Achtmal gruselig geschockt! 8 Gruselkrimis im Bundle - John Devlin - E-Book

Achtmal gruselig geschockt! 8 Gruselkrimis im Bundle E-Book

John Devlin

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Beschreibung

Dieses Buch enthält folgende Mark Tate Romane: (499) W.A.Hary: Heer des Schreckens W.A.Hary: Im Reich der Hölle W.A.Hary: Herr über Leben und Tod W.A.Hary: Ritter des Bösen W.A.Hary: Zurück aus der Hölle John Devlin: Lord Drenfields Dämonenschloss W.A.Castell: Die Diamanten der Dämonen Lloyd Cooper: Moronthor und der Vampir von Denver Jo Zybell: Tom Percival und das Geheimnis von Saint Joseph Mark Tate ist der Geister-Detektiv. Mit seinem magischen Amulett, dem Schavall, nimmt er es mit den Mächten der Finsternis auf und folgt ihnen in andere Welten und wenn es sein muss, bis in die Hölle. Ihm zur Seite steht May Harris, die weiße Hexe.

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W.A.Hary, John Devlin, W.A.Castell, Jo Zybell, Lloyd Cooper

Achtmal gruselig geschockt! 8 Gruselkrimis im Bundle

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Inhaltsverzeichnis

Achtmal gruselig geschockt! 8 Gruselkrimis im Bundle

Copyright

Heer des Schreckens

Im Reich der Hölle

Herr über Leben und Tod

Ritter des Bösen

Zurück aus der Hölle

Lord Drenfields Dämonenschloss

Die Diamanten der Dämonen

Moronthor und der Vampir von Denver

Tom Percival und das Geheimnis von Saint Joseph

Achtmal gruselig geschockt! 8 Gruselkrimis im Bundle

W.A.Hary, John Devlin, W.A.Castell, Jo Zybell, Lloyd Cooper

Dieses Buch enthält folgende Mark Tate Romane:

W.A.Hary: Heer des Schreckens

W.A.Hary: Im Reich der Hölle

W.A.Hary: Herr über Leben und Tod

W.A.Hary: Ritter des Bösen

W.A.Hary: Zurück aus der Hölle

John Devlin: Lord Drenfields Dämonenschloss

W.A.Castell: Die Diamanten der Dämonen

Lloyd Cooper: Moronthor und der Vampir von Denver

Jo Zybell: Tom Percival und das Geheimnis von Saint Joseph

Mark Tate ist der Geister-Detektiv. Mit seinem magischen Amulett, dem Schavall, nimmt er es mit den Mächten der Finsternis auf und folgt ihnen in andere Welten und wenn es sein muss, bis in die Hölle. Ihm zur Seite steht May Harris, die weiße Hexe.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

Heer des Schreckens

W. A. Hary

„ Im Land ORAN - ist alles schrecklicher!“

Der Hunger weckte Calmoro den Schrecklichen, auch der Älteste oder der Fresser genannt. Tief in seinen Eingeweiden saß er wie ein dämonischer Freund, der ihn von innen heraus auffraß.

1

Strudel bildeten sich auf der Oberfläche des Schlammloches, in dem er von der Sonne geschützt den Tag verbrachte. Calmoro. Sein mächtiger Schädel mit dem Knochenkamm tauchte auf. Die rot glühenden Augen durchbohrten die anbrechende Dunkelheit. Endlich war die von ihm verfluchte Sonne unter den Horizont getaucht, um dem angenehm bleichen Licht des Mondes Platz zu machen.

Die Nacht war voll bedrohlicher Schatten, so wie es Calmoro dem Schrecklichen gefiel.

Silberstreifen zogen vor das blasse Antlitz des Mondes - wie Engelshaar.

Dieser Vergleich entlockte Calmoro ein abgrundtiefes Grollen der Abscheu. Er hatte etwas gegen das Gute und Schöne.

Er schlug mit der rechten Pranke auf den Schlamm ein, dass der Dreck nur so spritzte.

Als ein zweites Grollen aufstieg, wurde es nicht von ihm, sondern von seinem Magen erzeugt. Calmoro verdrehte die Augen, ergriff den mächtigen Stamm, der am Rand des Schlammlochs stand und zog sich auf das Trockene. Dabei wackelte der alte Baum bedenklich.

Calmoro blickte an sich herab. Er war über und über mit grünen Schuppen bedeckt. Deshalb nannte man ihn auch das Schuppenmonster aus den Sümpfen. Aber was war aus ihm geworden? Klägliche zehn Zentner wog er noch. Dabei war er einst der Größte und Stärkste seiner Rasse gewesen.

Wehmütig erinnerte er sich der Zeit, als die Schuppen noch seidig glänzten vor Schimmel, als Büsche verdorrten, wenn er sie nur anhauchte.

Damals war er noch auf Menschenjagd gegangen. Man hatte ihn gefürchtet - ihn und seine Artgenossen. Man hatte ihm schreckliche Opfer gebracht, um ihn zu besänftigen.

Es war vorbei, seit Aufklärung um sich griff und Teufelsjäger dem Bösen den Krieg angesagt hatten.

Dennoch lechzte Calmoro der Schreckliche nach einem Opfer. Die Gier war so groß, dass er sich zwei Pranken voll Dreck in den gefräßigen Schlund stopfte, um sie zu besänftigen. Aber sofort spuckte er wieder aus und schüttelte sich. Dreck schmeckte dem Monster zwar nicht schlecht, aber er beruhigte seinen Magen nicht. Das wusste er aus Erfahrung.

Er musste an sich halten, um nicht die Richtung einzuschlagen, in der er die nächste Menschenansammlung wusste. Nein, es hatte keinen Zweck. Ungern erinnerte er sich der letzten Verfolgung quer durch die Sümpfe. Tagelang hatte er sich in einem tiefen Schlammloch vergraben, bis die Gefahr vorbei war. Aber auch dann noch hatte der bekannte Teufelsjäger Mark Tate auf der Lauer gelegen.

Calmoro hatte Angst vor ihm wie vor keinem anderen.

Calmoro der Schreckliche wälzte sich vor Wut im Moortümpel, der nur drei Monsterschritte vom Schlammloch entfernt begann. Seine Augen glühten stärker als jemals zuvor, als er sich wieder erhob. Die Entscheidung war längst gefällt, obwohl er sie immer wieder hinausschob. Die herrlich hässliche, abstoßende und schrecken erregende Rasse der grünen Schuppenmonster hatte sich selber dezimieren müssen, nachdem die Menschen ungenießbar geworden waren, weil sie sich schützten.

Calmoro war als letzter übrig geblieben, weil er stärker gewesen war als alle anderen.

Er gab sich innerlich einen Ruck. Das letzte Ritual, das letzte Fressen, musste vorbereitet werden. Einen anderen Ausweg gab es nicht. Gegen die furchtbaren Teufelsjäger kam kein ordentliches Monster mehr an. Also war er gezwungen, die Konsequenzen daraus zu ziehen.

Er stampfte die Erde an einem bestimmten Ort innerhalb des Schreckensmoors nieder.

Wolken zogen auf, als ahnte die Natur, was bald passieren würde.

Der Ort des letzten Rituals war kreisrund.

Calmoro hielt ein und legte den Kopf, der fast nur aus Maul bestand, in den Nacken. Aus den Augen schienen jetzt Blitze zu zucken.

Er ließ einen Ton hören, der an das Röhren eines Urwelttieres erinnerte. Kilometerweit war es zu vernehmen. Die Menschen würden sich bei diesem Laut ängstlich ducken, wenn sie nicht gerade in ihren verfluchten Häusern saßen und scheußliche Dinge taten, wie sich waschen oder pflanzliche Kost zu sich zu nehmen.

Monster Calmoro spürte Brechreiz allein beim Gedanken daran. Rasch dachte er an etwas anderes.

Er war bereit.

Die aufgezogenen Wolken waren bleischwer und schwarz wie die Hölle. Sie verdeckten den Mond, wie um jeden Zeugen der Geschehnisse auszuschließen. Ein Blitz zuckte nieder und zerschmetterte irgendwo eine Eiche.

Calmoro öffnete die Arme und stieß ein letztes Röhren aus. Das Donnergrollen klang wie das Echo.

Er hockte sich nieder. Wehmütig betrachtete er die große Schuppenzehe. Damit würde er wohl beginnen. Ob sie überhaupt schmeckte?

Es kam auf einen Versuch an.

Calmoro stopfte sich die große Zehe in das gefräßige Maul. Anerkennend verzog er das Fratzengesicht.

Gar nicht mal so übel. Hätte er nicht erwartet.

Die Gier war wieder da. Heißhunger übermannte ihn und er konnte sich nicht mehr beherrschen.

Ohne zu kauen schlang er den Happen hinunter.

Dem großen Zeh folgte sogleich der Monsterfuß.

Zufriedenes Grunzen. Ein angenehmer Geschmack und endlich genügend zu fressen - nach all dieser Zeit der Abstinenz: Das ganze Bein.

Endlich hörten die Eingeweide auf zu knurren. Es war wie ein Märchen, ein wunderschöner Traum.

Das zweite Bein, der komplette Unterleib.

Herrlich! Calmoros Glück kannte fast keine Grenzen mehr. Er befand sich in einem wahren Rausch. Wann hatte er das letzte Mal so genossen?

Die glühenden Augen wirkten wie Brenngläser. Sie richteten sich auf einen nahen Baum und ließen diesen in Flammen aufgehen.

Calmoro konnte es wieder! Er kam wieder zu Kräften! Er fand zu seiner alten Form zurück!

Nur noch Brust und Kopf. Das Maul war weit aufgerissen, dass es gar nicht mehr weiter ging. So einen mächtigen und sättigenden Brocken hatte Calmoro noch nie zuvor verschlungen.

Jetzt hatte er schon das Genick erreicht.

Ein letzter Schluck und...

Die kleine Lichtung mit der fest getrampelten Erde war leer. Calmoro, der letzte aus der Rasse der grünen Schuppenmonster, hatte diese Welt endgültig verlassen - satt und zufrieden, wie er es sich immer gewünscht hatte.

Aber die besonderen magischen Gesetze sorgten dafür, dass Calmoro der Schreckliche längst nicht am Ende war, wie man erwarten mochte. Die magischen Gesetze widersprachen niemals den irdischen Gesetzen. Sie waren nur eine wichtige Ergänzung dazu, von vielen Menschen verleugnet und dennoch vorhanden.

Und die magischen Gesetze waren so wirksam wie die Naturgesetze.

Sie bedeuteten, dass nichts in diesem Universum verloren ging. Und wenn etwas diese Welt verließ - gelangte es in eine andere Welt.

Calmoro fand sich wieder - in jener anderen Welt. Sie war nicht Erde, sie war nicht Jenseits, sie war nicht Dämonenreich und auch nicht Hölle. Sie war das Land der Magie. Sie war ORAN, die Welt, in der Märchen und Mythen schreckliche Wahrheit werden konnten und wo es nur so von Wesen wimmelte wie Calmoro - so wie er und sogar schlimmer...

2

Ich war seit einiger Zeit im Lande ORAN und musste daran denken, wie sehr die Bezeichnung Land in diesem Fall untertrieb. ORAN war wie ein anderes Universum. Ich war der Gefangene dieses Universums, nachdem man mich hierher gelockt hatte. Einer meiner irdischen Gefährten teilte dieses Schicksal: Don Cooper.

Er hatte sich viel mehr an die phantastische Umgebung in ORAN angepasst als ich. Hier war er zu einem wahren Muskelmonster gereift, mit unvorstellbaren Körperkräften und einem Kampfmut wie er sonst nur von den sagenhaften Helden irdischer Legenden gezeigt wurde.

Don Cooper war selbst zu einer Sage geworden.

Vor allem, als wir die verfluchte Stadt Karta-ahn gefunden hatten. Sie wurde zu seinem Schicksal. Er wurde Träger des Heiligen Schwertes und schaffte es mit meiner Unterstützung, den furchtbaren Fluch zu brechen, der über dieser altertümlichen Stadt lastete.

Man machte ihn zum Herrscher von Karta-ahn und sogleich musste er sich bewähren, als nämlich das Schreckensheer unter der Führung der Dämonenhexe Schwarz-Genev Karta-ahn dem Erdboden gleichmachen wollte. Sie erhoffte sich in Karta-ahn ein Tor zum Diesseits.

Dabei suchte ich selber danach, denn in einer solchen Welt blieb kein vernünftiger Mensch freiwillig!

Ich warf einen Seitenblick auf Don.

Doch, es gab einen, der niemals mehr ORAN verlassen wollte: ihn! Don war Herrscher von Karta-ahn und wollte sich vor dieser Aufgabe nicht mehr drücken. Wenn er nach wie vor nach einem Weg zur Erde zurück suchte, dann nur noch meinetwegen, aus purer Freundschaft.

Ich schüttelte den Kopf. Manchmal glaubte ich, es nie schaffen zu können und für ewig in dieser Wahnsinnswelt zu bleiben. Einer Welt, in der Feuer speiende Drachen und Centauren - Wesen halb Pferd, halb Mensch - an der Tagesordnung waren, in der es jedoch niemals ein funktionierendes Gewehr, eine Taschenlampe oder gar ein Auto geben könnte.

Das war noch nicht alles: ORAN war in viele Sektoren aufgeteilt und in jedem Sektor gab es wiederum andere magische Gesetze.

Zur Zeit befanden wir uns im Drachenland und nicht nur, weil wir nach einem Tor zur Welt suchten: Nach dem Krieg um Karta-ahn hatte sich die Armee des Schreckens geschlagen zurückgezogen. Aber sie befand sich auf dem Weg zum Nebelland und dort auf dem Weg zum Reich der Centauren. Wir hatten es von zwei Centauren erfahren, die wir in der Nähe von Karta-ahn aufgegriffen hatten: Sarbrecht und Derwin. Sie hatten uns auch erzählt, dass Schwarz-Genev einst Centaurenland unterworfen hatte, aber dass es nach ihrem Abzug zu einer Rebellion gekommen sei.

Unser Entschluss stand fest: Wir mussten zum Centaurenland, um dort dem zurückkehrenden Schreckensheer von Schwarz-Genev einen entsprechenden Empfang zu bereiten, denn wenn wir das nicht taten, war Centaurenland endgültig verloren und Schwarz-Genev würde hier genügend Rekruten für einen zweiten Feldzug gegen Karta-ahn finden.

Es erwies sich als ein äußerst beschwerlicher Weg, das geschlagene Heer zu umgehen, um dadurch nach Centaurenland zu kommen. Wir waren von einem gefährlichen Abenteuer in das andere geraten. Das Schicksal schien sich gegen uns verschworen zu haben.

Auch im Drachenland, das auf dem Weg lag.

Wir gerieten in den schwelenden Konflikt zwischen Gut und Böse. Unter Einsatz unseres Lebens konnten wir das Pendel in Richtung Gut schwingen lassen und nun war die Zeit in Drachenstadt reif, neue Herrscher zu suchen, die nicht dem Bösen dienten.

Die alten Herrscher waren entmachtet. Ihre Sklaven waren aus der magischen Unterdrückung erwacht.

Wir befanden uns tief unter Drachenstadt, denn diese Stadt war in Wirklichkeit ein lebendes Wesen: Ein gigantischer, unsterblicher Drachen, der das Gute von Drachenland verkörperte, während die Drachenberge jenseits der Stadt das Symbol des Bösen bildeten.

Denn auch die Berge waren in Wirklichkeit ein lebendiges Wesen.

Mir schwirrte der Kopf von all diesen Dingen, wenn ich darüber nachdachte. Es war einfach zuviel für einen normalen Menschen und ich verschob alle Gedanken daran auf später.

Gemeinsam mit meinen Freunden stieg ich aus dem Labyrinth unter Drachenstadt, wo wir den entscheidenden Eingriff vorgenommen hatten. Don Cooper und ich saßen auf den Rücken der beiden Centauren Sarbrecht und Derwin. Sarbrecht war der kräftigere unter den beiden Centauren. Deshalb hatte Don auf ihm Platz genommen.

Wir betraten auf den beiden Fabelwesen den unterirdischen Tunnel. Rechts ging es zum Trainingszentrum der Drachen. Dort wurden sie zu Soldaten und Polizisten ausgebildet. Links ging es hinauf zur Oberfläche und zum Kern der Drachenstadt.

Der Tunnel war leer. Das magische Glühen, das aus den Wänden sickerte, erleuchtete uns den Weg.

Wir sprachen kein Wort miteinander. Wozu auch? Wir wussten, dass sich das Pendel zum Guten bewegt hatte, aber die unvorstellbare Macht von Drachenstadt kam nur zu einem ganz geringen Teil zum Ausdruck, denn sie musste fast komplett dafür aufgewendet werden, das Böse zu bannen.

Es war hier so wie überall, wie auch auf der Erde: Das Gute und das Böse wohnten dicht beisammen, nur war es in Drachenland deutlicher zu sehen. Mit den Augen sogar und nicht nur mit dem Verstand!

Wir erreichten das Ende des Tunnels. Das riesige Tor maß dreißig Meter in der Höhe und fünfzig Meter in der Breite. Kein Wunder, denn für die Drachen gab es keinen natürlichen Tod. Wenn sie nicht im Kampf umkamen, blieben sie unsterblich - und sie wuchsen von Jahr zu Jahr immer um wenige Millimeter. So gab es winzige Drachen, die eben erst aus ihren Eiern geschlüpft waren und kaum so groß wie eine Hand waren und es gab Drachen so groß wie Drachenstadt oder wie Drachengebirge.

Der Drache, der uns von der Grenze her gebracht hatte und uns zwang, in den Kampf gewissermaßen als Zünglein an der Waage einzugreifen, maß immerhin rund hundert Meter in der Länge. Es war der Drache Gotauer.

Wir durften gespannt sein, ob er der künftige Machthaber von Drachenland war.

Das Tor war nur angelehnt. Wir hätten sonst unüberwindliche Schwierigkeiten gehabt, die mächtigen Steinplatten, aus denen es bestand, zu bewegen.

Doch wir zögerten, hindurchzugehen.

Was erwartete uns auf der anderen Seite?

Es hatte keinen Zweck, wir mussten es uns ansehen.

Don Cooper als der bessere Kämpfer schob sich auf Sarbrecht als erster durch den Torspalt.

Sogleich hörte ich wüstes Gebrüll.

Aber Don kam nicht zurück.

Mit bangem Herzen folgten Derwin und ich.

Vor uns öffnete sich eine weite Felsenhalle. Wir sahen den Kopf eines Drachen, etwa vierzig Meter von uns entfernt und mit einem Durchmesser von schätzungsweise zehn Metern. Die riesigen Augen starrten uns gebrochen an. Das Maul war ein Stück geöffnet. Grünes Blut quoll hervor und bildete auf dem Hallenboden eine Lache.

Die Drachentöter waren selber Drachen, von unterschiedlicher Größe.

Der größte hatte das Gewicht eines irdischen Elefanten, der kleinste erinnerte in der Statur an einen Hund.

Es waren etwa fünfzig Drachentöter und der unbewegliche Koloss, der wohl den Herrschern über Drachenland zuzurechnen war, ohne Magie unfähig, sich zu wehren, hatte keine Chance gegen die Übermacht gehabt.

Die Drachentöter hingegen jubelten über den Sieg. Sie preschten heran und umringten uns.

Ich erschrak, weil ich natürlich befürchtete, sie würden uns für Gegner halten.

»Hurra!«, jubelten sie statt dessen und: »Nieder mit den Unterdrückern! Für Freiheit, Gerechtigkeit, für den Frieden und für das Gute!«

Ich schüttelte angesichts des Toten den Kopf und dachte: Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher unnachgiebigen Härte und mit wie viel Gewalt ausgerechnet für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden gemordet wird. Nichts ist gewaltsamer als das Eintreten gegen die Gewalt.

Und auch das etwas, was man schon von der Erde kannte. Es machte die Drachen beinahe ›menschlich‹.

Sie umringten uns und feierten uns als große Befreier. Woher wussten sie?

»Gotauer hat euch angekündigt und wir haben für euch den Weg bereitet. Es gibt keine Gefahren mehr. Die alten Herren sind tot. Wir haben nur die Königin am Leben gelassen, weil sie als einzige Eier produziert. Millionen von Drachen sind aus der Sklaverei erwacht. Um die Unterdrücker hinwegzufegen!«

Also Mord auf der ganzen Linie!, dachte ich zerknirscht. In mir wollte kein Triumph ob eines Sieges aufkommen.

»Wo ist Gotauer?«, fragte ich.

Einer der Drachen, etwa doppelt so groß wie ich, blähte die Nüstern.

»Er wartet auf euch alle. Wir sollen euch zu ihm geleiten.«

»Aber doch nicht alle?«

»Es dient eurer Sicherheit.«

Ich hatte eher das Gefühl, man wollte damit verhindern, dass wir uns in eine andere, unerwünschte Richtung wandten, aber ich sagte nichts in dieser Hinsicht.

Hatten wir überhaupt noch etwas in Drachenland zu suchen? Wir wurden nicht mehr benötigt und konnten weiterziehen. Gotauer sollte uns an die Grenze bringen. Das war das Mindeste, was wir verlangen konnten. Dann würden wir weiterziehen, in Richtung Centaurenland, was unser ursprüngliches Ziel war.

Don, Sarbrecht, Derwin und ich tauschten Blicke aus. Wir waren uns mal wieder einig.

Im Gänsemarsch ging es hinter den johlenden und fauchenden Drachen her.

Es ging durch unterirdische Gänge, durch die niemals der mächtige Leib eines Herrschers gegangen wäre: Sie waren unter den schützenden Mauern der Stadt praktisch lebendig begraben gewesen und dirigierten das ganze Land mit der Magie, die sie dem Bösen entliehen hatten.

Unterwegs fanden wir tote Drachen. Sie gehörten offensichtlich zu der Verteidigungsarmee der Herrscher. Man kannte keine Gnade mit ihnen.

Waffen waren in Drachenland größtenteils verpönt. Auch die Rebellen in unserer Begleitung hatten kaum welche: Sie kämpften mit ihren Krallen und ihren gefährlichen Mäulern.

Eine wenig erheiternde Prozession, die endlich den Boden der Stadt erreichte. Durch ein letztes Tor gelangten wir ins Freie. Ein weiter Platz tat sich vor uns auf. Mitten auf dem Platz erwartete uns Gotauer, hundert Meter lang, ein einziges rot glühendes Auge an der Stirn, keinerlei Nüstern, in vielerlei Hinsicht anders als seine Rassengenossen.

Gotauers Schuppenschwanz peitschte nervös.

Die beiden Centauren blieben abrupt stehen und ich begann zu ahnen, dass alles anders kommen würde, als wir es uns erhofft hatten.

»Tretet näher, Freunde!«, verlangte Gotauer. Seine Drachen hielten sich zurück. Sie jubelten auch nicht mehr. Eine seltsam bedrückte Stimmung entstand und wir schienen die einzigen zu sein, die nicht den Grund kannten.

War etwas schief gegangen?

»Wir hatten eigentlich erwartet, dass du uns nun zur Grenze bringst, damit wir dein Land verlassen können!«, sagte Don Cooper mit seiner grollenden Stimme, die an Donner erinnerte.

Er eignete sich besser zum Verhandeln mit dem Giganten als ich, deshalb neidete ich ihm sein Vordrängen nicht.

Gotauer ging nicht direkt darauf ein. Er wich unseren Blicken aus.

Sarbrecht meldete sich zu Wort: »Was ist los mit dir, Gotauer? War es nicht ein Versprechen, das du jetzt einlösen solltest? Oder willst du uns zu Gefangenen degradieren, nachdem wir Drachenland vom Bösen befreit haben?«

Das glutige Auge des Drachens richtete sich auf Sarbrecht, doch der Centaurus erwiderte furchtlos diesen Blick.

»Nein, ich will keineswegs mein Wort brechen, aber mit meinen magischen Sinnen kann ich Dinge wahrnehmen, die euch verborgen bleiben. Die eine Gefahr ist gebannt, Drachenland dürfte aufatmen, aber schon naht die nächste Gefahr. Wir haben uns von den Unterdrückern befreit und wollen nunmehr Frieden einkehren lassen, doch es gibt eine Macht, die es verhindert und diese Macht hat nicht ihren Ursprung in Drachenland.«

Wir sahen uns an.

Was sollte das? Was wollte uns Gotauer auf diese schrecklich umständliche Art sagen?

»Drücke dich deutlicher aus!«, verlangte Don Cooper hart. Er zwang mit einem Schenkeldruck Sarbrecht näher an den liegenden Drachen heran.

Gotauer hatte Flügel besessen, mit einer Spannweite von rund einem Kilometer. Während der zurückliegenden Kämpfe um Drachenland hatte er seine Flügel verloren. Jetzt wirkte er wie der leibhaftige Lindwurm aus einer irdischen Sage. Aber Gotauer war überaus intelligent und hatte ein enormes Wissen, das sogar irdische Bereiche erfasste.

Er hatte mir auch das eigentliche Wesen von ORAN erklärt.

Aber Gotauer hatte sich auch als rücksichtsloser Taktiker erwiesen, wenn es galt, einen Vorteil zu wahren.

Wir mussten vorsichtig sein - mit allem, was er sagte und tat. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, da er uns geschickt hereinlegte.

»An der Grenze zum Drachenland formiert sich eine Armee des Schreckens. Diesmal jedoch scheint es weniger um Drachenland selber zu gehen, sondern um... euch.«

»Um uns?«, echote ich verblüfft.

»Genauer gesagt - um dich, Mark Tate! Drachenland soll fallen. Schwarz-Genev hat dir Rache geschworen.«

»Schwarz-Genev? Aber, die ist doch auf dem Weg ins Centaurenland...« Ich brach mitten im Satz ab. War es nur ein Trick von Gotauer? Sprach er die Wahrheit?

»Wir wurden vom Drachengott unterdrückt, der durch eure Hilfe - speziell mit deiner, Mark Tate! - gebannt wurde. Drachengott wusste jedoch von Schwarz-Genev und hat ihr im letzten Augenblick ein Zeichen gesendet. Sie weiß also Bescheid.«

Eine quälende Pause entstand. Sie wurde von Gotauer unterbrochen: »Nun, Mark Tate, willst du immer noch an die Grenze gebracht werden?«

Ich hatte kaum jemals eine dümmere Frage gehört!

»Oder willst du lieber hier bleiben - du und deine Gefährten? Du hast Drachenland einen großen Dienst getan. Jetzt müssen wir alle zusammenhalten - gegen einen gemeinsamen Gegner. Dein Gegner, Teufelsjäger Mark Tate, ist das Böse und somit stehen wir auf derselben Seite.«

Ich schloss die Augen. Ich musste erst einmal verarbeiten, was ich soeben gehört hatte.

Einfach war es nicht...

3

Calmoro der Schreckliche war schockiert und alles Wohlbefinden fiel von ihm ab. Zwar spürte er keinen nagenden Hunger mehr, was seinen Geist befreite, aber die Fremdartigkeit seiner Umgebung setzte ihm zu.

Kein stinkendes Schlammloch, in dem man sich so schön suhlen konnte, kein giftiger Gasnebel, kein wunderbar lebendiges Gewürm... Nicht einmal Dunkelheit.

Ja, das war eigentlich das Schlimme an der Angelegenheit: Die Umgebung, in der Calmoro der Schreckliche sich wieder fand, war von astreiner Helligkeit. Es gab nicht einmal einen ordentlichen Schatten, weil der Himmel aus sich heraus leuchtete.

Calmoro schnaubte verzagt und schaute sich um.

Ja, wirklich, kein einziger Schatten.

Calmoro legte den Kopf in den Nacken, ließ seine Augen erglühen und brüllte in diesen verdammt hellen Himmel hinauf.

Wenigstens war er nicht weiß, sondern rot. Ein schwacher Trost, wie Calmoro fand.

Aber dann fiel ihm etwas auf: Die Sonne setzte ihm immer arg zu und er hatte stets das Gefühl, sie wollte ihm das Gehirn aus dem Schädel kochen. Die Hitze hier und die Helligkeit waren anderer Natur. Sie schadeten ihm in keiner Weise und er konnte direkt hineinsehen, ohne total geblendet zu sein. Ein Wunder besonderer Art. Es beruhigte das Monster einigermaßen. Genug, dass es sich wieder näher mit der Umgebung beschäftigen konnte.

Calmoro befand sich in einer flachen Bodenmulde, mit einem Durchmesser von etwa fünfzig Metern. Was außerhalb dieser Mulde lag, war seinen Augen verborgen. Ihm fiel nur auf, dass die Luft um ihn herum seine Sicht beeinträchtigte. Als wäre über allem ein durchsichtiger Schleier.

Das konnte er sich nicht erklären. Calmoro setzte seine zehn Zentner Lebendgewicht in Marsch. Er bewegte sich vorsichtig. Die Mulde war sandig. Darunter kam nackter Felsen zum Vorschein, rau und zernarbt.

Für Calmoro normalerweise eine gefährliche Sache. Im Nu war sein Schuppenkörper trocken. Calmoro brauchte Schlamm und Feuchtigkeit wie ein Silberfisch. Zwar brachte ihn Trockenheit nicht um, aber sie bereitete ihm Höllenqualen und zwang den dämonischen Körper, rasch das nächste Schlammloch aufzusuchen.

Genauso schlimm wie Trockenheit war für Calmoro allerdings auch sauberes Wasser. Das konnte er auf den Tod nicht ausstehen.

Und jetzt, nachdem seine Schuppen ausgetrocknet waren und leise zu klimpern begannen, wunderte er sich über den Umstand, dass er keine Schmerzen verspürte. Die Trockenheit machte ihm überhaupt nichts aus.

Er grunzte unwillig. Zwar war es angenehm, keine Folgen zu spüren in Form von höllischer Pein, aber die Tatsache war mysteriös, ja unheimlich. Wie sollte er sich das erklären?

Hier schien es eine ganze Menge Ungereimtheiten zu geben.

Er blieb stehen und betastete seinen Schuppenkörper. Kein Hunger, keinen Durst, trockene Schuppen... Nein, gar so trocken waren sie gar nicht. Ganz im Gegenteil. Darunter befand sich genügend Feuchtigkeit. Es widersprach jeglicher Vernunft, aber in seinem Körper herrschte Ausgewogenheit. Die Gier nach einem Opfer war weg, auch das Bedürfnis, sich im Dreck zu wühlen.

Calmoro schaute sich verstört um. Es war sehr eigenartig. Das zurückliegende Leben begann hinter einem Nebel zu verschwinden. Es kam ihm total unwirklich vor, wie ein Traum, aus dem man am Morgen erwacht und den man allmählich wieder vergaß, ohne etwas dagegen tun zu können.

Bis die Wirklichkeit einen ganz eingeholt hatte.

Wirklichkeit?

Abermals schaute Calmoro sich um. Was war das für eine Welt, die ihn aufgenommen hatte, nachdem er sich bemüht hatte, monstergerecht aus dem Leben zu scheiden?

»Ich habe es nicht gewollt!«, murmelte er vor sich hin.

Erschrocken lauschte er den Worten nach.

Wann hatte Calmoro jemals zuvor gesprochen? Er hatte die Menschen mit seinem Brüllen, Fauchen, Heulen und Kreischen in Angst und Schrecken versetzt. Er hatte gemordet, verfolgt...

Calmoro schluckte schwer. Seine Gedanken waren so klar wie niemals zuvor. Sie wurden nicht mehr überschattet von der Monstergier, die alles Trachten und Sehnen auf Dreck und Vernichtung gerichtet hatte.

Er fuhr sich mit der Pranke über die Augen. Der eigenartige Schleier blieb. Vielleicht rührte er daher, dass er sein Augenlicht eingebüßt hatte?

Sogleich ließ er sie erglühen und schickte einen Flammenstrahl, der den Sand zu flüssiger Lava schmolz und eine glasierte Lache hinterließ.

Ein neues Glücksgefühl: Er war völlig bei Kräften, in keiner Weise beeinträchtigt.

Dennoch blieben die unlösbaren Rätsel.

Calmoro bewegte sich weiter, dem Rand der Mulde zu. Kaum tauchte sein Kopf über den Rand dieser Mulde, als er erschreckt einhielt.

Hier reichte der Blick weiter und überall schien nur Wüste zu sein. Allerdings konnte er nur höchstens dreihundert Meter weit sehen. Was dahinter lag, blieb ihm verborgen. Alles verbarg sich hinter einem dunstigen Schleier.

Calmoro begriff: Der Dunst war allgegenwärtig, auch hier, nur konnte er ihn mit seinen Blicken bis zu einem gewissen Grad durchdringen.

Und: Dass er überhaupt etwas sehen konnte, lag das vielleicht an seiner besonderen Fähigkeit, die ihm die Nacht wie Tag erscheinen ließ?

Er schloss die Schuppenlider über den hervorquellenden Augen und konzentrierte sich.

Es war das erste Mal, dass er sein Augenlicht bewusst normalisierte.

Als er die Lider wieder hob, war er von grauem Nebel umgeben. Farbige Schleier waren darein gewoben. Der Nebel war so dicht, dass er den Himmel verschwinden ließ. Die normale Sicht reichte höchstens ein paar Schritte.

So war das also!

Calmoro erweiterte auf magische Weise sein Gesichtsfeld. Es bereitete ihm keine Mühe. Die Nebel wurden dank seiner Monsterfähigkeit durchsichtiger, die farbigen Schleier verschwanden ganz.

Und dann sah er wieder wie zuvor - Hunderte von Metern weit.

Tief sog er die Luft in seine Lunge. Es roch nicht wie im Schreckensmoor, wo er sein ganzes Leben verbracht hatte. Es roch nach diesem Nebel. Das war kein Wasser, sondern eine Substanz, wie Calmoro sie nicht kannte. War sie dafür verantwortlich, dass er sich hier so gut fühlte?

Er vermisste das Moor längst nicht mehr, auch nicht, dass er keine Menschen mehr jagen konnte.

Fast war ihm, als hätte er seine eigentliche Heimat gefunden.

Dabei wusste er immer noch nicht, wo er sich überhaupt befand, außer: Dies konnte unmöglich die Erde und das Diesseits sein!

Calmoro stieg aus der Mulde empor und ging einfach geradeaus. Diese Richtung erschien ihm so gut wie jede andere. Jetzt, da er seinen dämonischen Instinkten nicht mehr zu gehorchen brauchte, war er sehr neugierig. Er wollte die neue Welt erforschen, sie kennen lernen und vor allem: verstehen lernen!

Das war ganz neu bei ihm, doch es störte ihn nicht.

Weit kam Calmoro nicht mit seinem Forschungsdrang, denn kaum hatte er sich ein paar Monsterschritte von der Bodenmulde entfernt, als er mit seinem im Schreckensmoor trainierten Gehör ein Geräusch hörte, das nicht in diese Umgebung passte: Stimmen! Er schrak zusammen. Menschen?

Ja, es hörte sich an wie menschliche Stimmen. Er hatte die menschliche Sprache nie verstanden, sie gar nicht verstehen wollen. Sprechen war für ihn immer uninteressant gewesen. Viel wichtiger war es, im Schlamm zu baden und zu fressen.

Er suchte nach einer Deckung, aber da fiel ihm ein, dass ihn die Menschen womöglich gar nicht sehen konnten. Gewiss hatten sie nicht seine Monstersicht.

Er schaute in die Richtung, aus der die Stimmen kamen. Die Menschen waren gewiss vierhundert Meter entfernt. Trotzdem hörte er sie ganz genau.

Ein weiterer Beweis dafür, dass all seine Fähigkeiten in dieser neuen Welt ganz erhalten waren.

Vielleicht ist das so eine Art Himmel für Monster?, sinnierte er leicht amüsiert, obwohl er so etwas wie amüsieren auf der Erde nie gekannt hatte.

Endlich konnte er die Menschen sehen. Sie saßen auf Fabeltieren, waren ganz in schwarzes Leder gekleidet, das wie eine altertümliche Rüstung aussah, bis an die Zähne mit mittelalterlichen Waffen bewaffnet und - wirkten wie Zwillingsbrüder! Jeder hatte einen pechschwarzen Bart und pechschwarze Haare, die unter Lederhelmen hervorquollen, wild und ungezügelt. Der Bart wuchs auch bis zu den Augen. Eigentlich war das ganze Gesicht behaart.

Wenn diese Männer sprachen, taten sie es wie wütend knurrende Hunde.

Von diesen Männern ging etwas Unheimliches, Unerklärliches aus. Sie waren eine Bedrohung für jede Kreatur.

Calmoro verspürte trotzdem keine Furcht. Die kannte er nur im Zusammenhang mit Teufelsjägern.

Und das da vorn war augenscheinlich genau das Gegenteil!

Calmoro widmete sich den Reittieren. Er hob witternd den Kopf. Sofort stieg ihm Reptiliengeruch in die Nase. Die Schuppen der Horrorgeschöpfe raschelten trocken.

Am Bauch gingen die Schuppen in Lederhaut über, unter der mächtige Muskelstränge spielten.

Der Vergleich mit Pferden wollte sich Calmoro aufdrängen. Die kannte er von der Erde.

Aber dann ließ er es wieder fallen. Diese Tiere hier hatten zwar den gleichen Zweck, aber sie waren anders. Wahrscheinlich waren sie langsamer als Pferde, obwohl sie sich viel gewandter bewegten. Ihre Schwänze waren steif. Die Fabelwesen konnten sie gezielt bewegen.

Als die Reiter kurz anhielten, tastete eines der Tiere mit dem Schwanz über den Boden und schob spielerisch einen dicken Felsbrocken beiseite. Das sagte Calmoro genug.

Da sträubten sich die Schuppen am Schwanz. Calmoro erkannte, dass sie rasiermesserscharf waren. Mit einem einzigen Hieb konnte ein solches Geschöpf einen ausgewachsenen Elefanten töten.

Die Tiere blähten die Nüstern und wandten die Köpfe in Calmoros Richtung.

Sein Magen krampfte sich zusammen. Er betrachtete den Schuppenkamm, der keilförmig zwischen den Nüstern endete.

Eines der Tiere zog die Nüstern unter den Schuppenkeil ein und demonstrierte Calmoro auf diese Weise eindrucksvoll, dass es auch das Gesicht panzern konnte.

Trotz der Entfernung - inzwischen nur noch knapp zweihundertfünfzig Meter - sah er, dass etwas mit den Augen der Tiere nicht stimmte. Das Licht brach sich an ihrer Oberfläche.

Bis es ihm klar war: Auch die Augen waren gepanzert! Nur war diese Panzerung durchsichtig wie Glas.

Calmoro wusste, dass die Tiere ihn gewittert hatten - genauso wie umgekehrt, aber sie machten ihre Reiter nicht darauf aufmerksam, die halbblind in der Umgebung umherschauten und immer wieder den Nebel verfluchten, weil er die Sicht so stark behinderte.

Von Calmoro wussten sie nichts.

Das Monster hätte sich rechtzeitig aus der Gefahrenzone bringen können, aber es dachte überhaupt nicht daran. Seine Neugierde war viel zu groß.

Hinter den Reitern, in einigem Abstand, tauchte der zweite Trupp auf. Die Vorhut bestand aus fünf Reitern, die zweite Gruppe aus insgesamt zehn.

Noch zweihundert Meter. Die Schwarzen waren vorsichtig.

Und jetzt konnte Calmoro genau verstehen, was sie miteinander sprachen.

»Die Grenze zum Drachenland ist rechts. Spürst du sie?«

»Natürlich, Dummkopf. Jeder spürt sie.«

Calmoro lauschte in sich hinein. Von was sprachen sie da? Er konnte nichts spüren. Fehlten ihm Fähigkeiten, die für diese da vorn selbstverständlich waren?

Oder lag es nur daran, weil er ein Fremder war in dieser phantastischen Welt?

»Die Grenze ist deutlich. Schwarz-Genev wird die verdammte Drachenbrut auslöschen.«

»Nicht ganz«, berichtigte ihn ein anderer. »Sie wird eine Menge Rekruten unter den Drachen finden. Willige Helfer im Krieg gegen das Gute.«

Eigentlich hatte Calmoro damit genug erfahren. Er war ein dämonisches Monster und ohne Zweifel waren die da vorn auf der Seite des Bösen.

»Ich freue mich schon darauf, diesen Mark Tate in die Finger zu bekommen. Soll er sich ruhig bei den Drachen verstecken. Es nutzt ihm nichts. Die sind sich untereinander noch so uneinig, dass sie keine Chance gegen unser Schreckensheer haben.«

Die Schwarzen lachten gemein.

Tatsächlich, einer sah so aus wie der andere. Sogar die Stimmen waren gleich.

Schreckensheer?

Hier bin ich richtig!, dachte Calmoro zerknirscht.

Und da wurde ihm klar, dass der Name Mark Tate gefallen war. Sein Erzfeind, dem es als einzigem beinahe gelungen wäre, ihn auszulöschen.

Calmoro fuhr die dolchähnlichen Krallen aus und zerkratzte damit den Felsen. Unter seinen Schuppen ballten sich zehn Zentner Muskeln. Er machte einen mächtigen Satz auf die Höllenreiter zu. Noch drei Sprünge und er hatte sie erreicht.

Sofort rissen sie ihre Schwerter heraus und als der wuchtige Schädel des grünen Schuppenmonsters vor ihnen auftauchte, schlugen sie blindlings zu.

Die Soldaten des Schreckensheers fragten nicht lange, sondern töteten erst, ehe sie sich mit den Absichten eines anderen beschäftigten.

Die Schwerter trafen den kantigen Kopf Calmoros, aber es trat ein, was er erwartete: Die trockenen Schuppen wirkten wie ein Panzer - wie bei den Reittieren, auf denen die Horrorreiter saßen. Die Schwerter prallten klirrend ab.

Monster Calmoro wischte einen der Reiter mit einem einzigen Prankenhieb von seinem Tier. Der Mann überschlug sich mehrmals in der Luft, ehe er mit verrenkten Gliedern am Boden landete. Calmoro achtete nicht auf den Leichnam, sondern grölte die anderen Reiter an: »Ich bin Calmoro der Schreckliche, auch der Älteste oder der Fresser genannt. Ich fresse meine Feinde mit Haut und Haaren und lasse nichts von ihnen übrig.«

Um es zu beweisen, nahm er sich den Leichnam und riss das grässliche Maul auf.

Die Höllenreiter schreckten unwillkürlich zurück.

Aber als Calmoro zubeißen wollte, überkam ihn ein unerklärlicher Widerwille. Er klappte das Maul wieder zu und stierte verdutzt auf den Toten.

Seine Pranken öffneten sich wie von allein.

Ein anderer fügte hinzu: »Einer von Gotauers Truppe, wie mir scheint.«

Suchend schaute er sich um. »Die anderen werden im Hintergrund lauern. Sie haben die Grenze überschritten, um uns zuvorzukommen.«

Er riss sein Schwert hoch und brüllte: »Metzelt diesen Calmoro nieder. Ich will sein Blut sehen!«

Kreischend warf sich die Horrorbande auf Calmoro. Angst schienen sie überhaupt keine zu kennen. Es kümmerte sie auch in keiner Weise, dass bereits einer von ihnen sein Leben gelassen hatte.

Sie wollten Calmoro vernichten und inzwischen war ihre Zahl immerhin auf etwa vierzig angewachsen.

Sie kamen von allen Richtungen.

Auf einmal kam es ihm unvorstellbar vor, was er eben hatte tun wollen. Es war so widerlich und schrecklich, dass ihm schwindelte.

Er schleuderte sein Opfer achtlos beiseite und nahm sich vor, später darüber nachzudenken, was sich in ihm so drastisch geändert hatte.

»Ich bin Calmoro der Schreckliche!«

Und es klang genauso angst einflössend wie zuvor.

»Ein Drache!«, entfuhr es einem der Höllenreiter.

Calmoro brüllte wütend, fuhr die Krallen aus und erwartete die Feinde.

Ja, merkten sie denn nicht, dass er auf ihrer Seite stand? Dass er ein Höllenmonster war - er, der Schrecken aller Lebenden, der Herrscher aller Sümpfe und Moore?

Es war ihnen gleichgültig. Er war ihnen im Weg und sollte dafür büßen.

Und das stachelte Calmoros Zorn so an, dass er sich schier ins Unendliche steigerte.

Zehn Zentner Muskeln bewegten tödliche Pranken. Schwerter klirrten auf seinen gepanzerten Leib. Calmoro peitschte mit dem Schuppenschwanz und riss damit drei Reiter vom Rücken ihrer Tiere.

Die Reittiere drehten sofort ab, als sie ihre Herren nicht mehr spürten. Sie hatten anscheinend wenig Interesse an dem Kampf und brachten sich schleunigst in Sicherheit.

Calmoro hatte keine Zeit, sich über die Intelligenz der Tiere zu wundern. Unbewusst schonte er sie und konzentrierte seinen Zorn nur auf die schwarzen Reiter.

Er mähte sie mit seinen Pranken nieder wie ein Bauer das Korn. Sie hatten keine Chance gegen das Schuppenmonster. Calmoro triumphierte auf der ganzen Linie. Er zerschmetterte die Gegner, er vernichtete sie. Er schleuderte sie von sich, wenn sie sich in seinen Krallen verhakten. Er ging gnadenlos vor, bis der Rest der Höllenreiter merkte, dass es aussichtslos blieb und sich schleunigst zurückzog.

In einigem Abstand verhielten sie. Jetzt konnten sie Calmoro zwar nicht mehr sehen, dafür sah aber das grüne Schuppenmonster ganz genau, was sie taten.

Einer befahl: »Sammelt die Vollhs ein!«

Aha, so hießen die Reittiere also.

Gerade als sich die Schwarzen auf den Weg machten, erscholl eine gewaltige Stimme. Sie kam von irgendwo hinter dem Nebel, an der Grenze zum Drachenland: »Verdammte Narren! Kann man euch nicht eine einzige Sekunde ohne Aufsicht lassen?«

Die Höllenreiter duckten sich unter der Allmacht dieser weiblichen Stimme.

»Schwarz-Genev!«, murmelten sie verstört.

Und Schwarz-Genev fuhr fort: »Ich habe euch befohlen, die Grenze zum Drachenland zu sichern, damit wir in breiter Front angreifen können und was tut ihr? Ich habe zwanzig Kämpfer verloren!«

»Der Drache hat...«, begann der Anführer der Truppe.

Schwarz-Genev raste vor Zorn und das äußerte sich in einem Sturm, der über sie hinwegbrauste und das ließ zusätzlich den Boden erzittern.

Welch eine Macht besaß diese Schwarze Hexe! Calmoro, das dämonische Monster, spürte so etwas wie Ehrfurcht. Noch nie zuvor hatte er solches erlebt. Und diese Hexe war der Feind von Mark Tate? Genauso wie er?

Mit Freuden würde er ihr dienen. Und sogleich jubelte er: »Schwarz-Genev, ich gehöre dir! Verfüge über mich!«

»Wer, zum Satan, bist du überhaupt?«

Calmoro hatte das untrügliche Gefühl, unsichtbare Augen würden über dem Nebel schweben, riesig groß und sie würden ihn abschätzend mustern.

Er wandte sich den Augen zu und brüllte, wie er es im Schreckensmoor getan hatte, um die Menschen in den Wahnsinn zu treiben.

»Ich bin Calmoro der Schreckliche, auch der Älteste und der Fresser genannt. Ich war der schlimmste unter allen grünen Schuppenmonstern der Welt. Wir haben einst die Sümpfe und Moore beherrscht, bis man sie größtenteils trocken legte, bis man modernes Zeug einsetzte, bis die Teufelsjäger kamen, um die Ordnung des Bösen zu stören.«

»Und wo war das alles?«

»Auf der Erde!«, sagte Calmoro wahrheitsgemäß.

Er konnte nicht verstehen, dass Genev nicht sofort darauf einging und dass eine Weile Ruhe folgte.

Geduldig wartete er.

Da meldete sich die Stimme wieder wie fernes Donnergrollen: »Wie lange bist du in diesem Land ORAN?«

»Seit Minuten erst.« Auch das entsprach der Wahrheit. »Ich bin der letzte meiner Rasse und nachdem ich meinem Erzfeind Mark Tate nur knapp entrann, gab es kein Opfer mehr für mich. Ich fraß mich selber auf, doch die magischen Gesetze sorgten dafür, dass ich nicht zu Tode kam, sondern hier landete.« Er deutete mit ausgestreckter Pranke zur Mulde hinüber. »Dort drüben tauchte ich ein in diese Welt ORAN.«

Ein Heulen kam auf, wie ferner Sturm, der Häuser abdecken konnte und auch die ältesten Bäume entwurzelte.

In der Tat, die Nebel gerieten in wallende Bewegung. Ein Etwas raste darüber hinweg, gedankenschnell, vielleicht an einen irdischen Düsenjet erinnernd, dass Calmoro unwillkürlich den kantigen Schädel einzog. Doch es war die Hexe und sie demonstrierte damit wieder mal ihre ungeheure Macht.

Ein theatralischer Auftritt und als Genev plötzlich vor Calmoro stand, konnte er gar nicht glauben, was er soeben erlebt hatte: Genev war eine schöne, schlanke, schwarzhaarige Frau, eine Menschenfrau, wie es schien.

Doch Calmoro durchschaute mit seinen Monstersinnen diese Maske! Genev war uralt, Tausende von Jahren vielleicht, schätzte er. Sie konnte jede beliebige Gestalt annehmen. Und auch ansonsten hatte sie die Macht eines großen Dämons.

Vielleicht des größten in dieser Welt ORAN?

Darüber täuschte ihr harmloses Aussehen keineswegs hinweg.

Und abermals bemerkte Calmoro, dass sich in ihm keine Gier nach der Frau regte. Früher wäre das anders gewesen. Er hätte sich blindlings auf sie gestürzt und hätte nichts dagegen zu tun vermocht.

Genev hätte ihn mit ihrer Macht in die Schranken verweisen müssen.

Doch jetzt betrachtete er sie mit unverhohlenem Interesse und wachem Verstand.

»Du bist also vorhin erst von der Erde gekommen? Unglaublich. Erzähle!«

Ihre Stimme klang einschmeichelnd, betörend, verführerisch.

Calmoro ahnte nicht einmal, dass das genaue Ebenbild von Schwarz-Genev, nämlich Weiß-Genev, als Vertreterin des Guten, einst die große Liebe von Mark Tate gewesen war. Er ahnte auch nichts von den Umständen, die Schwarz-Genev zur Todfeindin von Mark Tate machten - einmal ganz abgesehen davon, dass sie ihn allein schon in seiner Eigenschaft als Teufelsjäger hassen musste.

Weiß-Genev und Schwarz-Genev waren einst eine einzige Person gewesen, bis diese Person das unerklärliche Amulett mit Namen SCHAVALL gefunden hatte. Die Berührung mit dem Schavall hatte genügt, um die Persönlichkeit der Hexe Genev in zwei Persönlichkeiten zu spalten, wollte sie es überleben. Sie spaltete sich in eine gute und eine böse Hälfte. Zwei neue Wesen entstanden und Weiß-Genev wurde die Trägerin des Schavalls. Alle Schwarze Magie war von ihr gegangen.

Es war ein Vorgang gewesen, der Genev so stark zugesetzt hatte, dass sie sich später kaum noch daran erinnern konnte. Sie wusste auch lange Zeit nicht, dass ihr negatives Ich zu einem selbständigen Wesen geworden war, weil die Macht ihrer Schwarzen Magie nicht einfach im Nichts verschwinden konnte.

Schwarz-Genev hatte sich entwickeln müssen und Jahre später war es zum entscheidenden Kampf gekommen.

Zu einem Zeitpunkt, an dem Mark Tate bereits in das Leben von Weiß-Genev eingetreten war. Dank ihm endete der Kampf im Unentschieden. Beide Hexen wurden nach ORAN verbannt und Mark Tate wurde neuer Träger des Schavalls. Bis heute.

Nur waren inzwischen im Land ORAN Jahrhunderte vergangen, während Mark Tate auf der Erde nur wenige Jahre älter wurde. Er lernte May Harris kennen und überwand den Schmerz über den vermeintlichen Tod seiner großen Liebe Genev.

May Harris wurde seine Lebensgefährtin und mit ihr begann in seinem Leben ein neuer Abschnitt. Er gewann Freunde, eine Gruppe bildete sich um Mark Tate - die Teufelsjäger.

Bis ihn eines Tages eine fremde Macht nach ORAN entführte. Diese fremde Macht entpuppte sich als Weiß-Genev! Abermals musste Mark Tate ihr gegen ihr anderes Ich helfen: Schwarz-Genev bedrohte das Tal des Friedens, in dem Weiß-Genev eine neue Heimat gefunden hatte.

Der unfreiwillige Besuch in ORAN war ohne den Schavall erfolgt. Die Freunde von Mark Tate versuchten von der Erde aus, mit diesem Amulett Mark Tate zu befreien. Dabei erreichten sie nur, dass sich der Kampf um das Tal des Friedens zu Gunsten von Weiß-Genev entschied und die Diener der Apokalypse - niemand anderes als die Calmoro bereits bekannten schwarzen Horrorreiter - zurückdrängte.

Die alte Liebe war nicht wieder entflammt. Mark Tate hing zu sehr schon an May Harris und Weiß-Genev war Jahrhunderte ohne ihn ausgekommen und hatte sich dabei zu weit von ihm entfernt.

Beim Kampf war auch Don Cooper nach ORAN verschlagen worden.

Gemeinsam setzten sie ihren Weg in ORAN fort. Bis heute.

Während Schwarz-Genev voller Ehrgeiz nicht nur versuchte, ORAN zu unterjochen, sondern auch einen Weg zum Diesseits zu finden.

Ein weiterer Umstand, von dem Calmoro nichts ahnte. Deshalb erzählte er alles und ließ nichts aus.

Das Blitzen in den Augen der Dämonenhexe deutete er falsch.

Sie sah in ihm plötzlich eine Chance, ein Tor zur Erde zu öffnen und durch dieses Tor das Diesseits mit ihren Horrordienern zu überfallen. Sie würde die Menschen unterwerfen, sie terrorisieren und sie quälen. Sie würde den Menschen wahrlich die Hölle auf Erden bereiten.

Das war ihr teuflisches Ziel und Calmoro machte sich selbst zu ihrem Opfer.

Als er geendet hatte, lenkte sie geschickt von ihrer eigentlichen Absicht ab, indem sie sagte: »Du wirst ein würdiger Kämpfer in unseren Reihen sein, wenn wir Drachenland überfallen und Mark Tate endlich vernichten. Gemeinsam mit dir haben wir eine Chance. Zumal wir viele heimliche Verbündete in Drachenland finden werden, weil bis vor Stunden noch in Drachenland das Böse regiert hat.«

»Bis vor Stunden?«, echote Calmoro verständnislos.

»Ja!«, schnappte Genev. Und dann sagte sie nur zwei Worte: »Mark Tate!«

Das genügte. Calmoro der Schreckliche sah klar.

Der Zufall hatte ihn hierher verschlagen und schon zeichnete es sich ab, dass dieser Zufall es anscheinend sehr gut mit ihm gemeint hatte.

Er freute sich auf den bevorstehenden Kampf gegen seinen Erzfeind, weil er nicht wusste, was Genev danach mit ihm vor hatte...

4

»Wir müssen sofort einen Trupp bilden, der Näheres auskundschaftet!«, konstatierte ich.

Das riesige Zyklopenauge des Drachen Gotauer glotzte mich an.

»Nein«, sagte er knapp.

»Dann hast du vielleicht einen besseren Vorschlag?«, knirschte ich.

»Ja!«

»Nur zu!«

»Ich kenne die Stärke der angreifenden Armee, Mark Tate. Genev zieht ihr Heer auseinander, entlang der Grenze. Zweifelsohne will sie in breiter Front einmarschieren. Sobald sie selbst die Grenze überschritten hat, erforscht sie mit ihren magischen Sinnen Drachenland. Das kann sie und sie wird darüber hinaus sehr schnell Freund und Feind unterscheiden können. Es kommt sogar noch ein Umstand hinzu, Mark Tate und du kannst es dir gewiss denken: Die Sklaven des Bösen, erst aus der Sklaverei erwacht, um sich an den Unterdrückern blutig zu rächen, werden keine ernstzunehmender Gegner für Schwarz-Genev sein. Ganz im Gegenteil, Mark Tate: Sie werden von Genev mit Leichtigkeit unterjocht werden und sich gegen die Wenigen wenden, die vorher schon als Rebellen auf verlorenem Posten gewesen waren. Mit anderen Worten: Drachenland ist für Genev nicht schwer zu erobern!«

Ich knirschte mit den Zähnen. Nun schon zum zweiten Mal. »Das ist keine Antwort auf meine Frage, Gotauer. Es bleibt mein Vorschlag, einen Trupp zu entsenden. Dann haben wir einen Vorsprung: Wir müssen mit den Rebellen den Angriff stoppen, im Keim ersticken, ehe Genev ihre Kräfte wirksam werden lässt.«

»Also gut, Mark Tate, du wolltest unbedingt meinen Vorschlag hören. Aber er wird dir nicht gefallen.«

»Ich bin Kummer gewohnt.«

»Ich habe da an dich und deine Gefährten gedacht. So eine Art Vorhut.«

»Wie bitte?«

»Ihr werdet in der Nähe der Grenze gebracht, wie ihr es ursprünglich wolltet. Schwarz-Genev wird euch...«

»Als eine Art Lockvogel, wie? Was hast du vor, Gotauer? Willst du uns opfern, um damit Drachenland zu retten? Du verkalkulierst dich, glaube mir.«

»So war es nicht gemeint, Mark Tate, ehrlich. Gut, nenne es Lockvogel, aber meine Rebellen werden bereit stehen, um euch zu unterstützen.«

Ich wandte mich den Freunden zu. »Was haltet ihr davon?«

Don Cooper lachte heiser. Er spuckte auf den Boden. »Haben wir überhaupt eine andere Wahl, als Gotauer zu gehorchen?«

Ich schaute Gotauer an, diesen hundert Meter großen Koloss. Ich dachte an all die Millionen von Drachen in dieser Stadt...

Nein, wahrhaftig nicht!

Ein Klaps auf die Schulter von Derwin genügte. Er ging sofort auf Gotauer zu, mich auf seinem Pferderücken tragend.

Auf den ersten Blick sah es so aus, als würde er knapp vor mir auf einem Pferd hocken. Erst beim zweiten Blick bemerkte man, dass sein Oberkörper direkt aus dem Pferdeleib ragte.

Er war eine Kreuzung von Pferd und Mensch, ganz mit einem dichten braunen Fell bedeckt, mit einem schwarzen Pferdeschweif, einer Pferdemähne, die aus dem menschlichen Rücken wuchs und oben wie menschliches Haar wirkte. Derwin und Sarbrecht hatten bärtige, männliche Gesichter. Sie hatten starke Arme, die sie sehr wohl im Kampf zu gebrauchen wussten. Ein einziger Centaurus war so viel wert wie fünf menschliche Krieger. Das hatte die Erfahrung gezeigt.

Die Waffen, mit denen Derwin behängt war, klirrten leise.

Gotauer erhob sich ein wenig auf seinen stämmigen vier Beinen. Aus einer Brustfalte schnellten die beiden Tentakel. Sie waren dick und erinnerten an silberne Riesenschlangen, die vorn anstatt Köpfe menschenähnliche Hände hatten.

Starke Hände, die Derwin und mich spielend packten und auf den Rücken Gotauers hoben.

Es war nicht das erste Mal, dass wir auf ihm ritten. Ich setzte von Derwin ab und legte mich neben den Knochenkamm.

Sarbrecht und Don Cooper folgten. Auch sie hielten sich am Knochenkamm fest.

Es wurde kein Wort mehr gesprochen.

Gotauer erhob sich auf magische Weise. Es war gespenstisch anzusehen, dass er ohne Flügel fliegen konnte.

Während wir empor schwebten, füllte sich der leere Platz mit Drachen.

Auch sie schwiegen. Sie wussten jetzt, dass sie zu früh gejubelt hatten.

Wir auch.

Gotauer trug uns zum Himmel empor, bis die Stadt so tief unter uns lag, dass wir keine Einzelheiten mehr ausmachen konnten.

Drachenland war ein Bestandteil von Nebelland. So weit das Auge reichte, wurde alles vom Nebel bedeckt. Nur die Stadt wurde ausgespart. Über sie zogen Nebelschleier wie Geisterhände, die vergeblich versuchten, die Stadt ganz zu verhüllen.

Ich spürte einen Kloß im Hals und dachte an das, was uns bevor stand.

Gotauer blieb über der Stadt und er stieg so hoch, dass er den ORAN-Himmel erreichte.

Wir kannten es schon: ORAN wurde von einem Himmel überspannt, wie von einer Haut. Gotauer war das einzige ORAN-Geschöpf, das diese Haut durchstoßen konnte.

Er stieß dagegen. Wir spürten den Widerstand.

Die Haut platzte und ließ Gotauer durch.

Für die Blicke seiner Drachen löste er sich in Nichts auf. In Wirklichkeit schloss sich die Himmelshaut hinter uns ohne Narbe. Das diffuse Rot, aus dem der ORAN-Himmel meist bestand, umgab uns.

Ich dachte an die Erläuterungen Gotauers, dass weiter über uns das Chaos begann. Dort war nichts wirksam. Dort verlor sich der Geist im Nichts und es gab keine Rückkehr mehr.

Gotauer bildete auch in dieser Hinsicht eine seltene Ausnahme, denn er hatte dort bereits kurz geweilt und hatte es geschafft, dem Wahnsinn zu entrinnen.

»Wir reiten auf den Himmelsströmungen«, erläuterte er knapp. Das bedeutete nichts anderes, als dass er sich auf der Himmelshaut niederließ.

Ich wusste aus Erfahrung, dass sie nicht greifbar war, sondern wie ein Kraftfeld wirkte.

In der Tat, wir konnten Drachenstadt wie durch einen Schleier sehen und die Stadt zog langsam vorüber.

Wir bewegten uns mit den genannten Himmelsströmungen und Gotauer fügte noch hinzu: »Schwarz-Genev wird uns nicht bemerken, denn dieser Bereich ist selbst für sie tabu.«

»Was ist mit deinen Rebellen, Gotauer?«, fragte ich ihn. »Du willst uns Genev zum Fraß vorwerfen und dann deine Rebellen angreifen lassen?«

»Überlasse es mir, Mark Tate. Ich weiß, was zu tun ist. Oder vertraust du mir nicht?«

Nein!, hätte ich am liebsten geantwortet, aber ich verkniff es mir. Gotauer blieb rätselhaft und listig. Seine Entscheidungen waren undurchschaubar. Seit unserer ersten Begegnung waren wir sein Werkzeug gewesen.

In mir wollte der Verdacht aufkeimen, dass er womöglich Schwarz-Genev extra herbeigerufen hatte. Unseretwegen.

Aber das ergab keinen Sinn. Wahrscheinlich würde er Drachenland niemals unseretwegen einer Gefahr aussetzen.

Ich hing meinen Gedanken nach und beteiligte mich an keinem Gespräch zwischen den Gefährten.

Düster überschatteten die Erinnerungen an Schwarz-Genev diese Gedanken und machten sie noch schwerer und unheilvoller.

Wir erreichten das Ziel, das Gotauer für uns ausgedacht hatte. Ich verschob alle Gedanken auf später und beugte mich zur Seite, um an dem mächtigen Leib von Gotauer vorbei etwas zu erkennen.

Tief unter uns war ein Nebelmeer, so weit das Auge reichte. Keine Einzelheiten der Bodenformationen waren zu sehen. Alles erschien völlig eben. Der Nebel füllte jede Vertiefung und deckte alles zu.

»Ich werde euch etwas zeigen«, versprach Gotauer. Mit den Beinen zerriss er die Himmelshaut von ORAN und brach durch das entstandene Loch hindurch.

Wir klammerten uns fest, um von dem plötzlichen Ruck nicht abgeworfen zu werden.

Wir fielen ein Stück. Höhenwind wehte uns um die Ohren.

»Schaut nach vorn!«, forderte Gotauer uns auf.

Wir taten es. Immer noch, so weit das Auge reichte, nur dieses Nebelmeer.

»Alles ist Drachenland. Es scheint kein Ende zu geben und - keine Grenze. Drachenland ist in sich geschlossen.«

Gotauer hatte den Sturz längst abgefangen und flog geradeaus weiter.

»Spürt ihr was?«

»Ich nicht!«, sagte ich knapp und ärgerlich.

»Die Grenze ist da, aber sie bleibt unsichtbar. Für jeden, außer für den Kenner.«

»Und du bist so ein Kenner, nicht wahr?«, fragte ich bissig.

Gotauer ließ sich nicht provozieren.

»Auch Schwarz-Genev wird diese Erfahrung machen. Wenn wir ihr Zeit lassen, wird sie lernen und einen Ausweg finden. Wenn nicht, bleibt sie hier so gefangen, wie überhaupt in ORAN. Ihre Bewegungsfreiheit wird stark eingeengt. Sie wird zunächst den Eindruck haben, auch hier nach einem Tor suchen zu müssen, um in die Welt dort draußen zu gelangen.«

»Woher hast du eigentlich all dein Wissen?«, fragte ich.

»Es gilt, diesen Umstand zu nutzen«, fuhr Gotauer unbeirrt fort, als hätte ich überhaupt nicht gefragt. »Wir sind deshalb hier, Mark Tate. Wir müssen Schwarz-Genev so locken, dass sie merkt, welche Gefahr auf sie wartet. Dann wird sie zögern, Drachenland zu betreten und zunächst ihr Schreckensheer schicken.«

Mir fiel es wie Schuppen von den Augen.

»Moment mal...« Ich brach wieder ab.

Gotauer lachte! Ein lachender Drachen, der geradeaus weiterflog, immer schneller werdend. Wir spürten es am zerrenden Fahrtwind.

»Zunächst haben wir uns in dieser Richtung von Drachenstadt entfernt; aber inzwischen nähern wir uns wieder. Drachenland ist eine in sich geschlossene Sphäre, wahrlich.«

Gotauer ging tiefer. Wir verloren so rasch an Höhe, dass unsere Ohren sausten.

Gotauer kannte kein Erbarmen mit uns.

Etwa zweihundert Meter über der Oberfläche änderte er seine Taktik. Er stoppte den Sinkflug und drehte sich in der Luft halb um sich selbst.

»Haltet euch gut fest!«, ermahnte er. Das brauchte er nicht zweimal zu sagen. Wir taten es längst schon.

Ich blickte fasziniert auf die schwellenden Oberarme Dons. Seine Bizeps erschienen so dick wie Fußbälle. Ohne ein Gramm Fett. Man konnte einzelne Muskelfasern zählen, so lange der Bizeps so stark angespannt war.

Kopfschüttelnd sah ich nach vorn.

Gotauer streckte den monströsen Schädel mit dem einzigen Auge vor. Er öffnete das weite Maul und stieß ein Kreischen aus.

Dann raste er vorwärts, mit einer wahnwitzigen Beschleunigung, die mich beinahe den Halt verlieren ließ, obwohl ich mich mit aller Kraft an dem Knochenkamm auf seinem Rücken festklammerte.

Im nächsten Augenblick riss die Welt entzwei. Anders konnte ich es nicht bezeichnen. Das Bild der Welt zerbarst. Ein Loch entstand, ausgefranst, ausgezackt, erschreckend. Ein Tor wie zu einer anderen Welt.

Und das war es tatsächlich auch.

Es war ein Tor von Drachenland zu einem anderen Gebiet in ORAN. Die zitierte Grenze. Von außen kam man ohne Schwierigkeiten herein, aber von innen anscheinend nur mit Brachialgewalt. So wie Gotauer mit uns auf seinem Rücken.

Er schlüpfte durch das Loch, das sich sogleich hinter uns wieder schloss.

Das Bild hinter uns war wieder wie zuvor: In dieser Richtung ging es nach Drachenstadt, irgendwo weit in der Ferne. Aber vor uns hatte sich die Welt verändert. Zwar war der Boden nach wie vor mit Nebel bedeckt, aber ein Schock raste durch meinen Körper, dass ich meinte, es würde mich zerreißen. Auf einmal wirkte alles verkehrt, alptraumhaft verzerrt.

Hatte ich mich schon so weit an Drachenland und seine Gesetze angepasst, dass ich jetzt Anpassungsschwierigkeiten hatte?

Es war nur vorübergehend. Im nächsten Augenblick erschien alles wieder normal. Dies war es mitnichten! Gotauer war verändert! Er war nicht mehr so groß, sondern schien um die Hälfte geschrumpft.

Zwar hatte er keine Schwierigkeiten, sich mit seiner Last in der Luft zu halten, aber sein Flug war taumelnd, als hätte er viel mehr zu kämpfen als wir.

Eine andere Sphäre mit einer anderen Gesetzesmäßigkeit. Das deckte sich ganz mit unseren Erfahrungen.

Und die spezielle Fähigkeit von Menschen in ORAN war es, sich praktisch an jede Sphäre in relativ kurzer Zeit anpassen zu können. Aber auch Gotauer erholte sich rasch. Um die Hälfte verkleinert! Es war zu phantastisch, um weiter darüber nachzudenken.

Sogleich beschrieb Gotauer einen Bogen und kehrte wieder zurück.

Jedenfalls war das seine Absicht. Auf einmal entstand tief unter uns ein Glühen. Der Nebel riss auf wie ein Vorhang, den jemand öffnete, um Licht hindurch zu lassen.

In der Tat, es war Licht: ein mächtiger Blitz, der empor zuckte und Gotauer genau in den Bauch traf.

Ich spürte die Hitze unter meinen Händen. Gotauer glühte wie im Fieber, aber seine Flugfähigkeiten waren kaum beeinträchtigt. Er wollte zur Grenze zurück.

In meinem Kopf war auf einmal ein unangenehmes Tasten. Ich dachte sogleich an den Schavall. Seit damals, als sich der Kampf um das Tal des Friedens entschied, befand sich der Schavall, jenes geheimnisvolle Amulett aus fernster Vergangenheit, IN MEINEM KOPF! Anders hätte es sich in ORAN nicht halten können. Ich hatte mich bereits an diese jenseitige Welt angepasst und der Schavall konnte es in mir.

Ich war überzeugt, dass er diese Welt sofort verlassen musste, falls ich zu Tode kam oder die Trennung sonst wie geschah.

Aber es war diesmal nicht der Schavall, der sich meldete, sondern etwas anderes. Es war bösartig, gefährlich, gemein...

Schwarz-Genev!

Das Tasten war nur Sekundenbruchteile lang erfolgt, hinterließ jedoch schmerzhafte Spuren.

Und es erzeugte eine Reaktion beim Schavall.

Ich spürte ihn in der Form eines neuen Schmerzes.

»Mark Tate!«, erscholl eine mächtige Stimme, wie Donnergrollen. Ich sah, dass der Nebel weiter aufriss. Dort unten tobten höllische Energien.

Schwarz-Genev war so stark wie zuvor, obwohl sie den Krieg gegen Karta-ahn verloren hatte. Nur ihr Schreckensheer war gewaltig dezimiert.

Oder hatte sie inzwischen neue Rekruten bekommen?

Ich hatte keine Ahnung und auch wenig Zeit, darüber nachzudenken. Genev schickte einen weiteren Blitz hinterher, der Gotauer traf.

Der Drache brüllte auf. Sein Körper begann zu leuchten.

Da spürte ich die Grenze nach Drachenland. Sogar hier in der Luft. Aus dieser Richtung kommend hatte ich keine Schwierigkeiten damit.

Wir erreichten die Grenze rechtzeitig. Der dritte Blitz ging ins Leere.

Doch Gotauer schrie weiter. Er sank rasch dem Boden zu und ich begriff, dass dies gegen seinen Willen geschah. Er war schwer angeschlagen von der Magie der Schwarzen Dämonenhexe.

Ich erwartete einen mörderischen Aufprall und schmiegte mich eng gegen den Rücken des Drachen.

Der Aufprall blieb uns erspart. Irgendwie gelang es Gotauer im letzten Moment, den Sturz abzufangen und weich zu landen.

Wir tauchten in den alles bedeckenden Nebel von Nebelland. Die Bewegung stoppte.

Gotauer lachte wieder.

Ich hasste dieses Lachen, mit dem er Gegner verunsicherte und Verbündete zur Weißglut brachte. Aber es gehörte zu seinem rätselhaften Verhalten wie alles andere.

Gotauer war ein geheimnisumwittertes Wesen. Als das Böse noch in Drachenland regiert hatte, war er nichts weiter als ein Sklave gewesen.

Aber ein Sklave mit ungewöhnlicher Aufgabe: Gotauer war so etwas wie ein Großcomputer gewesen. In ihm war sämtliches Wissen gespeichert. Er nahm sämtliche Berechnungen vor, gehorchte seinen Herren in allem, was spezielles Denken erforderte.

Er war Bibliothek, Computer, ›Verwaltungshirn‹ und wissenschaftlicher Berater in einem und dabei stets ohne eigenen Willen. Ein gehorsames Werkzeug für die Herrschenden.

Und dann hatte die Magie von Drachenland Störungen erfahren - durch die Machenschaften von Genev, die Auswirkungen im gesamten ORAN hatten. Viele Sklaven waren aus der Unterdrückung erwacht und wurden zu Rebellen. Auch Gotauer. Er wurde dank seiner überlegenen Intelligenz und dank seines Wissens zum Rebellenführer.

»Ihr könnt ruhig oben bleiben«, sagte er. »Es ist überstanden. Die Hexe meint, sie hätte mir schaden können, aber sie irrt. Es war ein großartiges Schauspiel, findet ihr nicht? Sie glaubt, ich wollte euch hinaus bringen und ihr wäret dabei fast in die Falle gegangen und jetzt wird sie versuchen, uns hier zu holen. Wir warten!« Das fügte er noch hinzu und es klang so überlegen, dass ich mich fragte, woher er diese Überlegenheit nahm.

Was ging in diesem Drachengehirn wieder Schreckliches vor?

Etwas erschütterte den Boden. Ein fernes Brausen entstand, das irgendwo seinen Anfang nahm, eine breite Front bildete, die sich rasch veränderte.

Ein brausender Keil entstand, der auf uns zu raste.

Gotauer lachte amüsiert, während sich mir die Nackenhaare sträubten. Ich schaute nach Don. Der Freund erschien nach außen hin ruhig, ja, gelassen. Er blickte über Gotauer hinweg in Richtung dieses Brausens.

Was da wirklich nahte, wurde vom Nebel verborgen.

Gotauer sagte es uns: »Die Armee des Schreckens!«

Was war daran erheiternd? War Gotauer jetzt völlig übergeschnappt?

»Mit seiner Führerin Genev?«

»Natürlich nicht«, antwortete Gotauer prompt. »Genev hält sich zurück, aber ihre magischen Sinne begleiten die Höllenkrieger.«

Das Brausen wurde zum Donnern ungezählter Beine. Beine von Vollhs! Ich kannte diese Fabelwesen aus dem Krieg um Karta-ahn.

Wenn sie von ihren Reitern geführt wurden, waren sie höllisch gefährlich, obwohl sie im Grunde genommen friedlich, ja, harmlos waren. Wir hatten nach dem Krieg die Vollhs eingesammelt, aber die Karta-ahner hätten niemals Tiere zum Reiten benutzt. Wenigstens nicht auf Dauer. Das widersprach ihrem Ethos. Die Karta-ahner waren hundertprozentige Vegetarier und verehrten das Leben.

»Sie sind bald da!«, sagte Derwin mit belegter Zunge.

Sarbrecht schnaubte nur. Er tastete nach seinem Schwert.

Don hatte das seinige längst in den Händen, wie ich jetzt erst entdeckte.

Da tauchte vor uns im Nebel die Angriffsspitze auf: Ein Trupp von zehn Reitern.

Unser Anblick mochte für sie genauso überraschend sein wie umgekehrt. Wahrscheinlich war der Nebel für Gotauer kein Hindernis, aber für alle anderen Beteiligten.

Gotauer hatte sie bereits erwartet. Seine Tentakelarme schnellten vor und schlugen zu. Ein einziger Hieb der beiden dicken Silberarme genügte, um die Reiter von ihren Vollhs zu fegen.

Nur die Hälfte überlebte das. Der Rest der Reiter kam wie Katzen am Boden auf, überschlug sich ein paar mal und landete auf den Beinen, die Schwerter erhoben.

Sie wollten sich auf den riesigen Leib von Gotauer stürzen, der jetzt wieder auf seine einstige Größe angewachsen war.

Die nächsten Angreifer kamen. Sie ergossen sich wie ein Sturzbach aus dem dichten Nebel.

Don Cooper ließ einen wilden Kampfschrei hören und sprang mit einem einzigen Satz vom Rücken des Drachen. Noch im Flug wirbelte er sein Heiliges Schwert über den Kopf und hackte in die Reihe der Angreifer hinein.

Ein wilder Kampf entstand. Ein Getümmel ohnegleichen, als sich die Höllenreiter auf den Helden stürzten.

Don führte einsam sein Schwert, während die Schuppententakel anderweitig beschäftigt waren. Jetzt hielten die beiden menschenähnlichen Hände erbeutete Schwerter, mit denen sie kämpften.

Dort, wo die Schwerter der Angreifer die Arme trafen, entstanden nicht einmal Kratzer. Nur die Hände waren gefährdet.

Doch Gotauer blieb auf der Hut.

Wir konnten nicht länger zuschauen, sondern mussten in den Kampf eingreifen. Er war zu ungleich. Selbst ein Held wie Don musste gegen eine solche mörderische Übermacht unterliegen.

Wir dachten nicht daran, dass sich mit uns die Aussichten auf Erfolg nur unwesentlich vergrößerten, sondern sprangen ebenfalls vom Rücken des Drachen.

Sarbrecht und Derwin machten einen gewaltigen Satz. Da konnte ich nicht mithalten. Ich landete unweit des mächtigen Körpers von Gotauer, überschlug mich zweimal und kam auf den Beinen auf.

Das Schwert hatte ich in beiden Händen.

Sofort wurde ich von drei Schwarzen Reitern bedrängt.

Derwin preschte heran. Er hielt in seinen Händen einen Morgenstern. Damit kämpfte er am liebsten. Es war eine furchtbare Waffe mit der dornenbewehrten Kugel an der kurzen Kette. Sie zischte hin und her. Die Kette wickelte sich um eine Schwertschneide und riss das Schwert aus dem Griff eines Schwarzen Reiters.

Das Schwert wirbelte davon, während der Morgenstern einen Bogen beschrieb und auf dem Kopf des Schwarzen landete.

Tot sank der Angreifer von seinem Vollh, das sofort abdrehte und jedes Interesse an einer Fortführung des Kampfes verlor.

Ich hatte immer noch zwei Gegner, sprang vor das eine Vollh, dass es scheuend mit der Vorderhand hochstieg, tauchte darunter hindurch und kam auf der Seite heraus, wo mich der Reiter nicht vermutete.

Die Klinge meines Schwertes zischte durch die Luft. Ich traf den Reiter in der Seite, spaltete die Lederrüstung und fügte ihm eine Schnittwunde zu.

Es war zu wenig, um ihn außer Gefecht zu setzen.

Er schlug seinerseits zu. Ich duckte mich rechtzeitig und stieß beim Aufrichten das Schwert nach oben.

Diesmal hatte ich mehr Erfolg. Die Schwertspitze durchdrang mühelos die Deckung des Reiters und traf den Hals unterhalb des Lederhelms.

Ein gurgelnder Laut.

Ich wirbelte herum und schwang dabei das Schwert. Aus der Drehung heraus schlug ich nach dem zweiten Gegner, der in diesem Augenblick hinter mir auftauchte.

Unsere Schwertklingen kreuzten sich scheppernd. Ich zog das Schwert zurück, hieb zum zweiten Mal zu.

Abermals dieses Scheppern.

Ich trat gegen den Lederbauch des Vollhs, wohl wissend, dass dies die Tiere ganz und gar nicht vertrugen.

Das Vollh scheute, aber schon richtete es seinen Schwanz auf. Die Schuppen sträubten sich. Jetzt waren sie so gefährlich wie zwanzig Rasiermesser. Wenn das Vollh nach mir schlug...

Ich sprang zurück und ließ das Schwert des Gegners ins Leere zischen. Auch der Schwanz des Vollhs verfehlte mich knapp.

Ein Schrei.

Unwillkürlich blickte ich zur Seite.

Es war Derwin. Er warf mir einen Dolch zu - mit dem Griff nach vorn.

Mit der freien Hand fing ich geschickt und aus der Bewegung heraus schleuderte ich das Messer in das ungeschützte Gesicht des Teufelsdieners.

Derwin preschte näher, als ihm durch den Schwanz des Vollhs keine Gefahr mehr drohte. Ich schwang mich blitzschnell auf seinen Pferderücken. Er galoppierte weiter.

Im Grunde genommen hatten wir gegen die Reiter der Apokalypse keine Chance. Aber wir hatten eine geringe Möglichkeit, wenn wir in der Nähe von Don blieben. Es musste uns gelingen, seine Kampfkraft zu erhöhen, indem wir ihm den Rücken freihielten.

Das war unsere Absicht.

Wir taten es, ohne uns vorher abzusprechen. Wie zwei Freunde, die seit Jahren nichts anderes taten, als gemeinsam gegen die Schwarzen Reiter zu kämpfen.

Don warf uns einen dankbaren Blick zu. Er wurde von einer Traube von Schwarzen Reitern umgeben. Sie kannten keine Todesfurcht. Für sie gab es nur eine Bestimmung: Töten! Wenn sie dabei selber ums Leben kamen, war das nur eine Erlösung von ihrem schrecklichen Dasein als Sklaven der Dämonenhexe Genev.

Es war so etwas wie die Befreiung vom Joch.

Eine andere Befreiungsmöglichkeit gab es nicht mehr. Dafür waren sie Genev zu sehr verfallen.

Einer der Schwarzen hob die Lanze. Er befand sich im Rücken von Don, der alle Hände voll zu tun hatte. Drei Schwerter streckten sich ihm gleichzeitig entgegen. Eines zerteilte er mit der scharfen Klinge seines Heiligen Schwertes. Die anderen beiden wehrte er ab. Er wirbelte empor und holte mit einem einzigen Streich die drei Gegner vom Rücken ihrer Vollhs.

Der Horrordiener wollte seine Lanze schleudern, aber ich schickte rechtzeitig mein Schwert auf die Reise und gebrauchte es ebenfalls wie eine Lanze.

Es traf sein Ziel und tötete den Meuchelmörder.

Aber jetzt hatte ich kein Schwert mehr.