Anna Apokalypse und die Luminarischen Krieger - Lu C. Ohm - E-Book

Anna Apokalypse und die Luminarischen Krieger E-Book

Lu C. Ohm

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Beschreibung

Welt ohne Erde - Sammelband 1. ANNA APOKALYPSE Die Pursuiter-Pilotin Anna di Maturaz ist durch den Abschuss ihres Raumschiffs auf der Raumstation Ulltra gelandet. Sie ist dem Gultrân entkommen, doch nun fristet sie ihr Dasein zwischen Troiks (Robotern) und Cyborgs. Wie kann sie jemals dem irren Amüsierviertel Trivi 3 entfliehen und zu ihrer Familie nach Opzalon kommen? Und dann erscheint auch noch ein schöner Feind, den sie lieben soll...! Beta hat mit 'Anna Apokalypse' recht, denn überall, wo sie auftaucht, bricht Chaos aus... 2. LUMINARISCHE KRIEGER Die Raumschiff-Pilotin Anna ist auf der mysteriösen Forschungsstation Altorek gefangen. Sie steht vor einer gewaltigen Herausforderung: Wie kann sie die eine Million Jular erbeuten, die als Kopfgeld auf Takeru ausgesetzt sind, während er verwundet in einem Kokon liegt? Als wäre das nicht genug, wird sie hier auch noch als Feindin der Apsids festgehalten und von Longbart, einem verrückten Laborassistenten, mit seltsamen Warnungen und virtuellen Brettspielen geplagt. Aber Anna wäre nicht "Anna Apokalypse", wenn sie nicht in Windeseile einen Ausweg finden und noch mehr Chaos stiften würde. Plötzlich kämpft sie auf einer lebensgefährlichen Mission und muss die gesamte Morton-Galaxie retten...

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Dieser Science-Fiction-Romanist Teil der »Welt ohne Erde«-Reihe.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Von Lu C. Ohm

ANN APOKALYPSE

TEIL 1 : GEFANGEN AUF ULLTRA

Kapitel 1 – Weltenlos im Gürtel des Gultrân

Kapitel 2 – Bei Randa

Kapitel 3 – La Traviata

Kapitel 4 – Takeru und Weltwin

TEIL 2 : AUF DER FLUCHT

Kapitel 5 – Ein Deal mit Salim

Kapitel 6 – Mit drei Apsids an Bord

Kapitel 7 – Von Apsid zu Apsid

Kapitel 8 – Altorek

LUMINARISCHE KRIEGER

II. LUMINARISCHE KRIEGER

Prolog: Der Traum

TEIL 1 : SPIELFIGUREN

Kapitel 1 - Viviana de Wrêst - auf Altorek

Kapitel 2 - Longbarts Spiel - auf Altorek

Kapitel 3 - In der Wildnis - auf Altorek

Kapitel 4 - Ziele - von Altorek nach Luminares

Kapitel 5 - Tyras Trauben - auf Opzalon

Kapitel 6 - Auf zur Wabe! - auf Luminares

Kapitel 7 - Geheimdienst - auf Luminares

Kapitel 8 - Cole Karnan - auf Katull

Kapitel 9 - Zwischen den Zeilen - auf Luminares

Kapitel 10 - Im Erden-Salon

Kapitel 11 - Inka Munk - auf Luminares

TEIL 2 : MILLA RYSA

Kapitel 12 - Drachengrütze - auf Luminares

Kapitel 13 - Jacks Kampfkasten - auf Luminares

Kapitel 14 - Die Crew - auf Luminares

Kapitel 15 – Exkurs: Königin Oriana auf Solaz

Kapitel 16 - Tyra und Loraine - auf Opzalon

Kapitel 17 - Milla Rysa nimmt Kurs auf Solaz

Kapitel 18 - Königin Oriana - auf Solaz

Kapitel 19 - Das Isistris-Wurmloch

Kapitel 20 - Cole Karnan auf Katull

Kapitel 21 - Das Drachenrennen auf Luminares

Kapitel 22 - Zu Besuch auf Opzalon

BEGRIFFE VON A - Z AUS BAND 1

ANGABEN ZUR AUTORIN

VORWORT VON LU C . OHM

Vom geträumten Satz zu Anna im All

Alles begann mit einem Traum und einem Satz, der mir nach dem Aufwachen nicht mehr aus dem Kopf ging: »Anna Apokalypse, so nennt mich Bert jetzt«. Da ich in der Nacht zuvor weder einen dystopischen Film gesehen noch von einer Person namens »Anna« geträumt hatte, gab mir dieser Satz Rätsel auf.

Also setzte ich mich an den Schreibtisch und schrieb ihn auf. Wer waren Anna und Bert? Im Anschluss daran schrieb ich einfach weiter. Und es wuchs eine Geschichte. Aus Anna wurde die Heldin meines Romans und aus Bert ein Roboter namens »Beta«.

Was so spontan begann, entwickelte sich schnell zu meinem ersten Science-Fiction-Roman. Anna zog mich plötzlich in ihren Bann. Als der Schreibfluss ins Stocken geriet und ich vor einer entscheidenden Frage stand (die du vielleicht am Ende des ersten Bands erraten kannst), entschied ich mich, den Roman so zu veröffentlichen, wie er mir in den Sinn gekommen war - spontan, schnell und mit einem offenen Ende.

Die Reaktionen einiger Leserinnen und Leser haben mich dazu motiviert, mit demselben Enthusiasmus, aber diesmal mit mehr Sorgfalt und Liebe zum Detail eine Fortsetzung zu schreiben. So entstand der komplexere und längere Roman »Luminarische Krieger«, in dem Anna zum zweiten Mal durchstartet. Auch formal und stilistisch ergaben sich dabei einige Unterschiede: Den ersten Band »Anna Apokalypse« habe ich aufgrund meiner spontanen Herangehensweise in der ersten Person und im Präsens geschrieben.

»Luminarische Krieger« wird erneut zum größten Teil aus der Sicht der Ich-Erzählerin Anna geschildert, ist jedoch im Präteritum verfasst, da mir diese Zeitform andere stilistische Möglichkeiten eröffnet hat. Dieser Tempuswechsel erfordert beim Lesen eine Umstellung, auf die ich dich jetzt schon hinweisen und vorbereiten möchte. Außerdem habe ich im zweiten Band die Währung von »All-Dollar« auf »Jular« umgestellt. Nun wünsche ich dir viel Spaß und eine spannende Zeit mit Anna im All!

Lu C. Ohm

ANNA APOKALYPSEBand 1 vonWelt ohne Erde

TEIL 1 : GEFANGEN AUF ULLTRA

Kapitel 1 – Weltenlos im Gürtel des Gultrân

Anna Apokalypse. So nennt mich Beta. Vielleicht hat er recht, vielleicht ist der Name Programm bei mir, denn überall, wo ich

auftauche, passiert nichts als Chaos. Kein Weltuntergang, denn die ist bekanntlich schon untergegangen. Aber Chaos schon.

Seit drei Tagen bin ich bei meiner neuen Familie. Bis jetzt hat noch keiner viel mit mir geredet. Wann auch? Frühmorgens fahren sie ihre Systeme hoch und rollen zu ihren Arbeitsplätzen. Ich mache dann sauber, obwohl das natürlich auch Troiks machen könnten, aber es gibt mir das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Sie haben mir ein Zimmer unter dem Dach gegeben, besser gesagt: unter der Kuppel.

Ich habe sogar ein richtiges Bett. Dafür bin ich dankbar. Ohne sie würde ich immer noch in Gultrân herumlaufen und nicht wissen, wo ich schlafen soll. Ich würde mir ein Stück Pappe oder Blech zwischen all den anderen Obdachlosen suchen und mir daraus eine Herberge bauen.

Obwohl Sinpo mir immer davon abgeraten hat, zu einer Troik-Familie zu ziehen, so hatte ich gar keine andere Wahl.

JM stand einfach vor mir. Er hat mir den Weg versperrt mit seinem ausladenden Triflonflieger und mir dann per Drohne eine Spritze in den Arm gejagt. Ich weiß nicht, was JM mir injiziert hat, ich weiß nur, dass ich drei Tage lang im Wolkenkuckucksheim war.

Jetzt habe ich es also geschafft: Ich bin weg vom Gultrân, endlich fort aus dieser endlos erscheinenden Straße voller Obdachloser und riesiger Gebäude, in denen die Troiks leben. Ulltra ist eine glitzernde Maschinenstadt, ein Ort ohne Bäume und ohne meine Sprache. Die Troiks verständigen sich über Codes. Nur selten sprechen sie eine der menschlichen Sprachen: um Fragen zu stellen, Befehle zu erteilen und manchmal auch, um sich tatsächlich ein wenig zu unterhalten.

Sie halten sich Menschen, wie wir uns früher Hunde gehalten haben. Nicht, dass sie uns an der Leine führen. Nein, Menschen müssen andere Dinge für sie tun. Es ist sehr merkwürdig. Ich weiß nicht, ob wir ihnen nur zum Vergnügen dienen oder ob sie etwas anderes mit uns vorhaben.

JM, den ich so nenne, weil »JM« auf seiner Metallbrust steht, vermutlich ein Aufkleber aus vergangenen Zeiten, scheint recht nett zu sein. Er hat eine männliche Stimme, wenn er mit mir in meiner Sprache spricht, wie er es schon dreimal getan hat. Und er hat mich höflich gefragt, ob ich »gedenken würde, mitzukommen«.

Wow, habe ich gedacht, so etwas gibt es noch? Hier in Gultrân hätte ich so viel Höflichkeit am wenigsten erwartet. Und dann bin ich mitgekommen. Ich hatte keine andere Wahl.

Die Familie besteht aus vier Troiks: JM, einem weiteren Troik, den ich »Opa« nenne, weil er so alt ist, dass er einen Propeller an der Seite hat, um sein System zu kühlen, und dann sind da noch die kleinen »Kinder-Troiks«, zwei rollende Roboter mit leuchtenden Kulleraugen.

Wie all die anderen Maschinen und Troiks halten sie die Raumstation »Ulltra« am Laufen. Früher, in den Science-Fiction-Filmen meiner alten Welt, gab es ähnliche Roboter, die alle miteinander vernetzt waren. Aber wie das bei den Troiks ist, weiß ich nicht. Ob sie alle zusammen eine Einheit bilden? Ich bezweifle es, denn sie sind zu unterschiedlich.

Sie leben in unterschiedlichen Gesellschaften, die durch den Wohnort, die Höhe der Gebäudelage und die Modernität ihrer Einzelteile bedingt sind.

Auch hier gibt es Intrigen, Hacker, Mord und Totschlag. Doch das sieht weniger dramatisch als in unserer ehemaligen Menschenwelt aus, denn wenn ein Troik stirbt, dann gibt es höchstens einen Knall und dann folgt Stille und Leere, kein Blut. ... Aber unser menschliches Blut fließt. Denn zum Teil lassen sie uns schuften, experimentieren mit und an uns, und manchmal scheinen sie nicht so recht zu wissen, was sie mit uns anfangen sollen. Schließlich haben weder sie noch wir es uns ausgesucht, hier zu landen. Das Ganze war ein Unfall und nur die Schuld des dummen Krieges.

Ich nenne die kleinen Troiks Alpha und Beta, was natürlich nicht sehr originell ist, aber sie reagieren darauf. Und da Beta kürzlich ein Programm für meine Muttersprache heruntergeladen hat, nennt er mich »Anna Apokalypse«. Ich glaube, das war zuerst ein Systemfehler, vielleicht hat Beta nur Vokabeln gespeichert, aber »Apokalypse« folgt doch nicht auf »Anna«, oder?

Tag und Nacht gibt es hier natürlich nicht. Die künstlichen Lichter halten alles hell. Und die Sonne, wenn nicht gerade ein anderer Planet davor steht. Ich habe immer meinen runden Tempus dabei, der mir mit einem Piepton sagt, wann ich ins Dachzimmer gehen soll, um meine acht Stunden Schlaf zu bekommen. Das reicht mir. Nur manchmal schlafe ich auch neun oder zehn Stunden.

Ich vermisse meine Familie!

Mein Vater kämpft irgendwo da draußen gegen die Apsids und meine Mutter und meine Schwester sind bereits auf Opzalon. Sie haben es geschafft, von der Erde zu fliehen. Das habe ich auch, nur bin ich dabei leider nicht auf der anvisierten Raumstation gelandet, sondern im Troik-Chaos. Das habe ich nur dem Krieg der Apsids und der Troiks zu verdanken.

Sie müssen unser Schiff für einen Angreifer gehalten haben und so haben wir uns sowohl von den Apsids als auch von den Troiks diverse Einschläge eingefangen. Roman hat die Landung gerade noch hinbekommen. Ich habe ihm assistiert, bis ich nach hinten geschleudert worden bin. Was aus Roman geworden ist, weiß ich nicht. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass er den Crash überlebt hat. Ich kann es ja immer noch nicht glauben, dass ich überlebt habe!

Wenn ich meiner Schwester Tyra nicht meinen Platz gegeben hätte, dann wäre sie nun in diesem Chaos hier.

Ungefähr vierhundert Menschen haben die Bruchlandung überlebt und wer weiß, wie viele inzwischen schon im Gultrân gestorben sind. Das hätte Tyra nie durchgestanden.

Ich muss hier weg! Ich halte es hier nicht mehr aus. Und wozu habe ich meine lange Ausbildung gemacht? Wozu kann ich die Pursuiter 7 fliegen wie niemand sonst, wenn ich hier doch nicht wegkomme?

Ich habe es meinem Vater beweisen wollen. Er hat zwei Söhne in der Schlacht gegen die verdammten Apsids verloren und ich glaube, ich wollte noch besser als Tom und Stevie sein und alle Apsids mit ihm plattmachen. Natürlich entsprach das auch meinem großen Wunsch nach Rache.

»Die Apsids,« sagt mein Vater immer, »das sind keine Menschen.«

Und als ich hier auf Ulltra zum ersten Mal in Sinpos Bretterbude einen Apsid gesehen habe, da traute ich meinen Augen kaum: Er sah aus wie ein Mensch!

Sinpo, der freundliche Chinese, der alles kochen kann, was man sich nur vorstellen kann, hat es mir erklärt: Sie werden von den Menschen »Apsids« genannt, weil sie »Apsid« nehmen, eine besondere Droge. Und diese trennt sie von den Menschen, sie macht sie zu anderen. Ich fand Sinpos Erklärung interessant.

Einige Nächte lang durfte ich unter seinem Tresen schlafen, doch dann hatte er zu viel Angst vor den Troik-Kontrollen und ich hatte auch keine Lust mehr dazu, ständig die abgewrackten Apsids zu sehen, meine Feinde, die Wesen, die für mich nie Menschen sein werden, weil mein Vater es mir so beigebracht hat. Allein das Wissen, dass ein japanischer Apsidjäger meine Brüder in ihrer Pursuiter 5 abgeschossen hat, genügt mir, um einen gehörigen Hass auf sie zu haben!

Also habe ich mich schließlich vor den Troik-Shuttle-plätzen herumgedrückt und mich immer in der Nähe eines Wasserspenders aufgehalten, die im Gultrân so hart umkämpft sind wie nur irgendwas. Um einen Becher Wasser trinken zu dürfen, muss man drei Stunden schuften. Man muss Shuttleschiffe putzen, den Troiks die Scharniere ölen oder sonstigen Kleinkram erledigen.

Einige arbeiten auch in der Amüsiermeile, die hier »Trivi 3« heißt. Da tanzen sie, verkleiden sich und sogar Troiks haben im Trivi gern mal Menschengestalt. Es ist ein gruseliger Zirkus, in den ich nicht hineingeraten will, weil ich Angst davor habe, da dann nie wieder herauszukommen. Und das geht nicht, ich muss nach Opzalon, koste es, was es wolle!

Die Apsids sind auch hier gestrandet, nachdem ihre Schiffe abgeschossen worden sind. Und so treffen sich im Gultrân und auf seinen Seitenstraßen Apsids und Menschen, Feinde, die hier versuchen, im Nichts mit nichts zu überleben. Hier muss man Fantasie haben, um über die Runden zu kommen. Doch noch bevor mir eine Überlebensstrategie eingefallen ist, hat JM mich schon von der Straße geholt.

JM sieht wie ein klassischer Troik der dritten Generation aus: Im Prinzip ist er gebaut wie ein Mensch, nur dass er noch keine Hauthülle hat. Seine Augen, seine Finger und Füße, alles besteht aus Metall, Drähten, Kabeln und Verknüpfungen, die die letzten Genies unserer Erde doch noch recht gut hinbekommen hatten, bevor die Meteoriten eingeschlagen sind. Wobei ich nicht einmal weiß, ob die Troiks hier ehemals von Menschenhand gebaut worden sind oder ob sie sich selbst gebaut haben.

Ich kann zufrieden sein: Ich habe überlebt, bin endlich vom Gultrân weggekommen und lebe nun in der Oberstadt, das heißt: im dritten Gebäudering über dem Gultrân. Und ich habe es trocken und warm. JM sorgt für Vitaminspritzen und sogar für Mahlzeiten, weil die Troiks des dritten Rings sich nicht lumpen lassen und ihre Menschen gut versorgen. In den anderen unteren Ringen ist das nicht so, das hat Sinpo mir auch erzählt. Da werden Menschen schlimmer als Hunde behandelt und so mancher ist froh, wenn er es schafft, seinem Sklavenhalter zu entkommen und wieder auf dem Gultrân zu landen.

Beta piept und dreht sich. »Anna Apokalypse, aufstehen!«, sagt er jetzt.

Ich sehe ihn an und denke, ich träume noch.

Auf einmal rollt auch Alpha herein und rollt mit seinen roten Augen. Er mustert seinen Metallkollegen.

Anschließend beginnt er, sich zu drehen. Auch Alpha sagt: »Aufstehen, Anna!«

Dass er immer alles nachmachen muss! Es ist wirklich wie im Kindergarten mit ihnen!

»Ja, doch!«, sage ich. Dann strecke ich mich. Dabei stoße ich mal wieder mit den Füßen gegen die Bettkante. JM hat mir ein zu kurzes Bett organisiert. Das zeigt mal wieder, dass auch Troiks nicht perfekt sind!

Ich sehe aus dem Fenster. Etliche Shuttles sausen vorbei. Auf der dritten Ebene ist nie Ruhe, denn hinter der nächsten Straße beginnt das »wilde Viertel«, Trivi 3. Die Zahl lässt erahnen, dass es noch weitere Vergnügungsviertel wie dieses auf Ulltra gibt. Es ist verrückt, dass sogar Troiks sich nach Vergnügen sehnen, dass sie spielen, ins Theater gehen und sich mit und über Menschen amüsieren, als wären wir nur für sie gemacht und nicht umgekehrt.

Also gut, ich stehe auf. Alpha und Beta geben Ruhe. Sie rollen in Opas Zimmer. Ich sehe kurz in den dunklen Raum hinein, der ganz von dem Propeller-Geräusch erfüllt ist. Der alte Roboter rührt sich nicht. Er piept ein wenig und kühlt seinen Motor. Wenn JM ihm keine Ersatzteile besorgt, dann wars das wohl bald mit ihm.

Ich gehe ins Bad. Es besteht aus einer Spiegelwand, einem Waschbecken, einer Toilette und einer Dusche. Alles ist so, wie es sich für Menschen gehört. JM hat sich nicht lumpen lassen. Sogar eine Zahnbürste, Zahnpasta, Shampoo, Seife und eine Bürste sind im Schrank. Ich suche nach einer Schere, finde aber keine. Auch Rasierer oder Rasierklingen gibt es nicht. Vermutlich hat JM Angst davor, dass ich mir etwas antue oder einem der Roboter ein entscheidendes Kabel durchtrenne. Aber weit gefehlt, das würde ich nicht tun! Wozu sollte ich auch die einzigen Maschinen, mit denen ich hier kommunizieren kann, abschalten?

Außerdem kann ich es gar nicht. Ich kenne mich nur mit dem Motor einer Pursuiter 7 aus. Alle Pursuiter-Modelle könnte ich auf Anhieb reparieren, aber bei einem Knilch wie Alpha würde ich bestimmt nicht einmal den An- und Aus-Schalter finden.

»Zähne putzen«, höre ich es vom Flur.

Beta ist so schlau! Ja, ich öffne den Schrank und drücke mir eine fluoreszierende Flüssigkeit auf die Zahnbürste. Während ich mir die Zähne puste, mustere ich mich im Spiegel.

Ich sehe jung aus, jünger als ich bin. Kein Mensch hält mich für zweiundzwanzig. Die meisten denken, dass ich achtzehn Jahre alt bin. Meine braunen Haare hängen wie wild bis zu den Schultern herab. Hätte ich eine Schere, dann würde ich nun versuchen, Ordnung ins Chaos zu bringen. Diese wilde Mähne habe ich von meinem Vater. Sein Vater stammte aus Italien, seine Mutter war eine Spanierin. Von meiner Mutter habe ich die blauen Augen.

Die Tage auf der Straße, besser gesagt: im Gultrân, haben mich verwildern lassen. Es hat gedauert, bis ich wieder wie ein gepflegter Mensch aussah. Und so ganz bin ich mit der Prozedur noch nicht fertig. Ich spucke die sonderbare Zahncreme aus und betrachte mich noch kritischer. Am besten wäre eine Gesichtscreme. Meine Haut sieht trocken und weiß aus.

»Gesichtscreme«, sagt Alpha.

Ich zucke zusammen. Dann blicke ich zum Flur. Das darf doch nicht wahr sein! Ich hab ihn unterschätzt!

Er rollt mit seinen roten Augen. Dieses Ding kann doch tatsächlich meine Gedanken lesen!

»Ja, und? Weißt du, wo ich so etwas bekomme?«, frage ich ihn. Alpha sieht hilfesuchend zu Beta. Doch dieser dreht sich nur um und rollt wieder zu Opa. Beta scheint weniger Interesse an der Pflege meiner Menschenhaut zu haben als Alpha.

Eine halbe Stunde später putze ich die Scheiben. Dabei betrachte ich nicht nur die vorbeisausenden Shuttles, sondern versuche auch immer wieder, auf den Gultrân hinunterzusehen. Da unten ist alles dunkel. Wir sind zu weit oben. Es ist doch verrückt, da bin ich der Gosse entkommen und nun sehne ich mich wieder nach ihr? Ja, vielleicht. Denn jetzt werde ich den Rest meines Lebens mit vier Maschinen verbringen. Beim nächsten Fenster denke ich, dass ich das nicht durchhalten werde und dass es wirklich schlau von JM war, keine Schere, noch nicht einmal eine Nagelschere, im Bad zu haben.

»Ich brauche Gesichtscreme, Tee und eine Nagelfeile«, sage ich zu Beta.

Er antwortet sofort: »Schon bestellt! Ihre Lieferung wird in zehn Troik-Stunden eintreffen.«

»Erst? Was ist das denn für ein lahmer Verein, hier?«, schimpfe ich vor mich hin.

Daraufhin hält Beta mir ungebeten einen Vortrag:

»Aufgrund der Erweiterung des Gultrâns und der Verkehrsregeln des dritten Rings ist keine schnellere Lieferung möglich. Die Menschen-Produkte gibt es nur am Ende des fünften Gultrânrings, in der Nähe der Hauptwasserquelle. Sie werden alle aus der Scheffelstadt hergebracht. Um einen Händler dorthin zu bekommen, muss man ihm viel Trinkgeld zahlen und…«

»Ja, ist ja schon gut! Ich habe dich verstanden!«, sage ich. Dann wringe ich den Lappen aus und wasche ihn aus. Alles ist schwarz. Die Luft hier ist nicht gut. Hat JM noch nie die Fenster putzen lassen? Vermutlich ist es ihm egal. Er rollt nur eine Etage höher oder tiefer und dann kommt er hin und wieder her, um seinen Akku aufzuladen.

Der Strang, der diesen Gebäudekomplex wie eine Wirbelsäule durchzieht, muss auch von einer fleißigen Troik-Horde gebaut worden sein. Er ist die Zapfstelle, die Säule, an der sich alle Troiks aufladen. Ich kann durch das Flurfenster zu diesem riesigen roten Strang blicken, an dem viele Öffnungen wie Augen kleben. Das sind alles Schaltstellen, an die sich die Troiks und bestimmt auch einige Cyborgs andocken. Was passiert eigentlich, wenn man das Ding lahmlegt, frage ich mich. Sind sie doch alle miteinander verbunden?

Als ich den Lappen zurück in den Schrank lege, mustert Alpha mich aufmerksam. Ihm entgeht nichts. Er ist eindeutig der Aufpasser hier. Und er wird auch wissen, was ich soeben gedacht habe! Schnell versuche ich nun, an etwas anderes zu denken, aber wie das so ist bei dem Versuch: »Denken Sie nicht an einen rosa Elefanten!«, es scheitert. Ich denke nun erst recht an den roten Strang! Und ich frage mich, ob ich nicht einen Eimer Wasser darüber schütten sollte.

Aber das Problem fängt viel früher an. Ich sehe an mir herunter. Ich trage zwei Fußfesseln. Zwei Metallschellen, wie sie alle Menschen tragen, die im Dienste eines Troik stehen.

JM weiß, wo ich bin und was ich tue. Und momentan hat er die Fußfesseln so programmiert, dass ich noch nicht einmal diese drei Räume hier verlassen kann.

Ich habe Glück, es gibt noch kleinere Wohnungen und Räume, die nur zum Abstellen eines Troiks und gerade mal zum Hinlegen eines Menschen ausreichen. Einige meiner Leidensgenossen müssen sich unten auf dem Gultrân an einer Wasserstelle waschen und dann über die etlichen Stufen wieder hinaufkommen. Die Fahrstühle sind nur für die Troiks gedacht. Sie klinken sich da ein und werden mitgenommen. Platz für einen Menschen gibt es da nicht.

Da JM mich per Shuttle hergebracht hat, einem kleinen wendigen 24-er Flitzer, der unter dem Wohnzimmerfenster klebt, weiß ich nicht, wie ich hier jemals wieder herauskommen kann.

Gibt es hier überhaupt eine Treppe?

Beta fragt: »Anna Apokalypse, möchtest du Musik hören?«

»Beta, ich heiße nicht ‚Anna Apokalypse‘!«

»Und ich heiße nicht ‚Beta‘.«

»Oh, verstehe. Und wie soll ich dich dann nennen?«

Jetzt rollt auch Alpha herbei. Sie sehen einander an. Beta überlegt ungewöhnlich lange.

Alphas hohe Stimme erklingt: »Du könntest uns Lu und Tyra nennen.«

Ich halte inne. »Nein, auf keinen Fall!«, antworte ich ihm.

»Wer ist das?«, fragt Beta, der wahrlich keine Gedanken lesen kann.

Alpha erklärt ihm: »Lu ist ihre Mutter und Tyra ihre Schwester. Sie sind nach der Apokalypse nach Opzalon geflohen.« »Wenn du schon so viel weißt, weißt du dann auch, ob sie noch leben?«, frage ich Alpha.

Nun hole ich eine ganze Handvoll Haare aus der Bürste und werfe sie in die Klappe an der Wand, die Beta mir vor einigen Tagen als »Mülleimer« präsentiert hat.

Alpha antwortet: »Nein, das weiß ich nicht. Ich habe keine Datenverbindung zu Opzalon. Ich kann mich nur in die erste Station der Apsids einhacken.«

»Ah, immerhin!«, sage ich. Dann gehe ich an den beiden vorbei durch das größere Zimmer und setze mich aufs Sofa. JM hat es auch aus der Scheffelstadt herbringen lassen. Es riecht nicht gut und ich mag mir gar nicht vorstellen, was dieses Sofa schon alles gesehen hat. Ich sollte es nachher auch noch einmal putzen, vielleicht wird es dann besser.

Auf einmal ertönt eine Sirene. Ich zucke zusammen und sehe zum Flur.

Beta sagt: »Das war die Tür.«

Als wäre ich das Dienstmädchen, was ich hier wohl auch bin, springe ich auf und gehe zur gläsernen Eingangstür.

Zum heiligen Opzalon!

Davor steht ein Prôlik, so groß wie ein Schrank. Diese schwarzen Killerwesen setzen sie sonst nur zum Eliminieren an. Ist es schon so weit? Will JM mich töten lassen?

»Und nun?«, frage ich und bleibe stehen.

»Du musst ihm öffnen!«, erklärt mir Beta laut. »Er hat geklingelt!«

Diese Killermaschine hat geklingelt? Das ist doch absurd. Jetzt trippelt das Wesen mit seinen sechs Fingern an der Glaswand. Es dreht seinen Metallkopf und die Kameraaugen fixieren mich. Ein Zucken und schon schießt es aus seiner Stirn oder seinen Fingerkuppen, denke ich.

Schließlich gehe ich mit weichen Knien zur Tür. »Ja, bitte, Sie wünschen?«, denke ich und weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Gleich bin ich tot. Gleich wars das. Das Riesenvieh rollt ein Stück zurück, dann streckt es eins seiner Heuschreckenbeine vor und will hereinkommen. Also gut, ich mache ihm Platz. Der Prôlik stakst an mir vorbei. Er sieht sich um. Sogar Alpha wirkt jetzt verängstigt. Der Prôlik spricht mich an. Er versucht es mit diversen Codes und Sprachen, bis er endlich die richtige gefunden hat. Solche Killermaschinen sind nicht die Hellsten, wenn es ums Kommunizieren geht.

»Bist du nur eine?«, fragt er mich.

»Wie meinst du das? Ja, ich bin allein hier. … Suchst du jemanden?«

Mein Herz schlägt bis zum Hals. Wenn das Vieh nun seine Arme ausfährt, dann kann es mich wie eine Fliege zerquetschen. Um zu den Augen hochsehen zu können, muss ich meinen Kopf heben.

Der Prôlik stapft mit schweren Schritten durch die Wohnung. Er sieht durch meine frisch geputzten Fenster und fragt dann: »Bist du Anna di Maturaz?«

»Ja. Das bin ich.«

»Dann musst du mitkommen!«

»Bitte? Nein, ich kann nicht. Ich muss hierbleiben!

JM hat mich vom Gultrân geholt und ich soll hier für ihn putzen und…«

»Dafür gibt es Troiks! Menschen dürfen nicht im dritten Ring arbeiten. Du musst mitkommen!«

Während ich noch weiter protestieren will, blinken meine Fußschellen auf einmal grün.

»Du wurdest soeben verkauft«, erklärt mir der blecherne Koloss.

Ich sehe hoch und kann das alles nicht glauben. JM hat mich doch gerettet! Ich glaube nicht, dass er mich verkauft hat. Das kann gar nicht sein! Ich blicke hilfesuchend zu meinen beiden kleinen Robotern. Alphas rote Augen drehen durch.

»Oh nein, oh nein!«, ruft er. Der Kleine scheint sich komplett auf meine Emotionen eingeschossen zu haben. Beta ist schlau genug, jetzt lieber nichts zu sagen.

»Wo geht es hin?«, frage ich den Prôlik.

Er streckt einen Arm vor. Ich hatte es geahnt!

Ich sehe nur einen langen Finger herausfahren, dann spüre ich einen Pieks in meinem rechten Arm. Er betäubt mich. Das wars dann wohl. Jetzt ists aus!

Ich bekomme nur noch mit, wie ich auf eine Fläche sinke, die Alpha oder Beta mir hingeschoben haben. Ich werde abgeräumt, wie Müll fortgeschoben, denke ich noch. Und weg bin ich.

Kapitel 2 – Bei Randa

Mein Kopf dröhnt. Langsam öffne ich die Augen. Ich lebe noch. Aber wie lange noch? Was haben sie mit mir vor? Ich liege auf einer harten Trage und sehe in einen Himmel voller Drähte und kleiner Lampen. Jetzt blinzle ich, dann schaue ich vorsichtig nach links und rechts. Wie ich es vermutet habe: an allen vier Seiten steht ein Prôlik. Es kommt mir so vor, als sollte ich gleich einer Monstermaschine zum Fraß vorgeworfen werden. Ich erkenne die Stimme meines Besuchers, des größten Prôliks, der nun direkt vor mir steht.

»Steh auf«, sagt er. Ich gehorche. Was bleibt mir anderes übrig? Der Raum, in dem ich mich befinde, ist viel größer, als ich dachte.

Jetzt sehe ich weitere Liegen. Es scheint eine Art Krankenhaus zu sein, in dem Troiks arbeiten. Diese und die Patienten, die wohl eher Gefangene sind, werden von vielen Wächtern, Troiks und Prôliks bewacht. Ich scheine eine wichtige Gefangene zu sein, denn meine Wächter sind hier eindeutig die größten und furcht-erregendsten. Als ob ich mich gegen sie wehren könnte! Ich bin nur in einer Pursuiter 7 eine Bedrohung.

Auf den anderen Liegen sehe ich andere Wesen, kleine Troiks, unfertige Roboter und Cyborgs. Keines dieser Wesen bewegt sich.

»Wo bin ich?«, frage ich schließlich und schaue zu dem riesigen Prôlik auf, der mir befohlen hat, aufzustehen. Statt zu antworten, packt er mich am rechten Arm und sagt: »Randa wartet.«

»Wer ist Randa?«, will ich wissen, aber mein riesiger Wächter schweigt und zieht mich mit sich.

»Ist schon gut, ich komme«, sage ich und reiße mich los. Er reagiert nicht, sondern geht weiter, was mir recht ist. Wir verlassen die gruselige Krankenhaushalle und kommen in einen dunklen, schlauchartigen Gang, in dem wieder einige Wachen stehen. Es sind andere Prôliks, wahrscheinlich ganz neue, denn ich habe solche noch nie gesehen. Sie haben vier Kameraaugen an allen Seiten ihres Kopfes, vier Arme und gerade eingeklappte Heuschreckenbeine.

Bei näherem Hinsehen erkenne ich, dass die zusätzlichen Arme Waffen sind, denn sie enden in röhrenförmigen Öffnungen und haben keine Finger.

»Was zum Kuckuck bewachen die hier?«, frage ich mich. Jetzt geht es weiter.

Mein großer Aufpasser geht rechts von mir, zwei weitere folgen uns. Als ob ich hier weglaufen könnte! Bringen sie mich jetzt zu meinem Henker? Was habe ich denn verbrochen? Ich habe mich nur von einem Troik von der Gosse, dem Gultrân, wegholen lassen. Das ist doch kein Verbrechen, oder?

Am Ende des langen Flurs öffnet sich eine große Schiebetür. Nun kann ich kaum glauben, was ich sehe: Vor mir liegt ein Saal, der mich augenblicklich an ein Theater erinnert. Zahlreiche Stuhlreihen liegen in einer muschelförmigen Halle und scheinen auf Besucher zu warten. Mein Blick wandert nach rechts zur Bühne. Der rote Vorhang ist noch geschlossen. Sind wir hier in der Amüsiermeile? Beginnt hier schon das Trivi 3?

Ich habe keine Zeit dazu, Fragen zu stellen, sondern muss mit meinem sonderbaren Tross weiterziehen. Jetzt geht es zur Bühne hinunter. Bevor wir unten ankommen, öffnet sich der Vorhang. Auf der Bühne ist nichts zu sehen, nicht einmal ein hinterer Vorhang, nur gähnende Leere. Wir steigen die Stufen hinauf. Auf einmal bleiben alle Prôliks stehen. Sie stellen mich in der Mitte der Bühne ab und sehen mich an, als sollte ich ihnen nun einen Tanz vorführen. Ich frage lieber nichts. Und das scheint sich auch richtig so zu sein, denn schon drehen sie sich wieder um und gehen denselben Weg zurück, den sie gekommen sind.

Zum heiligen Opzalon! Jetzt stehe ich hier wie bestellt und nicht abgeholt! Schon sehe ich mich nach einer Tür um, nach einer Fluchtmöglichkeit. Vielleicht kann ich durch die Kulissen dort hinten das Theater verlassen?

Plötzlich höre ich ein Surren, das von oben kommt. Sofort denke ich an eine Drohne, doch ich erkenne ein Wesen, das auf einer Schaukel sitzt. Zwei Füße mit Metallsohlen. Irgendjemand lässt einen Cyborg zu mir herunter. Vielleicht soll nun ein absurdes Theaterstück ohne Zuschauer beginnen?

Schließlich sind wir auf Augenhöhe. Opzalon sei Dank, es ist eine Frauengestalt, die mich anlächelt! Das Mischwesen hat den Körper einer atemberaubend schönen, dunkelhaarigen Frau. Da über der Brust, dem Bauch und dem Rücken diese typische silberne Abdeckung zu sehen ist, gehe ich davon aus, dass es sich um einen entkernten Menschen handelt, der aus einem Troik und einer KI besteht.

»Ich bin Randa«, sagt sie.

»Bin ich im Trivi?«, frage ich sie. »Soll ich hier auftreten?«

»Nein, noch nicht«, antwortet Randa mir.

Sie schreitet einmal um mich herum. Dabei neigt sie ihren Kopf und begutachtet mich von oben bis unten, als wollte sie sich jedes Detail einprägen. Sie scheint zufrieden zu sein mit dem, was sie sieht, denn sie lächelt. Endlich bleibt sie wieder vor mir stehen.

»Du bist noch ganz«, stellt sie fest. »Und noch jung und fruchtbar. Hast du Kinder geboren?«

Die Formulierung finde ich sonderbar. Ich verneine.

Sie sagt: »Ich nehme dich mit. Ich finde, du bist noch zu schade für eine Trivi-Bühne. Hab keine Angst! Es passiert dir nichts.«

Von oben fährt ein zweiter Sitz herunter. Wie ich es befürchtet habe, soll ich mich in diesen Metallsitz hineinsetzen. Nachdem ich mich widerwillig gesetzt habe, schließt sich automatisch ein Gurt und ein Riegel fährt vor. Dann werde ich plötzlich so schnell nach oben gezogen, dass mir schlecht wird. Ich schließe meine Augen und kralle mich an dem Bügel fest, der mich noch im Sitz hält. Eine Achterbahnfahrt ist nichts dagegen!

Die ganze Zeit über versuche ich mir einzureden, dass mir schon nichts Schlimmes passieren wird, doch mein inneres Alarmsystem läuft auf Hochtouren. Denn ich weiß, dass Cyborgs gefährlicher sein können als alle Troiks und Prôliks zusammen. Das hat Sinpo auch gesagt.

»Cyborgs sind unberechenbar. Groûndsol ist ein Cyborg«, hat er behauptet.

Daraufhin hat Matt ihm geantwortet: »Niemand weiß, welche Gestalt Groûndsol hat.«

Wenig später wird es so hell um mich herum, dass ich meine Augen wieder öffne. Sofort sehe ich mich um. In diesem Raum ist keine höhere Macht zu sehen. Vermutlich ist auch Randa nur eine Marionette von Groûndsol. Denn irgendjemand muss hier doch den Ton angeben. Es wäre nur logisch. Jede Maschine hat ein Herzstück. Warum sollte es auf dieser Raumstation anders sein?

Ich bin in Randas Reich. Goldgelbe Wände umgeben einen runden Raum. Dies ist definitiv der schönste und größte Raum, den ich seit meiner Ankunft auf Ulltra gesehen habe. Aber er wird winzig sein im Gegensatz zu all den Räumen in den Etagen über uns.

Jetzt hilft sie mir aus dem Sitz. Ich danke ihr dafür, dass sie den Riegel hochschiebt. Dabei frage ich mich, ob ich überhaupt so nett zu ihr sein sollte. Dann rutsche ich aus dem Sitz und lande auf einem glatten Fußboden. Es riecht wie frisch geputzt. Der Boden schimmert in unterschiedlichen Wasserfarben. Einen Moment lang gibt mir diese optische Illusion das Gefühl, auf Wellen zu stehen.

Da mich niemand angreift und Randa immer noch lächelt, hoffe ich auf einmal, dass ich nun in ein neues, noch schöneres Zuhause gekommen bin. Obwohl es mir für den freundlichen Troik JM leidtut, so freue ich mich über die Aussicht, hier noch mehr Auslauf zu haben und vielleicht sogar noch besser behandelt zu werden.

Randa sieht aus wie ein Mensch. Wenn das silberne Gewand am Torso nicht wäre, das unter Garantie Drähte und Maschinenteile hinter sich verbirgt, dann hätte ich sie am liebsten umarmt und sie darum gebeten, sofort mit mir nach Opzalon zu fliehen.

»Bitte, nimm Platz!«, sagt sie.

Irritiert sehe ich mich um. Erst jetzt entdecke ich die beiden großen Sessel hinter mir. Dann setze ich mich und warte, bis auch Randa Platz genommen hat.

»Ich möchte dir jemanden vorstellen«, sagt sie.

Erneut mustert sie mich. »Aber vorher musst du noch schöner werden.«

»Bitte?«

»Deine Haare, die Nägel, deine Haut. All das werde ich gleich bearbeiten lassen.«

»Bearbeiten?«, frage ich nach.

Es ist egal, was ich sage, denn dieser Super-Cyborg hat das bereits entschieden und Widerworte sind vermutlich zwecklos. Ich kann nur von Glück sagen, dass ich nicht nackt auf der Bühne herumtanzen musste oder auf eine andere Art und Weise zur Belustigung der Troiks beitragen soll.

Jetzt frage ich sie: »Was wird aus JM? Durfte er mich nicht zu sich holen?«

»JM? Du meinst diesen dummen Troik, der dich aus dem Gultrân geholt hat?«

Ich nicke. Sie überlegt einen Moment zu lang für eine KI. Dann erklärt sie mir: »Er arbeitet für mich.«

Die perfekten schönen grünen Augen lügen. Anders kann es nicht sein. Ich sage nichts und denke über JM nach. Er hat auf mich ganz und gar nicht wie ein Troik gewirkt, der für einen Cyborg arbeitet. Er hat seine Entscheidungen ganz allein gefällt. JM untersteht niemandem, im Gegenteil: Ihm unterstanden der alte Roboter und die beiden kleinen. Und sollte er überhaupt jemandem unterstehen, dann höchstens diesem gewissen »Groûndsol«, den ich auch eher für ein Hirngespinst von Sinpo und den anderen im Gultrân halte.

Nun drückt Randa auf einen Knopf. Zwei elfenartige Wesen wehen herein. Es dauert einen Moment, bis ich erkenne, dass ihre hauchdünnen Beine auf rollbaren Motoren sitzen. Sie wirken, als ob sie schweben würden, weil an ihren Oberkörpern zarte Kleider hängen, die beim geringsten Lufthauch wehen wie Schmetterlingsflügel.

»Traz und Lizu bringen dich jetzt in den Wellnessbereich«, kündigt Randa mir an.

Daraufhin sehe ich sie erstaunt an.

Sie erwidert meinen Blick und fragt nach: »Ja, nennt man das nicht so? Wellnessbereich«, wiederholt sie und wirkt zum ersten Mal ein wenig verunsichert. Ihre innere Datenbank scheint zu rotieren.

»Doch, so nennt man es«, antworte ich, obwohl ich gar nicht weiß, was für ein Raum mich jetzt erwartet und was Randa sich unter einer Schönheitsbehandlung vorstellt. Ich stehe auf und folge Traz und Lizu durch den zigten Flur des Tages in ein weiteres Zimmer. Dabei frage ich mich, wozu diese Randa bloß so ein Theater veranstaltet und wem ich denn gefallen soll.

Ich fühle mich wie eine Königin. Sie haben mich gebadet. Traz und Lizu haben auch meine Beine rasiert, meine Augenbrauen gezupft und meine Wimpern gefärbt. Sie haben meine Haare geschnitten und mir eine richtige Frisur verpasst. Ich erkenne mich kaum wieder. So schön habe ich wohl noch nie ausgesehen. War ich heute Morgen beim Fensterputzen noch JM dankbar gewesen, so muss ich nun dem Super-Cyborg Randa danken. Aber was sie mit mir vorhat, das weiß ich immer noch nicht. Aus Traz und Lizu ist auch nichts herauszubekommen.

Nach der ganzen Wellness-Prozedur betrete ich wieder Randas goldenen Kuppelraum. Ich setze mich auf meinen Thron. So fühlt es sich zumindest an.

Randa kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.

»Wie schön du aussiehst! Und das Kleid steht dir hervorragend!«, lobt sie.

Ich sehe an dem silbernen Stoff herunter und denke: Es könnte schlimmer sein! Ich trage nie Kleider, aber wenn es einen Cyborg milde stimmt, dann mache ich das gern. Mit Sorge sehe ich, dass der große Prôlik, der mich seit heute Morgen begleitet, wieder mit im Raum steht.

Randa deutet nach oben. »Hier sind überall Kameras. Ich werde jetzt nach nebenan gehen.« Sie lächelt. »Ich denke, es ist besser so.«

Dann lässt sie auf Knopfdruck weitere Möbel aus dem Boden hochfahren: einen gedeckten Tisch, Stühle, ein Sofa und ein großes Bett. Jetzt erscheinen auch Gemälde an den Wänden und viele Fenster, die einen Blick auf eine wunderschöne Dünenlandschaft bieten. Nun ist es an mir zu staunen. Randa hat zwar mit dem Kleid und den Möbeln nicht meinen Geschmack getroffen, weil alles eine Spur zu pompös für mich ist, aber die Landschaft da draußen entschädigt mich für einiges. Ich kann sogar das Meer am Horizont sehen. Andächtig bleibe ich vor einem der Fenster stehen. Dabei höre ich ein Surren und ahne, dass sie nun mitsamt Gefolge verschwunden ist.

Als ich mich umdrehe, um nachzusehen, ob Mister Riesen-Prôlik auch fort ist, steht ein junger Mann dort, wo eben noch mein Aufpasser gestanden hat.

Er sieht mich genauso verwundert an, wie ich ihn. Er ist ein Mensch. Und er kommt auf mich zu. Nervös bleibe ich vor meinem virtuellen Fenster stehen. Am liebsten würde ich ihm nun sagen, dass ich keine Märchenprinzessin bin und dass das alles nur eine sonderbare Inszenierung eines Cyborgs namens »Randa« ist, da verbeugt er sich und spricht Japanisch mit mir. Natürlich verstehe ich kein Wort. Bis auf »Konnichiwa« kann ich auch nichts sagen.

Also verbeuge ich mich, sage »Konnichiwa« und zucke dann mit den Schultern. »Ich kann kein Japanisch«, ergänze ich. Jetzt steht er direkt vor mir. Er hat schöne braune Augen und ein charmantes Lächeln. Seine schwarzen Haare hängen an den Seiten bis kurz vor die Ohren herab. Er trägt einen Seitenscheitel. Vermutlich wurde auch er für unsere Begegnung einer Schönheitskur unterzogen. Ohne den glatten Seiten-scheitel würde ich ihn noch hübscher finden. Wer steht schon auf brave Jungs? Dennoch finde ich ihn attraktiv, sehr sogar.

Nun betrachte ich seine dunkle Lederkluft. Auf seiner rechten Brust sehe ich drei silberne Sterne und in der Mitte ein geschwungenes A. Dieses Abzeichen kenne ich. Er ist ein Pursuiter-Pilot. Und nicht nur das: Er ist ein Feind. Diese Kluft lässt keinen Zweifel zu: Er ist ein Apsid!

Da hat die schöne Randa aber einen Fehler gemacht! Zwischen diesem schönen Japaner und mir, da wird sich nie etwas entwickeln.

Was auch immer sie sich vorgestellt oder erhofft hat, es ist jetzt schon zum Scheitern verurteilt!

Er lächelt. »Du sprichst kein Japanisch«, sagt er.

»Nein«, antworte ich. Dabei stelle ich natürlich fest, dass er akzentfrei meine Sprache spricht. Soll ich mich darüber freuen? Mit so jemandem habe ich nichts zu besprechen! So ein Kerl hat meine Brüder getötet. Vielleicht war er es sogar, der damals die Pursuiter 5 abgeschossen hat. Aber vermutlich ist er zu jung dafür. Ich schätze ihn auf Mitte zwanzig.

Er verbeugt sich. »Schön, dich kennenzulernen. Ich bin Takeru. Wie ist dein Name?«

»Anna.«

»Hallo, Anna. Von welchem Schiff kommst du?«

Ich deute zum gedeckten Tisch hinter ihm.

»Wollen wir uns nicht setzen und etwas essen? Ich habe unglaublichen Hunger.«

Er ist damit einverstanden.

In dem Moment, als wir am gedeckten Tisch Platz nehmen, gehen sämtliche Kerzen der Leuchter an.

»Romantisch«, sagt er.

»Darauf kann ich verzichten«, murmle ich.

Anschließend lade ich mir den Teller voll. Randa hat unglaublich viel aufgefahren. Das muss sie alles aus der Scheffelstadt geholt haben. Zum ersten Mal denke ich, dass wir uns mindestens im vierten, wenn nicht sogar im fünften Gebäudering über dem Gultrân befinden müssen, denn die reichen Cyborgs wohnen weiter oben.

Ich esse Pasteten mit Genfleisch, Karotten, Mais und sogar Brot. Es ist ein Fest! Takeru isst kein Fleisch, aber viel Gemüse. Er schenkt uns Traubensaft ein. Während des Essens sagen wir kaum etwas. Immer wieder mustert er mich von der Seite. Obwohl ich weiß, dass ich heute eine komplette Schönheitsbehandlung hinter mir habe und wie ein gepflegter Mensch, - besser gesagt: wie eine gepflegte Frau - aussehe, so ist es mir unangenehm, dass er mich immer wieder so anstarrt.

»Was ist denn?«, frage ich ihn schließlich. »Hast du noch nie einen Menschen gesehen?«

Er lacht. »Doch, aber noch keinen, der so schnell essen kann wie du!«

Takeru öffnet eine Tasche seiner Lederjacke, greift hinein und holt eine Pillendose heraus. Er nimmt zwei Tabletten und spült sie mit etwas Traubensaft hinunter.

»Apsid, nehme ich an?«, frage ich.

»Richtig. Möchtest du auch?«

»Himmel, nein! Ich bin ein Mensch und kein Apsid!«

»Apsids sind auch Menschen. Glaub mir, es würde dir besser gehen, wenn du es nimmst! Du hast dann das Gefühl, wieder in deiner Heimat zu sein.«

Er sieht sich um und seufzt. »Dann ist alles um dich herum so wie früher. … Na ja, zumindest ein bisschen.«

Jetzt isst er einen kleinen Kuchen.

»Ich werde das Zeug niemals nehmen«, erkläre ich.

Dann frage ich ihn leise: »Weißt du überhaupt, was wir hier sollen?«

Er nickt. »Hat sie dir das nicht gesagt?«

»Nein, nicht so richtig. Ich weiß nur, dass sie wollte, dass ich dich hier treffe, mehr nicht.«

»Oh, na, dann…« Er sieht auf seinen Teller.

»Was soll das heißen: Na dann …? Worauf läuft das hier hinaus?«

Ich stehe auf. Anschließend sehe ich vom gedeckten Tisch zum Bett. »Sollen wir hier etwa ein perfektes Ehepaar spielen, oder was?« Ich werfe die Serviette auf den Tisch. »Nicht mit mir!«

Kaum habe ich den schimmernden Bereich der Tafel verlassen, sehe ich wieder die Aufpasser an den Wänden stehen. Es sind vier Prôliks, wie zu Beginn. Und die Kameras laufen jetzt sicherlich auf Hochtouren. Irgendwo amüsiert sich Randa über ihr lustiges Puppentheater.

Ich sage zur Decke gerichtet: »Nicht mit mir! Er ist ein Apsid, Randa!«

»Nicht so laut!«, sagt Takeru.

Er beißt erneut in seinen Kuchen. Dann kaut und schluckt er. Anschließend fragt er mich: »Magst du keine Japaner?«

»Bitte?« Ich drehe mich zu ihm um.

»Doch, natürlich! Das hat damit gar nichts zu tun! Aber du kleidest dich wie ein Apsid, du nimmst Apsid und du bist vermutlich eine Pursuiter geflogen und hast uns angegriffen.«

»Ja, ja und nochmal ja. Das stimmt alles. Aber ich habe den Krieg nicht begonnen, weißt du?

Da musst du dich schon bei denjenigen beschweren, die damit angefangen haben.«

»Meine Brüder sind von einer japanischen Pursuiter abgeschossen worden«, erkläre ich ihm wütend.

»Das tut mir leid. Aber das heißt nicht, dass ich das war. Japanische Pursuiter sind die besten Maschinen, das weiß jeder, der sich mal damit beschäftigt hat.«

Jetzt gehe ich zurück zum Tisch. »Nein, die neue Pursuiter 7 ist besser«, wende ich ein.

Er nickt. »Richtig. Und die wurde auch von einem Japaner konstruiert.«

»Quatsch!«, sage ich. Ich weiß gar nicht, wohin mit meiner Wut, weil er so ruhig bleibt. »Woher willst du das wissen?«, frage ich ihn dann.

Takeru schluckt seinen Bissen herunter, tupft seinen Mund mit der Serviette ab und sieht mich amüsiert an.

»Nun, ganz einfach: Mein Vater hat sie entworfen.«

»Dein…?« Ich verstumme.

»Nun setz dich!«, weist er mich an.

»Setz dich lieber!«, ergänzt er besorgt.

Ich setze mich.

Auf einmal beugt er sich vor und flüstert mir zu:

»Hör auf, dich aufzulehnen! Das führt zu nichts!«

In diesem Moment sieht er mich so warnend an, dass ich begreife, er meint es ernst. Ich soll also das Spiel mitspielen.

Leise frage ich ihn: »Was passiert sonst? Was meinst du?«

»Ich habe schon einige hier rausgehen sehen. Und glaub mir: Sie sind nicht im Gultrân gelandet!«

»Verstehe.«

Nun bekomme ich es doch mit der Angst zu tun. Wenn ich Randas Spiel nicht mitspiele, dann lande ich vielleicht als ein Ersatzteillager auf der Krankenstation, denke ich.

Also lächle ich gekünstelt und erkläre: »Ach, du hast recht, lass es uns vergessen!«

Ich erhebe mein Glas. »Lass uns noch mal von vorn anfangen! Konnichiwa, ich heiße Anna!«

Besorgt sehe ich zu den Kameras an den Wänden und zu den Prôliks. Mein neuer Leidensgenosse lächelt. Er stößt mit mir an. »Takeru ist mein Name.«

Kapitel 3 – La Traviata

Was ich für Traubensaft gehalten hatte, muss doch etwas anderes gewesen sein. Oder das Getränk hat etwas enthalten, das mich komplett aus der Bahn geworfen hat. Ich liege in dem riesigen Bett und sehe mit Entsetzen, dass Takeru neben mir liegt. Er trägt nur noch ein weißes T-Shirt. Was er sonst noch anhat, weiß ich nicht, weil er wie ich unter der Decke liegt. Zum Glück scheint er zu schlafen. Ich hebe die Decke an und sehe an mir herunter. Ach du Schreck! Ich trage nur noch meine Wäsche! Was wird das hier?

Das silberne Kleid liegt links über der Stuhllehne. Als ich aufstehen will, um mich anzuziehen, schnappt Takerus Hand zu und hält mich fest. »Das ist keine gute Idee«, sagt er.

»Was soll das?«, frage ich ihn. »Lass mich los!«

Er lässt meine Hand los.

Dann flüstere ich ihm zu: »Will Randa etwa, dass wir miteinander schlafen?«

Takeru nickt.

»Oder willst du das?«, frage ich misstrauisch nach.

Daraufhin lacht er einmal auf. »Ja, sicher«, meint er dann, als hätte ich einen guten Scherz gemacht.

Zum ersten Mal dämmert es mir, dass er mich vielleicht auch gar nicht mag und dass er nur so tut, um nicht als Ersatzteillager neben den kaputten Troiks und Cyborgs zu landen.

Er sieht mich an und erklärt mir ernst: »Am besten ist, du bleibst so liegen. Und noch besser wäre es, wir tun jetzt so, als würden wir miteinander schlafen. Dann hast du erstmal eine Weile deine Ruhe.«

»Du spinnst! Das tue ich auf gar keinen Fall!«,

erwidere ich. Ich sehe ihn an. Er lächelt.

»Wie lang machst du das schon? Wie viele Frauen hast du hier schon getroffen?«, will ich wissen.

Er antwortet mir mit einer Gegenfrage: »Wie lange ist es her, dass mein Schiff abgeschossen worden ist?«

»Das weiß ich doch nicht!«

»Eben. Ich weiß es auch nicht. Randa hat mir irgendein Zeug verabreicht und…«

»Aber du wirst doch wohl noch wissen, mit wie vielen Frauen du in diesem Bett geschlafen hast?!«

Jetzt scheint er sich einen Spaß daraus zu machen, ganz so, als wäre ich eine eifersüchtige Ehefrau.

»Ich denke, ich bin kein Mensch? Du hasst doch die Apsids. Also: Was geht dich das an? Ich spiele das Spiel hier nur mit, bis Weltwin kommt.«

»Wer oder was ist Weltwin?«

»Mein Troik.«

»Du hast einen eigenen Troik?«, frag ich ihn verwirrt.

»Ja. Ich habe ihn schon lange. Er stammt nicht von Ulltra.«

»So? Und woher stammt er dann…?«

Jetzt ertönt Randas Stimme: »Takeru, du weißt, was zu tun ist«, sagt sie. »Küss sie! Und dann tu das, wozu ich dich hergeholt habe.«

»Ja, Moment! So einfach geht das nicht. Das habe ich dir doch schon einmal erklärt!«, sagt er an die Decke gerichtet. »Ich brauche etwas mehr Dunkelheit, mehr Gemütlichkeit und Musik.«

Während es dunkler wird, flüstert er mir zu: »Sie will Kinder haben, stell dir vor!«

Ich schüttle den Kopf. »Wie naiv bist du eigentlich? Sie will keine Kinder haben, sie braucht Menschen als Ersatzteillager für andere Cyborgs. Oder für sich selbst.«

Bei dem Gedanken daran bekomme ich eine Gänsehaut.

»Aber ich werde ihr kein Kind schenken!«, verkünde ich dann. »Und dir auch nicht!«, ergänze ich.

»Schon klar!«

Jetzt setzt klassische Musik ein. Ist das etwa eine Oper?

Takeru lächelt. »Verdi!«, flüstert er andächtig.

Ich sehe ihn irritiert an. Er erklärt: »La Traviata, hörst du nicht? Gleich singt Violetta.«

»Ist das gut so?«, fragt Randa von oben.

Takeru nickt. Danach sieht er mich so intensiv an, dass ich befürchte, Verdis Musik bewirkt so einiges bei ihm. Will er sich nun etwa auf mich stürzen?

Dabei wirkt er auf mich nicht gerade wie jemand, der nach einem Abendessen und auf Befehl immerhin zur eigenen Wunschmusik über eine junge Frau herfällt. Aber wer weiß, wozu Apsids wie er in der Lage sind, wenn sie nur lange genug im Appartement eines Cyborgs gefangen sind?

Jetzt erklärt Takeru Randa: »Ich kenne sie noch nicht. Sie ist schüchtern. Und ich brauche ein bisschen mehr Stimmung und mehr Privatsphäre!«

Spontan zieht er die Decke über uns beide. Ich will die Decke sofort wieder beiseiteschieben, weil ich befürchte, dass er sich nun auf mich legen wird, doch er beugt sich nur seitlich über mich. Dann spricht er so schnell in mein Ohr, dass ich ganz vergesse, ihn abzuwehren: »Hör zu: Der große Prôlik hat den Raum verlassen. Wenn ich ‚Jetzt‘ sage, dann schnappst du dir dein Kleid und wir rennen durch die Tür in den Flur. Gleich rechts musst du dann in den Lüftungsschacht springen.«

»Okay. Und woran erkenne ich den?«

»Das ist eine Klappe rechts an der Wand. Sie ist nur einen knappen Meter hoch.«

»Aber wir haben keine Waffe«, flüstere ich. Mein Herz rast, während ich Takerus Augen über mir erahne.

»Ich kann Rôtma«, meint er, als würde allein diese Kampftechnik uns hier herausbringen.

»Bereit?«, fragt er. »Bist du bereit, Anna?«

»Ja.«

Dann sagt er: »Jetzt!«

Takeru schlägt die Decke zurück und wir verlassen das Bett im Dunkeln. Ich taste nach meinem Kleid, schnappe es mir und laufe in Richtung Tür. Ich habe mir den Weg dorthin gut eingeprägt. In Windeseile ist Takeru neben mir. Er findet die Tür schneller als ich und hält sie mir auf. Im Flur sind mehr Deckenleuchten an. Zum Glück ist hier kein einziger Prôlik zu sehen. Verdis Oper ist nun so laut, dass man uns nicht hören kann. Ich renne wie von Sinnen in den Flur. Dann bücke ich mich und krieche auf allen Vieren, bis ich die Klappe sehe, die Takeru gemeint hat. Als ich mich umsehe, höre ich die stampfenden Schritte eines Prôliks. Verdammt! Jetzt haben sie ihn gleich!

Takeru springt hoch. Ich traue meinen Augen kaum. Im Nu sitzt er dem großen Prôlik auf den Schultern. Er dreht an seinem Hals, dann zieht er etwas aus der rechten Kopfseite, was wie ein Kabel aussieht. In diesem Moment surrt das Biest. Es gerät aus dem Gleichgewicht und fällt mit einem Knall hin. Takeru rutscht zu mir. Er stößt mich in den Schacht hinein.

»Los! Worauf wartest du?«

Ich kann ihm nicht antworten, denn jetzt rutschen wir gemeinsam durch den Schacht. Hinter der nächsten Biegung geht’s steil bergab. Ich komme mir vor wie in einer riesigen Wasserrutsche, nur dass es hier natürlich kein Wasser gibt. Uns umgibt der Stoff meines silbernen Kleids, auf dem wir nun wie in einem Nest sitzen. Zum Glück, denn die Kanten dieses Schachts sind scharf. So geht es immer weiter durch eine Biegung rechts, eine links und noch einmal etliche Etagen tiefer. Jetzt wird es dunkel. Verdi bleibt oben und verhallt hier ganz. Wir halten uns aneinander und an dem Stoff fest. Der Schacht wird noch enger. Das Kleid reißt auf. Es bleibt an einem Vorsprung hängen. Sofort lasse ich es los. Ich rufe: »Loslassen, Takeru! Lass das Kleid los, sonst stecken wir fest!« Er tut es. Doch nun hält er sich noch stärker an mir fest und auf einmal spüre ich die Kanten des Schachts. Takeru umarmt mich mit seiner Lederkluft, um meine blanke Haut zu schützen, doch es ist zu spät, ich habe mir bereits etliche Schürfwunden zugezogen.

Ich befürchte, dass wir gleich gegen eine Wand prallen. Doch plötzlich gibt es ein laut ratschendes Geräusch und wir sausen in ein großes Netz. Darin bleibe ich einen Moment lang wie betäubt liegen. Ich würge, weil ich denke, dass ich mich übergeben muss.

»Wir sind über dem Gultrân!«, sagt Takeru erfreut. Er sieht hinunter. »Wir haben‘s geschafft!«

Auch ich blicke hinunter. Die Straße ist noch mindestens zwei Stockwerke weit unter uns. In unserem Netz hängen Ersatzteile von Robotern, Rohre und Müll.

»Hast du eine Haarspange?«, fragt Takeru mich.

»Nein.«

»Wir brauchen etwas Scharfes.«

»Ach was, das sehe ich auch!«, sage ich. Dann fasse ich sein silbernes Abzeichen an.

»Niemals!«, meint Takeru.

Er muss sich seine lederne Uniform in Windeseile angezogen haben. Die Jacke ist noch geöffnet. Ich kann ihn verstehen. Auch ich hätte mein Pilotenabzeichen nie im Leben hergegeben, wenn es mir nicht direkt nach meinem Absturz gestohlen worden wäre.

»Du kannst es doch wieder anbringen. Wir haben nichts anderes. Nun mach das ab!«, sage ich ihm.

Erneut greife ich danach. Jetzt bin ich schneller als er. Während er sagt: »Du blutest an den Armen!«, reiße ich ihm das silberne A von der Brust. In dem Moment, als ich damit versuchen will, das Netz zu zerschneiden, knallt ein riesiges Ungetüm von oben auf uns herunter. Das Netz reißt und wir stürzen in die Tiefe. »Der Prôlik!«, denke ich noch und dann sehe ich einen Moment lang gar nichts mehr.

Nachdem wir im wohl dreckigsten Viertel des Gultrâns gelandet sind, stehen wir mühsam auf. Takeru will sein T-Shirt zerreißen, um meine Wunden zu versorgen, doch ich stoße ihn zurück. »Danke, das kann ich schon allein!«, sage ich. »So und womit?«

Er hat recht. Ich trage nur einen BH, ein Höschen und ein dünnes Hemd. Mein Festkleid hängt noch dem Prôlik um den Hals, der wie ein Haufen Blech unter dem Müll und dem gerissenen Netz liegt. Zum Glück ist er außer Gefecht gesetzt. Immerhin trage ich noch meine silbernen Schuhe, was hier allerdings mehr als unpassend wirkt. Ich bin Randa nur dankbar dafür, dass sie mir aus welchem Grund auch immer flache Schuhe verpasst hat.

»Sieht so aus, als hätte Randa ihn entsorgt«, stellt Takeru mit Blick auf den Prôlik fest.

»Nichts wie weg hier!«, sage ich.

Jetzt setzt eine Sirene ein. Ich sehe Takeru an und weiß, dass uns beiden klar ist, dass Randa keine Ruhe geben wird. Sie wird vermutlich auch Drohnen einsetzen. In einigen Minuten werden sämtliche ihrer Prôliks hier unten sein, je nachdem, wie schnell der Lift ist.

»Ich gehe in die Richtung!«, sage ich, weil ich am Ende der Straße den schiefen Turm erkenne, der nicht weit von Sinpos Bretterbude entfernt ist.

»Gut.« Takeru will mich begleiten. Jetzt gehe ich nicht mehr, sondern beginne zu laufen. Er hält Schritt. Während wir immer schneller werden und auf einmal die Shuttles über unsere Köpfe hinwegsausen, rufe ich ihm zu:

»Verschwinde!«

Doch er macht keine Anstalten, von mir abzulassen. Auf einmal höre ich einen Schlag. Takeru sinkt zu Boden. Ich laufe ein Stück weiter, doch dann drehe ich mich um. Ein Streuner hat ihn erwischt. Es ist auch ein Apsid, allerdings ein ziemlich verlotterter. Ich höre ihn schimpfen: »Lass das Mädchen in Ruhe!«

Nun schlägt er Takeru mit dem Blechstück in den Bauch. Ich laufe zurück und schreie dem Irren ins Gesicht: »Lass das, verdammt nochmal! Er ist mein Freund!«

»So?« Er sieht an mir herunter. »Sieht aber nicht so aus.« Er mustert meine zerrissene Wäsche und meine blutenden Arme. Mir wird bewusst, wie schlimm ich gerade aussehe.

»Wir sind auf der Flucht, verdammt! Kümmere dich gefälligst um deine eigenen Angelegenheiten!«, schimpfe ich. Dann helfe ich Takeru hoch. »Geht’s?«

Bevor noch einer etwas sagen kann, wirbelt Takeru mit einem ausgestreckten Arm und einem Bein, dass wie bei einem Klappmesser herausgeschossen kommt, herum, und der Mann liegt im Nu auf dem Boden.

»Lass uns weiter!«, sagt Takeru nur. Er nimmt mich an die Hand. Wir laufen los und ich lasse auch sofort seine Hand wieder los. Was denkt er denn, wer er ist? Nur weil ich dem Irren da eben gesagt habe, dass er mein Freund ist, muss er das doch nicht gleich wörtlich nehmen! Spinnt er? Während wir wieder zu laufen beginnen, sehe ich zu ihm herüber. Dann frage ich ihn: »War das Rôtma?«

»Ja, der einfachste Grundgriff. Der Kerl hat mich allerdings mit einem Blech erwischt!«

Takeru läuft in der Tat etwas holperig, denke ich. Uns kommen drei Prôliks entgegen. Ich ziehe Takeru an der Jacke zu mir. Dann pressen wir uns keuchend in eine Häuserecke. Takeru umarmt mich und tut so, als er mich küsst. Die Killermaschinen laufen desinteressiert an uns vorbei. Sie scheinen auf jemand anderes programmiert zu sein. Takeru lässt wieder von mir ab. »Wie oft willst du heute eigentlich noch versuchen, mich zu küssen?«, frage ich ihn.

Er sieht den Prôliks hinterher. Dann pfeift er. Es muss ein bestimmtes Signal sein. Er pfeift drei hohe Töne und vier tiefere.

Wir gehen wieder auf den Gultrân hinaus. Noch zwei weitere Kreuzungen und wir sind endlich bei Sinpo angelangt.

»Also, falls das ‚La Traviata‘ sein soll, musst du wohl noch üben!«, sage ich.

Dann gibt Takeru mir seine Lederjacke. Doch ich protestiere: »Vergiss es! Im Leben nicht! Ich ziehe doch keine Pilotenjacke eines Apsids an!«

»Okay!« Er nimmt sie wieder an sich. »Dann willst du wohl lieber auf den Bühnen oder in einem der roten Fenster arbeiten, die gleich kommen werden?«

Daran hatte ich gar nicht gedacht. Ich bleibe stehen.

»Nun nimm schon!« Takeru hält mir seine Jacke erneut hin. Mürrisch reiße ich sie ihm aus der Hand. Als ich sie über meine Arme ziehe, spüre ich, dass einige Wunden wieder aufreißen. In diesem Moment freut es mich einerseits, dass ich ihm seine dumme Jacke vollblute, doch andererseits frage ich mich auch, wie ich gleich Sinpo erklären soll, dass ich nun mit einem Apsid herumlaufe. Mit einem Feind!

»Weißt du, warum ich ‚La Traviata‘ so mag?«, fragt Takeru mich. Ich zucke mit den Schultern. »Bin kein Opernfan«, meine ich. Dann blicke ich links in die Fensterfront und mir wird ganz anders. Hinter den rot beleuchteten Schaufensterscheiben stehen halbnackte Frauen, Männer, Cyborgs und Roboter. Sie winden sich zu einer seltsamen Musik, als hätten sie Schmerzen. Doch auf etliche Passanten wirkt dies so anziehend, dass sie stehen bleiben oder sich nach einer kurzen Leibesvisite durch einen Prôlik in die Höhle des purpurnen Munds pressen, dessen Zunge als Teppich auf der Straße liegt.

»Ich war noch nie hier«, sage ich vermutlich zu leise, als dass Takeru mich hören kann. Wir gehen an dem Mund und der ganzen sonderbaren Fleisch- und Metall-Peepshow vorbei über die Straße.

»La Traviata ist seine beste Oper. Ich liebe sie«, behauptet Takeru, als hätten wir uns die ganze Zeit ausschließlich über Verdi unterhalten und würden uns gerade in einem Nobelviertel Londons befinden.

Doch mein Ballkleid liegt zerrissen in der Gosse und wir sind auf der schrecklichsten aller Raumstationen gelandet.

Takeru fährt fort: »Weil man genau weiß, wie es ausgehen wird und dennoch hat man die ganze Zeit über die Hoffnung, dass es besser werden wird. …, dass Violetta wieder gesund wird.«

»Aha«, sage ich, während ich über einen halben Troik steige, der neben einem zerfledderten Shuttle entsorgt worden ist.

»Ja und der Vater spielt auch eine große Rolle, weißt du? Er mischt sich zu sehr ein und dann bereut er es.«

Ich bleibe stehen.

»Verdammt nochmal! Wir gehen hier gerade durchs Trivi 3, ich hab nicht mal eine Hose an und du willst mir allen Ernstes erklären, was die Vaterfigur in ‚La Traviata‘ zu bedeuten hat?«

Takeru grinst. »Gibt wohl keinen besseren Ort dafür!«, meint er.

Ich seufze, dann gehen wir weiter.

Ein schlanker Cyborg kommt auf mich zu.

»Mädel, sieh dich an!«, sagt er. Wobei es sich verrückterweise anhört wie: »Zieh dich an!«

Sein Gesicht erinnert mich an eine interessante Mischung aus einer geschminkten Madonnenfigur und einem lächelnden Buddha. Er rollt mit den Augen. Kurz entschlossen nimmt dieses Wesen sich seinen zum Rock gebundenen Stoff vom Drahtkörper und drückt ihn mir in die Hand. »Zieh’s an, Mädel! Mach dich schön, Mädel!«, ruft er.

Ich zögere nicht lange und schnappe mir den Stoff. Dann danke ich ihm oder ihr, wie auch immer. Schnell hänge ich mir den karierten Stoff um die Taille. Passt! Wunderbar, nun habe ich wenigstens keine kalten Beine mehr. Takeru mustert mich, während wir uns durch eine vor dem Kino stehende Menge drängeln.

»Nicht schlecht!«, meint er.

»Der Film?«, frage ich, weil ich die Ankündigungen nicht sehen kann.

Jetzt lassen wir die Leute hinter uns.

»Nein, dein Outfit!«

Ich deute zu den chinesischen Zeichen auf der anderen Straßenseite. »Da ist Sinpo!«, rufe ich. »Ein Freund von mir.«

Jetzt müssen wir uns beeilen, weil auf der Straße gerade vier Troiks eine Kontrolle an einem Shuttle durchführen. Sie haben es aus der Luft geholt und drücken den Fahrer, einen Cyborg, mit dem Bauch an sein Fahrzeug.

»Hier ist immer so viel los!«, erkläre ich Takeru, als wäre er neu hier.

»Was du nicht sagst!«, meint er.