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Ein Mann wird an den Mast eines Segelbootes gekettet und bei lebendigem Leib verbrannt, während das Boot ohne Besatzung über einen schwarzen See treibt. Noch in derselben Nacht wird Chefinspektor Tony Braun mit den Ermittlungen beauftragt. Erste Spuren führen in die illegale Graffiti-Sprayer-Szene und zu einem mysteriösen Textilunternehmen, das in Moldawien unter unmenschlichsten Bedingungen Designermode herstellt. Als ein weiteres Opfer an ein Kreuz geschlagen, mit Benzin übergossen und lebendig verbrannt wird, steht außer Zweifel, dass der Mörder nach einem ganz speziellen Schema vorgeht. In seinem neuen Fall jagt der eigenwillige Chefinspektor einen Serienmörder, der mit seinen Feuermorden noch lange nicht am Ende ist, denn es gibt noch viele Seelen, die brennen müssen... Die Story ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen Thrillern gelesen werden. Lesen Sie auch die weiteren Tony Braun Thriller: "Totes Sommermädchen" - wie alles begann - der erste Fall "Töten ist ganz einfach" - der zweite Fall mit Tony Braun "Freunde müssen töten" - der dritte Fall mit Tony Braun "Alle müssen sterben" - der vierte Fall mit Tony Braun "Der stille Duft des Todes" - der fünfte Fall mit Tony Braun "Rattenkinder" - der sechste Fall mit Tony Braun "RABENSCHWESTER" - der siebte Fall mit Tony Braun "Stiller Beobachter" - der achte Fall mit Tony Braun "Strandmädchentod" - der neunte Fall mit Tony Braun "Stilles Grabeskind" - der zehnte Fall mit Tony Braun
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Impressum
Anmerkung
Über die Autoren B.C. Schiller
Bücher von B.C. Schiller
Bücher von B.C. Schiller
Bücher von B.C. Schiller
Bücher von B.C. Schiller
Bücher von B.C. Schiller
Prolog: Heute ist ein guter Tag zum Sterben
1. Zwei Jahre später – die Stunde des Todes
2. Schwarze Fliegen und Hornissen
3. Das Camp der Verlorenen
4. Die Schatten der Vergangenheit
5. Ein Treffen in der Nacht
6. Der Einsame im Schloss
7. Das Feuer der Erinnerung
8. Ein Sohn hasst seinen Vater
9. Das versperrte Zimmer
10. Die Fahrt zum schwarzen See
11. Der Zwergdackel im Kamin
12. Der eisgraue Wolf
13. Ein Gerichtsmediziner hat ein Date
14. Der Schuss im Regen
15. Ein verhängnisvolle Beschwerde
16. Das andere Mädchen
17. In der schwarzen Halle
18. Das Feuer und der Schnee
19. Die strahlende Graffiti
20. Die toten Hunde
21. Zwei einsame Herzen
22. Ein unschuldiger Engel
23. Der Mann auf dem Foto
24. Die unterschiedlichen Freundinnen
25. Der Junge und die Unterwelt
26. Ein Verdächtiger ist verschwunden
27. Jeder bekommt, was er verdient
28. Die Einsamkeit des Sterbens
29. Ein ungeklärter Todesfall
30. Der alte Mann im Rollstuhl
31. Der Geruch von getrocknetem Blut
32. Die geheimnisvollen Zeichen
33. Die Sterne vom Himmel holen
34. Ein Herz aus Feuer
35. Der Geheimcode und ein Gast
36. Der Geschmack von Benzin und Blut
37. Das Feuer vernichtet alle
38. Der Flammenkiller schlägt zu
39. Ein Opfer wird gefilmt
40. Der geheimnisvolle Gefangene
41. Die Stunde null beginnt
42. Die schwarze Hölle
43. Der Fremde im Waldhaus
44. Die brennenden Seelen
45. Der rote Ford Mustang
46. Der Schein trügt
47. Das große Fressen
48. Ein Köder wird ausgelegt
49. Der Schlüssel zur Hölle
50. Die Geschichte von Chloe
51. Der Verrat beginnt
52. Ein Wiedersehen macht keine Freude
53. Samsa ist zurückgekehrt
54. Die „Wahren Werte“
55. Der hinterhältige Anschlag
56. Die wütende Trauer
57. Die Flucht aus der Klinik
58. Ein Problem scheint gelöst
59. Die tödliche Begegnung
60. Alle müssen sterben
61. Wilde Tiere in der Nacht
62. Eine Journalistin wird berühmt
63. Eine Tote kehrt zurück
64. Der Auftrag wird ausgeführt
65. Die Polizeipräsidentin dreht auf
66. Das schöne Mädchen mit dem Feuermal
67. Ein Film erzählt die Wahrheit
68. Der letzte Akt
69. Alle müssen brennen
Epilog
Danksagung
Sämtliche Figuren und Ereignisse dieses Romans sind der Fantasie entsprungen. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, ist zufällig und von den Autoren nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung der Blue Velvet Management e.U. urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.
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Lektorat & Korrektorat: Wolma Krefting, www.bueropia.de
Covergestaltung: www.afp.at
Bildmaterial: ein brennendes streichholz auf hellgrauem beton Hintergrund mit rissen: 44411, Adobe Firefly KI-Tool
Hintergrund: Authors own
Wir haben uns erlaubt, einige Namen und Örtlichkeiten aus Spannungsgründen neu zu erfinden, anders zu benennen und auch zu verlegen. Sie als LeserInnen werden uns diese Freiheiten sicher nachsehen.
Barbara und Christian Schiller leben und arbeiten in Wien und auf Mallorca mit ihren beiden Ridgebacks Calisto & Emilio.
Gemeinsam waren sie über 20 Jahren in der Marketing- und
Werbebranche tätig und haben ein totales Faible für spannende Krimis und packende Thriller.
B.C. Schiller gehören zu den erfolgreichsten Spannungs-Autoren im deutschsprachigen Raum. Bisher haben sie mit ihren Krimis über 3.000.000 Leser begeistert.
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TONY-BRAUN-THRILLER:
TOTES SOMMERMÄDCHEN – der erste Tony-Braun–Thriller –
»Wie alles begann«
TÖTEN IST GANZ EINFACH – der zweite Tony-Braun-Thriller
FREUNDE MÜSSEN TÖTEN – der dritte Tony-Braun-Thriller
ALLE MÜSSEN STERBEN – der vierte Tony-Braun-Thriller
DER STILLE DUFT DES TODES – der fünfte Tony-Braun-Thriller
RATTENKINDER – der sechste Tony-Braun-Thriller
RABENSCHWESTER – der siebte Tony-Braun-Thriller
STILLER BEOBACHTER – der achte Tony-Braun-Thriller
STRANDMÄDCHENTOD – der neunte Tony-Braun-Thriller
STILLES GRABESKIND – der zehnte Tony-Braun-Thriller
Alle Tony-Braun-Thriller waren monatelang Bestseller in den Charts. Die Thriller sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.
GRETCHEN LARSSEN UND DAS OSTSEEMÄDCHEN: der erste Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DAS DÜNENOPFER: der zweite Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DER OSTSEEZORN: der dritte Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DIE OSTSEESCHULD: der vierte Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DER KÜSTENMÖRDER: der fünfte Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DER OSTSEEMORD: der sechste Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DIE OSTSEETRÄNEN: der siebte Band mit Gretchen Larssen
MALLORCA-INSELKRIMI:
MÄDCHENSCHULD – ist der erste Band der neuen spannenden Mallorca-Inselkrimi-Reihe mit der Inspectora Ana Ortega und dem Europol-Ermittler Lars Brückner. Die Krimis sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.
SCHÖNE TOTE – der zweite Band mit Ana Ortega und Lars Brückner.
FAMILIENBLUT – der dritte Band mit Ana Ortega und Lars Brückner.
NORDTOD - KÜSTENTHRILLER:
NORDTOD - DIE KOLIBRIMÄDCHEN: der erste spannende Cold-Case-Fall mit der schwedischen Ermittlerin Signe Nord.
DUNKELSTEIG – Trilogie:
DUNKELSTEIG: der erste Band mit Felicitas Laudon
DUNKELSTEIG – SCHULD –der zweite Band mit Felicitas Laudon
DUNKELSTEIG – BÖSE: der dritte und letzte Band mit Felicitas Laudon
Psychothriller:
DIE FOTOGRAFIN
DIE SCHWESTER
DIE EINSAME BRAUT
Die TARGA-HENDRICKS-Thriller:
DER MOMENT, BEVOR DU STIRBST – der erste Fall mit Targa Hendricks
IMMER WENN DU TÖTEST – der zweite Fall mit Targa Hendricks
DUNKELTOT, WIE DEINE SEELE – der dritte Fall mit Targa Hendricks
Die DAVID-STEIN-Thriller:
DER HUNDEFLÜSTERER – David Steins erster Auftrag
SCHWARZER SKOPRION – David Steins zweiter Auftrag
ROTE WÜSTENBLUME – David Steins dritter Auftrag
RUSSISCHES MÄDCHEN – David Steins vierter Auftrag
FREMDE GELIEBTE – David Steins fünfter Auftrag
EISIGE GEDANKEN – David Steins sechster Auftrag
TODESFALTER – David Steins siebter Auftrag
LEVI-KANT-Cold Case-Krimi:
BÖSES GEHEIMNIS – der erste Cold Case
BÖSE TRÄNEN – der zweite Cold Case
BÖSES SCHWEIGEN – der dritte Cold Case
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Heute ist ein guter Tag zum Sterben. Das war ihr einziger Gedanke, als sie mit dem Kopf auf den Boden knallte. Die einsame Neonröhre, die gesprungene Kacheln und grellbunte Graffitis in der verlassenen Unterführung nur notdürftig beleuchtete, begann zu knistern und zu flackern, als die Stiefelspitze mitten in das Feuermal auf ihrer Wange trat und ihr Wangenknochen splitterte.
Heute ist ein guter Tag zum Sterben. Oben auf dem Platz, wo sie ihre Bilder ausgebreitet hatte, war vor einigen Wochen der hübsche Junge, der nachts die Eisenbahnwagen vollsprayte und tagsüber als Stricher arbeitete, stehen geblieben und hatte ihre Entwürfe bewundert. Spontan wollte der Junge ihr alle ihre Zeichnungen und Skizzen abkaufen, aber sie hatte sich entschieden geweigert, denn diese Motive waren nur für sie bestimmt. Der Junge hatte sie eingeladen und in seinem verschimmelten Zelt, das er unter einer Autobahnbrücke aufgeschlagen hatte, gab sie sich den besten Heroinschuss ihres Lebens und hatte mit ihm geschlafen. Damals war sie so stolz gewesen, stolz darauf, dass jemand ihre künstlerische Kraft entdeckt hatte, stolz darauf, dass der Junge sie trotz ihres Feuermals geliebt hatte. Nach einiger Zeit war er verschwunden und sie hatte die Erinnerung an die gemeinsamen Nächte in ihrem Herzen bewahrt. Dann war sie wieder zurückgekehrt in die verlassene Unterführung, die außer ihr niemand kannte, das jedenfalls hatte sie geglaubt.
Der Boden der Unterführung stank nach Pisse und ein zerdrückter Hamburger bekam im flackernden Neonlicht ein Eigenleben. Von draußen war der Verkehr zu hören und das Leben der pulsierenden Stadt. Draußen gab es Menschen, die sich freuten, nach Hause zu kommen, denn dort wurden sie erwartet. Sie hatte jedoch kein Zuhause und niemand würde um sie trauern, wenn sie tot war.
Wieder traf sie der Stiefel, diesmal an ihrer Schläfe, dort, wo das Feuermal am deutlichsten zu sehen war, und wieder hörte sie das Knirschen von brechenden Knochen und spürte das Blut, das heiß wie Lava über das Feuermal schoss und sich mit dem Urin auf dem Boden vermischte.
Als sie im Sterben lag, öffnete sie ein letztes Mal ihre Augen und sah das flackernde Neonlicht, das sie an eine hektisch zuckende Flamme erinnerte. Noch immer hielt sie ihre große, zerfetzte Tasche mit beiden Händen umklammert, die sie jedoch nach zwei Fußtritten in den Bauch loslassen musste, denn alle Kraft war aus ihren Armen gewichen. Zaghaft versuchte sie jetzt doch noch um Hilfe zu rufen, aber eine geballte Faust schlug ihre Hilferufe mitsamt den Zähnen zurück in ihren Rachen. Mit einem satten Knirschen brach ihre Nase und ihr Gesicht war nur noch eine breiige Masse, doch was machte das schon, mit dem Feuermal war sie auch vorher schon entstellt gewesen.
Heute ist ein guter Tag zum Sterben. Dieser Gedanke hatte sich in ihrem Kopf festgesetzt und je härter die Tritte und Schläge auf sie niederprasselten, je schwächer ihr Herz schlug, desto stärker wurde die Erinnerung an die wunderbare Woche mit dem jungen Sprayer, dem sie als Zeichen der Liebe ihr Versteck in der aufgelassenen Unterführung gezeigt hatte, wo sie ihre Bilder mit den brennenden Seelen zeichnete.
Die Schläge und Tritte waren nicht schlimm, auch nicht das Benzin, das jetzt über sie geschüttet wurde, schlimm war nur die plötzliche Erkenntnis, dass der Junge sie verraten und ihrem Mörder den Weg zu ihr gezeigt hatte. Das schmerzte und verbrannte ihre Seele. Mit einem lauten Knall entzündete sich das Benzin auf ihrem Körper und sie wurde vom Feuer eingehüllt wie in ein Flammenkleid. Der Schmerz war so heftig, dass sie sich noch einmal aufbäumte, auf die Knie kam und als brennendes Feuermal durch die Unterführung rutschte, bis zu der Treppe mit dem zugemauerten Aufgang. Als sich ihre Haare in der Hitze kräuselten, ihre Augäpfel verschmorten und der Tod Wirklichkeit wurde, da starb sie mit der bitteren Erkenntnis, dass er ihre Liebe verraten hatte.
In der Stunde des Todes, zwischen Mitternacht und ein Uhr morgens, ruderte Georg Hauser im strömenden Regen mit seinem Boot über den schwarzen See. Noch wusste er nicht, dass im Yachthafen, der nur wenige Kilometer entfernt war, gerade ein hölzernes Segelboot mit einer besonderen Fracht klargemacht wurde. Und er ahnte auch noch nicht, dass er bei Tagesanbruch keinen einzigen der Fische auf dem Markt verkaufen würde, die er mit Hilfe seiner starken Lampe und seines selbst geknüpften Netzes bereits gefangen hatte.
Georg war schon immer gerne in der Dunkelheit über den See gerudert, obwohl ihn die Leute für verrückt oder zumindest für ein wenig seltsam hielten, aber er scherte sich nicht um die Meinung anderer. In den dunklen Nächten auf dem schwarzen See wurde er nicht mit seiner Schlaflosigkeit konfrontiert und den düsteren Gedanken, die sich zwangsläufig dabei einstellten. Auf dem Wasser konnte er sich ausschließlich auf die Fische konzentrieren, die von dem hellen Schein seiner Lampe angelockt wurden und sich in seinem engmaschigen Netz verstrickten.
In der Zwischenzeit hatte das hölzerne Segelboot den Yachthafen verlassen und trieb auf den See hinaus. Wäre sein Fischerboot jetzt in der Nähe gewesen, dann hätte Georg unschwer erkannt, dass ein Ruderboot es hinausgeschleppt hatte. In dem Ruderboot hätte er eine dunkel gekleidete Gestalt gesehen, die konzentriert das Geschehen filmte. Doch Georg war noch einige hundert Meter von dem Segelboot entfernt und ahnte nichts.
Neben sich auf der regennassen Ruderbank, unter einer Plastiktüte lag das gebrauchte Smartphone, das ihm sein Enkel zum Geburtstag geschenkt hatte. Obwohl er sich immer gegen die neumodische Technik gesträubt hatte, musste er zugeben, dass ihn die Möglichkeiten des Smartphones faszinierten. Besonders die Kamerafunktion gefiel ihm und er nahm sich vor, den direkt an den Traunsee grenzenden Berg, den Traunstein, zu fotografieren, wenn der Regen aufhören und der Mond hinter den Wolken hervorkommen würde.
Jetzt hatte er den MP3-Player des Smartphones aktiviert und klassische Musik klang leicht verzerrt aus dem kleinen Lautsprecher. In einer Anglerzeitung hatte er gelesen, dass klassische Musik Fische magisch anzieht. Deshalb hatte er sich auch vom Besitzer eines Elektrogeschäftes die Brandenburgischen Konzerte auf sein Smartphone laden lassen und nach einigem Hin und Her konnte er sie auf dem Gerät abspielen. Das leise Tuckern des Elektromotors, der an dem Segelboot befestigt war und der jetzt gestartet wurde, drang nicht zu ihm durch.
Noch konnte er auch die seltsame Fracht nicht sehen, die sich an Bord des Segelbootes befand und selbst wenn er das Boot jetzt entdeckt hätte, so wäre ihm doch die langsam und präzise abbrennende Zündschnur verborgen geblieben, die vom Heck des Bootes bis zum Mast knapp unterhalb der Reling verlegt worden war und in einer grünen, mit Benzin gefüllten Weinflasche endete, die zwischen den Füßen eines Mannes stand und mit einem schmutzigen, nach Benzin stinkenden Lappen verstopft war. Die Füße waren nackt und mit Schnitten übersät, aus denen Blut tropfte. Der nackte Oberkörper war völlig zerschnitten und die Haut mit den blutigen Wunden sah aus, als hätte der Mann sich gegeißelt.
Plötzlich wurde die klassische Musik von einem merkwürdigen Störgeräusch überlagert. Irritiert hob Georg die Lampe und ließ das helle Licht über den schwarzen See kreisen. In dem starken Strahl entdeckte er plötzlich ein Segelboot, das, von einem elektrischen Außenbordmotor angetrieben, direkt auf ihn zusteuerte. Jetzt entdeckte er die Gestalt, die vorne am Mast lehnte und heftig mit dem Kopf hin und her ruckte, ohne ein Wort zu sagen, und keinerlei Anstalten machte, den Kurs zu ändern.
Wütend stand er auf, schwenkte seine Lampe in der Luft, signalisierte der Gestalt auf dem Segelboot, dass sie auf Kollisionskurs wären. Doch das Boot hielt unbeirrt auf ihn zu und nun überfiel Georg die Panik, denn er hatte keine Schwimmweste an Bord und wusste, dass ein Sturz in das auch im Sommer eiskalte Wasser fatale Folgen haben könnte. Hektisch griff er nach den Rudern und versuchte fluchend dem Segelboot auszuweichen. Hinter dem Segelboot glaubte er ein zweites Boot zu erkennen, aber er war zu sehr mit dem Rudern beschäftigt, um genauer hinzusehen oder sich darum zu kümmern.
Genau in dem Moment, als er sein Boot aus dem Gefahrenbereich manövriert hatte, war die Zündschnur auf dem Segelboot abgebrannt. Die kleine bläuliche Flamme erreichte den schmierigen Lappen und eine grelle Stichflamme erhellte die Nacht. Mit einem lauten Knall explodierte die mit Benzin gefüllte grüne Flasche zu Füßen des Mannes, der wie ein Feuerball aufglühte und sofort in Flammen stand. Sein Brustkorb hob und senkte sich hektisch, das Blut, das aus seinen zahlreichen Wunden tropfte, glänzte im Feuer und glitzerte wie kostbare Rubine.
„Springen Sie! Springen Sie ins Wasser! Ich hole Sie schon heraus!“, schrie Georg mit angsterfüllter Stimme und leuchtete mit seiner Lampe in die Flammen. Was er dort sah, ließ ihn erstarren.
Der brennende Mann am Mast rührte sich nicht vom Fleck, sondern bewegte nur den Kopf, während die Flammen mit stummer Beharrlichkeit seinen Körper entlang nach oben kletterten und ihn mit ihren Feuerzungen leckten, bis die Haut Blasen warf, die zerplatzten, und das darunterliegende Fleisch verschmort wurde.
Langsam verformte sich jetzt auch der Brustkorb des Mannes, die blutenden Schnitte wurden vom Feuer verzehrt. Seine Muskeln und sein sehniges Fleisch, das er durch viel Sport gestählt hatte, begannen sich in den immer gieriger lodernden Flammen zusammenzuziehen. Sein kleiner, moderner Bart am Kinn kräuselte sich bereits in der Hitze und die Flammen züngelten schon begehrlich an seinem Hals. Noch aber reckte er das Kinn in die Höhe. Das in den Flammen silbern leuchtende Paketklebeband, mit dem sein Mund verschlossen war, verlieh seinem Gesicht einen heroischen Zug. Seine weit aufgerissenen Augen, ansonsten von einem sanften Blau, waren jetzt durch die vielen in der Hitze zerplatzten Adern blutunterlaufen und sein Blick war irre. Doch ein winziger Funken Hoffnung glomm noch weit hinten am Saum seines Bewusstseins. Es schien, als würde er in seinem brennenden Körper den Glauben an eine Rettung noch nicht aufgegeben haben, doch als in der Hitze seine Lippen wie Fettstücke verkohlten, erlosch sein Blick und er war bereit, das Leben endgültig loszulassen und einzutauchen in die Finsternis, die für ihn nur noch den Tod als Erlösung bringen konnte.
Reflexartig griff Georg Hauser nach seinem Smartphone, aktivierte mit zitternden Fingern die Kamera und zoomte den brennenden Mann näher heran, so nahe, bis er die grässlichen Details sehen konnte und vor Entsetzen auf den Boden seines Bootes kotzte.
„Fuck!“ Die schwarzen Fliegen in seinem Mund drängten nach draußen, krabbelten, schwirrten und surrten in seiner Mundhöhle, machten sich selbstständig und schleuderten „Fuck!“ in den nächtlichen Regen.
Es war zwei Uhr morgens, als Fliegen und Hornissen erneut von Jonas Blau Besitz ergriffen und er anfing, den Kopf hin und her zu schütteln und mit den Händen auf seinen Brustkorb zu schlagen. Die Hornissenschwärme in seinen Fingerspitzen ließen sich aber auch durch das immer stärkere Trommeln auf seinen Brustkorb nicht mehr besänftigen und forderten wie die schwarzen Fliegen in seinem Mund mehr und immer mehr.
Dann verkrümmte er seine Finger, die juckten und vibrierten, zu dürren Klauen mit schmutzigen, abgebrochenen und blutverkrusteten Nägeln. Diese Klauen fuhren nach oben auf seinen rasierten Schädel und kratzten tief durch die verschorfte Kopfhaut, bis das Blut spritzte.
Erst dann gaben die Hornissen Ruhe und die schwarzen Fliegenschwärme kehrten zurück in die hintersten Winkel seiner Eingeweide.
Es war zwei Uhr morgens, das sah er auf der Digitalanzeige der metallenen Säule auf dem Anleger an der Donau, die ihr rotes Licht auf den nassen Boden warf. Der Regen spülte das Blut von Jonas Blaus Kopf und er machte sich Vorwürfe, weil es ihm nicht gelungen war, sich zu kontrollieren.
Er hatte das Treffen immer wieder im Kopf durchgespielt, aber als es dann tatsächlich so weit war, hatte sein Hirn wie so oft versagt und seine schön gebauten Sätze verschwanden in den Fliegenschwärmen und alles, was er noch hervorgebracht hatte, war „Fuck!“ gewesen.
Immer wieder sah er das plötzlich auflodernde Feuer, hörte die Schreie, das dumpfe Splittern der Knochen unter den Schlägen und die Schuldgefühle brachen nachts wie eine Welle, angefüllt mit Erinnerungen, über ihn herein.
Die Nacht spülte alle seine guten Vorsätze, mit denen er sich tagsüber am Funktionieren hielt, einfach weg. Jonas musste diesem Druck nachgeben, um nicht verrückt zu werden. In der Nacht überfiel ihn die Erinnerung so heftig, dass an Schlaf nicht zu denken war. Überhaupt wurde Schlaf für ihn immer mehr zu einer Bedrohung, bedeutete Hitze und Verbrennen. Deshalb schloss er nur bei Tag stundenweise die Augen, um die Bilder hinter seinen Lidern durch den Alltagslärm der geschäftigen Stadt zu entschärfen. In der Nacht jedoch krochen die Schuldgefühle wieder aus ihren Löchern hervor und trieben ihn vor sich her.
In dieser regnerischen Nacht, in der er wie so oft die Kontrolle verloren hatte, hatte er an einer feuchtglänzenden, vermoderten Hausmauer die Signatur, die im Sprayer-Jargon Tag genannt wurde, in mattem Weiß entdeckt.
Es war das Tag eines anderen Sprayers, das ihm verschlüsselt zeigte, wo er sich den richtigen Kick für seine Arbeit holen könnte. In dieser Nacht im Juli folgte Jonas diesem Tag, das ihn bis an die Donau führte, die mitten durch die Industriestadt Linz fließt. Vorsichtig schlich er auf einen unbeleuchteten Parkplatz und achtete darauf, dass die Cans, wie Sprayer ihre Sprühdosen nannten, in seinem kleinen Nylonrucksack nicht allzu sehr klapperten.
Die vom Wind aufgepeitschten Wellen der Donau klatschten heftig gegen die Kaimauer. Der Parkplatz war einst eine Anlegestelle für Ausflugsboote gewesen, aber die Touristen hatten es satt gehabt, die abgewrackten Lagerhäuser und rostigen Kräne zu sehen. Deshalb wurde daraus ein Parkplatz für die Nachtschwärmer, die den „Hafenstern“ frequentierten, ein in letzter Zeit ziemlich angesagtes Lokal, direkt am Hafen.
An der Seitenwand des Lokals entdeckte er das Tag schon von Weitem, denn es war direkt neben einen Strahler gesprayt, der die unverputzte Ziegelmauer beleuchtete. Jonas verzog sein verwachsenes Gesicht mit dem struppigen Bart zu einem Grinsen. Was für ein Glück, dass er als Erster dieses Tag gesehen hatte, das ihn direkt hierher zu dieser leeren Wand führte, die nur darauf wartete, mit einem Graffiti, einem Piece von ihm gekennzeichnet zu werden.
Da er jedoch genau wusste, welches Motiv er an die Wand sprayen würde, machte das auch die Fliegen in seinem Inneren wieder unruhig und er verzerrte das Gesicht zu einer Grimasse und riss sich mit den Fingern Haarbüschel aus seinem ungepflegten Bart. Natürlich warnten ihn diese Anzeichen und so hockte er sich neben einen Wagen und kratzte mit den Fingernägeln über den Lack, so lange, bis seine Klauenfinger blutig waren und die Fliegen sich beruhigt hatten. Dann atmete er tief durch und tastete sich in der Dunkelheit vorwärts, streifte gebückt laufend an den Autos vorbei, die alle wie aufgefädelt an der Kaimauer parkten. Plötzlich knallte er mit seinem Schädel gegen eine Wagentür, schrak aus seinen Gedanken, die in der Nacht verglühten wie ein Feuerball.
Es war ein großer Geländewagen, der nicht wie die anderen Fahrzeuge entlang der Kaimauer parkte, sondern der Fahrer hatte ihn einfach quer in eine Lücke gezwängt und sich auch nicht darum geschert, dass die Hälfte des Wagens noch in die Straße ragte. Überhaupt schien sich der Fahrer wenig um den Zustand seines Wagens zu kümmern, denn der Geländewagen war dreckverschmiert und die Karosserie, auf die der immer stärker werdende Regen trommelte, war rostig und ziemlich verbeult.
War dieser Wagen ein Wink des Schicksals, der ihn zumindest heute Nacht von seinen Schuldgefühlen befreien würde?
Dieser Gedanke ging Jonas durch den Kopf, während er langsam seinen Rucksack öffnete, seine Cans auspackte. Wenn er das Motiv, das er heute sprayen musste, nicht an die Wand des Lokals, sondern auf die Wagentür sprayen würde, dann würde der Wagen irgendwann im Regen verschwinden und mit ihm das Motiv, das so vielleicht auch aus seinem Kopf verschwand, und er musste es dann nie wieder sprayen.
War diese zerkratzte, eingedellte, rostige Wagentür seine Rettung?
„Fuck!“, presste er mehr aus Gewohnheit, denn aus Zwang noch einmal hervor, dann griff er nach der orangen Leuchtfarbe, die ihn am ehesten an Feuer erinnerte, und wischte mit seinem regennassen Ellbogen den Dreck von der Tür des Geländewagens. Alles begann erneut, als er die Augen schloss und sich das Motiv ins Gedächtnis rief. Alles war so, als wäre es erst vor wenigen Augenblicken passiert. Alles war still, nur das Prasseln des Regens auf die Fahrzeuge und das Klatschen der Wellen gegen die Betonmauer bildeten den Soundtrack zu seinem automatisierten Sprayen.
Aus der Wunde an seinem Kinn, dort, wo er sich die Barthaare ausgerissen hatte, tropfte noch ein wenig Blut, das er sich mit seinem Handrücken abwischte. Wahrscheinlich würde ein Furunkel entstehen, so wie die anderen Male in seinem Gesicht. Deshalb hatte er den Bart wachsen lassen, um sich nicht das Gesicht zu zerkratzen, wenn der Zwang nicht mehr zu unterdrücken war. Jonas war so vertieft in seine Arbeit, dass er die Welt rund um sich herum ausblendete und in sein Paralleluniversum eintauchte, in dem Flammenschiffe und brennende Gestalten ihr Unwesen trieben. So hörte er auch nicht, dass sich beim „Hafenstern“ die Tür öffnete und ein Mann mit leicht wackeligen Schritten die Treppe nach unten stieg. Unter dem Vordach blieb der Mann stehen, fuhr sich mit beiden Händen durch die dunklen Haare und hob plötzlich den Kopf, als würde er eine Gefahr wittern. Doch es war nur das Klingeln seines Handys, das ihn an einen Termin erinnerte. Er griff in die Tasche seines Sakkos, zog es heraus, drückte eine Taste und wartete angestrengt, mit dem Handy am Ohr. Nach einer Weile ließ er das Telefon sinken, starrte es wütend an und steckte es wieder zurück in die Tasche seines Sakkos.
„Fuck!“, schrie Jonas, denn die Fliegen waren ohne Vorwarnung nach oben gebraust und wollten nach draußen.
„Fuck!“, hallte es durch den Regen und er schlug gegen die Karosserie des Wagens, um wenigstens die Hornissen zu besänftigen. Natürlich hörte der Mann diesen plötzlichen Lärm und wusste auch sofort, woher er kam. Er rannte auf den querstehenden Geländewagen zu, auf dessen Fahrertür Jonas gerade dabei gewesen war, sein Piece zu sprayen. Jonas sah den Mann auf sich zulaufen und drosch mit den Fäusten gegen das Blech des Wagens, er wollte sprayen, aber er musste schlagen und schreien.
Wie gerne würde er sich hinter den Wagen kauern und das Graffiti mit der orangen Leuchtfarbe fertigsprayen. Wie gerne wäre er dann lautlos in der Nacht verschwunden, untergetaucht im Regen und hätte sich völlig durchnässt in seiner Absteige verkrochen. Doch nein, sein Dämon forderte seinen rechtmäßigen Tribut. Deshalb kratzte er mit seinen beiden Klauenhänden über die Motorhaube des Wagens, verzerrte das Gesicht und die Fliegenschwärme trugen zu tausenden seine schreiende Stimme nach draußen, die immer wieder nur ein Wort rappte: „Fuck!“
Endlich waren alle gesättigt und befriedigt und er wurde langsam wieder klar im Kopf. Zum Überlegen blieb nun keine Zeit mehr, denn er hörte die schnellen Schritte bereits ganz in seiner Nähe über den Beton hallen. Genauso schnell, wie er es als Sprayer auf der Straße gelernt hatte, packte er seinen schwarzen Rucksack, verstaute die Cans und wollte in der schwarzen Nacht einfach verschwinden, sich im Regen auflösen. Zurück blieb ein halb fertiges Graffiti, das dem Besitzer des Wagens Rätsel aufgeben und hoffentlich dafür sorgen würde, dass er seinen Alptraum auf jemand anderen übertragen konnte.
Doch in dieser Nacht war alles anders, denn der Besitzer des Wagens war schneller, als er gedacht hatte, und als ein Stiefel in seinen Rücken krachte, da wusste Jonas, dass er dieses Spiel verloren hatte.
Der Regen prasselte in die rostige Mülltonne und eine zischende Dampfwolke stieg auf, als das Feuer erlosch. Mit Plastikplanen, die sie zwischen ausgebrannte Container gespannt hatten, versuchten sich Junkies, Ausreißer, Sprayer und Obdachlose vor dem Dauerregen notdürftig zu schützen. Sie gingen ihren nächtlichen Beschäftigungen nach, die alle in einer gesetzlichen Grauzone angesiedelt waren und auch durch brutale Razzien von privaten Sicherheitsfirmen nicht eingedämmt werden konnten. Das Gelände, auf dem sich diese Kinder der Nacht aufhielten, gehörte einem ausländischen Hedgefonds-Unternehmen, das dort supermoderne Donaublick-Apartments bauen wollte, aber noch auf die nötigen Bewilligungen des Stadtamts warten musste.
Nebenan auf dem Schrottplatz, der direkt an der Donau lag und an den der riesige Containerhafen grenzte, sah man im Schein von noch brennenden Mülltonnen eine schattenhafte Gestalt, die schnell und leichtfüßig über die Autowracks sprang, keine Sekunde verharrte, denn sie war auf der Flucht. Auf der Flucht vor Tony Braun, dem Chefinspektor der Mordkommission Linz, der einige Bier zu viel getrunken hatte und dessen Reaktion deshalb auch so langsam ausgefallen war. Die dürre Gestalt sprang jetzt von einem zu Schrott gefahrenen Lastwagen auf das Dach eines Möbelwagens, um dann einen Maschendrahtzaun zu erreichen, der den Containerhafen abgrenzte. Diese Gestalt, die unentwegt „Fuck!“ in die Regennacht schrie, hatte den umstrittenen Leiter der Mordkommission einfach ausgetrickst.
Alles, was Braun wusste, war, dass dieser ungepflegte Typ, der vor ihm auf den Schrottautos herumturnte, ihn beschimpft und seinen Range Rover mit einem Graffiti in schreiendem Orange beschmiert hatte. Als Braun dem Sprayer einen Tritt ins Kreuz verpasst hatte, der diesen zu Boden warf, dachte er noch, damit wäre die Sache erledigt und er könnte sich wieder auf seinen Anruf bei seiner Freundin, der Journalistin Kim Klinger, konzentrieren. Mit Kim verbanden ihn nächtliche „Long Distance Calls“, doch sie hatte in dieser beschissenen Regennacht nicht auf seine wiederholten Anrufe reagiert.
Deshalb war Braun auch total mies drauf und wenig zimperlich gewesen, als er den Sprayer, der entzündete rote Striemen auf seinem rasierten Schädel hatte, mit einem Tritt seines Springerstiefels auf den Betonboden warf.
„Scheiß-Tag, beschissene Nacht und jetzt kommst du mir in die Quere?“, hatte er gemurmelt und sich überlegt, was er mit dem Typ, der abgerissen und dreckig aussah, überhaupt anstellen sollte. Drei- oder viermal schüttelte er seinen Kopf, um Bier und Schnäpse in die richtige Umlaufbahn zu bringen, dann strich er sich die langen Haare zurück, die ihm regennass in die Stirn hingen. Der Sprayer sah erbärmlich aus und war aller Wahrscheinlichkeit nach pleite, deshalb hatte es wenig Sinn, ihn bei der Wache am Hafen abzuliefern.
Also was tun mit diesem kleinen Arschloch?
Der Fehler war gewesen, dass Braun ein zu weiches Herz hatte und ihm dieser abgerissene Typ irgendwie doch leid tat, wie er so unter seinem Stiefel in einer Regenpfütze lag und ständig mit den Handflächen in das Wasser patschte.
„Wie heißt du“, schrie Braun, doch der Typ stieß nur unartikulierte Laute aus.
„Verdammt, sag mir deinen Namen!“
„Jonas, Jonas Blau“, stammelte der Sprayer und wiederholte seinen Namen zwanghaft oft. „Jonas Blau! Jonas Blau!“
„Halt endlich die Klappe! Ich hab verstanden!“
Der Fehler war gewesen, dass Braun seinen Fuß hob, um dann dem Sprayer aufzuhelfen und um ein, zwei vernünftige Sätze mit ihm reden zu können. Der Fehler war gewesen, dass Braun wie so oft an das Gute im Menschen glaubte.
Der Sprayer packte nun Brauns Stiefel, drehte ihn schnell herum, hebelte ihn so aus und Braun landete unsanft auf seinem Rücken in einer schmierigen, nach Benzin stinkenden Pfütze. Für einen Moment war er orientierungslos. Diesen Augenblick nutzte der Sprayer, er schnellte hoch, packte seinen schwarzen Rucksack, setzte über den Kühler von Brauns Range Rover, sprang über weitere Autodächer und war nahe daran, im Regen zu verschwinden.
Bis in das Camp der Verlorenen hatte Braun die Verfolgungsjagd geführt, obwohl er im Hafenstern nur ein Bier trinken wollte.
Den Sprayer, der noch immer über die Schrottautos kletterte, fest im Blick, stolperte Braun über einen Klebstoffschnüffler, der eine Plastiktüte über den Kopf gezogen hatte und ein verdammt schädlich riechendes Putzmittel inhalierte. Braun konnte sich im letzten Moment noch auf den Beinen halten und fiel fast einer Punkerin mit Lochstrümpfen und kariertem Supermini in die Arme. Sie stieß Braun wütend weg, denn sie war gerade dabei, einem kahlrasierten bleichen Jüngling in den Hals zu beißen. Der Junge zog sich soeben eine Linie Koks hoch, von der er durch Brauns Rempelei fast die Hälfte in eine Regenpfütze schüttete. Normalerweise hätte Braun diesen Jungen mit zwei Ohrfeigen wieder nüchtern gemacht, aber jetzt wollte er unbedingt den Sprayer vor sich fassen.
Da zahlte es sich aus, dass Braun regelmäßig für einen imaginären Marathon trainierte, einen Marathon, an dem er aber nie teilnehmen würde, denn der Freund, mit dem er ihn bestreiten wollte, war keiner mehr.
Deshalb trainierte er jetzt immer still und alleine in der Nacht, denn wach bleiben musste er sowieso für seine „Long Distance Calls“ mit Kim.
Der Sprayer nahm Kurs auf den Containerhafen und turnte wie ein dürres Äffchen von einem ausgeweideten Lkw hinüber auf den angrenzenden Maschendrahtzaun und kletterte hoch hinauf. Braun war kaum noch hundert Meter von ihm entfernt, keine Distanz, wenn man so wie er trainiert war. Dann sprang der Sprayer drüben im Containerhafen vom Zaun auf den Beton, leichtfüßig wie eine Katze, während Braun noch auf dem Drahtzaun hing, jetzt waren die extravaganten Springerstiefel, die er sich auch im Sommer leistete, ein Hindernis, denn damit fand er nicht ausreichend Halt. Als er sich endlich hochgezogen hatte und sich elegant über den mit Stacheldraht bewehrten Rand schwingen wollte, blieb er an den eisernen Dornen hängen. Mit einem lauten „Ratsch“ zerriss der Baumwollstoff seiner teuren Anzughose.
Doch er hatte keine Zeit für Sentimentalitäten, er war auf der Jagd nach einem Sprayer, der ihm das Auto ruiniert hatte. Im Terminal türmten sich die Container wie eiserne Ungetüme in den nachtschwarzen Himmel und ständig glitten grelle Scheinwerfer über das Gelände, denn hier wurde Tag und Nacht gearbeitet, da der Hafen von Linz der größte Österreichs war und ein internationaler Umschlagplatz für Waren aller Art.
„Scheiße!“, zischte Braun halblaut, von dem Sprayer war nichts mehr zu sehen. Doch als einer der quietschenden Verladekräne für einen Augenblick stoppte, glaubte Braun in einer dieser schmalen, schwarzen und ewig langen Containergassen ein Geräusch zu hören. Er stürmte in die Finsternis, vorbei an den mit dutzenden von Graffiti beschmierten Containern.
Wie durch eine Schlucht lief er vorwärts, eine Schlucht, die links und rechts von hoch aufgetürmten Containern begrenzt war, so dass die Schwärze der Nacht hier unten noch viel schwärzer schien und der Regen noch lauter. An einem gelben Container entdeckte er ein weiteres Graffiti, ein brennendes Herz, das mit einem Kondensstreifen wie ein Raumschiff nach oben in eine schwarze Wolke schoss. Braun schätzte die Containergasse auf ungefähr hundert Meter Länge; am hinteren Ende konnte er bereits den hohen Maschendrahtzaun sehen, der das Gelände vom nächsten Terminal abgrenzte. Links und rechts gingen enge Durchlässe ab und in einem sah Braun an einer Containerwand einen gesprayten leuchtenden Kreis, der wie ein Feuerball aussah.
„Stehen bleiben!“, rief er, denn diesmal hatte er den richtigen Riecher gehabt. Ein Stück über ihm, wo sich die Container bis zu zwanzig Meter in die Höhe auftürmten, sah er den Sprayer, der geschickt und fast lautlos an den Containerwänden nach oben kletterte.
„Halt, Polizei! Bleiben Sie stehen!“, brüllte Braun und wusste natürlich sofort, dass dieser Befehl sinnlos war, so sinnlos, als würde man ihm verbieten, tagsüber ein Bier zu trinken. Also schwang er sich auf den untersten Container und griff nach einem Türriegel. Er fand auf einem Seitenteil ausreichend Halt mit seinen Springerstiefeln, erwischte den nächsten darüber gestapelten Container, dann einen weiteren, gelangte auf diese Weise immer weiter nach oben, musste aber feststellen, dass der Sprayer das Tempo erhöht hatte und sich immer schneller von ihm entfernte.
„Scheiße! Bleib stehen und komm herunter, du hast meinen Wagen beschädigt!“, schrie Braun, ließ aber weitere Rufe bleiben, denn der Sprayer zeigte nicht die geringste Reaktion und Braun wollte seinen Atem sparen. Er erhöhte jetzt das Tempo und konnte tatsächlich den Abstand verringern. Plötzlich war ein lautes Motorengeräusch zu hören, gefolgt von einem infernalischen Quietschen. Langsam schob sich ein Containerkran mit seinen zangenartigen Auslegern über die ganze Reihe, packte den obersten Container, den der Sprayer bereits erreicht hatte, mit seinen Zangen und schob ihn seitlich über den zwei Meter breiten Durchlass auf den nächsten Containerstapel. Der Sprayer hatte sich vorne an dem Türriegel festgehalten und wurde nun automatisch mit in die nächste Gasse befördert, von wo aus er gefahrlos absteigen konnte, ohne dass Braun eine realistische Chance gehabt hätte, ihn zu erwischen.
Doch so leicht wollte Braun nicht aufgeben. Schwer atmend stand er auf dem Dach des obersten Containers und kniff seine braunen Augen zusammen, um den Sprayer zu orten. Kleine rostige Pfützen hatten sich auf der Metallfläche gebildet. Im Licht der großen, hellen Scheinwerfer des Krans wirkte der Regen wie durchsichtige Leuchtstäbe oder diamantfunkelnde Kristalle – wie er vielleicht gesagt hätte, wenn er mit Kim hier oben gestanden hätte, was natürlich völlig absurd war.
Mit triefnassen Haaren und aufgeweichtem Sakko sah Braun hinüber auf die nächste Reihe, wo der Sprayer bereits geschickt mit dem Abstieg begonnen hatte und ihm wieder ein „Fuck!“ entgegenschleuderte, was Brauns Wut nur noch steigerte. Er zählte bis drei, dachte an die letzten Kilometer seines imaginären Marathons. Er biss die Zähne zusammen und sprang über die ungefähr zwei Meter breite Lücke zwischen den Containerstapeln. Problemlos landete er auf dem obersten Container auf der anderen Seite, rutschte aber auf der regennassen und glatten Metallfläche aus, fand mit den Fingern keinen Halt auf der schmierigen Fläche. Er krallte noch seine Finger in die verstärkten Abschlusswinkel an den Containerkanten, doch die Fliehkraft war zu stark. Braun musste loslassen und wurde über den Rand des Containers geschleudert.
Zwanzig Meter unter Braun hob gerade ein Staplerfahrer eine Palette Eisenrohre aus einem geöffneten Container, um sie auf einen bereitstehenden Lkw zu verladen. Draußen auf der Donau fuhr ein hell erleuchtetes Frachtschiff mit exakt auf dem Verladedeck ausgerichteten nagelneuen weißen BMWs durch die Nacht. An einem Container unter Braun hatte sich ein eiserner Türriegel geöffnet, schlug stakkatoartig im Regen gegen die gewellte Stahlwand und erinnerte Braun an die Anfeuerungsrhythmen der Zuschauer, wenn man beim Marathon in die Zielgerade einbiegt. Ausgerechnet das ging ihm durch den Kopf, und nicht etwa das letzte nächtliche Telefonat mit Kim, als er in die große Leere stürzte.
Um vier Uhr morgens schrillte das Telefon im Büro von Elena Kafka und unterbrach das monotone Geräusch, das der Gummiball verursachte, den Elena Kafka schon seit Stunden an die Wand drosch. Langsam setzte sie sich in den hohen gepolsterten Ledersessel, wippte mehrmals vor und zurück, ehe sie sich aufrichtete und zum Hörer griff.
„Was gibt’s?“, bellte sie in die Leitung, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten, und langte gleichzeitig nach einem frischen Nikotinkaugummi in ihrer Schreibtischlade.
„Ach, du bist es. Dachte mir schon, dass du dich meldest. Woher hast du meine Nummer?“ Gedankenverloren steckte sie den Nikotinkaugummi in ihren Mund, während sie zuhörte. Merkwürdig, dachte sie, das Nikotin beruhigt nicht, sondern schlägt nur auf den Magen.
„Natürlich, du und deine Beziehungen“, kommentierte sie mechanisch die Antwort, ohne mit dem Kauen aufzuhören. „Deine Stimme zittert so, bist du etwa alt geworden?“ Sie lächelte zynisch, doch als der Anrufer stockend den Grund seines Anrufs nannte, erstarrte sie für einen Moment.
„Tim ist tot? Er ist ermordet worden?“ Elena Kafka spuckte den Nikotinkaugummi in den Papierkorb, der unter ihrem Schreibtisch stand, und setzte sich aufrecht in ihren Lederstuhl. „Was ist passiert?“
Während sie zuhörte, riss sie eine Schreibtischlade auf und holte ein kleines schwarzes Notizbuch hervor. Der gewachste Leineneinband war an den Ecken abgewetzt und als sie das Buch aufschlug, waren die Kaffeeringe und Brandflecke nicht zu übersehen. Sie klemmte sich den Hörer zwischen Wange und Schulter und begann hektisch das Notizbuch durchzublättern. Es waren Tagebucheintragungen, die im Zeitraffer ein Leben dokumentierten, dann plötzlich abrissen. „Back in Linz!“ war quer über die letzte Seite geschrieben worden.
Elena Kafka räusperte sich, als sie bemerkte, dass der Anrufer verstummt war. Sie hörte nur ein verhaltenes Schluchzen, dann hatte sich der Anrufer wieder gefasst und seinen gewohnten befehlsmäßigen Ton angeschlagen. Schweigend hörte Elena Kafka zu, runzelte die Stirn, wollte etwas sagen, wurde aber von dem Anrufer unterbrochen. Mit resignierter Miene wartete sie, bis der Anrufer geendet hatte.
„Ich kümmere mich persönlich darum. Mein bester Mann ist in zwei Stunden vor Ort. Du kannst dich auf mich verlassen! Woher ...“
Doch der Anrufer hatte bereits aufgelegt und das mechanische Tuten des Telefons vermischte sich mit dem gleichmäßigen Trommeln des Regens an die Fenster ihres Büros.
Wie betäubt starrte Elena Kafka auf den Schreibtisch, auf dem der Telefonhörer und das schwarze Notizbuch lagen. Mit zitternden Fingern griff sie danach, schlug eine neue leere Seite auf und schrieb: „Es ist vier Uhr morgens, Ende Juli und es regnet ...“ Dann brach sie in Tränen aus und weinte, so wie sie zuletzt auf dem schmucklosen Friedhof in Washington geweint hatte.
Als es nichts mehr zu weinen gab und ihre Augen klein und verschwollen waren, legte sie langsam den Telefonhörer auf, griff automatisch nach der Blisterverpackung, um sich einen neuen Nikotinkaugummi herauszudrücken, aber die Verpackung war leer. Nervös fischte sie die zerkaute Kaugummikugel wieder aus dem Papierkorb, ließ sie in der Mundhöhle kreisen und versuchte nicht an das Nikotin, sondern an das Telefonat zu denken.
Mit bleischweren Gliedern stand sie auf, bemerkte den Gummiball, den sie auf dem Teppich liegen gelassen hatte, und hob ihn schnell auf.