Album geselliger Thorheiten - Moritz Gottlieb Saphir - E-Book

Album geselliger Thorheiten E-Book

Moritz Gottlieb Saphir

0,0

Beschreibung

Ein humoristisch-satirischer Bilderkasten des österreichischen Schriftstellers.

Das E-Book Album geselliger Thorheiten wird angeboten von Jazzybee Verlag und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 321

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Album geselliger Thorheiten

Moritz Gottlieb Saphir

Inhalt:

Moritz Gottlieb Saphir – Biografie und Bibliografie

Saphirs Leben.

Das Picknick auf dem Strozzischen Grund, "bloß beim Klavier".

Das Pfänderspiel in der Paniglgasse und der Humorist vom Thurn.

Der Grasenthusiast in der musikalisch-deklamatorischen Gelsen=Akademie.

Genrebilder, Jokoses und Sentimentales.

Die Whist mit mit vier Honneurs, drei Kindern, zwei Möpsen und einer Lichtschere.

Naturgeschichte der Mädchenjahre.

Meine Leiden durch die Weibertreu von Weinsberg.

Va banque, der Visite de reconnaissance!

Va banque, Stammbuch und Album!

Va banque, den Thränen!

Der deutsche Litteraturwald.

Soll man zu früh oder zu spät in Gesellschaft gehen?

Höchst rührender, nichts desto minder höchst menschlicher und nichts desto minder höchst einleuchtender Vorschlag, Plan und Bauriß zu einem "Gegen-Tierquälereiverein", wie er sein soll im ganzen Umfange der idealistischen Vollkommenheit.

Die Kunst, einzuschlafen, oder: Die Kunst, sich selbst Langeweile zu machen.

Seifengedanken während des Rasierens.

Taschenkodex und Spruchbüchlein eines schlichten Praktikers.

Taschengedanken- und Gedankentaschenspielerei.

Humoristische Vorlesungen

Sympathie, Antipathie, Allopathie, Homöopathie, Hydropathie, oder: Auf wie vielerlei Weise kann man zu dem Menschen sagen: Gibs Geld her!

Dur- und Molltöne aus dem großen Konzerte des Lebens und des Schicksals, zum Besten der drei Blinden: "Liebe, Glück und Gerechtigkeit".

Wachskerzen, Talgkerzen, Räucherkerzen, Himmelskerzen, Hochzeitskerzen, Grabeskerzen, Apollokerzen, Millykerzen, Stearinkerzen, oder: Woher kommt es, daß wir jetzt immer mehr Kerzen und immer weniger Lichter haben?

Naturkraft, Jugendkraft, Willenskraft, Geisteskraft, Liebeskraft, Glaubenskraft, Geldeskraft, Schnellkraft, Spannkraft, Federkraft, Maschinenkraft, Menschenkraft, Pferdekraft, Wasserkraft, Dampfkraft, oder: Wieviel außerordentliche Kräfte bedarf jetzt der Mensch, um ganz gewiß stecken zu bleiben?

Die sieben alten Weisen als sieben moderne Narren.

Stimmengewalt

Luft, Feuer, Wasser, Erde, oder: Die Vier Erdenelemente und noch ein Himmelstausendelement.

Konditorei des Fokus.

Nagelneue Variationen auf die vier Weh (W) des Lebens: Wein, Weiber, Witz und Wahrheit.

Die ägyptische Finsternis bei Gasbeleuchtung und der Ochs in der Laterne.

Vorlesung eines Zuckerrohres über den gänzlichen Mangel aller Romantik, gehalten in einer Gesellschaft von jungen Runkelrüben.

Album geselliger Thorheiten, M. G. Saphir

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849634636

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Moritz Gottlieb Saphir – Biografie und Bibliografie

Journalist, geb. 8. Febr. 1795 zu Lovas-Berény im ungar. Komitat Weißenburg von jüdischen Eltern, gest. 5. Sept. 1853 in Wien, gehörte längere Zeit dem Handelsstand an und lebte bis 1825 in Wien, dann in Berlin, wo er 1826–29 die »Berliner Schnellpost für Literatur, Theater und Geselligkeit« und 1827–29 den »Berliner Courier« herausgab, später in München. Hier gründete er mehrere neue Zeitschriften, trat 1832 zum Protestantismus über, erhielt den Titel eines Hoftheaterintendanturrats, wandte sich 1835 wieder nach Wien, wo er in Gemeinschaft mit Bäuerle die »Theaterzeitung« redigierte und seit 1837 die Zeitschrift »Der Humorist« herausgab. Unter seinen zahlreichen Schriften (Gesamtausg. zuletzt Brünn 1890, 26 Bde.; Auswahl 1884, 12 Bde.; 1893, 11 Bde.; »Humoristische Schriften«, Berl. 1902, 2 Bde.) wurde das »Fliegende Album für Ernst, Scherz, Humor und lebensfrohe Laune« (Leipz. 1846, 2 Bde.; 5. Aufl. 1875) sowie sein »Konversationslexikon für Geist, Witz und Humor« (2. Aufl., Dresd. 1860, 5 Bde.; neue Bearbeitung, Berl. 1889, 2 Bde.; das. 1893, 2 Bde.) am meisten gelesen. S. besaß ein seltenes Talent für witzige Wortspiele, war aber im übrigen ein gan; seichter Kopf.

Saphirs Leben.

Moritz Gottlieb Saphir, geboren am 8. Februar 1795 zu Lovas-Bereny bei Pest, von seinen jüdischen Eltern zum Studium des Talmud angehalten und früh in rabbinischem Witz geübt, entfloh 1808 von Hause, lebte in Prag, dem Handelsstand angehörig, und kehrte 1814 nach Pest zurück, wo er sich zuerst journalistischer Thätigkeit widmete. Von 1823 bis 1824 waltete er in Wien seines Amtes als Theaterkritiker in so rücksichtsloser Weise, daß er nach Jahresfrist ausgewiesen wurde. Nach längeren Irrfahrten kam er 1825 nach Berlin, wo er 1826– 29 die "Berliner Schnellpost für Litteratur, Theater und Geselligkeit" sowie 1827– 29 den durch seinen Reichtum an gelungenen Wortspielen und bitterm Spott gleich beliebten wie gefürchteten "Berliner Courier" herausgab. In einem Aufsehen erregenden literarischen Streit mit den angesehensten Berliner Schriftstellern Fouqué, Förster, Wilibald Alexis, Gubitz u. a. wußte Saphir zwar die Lacher auf seine Seite zu ziehen, sah sich aber dennoch bald darauf veranlaßt, Berlin eben wegen dieses Streites zu verlassen. Er zog nach München, wo er zwar wieder viel Beifall, aber auch heftigen Widerspruch erfuhr, ja er wurde sogar wegen Beleidigung des Intendanten festgenommen und später für kurze Zeit ausgewiesen. In München gründete er die Zeitschriften: "Bazar für München und Bayern" (1830–33) und, nach kurzem Aufenthalt in Paris, den "Deutschen Horizont" (1831 – 33) und den "Korsar". Er trat 1832 zum Protestantismus über, erhielt bald darauf den Titel eines Hoftheater-Intendanturrats, wandte sich 1834 wieder nach Wien, wo er die "Theaterzeitung" (in Gemeinschaft mit Bäuerle) und seit 1837 die Zeitschrift "Der Humorist" herausgab. In weiten Kreisen wurde er auch durch seine humoristischen Vorträge bekannt, die er auf längeren Kunstreisen in allen größeren Städten Deutschlands hielt. Er starb in Wien am 5. September 1858.

Wiewohl Saphir durch Tiefe des Geistes nicht ausgezeichnet war und vielmehr oft nur die Oberfläche der Erscheinungen wahrnahm, so glänzte er doch durch eine so virtuose Gabe des Wortwitzes, wie kaum ein andrer Schriftsteller vor ihm. Seine geistigen Taschenspielerkunststücke werden auch jetzt noch viele Leser ergötzen und erfreuen, wie sie es vor Jahrzehnten gethan haben; und so mögen denn einige Proben derselben durch unsre Sammlung weitesten Kreisen bekannt werden.

Das Picknick auf dem Strozzischen Grund, "bloß beim Klavier".

Die kleine Holdenburg war eine allerliebste Frau und ist nun eine allerliebste Witwe. Ich machte ihre Bekanntschaft auf dem Eilwagen. Ehen werden im Himmel geschlossen, Liebschaften im Tanzsaal, Bekanntschaften im Volksgarten und Bekanntschaften im Eilwagen. Im Eilwagen erfuhren wir sogleich, wie wir miteinander fahren werden. Sie hatte wunderschöne Zähne, superbe rabenschwarze Augen und ganz vortreffliche kleine Zuckerkipfel bei sich, drei Dinge, die mich sehr an sie anzogen.

Ich versprach ihr, sie oft zu besuchen, allein sie wohnte auf dem Strozzischen Grund, und der Strozzische Grund ist für jemanden, der in der Stadt wohnt, ein so entfernter Grund zu einem Besuche, daß ich vielmehr bald von diesem Gedanken von Grund aus zurückkam. Schöne Witwen und bekannte Melodien haben ein gleiches Los; wenn sie uns einfallen, gehen sie uns oft einige Tage im Kopf herum. Eines Tages fiel mir die schöne Witwe mit den Rabenlocken, mit den Feueraugen und mit den Zuckerkipfeln ein, ich wußte selbst nicht woher, und ich wollte der Sache auf den Strozzischen Grund kommen. Die Witterung war diesem Unternehmen günstig, das heißt, es war so entsetzlich schlechtes Wetter, daß gewiß alle Witwen in der Welt zu Hause waren. Der Himmel machte ein Gesicht, als wenn auf allen Geigen, mit denen er voll hängt, sich Dilettanten vor ihm hören ließen, und die Erde machte ein Gesicht, als müßte sie zu "Menschenhaß und Reue" ins Theater gehen und darüber referieren; da dachte ich, wenn Himmel und Erde solche Gesichter machen, so kann die schöne Witwe gegen mein Gesicht auch nichts haben, und flog auf den Flügeln der Ungeduld, das heißt auf einem Fiaker, nach dem Strozzischen Grund. Eine Kaffeekanne, zwei Basen, zwei Strümpfe, ein Mops und ein Muff wurden in der Überraschung von der schönen Witwe über den Haufen geworfen: "Nicht möglich. Soll ich den Ofen einschlagen?!" – "Schlagen Sie ein!" erwiderte ich und hielt ihr die Hand hin. Nun ging's an ein Vorstellen, es waren, wie gesagt, zwei Basen und ein Mops, lauter Strozzische Grundische. Alice, so wollen wir die schöne Witwe nennen, war sehr liebenswürdig. Wenn die Basen, die Strümpfe, der Mops und ich nicht zugegen gewesen wären, sie hätte mir gefährlich werden können! Auf einmal schlug sie die Hände ineinander und jauchzte laut auf: "Sie schickt mir ein guter Engel!" Ich bin zwar noch nie für einen Engel Boten gelaufen, allein ich ließ es dabei bewenden. "Übermorgen", fuhr sie fort, "ist bei Frau von Zirpewachtel großes Picknick, und Sie müssen mein Herr sein!" – "Meine Holde", erwiderte ich, "es heißt: ›und er soll dein Herr sein‹, nicht aber: ›und ich soll dein Herr sein!‹" – "Nichts da, keine Widerrede! Sie müssen mit mir, sonst, sonst, – morgen mittags holen Sie mich ab, ich stelle Sie dann der Frau von Zirpewachtel vor, und übermorgen bringen Sie mich hin," –

Gegen des Geschickes Mächten Ist kein ew'ger Bund zu flechten!

Am andern Mittag führte mich Alice durch eine Gedärmverwicklung von Kreuz- und Querstraßen, über eine gewundene Treppe in den dritten Stock eines zwei Stock hohen Hauses in den Empfangssaal der Frau von Zirpewachtel, Frau von Zirpewachtel erhob sich, und sie war so lang, daß es einige Minuten dauerte, bis sie ganz erhoben war; sie stand vor mir wie die Ahnfrau aller Kölnerwasser-Flaschen; und aus dieser enghalsigen Flasche gluckste sie ein: "Ich freue mich unendlich u.s.w." heraus. Ich bat sie, sich zu setzen, welches auch geschah, und mir war es, als ob sich der Landshuter Turm niedersetzte. Sie erzählte mir, daß ein paar liebe Freunde und Bekannte morgen bei ihr ein Picknick haben, "bloß beim Klavier!" Ich stellte vor, daß ich mit Vergnügen teilnehme, zwar nicht "bloß beim Klavier", auch beim Tisch, allein ich sei ein miserabler Junggeselle, der weder kochen noch braten kann. Frau von Zirpewachtel meinte, das wüßte sie, allein viel braucht man ja nicht, denn es sei ein Picknick "bloß beim Klavier", ich könnte mein Teil in Barem beisteuern, und zehn Gulden Münze wären hinreichend. Ich spürte, wie meine Brieftasche Krämpfe bekam, allein was war zu thun, ich lächelte wie ein gespießter Maikäfer, gab meine zehn Gulden her und sagte: "Eine wahre Bagatelle für ein Picknick bloß beim Klavier." Darauf stellte mir Frau von Zirpewachtel ihre zwei Töchter vor, die eine war eine schwarze Blondine, und die andere eine gelbe Brünette. Sie sprachen immer alle auf einmal, und alle beide eins und dasselbe. Sie waren sehr schwer zu unterscheiden, denn die eine war so lang wie die Mutter, so daß sie zusammen zwei in die Ewigkeit fortlaufende Parallellinien bildeten, diese hieß Luzchen; die andere war aber ganz klein und kompakt, sie war bloß der Klavierauszug der Mama und hieß Nantchen. Sie sagten mir beide zugleich, daß sie mich ganz abscheulich fürchten; ich aber sagte: "Das wird sich bei Ihnen über kurz oder lang schon verlieren."

Somit endete die Vorstellungs-Zeremonie, und ich empfahl mich. Beim Empfehlen sagte mir die Frau von Zirpewachtel: "Ach, ein paar Kapäundel könnten Sie doch auch besorgen!" Und so ließen wir uns an dem Strick der gewundenen Treppe wieder herab in das freundliche Leben.

"Und es freue sich, wer da atmet im rosigen Licht!"

Ich ging zurück in die Stadt, um zehn Gulden ärmer und um die Sorge "auf ein paar Kapäundel" reicher. Ich fragte Alice, ob die "Kapäundel" auch "bloß beim Klavier" verwendet werden. Sie aber nannte mich einen gottlosen Spottvogel. Die ganze Nacht beunruhigten mich schwere Träume, bald kamen die zehn Gulden im Leichentuche und rangen die Hände, bald zogen drohende "Kapäundel" an mir vorüber; ich sah, wie sich ein "Kapäundel" an das Klavier setzte und einen Straußischen Walzer zu Tode fingerte, ein anderes "Kapäundel" sang die große Arie aus dem "Titus", und ein drittes "Kapäundel" tanzte mit Frau von Zirpewachtel einen Kotillon. Kurz, es waren tolle, beängstigende Träume. Des Morgens früh besorgte eine meiner Kousinen die "Kapäundel", die sogleich nach dem Strozzischen Grund wanderten.

Die Strozzischen Mitglieder des Picknicks waren schon versammelt, als ich und meine Dame eintraten. Die lange Frau von Zirpewachtel, mit Blumen, Schleifen und Tüchern behangen, sah aus wie ein wandelnder Maibaum, oben auf dem Frisurgipfel bammelte ein goldner Turmknopf, und ich erwartete jeden Augenblick, einige Knaben aus der Société würden den Baum erklettern, um den obersten Preis zu gewinnen. Frau von Zirpewachtel kam uns entgegen und neigte sich von den Höhen herab, um der kleinen Witwe einen Kuß zu applizieren. Die beiden Zirpewachtel-Infantinnen, die lange und die kurze, sprangen mir entgegen und riefen a tempo: "Ach, ach, das ist schön, liebster Herr von S., daß Sie endlich da sind!" Ich war ganz gerührt von der Schönheit meines Daseins, und nun umknöchelte die Hausfrau mit ihrer Hand die meinige und schob mich der verehrten Strozzischen Gesellschaft vor: "Herr von S .," Die Frauenzimmer um den Theetisch schnellten wie die Zitterfische in die Höhe, wackelten mit dem Kopfe, blinzelten mit den Augen, und schnellten wieder auf ihre Plätze zurück, und saßen unbeweglich da. Ich verneigte mich stumm wie ein Schlagbaum, der heruntergezogen wird. Als ich mich umsah, glaubte ich mich in ein zoologisches Kabinett und in einen Kreis ausgestopfter Wesen versetzt. Um den Theetisch, auf welchem vielleicht in vergangenen Jahrhunderten Thee war, oder auf dem in zukünftigen Jahrhunderten Thee sein wird, sahen die Picknick-Vorsteherinnen, wovon die eine ein langes Papier, das Verzeichnis der Einsender und Einsendungen, in der Hand hatte. Es war die Frau von Repstörndl, bürgerliche Siebmachersfrau. Ich nahte mich ihr, und eine Stimme wie eine Spitzmaus, die Mezzavoce singt, drang mir, ich weiß nicht, ob aus ihrem Munde oder aus ihrer Nase, entgegen: "Hier, mein lieber S.., hier stehen Ihre Kapäundel; aber Sie dürfen nicht bös sein, sie sind gar nichts nutz; wenn Sie nicht bessere Witze machen als Kapäundel, so ist's traurig!" Dabei lachte sie einen einzigen Lacher aus, ohne daß weiter auf ihrem Antlitz eine Spur davon zurückblieb. Ich neigte mich anmutig nieder und sagte: "Entschuldigen Sie, meine verehrte Frau von Repskörndl, ich mache keine Witze, und ich habe auch diese Kapäundel nicht gemacht." Das kleine Nantchen, welches sich indessen des kleinen Fingers meiner linken Hand ganz fest bemächtigt hatte, lachte eine kleine Oktave und schrie: "Ach, Sie sind aber schlimm!" Da kam eine von den Schicksalsgöttinnen des Picknicks auf den zwar sehr naheliegenden, aber dabei außerordentlich entfernten Gedanken: "Aber Herr von S.., wollen Sie nicht eine Schale Thee, wir haben schon alle getrunken!" – "Wenn Sie bloß alle und nicht allen getrunken haben, so bitt' ich!" Nantchen knackte meinen kleinen Finger, und ich rief: "Ach nein, Sie sind aber schlimm!" Da erhob die Frau von Zirpewachtel ihre Stimme, daß sie so hoch wurde wie sie selbst: "Ach nein, der Herr von S.. trinkt keinen Thee, hat mir die Frau von Holdenburg gesagt, er wird nachher Wein trinken." Ich schnitt ein Gesicht, als hätt' ich den Wein schon getrunken, und sagte lächelnd: "Nein, ich trinke keinen Thee." – "Vielleicht ißt der Herr von S.. ein Stückchen Gugelhupf oder ein Eierplätzchen?" sagte eine dritte Schicksalsgöttin, die Frau von Grützmacher, mit einem Gesichte, so lang wie die Laxenburger Allee, und mit einer großen Nase wie das Chausseehaus in dieser Allee, aber bei dem allen schien sie mir ihres Einfalles wegen sehr liebenswürdig; da sah ich wieder, daß der menschliche Geist mehr ist als Schönheit, und schloß von der Frau von Grützmacher auf mich selbst und begriff, wie mich die Frauen so außerordentlich liebenswürdig finden. Ich sah sie so zärtlich an, daß jeder Blick aussah wie Liquor anodini, und sie warf mir einen zurück, der aussah wie extractum cinamomi, und ich war so hungerig, daß ich auf die Mischung dieser Blicke gerne geschrieben hätte: fiat pill. gr. iij. und sie verschlungen hätte; denn ich sah mich ringsumher um, allein nicht ein böser Schatten von Gugelhupf flog über die öde Heide, und Eierplätzchen?

"O fahrt wohl, ihr Ideale! goldgewebte Träume!"

Die Frau von Zirpewachtel sagte: "Ach nein, die Frau von Holdenburg sagte mir, Herr von S.. ißt kein Backwerk oder so was." Ich fühlte, wie mein Magen ob dieser Lüge schamrot wurde, allein ich lächelte und sprach resigniert: "Nein, ich esse nie Backwerk, und ›so was‹ schon gar nicht!" Nantchen drehte meinen kleinen Finger wieder aus seinen Fugen und sagte: "Aber nein, wie Sie schlimm sind!" – "Nun", fing die Hausfrau an, "wollen wir den Tisch abräumen, das junge Volk will tanzen." Der Tisch war aber so abgeräumt, als hätte ein französisches Regiment bloß freundschaftlich drin garnisoniert; ja ich habe eine Ahnung, daß dieser Tisch gar nie aufgeräumt war. Ich betrachtete mir nun das junge Volk! Es waren ungefähr achtzehn Wesen, die nur durch ihre Kleidung verrieten, ob sie zum "jungen Mannsland" oder zum "jungen Weibsland" gehörten. Bloß die Toilette der Männer war jung, denn die schwarzen Röcke waren noch voller Flaumen. Die Mädchen zusammen sahen aus, als ob sie "lebendige Tuschkasten" spielten. Ein einziger Herr schien der König des Festes, Amuseur, Danseur, Arrangeur u.s.w. zu sein; um ihn drehte sich die ganze Menagerie herum. Sie hießen ihn nur "unser lieber Falzbeindl". Er trug einen hellblauen Frack, ein gelbes Gilet mit einer roten Unterweste, zimtfarbne Beinkleider, die aber wahrscheinlich durch betrübende Erfahrungen so in sich gingen, daß sie unten sich so ferne als möglich von der verderblichen Erde zurückzogen, und Schuhstiefel mit Bändern, die immer mitgewichst worden sein mußten und steif von den Stiefeln wegstanden. Er hatte kurzes, etwas weißes Haar, glatt geschnitten, und bloß ein Büschel flatterte wie eine verirrte Taube um den Taubenschlag um das rechte Ohr herum. In der Hand hielt er ein rotkattunenes Schnupftuch, welches er beim Tanz zwischen seine Hand und seine Tänzerin einlegte. Es war das belebende Prinzip des Picknicks. Der Tanz begann; "bloß beim Klavier!" Es war aber auch ein Klavier! Ich glaubte anfangs, ich sei das Klavier, so verstimmt war es. Es sah aus wie ein vorgeschützter Zuschneidetisch, Mehrere Saiten waren viel klüger als ich, denn sie waren schon lange vor dem Picknick abgesprungen. Monsieur Falzbeindl setzte sich an die Klaviertruhe, und alles rief entzückt: "Ach, Monsieur Falzbeindl wird spielen!" Nantchen, die meinen kleinen Finger indessen auch zu einem vollkommenen Falzbeindl in ihrer Hand gefalzt hatte, fragte mich: "Haben Sie Monsieur Falzbeindl noch nicht auf dem Klavier gehört?" – "Ich habe ihn bloß jetzt auf dem Sessel gehört!" – erwiderte ich, "Aber nein", sagte sie, "wie kann man gar so schlimm sein!" – Da schlugen einige Klänge an mein Ohr, als ob eine Tonleiter zusammenbräche und die Späne davon herumflögen, Monsieur Falzbeindl hatte sich aber ans Klavier gemacht und falzbeindelte die himmlischen Straußischen Elisabethenwalzer herunter, daß es eine Freude war! Die verstimmten Saiten, die Holztöne, das Ächzen der Tasten, die mißhandelten Takte, das Haar an meinem Schnurrbarte sträubte sich in die Höhe, Nantchen geriet in ordentliche Verzückung, Frau von Repskörndl kehrte den Kopf links und schielte rechts über. Frau von Grützmacher ließ den Kopf rechts hinüber und blinzelte links. Alles schwamm in stiller Seligkeit, und Monsieur Falzbeindl hing quer auf seinem Stuhl, half jeder Note mit dem Oberleibe nach und balancierte jeden Ton auf der Nasenspitze. Das junge Volk begann zu tanzen. Der Stubenboden war klassischer Boden, römischer Boden, er hatte sieben Hügel. Sie tanzten alle und kamen mir vor wie die Schiffe im Sturm, bald waren sie hoch oben, bald tief unten. Mich erfaßte auch ein Sehnen.

"Über Thal und Berg zu schweifen!" Ich faßte die Frau von Zirpewachtel an wie einen aufgerichteten Aalfisch und schleuderte mich hinein in das Gebirge, und mir war es, als ob jemand mir die Goetheschen Worte zuriefe:

"Da wählet der Kenner der Höhen und Tiefen Lust und Entsetzen und grimmige Pein!"

Frau von Zirpewachtel ragte über alle in die Höhe, als ob ein Blitzableiter mittanzte. Ich riß sie leidenschaftlich hin und her, und die Falzbeindlische Musik hatte das Angenehme, daß man nie merkte, ob man aus dem Takte kam. Endlich war sie ermüdet, und ich ließ sie wie ein Ausrufungszeichen auf ihren Platz fallen. Das "junge Volk" hatte ein wenig ausgetobt, und Falzbeindl schwitzte Tropfen von einer Oktave im Umfange. Aber er sollte heute nicht zur Ruhe gehen! "Unser Falzbeindl soll singen!" hieß es allgemein. "Herr von S .. hat Falzbeindl noch nicht singen gehört!" – "Ja, ich werde bitten", sagte ich ganz zerknirscht; da ließ Falzbeindl den Kopf auf die Brust fallen und schloß die Äuglein wie ein Kakadu, wenn man ihm den Kopf kratzt, sah wieder auf mich und lispelte:

"Der Erlenkönig von Schubert."

"Das ist hübsch! das ist hübsch!" hieß es allgemein. Nantchen fragte mich: "Kennen Sie den Erlenkönig?" – "Ich kenne ihn nicht persönlich", antwortete ich, "aber aus der Beschreibung!" Falzbeindl präludierte, es sollt E-moll werden; weiß der liebe Himmel, was es war! – Bei den Worten:

"Mich reizt deine schöne Gestalt!"

floß ein regenbogenfarbner Blick von Falzbeindl auf Frau von Repskörndl. Endlich hörte ich das "ächzende Kind", hörte die "Mühe und Not", und, verzeihe mir der Himmel die Sünde! ich war froh, als das "Kind tot" war. Ich und Herr Falzbeindl waren auch tot, und wir sind doch keine Kinder, Falzbeindls Stimme war eine Mischung von Zwillichtenor und Drillbaß; bei jedem Tone, den er ansetzte, stieß er mit dem Bauch in die Luft. Er war zum Entzücken, und der Snozzische Grund widerhallte auch von "Bravo! Bravo!"

Der arme Falzbeindl! Noch hatte er keine Ruhe! Frau von Repskörndl setzte sich zum Klavier, und Monsieur Falzbeindl mußte einen Kotillon aufführen.

Falzbeindl, der gesellschaftliche Räuberhauptmann, war schon ganz gedünstet, dennoch stellte er sich mit einer unbeschreiblichen Resignation an die Spitze des Kotillons als Anführer und Feldherr. "Den Kotillon", schrie Frau von Zirpe- Wachtel, "muß alles mittanzen!" – Es war ein Kotillonlandsturm! Ich bekam ein Fräulein von Trampelgunde, eine kleine, dicke Figur, die sich von oben und unten in sich selbst zurückzog, mit einem gelben Kleide, und eine hochrote, einzelne, ungeheuere, steife Blume im Haare, so daß sie mir vorkam wie der gehörnte Siegfried. Sie hing an mir wie eine Ratze; sie tanzte so, daß man sagen konnte, ihre Sohlen berührten kaum den Boden, denn sie tanzte nur auf der Schneide der beiden Füße, auf den äußern Rundheiten, so daß, wenn sie stand, die beiden stachen Fußsohlen gegeneinander über standen und sich über die Schultern ansahen. Falzbeindl verrichtete Heldenthaten! Er schnellte wie ein bezaubertes Fischl durch die Reihen seiner Truppen; er bar, beschwor, stehle, drohte, ächzte, zappelte, er bot Himmel und Erde auf, um seine angegebenen Figuren mit uns durchzuführen, allein seine Mühe und sein Schweiß waren verloren. Wir flogen hin und her und durcheinander wie ein Sack Ratten, der losgebunden wird. Ein allgemeines Geschrei: "Ach, die Trampelgunde hat die Figur verdorben!" – "Die Luze macht alles konfus!" – "Herr von Tischlichtl bringt alles auseinander!" – "Aber die Frau von Grützmacher verdirbt ja alles!" u. s. w. währte während des ganzen Kotillons, und dazwischen immer die um Hilfe rufende Stimme des unglückseligen Steuermanns Falzbeindl: "Aber meine Gnädigsten! Luze rechts! Nante links! Aber nein, Sie daher! Herr von S .. übers Kreuz! Frau von Z. die linke Hand! Damen vor! Herren zurück! Aber meine Gnädigen! Lieber Himmel! Sie quer! Sie dort hinüber! O mein tausend, mein tausend! Sie lassen aus! Ich bitte, ich bitte! Kotillon! jetzt à place! Ach nein! Aber ich bitte! Nante! Sie dort, hierher! Es ist entsetzlich! Marie! mit der rechten Hand! Das ist ja Ihre Linke! Ist denn das Ihre Rechte! O Himmel! noch einmal! à place!" so ging das Zetergeschrei des armen Falzbeindl den ganzen Kotillon durch, er wurde immer heiserer, und als er zu mir kam und krächzte: "Nun, Herr von S ... mit Fräulein Trampelgunde, die Alleefigur!" Ich bebte zusammen! "Bist du es, Hermann, mein Rabe?" fragte ich und setzte mich an die Spitze der Alleefigur. Ich und Trampelgunde an der Spitze der Allee sahen aus wie eine Pappel mit einer Stechapfelstaud'! Diese Alleefigur muß eigentlich italienischen Ursprungs gewesen sein; ich glaube, Falzbeindl hat sie von einer Schüssel Maccaroni, die in sich selbst verschlungen ist, abgelernt. Man ging immer um sich selbst herum und zog die andern mit, und wenn man den Umgang um sich selbst vollendet hatte, so begann man wieder und umging sich von neuem. Auf natürlichem Wege kam diese Alleefigur nur dann zu Ende, wenn jemand so glücklich ist, daß ihn dabei der Schlag rührt. Sonst geht sie ins Unendliche, und ich glaube, ich und Trampelgunde, wir gingen noch um uns selbst herum, wenn nicht ein anderes schauderhaftes Ereignis diese Figur unterbrochen und den Kotillon beschlossen hätte. Ein Fräulein von Kiknitz nämlich, mit sehr hübschen blonden Locken, war etwas lang, und ihr mußte bei dem Durchschlüpfen in dem Kotillon vielmal an dem künstlichen Haargebäude gerüttelt worden sein, so daß es nach und nach locker wurde, und nun plötzlich, als sie auch auf gut Falzbeindlisch um sich selbst herumging, stieß ihr Nachbar mit dem aufgehobenen Arme an das lose Wesen von Lockengeschöpf und – es fiel – ein Opfer des geselligen Umganges! Die blonden Locken mit der blauen stiefmütterlichen Guirlande lagen zu ihren Füßen, und ihr eigenes Haar wurde plötzlich ganz schamrot! Sie bückte sich selbst, um "die Verlornen zu finden!" Aber die rötliche Finderin glitt aus, und sie lagen beide da, die ganze Alleefigur wollte nachhelfen, und sie stürzten alle über die Gefallenen her und fielen auch quer über, Trampelgunde, die Sohlenränderige, purzelte auch über sie hin und zog mich als Schlußstein nach sich. Da lag ich, wie ein Querbalken auf den Trümmern eines Heustadels. Ich glaubte, das gehörte noch zu der Alleefigur, und rief: "Frau von Zirpewachtel, jetzt kommen Sie in die Höhe!" Indessen hatte Fräulein von Kikiritz den günstigen Moment benützt und hatte am Boden das blonde Haarkapsel wieder aufgesetzt. Die Alleefigur wollte aufstehen, das konnte aber ohne meine persönliche Einwilligung nicht geschehen, denn ich lag auf ihnen wie ein großer Briefbeschwerer. Trampelgunde, der ich unmittelbar überlegen war, schrie wie aus einem kochenden Kessel: "Aber Herr von S .., um Gotteswillen, stehen Sie auf!"

Ich wollte mir das Ding erst langsam überlegen, denn es ließ sich viel dagegen und dafür sagen. Stand ich auf, so begann vielleicht die Alleefigur von neuem; Trampelgunde, von deren Füßen es sich am Rande verstand, daß sie nicht geh'n und nicht steh'n konnte, wurde mir wieder zu teil, und ich mußte wieder mit ihr um mich herumgehen. Bleibe ich aber liegen, so bleibt die Gesellschaft auch liegen, es ersticken einige Alleebäume, wir haben dann mehrere Tote auf dem Platze, das brächte doch einiges Leben in die Gesellschaft. So dachte und erwog ich mit Bedacht, und unter mir stöhnte das gesamte ehrsame Strozzische Picknick! Und wiederum rief Trampelgunde: "Ach, stehen Sie doch aus, Herr von S .., ich ersticke ja!" Ich aber fuhr fort in meinen Betrachtungen und Erwägungen, "Sie alle", so dachte ich, "alle, wie sie unter dir ächzen, haben ihr Leben schon genossen, sie haben Thee getrunken, Gugelhupf gegessen und Eierplätzchen, ich aber liege noch da mit einem jungfräulichen Magen. Sie haben gelebt und gegessen, sie können nun schon absegeln aus dem großen Picknick des Lebens. Frau von Zirpewachtel hat ihr Leben verwirkt, weil sie mir keinen Thee zukommen ließ; Falzbeindl hat an Goethe und Schubert den Tod verdient; Trampelgunde hat sich wie die Drud an mein junges Dasein gehängt u. s. w., sie haben den Tod verdient; ich werde allein überbleiben, und vielleicht etwas zu essen finden, und dann beschreiben: les derniers jours de pique-niques auf dem Strozzischen Grund, und – " hier stöhnte der ganze Strozzische Grund unter mir, ich fühlte ein menschliches Gefühl in meiner Brust, beschloß, Gnade vor Recht ergehen und die liebenswürdige Gesellschaft leben zu lassen. Ich stand auf, und nach mir erhoben sich die gestürzten Titanen alle vom Boden und zuletzt das Fräulein von Kitiritz, die ganz zerdrückt wurde und aussah wie ein flacher Eierkuchen. Aber das arme Fräulein war heute vom Schicksal zu grausamen Dingen auserkoren! Sie hatte, wie gesagt, die Kopftoilette am Boden vorgenommen, aber unglückseligerweise das ganze Haargebäude verkehrt aufgesetzt, die langen Locken hingen ihr am Rücken hinab, und über der Stirne prangte der vielfach gewundene Zopf! Sie sah desperat aus! Ich war boshaft genug, ihr schnell zuzurufen: "Kehren Sie sich schnell um, mein Fräulein, so ist alles in Ordnung!" Sie, ganz bewußtlos, kehrte sich rasch um und trug die herrliche Reversseite der Parterrefrisur zur Schau.

Da kam meine liebenswürdige Witwe Holdenburg auf den himmlischen Einfall, der Sache durch einen genialen Gedanken eine andere Wendung zu geben. Sie rief: "Jetzt, meine Herren, zum Souper!" Mein Magen war ganz Ohr! Ich nahte mich der süßen Holdenburg und sagte ihr mit einem Blick, der nicht weniger hungrig war als ich selbst: "Zum Souper? Du sprichst ein großes Wort gelassen aus!"

Die drei Zirpewachtels fegten herum, die Repskörndl machte hoffnungsvolle Augen, die Grützmacher sah aus wie ein Rätselalmanach, und Falzbeindl riß den Mund auf, als sollte die "Alleefigur" durchgehen. Ich aber betrachtete die Trampelgunde wehmütig und dachte: "Wenn die auch mit soupiert,' dann Gnade Gott der hungrigen Menschheit." Zum Souper! Alles lief durcheinander, Frau von Repskörndl kommandierte aus dem Verzeichnis, was kommen sollte.

"Frau von Tischlichtl, Ihr Bouillon!" Auf einer kleinen Tasse erschienen anspruchslos und bescheiden fünf oder sechs Schalen Bouillon, und die Tischlichtl entschuldigte sich, daß sie die Anzahl der verehrten Gäste nicht wußte, "aber", sagte sie, "es ist eine delikate Bouillon!" In einem Nu waren die paar Schalen unsichtbar geworden:

"Wie Geister kamen sie und schwanden!"

Ich hätte gerne eine Schale erobert, und zu einem solchen Kreuzzug wäre wirklich ein Gottfried von Bouillon nötig gewesen; allein es war vergebens; dabei schrie Nantchen immer: "Plehti (plaît-il)?" Ich antwortete: "Oui, et crethi!" Sie sah mich befremdet an und schmunzelte: "Aber nein, diese Schlimmheit!" – Die Bouillon war vorüber, und die Repskörndl rief: "Frau von Hertel, jetzt kommt Ihr Bretzenhecht!" Alle versammelten Angesichter klärten sich bei diesen Worten auf! Falzbeindl griff mit allen zehn Fingern in der Luft herum, als ob er schon auf dem Bretzenhecht einen Walzer spielte! Frau von Hertel sagte: "Es ist zwar keiner von den größten, aber ich habe ihn mit Sardellen zurichten lassen!" Sie sprang auf und lief dem schüchternen Bretzenhecht entgegen. Da lag er auf einer länglichen Schüssel, ein Schattenriß von einem Bretzenhecht; er war so klein, daß ich anfangs die Sardellen für den Hecht hielt, und ein bißchen Sauce war dabei, als wenn der kleine Bretzenhecht einen leisen Schweiß gehabt hätte. "Ach, was für ein liebes Tierchen!" schrie die Frau von Zirpewachtel, begann ihn zu versuchen, und:

"Dreimal gehn die Backen auf und nieder, Den Bretzenhecht sieht kein Mensch mehr wieder!"

Ich hatte Nantchen früher schon gefragt: "Hier ist der "Bretzen", wo ist denn der "Hecht"?" Sie säuselte: "Aber nein, Sie werden immer schlimmer!" Sie lief um die Bretzenhechtschüssel, welche indessen, wie Mohammeds Sarg, leer inmitten der Gesellschaft schwebte, brachte mir sie und sagte wieder: "Plehti!" und ich erwiderte wiederum: "Oui, ma chère, et crethi!" – "Aber", sagte sie, "was ist denn das, crethi?" – "Ei", erwiderte ich, "es ist ein gesellschaftliches Sprichwort: crethi und plehti; wenn Sie plehti sagen, sage ich daher immer crethi." Sie gab mir einen kleinen Schlag auf die Wange: "Sie Schlimmer, Sie!" Indessen war der Traum des Bretzenhechtes ausgeträumt, und die Frau von Repskörndl schrie: "Jetzt, Frau von Strieglak, jetzt kommt Ihr Beuschel!"

Da floß ein leiser Seufzer aus einem Winkel durch das Zimmer, und der Seufzer klang wie "Brot!" Und ein anderer anonymer Seufzer stoß aus einem andern Winkel: "Ach, nur einen Tropfen Bier!" Frau von Zirpewachtel erhob sich wie eine Lärmstange und sagte: "Ich muß um Entschuldigung bitten, die Frau von Harzmeusel, welche Brot und Bier hätte geben sollen, hat plötzlich absagen lassen, aber es wird sogleich dennoch kommen!" Die zwei Bier- und Brotseufzer verhallten wehmütig; allein ein dritter, unbändiger, tollkühner Seufzer floß wieder durch das Zimmer, und dieser lautete wie: "Wein!" Bestürzt sahen sich alle über diese Frechheit des Gedankens an. "Wer war das!" rief ich aus, "ich glaube gar, ich war es selbst!" Nantchen drehte meinen Finger, als ob er ein Flaschenstöpsel gewesen wäre, und sagte: "Phleti? – "Oui, ma cère, et crethi! Kennen Sie Schillers Worte des Wahns?" – "Ach, Sie sind schlimm! Was sind das für Worte?" – "Hören Sie nur!

Drei Worte hört man, bedeutungsschwer,     Im Munde der Durst'gen und Satten, Sie schallen vergeblich, ihr Klang ist leer,     Sie kommen uns hier nicht zu statten; Verscherzt ist dem Menschen des Picknicks Frucht, Solang' er die Schatten zu haschen sucht!

Solang' er glaubt, daß er frisches Brot,     Daß er Semmel und Kipfel wird kriegen, – An Semmeln und Kipfel" ist große Not,     Auch Brot sieht man nirgends hier liegen, Und hast du keines dir mitgebracht, So bekommst du keines die ganze Nacht!

Solang' er glaubt, daß das bairische Bier     Sich dem Durst'gen vereinigen werde, –Dich durstet vergebens stundenlang hier,     Nichts ist aus dem Tisch, auf dem Herde; Du bist ein Fremdling, so wandre aus Und suche daneben ein Bierschenkhaus!

Solang' er glaubt, daß in diesem Kreis     Die Flasche Wein je wird erscheinen, – Kein ird'scher Mensch vom Weine was weiß,     Wir können nur raten und meinen, Du sprichst hier vergeblich ein wichtiges Wort, Doch der Durst'ge wandle ins Wirtshaus fort!

Drum, edle Seele, entreiß dich dem Wahn,     Und den himmlischen Glauben bewahre, Daß wir Brot und Bier und Wein auch nicht sahn,     Das ist ja das Schöne, das Wahre! Sie sind nicht da draußen, in Küch' und im Haus, Doch hast du sie bei dir, so gib sie heraus!"

Nante sagte: "O, da" ist schlimm!" Indessen war das Beuschel der Frau von Striezlak verzehrt worden; ob es Ideal, ob es Wesenheit war, ich konnte es nickt erforschen. Frau von Zirpewachtel kam mit sechs oder sieben Semmeln in die Stube, und die ganze Menschheit flog ihr entgegen und riß sie ihr vom Herzen. Falzbeindl machte den Mund auf, daß ein kleiner Querflügel darin Platz gehabt hätte:

Eine ganze Semmel werf' ich hinein, Verschlungen schon hat sie der schwarze Mund!

Ich nahte mich auch, allein Zirpewachtel hatte keine Semmel mehr, bloß zwei leere, lange Arme, und es kam mir vor, als ob sie wie in der Teilung der Erde sagen wollte:

"Willst du in meinem Himmel mit mir leben, So oft du kommst, er soll dir offen sein!"

Allein die Himmelsseligkeit in ihrem Arme schien mir zu armselig, und ich zog mich nach diesem vergeblichen Raubzug um eine Semmel wieder auf meinen Witwensitz zu Nante zurück! Da rief die Repskörndl: "Jetzt kommen Herrn von S.. seine Kapäundl!" Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn dachte ich: "Où peut-on être mieux qu'au sein de da famille?!" Ich sah dem Postzuge meiner Kapäundl mit sehnsüchtigem Magen entgegen, allein statt vier Kapäundeln kamen drei; "ach", dachte ich, "eines ist im Wasser eingegangen!" Frau von Zirpewachtel tranchierte, und in einem Nu waren die drei Toten zu Scharpie geschnitten und an die löbliche Gesellschaft verteilt. Mir brachte die Frau von Zirpewachtel ein halbes entfleischtes Gerippe, eine Kapäundlrückendarre, Ich stimmte die nadewessische Totenklage an, machte mich über das Bein her, und ich muß ausgesehen haben wie das nagende Gewissen!

Wieder stöhnten einige Unglückliche: "Nur einen Tropfen Bier!" Lautlose Stille folgte diesen Seufzern aus dem Tartarus. Mich überfiel ein genialer Gedanke; in der Küche, die zugleich Garderobe war, sah ich im Eintreten einen Wasserkübel.

"Dahin möcht' ich mit dir, mein Kapäundl, ziehn!"

Es war nicht leicht, dahin zu kommen; die Küche lag wieder auf einem römischen Hügel. Dunkel war's auch, ich aber voll Sehnsucht sang:

"Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg, Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg!"

Ich war das Maultier und zwar ein Tier mit dürrem Maul, und ich gelangte glücklich in die Küche, Da blühte mein Glück! Die Götter sind edel und großmütig. Fritz, mein Bedienter, war da, um auf mich zu warten. Er hatte sich einen Kalbsbraten und eine Flasche Wein aus meiner Küche samt Brot mitgenommen. Als ich hinauskam, sagte er ganz gutmütig! "Euer Gnaden erbarmen mir, essen Euer Gnaden hier und trink'ns ein'n Schluck Wein; Euer Gnaden schauen ja ganz erbärmlich aus!" Ich umarmte den treuen Diener, verschlang einige Oktavbissen von dem Kalbfleisch und wollte eben einen tüchtigen Zug aus der Flasche thun, als die Frau von Zirpewachtel herausstürzte, die Flasche an sich riß und ausrief: "Ich habe ja gesagt, es ist Wein genug da!" und stürzte mit der Flasche ins Zimmer. Mein Bedienter wollte ihr nachstürzen, ich aber hielt ihn zurück und sagte:

"Da drinnen sind auch noch Unglückliche!"

Ich trank einen großen Napf voll Wasser aus und ging wieder zurück ins Zimmer. Da waren indessen alle Spuren von der Erfindung des Essens und Trinkens verschwunden, nur die schwankenden Gestalten gaben Kunde, daß getäuschte Hoffnungen dem Magen sehr weh thun. Es war Zeit zum Aufbruche. Ich beredete die Frau von Holdenburg, endlich zu gehen. Die Zirpewachtel war ganz seelenvergnügt, daß alles so vollauf und so in Ordnung vor sich ging, und lud mich zu einem sogenannten "Hackelbutz" (bei dem die Überreste eines großen Essens in einem engen Kreise verzehrt werden) ein. Ich bat um Entschuldigung, da ich mir heute den Magen überladen habe. Wir gingen gegen zwei Uhr morgens von dannen. In der Garderobe hatte indessen die Magd eine furchtbare Verwirrung angerichtet. Sie hatte nämlich nur einfache Nummern gemacht, aber sie wußte doch nicht, was geschehen sollte. Da ich einer der letzten war, so hätte ich meinen Mantel leicht bekommen können, allein er war gar nicht da; es hatte sich seiner schon ein anderer bemächtigt; es war nur noch ein kleiner, kurzer, himmelblau-tüchener Spenzer da, von welchem die Magd behauptete, es wäre ganz gewiß mein Mantel. Ich zog ihn in Gottes Namen an, und in einem Anzuge wie ein halbgeschälter Delphin begleitete ich die Holdenburg nach Hause. In einem der kleinen engen Seitengäßchen des Strozzischen Grundes sah ich plötzlich meinen Mantel am Boden liegen. Ich wollte ihn aufheben, allein siehe da, der kleine Monsieur Wildschnitzel, auch ein Mitglied des Picknicks, lag in ihn eingewickelt ohnmächtig da. Wahrscheinlich hatte ihn der Hunger entkräftet, und er unterlag der großen Anstrengung, meinen langen Mantel mitzuschleppen. Ich hob ihn auf, nahm ihn auf den Arm und trug ihn in ein naheliegendes, offenes Wirtshaus; hier labten wir ihn mit Brot und Bier, ich gab ihm seinen Spenzer, er mir meinen Mantel, ich führte die Holdenburg nach Hause, und sie sagte mir im Abschiednehmen: "Wir haben uns doch köstlich unterhalten!" –

Das Pfänderspiel in der Paniglgasse und der Humorist vom Thurn.

Der Mensch, das heißt der Mann, das heißt der ledige Mann, soll seine Sachen, das heißt seine Halskrägen, alle selbst kaufen. Dieser Satz aus der Moralphilosophie der Liebe hat sich bei mir erwiesen. Ich konsumiere jährlich viel Halskrägen und lege wirklich das ganze Jahr nichts zurück als eben meine Halskrägen. Es glaubten schon viele Humoristen, der Humor bestände darin, seinen Halskragen zurückgelegt zu tragen, und siehe da, kaum hatten sie ihren Halskragen zurückgelegt, so hatte ihr Humor Hals und Kragen zurückgelegt!

Also ich kaufte meine Halskrägen in der – Straße. Da saß sie und säumte ein Tuch. Es war nicht die Modiste selbst, nicht Lucina selbst, sondern eine ihrer Priesterinnen, eine der dienenden Grazien in dem Tempel der modischen Göttin. Da saß sie, – sie mag Pamela heißen – da saß sie und säumte. Ich begehrte mit jenem warmen flanellenen Lächeln, welches ebensogut für geheime Ironie als für unendliche Schafmäßigkeit genommen werden kann, ein halb Dutzend Halskrägen.