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Was überdauert nach dem unerwarteten Abschied eines geliebten Menschen? – Sabine Gruber schreibt gegen das Vergessen und das Verschwinden an. Lyrische Tagebuchfragmente über das Abschiednehmen, Bewahren und Weitermachen Ein geliebter Mensch verschwindet aus unserem Leben. Was bleibt uns dann noch? – Es sind die Gegenstände, die weiterexistieren und Geschichten erzählen. Orte, die Gemeinsames erinnern, sich aber gleichzeitig für Neues öffnen. Landschaften und Gebäude, Gerüche, Bilder aus der Vergangenheit, literarische Bezüge. Ungeachtet der Erschütterung über den Verlust geht das Leben weiter, im Wechselspiel der Jahreszeiten entstehen neue intensive Alltags- und Reisebilder, welche die Trauer mit poetischer Kraft zu überwinden streben. Über Sehnsuchts- und Erinnerungsorte, die von Brüchen und wiedergewonnener Lebensfreude zeugen In dem ihr eigenen, verblüffend lebensnahen Ton entlockt Sabine Gruber den Augenblicken des Alltags ihre poetische Kraft. In Am besten lebe ich ausgedacht verknüpft sie Liebessterben und Liebeswerben, Gelebtes und Erdachtes, Historisches und Eigenes zu einem faszinierenden poetischen Kalendarium. Baustein um Baustein fügt Gruber zu einem schillernden Alltagskalendarium zusammen, wach, feinfühlig, mit genauem Blick noch auf Kleinstes und ebensolchem Ohr für die im Lärm der Zeit fast unhörbar gewordene Musik der Phänomene und ihrer Bedeutungen. Mirko Bonné
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Seitenzahl: 30
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Sabine Gruber
Journalgedichte
HAYMON
Im März
Im April
Im Mai
Im Juni
Im Juli
Im August
Im September
Im Oktober
Im November
Im Dezember
Im Jänner
Im Februar
Letzter Oktober
Dritter Dezember
Zweiundzwanzigster Jänner
Vierter Februar
Sechsundzwanzigster Februar
Zehnter März
Letzte Märztage
Zwanzigster April
Fünfter Mai
Zehnter Mai
Später Mai
Angefangener Juni
Letzte Junitage
Mitte Juli
Letzter September
Ende November
Letzter Novembertag
Zwölfter Dezember
Einunddreißigster Dezember
Neunter Jänner
Zwölfter Jänner
Mitte Jänner
Zwölfter Februar
Neunzehnter Februar
Anfang März
Mitte April
Siebenundzwanzigster April
Ende Mai
Vierundzwanzigster August
Zweiter September
Dritter September
Die Autorin
È: nei vivi la strada dei defuntiDurch die Lebenden führt die Straße der Toten
Giuseppe Ungaretti
Leopoldstadt, Wien
Der Winter verabschiedet sich mit Messer
Stichen, mit Blut auf der Praterstraße, mit
Hunden im Park und Polizisten. Er geht
Über schwarzen Schnee und grüßt die
Toten, die Verschwundenen, die uns
Mit anderen Wintern zurücklassen.
Geht mit Träumen über aufgetaute
Grasflächen, über rutschige Treppen,
Und wenn wir die Lichtflächen am
Himmel sehen, dreht er sich noch
Einmal um mit Schneewolken, mit
Gestöber, tanzt ausgelassen, als hätte
Er alles vor sich: Das Glitzern, das Weiß
Land ohne Stadt, ohne Blaulicht und
Menschen. Eisblumen. Und Gletscher
Für Jahrtausende. Wir winken einander
Zu, zwei aus einem Wasser, aus einer
Kälte. Zwei unter einer Sonne, mit
Nichts als glücklosen Seitensprüngen
In eine neue Zeit.
Paliano, Latium
Manchmal spüre ich einen fremden Atem,
Sehe Schatten, Fußabdrücke und vernehme
Doch nur die beiden Käuze im Steineichen
Bestand, höre das Hin und Her ihrer Rufe,
Ihr hartnäckiges Werben. Vom Himmel
Fällt feiner Staub. Die Blüten schütteln sich
Im aufziehenden Sturm. Ich saß hier schon
Einmal vor sieben Jahren in Sichtweite
Der sieben Hügel. Das Glück trug noch
Hohe Schuhe und einen nackten Frack.
Komm, laß uns noch einmal mit dem
Grünen Volvo durch die Landschaften
Fahren, unter rosa Schlieren und schlaffen
Wolkenschleiern. Es ist wieder Hochzeit
Der Trauernden. Füchslein liegt mir zu
Füßen und kläfft. Ich trage einen halben
Hut. Vor einem Jahr war ich noch am Rhein
Mit einem anderen Hund. In den Film
Auf dem Autodach schreibt jetzt einer
Nasse Zeilen.
Venedig
Im Mai spiel ich Tinderadei, wische die Liebe
Herbei. Ich hause im Staub, leb im Display
Trage Bilder zusammen, Schnipsel für meinen
Herbst, für ein Feuerchen im Vorhinein. Die Lach
Salven der Möwen begleiten mich im Traum, aus
Ihren Schnäbeln fallen kleine Papierknäuel
Die sich nach und nach zersetzen. Tan-da-ra-dei
Im Mai. Wer küßt mich? Wer bettet mich auf
Blüten Wiesen Decken? Ich ahne das Meer in
Den Kanälen, ahne das Gras an den Pfählen.
Doch wir sind, wo nichts gilt. Nach dem Match
Geht das Spiel erst los, Sätze fangen, Worte
Verstecken. Die schon lange spielen, brechen ab
Tinderadei – Ich bleib dabei: bin unter den Linden
Nicht zu finden. Schaue Krieg und Kräftemessen,
Wohl tausend Mal! Ach, seht wie rot mir ist der
Mund, den schweig ich mir schön wund. Im Mai
Spiel ich Tinderadei, wische meine alte Liebe
Entzwei. Und kehr zu ihr zurück, Tinderadei
Mit einem Klick.
Sirmian, Südtirol
Römischer Boden auch hier, längst vergessene
Güter und Namen. Vielleicht kam Sirmius aus
Sirmium, einer der vier Hauptstädte des
Reiches. Auch wir residierten kaiserlich
Mitten im Holunderweiß und Hundsrosenrosa
Mit Blick auf die Dolomiten. Ich wollte dir
Die Vollkommenheit einer Geröllhalde zeigen
Den Schutt am Fuße der Jahre. Die Vögel
Flogen tief, das Heitere hatte sich ins
Früher verzogen, in deine Erinnerungen
Als die Wünsche noch lebten, um erfüllt
Zu werden. Ich wollte den Absturz vermeiden,
Den Fehltritt der Sehnsucht, das blinde Ver