Alexanders Erbe: Die Schlacht um den Thron - Robert Fabbri - E-Book + Hörbuch

Alexanders Erbe: Die Schlacht um den Thron Hörbuch

Robert Fabbri

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Beschreibung

Die epische Serie über die unerbittliche Schlacht um Alexanders Imperium. Blutig und schonungslos. Von Bestsellerautor Robert Fabbri. Die Todesursache Alexanders des Großen ist klar: Der Herrscher wurde ermordet. Aber von wem? Während Alexanders ehemalige Gefolgsleute um die Macht ringen, werden Familienbande, Freundschaften und politische Loyalitäten auf die Probe gestellt – eine Zerreißprobe, selbst für das mächtige Imperium, das Alexander der Große erschaffen hat. Schlachten toben, Armeen, Städte und Tausende von Menschenleben werden durch rücksichtslose Intrigen von denen zerstört, die sich zum König krönen wollen. Oder zur Königin … Könnte eine Vermählung das zerrissene Reich wieder zusammenfügen und jahrelangen Krieg abwenden? Wo kein Mann es vermag: Wird eine Frau den Sieg davontragen?

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Zeit:15 Std. 43 min

Sprecher:Erich Wittenberg
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Robert Fabbri

Alexanders Erbe: Die Schlacht um den Thron

Historischer Roman

 

 

Aus dem Englischen von Anja Schünemann

 

Über dieses Buch

HINTERLISTIGE INTRIGEN IN EUROPA. VERHEERENDE SCHLACHTEN IN ASIEN.

 

318 v. Chr., fünf Jahre nach Alexanders Tod

 

Die Mutter des großen Feldherrn Alexander III., die grausame Herrscherin Olympias, hat den jungen Thronerben in ihrer Gewalt und steht auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Doch Kassandros, der älteste Sohn des verstorbenen Regenten, erhebt Anspruch auf Olympias’ Amt. Nur einer von beiden kann dieses Kräftemessen überleben!

Verzweifelt hofft Olympias auf Unterstützung aus dem Osten. Aber in Asien tobt der blutige Kampf um die Vorherrschaft. Landstriche, Städte, Tausende von Menschenleben werden zerstört. Alexanders mächtiges Imperium steht vor der Zerreißprobe. Wem wird der Triumphierende zu Hilfe eilen: dem hinterlistigen Kassandros? Oder der skrupellosen Olympias, Mutter des vergöttlichten Alexander? Wo kein Mann es vermag: Wird eine Frau den Sieg davontragen?

 

«Ein fantastisches Gespür für die Epoche. Dieses Buch kann man nur schwer weglegen.» Historical Novel Society

Vita

Robert Fabbri, geboren 1961, lebt in London und Berlin. Er arbeitete nach seinem Studium an der University of London 25 Jahre lang als Regieassistent und war an so unterschiedlichen Filmen beteiligt wie «Die Stunde der Patrioten», «Hellraiser», «Hornblower» und «Billy Elliot – I Will Dance». Aus Leidenschaft für antike Geschichte bemalte er 3500 mazedonische, thrakische, galatische, römische und viele andere Zinnsoldaten – und begann schließlich zu schreiben. Mit seiner epischen historischen Romanserie «Vespasian» über das Leben des römischen Kaisers wurde Robert Fabbri Bestsellerautor.

 

Mehr zum Autor und zu seinen Büchern: www.robertfabbri.com

 

Anja Schünemann studierte Literaturwissenschaft und Anglistik in Wuppertal. Seit 2000 arbeitet sie als freiberufliche Übersetzerin der verschiedensten Genres und hat seitdem große Romanprojekte und Serien von namhaften Autorinnen und Autoren wie Philippa Gregory, David Gilman sowie Robert Fabbri aus dem Englischen ins Deutsche übertragen. Historische Romane sind eines ihrer Spezialgebiete: Von der Antike bis zum Mittelalter, in die frühe Neuzeit sowie bis ins 20. Jahrhundert verfügt sie über einen reichen Wissensschatz, der ihre Übersetzungen zu einem gelungenen Leseerlebnis macht.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel «Alexander’s Legacy: An Empty Throne» bei Corvus/Atlantic Books Ltd., London.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Dezember 2022

Copyright © 2022 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«An Empty Throne» Copyright © 2022 by Robert Fabbri

Redaktion Tobias Schumacher-Hernández

Karte und Illustration Anja Müller

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung HAUPTMANN & KOMPANIE Werbeagentur, Zürich,

nach der Originalausgabe von Atlantic Books Ltd

Coverabbildung Sara Rostant

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-01457-2

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

In liebendem Andenken an Joyce Imogen Husbands, «Joycie», 1924–2019. Eine Freundin der Familie, die uns sehr fehlt.

Antigonos der Einäugige

Ehrgeiz war eine Motivation, die sich selbst verstärkte, das hatte Antigonos spät im Leben gelernt. Sie nährte sich von ihren eigenen Erfolgen, und er war ihr verfallen.

So war es nicht immer gewesen. Vor dem Tod Alexanders, des dritten Makedonenkönigs, der diesen Namen trug, war Antigonos als Satrap von Phrygien recht zufrieden gewesen. Alexander hatte ihn auf dem Posten zurückgelassen, damit er die Eroberung Zentralanatoliens vollendete, während der große Herrscher selbst weiter nach Osten zog, um ein anderes riesiges Reich dem seinen einzuverleiben. Und Antigonos war mit seinem Los glücklich gewesen, denn er liebte nichts mehr als den Kampflärm, die Gerüche und die Erregung der Schlacht. Sein Zelt war sein Zuhause, seine Männer waren seine Familie und seine Waffen seine Werkzeuge. Jahrelang hatte er praktisch für nichts anderes gelebt als für seine Feldzüge und das Glücksgefühl der Schlacht. Ja, er hatte sich eine Frau genommen, Stratonike, und ja, er hatte auch die Zeit gefunden, mit ihr zwei Kinder zu zeugen. Aber diesen Ausflug in die Häuslichkeit hatte er erst mit Ende vierzig unternommen und vorher nicht geplant.

Nun aber genügte es Antigonos nicht mehr, um des Kämpfens willen zu kämpfen, auch wenn er es noch immer in vollen Zügen genoss. Sein Blick war auf einen leeren Thron gefallen, und er hatte beschlossen, diesen zu beanspruchen, um ihn später einmal seinem ältesten Sohn Demetrios zu vererben. Antigonos würde eine Dynastie begründen, darauf war nun all sein Streben gerichtet. Gut, technisch gesehen saßen derzeit zwei andere auf diesem Thron – wenigstens war das sein Kenntnisstand –, aber der eine war ein Kind von fünf Jahren und der andere ein Schwachsinniger. Das Kind, Alexanders gleichnamiger Sohn, stammte aus dessen Ehe mit der asiatischen Wildkatze Roxane und war daher mit dem Makel behaftet, nur zur Hälfte makedonischer Abstammung zu sein. Der Schwachsinnige war Alexanders älterer Halbbruder, nunmehr als Philipp bekannt. Sein Verstand war beeinträchtigt, weil Olympias, Alexanders Mutter, Philipps Mutter in der Schwangerschaft vergiftet hatte, um den Weg zum Thron für ihren eigenen Sprössling frei zu halten. Das Gift hatte das Ungeborene nicht getötet, jedoch dazu geführt, dass sein Geist für immer der eines Achtjährigen blieb.

Antigonos konnte keinen der beiden als Herrscher anerkennen. Überhaupt war er nicht mehr bereit, sich irgendjemandem unterzuordnen, seit Alexander seinen letzten Atemzug getan hatte. Während er im Kreise seiner sieben Leibwächter sein Leben aushauchte, warteten sie gespannt darauf zu hören, wem er sein Weltreich hinterlassen würde. Doch Alexander sagte nur: «dem Stärksten». Den großen Ring von Makedonien gab er Perdikkas – dem Ranghöchsten, wenngleich nicht dem Ältesten der sieben. Wer «der Stärkste» sein mochte, sagte der sterbende Herrscher allerdings nicht.

Es hatte nicht lange gedauert, bis das Reich in einen Bürgerkrieg abgeglitten war. Und schon bald war Perdikkas den Dolchstößen seiner Widersacher zum Opfer gefallen.

Dann war der letzte Mann, den Antigonos wirklich respektiert hatte, mit fast achtzig Jahren gestorben: Antipatros, der in Alexanders Abwesenheit als Regent über Makedonien geherrscht hatte. Und Antipatros’ Nachfolger wurde nicht etwa sein Sohn Kassandros, sondern Polyperchon, ein Niemand, für den Antigonos keinerlei Achtung aufbrachte. Da war die Saat des Ehrgeizes in Antigonos gekeimt und gewachsen, denn er hatte erkannt: Wenn das makedonische Großreich nicht zerfallen sollte, musste ein einziger Mann die Herrschaft ergreifen. Und für Antigonos war klar, dass er dieser Mann sein konnte. Er verlangte mit jeder Faser seines Seins danach.

Allerdings standen ihm noch viele im Weg, nicht zuletzt sein einstiger Freund Eumenes, ein Grieche aus Kardia. Dieser hatte dem Herrscherhaus der Argeaden stets unerschütterlich die Treue gehalten. Kürzlich hatte Eumenes gegen eine Vereinbarung mit Antigonos verstoßen und sich geweigert, unter ihm zu dienen. Eumenes hatte seine Armee aus seiner Satrapie Kappadokien hinunter nach Syrien geführt, um Söldner anzuwerben und Schiffe zu bauen. Antigonos hatte Jagd auf ihn gemacht, denn er musste Eumenes vernichten – das Vertrauen zwischen ihnen beiden war ein für alle Mal zunichte.

Und so empfand Antigonos gemischte Gefühle, als er seinen alten Freund und Kameraden Philotas empfing. Er saß unter einem Baldachin, trank geharzten Wein und überblickte das Lager seiner Armee an der Küste bei Issos – dem Schauplatz von Alexanders verblüffendem Sieg gegen den Perserkönig Dareios fünfzehn Jahre zuvor.

«Wie ich sehe, bringst du mir weder Eumenes in Ketten noch seinen Kopf in einem Sack. Ich schließe daraus, dass du nicht erfolgreich warst», bemerkte Antigonos und deutete auffordernd auf den Weinkrug, der auf dem Tisch stand.

«Ich habe getan, was du mir aufgetragen hast: Ich habe mit dreißig unserer Jungs sein Lager infiltriert und versucht, Eumenes’ Männer gegen ihn aufzuwiegeln.» Philotas setzte sich und schenkte sich einen Becher voll.

«Und?»

«Und er ist abgezogen, vor fünf Tagen. Nach Osten in Richtung Mesopotamien.»

Antigonos knurrte und hielt ihm seinen leeren Becher zum Nachschenken hin. «Mit seiner Armee oder als Flüchtling?»

«Mit seiner Armee. Aus dem Osten hört man, dass Peithon, der Satrap von Medien, versucht hat, seinen Bruder in Parthien als Satrapen einzusetzen, nachdem er den vorigen Amtsinhaber getötet hatte. Peukestas und die übrigen östlichen Satrapen haben sich gegen ihn verbündet und ihn geschlagen. Ich nehme an, Eumenes hofft darauf, die dreißigtausend Mann starke Armee dieses östlichen Bündnisses mit seiner Streitmacht zu vereinen.»

«Dann wären sie ein starker Gegner für uns.» Antigonos dachte kurz über diese Neuigkeiten nach und kratzte sich dabei in seinem dichten grauen Bart, als wolle er ein kleines Nagetier daraus entfernen. «Und die Silberschilde waren gar nicht in Versuchung, Eumenes im Stich zu lassen?»

«Ich habe mich nach Kräften bemüht, sie zu überreden, aber da war nichts zu machen. Es ist bemerkenswert, wie sie ihm die Treue halten.»

«Wenn man bedenkt, dass er Grieche ist, und noch dazu ein listiger kleiner Grieche.» Wie konnte es nur dazu kommen, dass die beste Elitetruppe der gesamten Armee fest hinter Eumenes steht?, sinnierte Antigonos, während er mit seinem verbliebenen Auge finster aufs Meer hinausblickte. Das andere Auge war in der Schlacht von Chaironeia einem griechischen Pfeil zum Opfer gefallen. Nun sickerte aus der vernarbten Augenhöhle eine blutige Träne. «Welche Gründe haben ihre Befehlshaber dir denn genannt, weshalb sie ihn unterstützen?»

«Antigenes und Teutamos trauen dir nicht. Sie fürchten, du würdest sie hinrichten, falls sie zu dir überlaufen. Sie sagen, da Eumenes Grieche ist, hat er nur wenige Freunde, deshalb ist davon auszugehen, dass er die paar, die er hat, am Leben lässt.»

«Bei meinem Arsch! Sie trauen einem Griechen mehr als mir! Bei meinem verschwitzten, haarigen Arsch! Sie sind makedonische Offiziere wie ich, und sie trauen mir nicht. Warte nur, bis ich sie in die Finger kriege, dann werde ich …» Antigonos trank ein paar große Schlucke Wein, um sich zu beruhigen.

«Das ist ja genau das, was sie befürchten, alter Freund. Und ich sah mich genötigt einzuräumen, dass sie vermutlich nicht so falschlagen.»

«Du hast was getan?»

«Du hast mich schon verstanden.» Philotas beugte sich hinüber, um Antigonos’ Becher abermals nachzufüllen. «Nun tu nicht so entrüstet, Antigonos. Du und ich, wir haben an die siebzigmal Schulter an Schulter in vorderster Front gekämpft, also kann ich wohl behaupten, dich ganz gut zu kennen. Natürlich hättest du sie getötet. Die Silberschilde sind die erfahrenste und gefürchtetste Einheit der gesamten Armee, dreitausend Mann in den Sechzigern oder darüber, die ihr ganzes Erwachsenenleben lang nichts als Krieg gekannt haben. Und darum sind sie auch die eigensinnigsten und einflussreichsten Männer in der Armee. Sie waren es, die Alexander damals in Indien zur Umkehr zwangen. Sie haben den Thronanspruch des schwachsinnigen Philipp unterstützt und uns damit in die missliche Lage gebracht, zwei Könige zu haben. Sie haben gegen Antipatros rebelliert, weil er ihnen den ausstehenden Sold nicht zahlte, du erinnerst dich? Antipatros wäre ermordet worden, hättet du und Seleukos ihn nicht gerettet. Muss ich noch mehr sagen? Nein, natürlich nicht. Diese Männer neigen dazu, Ärger zu machen. Wäre es mir gelungen, sie zum Überlaufen zu bewegen, dann wäre das einzig Vernünftige gewesen, die Anführer hinzurichten und den Rest der Truppe in irgendein entlegenes Drecksloch am äußersten Rand des Reiches zu schicken – nicht nur um deines Seelenfriedens willen, sondern auch um die Moral der gesamten Armee aufrechtzuerhalten. Also noch einmal, alter Freund: Tu nicht so entrüstet.»

Antigonos knurrte und blickte finster drein, sagte jedoch nichts. Er wusste selbst, dass Philotas recht hatte. Der Kern des Problems war, dass Eumenes ohne die Silberschilde im Herzen seiner Armee nicht überleben konnte, Antigonos hingegen schon, und das war allen Beteiligten klar.

«Ptolemaios hat auch Unterhändler geschickt», fuhr Philotas fort, «allerdings nur zu Antigenes und Teutamos, nicht zu den Männern. Die Aufforderung war aber die gleiche: Sie sollten Eumenes töten und zu ihm überlaufen.»

«Und sie fanden die Aussicht, nach Ägypten zu gehen, nicht verlockend?»

Philotas schüttelte den Kopf. «Das Problem war dasselbe: Sie wussten, dass Ptolemaios nicht zögern würde, sie zu töten. Und die Silberschilde hätte er wohl so weit wie möglich nilaufwärts stationiert, wo niemand außer den Krokodilen mehr an sie gedacht hätte.»

Ach, Ptolemaios, du hältst dich für den raffiniertesten unter Alexanders sieben Leibwächtern. Du wähnst dich in deiner Festung Ägypten sicher. Aber dich kriege ich auch noch, und zwar schon bald. Doch während Antigonos das dachte, war ihm bewusst, dass von den überlebenden fünf Leibwächtern Ptolemaios in der Tat am sichersten war. Perdikkas, dem Alexander mit jenen schicksalhaften Worten den großen Ring von Makedonien übergeben hatte, war ermordet worden, weil er selbstherrlich versucht hatte, sich dem Reich aufzuzwingen. Er hatte in Ägypten einmarschieren wollen und dabei seinen Meister gefunden.

Der eitle und arrogante Leonnatos war in der Schlacht gefallen. Er war Antipatros zu Hilfe gekommen, der in der Stadt Lamia von einer athenischen Armee belagert wurde, als kurz nach Alexanders Tod die Griechen sich gegen die makedonische Herrschaft erhoben. Aber kann ich gegen Ptolemaios vorgehen, während Eumenes in den Osten marschiert, um dort Unterstützer zu gewinnen? Vor diesem Problem stand Antigonos nun: Der kleine Grieche würde versuchen, sich mit dem einstigen Leibwächter im Osten zu verbünden, Peukestas, dem Satrapen der Persis. Außerdem mit der östlichen Allianz sowie mit Seleukos, dem neuen Satrapen von Babylonien, einem ehrgeizigen, im Aufstieg begriffenen Mann – dem man das Handwerk legen musste. Wenn es Eumenes gelänge, all diese Männer zu einem Bündnis zu einen, hätte er eine wahrhaft gewaltige Streitmacht.

Antigonos stand auf und blickte über die Küstenebene zu seiner Armee hinüber. Sie war über fünfzigtausend Mann stark, davon fast zehntausend Reiter. Von Tausenden Kochfeuern stieg Rauch auf, vermischt mit den Düften von gebratenem Lamm, Fisch und Meeresfrüchten. Genüsslich sog Antigonos den Geruch der lagernden Armee ein. Götter, wie ich dieses Leben liebe. Sein Blick wanderte über die Ebene weiter nach Norden zu der Stelle, wo er vor all den Jahren einen Teil der Phalanx befehligt hatte – jener sechzehn Reihen tiefen Formation aus Lanzenkriegern, die den Amboss der makedonischen Armee darstellte, während die Kavallerie der Hammer war. Damals hatte Alexander mit seiner Armee kehrtgemacht, die Perser, die ihn verfolgten, angegriffen und sie geschlagen. Der Großkönig Dareios war an jenem Tag vom Schlachtfeld geflohen, und damit hatte seine Herrschaft praktisch geendet.

Antigonos schloss sein Auge und schwelgte in der Erinnerung an eine Viertelmillion Männer im Kampf auf Leben und Tod. Götter der Unterwelt, das war ein Tag! Dergleichen werde ich nicht noch einmal erleben. Aber wenn Eumenes im Osten wirklich Verbündete findet, könnte es eine Schlacht geben, die beinahe so groß wäre.

Bei diesem Gedanken lächelte Antigonos. Er öffnete sein Auge wieder und schaute Philotas an. «Und was ist mit Eumenes’ Flotte?»

«Sie war in Rhosos stationiert, ein paar Parasangen weiter südlich an der Küste. Ich konnte die Kommandeure überreden, zu dir überzulaufen, sobald sie deine Flotte erblickten, die frisch von ihrem Sieg im Norden zurückkehrte. Und nicht nur das – Eumenes hatte seinen Schatz bereits auf die Schiffe verladen, um ihn nach Europa zu bringen. Wirklich ein Jammer für ihn.»

Antigonos rieb sich kichernd die Hände. «Wie bedauerlich. Wie viel war es?»

«Dreißig Kisten mit Münzen, Gold- und Silberbarren sowie Schmuck. Wir haben noch nicht nachgezählt. Es ist alles in Rhosos.»

 

«Wenigstens fünfhundert Talente», sagte Antigonos befriedigt, als der Schatzmeister die letzte Truhe öffnete. Sie befanden sich in der Schatzkammer des Palastes zu Rhosos, drei Parasangen südlich von Issos. Antigonos klopfte seinem neunzehnjährigen Sohn Demetrios auf die Schulter. «Was hältst du davon, mein Junge?» Er beugte sich vor und zog eine rundum mit Saphiren besetzte Halskette aus einer Truhe. «Die wird deiner Mutter bestimmt gefallen und sie darüber hinwegtrösten, dass ich sie in Kelainai zurückgelassen habe. Suche du auch etwas für Phila aus – ich bin sicher, sie hat es sich verdient.»

Demetrios war inzwischen größer als sein Vater, und sein glatt rasiertes Gesicht unter dem dichten, welligen dunkelbraunen Haar wirkte trotz der sehr ausgeprägten Nase weit gefälliger. Er schaute stolz auf Antigonos hinunter. «Und ob sie es verdient hat, Vater. Sie ist nämlich schwanger.»

Daraufhin schlug Antigonos seinem Sohn noch einmal kräftiger auf die Schulter und kicherte. «Nun, du hast dich ja auch mächtig angestrengt, mein Junge. Und du hattest schon Sorge, ihrer nicht Herr zu werden, weil sie zehn Jahre älter ist als du.»

Der Ausdruck des Stolzes wich gekränkter Würde. «Ich hatte noch nie ein Problem damit, ein Weib zu beherrschen.» Demetrios machte sich von seinem Vater los, der ihn noch immer an der Schulter gefasst hielt. «Und ich wäre dir sehr verbunden, wenn du dir solche Anspielungen verkneifen könntest, Vater, vor allem in der Öffentlichkeit.» Er warf einen finsteren Blick auf den Schatzmeister und dessen Sklaven.

Antigonos hob beschwichtigend beide Hände. «Nun sei nicht gleich beleidigt, Demetrios. Hast du schon vergessen, wie ich dich zu dieser Heirat nötigen musste? Es war ein politisch geschickter Zug, eine von Antipatros’ Töchtern zu ehelichen, die außerdem zufällig die Witwe von Krateros war.» Antigonos blickte seinem Sohn einen Moment lang in die Augen. Er fragte sich, was wohl gewesen wäre, wenn Krateros – der Liebling der Armee und nach Alexander der erfolgreichste Feldherr Makedoniens – nicht in der Schlacht gegen Eumenes gefallen wäre. Dann hätte Antipatros ihn zu seinem Nachfolger gemacht, nicht diesen Niemand Polyperchon. Und wenn Krateros Regent wäre, dann wäre ich heute noch nichts weiter als der Satrap von Phrygien und würde Befehle von ihm entgegennehmen. Vielleicht hat Eumenes mir einen großen Gefallen getan, indem er ihn tötete, und ich sollte dem kleinen Griechen trotz allem dankbar sein.

«Nun suche ein Schmuckstück für die Mutter deines ungeborenen Kindes aus und sei nicht so empfindlich.» Er trat dichter neben seinen Sohn und senkte die Stimme. «Und denke daran, Demetrios: Ich finanziere Kassandros’ Krieg in Griechenland gegen Polyperchon. Ein Teil dieses Schatzes wird bei ihm landen – genug, um sicherzustellen, dass er siegt und tief in meiner Schuld steht. Wir wissen ja, wie giftig der Mann ist, also ist davon auszugehen, dass er die Könige beseitigen und versuchen wird, den Thron von Makedonien für sich zu beanspruchen. Dein Sohn wird sein Neffe sein, und bislang hat er noch keinen Erben. Wenn wir erst einmal Asien gesichert haben …» Antigonos forderte seinen Sohn mit einer Geste auf, den Gedankengang fortzuführen.

Demetrios überlegte kurz. «Dann würden wir uns nach Westen wenden und Kassandros die Herrschaft über Makedonien entreißen.»

«Und ihn dabei töten.»

Demetrios lächelte kalt. «Und dann ist mein Sohn der Thronfolger, und ich werde Regent.»

«Nein, Demetrios, du wirst König. König von Makedonien und dem makedonischen Großreich. Und dein Sohn wird den Titel erben. In ihm sind Antipatros’ und deine Sippe vereint, sodass sein Anspruch unanfechtbar sein wird, denn die Erben des Argeadenhauses werden ja bis dahin tot sein. So werden wir unsere Dynastie begründen.»

Demetrios’ Augen weiteten sich, als er das volle Ausmaß dessen erkannte, was sein Vater sich erträumte. «Du hast es auf das gesamte Großreich abgesehen?»

«Ja, mein Junge, ganz recht.»

«Du willst es sogar mit Ptolemaios in Ägypten aufnehmen?»

«Unbedingt, sonst müssten wir ständig mit ihm um die Kontrolle über Syrien und Zypern kämpfen. Die Frage ist nur: Nehme ich es mit ihm auf, bevor ich gegen Eumenes und den Osten vorgehe, oder erst nachher?»

«Und was ist mit Lysimachos in Thrakien?»

Antigonos winkte ab, als der Name des grausamsten unter Alexanders Leibwächtern fiel. «Der wird sich uns bereitwillig unterordnen, solange wir ihn in Thrakien in Ruhe lassen. Er ist ganz glücklich damit, dort gegen die nördlichen Stämme zu kämpfen und großes Aufhebens davon zu machen, dass er uns vor einer Invasion der Barbaren schützt. Wenn wir ihm Geld geben, damit er dort oben weiter seine Festungen bauen kann, wird er uns keine Scherereien machen.»

«Und Olympias?»

«Hier zeigt sich, wie wichtig es ist, gut informiert zu sein. Komm, lass uns ein Stück gehen.» Er führte Demetrios hinaus in den Palasthof, von wo aus man den Hafen überblicken konnte. «Du hast doch sicher schon von Archias dem Verbanntenjäger gehört?»

Demetrios nickte. «Natürlich, das ist dieser ehemalige Schauspieler, der sich jetzt als Meuchelmörder betätigt.»

«Nun, vor ein paar Monaten hat Ptolemaios den Verbanntenjäger überredet, gegen ein unerhörtes Honorar nach Makedonien zu reisen und Olympias zu offenbaren, welche Rolle er selbst bei Alexanders Tod spielte.»

Demetrios schaute seinen Vater mit einer Mischung aus Neugier und Überraschung an. «Und welche wäre das?»

«Der alte Antipatros entsandte ja damals Kassandros nach Babylon, um von Alexander die Bestätigung einzuholen, dass Krateros ihn ablösen sollte. Archias fuhr auf demselben Schiff mit, allerdings nur bis Tarsos. Dort beschaffte er für Kassandros ein Gift, mit dem dieser dann seine Reise nach Babylon fortsetzte. Sehr bald nach seiner Ankunft starb Alexander. Iolaos, Kassandros’ jüngerer Halbbruder, war zu jener Zeit Alexanders Mundschenk.» Antigonos schwieg, um seine Worte wirken zu lassen. Dabei beobachtete er mit zusammengekniffenem Auge, wie ein schneller, wendiger Lembos – ein offenes Boot – durch die Hafenmündung glitt. Die ruhige See funkelte in der Sonne.

Demetrios enttäuschte seinen Vater nicht. «Olympias hat immer behauptet, dass Alexander ermordet wurde, entweder von Antipatros selbst oder von jemandem aus seiner Familie. Sie hatte nur nie einen Beweis – bis jetzt.»

Antigonos grinste. «Jetzt hat sie Gewissheit, zumindest aus ihrer Sicht – eigentlich ist es eher ein Indiz als ein stichhaltiger Beweis, aber ihr genügt es.»

«Sie wird sich in einen Rachefeldzug stürzen.»

«Das wird sie. Und wir alle wissen, was für ein rachsüchtiges Weib sie ist. Nur dass niemand etwas gegen sie unternehmen kann, denn als Alexanders Mutter ist sie unantastbar. Nicht einmal Antipatros hat je versucht, sie ermorden zu lassen, als sie ihm in den zehn Jahren von Alexanders Abwesenheit das Leben schwer machte. Niemand kann sie töten …» Antigonos ließ den Gedanken in der Luft hängen.

«Es sei denn jemand, der Alexander aus tiefster Seele hasste. Jemand, der weiß, wenn er Olympias nicht beseitigt, wird sie ihn und seine ganze Sippe töten. Kassandros wird gar nichts anderes übrig bleiben, als sie umzubringen.» Demetrios schaute seinen Vater beeindruckt an. «Das war wirklich schlau von Ptolemaios.»

«In der Tat, so ungern ich es auch zugebe.» Antigonos sah zu, wie eine Gestalt von dem Lembos auf den Kai sprang, noch ehe das Boot fertig angelegt hatte. «Du siehst also, Demetrios», fuhr er fort, «wir haben da jemanden im Westen, der glaubt, in seinem eigenen Interesse zu handeln, indem er Krieg gegen Polyperchon und somit auch gegen Olympias führt. Aber in Wirklichkeit macht er den Weg für uns frei, während wir uns um Eumenes und Ptolemaios kümmern. Alles in allem eine sehr erfreuliche Lage. Und nun wähle ein Schmuckstück für deine Frau aus, die trotz ihres fortgeschrittenen Alters eine so wichtige Rolle in unserem Plan spielt.»

«Ja, Vater, das will ich tun.»

«Antigonos!» Philotas kam auf den Hof gelaufen, eine Schriftrolle in der Hand. «Das hier ist soeben von Kassandros eingetroffen.»

Antigonos nahm den Brief und las, wobei er die Worte lautlos mit den Lippen formte. «Nun, die Dinge entwickeln sich in erfreulichem Tempo.»

«Was steht denn in dem Brief, Vater?», wollte Demetrios wissen.

«Kassandros schreibt, seine Spione hätten berichtet, dass Olympias den Schwachsinnigen, König Philipp, und sein lästiges Weib Adea ermordet hat. Außerdem hat sie Hunderte von Kassandros’ Unterstützern und Verwandten umgebracht. Sie hat ferner die Gräber seiner Familie geschändet und seinen Bruder, seine Stiefmutter sowie seine beiden jüngeren Halbgeschwister ermordet. Kassandros sinnt auf Rache – er wird nach Norden marschieren, sobald er auf der Peloponnes mit Polyperchons Sohn Alexandros fertig ist.» Antigonos schüttelte den Kopf und schmunzelte. «Olympias hat ihr eigenes Todesurteil besiegelt.» Er reichte seinem Sohn die Schriftrolle. «Mir scheint, wir müssen ihr dankbar sein. Sieh selbst.»

«Wirst du weitere Truppen entsenden, um Kassandros zu unterstützen?», fragte Demetrios.

«So weit kommt es noch. Wir wollen doch nicht, dass er allzu mächtig wird. Ich werde ihm Geld schicken, damit er Söldner anwerben und Leute bestechen kann, aber mehr auch nicht. Und ich werde ihn daran erinnern, dass ich meine Männer und meine Flotte zurückhaben will, sobald er Olympias getötet und Makedonien in seine Gewalt gebracht hat.»

«Meinst du, er wird deine Forderung erfüllen?»

«Nein, und das liefert mir den Vorwand, den ich brauche, um einzumarschieren.»

«Und Ptolemaios?»

«Falls nötig, könnten wir vorerst ein Zweckbündnis schmieden, damit ich mir Kassandros vornehmen kann. Somit steht für mich fest, wie jetzt zu verfahren ist: Ich lasse Ptolemaios einstweilen in Ruhe für den Fall, dass ich ihn später noch brauche. Stattdessen verfolge ich Eumenes und mache ihn unschädlich, ehe es ihm womöglich gelingt, den Osten zu einen.»

«Ist es nicht etwas zu spät im Jahr, um einen neuen Feldzug zu beginnen?»

Guter Junge, er denkt mit. «Der Marsch bis an den Tigris wird einen Monat dauern. Wir überwintern in Mesopotamien. Die Zeit nutzen wir, um unsere Vorräte zu ergänzen, und Nearchos soll inzwischen eine Flussflotte bauen, damit wir bis zur Frühjahrs-Tagundnachtgleiche mit der gesamten Armee in Babylon sein können. Es wird uns als Basis dienen, wenn wir weiter in den Osten marschieren.»

«Und Kassandros räumt indessen für uns Olympias aus dem Weg.»

Antigonos strahlte seinen Sohn an und fasste ihn abermals an der Schulter. «Ganz genau. Bis wir wieder nach Westen kommen, ist Alexanders Mutter tot und das Königshaus der Argeaden der Auslöschung einen Schritt näher.»

Olympias die Mutter

Ihre Rachsucht mit dem Blut ihrer Feinde zu stillen, war für Olympias pure Glückseligkeit. Und es gab ihrer viele, denn ihr Leben lang hatte sie mehr Vergnügen daran gefunden, sich Feinde zu machen, als Freundschaften zu pflegen. Wozu brauchte sie als Mutter des großen Alexander Freunde? Nun war Alexander tot, aber Olympias unternahm dennoch keine Anstrengungen, sich bei den Leuten beliebt zu machen, über die sie praktisch herrschte. Denn sie trug jetzt den großen Ring von Makedonien und war Regentin für ihren Enkel, den fünfjährigen König, der den Namen seines Vaters trug. Polyperchon, vom einstigen Regenten Antipatros zu dessen Nachfolger ernannt, hatte ihr die Verantwortung bereitwillig übertragen. Sie hatte die Gelegenheit ergriffen, den Ring genommen und ihn sich an den Zeigefinger gesteckt. Nun hielt sie ihn in die Höhe und betrachtete wohlgefällig das faszinierende Symbol der Macht.

Aus dem Herzen des Palastes in Pella, der Hauptstadt Makedoniens, hatte Olympias ihre Herrschaft gefestigt, sodass es nur noch wenige Menschen gab, die nicht in Angst vor ihr lebten. Inzwischen weit in den Fünfzigern, war sie noch immer eine eindrucksvolle Erscheinung, das Haar schwarz gefärbt und bis auf zwei Ringellocken zu beiden Seiten des Gesichts hoch aufgetürmt, mit Juwelen geschmückt und mit goldenen Nadeln festgesteckt. Sie war ebenso elegant wie gefährlich.

«Ich dulde nicht, dass man so mit mir redet, Thessalonike.» Ihre mit schwarzem Lidstrich geränderten Augen zu Schlitzen verengt gleich den Schlangen, die sie verehrte, schaute Olympias von ihrem Thron auf die Frau hinunter, die vor ihr stand. Diese hatte kaum die zwanzig überschritten, strahlte jedoch eine Kraft aus, die ihr Alter Lügen strafte.

Thessalonike war die Tochter einer Nebenfrau Philipps, des Zweiten dieses Namens. Olympias hatte ihre Rivalin vergiftet und deren Tochter an Kindes statt angenommen. Nun stand Thessalonike vor ihr und ließ sich von Olympias’ wachsendem Zorn nicht beeindrucken. «Du hast nicht zugehört, Mutter. Du konzentrierst dich allzu sehr darauf, jeden zu töten, der dich vor dreißig Jahren vielleicht einmal schief angeschaut hat.»

«Ich nehme nur die Rache, die mir zusteht.»

«Darauf hast du kein Monopol. Kassandros wird auf der Peloponnes bald mit Polyperchons Sohn Alexandros fertigwerden – die Belagerung ist nun schon seit vier Monaten im Gange. In Kürze wird Tegea fallen. Anschließend wird Kassandros hierher in den Norden kommen, und dann wird er auf die Rache sinnen, von der er findet, sie stünde ihm zu.»

«Pah!» Olympias machte eine wegwerfende Geste. «Eumenes wird mit seiner Armee vor ihm hier eintreffen, und gemeinsam werden wir Kassandros vernichten.»

«Aber wo bleibt Eumenes denn? Die Kunde von seiner Ankunft in Griechenland hätte uns schon vor Tagen erreichen müssen. Er hat die Schiffe, und das Wetter war mild – was hätte ihn aufhalten können?» Thessalonike blickte Olympias vielsagend in die Augen. «Es sei denn …»

«Es sei denn was?»

«Es sei denn, Antigonos’ Flotte hätte den Hellespont verlassen, wäre nach Süden gefahren und hätte Eumenes geschlagen.»

Sie hat recht, dachte Olympias und tippte mit einem Finger auf die Armlehne des Throns. Fast ein Monat ist vergangen, seit Polyperchon seine Kriegsflotte einbüßte, indem er Antigonos’ Flotte im Hellespont angriff. Inzwischen dürfte Antigonos die Schäden an seinen Schiffen behoben haben. «Wenn du richtig vermutest, können wir gar nicht mehr mit Eumenes rechnen.»

«Und dann kann nichts Kassandros daran hindern, in den Norden zu kommen, da wir keine Flotte haben, um es mit seiner aufzunehmen.»

«Soll er doch kommen. Ich steche ihm die Augen aus, reiße ihm die Eier ab und stopfe sie in die leeren Augenhöhlen.»

«Mutter, du stellst deine Gefühle über praktische Erwägungen.»

«Selbstverständlich tue ich das! Dieser pockennarbige Feigling hat meinen Sohn ermordet. Meinen Sohn! Den größten Mann, der je gelebt hat. Ermordet von einem, der nicht einmal das Recht hat, bei Tische zu liegen, weil er noch nie auf der Jagd einen Keiler erlegt hat. Pah! Natürlich bringt das meine Gefühle in Aufruhr.»

Thessalonike atmete tief durch und warf einen Blick zu Polyperchon, der unauffällig am Ratstisch im Thronsaal saß.

«Der wird dir auch nicht helfen», höhnte Olympias. «Er tut nur, was ich ihm befehle, wie ein guter Jagdhund.»

«Dann befiehl ihm, alle verfügbaren Schiffe zusammenzuziehen, die Armee zu mobilisieren und die Pässe von Thessalien nach Makedonien zu besetzen. Wir müssen Kassandros an einer für uns günstigen Stelle schlagen. Wenn er erst einmal in Makedonien Einzug hält, wird das Volk sich in Scharen auf seine Seite stellen.»

«Auf die Seite von Alexanders Mörder? Pah! Das Volk von Makedonien würde ihn niemals gegen Alexanders Mutter unterstützen.»

«Das Volk liebt dich nicht, Mutter, und das weißt du.»

Sie hat schon wieder recht, dachte Olympias. Sie fürchten mich, aber das genügt nicht, um mir ihre Treue zu sichern. Auch wenn sie Kassandros hassen – mich verabscheuen sie noch mehr. Doch was kümmern mich die Liebe und die Ansichten des Volkes? Es geht mir nicht um Liebe, es geht mir um Kassandros. Sie richtete den Blick auf Polyperchon. «Nun? Wird Kassandros deinen nichtsnutzigen Sohn bald besiegen?»

Polyperchon – schmächtig, ergraut und fast kahlköpfig – war kein Anführer, sondern der geborene Gefolgsmann, deshalb hatte er den Ring so bereitwillig hergegeben. Nun zögerte er nicht, denn er verstand sich auf Details, ein ausgezeichneter zweiter Kommandeur. «Wenn Eumenes nicht kommt, um Tegea zu befreien, wird die Stadt fallen. Alexandros wird möglicherweise entkommen, aber die meisten seiner verbleibenden Männer wird Kassandros in seiner Armee verpflichten. Und dann, ja, dann wird er nach Norden marschieren, mächtiger als zuvor. Da wir keine Flotte haben, mit der wir ihm begegnen könnten, kann er seine Armee mit Schiffen an den Thermopylen vorbeibringen. Damit macht er unsere äußerst kostspielige Vereinbarung mit den Ätoliern, nach der sie den Pass gegen ihn verteidigen würden, nichtig.»

Olympias runzelte die Stirn. «Aber wir haben immer noch mehr als genug Männer, um es mit ihm aufzunehmen: Wir haben deine Armee, und die Armee von König Aiakides, meinem Neffen, lagert noch immer im Westen des Landes. Sie wird erst nach Epirus zurückkehren, wenn die Verlobung zwischen meinem Enkel und Aiakides’ Tochter geschlossen ist. Und dann wären da noch Aristonous’ Männer.»

«Aristonous ist auf seine Güter zurückgekehrt und hat seine Männer mitgenommen, wie du sehr wohl weißt, Mutter», entgegnete Thessalonike und ballte die Fäuste an den Seiten. «Er war angewidert von deinem Verhalten, davon, wie du Adea und Philipp ermordet hast und die vielen Gefangenen, die Kassandros’ Gefolgsleute waren.»

«Sie hatten den Tod verdient.»

«Ein Mann mit seinem Ehrgefühl sieht das anders.»

«Aristonous ist schwach. Von den sieben Leibwächtern meines Sohnes hat er sich als einziger auf seine Landgüter zurückgezogen, anstatt eine Satrapie zu übernehmen.»

«Vielleicht hat er vorhergesehen, was geschehen würde, und wollte nichts damit zu tun haben.»

«Nun, er hat aber damit zu tun. Ich werde ihn unverzüglich zurück nach Pella beordern. Polyperchon, kümmere dich darum, sofort.»

Polyperchon nickte.

Olympias funkelte ihn an. «Was sitzt du noch da, alter Mann? Ich sagte sofort. Geh!»

Polyperchon sprang auf und hastete hinaus.

Olympias sah ihm kopfschüttelnd nach, dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Ziehtochter. «Aristonous kann sich um unsere Verteidigung kümmern, wenn er wieder hier ist. Diesem kahlköpfigen Niemand würde ich eine solche Aufgabe nicht anvertrauen.»

«Wenn Aristonous sich weigert zurückzukommen, hast du vielleicht niemand anderen als Polyperchon zur Verfügung. Du solltest ihm schon einmal befehlen, die Armee zu mobilisieren und an die südliche Grenze zu führen.»

Es widerstrebte Olympias, Vorschläge von anderen zu befolgen, doch sie nickte widerstrebend.

«Und gib Aiakides Bescheid, er soll seine Armee nicht zurück nach Epirus führen, weil du sie noch brauchen wirst.»

«Ich werde mit meinem Neffen sprechen, wenn er morgen zur Verlobungsfeier herkommt.»

 

Am folgenden Nachmittag ritt Aiakides, der König von Epirus, durch das Westtor nach Pella hinein, ein königliches Diadem auf dem Kopf und einen goldverbrämten Purpurmantel um die Schultern. In den Straßen herrschte nicht gerade Festtagsstimmung. Zwar war die gesamte Bevölkerung auf den Beinen, um den König zu sehen, doch die Leute waren nicht aus Neugier herbeigeströmt oder gar aus Liebe und Respekt. Sie hatten sich auf Befehl versammelt. Der Erlass war am Vorabend verkündet worden, und jedem, der ihn nicht befolgte, drohte Strafe, sofern derjenige nicht nachweisen konnte, dass er einer Tätigkeit nachging, bei der er unabkömmlich war. Ja, die Leute jubelten, als der feiste junge König zu Pferde Einzug hielt, neben seiner Mutter Phthia und seiner siebenjährigen Tochter Deidameia in einem Wagen. Hinter ihnen ritt eine Ile, eine zweihundert Mann starke Einheit seiner Hetairenreiterei, nach makedonischer Art mit Lanzen bewehrt und ohne Schilde. Dann folgte ein Syntagma aus zweihundertsechsundfünfzig Phalangiten, Lanzenkriegern, ebenfalls nach makedonischem Vorbild. Die Waffen der Männer waren mit Blumen geschmückt, die Pferde mit hohen Federbüschen und farbenfrohen Bändern.

Die Soldaten winkten und riefen dem versammelten Stadtvolk Grüße zu. Doch der Jubel der Menge klang gezwungen, obwohl Flötisten, Trommler und ein Chor eine mitreißende Marschmusik anstimmten. So ging es über die speergerade Hauptstraße zur Agora im Zentrum der rasterartig angelegten Stadt, wo ebenfalls eine mäßig begeisterte Zuschauermenge versammelt war. Von dort wandte sich die Prozession nach Norden zum Palast am Stadtrand.

Olympias wartete am oberen Absatz der großen Treppe, deren uralte Marmorstufen vom vielen Gebrauch ausgetreten waren. Hinter ihr stand die riesige zweiflügelige Eichenholztür mit Bronzebeschlägen offen, sodass man in die herrschaftliche Halle dahinter schauen konnte. Eine Ehrengarde aus handverlesenen Hypaspisten säumte die Stufen. Mit ihren Brustpanzern, Helmen und Schilden aus polierter Bronze, auf denen die sechzehnstrahlige Sonne von Makedonien prangte, standen die Männer vier Reihen tief. Ihre Helmbüsche aus rotem Rosshaar und die Mäntel flatterten in der leichten Brise, und sie hielten ihre langen Stichspeere aufrecht an ihrer Seite.

Olympias’ Hände ruhten auf den Schultern ihres fünfjährigen Enkels. Die Mutter des Knaben, Roxane, war in ihren Gemächern eingesperrt, wo sie von zwei riesenhaften Soldaten bewacht wurde. Sie hatte sich kreischend gewehrt und mit ihren langen Fingernägeln gekratzt, jedoch vergebens. Olympias hatte den Anblick sehr genossen, doch die Szene, die sich ihr jetzt bot, fand sie wenig befriedigend.

«Warum sind die Leute so mürrisch?», fragte sie Thessalonike, die rechts hinter ihr stand. «Sie sollten doch jubeln und die bevorstehende Verlobung feiern. Und nun schau sie dir an.» Sie deutete auf die Menge, die nur halbherzig winkte und Beifall rief, als Aiakides vorbeiritt. «Ich sollte ein paar von denen aufknüpfen lassen, um die anderen anzuspornen.»

Thessalonike seufzte vernehmlich. «Ach, Mutter, wie wenig du doch über das gemeine Volk von Makedonien weißt.»

«Das gemeine Volk, wie du es nennst, sollte tun, was man ihm sagt. Und diesen Leuten wurde befohlen, fröhlich zu sein.»

«Welchen Grund hätten sie denn, fröhlich zu sein?»

«Ich bin im Begriff, durch diese Verlobung die Zukunft der Argeadendynastie zu sichern.»

«Die Leute sind nicht dumm. Sie sehen, dass du deine Stellung als Regentin absicherst, damit du noch viele Jahre über sie herrschen kannst. Sie haben auch gesehen, was du bereits in weniger als einem Monat angerichtet hast, und sie kennen deinen Ruf, deshalb gefällt ihnen die Vorstellung nicht.»

«Meinen Ruf?»

«Als machthungrige Mörderin, ja.»

Olympias fuhr zu ihrer Ziehtochter herum und stieß dabei den jungen Alexander zu Boden. «Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen – mit mir, der Mutter Alexanders!»

«Ich wage es, Mutter, weil du die Wahrheit hören musst. Wir beide wissen, dass du meine leibliche Mutter getötet hast, und sie ist nur eines von vielen Opfern auf deiner Liste. Wir beide wissen auch, dass du unentwegt Ränke schmiedest und alles daransetzt, die Macht an dich zu reißen. Somit bist du eine machthungrige Mörderin, und das Volk weiß das und ist auf der Hut. Und nein, sooft du auch betonst, dass du Alexanders Mutter bist, es gibt dir doch nicht das Recht zu tun, was immer dir beliebt, und dafür noch Liebe oder Achtung zu erwarten.»

Blitzschnell holte Olympias aus und versetzte ihrer Ziehtochter eine schallende Ohrfeige. Thessalonike taumelte rückwärts und hielt sich die Wange. Dann gewann sie das Gleichgewicht wieder, richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und starrte Olympias mit kalten Augen und eisigem Lächeln an. «Eines Tages wirst du das bereuen, Olympias. Das schwöre ich.»

Meine Reaktion mag etwas unbedacht gewesen sein, aber das kleine Biest hatte es verdient. «Du machst mir keine Angst. Du kannst mir ja doch nichts anhaben.»

«Oh, lass das nur meine Sorge sein, mir wird schon etwas einfallen.» Thessalonike bückte sich und zog den weinenden König wieder auf die Füße. «Komm, Alexander, ein König weint doch nicht, oder?»

Alexander sah zu ihr auf, unterdrückte ein paar Schluchzer und schüttelte den Kopf. Thessalonike zauste ihm das schwarze Haar, dann streichelte sie seine Wange. «Guter Junge.» Sie überließ ihn Olympias und nahm wieder ihren Platz schräg hinter ihr ein. Eben war Aiakides am Fuß der Treppe angekommen und saß ab.

Olympias setzte ein kaltes, verbissenes Lächeln auf und streckte ihm eine Hand entgegen. «Aiakides, König von Epirus», deklamierte sie mit heller, klarer Stimme, sodass die Menge in weitem Umkreis sie hörte. «Wir heißen dich in Pella willkommen.» Jedes Mal, wenn wir uns begegnen, sieht er schlechter aus.

Aiakides war dreiundzwanzig, wirkte jedoch zehn Jahre älter, denn er war aufgedunsen von übermäßigem Weingenuss, mit hängenden Wangen, schütter werdendem Haar und fleckiger Gesichtshaut. Nun stieg er unsicheren Schrittes die Stufen hinauf und ergriff die ausgestreckte Hand. «Königin Olympias, meine Tante, es ist mir eine Freude, hier zu sein.»

Du kannst mich ebenso wenig ausstehen wie ich dich. «Wir kommen hier freudig zusammen, um unsere Häuser miteinander zu vereinen, indem wir deine Tochter Deidameia mit meinem Enkel Alexander, dem vierten Makedonenkönig dieses Namens, verloben.» Sie hob beide Arme, der Menge zugewandt, doch der Jubel fiel auch diesmal spärlich aus. Erbost und enttäuscht stampfte Olympias mit dem Fuß auf, drehte sich um und verschwand im Palast. Ihr abrupter Abgang rief allgemeine Bestürzung hervor.

Thessalonike schaute ihrer Ziehmutter kurz nach, und der Anflug eines Lächelns umspielte ihre Lippen. Dann wandte sie sich an Aiakides und lud ihn mit einer Geste ein, Olympias zu folgen. «Wollen wir?»

 

«Und so erkläre ich vor den Göttern und den hier versammelten Zeugen diesen Mann, Alexander, und diese Frau, Deidameia, für verlobt.» Aiakides, der Vater der Braut, starrte mit blutunterlaufenen Schweinsaugen auf die beiden Kinder hinunter, die verwirrt vor ihm standen. Sie hielten sich an den Händen, die symbolisch mit einem Lederriemen zusammengebunden waren. Zeugen der Zeremonie waren Thessalonike und die wenigen Edelmänner, die derzeit in Olympias’ Gunst standen, was im Wesentlichen bedeutete, dass sie sie bis jetzt am Leben gelassen hatte. «Sie werden heiraten, wenn meine Tochter zur Frau geworden ist. Als Mitgift werde ich ihr wie vereinbart tausend Rinder und tausend Silber- und Goldtalente mit in die Ehe geben.»

Während Aiakides weiter die Mitgift aufzählte, betrachtete Olympias voller Abscheu ihr einstiges Mündel. Der König von Epirus war als Kind auf den Thron gelangt, nachdem sein Vetter im fernen Italien auf einem Feldzug ums Leben gekommen war. Olympias hasste Aiakides, seit sie die Regentschaft hatte niederlegen müssen, weil er das Mannesalter erreicht hatte. Als zusätzliche Kränkung verwehrte er ihr anschließend einen Sitz an seinem Ratstisch und entzog ihr so das eine, wonach sie so gierte: Macht. Mit Glück wirst du dich zu Tode saufen – es sei denn natürlich, ich beschlösse, dich vorher zu vergiften. Sie dachte ein wenig über diese Möglichkeit nach. In ein paar Jahren werde ich vielleicht –

«Was geht hier vor sich?», kreischte eine schrille Stimme vom Eingang des Saals. «Warum wurde ich daran gehindert, an dem Empfang und der Zeremonie teilzunehmen?»

Olympias schaute sich um und erblickte Alexanders Mutter Roxane. Diese versuchte gerade, einem Wachmann das Gesicht zu zerkratzen, weil er sie nicht einlassen wollte. Wie konnte sie überhaupt ihre Gemächer verlassen? Ich werde die beiden Männer, die ich zu ihrer Bewachung abkommandiert habe, hart bestrafen.

«Geh mir aus dem Weg», fauchte Roxane und attackierte den Mann mit ihren Klauen.

«Lass sie durch», befahl Olympias.

Roxane spuckte den Wachmann an, der ihr mit blutigem Gesicht den Weg freigab, dann betrat sie den Saal. Ihre dunklen Augen funkelten zwischen dem Schleier und dem hohen Kopfputz hervor. Sie baute sich vor Olympias auf und zeigte mit ausgestrecktem Finger auf sie, an dessen langem Nagel noch ein Hautfetzen hing. «Du schließt mich aus, du missachtest mich und nimmst mir mein Kind weg. Und nun lässt du mich nicht einmal der Verlobung meines Sohnes beiwohnen. Ich bin eine Königin, und eine Königin sollte stets im Mittelpunkt stehen.»

Olympias lächelte ohne Wärme. «Ach, meine Liebe, haben deine Wachen denn meinen Befehl, dich herauszulassen, nicht erhalten? Ich werde den Sklaven, der die Nachricht überbringen sollte, auspeitschen lassen.» Oder eher die Wachen. «Ach ja, wo sind deine Wachen eigentlich?»

Roxanes Augen funkelten triumphierend. «Ich hatte Mitleid mit ihnen und habe ihnen durch meine Sklavinnen etwas zu essen und zu trinken hinausgeschickt.»

Die Schwachköpfe haben den Gaben dieser Wildkatze getraut. Man kann sie nicht oft genug warnen, sie tun es doch immer wieder. «Dann sind sie tot?»

«Inzwischen ja.»

«Nun, jetzt bist du ja hier.» Olympias bedeutete Roxane, neben Alexander Platz zu nehmen. Der Knabe zuckte zurück, als seine Mutter ihm eine Hand auf die Schulter legte. Seine Augen, dunkel wie die ihren, schienen im Saal nach einem Freund zu suchen, doch da war keiner. Schau, wie wenig er dich liebt.

Aiakides räusperte sich und fuhr fort, denn ihm war daran gelegen, bald zu dem Teil der Zeremonie zu kommen, bei dem getrunken wurde. «Ferner werde ich ein Abkommen unterzeichnen, nach dem Epirus seine Unterstützung zusichert, um den Thron meines zukünftigen Schwiegersohnes gegen Bedrohungen von außen ebenso wie aus dem eigenen Land zu verteidigen.»

«Du wirst noch mehr tun, Aiakides», unterbrach Olympias ihn. «Du wirst deine Armee hier lassen, damit ich sie gegen Kassandros ins Feld führen kann.»

Aiakides blinzelte mehrmals und schaute sie erschrocken an.

«Ich schicke sie zu dir zurück, sobald Kassandros tot ist.»

«Aber in der Zwischenzeit wäre Epirus ohne Verteidigung.»

«Nun sei doch nicht so begriffsstutzig, Aiakides, das geziemt einem König nicht. Makedonien ist praktisch das einzige Land, das dich überhaupt angreifen könnte, und weshalb sollte ich das tun? Mit den gelegentlichen Einfällen illyrischer Stämme aus dem Norden werden deine verbliebenen Garnisonen wohl noch fertigwerden.»

Aiakides öffnete den Mund zu einer Erwiderung.

«Ein Nein akzeptiere ich nicht.»

«Ich bin der König von Epirus, ich lasse mir von niemandem befehlen.»

«Falsch, Aiakides, du lässt dir von mir befehlen. Jedenfalls wenn du wünschst, dass dein kleiner Sohn Pyrrhus noch ein Königreich zu erben hat.»

«Du drohst mir?»

«Das hast du gut erkannt. Ja, ich drohe dir, wieder einmal. Auch wenn das eigentlich gar nicht nötig sein sollte, schließlich ist es in deinem eigenen Interesse, deine Armee hierzulassen, um mich im Krieg gegen Kassandros zu unterstützen.»

«Inwiefern ist das in meinem Interesse?»

«Denk nach. Sollte Kassandros die Herrschaft über Makedonien an sich reißen, dann würde er auf dem Thron von Epirus doch sicher jemanden haben wollen, der keine Verbindung zu mir hat, Neffe – meinst du nicht auch?»

Aiakides’ Gesicht verriet, wie angestrengt sein Verstand arbeitete. «Also gut», sagte er schließlich. «Ich habe soeben beschlossen, mit der Armee von Epirus auf makedonischem Boden zu bleiben, um die Interessen meiner Tochter zu schützen.»

Olympias lächelte. «Das ist eine ausgezeichnete Idee von dir. Du kannst mit den Truppen im Westen des Landes in der Nähe deiner Grenze bleiben für den Fall, dass Kassandros uns mit einem Angriff über Land statt entlang der Küste zu überrumpeln versucht.»

Aiakides murmelte etwas Unverständliches. Olympias beachtete ihn nicht weiter, sondern schaute auf die beiden Kinder hinunter, die noch verwirrter schienen als zuvor. Sie löste den Riemen, mit dem ihre Hände verbunden waren. «Nun, meine Lieben, ist es an der Zeit, vorerst Abschied voneinander zu nehmen. Und denkt daran, in sechs oder sieben Jahren werdet ihr heiraten. Sag Deidameia Lebewohl, Alexander.»

Alexander schaute seine Verlobte an, die zwei Jahre älter, einen halben Kopf größer und viel hellhäutiger war als er. «Leb wohl, Deidameia.»

«Sage ihr, wie sehr du dich freust, dass sie eingewilligt hat, deine Frau zu werden.»

«Ich freue mich, dass du meine Frau wirst.»

Deidameia betrachtete ihn mit ernsten blauen Augen. «Wir werden sehen, Alexander. Bis dahin vergeht noch viel Zeit.»

Ein vielversprechendes Mädchen, das schon mit sieben Jahren so denkt. Olympias bückte sich, um sie auf die Wange zu küssen, dann nahm sie Alexanders Hand.

«Gib ihn mir», zischte Roxane durch ihren Schleier.

«Was, damit du ihn abwechselnd verwöhnen und in Angst und Schrecken versetzen kannst? Nein, Roxane, du wirst keinen Einfluss mehr auf ihn haben. Er soll zu einem Makedonenkönig erzogen werden, nicht zu einem verweichlichten östlichen Potentaten mit einer Vorliebe für Knaben und gekühlte Getränke.»

Roxane fauchte, dass ihr Schleier flatterte. «Eines Tages werde ich mich rächen, Olympias. Das schwöre ich aus tiefstem Herzen.»

«Bedenke wohl, was du dir wünschst, du Hure. Ich bin der einzige Mensch, der dich am Leben erhält. Die Götter mögen dir beistehen, falls Kassandros dich je in seine Klauen bekommt.»

Kassandros der Eifersüchtige

«Sie haben was gesagt?» Kassandros’ hageres, pockennarbiges Gesicht lief vor Entrüstung puterrot an. Seine tief liegenden Augen zu beiden Seiten der Adlernase starrten seinen jüngeren Bruder mit loderndem Blick an.

«Sie haben Nein gesagt», wiederholte Philippos.

«Dann richte Krateas und Atarrhias aus, sie sollen sich wie Generäle mit Rückgrat benehmen und erneut den Angriff befehlen!», brüllte Kassandros Philippos ins Gesicht. «Und sage ihnen, diesmal bekommt jeder, der zurückweicht, mein Schwert im Rücken zu spüren.» Kassandros fluchte. Er blickte über die Belagerungslinien und das Niemandsland voller im Rückzug befindlicher Stoßtrupps hinweg. Die Mauern von Tegea waren vom Rauch der Brände in der Stadt umwölkt und mit jubelnden Verteidigern bemannt, deren Gestalten schemenhaft zu erkennen waren. Am Boden davor verlief eine Linie aus Toten und Verwundeten wie eine Tidemarke. «Wir müssen Tegea einnehmen und Alexandros schlagen, bevor Eumenes mit seiner Flotte und seiner Armee eintrifft.» Er wandte sich wieder seinem Halbbruder zu, der fast einen Kopf kleiner und deutlich stämmiger war als er, und packte ihn am Halsausschnitt des Chitons, der unter seinem Brustpanzer hervorschaute. «Wir müssen! Verstanden? Anderenfalls werden wir eingeschlossen: Eumenes kommt von Osten mit einer Seestreitkraft und einer Landtruppe; Alexandros ist hier in der Stadt und wird ausrücken, sobald ich abziehe; im Nordwesten steht Aiakides und im Nordosten Olympias mit Polyperchon – und womöglich sogar mit Aristonous. Und was dann?»

Philippos packte seinen Halbbruder am Handgelenk und befreite sich aus seinem Griff. «Männer in den sicheren Tod zu treiben, ist keine geeignete Methode, eine Stadt einzunehmen, Kassandros. Krateas und Atarrhias wissen das wohl, und ich soll dir von ihnen ausrichten, es sind ihre Männer. Du hast sie nur geborgt, auf Antigonos’ Befehl. Ich finde, sie haben recht, wenn sie sich weigern, noch einen Angriff zu versuchen.»

Kassandros straffte seinen schlaksigen Körper und grinste höhnisch. «Was weißt du schon davon, wie man Städte erobert? Du bist erst siebzehn.»

«Alt genug, um zu wissen, dass Verteidiger, die seit über vier Monaten unter Belagerung stehen, noch immer einen entschlossenen Angriff durch weit stärkere Männer abzuwehren vermögen. Und ich weiß noch etwas: Wenn du jeden mit dem Tod bedrohst, der sich weigert, einen erneuten Sturm auf die Mauern zu versuchen, wird das nicht zum Sieg führen, sondern zu einer Meuterei.»

Kassandros tat einen tiefen Atemzug, fuhr sich mit einer Hand durch sein borstiges rotes Haar und entspannte sich. Er nickte bedächtig. Mit Gewalt zu drohen, war von jeher seine Art, aber er erkannte, dass sein Halbbruder in diesem Fall recht hatte. Philippos war schon immer scharfsinniger gewesen als sein Zwillingsbruder Pleistarchos. Der eben gescheiterte Angriff war der fünfte seit Beginn der Belagerung gewesen, und die Moral der Männer bröckelte zusehends. Die widerstrebenden zu töten, würde die übrigen nicht kampflustiger machen. Nein, ein anderer Ansatz war vonnöten, um Alexandros aus Tegea zu entfernen und so die letzte Bedrohung auf der Peloponnes zu beseitigen. Dann wäre er frei, seine Aufmerksamkeit nach Norden auf sein eigentliches Ziel zu richten, Makedonien, und sich endlich an Olympias zu rächen. «Nun, Philippos, du großer jugendlicher Taktiker, hast du denn einen Vorschlag?»

«Ich weiß, du denkst nicht gern an Vater, aber frage dich einmal, was er getan hätte.»

Kassandros wurde in der Tat ungern an seinen verstorbenen Vater Antipatros erinnert. Er hatte nicht verwunden, dass dieser ihm sein Geburtsrecht vorenthalten und die Regentschaft über Makedonien einem anderen übertragen hatte. Was hätte er getan? Eines steht fest: Mich hätte er nicht um Rat gefragt. Bei dem Gedanken nahm sein Gesicht einen verbissenen Ausdruck an.

Sein Vater hatte ihn nie geliebt und mitunter nur widerwillig in seiner Nähe geduldet, sosehr Kassandros sich auch bemüht hatte, ihm zu gefallen. Doch daran war Kassandros gewöhnt. Es war ihm nie leichtgefallen, sich bei anderen beliebt zu machen, und so hatte er den Versuch bald gänzlich aufgegeben. Die Knaben seiner Generation, Schüler des großen Aristoteles im Palast zu Pella, hatten ihn verachtet – Alexander, Hephaistion, Lysimachos, Peukestas, Seleukos, Nearchos, Peithon, alle. Ihre Heldentaten hatten ihn rasend eifersüchtig gemacht, und so hatte er sich mit Heimtücke und Gehässigkeit gerächt: Es hatte damit begonnen, dass er Jagdhunden die Beinsehnen durchtrennte, ihre Welpen ersäufte oder Salz in das Futter ihrer Pferde mischte. Doch als sie heranwuchsen und er in kriegerischen Wettkämpfen und bei der Jagd immer deutlicher unterlegen war, steigerte sich seine Bosheit: Einer fand sein liebstes Jagdpferd morgens tot im Stall; ein anderer vermisste ein hübsches Sklavenmädchen, mit dem er sich gern vergnügt hatte, und als die betreffende Sklavin Tage später wieder auftauchte, war sie grauenhaft verstümmelt. Und es kam noch viel schlimmer.

Er wäre vor nichts zurückgeschreckt, um seine Eifersucht und sein Gefühl der Unzulänglichkeit zu lindern. Sein Groll erwachte bei jedem Gastmahl aufs Neue, denn Kassandros musste aufrecht auf seiner Liege sitzen, während alle Gleichaltrigen bereits bei Tische liegen durften. Das war das Vorrecht echter Männer, und um als solcher zu gelten, musste man auf der Jagd einen Keiler erlegt haben. Kassandros war das noch nicht gelungen, denn er war einfach nicht zum Krieger geboren. Er war hager, schlaksig und vor allem ein Feigling. Ja, vor sich selbst konnte er das eingestehen, denn welchen Sinn hätte es gehabt, sich etwas vorzumachen? Es war nun einmal so: Sobald eine Bedrohung nahte, überkam ihn der Drang zu fliehen, und dann konnte er von Glück sagen, wenn er nicht die Kontrolle über seine Blase verlor.

Solchermaßen von allen verachtet und verhöhnt und selbst von der eigenen Familie nur widerwillig geduldet, war er zwar zusammen mit den größten Männern seiner Generation aufgewachsen, aber nicht gemeinsam mit ihnen gewachsen. Und dann hatte Alexander ihn zurückgelassen, als sie zum größten Abenteuer aller Zeiten aufgebrochen waren. Doch in den zehn Jahren von Alexanders Abwesenheit hatte Kassandros gelernt zu akzeptieren, was er war. Er schämte sich nicht mehr dafür, und so nahm er nun ohne Verlegenheit seinen Platz am Tisch ein, wo er aufrecht saß wie ein Weib oder ein junger Knabe. Und ja, er hatte zusammen mit seinem Vater in diversen Schlachten gekämpft und es geschafft, nicht schändlich die Flucht zu ergreifen. Allerdings war ihm das nur gelungen, indem er es vermieden hatte, in vorderster Front zu kämpfen oder sich überhaupt irgendwie in echte Gefahr zu begeben.

Aber die Schmach, dass sein Vater ihm sein rechtmäßiges Erbe vorenthalten hatte, brannte noch immer jedes Mal, wenn Kassandros an ihn erinnert wurde. Und nun, da er überlegen sollte, was Antipatros an seiner Stelle getan hätte, wurde ihm einmal mehr bewusst, was für eine Enttäuschung er für seinen Vater gewesen war. Er setzte sich auf einen Faltschemel vor seinem Kommandozelt und zwang sich wieder einmal, sich in die Denkweise des Mannes hineinzuversetzen, der ihn nie geliebt hatte. Antipatros war in erster Linie ein kluger Politiker gewesen, zweitens ein vollendeter Diplomat und drittens ein guter – wenn auch kein begnadeter – Feldherr. Kassandros schaute zu seinem Halbbruder auf. «Er hätte sein Ziel klarer vor Augen gehabt. Mein Ziel ist, Makedonien unter meine Herrschaft zu bringen und für unsere Familie Rache an Olympias zu üben, Rache für die Ermordung unserer Brüder und deiner Mutter, die Schändung unserer Familiengräber und die Hinrichtung vieler unserer Gefolgsleute.»

Philippos nickte. «Und warum sind wir dann hier?»

Kassandros schaute wieder zu der belagerten Stadt hinüber, deren Umrisse nun deutlicher zu erkennen waren, da der Qualm sich allmählich verzog. «Um die Bedrohung zu beseitigen, die wir sonst im Rücken hätten, wenn wir uns unserem eigentlichen Ziel im Norden zuwenden.»

Philippos lächelte – ein weit gefälligerer Anblick, als wenn sein Bruder es versuchte. «So sehe ich es auch. Aber müssen wir denn gleich alle in der Stadt töten, um das zu erreichen? Was du eben gesagt hast, hat mich nachdenklich gemacht, Kassandros: Du fürchtest, wir könnten von Feinden umstellt werden. Nun, Alexandros wäre eine Gefahr in unserem Rücken, aber keine große – er hat weniger als zehntausend Mann. Allerdings wäre er eine beträchtliche Verstärkung für Eumenes’ Armee, jedoch nur, falls Eumenes wirklich anrückt. Laut unseren Spionen in Asien machte der kleine Grieche vor mehr als zehn Tagen Anstalten, nach Europa herüberzukommen – aber wo bleibt er? Ohne Eumenes stellt Alexandros hier im Süden für uns keine große Bedrohung dar. Und das weiß er ebenso gut wie wir. Also lass uns verhandeln, uns anhören, was er will.»

Kassandros überdachte den Vorschlag. Dabei rieb er sich die deutlich sichtbare Narbe an seinem rechten Oberschenkel. Neben dem Hinken, das er von seiner Verletzung zurückbehalten hatte, erinnerte ihn auch diese Narbe ständig an seine Feigheit und seine Unfähigkeit, einen wilden Keiler zu erlegen. Seit er Antigonos überredet hatte, ihm Soldaten und Schiffe zu leihen, wollte er sich unbedingt als ernst zu nehmender Feldherr beweisen – wenn auch natürlich als einer, der seine Truppen von hinter den Linien befehligte. In seiner Hast hatte er den Grundsatz vergessen, nach dem sein Vater stets gehandelt hatte: Gewalt nur als letztes Mittel zu gebrauchen. Vater hat das meiste durch Diplomatie und Bestechung erreicht, wurde ihm bewusst. Ich habe die Sache falsch angefangen, und es bedurfte erst eines Jünglings, der halb so alt ist wie ich, um mich darauf hinzuweisen. Ich wollte allzu dringend meinen ersten Sieg als Feldherr vorweisen können. Es wäre entschieden besser, Alexandros auf meiner Seite zu wissen. Oder wenigstens sollte er sich vorerst auf der Peloponnes um seine eigenen Angelegenheiten kümmern. «Das klingt vernünftig, Philippos. Vielleicht habe ich diesen Kriegszug voreilig begonnen. Es gibt weitaus einfachere Wege, ans Ziel zu gelangen. Morgen werden wir mit Alexandros darüber sprechen. Schicke einen Boten zu ihm, um Verhandlungen vorzuschlagen.» Er wandte sich ab und ging davon, um seine Verlegenheit vor Philippos zu verbergen. Es schmerzte Kassandros, den Rat eines jüngeren Bruders anzunehmen, doch ihm war klar, dass es in seinem eigenen Interesse war. Philippos hatte seinen Verstand schon so manches Mal unter Beweis gestellt.

 

Die Geiseln wurden ins Lager des jeweiligen Gegners davongeführt. Zurück blieben Kassandros und Alexandros, die sich an einem Tisch vor den offenen Toren Tegeas gegenübersaßen. Aus einer Position der Stärke heraus, hat Vater immer gesagt. Ich frage mich, wer von uns beiden sich selbst für den Stärksten hält – ich mit einer Armee von fünfundzwanzigtausend Mann oder er mit seinen zehntausend im Schutz dieser Mauern?

Eine Weile lang saßen die beiden Männer nur da und maßen sich mit Blicken. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt, damit, sich ein Bild vom Gegner zu machen.

«Unsere Väter waren gute Freunde», ergriff schließlich Alexandros das Wort. Er war ebenso unscheinbar wie sein Erzeuger, nur mit mehr Haaren auf dem Kopf.

Kassandros verzog das Gesicht. «Mein Vater hat mich gehasst.»

«Deshalb hat er meinem Vater die Regentschaft übertragen. Was in meinen Augen ein Fehler war.»

Kassandros runzelte die Stirn. Er beugte sich vor und legte den Kopf schief, als glaubte er, nicht recht gehört zu haben. «Du überraschst mich.»

«Tatsächlich? Aber natürlich halte ich es für einen Fehler», bekräftigte Alexandros. «Ich kenne meinen Vater, und er selbst würde niemals von sich behaupten, ein Anführer zu sein. Er liebt es, Befehle auszuführen, doch es fällt ihm schwer, selbst welche zu erteilen, da er zu unsicher ist, um die Führung zu übernehmen. Nein, er sorgt lieber dafür, dass gut ausgerüstete, ordentlich bevorratete Soldaten bereitstehen, um die Strategien anderer umzusetzen. Selbst Strategien zu entwickeln, liegt ihm hingegen nicht. Deshalb hat er Olympias den Ring überlassen – er ist ganz zufrieden damit, für sie den Handlanger zu spielen.» Alexandros lächelte gelassen. «Ich kann es ihm nicht einmal verdenken. Hätte er es nicht getan, dann hätte sie ihn umgebracht.»

«Sofern ich ihr nicht zuvorgekommen wäre.»

Alexandros neigte leicht den Kopf. «Die Möglichkeit dazu hättest du haben können, wenn du nicht deine Zeit damit vergeudet hättest, dich mit mir herumzuschlagen.»

Kassandros runzelte abermals die Stirn, diesmal nicht überrascht, sondern verwirrt. «Du nennst es Zeitverschwendung, dass ich sicherstellen wollte, keine Bedrohung im Rücken zu haben?»

«Was hätte ich dir denn schon anhaben können, Kassandros? Meinst du ernsthaft, ich hätte mit meiner kleinen Truppe Athen zurückerobern können, nachdem du die Demokraten entweder hingerichtet oder in die Verbannung geschickt und deinen Handlanger Demetrios von Phaleron als Anführer der Oligarchie eingesetzt hattest? Selbstverständlich nicht. Ich hätte dir höchstens ein wenig zum Ärgernis werden können.»

Ist mein Mangel an Erfahrung denn so offensichtlich? Hält mich jeder für einen Schwachkopf, der herumstümpert und Feldherr spielt? «Du hättest in den demokratischen griechischen Stadtstaaten eine Armee ausheben und gegen mich ins Feld ziehen können.»

«Und weshalb hätte ich das tun sollen? Ich werde höchstens ein kleines Fleckchen Land hier auf der Peloponnes besetzen, um etwas in der Hand zu haben, wenn ich später mit demjenigen verhandle, der im Norden den Sieg davonträgt – ob nun du es bist oder mein Vater und Olympias.»

«Und wenn – nicht falls – ich siege?»

«Dann reden wir, Kassandros. Vielleicht wirst du finden, dass ich dir überaus nützlich sein könnte, wie mein Vater übrigens auch. Aber wir beide bräuchten gewisse Sicherheiten. Ich habe gehört, wie du mit Nikanor von Sindos verfahren bist. Du hast ihn hingerichtet, weil er im Kampf für deine Sache erfolgreich war.» Alexandros schnalzte mit der Zunge. «Eifersüchtig auf die Erfolge anderer zu sein, ist nicht die beste Art, sich Freunde zu machen.»

Kassandros unterdrückte den Impuls, sich über den Tisch zu beugen und dem Mann die Kehle durchzuschneiden, der hier so herablassend mit ihm redete. Ohnehin hatte er nicht die Möglichkeit dazu, denn sie waren beide unbewaffnet. Wie kann er es wagen, mit mir zu sprechen wie mit einem streitsüchtigen Jüngling! Er stand auf. «Ich lasse mich nicht von dir darüber belehren, wie ich mich zu verhalten habe.»

Alexandros zog die Schultern hoch und breitete die Hände aus. «Wie du wünschst, Kassandros. Aber nur damit das klar ist: Wenn du gen Norden marschierst, werde ich dir nicht folgen. Ich werde jedoch noch immer hier auf der Peloponnes sein, wenn du zurückkehrst. Ob wir uns weiter bekriegen oder uns verbünden, ist deine Entscheidung. Eines verspreche ich dir allerdings: Wenn du meinen Vater tötest, ist eine Versöhnung zwischen uns nicht mehr möglich.»

 

«Ich würde sagen, das war ein sehr guter Rat», stellte Philippos fest, nachdem er sich in Kassandros’ Zelt eine Zusammenfassung des Gesprächs angehört hatte.

Sein Zwillingsbruder Pleistarchos, der jüngst auf dem Seeweg aus Athen zurückgekehrt war, nickte. «Dem schließe ich mich an, Kassandros. Wir sollten uns in Makedonien möglichst wenig Feinde machen, wenn wir das Land halten wollen. Ja, Olympias muss sterben, aber außer ihr schulden wir niemandem Blutrache.»

Kassandros ging so viel Milde gegen den Strich. Ich will aber, dass die Leute mich fürchten. Ich wurde allzu lange nur missachtet und als unbedeutend abgetan. Dennoch, es gibt gewiss noch andere Wege, mich zu behaupten und mir zu sichern, was mir rechtmäßig zusteht. «Also schön, Polyperchon bleibt am Leben – das heißt, sofern er den Krieg überlebt. Wir werden sehen, ob er uns nachher noch nützlich sein kann. Jetzt versammelt die Befehlshaber, ich breche die Belagerung ab und kehre nach Athen zurück. Dort treffe ich die nötigen Vorbereitungen, um nach Norden zu marschieren, ehe der Winter hereinbricht. Ich nehme die Flotte mit und so viele Soldaten, wie wir transportieren können. Ihr beide könnt Atarrhias und Krateas dabei unterstützen, den Rest der Armee über Land zu führen.»