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Ein Mann in einem Zug, an einem Fenster, kurz vor der Abfahrt von einem Bahnhof. Verloren. Da sieht er auf dem Bahnsteig eine Frau. Und sie sieht ihn. Und sie erkennen sich. Doch schon setzt der Zug sich in Bewegung. Was tun? Kurzentschlossen nimmt der Mann sein Smartphone und wirft es der Frau zu. Sie fängt es auf. Und dann? Ja, und was dann? Ein Mann, arbeitslos im Ruhrgebiet. Gefangen in einem Gestrüpp aus Bewerbungen, Vorstellungsgesprächen, Arbeitsagentur-Terminen und wachsender Selbstentfremdung. Im Teufelskreis sich leerlaufender Hoffnungen. Was tun? Sich im Hamsterrad totlaufen lassen oder… oder… oder WAS? Was ist die Alternative? Gibt es überhaupt eine? Eine junge Frau aus Berlin auf Lesetour in der Metropole Ruhr. Ein Mann weckt ihr Interesse. Doch er weist sie ab. Ein Buch später ist sie wieder auf Tour an der Ruhr. Und wieder ist da dieser Mann. Und wieder kann sie nicht widerstehen. Doch wieder die Abweisung. Wird sie sich diese dieses Mal aber gefallen lassen? All diesen Fragen geht David Jordan in seinen drei zwischen September 2014 und Februar 2015 zu Papier gebrachten Erzählungen nach, die der vorliegende Band unter dem Titel „andernorts anderswo. CafeHaus-Geschichten“ in sich vereinigt. Ein zentraler Schauplatz aller Geschichten ist dabei, wie schon im Untertitel deutlich wird, das CafeHaus in Herne. Das CafeHaus in Herne – eine Institution, die leider nicht mehr existiert. Ein unwiederbringlicher Verlust wie so Vieles, das nie hätte verloren gehen dürfen, aber plötzlich, von heute auf morgen, nicht mehr da ist – sei es in Herne, andernorts oder anderswo.
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Seitenzahl: 112
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Ein Mann in einem Zug an einem Fenster kurz vor der Abfahrt von einem Bahnhof. Verloren. Da sieht er auf dem Bahnsteig eine Frau. Und sie sieht ihn. Und sie erkennen sich. Doch schon setzt der Zug sich in Bewegung. Was tun? Kurzentschlossen nimmt der Mann sein Smartphone und wirft es der Frau zu. Sie fängt es auf. Und dann? Ja, und was dann?
Ein Mann arbeitslos im Ruhrgebiet. Gefangen in einem Gestrüpp aus Bewerbungen, Vorstellungsgesprächen, Arbeitsagentur-Terminen und wachsender Selbstentfremdung. Im Teufelskreis sich leerlaufender Hoffnungen. Was tun? Sich im Hamsterrad totlaufen lassen oder… oder… oder WAS? Was ist die Alternative? Gibt es überhaupt eine?
Eine junge Frau aus Berlin auf Lesetour in der Metropole Ruhr. Ein Mann weckt ihr Interesse. Doch er weist sie ab. Ein Buch später ist sie wieder auf Tour an der Ruhr. Und wieder ist da dieser Mann. Und wieder kann sie nicht widerstehen. Doch wieder die Abweisung. Wird sie sich diese dieses Mal aber gefallen lassen?
All diesen Fragen geht David Jordan in seinen drei zwischen September 2014 und Februar 2015 zu Papier gebrachten Erzählungen nach, die der vorliegende Band unter dem Titel „andernorts anderswo. CafeHaus-Geschichten“ in sich vereinigt. Ein zentraler Schauplatz aller Geschichten ist dabei, wie schon im Untertitel deutlich wird, das CafeHaus in Herne. Das CafeHaus in Herne – eine Institution, die leider nicht mehr existiert. Ein unwiederbringlicher Verlust wie so Vieles, das nie hätte verloren gehen dürfen, aber plötzlich, von heute auf morgen, nicht mehr da ist – sei es in Herne, andernorts oder anderswo.
Glenn Cornick (1947-2014)
&
Wolfram Wuttke (1961-2015)
&
W. Günther Rohr (1956-2015)
andernorts
: Dreisatz aus Einsamkeit. Ein Groschenromanversuch
ZWISCHENSTOPP
: Leerlauf. Handlungen
anderswo
: Glenn Mulligan
Was mir über die Jahre immer unverständlicher wurde, war die Reaktion der Kollegen aus der Filmbranche auf unvorhergesehene, katastrophale oder schlimme Ereignisse. Gerade dadurch, was die Medien uns tagtäglich an Katastrophen und Tragödien frei Haus liefern, müssten wir alle so abgebrüht oder abgestumpft sein, dass uns nichts mehr überraschen kann. Dabei brauchen wir ja nicht einmal Zyniker zu sein, sondern einfach nur die Macht der Gewohnheit. Ich würde auch nicht gelten lassen, dass es einen Unterschied macht, ob es uns selbst widerfährt oder jemand anderen. Es macht nicht wirklich einen Unterschied. So oder so spielen wir eine Rolle – sei es nun im realen Leben oder im Digitalen. Aber vielleicht ist es genau das, was die Kollegen vor Angst schlottern lässt, auch wenn alle, wirklich alle gleich wissen, was als Nächstes um die Ecke kommt: die Rollenerwartung zwingt sie, vor Angst zu schlottern. Es ist genau das, was dem Publikum Sicherheit gibt. Man stelle sich nur vor, wir reagieren gegen die Erwartungen. Was dann? Die Geschichte nimmt eine andere Wendung. Es entsteht eine neue Situation. Es eröffnen sich neue Möglichkeiten zu handeln. Die Chance auf ein anderes, ein neues Leben. Und genau darauf wollte ich hinaus. Genau das war mein Ziel. So blieb mir nichts anderes möglich, als sie da mit reinzuziehen. Als Opfer, wenn Sie so wollen.
Oder?
Gerade schaue ich von dem Block auf, in dem ich all dies hier notiere und sehe, wie hier im CafeHaus die junge Dame am Tisch vor mir sich in ihrem Smartphone abcheckt. Dabei hält sie das Smartphone so, dass ich ihr Gesicht auf dem Bildschirm sehen kann und sie mich. Was gibt denn das jetzt?
Aber zurück zum Wesentlichen, denn ich stand im Gang des Zuges und schaute aus dem Fenster auf die Leute dort draußen auf dem Bahnsteig. Es ereignete sich nichts Besonderes oder gar Weltbewegendes. Leute stiegen in den Zug ein, Leute stiegen aus. Leute liefen mit oder ohne Koffer, mit oder ohne Begleitperson(en) den Bahnsteig entlang. Manche wirkten froh, manche wirkten gestresst. Und manche wirkten verloren. Zu ihnen gehörte ich selbst, auch wenn es nicht gleich den Anschein hatte, befand ich mich schließlich in einem Zug, der, wie es sich für jeden guterzogenen Zug gehörte, ein Ziel hatte. So hatte ich gezwungenermaßen auch eins, wenn es mir auch erst dann bewusst wurde, als die Türen schlossen und ein ziellos umherschweifender Blick einer jungen Frau sich mit meinem irrlichtenden kreuzte. Statt verwundert zuzusehen, wie wir uns jeden Augenblick wieder aus den Augen verlieren würden – und das für immer –, spurtete sie los, während ich dabei war, in meine übliche Schicksalsstarre zu verfallen. Doch während sie unbeirrbar zielsicher geraderaus auf meinen Wagon zuraste, überschlugen sich in meinem Kopf meine Gedanken und stießen dabei mit meinen Hoffnungen zusammen, verkeilten sich ineinander und gebaren eine Idee.
Kurz entschlossen holte ich mein Smartphone aus der Tasche, zeigte es ihr und versuchte mich ihr, die mich mit ihrem Blick fest fixiert hatte, mit Gesten verständlich zu machen. Ich vermeinte, ein unmerkliches Nicken ihrerseits zu erkennen, während ich schon dabei war, ein Gangfenster aufzureißen und das Smartphone zeitlupenförmig in ihre Richtung zu werfen. Woher ich die Inspiration dazu nahm? Wovon man sich heute alles abguckt. Von den Kollegen aus der Filmbranche halt.
Sie fing es in dem Moment auf, als der Zug schon so viel Fahrt aufgenommen hatte, dass sich mein Wagon von seinem ursprünglichen Platz am Bahnsteig schon mehrere Wagonlängen entfernt befand und ich sie immer schneller immer kleiner werdend sah, bis ich sie gänzlich aus den Augen verlor.
Als sie gar nicht mehr zu sehen war, begab ich mich glücklich grinsend wieder zu meinem mir zugedachten Platz im Abteil. Mit jedem Schritt wurde das Grinsen jedoch dünner und dümmer. An meinem schon lange vorher reservierten Platz angekommen, hatte ich wieder jegliche Beschwingtheit verloren und mich jeglicher Hoffnung beraubt. Was war das nur für eine dumme Aktion um der Aktion willen gewesen? Was hatte ich damit zu erreichen gehofft, mein über 800 Euro teures Smartphone einer Wildfremden in die fangbereiten Grabscher zu schmeißen? Gut, sie war keine Wildfremde mehr. Wir hatten uns erkannt. Aber was würde sie denn mit dem Ding anfangen? Was wollte sie damit anfangen? Was – um wirklich genau zu sein – konnte sie damit anfangen? Selbst wenn der Hoffnungsschimmer in ihren Augen echt gewesen war, das Ding war Passwortgeschützt. Würde sie wirklich so weit gehen, den Code zu knacken? – Träum weiter!
Aber warum ging ich wieder nur so weit, mich schlechter zu machen, als ich bin? Warum setzte ich die Maske des hoffnungslosen Verlierers auf, der ich gar nicht bin? Warum kleidete ich mich in ein Gewand, das mir gar nicht stand? Hat da nicht gerade erst das junge Ding am Tisch vor mir, mich mit seinem Smartphone abgecheckt? Was hält mich also davon ab, aufzustehen, an sie heranzutreten und von ihr ein Foto mit meinem Smartphone zu schießen? Mein Smartphone hat eine andere? Papperlapapp! Ach so, sie ist nicht da. Ist sie etwa weg? Nein, ihre Sachen sind noch da. Ja, und da ist sie selbst, kommt gerade frisch erleichtert vom Klo.
„Smile“, rufe ich ihr zu, halte mein altes Klapphandy hoch und drücke ab.
Wie auf Kommando hatte sie sich blitzschnell in Pose geworfen, so dass ich eine wirklich professionelle Aufnahme von ihr zustande brachte. Sodann schlenderte sie lasziv auf mich zu.
„Ich weiß, warum du das gemacht hast“, sagte sie. „Ich habe auch keinerlei Probleme damit. Nur leider bist du nicht mehr auf dem neuesten Stand. Sorry!“ sagte sie und schlenderte lasziv an mir vorbei zu ihrem Platz, wo sie ihren Kram zusammenpackte, und, ohne sich noch einmal zu mir umzudrehen, verschwand.
Da saß ich nun mit ihrem Foto und ihrer Abfuhr. Ich entschloss, mir bei sich nächstbietender Gelegenheit ein Smartphone anzuschaffen.
Was aber überlegte ich mir, wenn sie sich wirklich und tatsächlich die Mühe machte, den Code zu knacken? Ich musste ihr eine Nachricht zum Vorfinden und Die-Hoffnung-nicht-verlieren hinterlassen. Dass sie weiß, dass es mir wie ihr total und absolut ernst mit uns ist. Zum Glück hatte ich, wenn auch aktuell nicht dabei, noch mein uraltes Klapphandy. Wenn sie denn nur wirklich den Code knackte.
Da tippte mir jemand auf die Schulter. Ich drehte mich zur Seite und da stand ein junges Wunderding der Schöpfung vor mir.
„Süßer, das fand ich krass von dir, wie du da das Foto von ihr gemacht hast. Die meisten wären doch reine Schisser geblieben und wären nicht auf ihre unverhohlene Anmache eingestiegen. Hätt‘ ich dir aber auch vorher flüstern können, dass das frigide Miststück eine selbstverliebte Fotze ist, der nur bei Blitzlichtgewitter in ihre Richtung einer abgeht. Aber nichtsdestotrotz: Solcher Mut muss belohnt werden. Ich bin grad feucht, so läufig, dass ich mich schon dauernd reiben muss, wenn du verstehst, was ich zum Ausfluss bringen will, und weiß ein Stundenhotel. Haste Lust? Willste kommen?“
Und wenn sie nicht anruft?
Als ich erwachte, stand eine Putzfrau am anderen Ende des Bettes. Vom Wunderding der Schöpfung war nichts zu sehen.
„Nimm es nicht allzu tragisch, Kleiner“, sagte die Putzfrau. „So ist sie nun einmal, meine Tochter. Ich soll dir aber ausrichten, dass sie dich trotz alledem von Zeit zu Zeit gern ficken würden, wenn es Zeit und Umstände erlauben. Sie meinte, wir sollten dich trotz allem behalten.“
„Und was meinen Sie?“ fragte ich.
„Mein Töchterlein mag ihre Defizite haben, aber es gibt trotzdem einige Bereiche des täglichen Lebens, da liegt sie selten daneben.“
„Sie wollen es also darauf ankommen lassen?“
Die Putzfrau sah mich an, wie man mich in solch einer Situation wohl ansehen musste. Belustigt.
„Nu lass ma dat Rumgezicke, Prinzesschen“, sagte sie.
„Bieten Sie mir nun einen Job an oder nicht?“ fragte ich.
„Hast du ein Problem damit?“ erwiderte sie.
Und wenn sie mich nicht anruft? Ich auf einen Anruf warte, der niemals kommt? Warum habe ich, statt mein Smartphone durchs Fenster zu werfen, mich nicht selbst hinterhergeworfen? Hätte sie mich fallen gelassen, wär dann wenigstens alles klar gewesen, denn niemand lässt ein Smartphone für 800 Euro fallen. Niemand, nicht wahr? Aussagekräftig war an dieser Aktion konsequenterweise folgerichtigerweise folglich gar nichts. Aber ihr Blick! Was ließe sich dafür nicht alles ertragen? Wie zum Beispiel Teilzeitsexsklaventeilzeitsex.
Ich hatte keine Probleme damit und nahm das Jobangebot an. Kost und Logis waren frei und für meine Servicedienstleistungen, die, sofern sie nicht an der Tochter der Putzfrau vollzogen wurden, vollkommen freiwillig erbracht wurden, erhielt ich eine gewisse Aufwandsentschädigung in leistungsbezogener Höhe.
Im Großen und Ganzen war es eine recht unterhaltsame Zeit, bis ich eines Tages von einer Frau mittleren Alters gefragt wurde: „Willst du nicht mal oben sein?“
Es war nicht das erste Mal mit ihr, so verstand ich sofort, was sie meinte.
„Und was dann?“ fragte ich.
„Folge deinem Herzen“, sagte sie.
Ja, wie dumm hörte sich das denn in diesem Moment an? Ich musste mir darauf etwas einfallen lassen, was die Diskussion im Kindsbette erstickte.
„Ich habe mir was überlegt“, gab ich mich nachdenklich. „Ich habe mir überlegt, bei einigen früher zu kommen, weit früher.“
„Warum das?“ fragte sie.
„Um sie zu enttäuschen. Um sie zu enttäuschen, wie sie in ihren realen Beziehungen enttäuscht wurden und enttäuscht werden. Ich will sie so groß enttäuschen, dass sie so frustriert werden, dass sie anfangen, loszuschlagen.“
„Wozu das?“ fragte sie.
„Damit sie wissen, woraus sie gemacht sind?“ entgegnete ich.
Sie lachte: „Das einzige, was du ihnen lieferst, ist ein Grund mehr.“
Ich dachte darüber nach und musste schließlich eingestehen: „Das ist es, worum es die die ganze Zeit über geht: einen Grund zu haben. Wie primitiv ist das denn?“
„Alles eine Frage der Perspektive“, sagte sie, beugte sich runter und küsste ihn. Dann schaute sie hoch: „Willst du nicht doch mal oben sein?“
Vielleicht braucht es wirklich nur mal die Einnahme eines anderen Standpunktes. Und sei es nur, um eine Ahnung davon zu haben, warum sie mich nicht anrufen würde für den Fall, dass sie mich nicht anriefe, selbst wenn sie den Code knacken und meine auf sie wartende Botschaft lesen würde, über deren genauen Inhalt ich nun sann, nachdem ich endlich mit dem Zug zum Ziel gelangt war, welches in Wahrheit nicht mehr war als eine Entschuldigung dafür, in Bewegung zu bleiben – on the move –, um ja nicht, ja, um was ja nicht? Um nicht das Uralthandy in die Hand nehmen zu müssen, um den Schicksal keinen kleinen Schubs zu geben? Wo Bewegung zum Sein wird, wie er in der Frau mittleren Alters?
Aber das war nicht mein Problem. Es war noch nicht einmal das Problem, denn es lieferte der Frau mittleren Alters einen Grund, womit die Zirkelbewegung der Argumentationskette in ihrem Falle abgeschlossen war. Ich dagegen sah mich auf einmal einer Freiheit gegenüber, von der ich nicht wusste, ob ich sie umarmen wollte. Wahrscheinlich war es das gewesen, was mich in den Zug steigen ließ, denn wenn ich sie schon schlug, wer sagte, dass ich vor dem Kind haltmachte, wo doch insbesondere Bauchtritte bei Schwangeren sich als so äußerst effektiv wirkend erwiesen?