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Wenn Kinder nicht mehr lesen können, steht die Gesellschaft im Gesamten am Abgrund: Die Teilhabe am Sozialsystem, ein erfolgreiches Berufsleben, differenzierte politische Meinungsbildung – wer nicht lesen kann, dem bleibt all das verwehrt. Die Kinderbuchautorin Kirsten Boie und der StoryDOCKS-Geschäftsführer Till Weitendorf sind sich deswegen einig, dass all unsere Bemühungen darauf liegen müssen, unseren Kindern Lesekompetenz mitzugeben. Ob die Endgeräte dazu digital oder analog sein müssen? Worin der Reiz guter Geschichten liegt? Wie man ein ordentliches Kinderbuch schreibt, das auf den unterschiedlichsten Medien gehört werden kann? Und warum alles egal wird, wenn unsere Kinder nicht ein bisschen mehr wie Pippi Langstrumpf denken? Ein Gespräch mit den Kursbuch-Herausgebern zur Zukunft des Lesens in einer Anti-Lesegesellschaft.
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Seitenzahl: 27
Inhalt
Kirsten Boie, Till WeitendorfAlles Pippi oder was?Im Gespräch mit Luise Ritter, Peter Felixberger und Armin Nassehi
Die Autoren
Impressum
Kirsten Boie, Till WeitendorfAlles Pippi oder was?Im Gespräch mit Luise Ritter, Peter Felixberger und Armin Nassehi
Kursbuch:Kirsten Boie, Till Weitendorf, bevor wir in medias res gehen: Was war für Sie das allererste Kinderbuch, das Sie begeistert hat oder an das Sie eine eindrückliche Erinnerung haben?
Kirsten Boie: Das erste Buch, das mich zutiefst beeindruckt hat und das mir vorgelesen wurde, war gar nicht im eigentlichen Sinne ein Kinderbuch. Es war Das große Wilhelm Busch Album, das meine Mutter noch aus ihrer Kindheit hatte. Ich konnte es halb auswendig! Wenn es danach um Kinderbücher geht, erinnere ich mich eindrücklich an Pippi Langstrumpf. Vor allem deshalb, weil mir auffiel, dass nicht nur ich das sehr komisch fand, sondern auch meine Mutter, die es vorlas. Sie hat sich vor Lachen geschüttelt – aber immer an anderen Stellen als ich. Ich wusste nie so richtig, warum sie eine Textstelle witzig fand, sie wusste dagegen natürlich genau, warum ich etwas lustig fand.
Till Weitendorf: Bei mir ist es Henriette Bimmelbahn von James Krüss, einfach deswegen, weil es so herrlich vorgelesen werden kann, was ich jetzt bei meinen eigenen Kindern auch wieder merke. Nur ein kleines Bilderbuch, aber mit so großartigen Reimen: Da rattert und knattert es, es dampft und faucht. Aber auch meine Kindheit ist stark durch Astrid Lindgren geprägt, wobei man dazusagen muss, dass in unserem Haushalt Kinderbücher ja omnipräsent waren.
Kursbuch: Sie stammen aus der Verlegerfamilie Oetinger, Herr Weitendorf. Wie war das bei Ihnen, Frau Boie, wuchsen auch Sie in einem Elternhaus auf, das sich sehr stark um Kinderbücher, um das Lesen und Vorlesen, ja das Konsumieren von Kinderliteratur gekümmert hat?
Kirsten Boie: Meine Eltern hatten beide keinen höheren Bildungsabschluss, waren aber sehr belesen. Sie waren im Bertelsmann Lesekreis, bekamen also jeden Monat ein Buch geschickt und wünschten sich das Lesen auch für ihre Kinder. Ich habe sehr früh angefangen, selbst zu lesen, aber – und das müssen wir mitbedenken, wenn wir über die heutige Situation sprechen – wir hatten damals keine Alternative. Es gab kein Fernsehen, es gab einmal die Woche im Rundfunk eine Stunde Kinderfunk, und es gab keine Hör-CDs. Wer also etwas anderes wollte als seine eigene Wirklichkeit, der musste lesen.
Till Weitendorf: Bei uns wurde natürlich beruflich viel gelesen, denn das Buch besaß bei uns eben auch den Stellenwert eines Wirtschaftsgutes. Da war es nicht immer selbstverständlich, dass Zeit zum Vorlesen übrig blieb. Ich hatte aber das große Glück, dass meine Mutter mir trotzdem vorgelesen hat. So richtig entflammt wurde ich für das Medium Buch dann, als ich selbst lesen konnte. Ich weiß noch, Mio, mein Mio von Astrid Lindgren hat mich sehr begeistert. Das fand ich sensationell, und später habe ich dann Comics gelesen, was mein Vater wiederum gar nicht gut fand. Aber, und das war dann etwas anders als bei dir, Kirsten, gehörte bei uns das Fernsehen einfach auch schon dazu, ich erinnere mich an die Sesamstraße, Peter Lustigs Löwenzahn und so weiter. Die Mediennutzung war in meinem Heranwachsen also schon sehr ausdifferenziert.
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