, die verkehrt zu sein schien. Also musste ich etwas Neues probieren. Habe viele Menschen hinter mir gelassen, habe beendet und getrennt und mich selbst ausgebremst.

Seit vielen Jahren bin ich nun hier auf dem Land – doch immer noch nicht angekommen.

Mittlerweile kenne ich mich immerhin selbst ein bisschen besser. Und ich wünsche mir mehr Kontakt zu Menschen, die mich verstehen. Ich glaube, Ben kann das. Unser Abend, unsere Gespräche – ich konnte einfach ich selbst sein.

Mit diesem Gefühl zwischen uns stelle ich mir Berührungen unglaublich intensiv vor. Ich möchte erfahren, wie es ist, einander auch auf dieser Ebene ohne Masken zu begegnen. Körper, Geist und Seele zu streicheln, alles um sich herum zu vergessen, um sich in dem anderen aufzulösen.

Wie ferngesteuert habe ich inzwischen mein Pferd geputzt und gesattelt. Ich erwecke mich selbst aus dem Monolog meiner Gedankenwelt. Sicheren Schrittes geht es in die Reithalle, ich steige auf meinen schwarzen Schönen.

Sonnenstrahlen fallen durch die Hallenfenster auf mein Gesicht. Ich schließe die Augen, lausche der Musik und lasse mich durch die Halle tragen.

Ich träume. Ja, ich träume schon wieder. Irgendetwas ist passiert mit mir. Ich fühle mich gerade so herrlich inspiriert und bin wirklich, wirklich glücklich, wieder Kreativität zu spüren.

Vielleicht sollte ich Ben eine Kurznachricht senden mit einem Danke oder einem Lächeln oder einem Kuss.

Ich bin immer noch froh über seinen Vertipper, der zu unserer Begegnung geführt hat. Am liebsten würde ich dieses Gefühl konservieren. Ich wünsche mir, dass wir die Energie zwischen uns lebendig halten können.

Ich verschenke von dieser inneren Freude auch an mein Pferd und verbinde mich mit ihm.

Zwei wie Eins.

Zeit, das Training zu starten.

Kapitel 3

Im Prozess

Nochmal zwei Tage später kommt überraschend seine Nachricht: Mittwoch – Hamburg.

Es ist schon Montag und irgendwie war für mich klar, diese Woche wird es wohl keinen Mittwoch für uns geben. Welchen Mittwoch meint er also? Binnen Sekunden antworte ich, um mich nach dem Datum zu erkundigen.

Sekunden später seine Antwort: Übermorgen.

Mein Herz hüpfte vor Freude.

Wie sehr habe ich mich in den letzten Tagen nach seiner Nähe gesehnt! Dann diese spontane Frage.

Ich befehle mir, cool zu bleiben, obwohl das völliger Blödsinn ist. Ich bin allein in meinem Zimmer, niemand kann mich ertappen und das Kribbeln in meinen Bauch identifizieren. Hier gibt es in diesem Moment nichts zu verbergen, schon gar nicht vor mir selbst.

Der Mittwoch passt perfekt. Doch selbst, wenn er nicht gepasst hätte, hätte ich ihn passend gemacht. Ich kann einen beruflichen Termin anführen und mit dem Weg nach Hamburg verknüpfen. Alles rundum habe ich in Sekundenschnelle schon gedanklich arrangiert.

Ich will nach Hamburg. Ich will einen neuen Mittwoch.

Kein Wort zur Begrüßung – nur ein Kuss

Ich muss grinsen, seine nächste Nachricht trifft genau ins Schwarze. Ich will ihn küssen! Wie oft habe ich mich darüber schon in Tagträumen verloren …

Natürlich meldet sich sofort mein innerer Analytiker zu Wort und plappert etwas von „schönem Hypnose-Versuch“ und Absichten klären … Doch ich will das nicht! Unser Spiel macht mir Spaß, es fühlt sich spannend und lebendig an, das ist genau das, was ich mir so sehr gewünscht habe. Der Analytiker in mir soll endlich Pause haben. Ich will leben, lachen und frei sein.

Alles, was in meiner Ehe nicht mehr stattfindet. Irgendwie nie in dieser Intensität stattgefunden hat, die ich brauche. Lebendiges, Verrücktes, Spontanes, vielleicht auch Inszeniertes, sich mit einer positiven Absicht Freude schenken und Geschichten kreieren, die wir später gern erzählen werden. Gute Eindrücke sammeln für den Geist. Das steht für mich ab jetzt wieder auf der Agenda.

Meine Ehe war ein Versuch, aus meinem „Gaga-Wesen“ eine brave Ehefrau zu machen. So wie es sich gehört in unserer Gesellschaft. Dennoch, ich habe Ja gesagt zu dieser Verbindung. Vielleicht, weil ich damals genau das brauchte, was ich bekommen habe? Aber jetzt brauche ich eben etwas anderes.

Ich finde die Art, in der Ben und ich kommunizieren, uns Bilder implizieren, uns triggern, ziemlich anregend. Nennen wir das Ganze einen wundervollen Prozess.

Und … schon ist Mittwoch. Absolut Mittwoch!

Ich sitze in Hamburg in meinem Lieblingshotel – dem George – und entspanne mich. Es ist zeitiger Nachmittag und ich werde gleich gemütlich durch meine Stadt spazieren. So wie früher, als ich noch hier gelebt habe. Ich bin oft stundenlang durch die Straßen spaziert, habe mir die Menschen angesehen und einfach wahrgenommen, was um mich herum vor sich geht. Habe gelächelt und Fremden in Gedanken das Beste gewünscht.

Ich möchte zurück – zurück in dieses Gefühl der Leichtigkeit. Und so schlendere ich auf alten Wegen. Von der Langen Reihe über den Bahnhof in die Fußgängerzone. Es duftet nach gebrannten Mandeln, Lakritze und Glühwein. Viele Menschen tummeln sich auf dem Weihnachtsmarkt und ich bin irgendwie dabei. Ich lächle. Für mich, für die, die mich ansehen. Ich kehre an bekannte Ecken und in vertraute Geschäfte zurück. Kaufen muss ich nichts, ich möchte nur etwas von meinem alten Leben spüren. Ich laufe bis zum Neuen Wall, verweile am Rathaus und bleibe auf dem Rückweg in meiner Lieblingsbuchhandlung hängen. Die Inhaberin erkennt mich. Es ist mehr als zehn Jahre her, dass ich das letzte Mal hier war, doch wir haben beide das Gefühl, es war erst vergangene Woche. Ein nettes Pläuschchen und die Freude, wieder hier zu sein, verleiten mich doch zu einem Kauf. Vom Vergnügen alt zu werden landet in meiner Tasche. Unglaublich – stecke ich vielleicht gerade in der Midlife-Crisis?

Ich verlasse die Buchhandlung und frage mich, ob tatsächlich die Bewusstheit für das Vergängliche meine Sehnsucht nach Leben, Liebe und besonderen Erlebnissen losgetreten hat. Eigentlich war ich schon immer auf der Suche, am Ausprobieren und Geschichten sammeln. Ich habe nur kurz eine Pause eingelegt mit meinem Landleben, der Ehe und den Kindern ... Und so ganz langweilig ist es mit meinen Kindern auch nicht.

Ich muss über mich selbst lachen. Als würde ich aus einem Schlaf erwachen, dabei habe ich die letzten 17 Jahre alles andere als geschlafen. Ich habe drei Kinder aufgezogen, gemeinsam mit meinem Mann ein Trainingszentrum für Pferde gebaut – und alle, die schon einmal gebaut haben, wissen, was ich meine.

Außerdem habe ich ein paar Bücher geschrieben, hier noch ein Projekt, da noch eine Aktion, sieben Tage die Woche, rund um die Uhr am Laufen. Also sagen wir so: Es war nicht zu wenig. Trotzdem fehlt mir etwas. Wo ich es finden kann, weiß ich noch nicht. Doch ich weiß: Ich möchte am Ende meines Lebens nicht merken, dass ich etwas ungetan gelassen habe, was sich mein Herz wünschte. Ich will berührt sein. Auch wenn das Tränen bedeutet – wenn ich Ja zum Leben sage und zu seinen wundervollen Geschichten, muss ich auch die Kontrolle loslassen können. Ich glaube, dann ist alles möglich ...

Ich weiß noch nicht, wann Ben heute hier sein wird. Ich weiß nur, dass er zu mir ins Hotel kommt. Die Vorfreude überflutet mich beim Gedanken daran, ihn gleich wiederzusehen.

Dann liege ich in meinem Hotelzimmer. Zeit. Nur für mich. Ich lese in meinem Buch, höre Musik. Das ist mein Mittwoch.

20.45 – ohne Eis, mit Zitrone, erscheint auf meinem Handydisplay.

Pünktlich setze ich mich in die Bar und bestelle unsere Drinks. Zwei Ramazzotti mit Zitrone, meiner mit Eis. Ich spiele unsere Begegnung in Gedanken durch.

Kein Wort zur Begrüßung, nur ein Kuss. Was für ein Kuss soll es sein? Eins ist sicher: Ich will seine Lippen auf meinen spüren. Mir ist egal, was die Menschen in der Bar denken. Egal, wer uns sehen kann oder gar beobachtet.

Ben tritt in den Raum. Ich lächle ihn an … wir stehen voreinander. Endlich. Langsam nähern sich unsere Lippen einander. Es fühlt sich weich an und warm. Ich schließe meine Augen. Seine Lippen auf meinen. Sanft, ganz sanft küssen wir uns. Ich versinke für ein paar kostbare Sekunden in diesem Kuss. Am liebsten würde ich verweilen. Den Moment anhalten. Ihn noch ein bisschen atmen.

Dann öffnen wir die Augen, sehen einander an.

Schließlich setzen wir uns. Genießen unsere Drinks.

Wir reden miteinander. Über unser Projekt, die gemeinsame Geschichte. Und damit auch irgendwie über uns. Da liegt etwas in der Luft. Ein Kribbeln, eine Lust. Und Ben hat eine Idee: Wir wollen ein Setting kreieren. Gemeinsam schreiben, einen Tag und eine Nacht wollen wir uns schenken.

„Eine Sonne und einen Mond“, sagt Ben lächelnd.

Ich möchte mit Ben schreiben. Will, dass wir uns mit Musik berauschen. Will Ben mitnehmen in meine Gefühlswelt, ihm einen Vorgeschmack geben auf die Ekstase, die wir uns kreieren können. Nur er und ich, eingeschlossen in ein Hotelzimmer, in einer fremden Stadt. Wir wollen uns zelebrieren, dabei schreiben. Geschichte erleben, Geschichte schreiben.

Das Verrückte: Tagelang ist genau diese Idee in meinem Kopf gekreist – so soll es sein, das gemeinsame Schreiben! Und von genau dieser Idee erzählt er mir jetzt. Ben ahnt wohl, wie das mit der Lust bei mir funktioniert. Seine Worte schenken meiner Phantasie Bilder, die mich ganz verrückt machen. Mir ist egal, ob das seine Absicht ist, ob ich auf eine Taktik reinfalle. Ich will ja reinfallen. Ich möchte mich auflösen in einem Wir und ich glaube, diese Erfahrung werde ich mit Ben machen können. Pure Hingabe, Wollen, Fordern, Begehren, leidenschaftlich, intensiv, berührt ... Raum und Zeit vergessen. Sein.

Ich könnte Ben stundenlang ansehen. Meine Blicke fahren seine Konturen nach. Folgen der Linie über seiner Oberlippe, versinken in seinen Augen mit ihrem besonderen Blau … ich kann mich gar nicht mehr auf unser Gespräch konzentrieren. Es gibt so viel, was ich ihn fragen will. So viel, was ich noch kennenlernen möchte. Aber ich bin wie paralysiert. Ich schiebe die kleine Kerze zwischen uns beiseite und fordere Ben zu einem Kuss auf. Unsere Lippen berühren sich wieder. Er schmeckt gut. Ich mag seine Küsse.

Ich bin einfach meinem Impuls gefolgt. Gedankenlos. Und sofort fängt es wieder an zu plappern in meinem Kopf. Bin ich zu extrem, zu überfordernd, zu hungrig nach dem Kick, zu emotional ...? Egal jetzt! So bin ich eben – wenn ich es mir gestatte.

Ich möchte einfach sein, mit ihm sein, ohne ständige Kontrollgedanken. Wir unterhalten uns. Leicht fühlt es sich an. Und zugleich so tief …. Ich bin fasziniert und doch meldet sich immer wieder die bekannte leise Stimme in mir, skeptisch, ein bisschen besorgt: Ob ich mich nicht verrenne?

Doch das Ganze ist ein solches Geschenk. Ich möchte es annehmen und wertschätzen. Ihn wertschätzen, so wie er ist. Nichts von dummen Gedanken verseuchen lassen.

Gleich ist es Mitternacht. Der neue Mittwoch geht langsam zu Ende. Ich möchte Ben noch nicht gehen lassen. Ich will ihn noch ein wenig spüren, seine Küsse schmecken, in ihm versinken.

Ein Abschiedskuss im Fahrstuhl, der von einem zarten zu einem sehr begehrlichen wird. Gemeinsam in den fünften Stock.

Körper, die sich aneinanderschmiegen. Ich atme ihn tief in mich, und weiß, heute ist nicht der richtige Tag für noch mehr. Ich möchte die Energie weiterwachsen lassen. Schauen, was mit uns geschieht an den Nicht-Mittwochen, wie wir in der Zeit dazwischen miteinander umgehen.

Wie wird es sich anfühlen? Wird die Lust auf ihn so groß bleiben? Wie oft werde ich an ihn denken und mich sehnen? Wird er den Kontakt zu mir weiterhin suchen – oder langweile ich ihn schon? Was denkt er über unsere gemeinsame Zeit? Welche Worte werde ich schreiben wollen und können, um unsere Geschichte zu einer richtigen Geschichte zu machen? Welche Worte wird er finden?

Die Fahrstuhltür schließt sich. Er ist weg.

Ich betrete mein Hotelzimmer und schmecke ihn immer noch auf meinen Lippen.

Kapitel 4

Oh, du Fröhliche …

Weihnachten. Eigentlich ein Tag wie jeder andere. Zumindest was die Arbeit und den entsprechenden Tagesablauf anbelangt. Die Pferde müssen versorgt und bewegt werden, sie kennen keinen Feiertag.

So anstrengend Weihnachten seit Jahren für mich ist, immerhin habe ich diesmal den aktiven Part schon vorab delegiert. Der Weihnachtsabend wird bei meinen Eltern stattfinden, nur die Geschenke muss ich nachher noch hinbringen. Und abends dann durchhalten … Doch immerhin: Ein Schritt in die richtige Richtung. Mehr hin zu mir. Mehr zur alten Juna. Hoffentlich …

Zum Glück bringt der Tag zuerst einmal eine schöne Ablenkung. Mein Sohn Cedric hat Geburtstag und liebe Menschen sind gekommen: Meine Tante, mein Cousin Sebastian und mein Bruder Tom mit seinem Sohn sitzen mit an der Geburtstagsmittagstafel.

Mein Herz hüpft vor Freude, Tom zu sehen. In den letzten Jahren war unser Kontakt spärlich und distanziert. Seine Exfrau und ich konnten gar nicht miteinander und sie hat viel dafür getan, den Kontakt zu drosseln. Jetzt haben Tom und ich eine neue Chance! Ganz überraschend hat er sich vor ein paar Tagen angekündigt. Auch von Sebastian habe ich lange nichts mehr gehört, dabei waren wir früher so eng miteinander verbunden. Haben uns so viel erzählt, gemeinsam alles Mögliche unternommen und immer ein offenes Ohr bei Sorgen und Nöten füreinander gehabt. Er lebt mittlerweile in Kiel und ist selten bei uns auf dem Land. Ich denke unweigerlich an Hamburg. An meine unbeschwerte Zeit in meiner Mädels-WG damals und wie gern ich mit ihnen heute Weihnachten feiern würde. Oder überhaupt feiern!

Sebastian erzählt mir von seiner Sinnfindung. Wie er sich vor zwei Jahren auf den Weg gemacht hat, stärker seinem Herzen zu folgen und Dinge nicht nur zu denken, zu wünschen, sondern auch zu tun.

Ich lächle. Denke kurz an Ben und unser Projekt. Einfach schreiben. Einfach machen.

Sebastian erzählt mir davon, wie viel er inzwischen fotografiert … und plötzlich ist die Idee da: Wir machen! Hier und jetzt! Ein Fotoshooting!

Tom ist begeistert, möchte auch dabei sein. Er lebt seit einiger Zeit in der früheren Post in Wanden, der Nachbarstadt, in der wir alle zusammen aufgewachsen sind. Das hat etwas Nostalgisches. Wir wollen dort shooten.

Und bevor mich jetzt der fade Geschmack von blöden Weihnachten doch noch überwältigt und all das „darf an“, „soll man“, „muss man“ zu groß wird, will ich handeln. Ich will mich verbinden mit Menschen und ich möchte fühlen.

Die Kinder spielen ohnehin jetzt, die restlichen Aufgaben werden rasch verteilt … und im Nu hab ich den Nachmittag frei und packe ein: Kleider, meine Softboxen, die alte Baulampe, die ich auch gern zum Fotografieren nutze, zwei Dosen Prosecco …

Für ein paar Stunden frei!

Weihnachten 14 Uhr entern wir die alte Post in Wanden. Sebastian und ich öffnen die Dosen, prosten uns zu, während mein Bruder an seiner Selbstgedrehten zieht. Wir quatschen, lachen, genießen. Der grobe Plan für unser Shooting ist schnell klar: Ich möchte Bilder inszenieren, die ich später für das Buch mit Ben verwenden kann. Ich habe einen größeren Plan für unser Projekt. Keine Ahnung, was Ben davon hält, aber ich mache einfach mal.

Und in diesem Moment ist Weihnachten neu. Ist ein Mittwoch. Absolut Mittwoch.

Mein Bruder und ich vor der Kamera. Mal er, mal ich, mal wir beide gemeinsam. Laute Musik beflügelt uns, der Beat geht durch und durch. Mein Bruder ist genauso ein Musikjunkie wie ich. Wir drehen uns, bewegen uns im Rhythmus, posen für die Kamera. Sebastian ist in seinem Element, wechselt Perspektiven, turnt durch den Raum, findet Ausschnitte, setzt Licht, fängt ein, was wir ihm bieten. Wir sind vollkommen im Jetzt. Mein Herz lacht.

Dann ist es fast 17 Uhr, meine Kinder warten sicher schon.

Also: Zurück von der Mittwochsreise und ab ins „normale“ Weihnachten mit mir. Was das bedeutet? Mich für die Kinder zusammenreißen und den „Körper-Klaus“ mimen, wie Tom es immer nennt.

Unzählige Gedanken purzeln mir durch den Sinn, während ich die Geschenke für Kinder, Eltern und Philip aus meinem Wagen räume und sie bei meinen Eltern unter dem Weihnachtsbaum platziere. Dann geht die Show los.