Affektfokussierte psychodynamische Psychotherapie - Leigh McCullough - E-Book

Affektfokussierte psychodynamische Psychotherapie E-Book

Leigh McCullough

0,0

Beschreibung

Die affektfokussierte Psychotherapie ist ein evidenzbasiertes Verfahren, in dessen Zentrum die Behandlung von Affektphobien bzw. konflikthaften Emotionen steht. Das Manual zeigt, wie durch die Konfrontation mit abgewehrten Gefühlen (Affektexposition) auch chronische Störungen erfolgreich behandelt werden können. Dargestellt werden die theoretischen Grundlagen, Diagnostik und Formulierung der Psychodynamik sowie die Umstrukturierung der Abwehr, der Affekte und der Selbst- und Objektvorstellungen. Jedes Kapitel ermöglicht die Überprüfung der Lernfortschritte durch konkrete Übungen und Tests.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 702

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Autorinnen und Autoren

 

Leigh McCullough, PhD, war bis zu ihrem Tod 2012 Associate Clinical Professor and Director des Psychotherapy Research Program der Harvard Medical School (Boston, Massachusetts) und Gastprofessorin an der University of Science and Technology (Trondheim, Norwegen). Sie war 1996 Voorhees Distinguished Professor an der Menninger Klinik und erhielt 1996 den Michael-Franz-Basch-Preis des Silvan Tomkins Institute für ihre Beiträge zur Affektforschung in der Psychotherapie. Dr. McCullough war Mitherausgeberin der Zeitschriften Psychotherapy Research und Journal of Brief Therapy. Sie hielt weltweit Seminare zum Thema short-term dynamic psychotherapy (STDP).

     Nat (Nathaniel S.) Kuhn, MD, PhD, ist Dozent für Psychiatrie und Assistant Director des Psychotherapy Research Program der Harvard Medical School. Er unterrichtet STDP und gibt Supervisionen am Cambridge Hospital und andernorts. Dr. Kuhn hat eine Praxis für Psychotherapie und Psychiatrie bei Boston und eine eigene Webseite (www.natkuhn.com). Vor dem Studium der Medizin war er Mathematiker.

     Stuart Andrews, PhD, ist Psychotherapeut in eigener Praxis in Brookline, Massachusetts, und Assistant Director des Psychotherapy Research Program der Harvard Medical School. Er hat Vorträge auf internationalen Konferenzen gehalten und führt STDP-Trainingsseminare durch. Er hat Kliniker und Studierende unterrichtet und supervidiert und mehrere Artikel zum Thema integrative Psychotherapie und STDP veröffentlicht. Andrews ist Leiter des Center for Families in Transition, wo sein Programm »For the Sake of the Children« für Eltern, die sich scheiden lassen, von zahlreichen Gemeinden in Massachusetts angeboten wird.

     Dr. Amelia Kaplan Romanowsky, PsyD, ist eine in Harvard ausgebildete Klinische Psychologin, Therapeutin, Autorin, Dozentin und Coachin. Für ihre wissenschaftliche Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Sie ist darauf spezialisiert, Erwachsenen und Paaren bei der Vertiefung von Beziehung und Intimität zu helfen, und betreibt eine Privatpraxis in Maplewood, NJ.

     Jonathan Wolf, MD, war drei Jahre lang Mitglied des Psychotherapy Research Program. Nach Abschluss des Studiums an der Boston University School of Medicine trat er seine Facharztausbildung im Rahmen des Ausbildungsprogramms Harvard Longwood Psychiatry Residency an.

     Cara Lanza Hurley, PhD, promovierte 2005 in Klinischer Psychologie an der Loyola Universität Chicago.

Der Übersetzer

 

Matthias Michal, Univ.-Prof. Dr. med., Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Professur für Psychokardiologie und Stressverarbeitung, Stellvertreter des Direktors der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz, Dozent am Weiterbildungsstudiengang Psychodynamische Psychotherapie der Universität Mainz. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die stationäre multimodale Psychotherapie, der psychosomatische Konsil-Liaisondienst, die Psychokardiologie und das Depersonalisations-Derealisationssyndrom.

Leigh McCullough, Nat Kuhn, Stuart Andrews, Amelia Kaplan Romanowsky, Jonathan Wolf, Cara Lanza Hurley

Affektfokussierte psychodynamische Psychotherapie

Ein integratives Manual zur Behandlung von Affektphobien

Übersetzt von Matthias Michal. Mit einem Geleitwort von Thomas Heidenreich und einer Einführung von Matthias Michal

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten, d. h. u. a. Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen, verändern sich fortlaufend durch klinische Erfahrung, pharmakologische Forschung und Änderung von Produktionsverfahren. Verlag und Autor haben große Sorgfalt darauf gelegt, dass alle in diesem Buch gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, können Verlag und Autoren hierfür jedoch keine Gewähr und Haftung übernehmen. Jeder Benutzer ist daher dringend angehalten, die gemachten Angaben, insbesondere in Hinsicht auf Arzneimittelnamen, enthaltene Wirkstoffe, spezifische Anwendungsbereiche und Dosierungen anhand des Medikamentenbeipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen und in eigener Verantwortung im Bereich der Patientenversorgung zu handeln. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

Dieses Werk enthält Hinweise/Links zu externen Websites Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat und die der Haftung der jeweiligen Seitenanbieter oder -betreiber unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verlinkung wurden die externen Websites auf mögliche Rechtverstöße überprüft und dabei keine Rechtsverletzung festgestellt. Ohne konkrete Hinweise auf eine solche Rechtsverletzung ist eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten nicht zumutbar. Sollten jedoch Rechtverletzungen bekannt werden, werden die betroffenen externen Links unverzüglich entfernt.

 

Aus dem Englischen übersetzt von Matthias Michal.

 

Englische Originalausgabe: Treating Affect Phobia: A Manual for Short-Term Dynamic Psychotherapy. The Guilford Press, New York and London.

Alle Rechte vorbehalten

© 2003 Leigh McCullough

Published by arrangement with The Guilford Press

Für die deutsche Ausgabe:

1. Auflage 2019

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-031699-7

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-031700-0

epub:    ISBN 978-3-17-031701-7

mobi:    ISBN 978-3-17-031702-4

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

 

 

 

 

Unseren Patienten und Mentoren

Inhalt

 

 

Vorwort und Danksagung

Geleitwort zur deutschen Übersetzung

Eine kurze Einführung für die Leser der deutschen Übersetzung

Einleitung

Teil I: Theorie, Diagnostik und Fallformulierung

1   Affekte und Affektphobien in der STDP

1.1   Was ist eine Affektphobie?

1.2   Warum fokussiert diese Behandlungsmethode auf den Affekt?

1.3   Definition und Klassifikation der Affekte

1.4   Adaptiver versus maladaptiver Affektausdruck

1.5   Die Entwicklung und Behandlung von Affektphobien: Eine Einführung

1.6   Die Bedeutung der Angstregulation

1.7   Therapieziele

1.8   Übungen

2   Affektphobie, Psychodynamischer Konflikt und Malans zwei Dreiecke

2.1   Neuformulierung des psychodynamischen Konflikts als Affektphobie

2.2   Affektphobien mit Hilfe des Konflikt- und des Personendreiecks verstehen

2.3   Wichtige Unterscheidungen zwischen Gefühlen

2.4   Die Umstrukturierung von Affektphobien mittels systematischer Desensibilisierung: Die wichtigsten Behandlungsziele

2.5   Übungen

3   Diagnostik und Behandlungsplanung

3.1   Überblick über die Eingangsdiagnostik

3.2   Die Bedeutung der Multiaxialen Diagnose für die Behandlungsplanung

3.3   Anwendung der Skala zur Erfassung des Globalen Funktionsniveaus (GAF)

3.4   Indikationen und Kontraindikationen für die affektfokussierte STDP

3.5   Verwendung der GAF-Skala für die personalisierte Behandlungsplanung nutzen

3.6   Das supportiv-explorative Kontinuum der Interventionen

3.7   Übungen

4   Wie man einen zentralen psychodynamischen Konflikt formuliert: Affektphobien erfassen

4.1   Der Prozess der Formulierung: Ein Überblick

4.2   Identifizierung der Abwehr: Wie werden adaptive Gefühle vermieden?

4.3   Identifizierung der adaptiven aktivierenden Gefühle: Welche Gefühle machen Angst und werden vermieden?

4.4   Identifizierung der inhibitorischen Ängste: Warum werden adaptiven Gefühle vermieden?

4.5   Zusammenfassung der affektphobischen Muster

4.6   Beispiele für die Formulierung der zentralen Konflikte

4.7   Typische Stolpersteine bei der Formulierung des zentralen Konflikts

4.8   Rekapitulation im Dienste der Überarbeitung und Weiterentwicklung der Konfliktformulierung

4.9   Übungen

Teil II: Umstrukturierung der Abwehr und Affekte

Einführung in Teil II

5   Erkennen der Abwehr

5.1   Erkennen der Abwehr: Ein Überblick

5.2   Aufzeigen der Abwehr gegen die phobisch gefürchteten Affekte

5.3   Validierung der Abwehr

5.4   Ressourcenorientierung: Individuelle Stärken neben der Abwehr aufzeigen

5.5   Umgang mit schwierigen Abwehrmechanismen

5.6   Sich wiederholende Interventionen, bis die Abwehr bewusst gemacht wurde

5.7   Übungen

6   Aufgeben der Abwehr

6.1   Aufgeben der Abwehr: Ein Überblick

6.2   Die Konsequenzen der Abwehr identifizieren: Kosten und Nutzen

6.3   Den Ursprung der Abwehr von den aufrechterhaltenden Faktoren unterscheiden: Damals und Heute

6.4   Verluste betrauern, die auf die Einschränkung durch die Abwehr zurückgehen

6.5   Mitgefühl aufbauen, wenn Trauer fehlt

6.6   Den sekundären Krankheitsgewinn identifizieren: Verborgene Bedeutungen und Belohnungen

6.7   Wiederholende Interventionen, um die Motivation zum Aufgeben der Abwehr zu verstärken

6.8   Übungen

7   Affekte erleben

7.1   Affekte erleben: Ein Überblick

7.2   Exposition der phobischen Gefühle/gefürchteten Affekte

7.3   Reaktionsverhinderung: Umstrukturierung der Abwehr soweit wie notwendig

7.4   Schwierigkeiten beim Erleben der Affekte

7.5   Wiederholende Interventionen bis zur erfolgreichen Desensibilisierung der Affektphobie

7.6   Häufige Fragen

7.7   Übungen

8   Affekte ausdrücken

8.1   Affektausdruck: Ein Überblick

8.2   Der Aufbau expressiver und rezeptiver Fähigkeiten

8.3   Zwischenmenschliche Konflikte ertragen

8.4   Gefühle integrieren

8.5   Rollenspiel schwieriger Interaktionen

8.6   Psychoedukation als Unterstützung beim Affektausdruck

8.7   Typische Schwierigkeiten

8.8   Üben und Wiederholen, bis der Affektausdruck wie von selbst funktioniert

8.9   Übungen

Teil III: Umstrukturierung der Selbst- und Objektvorstellungen

Einführung in Teil III

9   Umstrukturierung der Selbstvorstellungen: Aufbau von Mitgefühl und Fürsorge für das eigene Selbst

9.1   Eine positive Selbstvorstellung entwickeln

9.2   Die Aufnahmefähigkeit für die eigenen Gefühle aufbauen

9.3   Perspektivenwechsel: Den Patienten ermutigen, sich vorzustellen, wie andere ihn wahrnehmen

9.4   Die verlorene innere Stimme wiederfinden und stärken

9.5   Das Beeltern des Selbst fördern

9.6   Die Externalisierung der eigenen Bedürfnisse reduzieren

9.7   Wiederholte Interventionen bis zur Desensibilisierung der Angst vor den positiven Selbstgefühlen und der Verbesserung des Selbstwertgefühls

9.8   Übungen

10   Umstrukturierung der Objektvorstellungen: Adaptive innere Bilder von anderen Menschen aufbauen

10.1   Umstrukturierung der Affektphobien vor zwischenmenschlichen Beziehungen: Ein Überblick

10.2   Der Aufbau rezeptiver Fähigkeiten für die Gefühle anderer

10.3   Perspektivenwechsel: Andere korrekt und mitfühlend wahrnehmen

10.4   Süchtige Abhängigkeiten identifizieren und umstrukturieren

10.5   Die verlorene Liebe entdecken: Liebevolle Menschen aus der Vergangenheit

10.6   Wiederholte Interventionen, bis zur Desensibilisierung der Beziehungsphobien

10.7   Übungen

Teil IV: Behandlung spezifischer Störungen und Behandlungsende

11   Der Zusammenhang zwischen klinischen Diagnosen und Affektphobien

11.1   Die den Diagnosen zugrundeliegenden Affektphobien und deren Aufrechterhaltung durch den primären und sekundären Krankheitsgewinn

11.2   Das Biopsychosoziale Modell

11.3   Symptomdiagnosen

11.4   Persönlichkeitsstörungen

11.5   Die Affektphobien fokussieren, die den Diagnosen zugrunde liegen

12   Behandlungsende

12.1   Beenden der Behandlung: Ein Überblick

12.2   Die Veränderung durch die Behandlung beurteilen

12.3   Die Gründe für die Veränderungen beurteilen

12.4   Wertschätzen der Veränderung und Anerkennung dessen, was noch bearbeitet werden musst

12.5   Das gesamte Spektrum der Gefühle gegenüber dem Therapeuten explorieren

12.6   Den Verlust der Therapie ersetzen

12.7   Schlusswort und Ausblick

Anhang 1

Lösungen

Anhang 2

Literaturverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Vorwort und Danksagung

 

 

Paul Wachtels (1997) Klassiker Psychoanalyse und Verhaltenstherapie war eine frühe Quelle der Inspiration für diesen integrativen Behandlungsansatz. Leigh McCulloughs Supervisor, der Verhaltenstherapeut Joe Cautela, empfahl ihr dieses Buch von Wachtel, als sie Studentin im Aufbaustudium war. Cautela war ein fortschrittlicher Verhaltenstherapeut, der im Konzept der verdeckten Konditionierung (engl. »covert conditioning«) erstmals die Prinzipien der Lerntheorie mit dem Vorstellungserleben in Verbindung brachte (Cautela 1966, 1973). Bei diesem Behandlungsansatz wurde imaginative Konfrontation verwendet, um Verhalten zu verändern. Von Cautela (z. B. Cautela & McCullough 1978) und Wachtel beeinflusst, begann McCullough, die Gemeinsamkeiten zwischen der verdeckten Konditionierung und psychodynamischen Grundsätzen zu bemerken. Psychoanalyse und Verhaltenstherapie von Paul Wachtel war überaus prägend für das Denken von Leigh McCullough. Von den späten Siebzigern bis in die Gegenwart hatte David Malan (1979), einer der Pioniere der STDP, einen sehr großen Einfluss auf die Vorstellungen von McCullough. Worte reichen nicht aus, um die Dankbarkeit für alle seine Beiträge auszudrücken. Das Schema der beiden Dreiecke stellt die Grundlage unserer Lehre dar. Seine Spuren finden sich auf fast jeder Seite dieses Manuals. Eine andere wichtige Quelle der Inspiration für die Entwicklung dieses Ansatzes ist Habib Davanloo (1980). Der Schwerpunkt dieses Manuals liegt auf dem Affekt. Davanloo brachte McCullough den enormen Nutzen bei, den das Erschließen der unbewussten Gefühle durch die Bearbeitung der Abwehr hat. Auch seine Spuren finden sich durchgängig in diesem Manual.

Anfang der 1990iger Jahre, nachdem McCullough tausende Stunden Videobänder angesehen hatte, wurden ihr allmählich die Parallelen zwischen der psychodynamischen Konflikttheorie und dem verhaltenstherapeutischen Konzept der Phobien klar – mit dem Unterschied, dass diese Phobien innere Gefühlszustände betreffen. Sie prägte den Begriff der Affektphobie und erörterte dieses Konzept kurz in ihrem Buch Changing Character (McCullough & Vaillant 1997). 1998 bemerkten Nat Kuhn und Stuart Andrews die Reichweite dieses Konzeptes und bewogen McCullough dazu, die Affektphobie zum Schwerpunkt ihrer Behandlung zu machen. Dann, Anfang 2001, fand Andrews heraus, dass »Gefühlsphobien« bereits in dem Buch von Wachtel erwähnt worden waren. Leigh schloss daraus, dass sie, auch wenn sie sich nicht mehr explizit daran erinnerte, sehr wahrscheinlich diesen Begriff bereits vor 25 Jahren in Wachtels Buch las und dass dieses Konzept der Gefühlsphobien seitdem irgendwo in ihrem Gedächtnis schlummerte. Es stimmt wirklich: Wir sehen so weit, weil wir auf den Schultern von Riesen stehen.

Zu diesen Riesen kommen dann noch die Weggefährten zweier Jahrzehnte, die einen bedeutenden Antrag daran trugen, besser zu verstehen, was Therapien wirksamer macht. Nicht alle Bücher können hier erwähnt werden, aber eine Reihe von Büchern zur STDP gingen aus dieser Gruppe hervor, um nur ein paar wenige zu nennen: Psychodynamics, Training, and Outcome in Brief Psychotherapy (Malan & Osimo 1992), Intensive Short-Term Dynamic Psychotherapy (Della Selva 1996), The Transforming Power of Affect (Fosha 2000), 0 Futuro da Integração: Desenvolvimentos em Psicoterapia Breve (Lemgruber 2000), Short-Term Therapy for Long-Term Change (Solomon, Neborsky, McCullough, Alpert, Shapiro & Malan 2001), Parole, Emozioni Videotape: Manuale di Psicoterapia Breve Dinamico-Esperienziale (PBD-E) (Osimo 2001), und das Handbook of Integrated Short-Term Psychotherapy (Winston & Winston 2002). Unser Buch hat sehr von dem Austausch mit Kollegen und untereinander profitiert.

Eine besondere Anerkennung gebührt der vierten Autorin, Amelia Kaplan, die die Rohfassung des Manuals verfasste. McCullough hatte mit dem Manuskript begonnen und mit Kuhn und Andrews geplant, es innerhalb eines Jahres abzuschließen. Allerdings waren alle drei so stark mit einer Reliabilitätsstudie zur Achievement of Therapeutic Objectives Scale (ATOS)beschäftigt (ein Forschungsinstrument für die Behandlungsevaluation, http://www.affectphobiatherapy.com), dass die Arbeit an dem Manual zunächst auf Eis gelegt wurde. Als Kaplan sich dem Forschungsprogramm anschloss und von dem Behandlungsmanual hörte, war jedoch ihr Interesse sofort geweckt. Sie hielt dieses Manual für sehr wichtig und drängte darauf, es fertigzustellen. Sie bot an, in vier Monaten einen ersten Entwurf zu erstellen. Sie tat dies mit unermüdlichen Eifer und verließ das Programm dann für ihr Aufbaustudium an der Rutgers Universität. Vier Jahre und zahlreiche Revisionen später haben dann McCullough, Kuhn und Andrews die Arbeit abgeschlossen. Aber ohne Kaplans Initiative und ohne ein erhebliches Maß an Verleugnung des immensen Arbeitsaufwands (wir dachten anfänglich, es wäre ein Klacks) wäre dieses Manual nie herausgekommen.

Während der Arbeit an diesem Manual lernten wir, dass es sehr viel schwerer als gedacht war, sehr komplexe Konzepte so einfach wie möglich darzustellen. Ein Buch, das wir in weniger als einem Jahr schaffen wollten, hat uns mehr als vier Jahre gekostet. Wir waren gesegnet mit Lesern, die über die Jahre immer wieder die Kapitel und Übungen durchgingen.

Bspw. war es uns eine Ehre, unter unseren Lesern zwei Mütter unserer Autoren zu haben, die selbst erfahrene Therapeutinnen waren: Kaplans Mutter, Annette Hollander, MD (University of Medicine and Dentistry of New Jersey) und Wolfs Mutter, Katherine Wolf, MD (Harvard Medical School). Annette Hollander, selbst in der Ausbildung von Psychiatern tätig, drängte uns, ein Lehrvideo zu diesem Manual zu erstellen. Wir hoffen, dass wir dies eines Tages noch machen können. Martha Sweezy und Lisa Freden waren von Beginn bis zum Ende des Projekts treue Leserinnen, die viele Versionen durcharbeiteten und uns viele hilfreiche Vorschläge machten. Die Übungen entstanden größtenteils aus den ständigen Anregungen der beiden, das Manual anwenderfreundlicher zu machen.

Dan Brenner machte viele weitere hilfreiche, manchmal herausfordernde Vorschläge und stärkte uns den Rücken. Jan Mortimer kommentierte das Manuskript von Australien (Adelaide) aus und Julie Felty von Belmont, Massachusetts.

Elke Schlager war sehr hilfreich darin, noch die letzten Inkonsistenzen aufzuspüren und die letzten Versionen Korrektur zu lesen.

Martha Stark muss dafür gedankt werden, dass sie dem Titel eine schöne Form gab. Allen Larsen aus Stavanger, Norwegen, und Elisabeth Schanche von der Universität Bergen, Norwegen, verbrachten im Sommer 2000 vier Monate mit McCullough und haben in dieser Zeit das gesamte Manual durchgearbeitet und kommentiert; sie machten wertvolle Vorschläge für die Überarbeitung der Übungen.

Wir alle danken Nancy Sowell für ihre Geduld und die ständige Unterstützung von Nat Kuhn.

Und zu guter Letzt gilt unser Dank Barbara Watkins, einer außerordentlichen Herausgeberin, die uns mit ihren brillanten Vorschlägen klargemacht hat, dass dieses Manual nicht der Spaziergang wird, den wir uns vorgestellt haben. Ihre Beiträge waren so außergewöhnlich hilfreich, dass wir sie in Zukunft als den Maxwell Perkins der Mental Health Herausgeber bezeichnen werden, in Abwandlung von Thomas Wolfes legendärem Herausgeber. Wir möchten uns nicht mit Wolfe vergleichen – weder hinsichtlich Brillanz noch Alkoholtoleranz –, aber Barbara Watkins ist definitiv so gut wie Maxwell Perkins.

Geleitwort zur deutschen Übersetzung

 

 

Ein »integratives Manual zur Behandlung von Affektphobien«, das sowohl eine positive Rezension von Paul Wachtel als auch von Marsha Linehan auf dem Buchrücken trägt, erregt sicherlich unmittelbar das Interesse auch von Verhaltenstherapeutinnen und Verhaltenstherapeuten. Nicht nur in diesen Besprechungen, sondern unmittelbar zu Beginn des Buches zeigt sich, dass allen – teils bis heute anhaltenden - Schulenstreitigkeiten zum Trotz sehr fruchtbare Anregungen zwischen den Therapieschulen erfolgt sind und auch weiterhin erfolgen.

Der Verfasser dieses Geleitworts ist (kognitiver) Verhaltenstherapeut und hatte das Glück, im Rahmen seiner langjährigen Tätigkeit an der Universitätsklinik Frankfurt den deutschen Herausgeber und Übersetzer des Buches, Prof. Dr. Matthias Michal, im Rahmen der Verhaltenstherapie-Ausbildung in dessen Facharztausbildung »Psychosomatik und Psychotherapie« kennenzulernen. Aus den fruchtbaren Diskussionen (etwa zu Parallelen der Verhaltensanalyse der therapeutischen Situation zur Übertragungsanalyse und zur psychodynamischen Interpretation der Wirkung von Expositionsbehandlung) entwickelte sich eine langjährige Freundschaft, die ich sowohl persönlich als auch fachlich als sehr bereichernd empfand und empfinde.

Auch eine weniger persönliche Perspektive auf das Verhältnis von psychodynamischen und kognitiv-verhaltenstherapeutischen Interventionen ist lohnenswert: Seit Miller und Dollard waren viele namhafte Vertreter der Verhaltenstherapie zuvor durch psychoanalytische bzw. tiefenpsychologische Ausbildungen gegangen (etwas Aaron Beck und Albert Ellis) und auch aktuelle Entwicklungen innerhalb der kognitiven Verhaltenstherapie wie CBASP (McCullough, 2000) beziehen sich explizit auf psychodynamische Theorien und Ansätze. Trotz aller Veränderungen in Theorie und therapeutischem Vorgehen wäre es naiv anzunehmen, dass diese Vertreter ihre psychoanalytischen Wurzeln »mit Stumpf und Stiel ausgerissen« haben. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sie ihre Vorerfahrungen in kreativer Weise in die Neukonzeption ihrer Therapieansätze einfließen ließen – empfehlenswert wäre hierzu beispielsweise die parallele Lektüre der »Kognitiven Therapie der Persönlichkeitsstörungen« von Beck et al. (orig. 1990) und Karen Horney’s »Unsere inneren Konflikte« (orig. 1945), die neben Parallelen auch die spezifische Neukonzeption Becks sichtbar macht. Auf diesem Hintergrund steht es kognitiven Verhaltenstherapeutinnen und Verhaltenstherapeuten gut an, allen Schulenstreitigkeiten zum Trotz mit Dankbarkeit auf psychodynamische Traditionen zu blicken.

Weniger bekannt dürfte – zumindest unter kognitiven Verhaltenstherapeutinnen und Verhaltenstherapeuten – sein, welchen Einfluss (kognitiv-)verhaltenstherapeutische Ansätze auf die Entwicklung zumindest einzelner psychodynamischer Theorien und Behandlungsansätze hatten. Das vorliegende Buch zeigt eindrucksvoll, wie befruchtend der Austausch auch in dieser Richtung funktionieren kann.

Ich wünsche den Leserinnen und Lesern eine inspirierende Lektüre dieses faszinierenden Werkes.

Prof. Dr. Thomas Heidenreich

Esslingen, im Januar 2019

Eine kurze Einführung für die Leser der deutschen Übersetzung

 

 

Gefühle fühlen

» Ein Gefühl zu erleben bedeutet, es tatsächlich auch zu fühlen. Dies mag selbstverständlich klingen. Es ist aber wichtig in dieser Hinsicht keinerlei Missverständnisse aufkommen zu lassen. Denn wenn in der Psychotherapie auf Gefühle eingegangen wird, dann bedeutet dies sehr häufig nur, dass über Gefühle gesprochen wird, anstatt dass diese Affekte tatsächlich auch erlebt werden. Leider führt dies dann häufig dazu, dass der Therapeut gemeinsame Sache mit dem Intellektualisieren im Dienste der Abwehr macht und diese Abwehr dadurch stillschweigend verstärkt, anstatt den Patienten zu ermutigen, diese Abwehr aufzugeben. … Das tiefe Erleben eines Affekts umfasst nicht nur die Fähigkeit, einen Gefühlszustand in Worte zu fassen, sondern diesen auch körperlich zu empfinden und sich der damit verbundenen Handlungsimpulse bewusst zu werden (z. B. zu weinen, jmd. zu herzen, jmd. zu schlagen).« (Kuhn, 2014, S. 96-97)

Dieses Zitat von Nat Kuhn, einem der Autoren dieses Manuals, bringt das ganz Besondere der affektfokussierten psychodynamischen Psychotherapie (oder kurz Affekt-Phobie-Therapie, APT) auf den Punkt: Die Bedeutung des tatsächlichen Erlebens der Gefühle – hinsichtlich der Dimensionen der Vorstellung, des Handlungsimpulses und der körperlichen Empfindungen – für den therapeutischen Prozess im Gegensatz zum bloßen Darübersprechen (Intellektualisieren). Es stellt einen enormen Unterschied dar, ob ein Patient sagt, er sei wütend, oder ob er in der Lage ist, diese Wut innerlich voll zu erleben. Diese Schwerpunktsetzung auf das affektive Erleben findet sich so ausgearbeitet in kaum einem der auf Deutsch verfügbaren Psychotherapielehrbücher. Eine – allerdings kaum rezipierte – Ausnahme wird weiter unten noch erwähnt.

Kurz nach Erscheinen dieses Manuals im Jahr 2004 empfahl mir mein Freund und damaliger Kollege, Thomas Heidenreich, dieses Psychotherapielehrbuch als Antwort auf die typischen Schwierigkeiten in der Behandlung von Patienten mit einer Depersonalisations-Derealisationsstörung. Diese Patienten sind von dem, worüber sie sprechen, emotional weitestgehend abgetrennt. Diese emotionale Abgetrenntheit stellt ein umfassendes Vermeidungsverhalten dar, das jeden Behandlungsfortschritt blockiert. »Thinking without Feeling« war bezeichnenderweise der Titel einer Übersichtsarbeit zu den neurobiologischen Mechanismen dieser Störung (Phillips et al., 2001). Das nun auf Deutsch vorliegende Manual hatte mich damals sofort angesprochen, öffnete mir einen Zugang zu diesen und vielen anderen Patienten und eine neue Welt in der Psychotherapie. Bisher kannte ich derartige psychodynamische Ansätze nicht. Ich war vertraut mit der Methode des »Zentralen Beziehungskonfliktthemas« (ZBKT) von Lester Luborsky (Kächele, Grünzig, & Luborsky, 2013) oder dem Zyklisch Maladaptiven Beziehungszirkel von Strupp und Binder (Tress et al., 1996). Diese Ansätze waren hilfreich, die kognitive Seite der maladaptiven Mechanismen zu beschreiben, blendeten aber die Seite des emotionalen Erlebens weitestgehend aus.

Leigh McCullough zeigte mir hier eine völlig neue Perspektive: Das Konfliktdreieck, die Bedeutung der Affekte, die Unterscheidung adaptiver und maladaptiver Affekte, die systematische Bearbeitung der Abwehr, der kooperativ-partnerschaftliche Behandlungsstil, all das hatte ich nirgendwo sonst so stringent ausgearbeitet gesehen. Dieses Behandlungsmodell war nicht nur gut nachvollzieh- und vermittelbar, es hatte auch seine Wirksamkeit bewiesen. Im American Journal of Psychiatry wurde 2004 eine randomisierte kontrollierte Studie zur psychotherapeutischen Behandlung von Patienten mit »Cluster C Persönlichkeitsstörungen« veröffentlicht (Svartberg, Stiles, & Seltzer, 2004). Leigh McCulloughs Behandlungsmodell erwies sich als hochwirksam. Zwei Jahre nach dem Ende der 40-stündigen Behandlung wiesen 54 % im psychodynamischen und 42 % im verhaltenstherapeutischen Arm eine Remission der Persönlichkeitsstörung auf (Svartberg et al., 2004). In Metaanalysen zur Effektivität psychodynamischer Langzeittherapie trägt diese Studie einen substantiellen Anteil (Leichsenring & Rabung, 2008). Prozessstudien konnten mittlerweile auch zeigen, dass das emotionale Erleben und eine entsprechende Fokussierung wichtig für den Erfolg einer Behandlung sind (Coughlin, 2016; Diener, Hilsenroth, & Weinberger, 2007; Johansson, Town, & Abbass, 2014; Subic-Wrana et al., 2016).

Leigh McCullough bei der Arbeit zusehen

Einen sehr guten Eindruck von der Umsetzung dieses Manuals gibt ein Video, das Leigh McCullough bei der Arbeit zeigt. Dieses Video der AMERICAN PSYCHOLOGICAL ASSOCIATION wurde in der Reihe »Systems of Psychotherapy Video Series« unter dem Titel »Affect-Focused Dynamic Psychotherapy by Leigh McCullough« veröffentlicht (http://www.apa.org/pubs/videos). Es ist äußerst beeindruckend zu sehen, wie intensiv und überaus feinfühlig Leigh McCullough die Patientin mit ihren abgewehrten Gefühlen in Kontakt bringt, so dass sich sehr schnell die zentrale Problematik der Patientin herauskristallisiert. Im Kreis der Kollegen rief dieses Video allerdings polarisierende Reaktionen hervor. Die eine Hälfte war begeistert, die andere Hälfte erschrocken. Letztere fühlten sich von dem Vorgehen abgestoßen, weil der Patientin »so wenig Raum gegeben wurde« oder »man sich der Therapeutin gegenüber so nackt vorkam«. Diese Reaktionen der Kollegen kamen durch die hohe Aktivität der Psychotherapeutin zustande, die gezielt und beharrlich die Abwehr beziehungsweise das Vermeidungsverhalten der Patientin bearbeitete und es der Patientin dadurch ermöglichte, sich ihrer abgewehrten Gefühle bewusst zu werden. Interessanterweise kommentierte eine erfahrene verhaltenstherapeutische Kollegin das Video als eine »sehr gute verhaltenstherapeutische Sitzung«, was für mich nachdrücklich und nachhaltig den integrativen Charakter dieses Behandlungsmodells unterstrichen hat: ein durch und durch psychodynamisches Behandlungsmodell, das zentrale Wirkprinzipien der Verhaltenstherapie verkörpert und eine gemeinsame Sprache für beide Therapieschulen anbietet.

Short-Term Dynamic Psychotherapy (STDP)

Die affektfokussierte psychodynamische Psychotherapie (APT) steht in der Tradition der sogenannten Short-Term Dynamic Psychotherapy (STDP). Short-Term Dynamic Psychotherapy lässt sich nur sehr unzutreffend mit Kurzzeitpsychotherapie übersetzen. STDP Behandlungen können 100 und mehr Sitzungen umfassen. Short-Term bezieht sich auf die angestrebte Effizienz der Behandlung, die vor allem durch die beherztere Bearbeitung der Abwehr erreicht werden soll, als dies in den üblichen psychoanalytischen Behandlungen geschieht. Frühe Entwicklungen der STDP gehen auf Sandor Ferenczi (1873 – 1933), Otto Rank (1884 -1939) und Wilhelm Reich (1997-1957) zurück, die die Passivität des Psychoanalytikers als schädlich für die Wirksamkeit der Behandlungsmethode erachteten. Andere Pioniere der STDP waren Franz Alexander, Thomas M. French (Alexander & French, 1946) und Peter Sifneos (Sifneos, 2013), die uns heute noch über die Konzepte der »korrigierenden emotionalen Erfahrung« oder der »Alexithymie« bekannt sind. Michael Balint (1886-1970) gründete schließlich an der Tavistock Klinik (London) einen »Brief Psychotherapy Workshop«, der Mitte der 1960iger Jahre von David H. Malan übernommen wurde. Malan selbst befand sich noch bei Michael Balint und Donald Winnicott (1896-1971) in Lehranalyse (Eppel, 2018; Labije & Neborsky, 2012; Osimo, 2018; Coughlin, 2018). Auf David H. Malan geht die systematische Ausarbeitung des Konfliktdreiecks und des Dreiecks der Personen zurück (Malan 1963, 1979 orig., zit. nach Malan, 2013), die in allen STDP Behandlungen eine zentrale Rolle für das Verständnis der Störung und die Strukturierung der Interventionen spielen ( Abb. 2.1). Heute sind diese Therapieschulen unter dem Dach der International Experiential Dynamic Therapy Association vereinigt (https://iedta.net).

Vertrautes

Viele der hier beschriebenen Konzepte und Interventionen werden dem Leser aus anderen Lehrbüchern bekannt vorkommen. Grundsätzlich weiß der Psychotherapeut, dass die »Arbeit am emotionalen Erleben und an den Affekten im Zentrum der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie steht« (Wöller & Kruse, 2018). Das Konzept des »Beelterns«, das Rudolf in

Abb. 2.1: Die zwei Dreiecke stellen nach David Malan das »universelle Prinzip der psychodynamischen Psychotherapie« dar (Malan 1979). Abwehrmechanismen (D, defense) und Ängste (A, anxiety/inhibition) können Wahrnehmung und Ausdruck authentischer Gefühle (F, feeling) blockieren. Diese Muster entwickelten sich in der Beziehung zu Personen aus der Vergangenheit (P, past person), werden in den gegenwärtigen Beziehungen (C, current person) aufrechterhalten und oft auf den Therapeuten (T, therapist) übertragen.

der strukturbezogenen Psychotherapie dargestellt hat (Rudolf, 2013), findet sich hier wieder in den Kapiteln zur Umstrukturierung der Selbst- und Objektvorstellungen. Darin geht es vor allem um den Aufbau adaptiverer Selbst- und Objektvorstellung durch die Bearbeitung realitätsverzerrender Abwehrmechanismen und die Ermöglichung von Mitgefühl für das eigene Selbst.

Größere Überschneidungen gibt es auch mit der psychoanalytisch-interaktionellen Psychotherapie, was die aktive partnerschaftliche therapeutische Haltung und die Bedeutung der Fokussierung angeht (Streeck & Leichsenring, 2014). Sogar das »Prinzip Antwort« findet sich im Affekt-Phobie-Therapie Manual wieder.

Kollegen, die mit der mentalisierungsbasierten Psychotherapie vertraut sind, können die in diesem Manual ausgearbeiteten Interventionen unter diesem Aspekt nutzen. Mentalisieren kann nach Schulz-Venrath pragmatisch als » sich Gedanken und Gefühle vergegenwärtigen« definiert werden (Schultz-Venrath, 2013). Unter diesem Gesichtspunkt ist das Affekt-Phobie-Therapie Manual ganz und gar mentalisierungsbasiert: Patienten werden dabei unterstützt, ihre Gefühle und die damit verbundenen Gedanken (und Handlungsimpulse) voll zu erleben. Das Bewusstmachen und Durcharbeiten des individuellen Konfliktdreiecks stellt eine mentalisierungsfördernde und strukturbildende Handlung dar: Der Patient lernt verstehen, was eine maladaptive Reaktion (z. B. Niedergeschlagenheit, Wutanfall, Panikattacke) verursacht, indem untersucht wird, wie ein Stimulus (z. B. eine bestimmte Interaktion) ein konflikthaftes Gefühl (z. B. Ärger/Selbstbehauptung »wie ein Vulkan aus dem Bauch heraus«) mobilisiert, das Angst macht (Herzklopfen, muskuläre Verspannung) und dann mittels Wendung gegen das Selbst (sich selbst statt den anderen niederschlagen), Ausagieren (Wutanfall) oder Somatisierung in Form der Panikattacke abgewehrt wird. Weitere Gemeinsamkeiten mit der mentalisierungsbasierten Therapie sind die »affektfokussierte« Fragetechnik, die hohe Bedeutung explorativer und klarifizierender Interventionen, der deutliche bindungstheoretische Hintergrund und die partnerschaftliche therapeutische Haltung.

Gemeinsamkeiten mit der Übertragungsfokussierten Psychotherapie betreffen vor allem die aktive und systematische Bearbeitung von Abwehr und Widerstand (Caligor, Kernberg, & Clarkin, 2010).

Verhaltenstherapeuten werden die vertrauten Konzepte von Exposition und Reaktionsverhinderung in einem neuen Kontext kennenlernen und den in diesem Manual vertretenen Ansatz für eine affektfokussierte Arbeit nutzen können. Die zentrale Rolle der Emotionen für den therapeutischen Prozess wird auch zunehmend in der kognitiv-behavioralen Therapie erkannt (Lammers, 2011; Thoma & McKay, 2014).

Fortbildung

Leigh McCullough verstarb am 7. Juni 2012 im Alter von nur 67 Jahren an einer amyotrophen Lateralsklerose. Heute bilden ihre Schüler Psychotherapeuten in der affektfokussierten psychodynamischen Psychotherapie oder kurz Affekt-Phobie-Therapie (APT) aus. Nähere Informationen finden sich auf der Webseite der Gruppe: http://www.affectphobiatherapy.com. Die Fortbildung wird in englischer Sprache durchgeführt. Essentiell für die Fortbildung in dieser Methode ist die Supervision der Videoaufzeichnungen von eigenen Therapiesitzungen. Eine Fortbildung ohne videogestützte Supervision ist nicht möglich. Nur die Auswertung der Videomitschnitte ermöglicht es, die paraverbalen affektiven Signale des Patienten richtig und schnell genug lesen zu lernen, um sie für die Interventionen nutzen zu können. Die APT-Gruppe hat hilfreiche Prozessinstrumente entwickelt, um die Interventionen des Therapeuten und die Behandlungsfortschritte des Patienten zu operationalisieren (Berggraf, Ulvenes, Wampold, Hoffart, & McCullough, 2012; Donovan, Osborn, & Rice, 2016; McCullough, Bhatia, Ulvenes, Berggraf, & Osborn, 2011; McCullough et al., 2003; Ryum, Støre-Valen, Svartberg, Stiles, & McCullough, 2014). Aber auch ohne die Gelegenheit zu einer solch intensiven Fortbildung hat sich das Manual als hilfreich erwiesen, Psychotherapie zu lernen und zu lehren. Es gibt kein anderes vergleichbar praxisorientiertes Psychotherapielehrbuch, das für alle Interventionsarten zahlreiche ausformulierte Beispiele bringt und den Lernfortschritt mittels entsprechender Übungen prüft. Hilfreich für das Erlernen dieses Ansatzes ist es auch, die Videoaufnahmen der eigenen Psychotherapiesitzungen für sich selbst auszuwerten. Diese Zweitsicht ermöglicht es, sich leichter des Übertragungs-Gegenübertragungsgeschehens bewusst zu werden, die Wirkung der eigenen Intervention (oder das Ausbleiben der selbigen) zu überprüfen und die Reaktionen des Patienten noch einmal in Ruhe zu studieren. Für die Analyse der eigenen Videoaufnahmen kann man die o. g. Prozessinstrumente nutzen. Diese Eigensupervision ersetzt zwar keine Supervision durch zertifizierte Supervisoren, ist aber hilfreich dafür, die eigenen therapeutischen Fähigkeiten zu verbessern (McCullough et al., 2011).

Kollegen, die sich für diesen affektfokussierten Therapieansatz interessieren, können auch eine Fortbildung in der Intensiven Psychodynamischen Kurzzeittherapie nach Davanloo (Intensive Short-Term Dynamic Psychotherapy, ISTDP) in Betracht ziehen, die von der deutschen Gesellschaft für ISTDP und ihrem Schweizer Pendant an unterschiedlichen Standorten angeboten werden (siehe http://www.istdp.de und http://www.istdp.ch). Auch wenn zwischen der Affekt-Phobie-Therapie (APT) und der ISTDP deutliche Unterschiede bestehen, so ähneln sich beide doch sehr hinsichtlich der elaborierten Fokussierung auf das emotionale Erleben, der aktiven Bearbeitung der Abwehr, den Techniken der Angstregulation und der partnerschaftlich-kooperativen therapeutischen Haltung. Nat Kuhn, einer der Autoren dieses Manuals, praktiziert heute überwiegend ISTDP (https://www.natkuhn.com/). Leigh McCullough, ursprünglich Verhaltenstherapeutin, hatte selbst eine ISTDP Fortbildung bei Habib Davanloo absolviert. Wesentliche Unterschiede zwischen APT und ISTDP sind erstens die Bedeutung der Übertragung: Die ISTDP ist im Unterschied zur APT eindeutig übertragungsfokussierter. Der Königsweg zum Unbewussten des Patienten ist hier die Frage des Therapeuten »Wie fühlen Sie mir gegenüber?«. Zweitens betont die ISTDP in ganz besonderem Maße die Bedeutung unbewusster Schuldgefühle für die Aufrechterhaltung destruktiver selbstbestrafender Mechanismen. Wie oben erwähnt führt die APT zu sehr intensiven therapeutischen Prozessen. In der ISTDP wird dies meines Erachtens noch übertroffen, so dass Psychotherapeuten nicht selten vor der ISTDP zurückschrecken. Die ISTDP ist aber ein sehr effektives Verfahren mit sehr guter Evidenz für ein breites Spektrum psychischer Störungen und einer hohen Patientenakzeptanz (Abbass, Bernier, Kisely, Town, & Johansson, 2015; Abbass, Town, & Driessen, 2012; Johansson et al., 2014; Solbakken & Abbass, 2015; Town, Abbass, & Bernier, 2013). Psychotherapeuten, die sich auf Deutsch einen Einblick in die ISTDP verschaffen wollen, möchte ich folgendes Lehrbuch empfehlen: »Intensive psychodynamische Kurzzeittherapie nach Davanloo« (Gottwik, 2009). Unbedingt sollte man sich mit der Phänomenologie der Angst aus Sicht der ISTDP beschäftigen, weil dieses Konzept äußerst hilfreich für angstregulative und strukturbildende Interventionen ist. Nach Habib Davanloo kann Angst je nach Intensität und Gesundheit der psychischen Struktur auf unterschiedliche Weise physiologisch abgeführt werden (Davanloo, 1995; Gottwik, 2009). Eine Angstabfuhr über die quergestreifte Muskulatur führt zu einer Zunahme der Muskelanspannung zuerst der Hände/Unterarme, dann der Schultermuskulatur und schließlich immer weiterer Muskelpartien, die als muskuläre Anspannung und Seufzer gespürt werden. Eine Angstabfuhr über die quergestreifte Muskulatur signalisiert, dass die Affekttoleranz des Patienten nicht überschritten ist. Problematisch wird es, wenn die Angstabfuhr über die glatte Muskulatur erfolgt, es bspw. zu Schwitzen, Bauchweh, Durchfällen oder Bronchialspasmen kommt oder gar kognitiv-perzeptuelle Störungen wie Schwindel, Sehstörungen, dissoziative Symptome und massive Projektionen auftreten, die eine Überlastung der Affekttoleranz und die Notwendigkeit angstregulativer Interventionen anzeigen. Die Vertrautheit mit dieser Angstphänomenologie ist äußerst hilfreich für eine effektive Angstregulation.

Zuletzt

Ich hoffe, dass viele Kollegen, Erfahrene und Berufsanfänger, dieses integrative Manual für ihre Arbeit mit ihren Patienten oder in der Ausbildung angehender Psychotherapeuten fruchtbar nutzen können. Und ich möchte mich beim Kohlhammer Verlag für die Unterstützung dieses Projektes und das sorgfältige Lektorat bedanken.

Matthias Michal

Einleitung

 

 

STDP und Affektphobien

Dieses Buch zeigt Ihnen, wie man short-term dynamic psychotherapy (STDP) durchführen kann, indem man den Schwerpunkt auf die Affektphobien legt. STDP ist eine aktive, zeiteffiziente, fokussierte und integrative Behandlungsform, die bei vielen Patienten bedeutsame und anhaltende strukturelle Veränderungen bewirkt; auch bei Patienten, die von vorausgehenden, anderen, längerdauernden psychotherapeutischen Behandlungen nicht profitiert haben.

Fokus Kompetenzen

Auch wenn die abschnittsweisen Anleitungen den komplexen Prozessen einer STDP nicht gerecht werden, wird dieses Manual Ihnen helfen, sich Fertigkeiten anzueignen, welche die Wirkung Ihrer Therapie verstärken. Den meisten Lesern werden einige der Interventionen vertraut vorkommen, andere hingegen werden eher fremd wirken und eine Herausforderung darstellen. Diese Methoden verkörpern jedoch ein sehr wirksames, effektives und evidenzbasiertes Behandlungsmodell.

Üben fördert prozedurales Wissen

Wir sind überzeugt, dass psychotherapeutisches Arbeiten – im Gegensatz zum Darübersprechen – mehr auf Kompetenzen und Fertigkeiten beruht (d. h. prozedurales Wissen) als auf Gedanken und Konzepten (d. h. deklaratives Wissen). Die Übungen, die sich jeweils am Ende der ersten 10 Kapitel befinden, sollen Ihnen helfen, sich diese Fertigkeiten anzueignen. Wir empfehlen allen Lesern, die Übungen zu nutzen und ihr Handlungswissen zu überprüfen. Es ist uns jedoch klar, dass sie nicht für jeden passend sind, sodass es jedem frei steht, diese auch zu überspringen. Sie werden dadurch keine neuen Ideen verpassen, aber möglicherweise die Chance für ein vertiefendes Verständnis und eine echte Kompetenzerweiterung.

Changing Character

Dieses Manual basiert auf dem Buch Changing Character: Short-Term Anxiety-Regulating Psychotherapy for Restructuring Defense, Affects, and Attachment (McCullough Vaillant 1997; abgekürzt als Changing Character oder in noch folgenden Verweisen als CC) und kann als dessen Fortsetzung oder manualisierte Version betrachtet werden. In Changing Character wurde die konzeptuelle Basis dieses Behandlungsansatzes umfassend dargestellt. Dieses Manual hilft dem Leser, die Kompetenzen zu erwerben, um diese Behandlung auch durchzuführen. Dementsprechend finden sich in diesem Manual immer wieder Verweise auf Changing Character. Seit der Veröffentlichung von Changing Character hat sich unser Denken aber weiterentwickelt, insbesondere was das Konzept der Affektphobie angeht – ein Konzept, das zwar in Changing Character präsent ist, dort aber noch nicht in so besonderer Weise wie hier hervorgehoben wurde.

Forschungsevidenz

Das Behandlungsmodell wurde auf Grundlage klinischer Beobachtung und empirischer Forschung entwickelt und überarbeitet. Die Arbeiten von Malan und Kollegen stellten uns den Ertrag eines halben Jahrhunderts sorgfältiger Forschung zur STDP zur Verfügung. Zwei klinische Studien haben die Wirksamkeit des STDP-Modells für Patienten mit Achse-II Cluster C-Persönlichkeitsstörungen nachgewiesen. Die erste Studie wurde am Beth Israel Medical Center in New York City von 1982 bis 1990 durchgeführt (Winston et al. 1991, 1994). Die zweite klinische Studie an der University of Science and Technology (NTNU) in Trondheim, Norwegen, von 1988 bis 1999, verglich dieses STDP-Modell mit kognitiver Verhaltenstherapie (Svartberg, Stiles & Seltzer 2004). Außerdem gibt es zahlreiche Prozessstudien, die eindeutig zeigen, wie wichtig die Bearbeitung der Affekte und der Abwehrmechanismen ist (Zusammenfassung siehe CC, Kapitel 12). Forschung zu diesem Behandlungsansatz wird an der Harvard Medical School und NTNU fortgeführt.

Integration von Psychodynamik und Lerntheorie

Das Behandlungsmodell basiert auf der Vorstellung, dass psychopathologischen Phänomene auf Affektphobien zurückgehen – einer Angst vor Gefühlen. Das Konzept der Affektphobie stellt eine Umformulierung der psychodynamischen Konflikttheorie in der Sprache der Lerntheorie und Verhaltenstherapie dar. Dadurch können bewährte Techniken und Konzepte der Behandlung von Phobien (z. B. systematische Desensibilisierung) im psychodynamischen Kontext angewendet werden, sodass es einfacher wird, einen Fokus zu finden und weitverbreitete Fallen herkömmlicher psychodynamischer Psychotherapie zu vermeiden.

Konzept der Affektphobien erweitert Freud’sches Triebmodell

Die meisten Patienten haben eine oder mehrere zentrale Affektphobien (nachfolgend auch als zentrale psychodynamische Konflikte bezeichnet), die für ihre Schwierigkeiten verantwortlich sind. Diese Affektphobien drehen sich nicht nur um Sexualität und Aggression (wie es die klassische Konflikttheorie von Freud nahelegt), sondern um viele grundlegende menschliche Affekte. Im klinischen Alltag spielen meistens Affektphobien eine Rolle, die einige wenige, grundlegende Gefühlskategorien betreffen – bspw. Trauer, Ärger (einschließlich Selbstbehauptung), Nähe und positive Gefühle dem eigenen Selbst gegenüber.

Teil I des Manuals: Einführung

Teil I des Buches umfasst vier einführende Kapitel. Kapitel 1 stellt eine Einführung in das Thema der Affekte dar. Es werden aktivierende Affekte wie Trauer, Ärger/Selbstbehauptung und inhibitorische Affekte wie Angst und Scham vorgestellt. Anschließend werden die Konzepte der Affektphobie und der Angstregulation erläutert. Angstregulation ist entscheidend dafür, dass die aktive, fokussierte Behandlung für den Patienten nicht zu »konfrontativ« wird.

Kapitel 2 zeigt, wie Affektphobien aus psychodynamischer Sicht als eine Dreieckskonstellation betrachtet werden können, in der Abwehrmechanismen und inhibitorische Ängste adaptive Gefühle blockieren. Abwehrendes Verhalten (z. B. Passivität, Vermeidung, ungesunde Selbstkritik) ermöglicht es dem Patienten, das bewusste Erleben eines Konfliktes zu vermeiden, der zwischen einem adaptiven Affekt (z. B. Selbstbehauptung/Ärger) und dem durch diesen mobilisierten inhibitorischen Affekt (z. B. Angst, beschämt oder abgelehnt zu werden) aufkommt. Die Identifizierung dieser Komponenten der Affektphobie im Dialog mit dem Patienten stellt die eine entscheidende, kritische Fertigkeit für dieses Behandlungsmodell dar. Die Übungen am Ende des 2. Kapitels sollen Ihnen helfen, sich diese Fertigkeit anzueignen.

Die zentrale therapeutische Implikation des Konzepts der Affektphobie ist, dass der psychodynamische Konflikt analog zur Standardtherapie einer Phobie behandelt werden kann: durch systematische Desensibilisierung. Dies bedeutet, dass Patienten dabei unterstützt werden, schrittweise mehr und mehr des adaptiven Affekts zu erleben, während man ihnen gleichzeitig hilft, die dabei aufkommende Angst oder andere inhibitorische Affekte zu bewältigen.

Kapitel 3 stellt eine Einführung in den Prozess der Diagnostik und Befunderhebung dar und zeigt, wie das multiaxiale System des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) – insbesondere die Skala zur Globalen Erfassung des Funktionsniveaus (Global Assessment of Functioning, GAF) – hilfreich zur Behandlungsplanung und insbesondere auch zur Entscheidung beiträgt, ob eine STDP für diesen Patienten in diesem spezifischen Setting angemessen ist.

Teil I schließt mit Kapitel 4, worin auf sehr praxisbezogene Weise gezeigt wird, wie die individuelle Psychodynamik eines Patienten, seine Affektphobie, erfasst und beschrieben werden kann; d. h., wie das Dreieck aus Abwehr, adaptivem und inhibitorischem Affekt identifiziert werden kann, das in Kapitel 2 vorgestellt wurde.

Fallbeispiel

Wir sind überzeugt, dass der beste – und möglicherweise der einzige – Weg, Psychotherapie zu erlernen, nur mittels spezifischer und konkreter Beispiele erfolgen kann. Deshalb werden wir die hier vorgestellten Konzepte im Folgenden anhand einer fiktiven Patientin veranschaulichen, einer 37 Jahre alten Verwaltungsangestellten.

Die Therapie beginnt mit einem spezifischen Problem:

Konkretes Problem

THERAPEUT:

Können Sie mir erzählen, was ihr wichtigstes Problem ist, das Sie hierhergebracht hat?

PATIENT:

Ich weiß nicht. Ich scheine einfach nur andauernd depressiv zu sein.

THERAPEUT:

Können Sie mir ein Beispiel geben, wo sie etwas depressiv gemacht hat?

PATIENT:

Ich weiß nicht, es gibt so viele … also, mein Chef kam gestern rein und gab mir einen neuen Stapel Arbeiten. Ich habe den letzten Stapel noch nicht abgearbeitet. Ich arbeite wie ein Tier, aber er scheint es nicht zur Kenntnis zu nehmen, und ich fühle mich so, als ob ich den Rückstand niemals aufholen kann.

Affektphobie identifizieren

Bereits so ein kurzer Dialog versetzt den Therapeuten in die Lage, die Affektphobie probeweise zu umschreiben, die den Problemen des Patienten zugrunde liegt. In diesem Fallbeispiel spricht die Patientin unmittelbar an, dass sie sich von den Erwartungen des Chefs überwältigt fühlt. Möglicherweise erlebt sie eine Phobie hinsichtlich der Thematik Selbstbehauptung und Abgrenzung gegenüber den Erwartungen ihres Chefs. Ihre Depression könnte dann als Folge einer Affektphobie gegenüber dem Affekt Ärger/Selbstbehauptung betrachtet werden, die dazu führt, dass sie den »Ärger gegen sich selbst wendet«. Der Therapeut kann diese Hypothese testen:

Phobische Antwort untersuchen

THERAPEUT:

Haben Sie ihm erzählt, dass Sie nichts Neues anfangen können, wenn er will, dass Sie die bereits gegebenen Arbeiten fertigstellen sollen?

PATIENT:

Oh, das könnte ich nicht … er war immer so gut zu mir. Ich dachte darüber nach, und dann fing es an, mir richtig schlecht zu gehen, so … ich bin faul, ich bring es einfach nicht. Ich könnte es nicht ertragen, ihn zu enttäuschen.

Durch seine Frage, ob sie sich abgegrenzt habe, beginnt der Therapeut zu erkennen, wie phobisch sich die Patientin gegenüber dieser gesunden und adaptiven Reaktion verhält. Gleichzeitig hat der Therapeut Verhaltensweisen der Patientin aufgedeckt, die als Abwehr gegen Selbstbehauptung dienen können. Beispiele für die Abwehr der Patientin sind: Sie verhält sich passiv, sie idealisiert ihren Chef und sie greift sich selbst an.

Ängste, die zur Affektphobie führen

Der Therapeut kann nun mit der Exploration der Affektphobie beginnen und die inhibitorischen Affekte (Ängste) untersuchen, die die Selbstbehauptung blockieren.

THERAPEUT:

Was wäre für Sie das Schlimmste daran, wenn Sie ihm sagen, er müsse sich entscheiden, ob Sie zunächst die alten Arbeiten beenden oder etwas Neues beginnen sollen?

PATIENT:

Ich hätte Angst, dass er dann wütend auf mich wird.

Mit seiner Intervention deckt der Therapeut die inhibierenden Ängste auf. Die Angst der Patientin kann in diesem Fall angemessen oder aber eine Projektion sein, sodass eine vertiefende Exploration notwendig ist.

Teil II und III des Manuals

Die Teile II und III ( Kap. 5-10) sind der Behandlung der Affektphobien gewidmet. Dabei lassen sich drei primäre Behandlungsziele abgrenzen, die sich jeweils wieder in zwei Komponenten gliedern und in sechs Kapiteln dargestellt werden.

•  Umstrukturierung der Abwehr (defense restructuring): Identifizieren und Einstellen des phobischen Verhaltens

•  Umstrukturierung der Affekte (affect restructuring): Reduktion der Angst vor dem Erleben und dem Ausdruck konflikthafter Affekte

•  Umstrukturierung der Selbst- und Objektvorstellungen (self- and other-restructuring): Veränderung der Selbst- und Objektvorstellungen

Teil II ( Kap. 5-8) deckt das Thema der Umstrukturierung der Abwehr und Affekte ab und behandelt damit die Grundlagen dieser Form der STDP. Stärker beeinträchtigte Patienten benötigen zu Beginn fast ausschließlich Interventionen zur Umstrukturierung der Selbst- und Objektvorstellungen ( Kap. 9 und  Kap. 10).

Abwehr: Affektphobie identifizieren

Unter dem Erkennen der Abwehr (defense recognition) werden Interventionen verstanden, die Patienten helfen, die phobische Vermeidung ihrer adaptiven Gefühle zu erkennen ( Kap. 5). Lassen Sie uns zu unserem Fallbeispiel zurückkehren:

 

THERAPEUT:

Sie haben mir mehrere Geschichten erzählt, wo andere Menschen Ihnen außergewöhnliche Belastungen abverlangen und Sie sich fügen [Passivität als Abwehr], weil es Ihnen zu sehr Angst macht [inhibitorischer Affekt], sich abzugrenzen. Ist das ein typisches Muster bei Ihnen?

PATIENT:

Oh, ja, so ist es!

Kapitel 5 zeigt eine Vielzahl an Techniken auf, wie man Patienten dabei unterstützt, ihr maladaptives Verhalten im Dienste der Abwehr zu erkennen. Viele dieser Techniken sind psychodynamischen Psychotherapeuten vertraut: Klarifizieren, Interpretation und andere.

Abwehr: maladaptiven Reaktionsweisen aufgeben

Wie jeder psychodynamische Psychotherapeut weiß, besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen der intellektuellen Einsicht in das Abwehrverhalten und dem Wunsch und der Bereitschaft, dies zu verändern. Interventionen, die darauf abzielen, die Abwehr aufzugeben (defense relinquishing) fördern die Motivation des Patienten, seine Abwehr einzustellen ( Kap. 6). Das wichtigste Werkzeug hierfür ist die Angstregulation (anxiety regulation). Der Grundgedanke ist, dass der Patient weniger auf Abwehrverhalten angewiesen ist, wenn die Angst reduziert wird, die durch die unterdrückten Affekte mobilisiert wird. Verhaltenstherapeuten werden hier vielen ihrer vertrauten Interventionen begegnen.

Motivation fördern, Affektphobien aufzugeben

 

THERAPEUT:

Was wäre für Sie das Schlimmste daran, sich von diesen Leuten abzugrenzen?

PATIENT:

Ich möchte, dass mich alle gernhaben. Es fühlt sich nicht gut an, Nein zu sagen. [Angst, dass ihr die Selbstbehauptung übelgenommen wird]

THERAPEUT:

Nein sagen bedeutet, nicht liebenswert zu sein?

PATIENT:

Ich bin von Natur aus einfach großzügig.

THERAPEUT:

Das ist schön. Die Welt braucht großzügige Menschen. Aber wenn Sie an all die großzügigen Menschen denken, die Sie kennen, sagen die immer Ja, wenn sie um etwas gebeten werden?

PATIENT:

Ja, meistens.

THERAPEUT:

Wirklich? Auch wenn sie bereits ein Dutzend anderer Dinge gleichzeitig erledigen müssen, wie Sie gerade? Sagen sie dann immer Ja, wenn Sie sie um etwas bitten?

PATIENT:

Gut, vielleicht nicht immer …

THERAPEUTIN:

OK, rufen Sie sich eine Situation in Erinnerung, als eine dieser Personen Nein zu Ihnen sagte. Haben Sie dann diese Person nicht mehr für liebenswert gehalten?

Desensibilisierung der Affektphobie

Das Behandlungsziel der Interventionen »Erleben der Affekte« (affect experiencing) ist das Herzstück der systematischen Desensibilisierung ( Kap. 7): Die Konfrontation des Patienten mit dem körperlich-physiologischen Erleben des konflikthaften Affekts (während gleichzeitig die mobilisierte Angst abnimmt) wird den Konflikt des Patienten heilen. Psychotherapeuten mit einem gestalttherapeutischen Hintergrund werden hier viele Interventionen wiedererkennen.

Konfrontation mit phobischem Affekt

Angstregulation während Exposition

THERAPEUT:

Wenn Sie sich vorstellen, Ihr Chef kommt mit einem neuen Stapel Arbeit zur Tür herein und erwartet, dass Sie das alles erledigen, wie fühlt sich das an?

PATIENT:

Wie »ich werde das nie schaffen«. [Abwehr gegen Ärger mittels Selbstkritik]

THERAPEUT:

Sie würden sich also wieder selbst kritisieren. Aber was würden Sie ihm gegenüber fühlen?

PATIENT:

Ich weiß nicht.

THERAPEUT:

Versuchen Sie sich die Situation konkret vorzustellen. Was fühlen Sie in Ihrem Körper?

PATIENT:

Ich weiß nicht, eine Art Energie.

THERAPEUT:

Was möchte Ihr Körper machen?

PATIENT:

Ich … (überrascht), er will ihn schlagen! Das ist doch furchtbar, oder? [Scham]

THERAPEUT:

Gut, wenn Sie ihn tatsächlich schlagen würden, dann wäre das furchtbar – für beide. Wir sprechen nicht davon, jemanden tatsächlich zu schlagen; es geht darum, dass Sie innerlich frei werden, sodass Sie einen Zugang zu Ihren Gefühlen in Ihrer Vorstellungswelt bekommen. Auf diese Weise schaden Sie niemandem. Es stärkt Sie aber darin, wirksamer zu handeln. Ich werde Sie ermutigen, Ihre Emotionen an einem sicheren Ort zu erleben – hier in diesem Sprechzimmer – sodass Sie Ihre Emotionen verstehen lernen, sie aushalten, tolerieren und immer kontrollieren können. Dies wird Ihnen später helfen, Ihre Gefühle ins rechte Licht zu rücken und die jeweils beste Entscheidung für sich zu treffen. Aber lassen Sie uns nun noch einmal zu Ihrer Angst zurückkehren, bis dahin, als es für Sie unangenehm wurde, Ihren Ärger innerlich zu erleben [erneute Exposition].

Adaptiver Affektausdruck in Beziehungen

Patienten mit Affektphobien haben oft nicht die Fähigkeit erworben, in zwischenmenschlichen Situationen angemessen mit ihren Affekten umzugehen. Nachdem der Konflikt durch wiederholte Exposition an Stärke verloren hat, ist der Erwerb dieser Fähigkeiten relativ unkompliziert, aber nichtsdestotrotz eine sehr wichtige therapeutische Aufgabe ( Kap. 8). Die Interventionen zur Entwicklung eines adaptiven Affektausdrucks (affect expression) legen den Schwerpunkt auf das Üben und den Aufbau von Fertigkeiten (was vielen Verhaltenstherapeuten vertraut vorkommen wird).

 

PATIENT:

Gut, jetzt ärgere ich mich, aber was habe ich davon? Er ist der Chef, ich kann nichts machen.

THERAPEUT:

Welche Möglichkeiten hätten Sie, diese neue zornige Energie in Ihnen zu nutzen, um angemessen Ihrem Chef gegenüberzutreten und besser auf sich zu achten?

Selbstvorstellung und Beziehungen

Viele der Konflikte, die Patienten in Behandlung bringen, gehen mit verzerrten Vorstellungen über sich selbst und andere einher. In den Kapiteln 9 und 10 liegt der Fokus auf diesen Themen. Therapeuten mit einem interaktionellen Schwerpunkt werden mit diesen Kapiteln recht vertraut sein. Die therapeutische Arbeit rückt eine ausgewogene, mitfühlende Sicht auf das Selbst und den Anderen in den Mittelpunkt.

 

PATIENT:

Aber wie werde ich jemals jemanden finden, der mich liebt, wenn ich andauernd nur an mich denke?

THERAPEUT:

Wenn ich Anderen einmal Nein sage, bedeutet das, dass ich nur an mich denke?

PATIENT:

Ja, es fühlt sich irgendwie so an. Ich meine, vom Kopf her weiß ich, dass es nicht richtig ist, aber es kommt mir einfach so vor.

THERAPEUT:

Sie tun anderen allerdings keinen Gefallen, wenn Sie sich von deren Wünschen überwältigen lassen. Woraus schließen Sie also, dass Nein sagen bedeutet, selbstsüchtig zu sein?

Die Therapie kann ebenso auf eine ganzheitlichere, ausgewogenere Vorstellung von anderen Menschen den Schwerpunkt legen.

 

PATIENT:

Er war immer so gut zu mir. Ich kann ihm einfach nichts ausschlagen.

THERAPEUT:

Sie haben mir mehrmals davon erzählt, wie großzügig er war, das stimmt. Aber das Verhalten, das Sie beschrieben haben – Arbeit auf Sie abladen und schmollen, wenn Sie das Unmögliche nicht schaffen – klingt für mich nicht so, als ob er Ihnen Gutes tut.

PATIENT:

Oh, er ist ein wundervoller Mensch.

THERAPEUT:

Das kann er auf viele Arten sein. Aber stellen Sie sich vor, Ihre Freundin Bettina erzählt Ihnen, dass ihr Chef vollkommen wunderbar ist, obwohl er sie kränkt, wenn sie nicht fünf Dinge gleichzeitig erledigt.

PATIENT:

Eigentlich hat mir eine Freundin so etwas schon mal gesagt – es war nicht Bettina, sondern jemand anderes – und ich wurde richtig sauer. [Somit wurde ihre Sichtweise verändert und sie fängt an anzuerkennen, dass es in Ordnung ist, ärgerlich zu sein. Sie muss ihren Chef nicht mehr idealisieren]

Wie oben bereits angemerkt, benötigen Patienten mit stärkeren strukturellen Beeinträchtigungen mehr Zeit für die Umstrukturierungen der Selbst- und Objektvorstellungen, eine geringe Dosis davon wird aber in allen Kurzzeittherapien erforderlich sein.

Teil IV: Abschließende Kapitel

Das Buch endet mit dem Teil IV. In Kapitel 11 wird die Anwendung dieser Therapie im Kontext unterschiedlicher DSM-IV-Diagnosen diskutiert; Kapitel 12 deckt das Thema Beendigung der Behandlung ab.

Diskussion zentraler Begriffe

In Changing Character: Short-Term Anxiety-Regulating Psychotherapy for Restructuring Defenses, Affects, and Attachments (McCullough Vaillant 1997) werden viele der Fachbegriffe, die in diesem Manual immer wieder verwendet werden, ausführlich erläutert. Nachfolgend gehen wir kurz auf den Titel ein, da dieser einen wichtigen Aspekt der STDP widerspiegelt.

Changing Character: Begriffsklärung

Grundsätzlich stellen Abwehrmechanismen zu Beginn ihrer Entstehung den bestmöglichen Versuch einer Anpassung dar. Sie können ursprünglich sogar adaptiv gewesen sein, je nach der ursprünglichen Situation. Mit der Zeit jedoch können die Abwehrmechanismen generalisieren und auf Situationen übertragen werden, wo sie zunehmend weniger adaptiv sind. Im besten Falle engen starr eingefahrene Abwehrmechanismen die Erlebnismöglichkeiten ein; im schlimmsten Fall führen sie zu Charakterpathologien – langanhaltenden maladaptiven Mustern des Denkens, Fühlens und Verhaltens.

Wenn man einen psychodynamischen Konflikt als eine Affektphobie versteht, erlaubt dies die Anwendung der Prinzipien der Lerntheorie auf die Lösung psychodynamischer Konflikte und damit die Veränderung der Charakter- oder Persönlichkeitspathologien (d. h., langanhaltende maladaptive Muster können aufgelöst oder zumindest stark verbessert werden).

Kurzzeit-

Diese Behandlungsform hat langanhaltende, hilfreiche Veränderungen bereits nach einer dreistündigen Probetherapie bei hoch-funktionalen, gut strukturierten, motivierten und veränderungsbereiten Patienten erzielt. Andere erfolgreiche Behandlungen haben 50 oder mehr Sitzungen benötigt. Das Ziel dieser Behandlungsform ist es, so effizient wie möglich zu sein und gleichzeitig ausreichend Zeit für Veränderungen zuzulassen. Dies erfordert die Schwerpunktsetzung auf spezifische Behandlungsziele, die mit den zentralen psychodynamischen Konflikten (Affektphobien) des Patienten verbunden sind. Es ist nicht das Ziel, alle Aspekte eines Charakters zu verändern, sondern einen Prozess in Gang zu setzen und dem Patienten so früh wie möglich Werkzeuge an die Hand zu geben, damit die Veränderungen im Leben des Patienten anhalten und fortgesetzt werden können.

50 oder mehr Sitzungen entsprechen sicherlich nicht einer »Kurzzeittherapie« wie es die Managed Care-Industrie definiert. Allerdings kann die Überwindung einer über Jahrzehnte hinweg bestehenden Charakterpathologie (d. h. einer strukturellen Störung) innerhalb von 12 bis 18 Monaten als sehr effizient betrachtet werden. Das Ziel ist, das Leiden des Patienten so weit und so schnell wie möglich zu reduzieren. Neben dem Streben nach langanhaltenden strukturellen Veränderungen bedeutet dieses Ziel, Veränderung so rasch wie möglich zu erreichen. Dies hat als Nebeneffekt häufig auch einen ökonomischen Gewinn für Patient und Gesellschaft zur Folge, auch wenn dieser Aspekt nicht im Zentrum steht. Diese Behandlungsmethode ist keine zweitklassige Notlösung, sondern ein erstklassiger, tiefgehender Heilungsprozess. Wenn das gleichzeitig schnell geht – und schnell bedeutet hier immer relativ schnell –, so betrachten wir dies als einen weiteren Gewinn für den Patienten.

Angstregulation

Angstregulation ist eine der grundlegenden Techniken dieser Behandlungsform. Die Ängste des Patienten (oder andere maladaptive inhibitorische Affekte) werden wiederholt aktualisiert, untersucht und im Prozess der systematischen Desensibilisierung der Affektphobie reduziert. Dies stellt einen Kontrast zu anderen Behandlungsansätzen dar, die in weit stärkerem Maße Ängste hervorrufen (in Analogie zur Flooding-Technik in der Verhaltenstherapie). Auch wenn diese Behandlungsansätze wirksam sind für Patienten, die ein hohes Niveau an Angstprovokation tolerieren können, so glauben wir doch, dass durch den Schwerpunkt der Angstregulation mehr Patienten erreicht werden können.

Psychotherapie

Der Behandlungsansatz ist psychodynamisch, aber er unterscheidet sich von der klassischen Psychoanalyse und anderen traditionelleren Formen der psychodynamischen Langzeittherapie in einigen wichtigen Aspekten. Ein grundlegender Unterschied betrifft die Haltung; Der Psychotherapeut ist nicht »neutral«, sondern aktiver beteiligt.

•  Der Therapeut erhält einen therapiezielorientierten Behandlungsfokus aufrecht. Ansonsten besteht die Gefahr einer Kollusion mit der Abwehr des Patienten in der Vermeidung konflikthafter Affekte und echter Veränderung.

•  Der Behandlungsstil ist aktiv und kollaborativ. Interpretationen werden mittels aktiver Zusammenarbeit von Therapeut und Patient gemeinsam entwickelt und relativ unmittelbar gegeben.

•  Die Behandlung kann direktiv sein. Der Therapeut ist bereit, den Patienten auch psychoedukativ anzuleiten, wenn es angemessen ist.

•  Eine Übertragungsneurose soll sich nicht entwickeln. Übertragungsthemen werden im Allgemeinen unmittelbar identifiziert und bearbeitet.

Umstrukturierung

Umstrukturierung (restructuring) steht für die Neuorganisation der Art und Weise, wie Menschen die Welt sehen, erleben und sich an sie erinnern. Dies wird vor allem durch den Prozess der systematischen Desensibilisierung erreicht. Die oben beschriebenen Behandlungsziele bilden dabei unterschiedliche Aspekte der Umstrukturierung ab. In diesem Prozess wird die Abwehr flexibler, Affekte werden freier zugänglich, Ängste auf ein beherrschbares Niveau gesenkt und das Selbstbild sowie die Qualität der Bindungen verändert.

Abwehrmechanismen, Affekte …

Das übergeordnete Ziel ist die Lösung der psychodynamischen Konflikte, die den Schwierigkeiten des Patienten zugrunde liegen, mittels der systematischen Desensibilisierung der zugehörigen Affektphobien. Dazu muss der Patient zunächst seine Abwehr aufgeben – also jenes Verhalten, das er bisher eingesetzt hat, um konflikthafte adaptive Affekte zu vermeiden. Wenn die Abwehrmechanismen weniger tief verwurzelt sind, kann der Patient adaptive Affekte leichter und mit weniger Angst erfahren.

… und Bindung

Eine gesunde Bindung in intimen und authentischen Beziehungen ist durch ein Gleichgewicht von Autonomie und wechselseitiger Abhängigkeit gekennzeichnet und erlauben eine gesunde (anstatt hilflos-bedürftige) Abhängigkeit. Des Weiteren ist die Bindung zu anderen eng mit der »Bindung zu sich selbst« verflochten. Wir alle benötigen unser ganzes Leben lang die Bestätigung anderer Menschen. Aber wir sind auch darauf angewiesen, ein Reservoir der Liebe und Unterstützung in Form unserer Erinnerung zu erhalten, damit wir nicht so schnell am Boden zerstört sind, wenn der Andere fort ist oder weniger bestätigend, als wir es gerne hätten. Dazu befähigen uns gesunde Bindungserfahrungen. In diesem Behandlungsmodell werden Übertragungsverzerrungen sofort aufgezeigt und die reale partnerschaftliche Beziehung zwischen Patient und Therapeut betont, um ihm dabei zu helfen, ein gesundes Bindungsverhalten aufzubauen.

Schlussfolgerung

Dieses Manual soll eine kohärente Bündelung psychotherapeutischer Theorien und Techniken anbieten, die zu einer wirksamen und zeiteffizienten Therapie führen können. Dabei ist uns klar, dass jeder Psychotherapeut neue Informationen und Techniken auf seine persönliche Art und Weise assimiliert. Wir wissen, dass bestimmte Aspekte dieser Behandlungsform nicht jedermanns Sache sind. Wenn dies auf Sie zutreffen sollte, so laden wir Sie ein, sich das, was Ihnen gefällt, zu nehmen und den Rest zu lassen. In jedem Fall hoffen wir, dass die Ansichten und Techniken in diesem Buch Ihnen helfen, so wie sie uns geholfen haben, unsere Patienten wirksamer und zeiteffizienter zu behandeln.

 

 

 

 

Teil I:   Theorie, Diagnostik und Fallformulierung

1          Affekte und Affektphobien in der STDP

 

 

Lernziele

Das Ziel des Kapitels ist (1) die Darstellung des Konzepts der Affektphobie und (2) das Herausstellen seiner Bedeutung für die Psychotherapie.

Themen

1.1  Was ist eine Affektphobie?

1.2  Warum fokussiert diese Behandlungsmethode auf den Affekt?

1.3  Definition und Klassifikation der Affekte

1.4  Adaptiver versus maladaptiver Affektausdruck

1.5  Die Entwicklung und Behandlung von Affektphobien: Eine Einführung

1.6  Die Bedeutung der Angstregulation

1.7  Die Therapieziele

1.8  Übungen

1.1       Was ist eine Affektphobie?

Das Modell STDP gründet auf der Prämisse, dass den meisten psychogenen Störungen konflikthafte Gefühle – d. h. Affektphobien – zugrunde liegen.

»Externale« Phobien

Die meisten Therapeuten sind mit dem Konzept der Phobien vertraut. Menschen mit Phobien können vor einer Vielzahl äußerer Stimuli Angst haben: Brücken, Spinnen, weite Plätze oder soziale Situationen beispielsweise. Um ihre Angst in Schach zu halten, wenden Patienten unterschiedliche Verhaltensweisen an, um diese Stimuli zu vermeiden. Weil diese phobischen Stimuli außerhalb der Person liegen, können sie als externale Phobien bezeichnet werden.

Internale (Affekt-)Phobien

Überraschenderweise können ganz ähnliche Muster auch in einer psychodynamischen Behandlung beobachtet werden. Nachdem Leigh McCullough viele Stunden Videoaufnahmen von psychodynamischen Kurzzeittherapien studiert hatte, wurde ihr klar, dass das, was als »psychodynamischer Konflikt« begriffen wird, in der Sprache der Lerntheorie genauso gut als Affektphobie bezeichnet werden kann – eine Phobie vor den eigenen Gefühlen (McCullough 1991, 1993, 1994, 1998). Weil diese Phobien innere Gefühlszustände betreffen, prägte sie dafür den Begriff der internalen Phobie.

Abwehrmechanismen zur Vermeidung von Affekten

Genauso wie jemand kilometerweite Umwege zurücklegt, um eine Brücke zu vermeiden, so vermeiden Patienten oft auf ganz und gar phobische Weise das Erleben und den Ausdruck bestimmter Affekte (Gefühle). Der eine Patient vermeidet Trauer, ein anderer Ärger und ein Dritter Nähe. Und wie Patienten mit externalen Phobien vermeiden auch Patienten mit Affektphobien Gefühle durch die Entwicklung bestimmter vermeidender Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen, welche in der Sprache der psychodynamischen Psychotherapie als Abwehrmechanismen bezeichnet werden. Vermeidende Reaktionen – oder Abwehrmechanismen – helfen den Patienten, konflikthafte Gefühle hauptsächlich dadurch zu vermeiden, indem sie diese unbewusst machen oder vom Bewusstwerden fernhalten. Jedoch hält die Wirkung der Gefühle auch dann an, wenn sie unbewusst sind. Bspw. können Ärger, Traurigkeit oder Zärtlichkeit, lange bevor wir uns dessen bewusst sind, in uns aufkommen.

Beispiele für Affektphobien

Eine Person, die phobisch Ärger oder Selbstbehauptung vermeidet, kann stattdessen zur Abwehr schweigsam werden, weinen, sich depressiv fühlen oder sich unterwürfig verhalten – oder, wenn eine Grenze überschritten wurde, die Kontrolle verlieren und um sich schlagen. Aufgrund ihrer Affektphobie ist diese Person nicht fähig, adaptiver auf ihre Gefühle von Ärger oder Selbstbehauptung einzugehen, indem sie sich auf angemessene Art und Weise abgrenzt. Falls Trauer gefürchtet wird, werden Tränen erstickt, man gibt sich amüsiert oder wird emotional taub, anstatt zu schluchzen und darin Erleichterung zu finden. Menschen, die phobisch Zärtlichkeit und Mitgefühl vermeiden, verhalten sich oft hart, sind immer beschäftigt oder werten andere ab, anstatt Nähe zuzulassen und sich zu öffnen. Dies sind nur ein paar Beispiele für Affektphobien; es gibt viele Arten, adaptive Gefühle abzuwehren. Um unsere Position zu verdeutlichen, dass diese unterschiedlichen Arten und Weisen, Affekte aus Angst zu vermeiden, zu den meisten Problemen führen, die wir in der psychotherapeutischen Praxis vorfinden, wenden wir uns nun dem Gegenstand der Affekte selbst zu.

1.2       Warum fokussiert diese Behandlungsmethode auf den Affekt?

Gefühle haben wichtige Signalfunktion

Gefühle transportieren äußerst wichtige Informationen darüber, wie Menschen auf Lebenserfahrungen reagieren. Wenn man diese Informationen verwirft, ist man von einem lebenswichtigen Teil des eigenen Selbst abgeschnitten. Affekte haben eine ganz herausragende Bedeutung in dieser Behandlungsmethode. Patienten werden deshalb darin unterwiesen, sich die folgende Frage immer wieder zu stellen:

»Was sagen meine Gefühle mir?«

Patienten sollen jedes ihrer Gefühle als ein lebensnotwendiges Signal betrachten, dem man nicht unbedingt folgen muss, dem man sich aber immer zuwenden sollte.

Zu wenig Aufmerksamkeit für Affekte

Sowohl die psychodynamische als auch die kognitiv-behaviorale Tradition legte den Schwerpunkt auf Kognitionen (Gedanken), intellektuelle Einsicht und Interpretation; relativ wenig Gewicht wurde dem tatsächlichen Erleben der Affekte beigemessen. Dies ist überraschend, weil viele Patienten mit emotionalen Problemen, Depressivität und Ängsten in Behandlung kommen. Allerdings ist es meist leichter, den Schwerpunkt auf die Kognitionen zu legen, weil diese für das Bewusstsein leichter greifbar sind. Mit der affektfokussierten Psychotherapie versuchen wir, das Verhältnis von Affekt und Kognition zu ändern, indem wir die zentrale und ganz entscheidende Rolle betonen, die das Erleben adaptiver Affekte für therapeutische Veränderung hat.

Es geht nicht darum zu werten nach dem Motto »Ein Fokus auf den Affekt ist gut, ein Fokus auf die Kognitionen ist schlecht.« Kognitionen werden immer ein wesentliches Agens therapeutischer Veränderung sein. Außerdem arbeiten viele Verhaltenstherapeuten effektiv mit Affekten (bspw. im Kontext des Konzepts der »heißen Kognitionen«), wohingegen viele psychodynamischen Psychotherapeuten ihren Patienten oft eher dabei helfen, über Affekte zu sprechen als ihnen dabei zu helfen, ihre Affekte tatsächlich zu erleben.

Sehr viele Patienten kommen wegen Problemen in Behandlung, die ganz direkt mit dem Gefühlsleben verbunden sind (wie Ängste und Depressionen). Daneben gibt es aber noch viele weitere Gründe, warum es wichtig ist, in der Behandlung den Schwerpunkt auf das affektive Erleben zu legen.

Affekte als primäres Motivationssystem

In der Behandlung geht es neben der Veränderung seiner Symptomatik, wie bspw. Angst und Depressivität, um die Veränderung des Verhaltens des Patienten. Dem Affekttheoretiker Silvan Tomkins (1962, S. 28-87) zufolge gibt es drei grundlegende motivationale Systeme – innere körperliche Empfindungen und Gefühle –, die uns zu Handlungen bewegen oder spezifische Handlungstendenzen in Gang setzen.